Ludvig Holberg
Erasmus Montanus oder Rasmus Berg
Ludvig Holberg

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Dritter Akt.

Erste Scene.

Nille. Montanus. Jeppe.

Nille. Mein Sohn Montanus bleibt ziemlich lange aus, ich wollte, er käme, ehe der Verwalter wieder weggeht. Denn der hat großes Verlangen, ihn zu sprechen, und möchte ihn gern so nach diesem und jenem fragen, was – aber da sehe ich ihn kommen. Guten Tag, mein lieber Sohn, der gute Jeronimus hat sich gewiß nicht wenig gefreut, den Herrn Sohn nach so langer Abwesenheit gesund und munter wiederzusehen?

Montanus. Ich habe weder Jeronimus, noch seine Tochter gesprochen von wegen des Lumps, mit dem ich in Disput gerieth.

Nille. Wer war das? War es vielleicht gar der Schulmeister?

Montanus. Nein, es war ein Fremder, der hier zufällig durchreiste. Ich kenne ihn ganz gut, obschon ich in Kopenhagen in keinem Verkehr weiter mit ihm gestanden. Ich muß mich jedesmal ärgern über diese Menschen, die sich einbilden, als hätten sie die Weisheit mit Löffeln gegessen, und doch in Wahrheit die reinen Idioten sind. Ich will Euch die Sache erzählen, Mutter. Der Lump ist ein paarmal ordinarius opponens gewesen, das sind seine ganzen merita. Aber wie versah er seine partes?`misere et haesitanter, absque methodo. Als der Praeses einmal inter rem et modum rei distinguirte, fragte er: quid hoc est? Ja, Du Schlingel, das solltest Du gelernt haben, antequam in arenam descendis. Quid est hoc? Quae bruta! Ein Kerl, 313 der nichts von den Distinctiones cardinales weiß, und will publice disputiren!

Nille. Ei, der Herr Sohn muß sich das nicht so sehr zu Herzen nehmen, ich höre ja schon aus seiner Beschreibung, daß der Kerl ein Narr ist.

Montanus. Ein Ignorant!

Nille. Versteht sich.

Montanus. Ein Idiot!

Nille. Das sieht Jeder.

Montanus. Et quidem plane hospes in philosophia. Da hat er's, und nun mag der Hund sehen, wie er sich rein waschen will!

Nille. Hat er sich denn vor all den Leuten vollgemacht? Na, das ist aber doch wirklich ein Schwein.

Montanus. Nein, Mutter, er hat noch weit Schlimmeres gethan, er hat öffentlich materia cum forma confundirt.

Nille. Ei, so soll ihn doch die Schwerenoth!

Montanus. Und so ein Kerl bildet sich ein, disputiren zu können?

Nille. Ja, den Henker mag er können!

Montanus. Gar nicht zu sprechen von dem Fehler, den er gleich in seinem prooemio machte, indem er sagte: Lectissimi et doctissimi auditores!

Nille. Was das für ein Schafskopf sein muß!

Montanus. Setzt mir lectissimus vor doctissimus, da doch lectissimus ein Prädicat ist, das man auch einem deposituro geben kann!

Jeppe. Aber hat der Herr Sohn mit Jeronimus denn gar nicht gesprochen?

Montanus. Nein, eben wie ich eintreten wollte, sah ich den Kerl vorbeigehen, und weil wir einander kennen, ging ich, ihm guten Tag zu sagen, wobei wir denn gleich in allerhand gelehrte Gespräche und zuletzt ins Disputiren kamen, so daß ich meinen Besuch auf ein ander Mal verschieben mußte.

Jeppe. Ich fürchte nur, Monsieur Jeronimus wird böse 314 werden, wenn er hört, daß der Herr Sohn dagewesen, aber wieder fortgegangen, ohne ihn zu sprechen.

Montanus. Ja, das kann nun nicht helfen, wer die Philosophie angreift, greift meine Ehre an. Ich bin Mademoiselle Lisbeth gewiß sehr gut, aber meine Metaphysica, meine Logica sind mir doch noch lieber.

Nille. Ach, bester Sohn, was hör' ich da? Hast Du Dich mit zwei andern Mädchen in Kopenhagen versprochen? Na das wird einen schönen Scandal vor dem Consistorium geben!

Montanus. Ihr versteht mich falsch, das ist nicht so gemeint; nicht von Mädchen spreche ich, sondern von zwei Wissenschaften, die so heißen.

Nille. Ja, das ist was anders. Aber hier kommt der Verwalter, nun seid nur nicht mehr böse.

Montanus. Der kann mich nicht böse machen, das ist ein einfältiger unstudirter Mann, mit dem lasse ich mich in gar kein Disputiren ein.

Zweite Scene.

Jeppe. Nille. Montanus. Jesper.

Jesper. Serviteur, Monsieur, willkommen zu Hause!

Montanus. Danke bestens, Herr Verwalter.

Jesper. Es freut mich, daß wir jetzt solchen gelehrten Mann im Dorfe haben; das hat wol einiges Kopfbrechen gekostet, bevor Er es so weit gebracht? – Nehmt meinen Glückwunsch, Jeppe Berg, zu Eurem Sohne, das ist eine Freude für Euch in Euren alten Tagen.

Jeppe. Ja, gewiß.

Jesper. Aber hör' Er, mein lieber Monsieur Rasmus, ich möchte Ihn wol mal wonach fragen.

Montanus. Ich heiße Montanus.

Jesper (leise zu Jeppe). Montanus, das ist wol das Lateinische von Rasmus?

Jeppe. Ja, es wird wol so was sein.

Jesper. Na, dann hör' Er mal, mein lieber Montanus 315 Berg, da habe ich mir allerhand seltsames Zeug erzählen lassen, was die Gelehrten alles glauben sollen. Ist das wirklich wahr, daß es in Kopenhagen Menschen giebt, die die Erde für rund halten? Hier bei uns glaubt es kein Mensch, und wie könnte die Erde auch rund sein, da man ja doch deutlich sieht, daß sie flach ist?

Montanus. Das rührt nur daher, weil die Erde so groß ist, daß man ihre Rundheit nicht merkt.

Jesper. Ja, allerdings, groß ist die Erde, sie macht ja beinahe die Hälfte der Welt aus. Aber nun sag' Er mal, Monsieur, wie viel Sterne gehören wol dazu, um einen Mond zu machen?

Montanus. Einen Mond? Der Mond verhält sich zu den Sternen wie der Dorfteich zum Meere.

Jesper. Ha ha ha ha, die Gelehrten sind doch alle zusammen nicht richtig im Kopfe! Da hab' ich neulich, weiß Gott, Einen gehört, der behauptete, die Erde drehte sich und die Sonne stände still; Monsieur glaubt das wol am Ende auch?

Montanus. Kein verständiger Mensch hegt mehr den mindesten Zweifel.

Jesper. Ha ha ha! Wenn die Erde sich bewegte, so müßten wir ja alle zusammen umfallen und den Hals brechen?

Montanus. Bewegt sich ein Schiff, auf dem Ihr seid, nicht etwa auch, ohne daß Ihr den Hals brecht?

Jesper. Ja, aber die Erde, behaupten sie ja, dreht sich im Kreise; wenn das Schiff sich rund um drehte, würde die Mannschaft da nicht ins Wasser fallen?

Montanus. Nein, ich will Euch das deutlich machen, wenn Ihr nur Geduld habt zuzuhören.

Jesper. Keine Silbe will ich mehr davon hören, ich müßte ja doch wahrhaftig verrückt sein, wenn ich so was glauben wollte. Die Erde sollte sich umdrehen und wir sollten nicht zum Teufel kopfüber in den Abgrund fahren? Ha ha ha! – Aber, mein lieber Monsieur Berg, nun erklär' Er mir mal das: warum ist der Mond wol mitunter so klein und dann wieder ein ander Mal ganz groß? 316

Montanus. Wenn ich es Euch auch sagen wollte, Ihr würdet es doch nicht glauben.

Jesper. Ach nein, seid so gut und sagt es mir.

Montanus. Das kommt daher: wenn der Mond zu groß ist, wird er beschnitten und aus den Stücken werden dann Sterne gemacht.

Jesper. Das ist doch wahrhaftig merkwürdig, das hab' ich wahrhaftig noch nicht gewußt. Aber allerdings, wenn man ihn nicht beschnitte, so würde er ja immer wachsen und zuletzt würde er so groß, daß man ganz Seeland damit bedecken könnte. Die Natur hat doch alles außerordentlich weise eingerichtet. Aber woher mag das wol kommen, daß der Mond nicht so gut wärmt wie die Sonne, da er doch ebenso groß ist?

Montanus. Das kommt daher, weil der Mond an sich ohne Licht ist, aus demselben dunklen Stoffe wie die Erde, und sein Licht und seinen Glanz blos von der Sonne borgt.

Jesper. Ha ha ha ha ha ha! Nun wollen wir doch lieber von was anderem sprechen, das ist zu verrücktes Zeug, man wird davon rein katholisch im Kopfe.

Dritte Scene.

Jeppe. Nille. Montanus. Jesper. Küster Peter.

Jeppe. Guten Tag, Peter; wo hübsche Leute sind, kommen hübsche Leute dazu. Da seht meinen Sohn, der eben angekommen ist.

Peter. Willkommen zu Hause, Monsieur Rasmus Berg.

Montanus. In Kopenhagen pflegte ich Montanus zu heißen; ich darf wol bitten, daß Ihr mich ebenso nennt.

Peter. Ja, versteht sich, darauf soll es mir nicht ankommen. Aber wie sieht es in Kopenhagen aus? Deponiren dies Jahr viele?

Montanus. Nicht mehr als gewöhnlich.

Peter. Sind auch welche relegirt worden?

Montanus. So etwa zwei bis drei conditionaliter.

Peter. Wer ist dies Jahr Imprimatur?

Montanus. Was soll das heißen?

Peter. Na, ich meine, wer Imprimatur ist zu den Gedichten und Büchern, die gedruckt werden.

Montanus. Soll das lateinisch sein?

Peter. Ja, zu meiner Zeit war es richtiges Latein.

Montanus. Wäre es damals richtiges Latein gewesen, müßte es noch jetzt welches sein; allein in dem Sinne, wie Ihr das gebraucht, ist es niemals Latein gewesen.

Peter. Ja, meiner Seele, es ist richtiges Latein!

Montanus. Soll es denn ein nomen sein oder ein verbum?

Peter. Das ist ein nomen.

Jesper. So ist's recht, Peter, diene ihm nur gehörig!

Montanus. Cujus declinationis soll denn das Imprimatur sein?

Peter. Alle Wörter, die man aussprechen kann, sind achterlei, als da sind: nomen, pronomen, verbum, principium, conjugatio, declinatio, interjectio.

Jesper. Ja, ja, nun seh' nur einer den Peter, wenn der sich den Säbel anschnallt! Aber so ist's recht, setz' ihm nur gehörig zu!

Montanus. Er antwortet ja aber gar nicht auf meine Frage. Wie hat denn Imprimatur im Genitiv?

Peter. Nominativus ala, Genitivus alae, Dativus alo, Vocativus alo, Ablativusala.

Jesper. Ja, ja, Monsieur Montanus, hier wohnen auch noch Leute hinter dem Berge.

Peter. Das wollt' ich meinen, das waren auch noch ganz andere Kerle, die zu meiner Zeit deponirten, als jetzt; das waren Kerle, die ließen sich zweimal die Woche den Bart abnehmen und alle möglichen Verse konnten sie scandiren.

Montanus. Das ist was Großes, allerdings, das können sie jetzt schon in der zweiten Klasse vom Gymnasium. In Kopenhagen aber deponiren jetzt Kerle, die können ihren hebräischen und chaldäischen Vers machen. 318

Peter. Na, mit dem Latein wird es dann vermuthlich nicht weit her sein?

Montanus. Latein? Wenn Ihr jetzt aufs Gymnasium kämt, Ihr kämt noch nicht nach Sexta!

Jesper. Das sag' Er denn doch nicht, Montanus, der Küster ist, weiß Gott, ein Mann, der was gelernt hat; das habe ich sowol von dem Oberinspector wie von dem Amtmann gehört.

Montanus. Vermuthlich verstehen die beiden ebenso wenig Latein wie er.

Jesper. Ich höre aber doch, daß er sich gehörig zu verantworten weiß.

Montanus. Er antwortet ja gar nicht auf das, was ich ihn frage. E qua schola dimissus es, mi domine?

Peter. Adjectivum et Substantivum genere, numero et caseo conveniunt.

Jesper. Er giebt's ihm gehörig, meiner Seele. So recht, Peter, dafür wollen wir auch nachher eins zusammen trinken!

Montanus. Wenn der Herr Verwalter verstände, was er antwortet, er müßte sich krank lachen; ich frage ihn, in welcher Schule er deponirt hat, und er antwortet mir lauter dummes Zeug.

Peter. Tunc tua res agitur, paries cum proximus ardet.

Jesper. Ja ja, das hat er weg, nun seht zu, wie Ihr Euch darauf verantwortet!

Montanus. Gar nichts kann ich darauf antworten, weil es der reine Blödsinn ist. Laßt uns auf Dänisch mit einander reden, das verstehen die Andern auch, und da werden sie gleich hören, was das für ein Kerl ist.

(Nille fängt an zu weinen.)

Jesper. Warum weint Ihr, Gevatterin?

Nille. Ich bin so betrübt darüber, daß mein Sohn im Lateinischen so abgeführt wird.

Jesper. Je nun, Gevatterin, das ist ja natürlich, Peter ist ja auch so viel älter als er, das ist ja natürlich. Nun aber laßt sie nur Dänisch sprechen, das verstehen wir alle. 319

Peter. Meinetwegen, ich bin zu allem parat, wir wollen einander Fragen vorlegen. Als zum Exempel: wer schrie so laut, daß alle Welt ihn hörte?

Montanus. Ich weiß keinen, der stärker schreit, als ein Esel und ein Dorfküster.

Peter. Ei Possen, können die auch von aller Welt gehört werden? Der Esel in der Arche Noah war es, weil nämlich alle Welt damals in der Arche war.

Jesper. Ha ha ha, das ist wahrhaftig richtig, ha ha ha! Ja, das ist ein Schlaukopf, der Küster Peter.

Peter. Wer hat den vierten Theil der Menschheit erschlagen?

Montanus. Ei was, auf solche thörichten Fragen antworte ich gar nicht.

Peter. Das hat Kain gethan, als er seinen Bruder Abel erschlug.

Montanus. Beweist erst, daß damals blos vier Menschen auf Erden waren.

Peter. Beweist, daß mehr waren.

Montanus. Das brauche ich nicht, affirmanti incumbit probatio, versteht Ihr das?

Peter. Ja gewiß, omnia conando docilis solertia vincit; versteht Ihr das?

Montanus. Ich bin nicht gescheidt, daß ich hier stehe und mit solchem Schafskopf disputire; Ihr wollt disputiren und wißt weder Latein noch Dänisch, noch viel weniger, was logica ist. Laßt doch mal hören: Quid est logica?

Peter. Post molestam senectutem, post molestam senectutem nos habebat humus.

Montanus. Willst Du Schlingel mich zum Narren halten?

(Kriegt ihn bei den Haaren, sie prügeln sich.)

Peter (läuft weg und ruft:) Schafskopf! Schafskopf!

(Alle ab, ausgenommen der Verwalter.) 320

Vierte Scene.

Jesper. Jeronimus.

Jeronimus. Sein Diener, Herr Verwalter, treffe ich Ihn hier? Ich komme, meinem künftigen Schwiegersohne Rasmus Berg meinen Besuch zu machen.

Jesper. Er wird gleich hier sein. Aber schade, daß Ihr nicht eine halbe Stunde früher gekommen seid, da hättet Ihr hören können, wie er und der Küster mit einander disputirten.

Jeronimus. Und wie lief die Sache ab?

Jesper. Der Küster ist ein verfluchter Kerl, der ist schlimmer, als ich dachte; er hat nichts vergessen, weder von seinem Latein, noch von seinem Ebräisch.

Jeronimus. Das glaube ich auch, nämlich weil er nie etwas gewußt hat.

Jesper. Sagt das nicht, Monsieur Jeronimus, er führt doch ein verfluchtes Maulwerk; es ist eine wahre Lust, den Kerl lateinisch sprechen zu hören.

Jeronimus. Das ist mehr, als ich ihm zugetraut hatte. Aber wie sieht denn mein Schwiegersohn aus?

Jesper. Verflucht gelehrt sieht er aus, Ihr werdet Mühe haben, ihn wieder zu erkennen. Auch hat er sich einen andern Namen zugelegt.

Jeronimus. Einen andern Namen? Wie heißt er denn jetzt?

Jesper. Er nennt sich Montanus, das ist das Lateinische von Rasmus.

Jeronimus. Ei pfui, das ist nicht schön. Ich habe allerhand Leute gekannt, die ebenso ihren christlichen Namen veränderten, doch hat es mit keinem von ihnen ein gutes Ende genommen. Einen kannte ich vor ein paar Jahren, der war Peter getauft, und wie er nun ein bischen in die Höhe gekommen war, da änderte er die Firma und nannte sich Peiter. Aber der Peiter kam ihm theuer zu stehen, er brach ein Bein und starb im tiefsten Elend. Der liebe Gott will so was nicht, Herr Verwalter. 321

Jesper. Mit dem Namen möchte das noch sein; aber nur, daß er so absonderliche Religionsansichten hat, das will mir nicht gefallen.

Jeronimus. Was hat er denn für Ansichten?

Jesper. Ei, das ist was Schauderhaftes, die Haare stehen mir noch zu Berge, sowie ich nur daran denke. Alles, was er zu hören gab, habe ich natürlich nicht behalten, aber das weiß ich noch, daß er unter andern behauptete, die Erde wäre rund. Wie soll man das nun nennen, Monsieur Jeronimus? Das heißt doch offenbar, die Religion mit Füßen treten und die Menschen von ihrem Glauben abwendig machen? Ein Heide kann es ja nicht ärger treiben.

Jeronimus. Er wird das wol nur im Spaß gesagt haben.

Jesper. Für einen Spaß ist es denn doch zu grob. Aber hier kommt er selbst.

Fünfte Scene.

Montanus. Jeronimus. Jesper.

Montanus. Willkommen, mein theurer Schwiegervater, ich freue mich, Ihn bei guter Gesundheit zu sehen.

Jeronimus. Mit der Gesundheit ist es in meinen Jahren nicht mehr weit her.

Montanus. Aber Ihr seht doch trefflich aus.

Jeronimus. Meint Ihr?

Montanus. Wie geht es Jungfer Lisbeth?

Jeronimus. So ziemlich.

Montanus. Aber was heißt das, mein theurer Schwiegervater? Ihr antwortet ja so ablehnend?

Jeronimus. Als ob ich keine Gründe dazu hätte!

Montanus. Was habe ich denn aber Böses gethan?

Jeronimus. Wie ich höre, habt Ihr solche eigenthümlichen Ansichten, die Leute müssen ja denken, Ihr seid verrückt oder katholisch im Kopfe. Oder wie kann nur ein vernünftiger Mensch auf die Tollheit verfallen und behaupten, die Erde sei rund? 322

Montanus. Ja, profecto ist sie rund; was wahr ist, muß ich doch sagen.

Jeronimus. Das mag den Teufel wahr sein; dergleichen kommt von niemand anders als vom Teufel, als dem Vater der Lüge. Im ganzen Dorf hier, das weiß ich sicher, ist auch nicht Ein Mensch, der diese Ansicht theilt; fragt nur den Verwalter, der doch auch ein verständiger Mann ist, ob er nicht ganz derselben Ansicht ist wie ich.

Jesper. Mir kann es allerdings zuletzt egal sein, ob sie flach ist oder rund; aber meinen Augen muß ich ja doch trauen, und die zeigen mir, daß die Erde flach ist, wie ein Eierkuchen.

Montanus. Mir kann es ebenfalls egal sein, was der Herr Verwalter und die Uebrigen im Dorfe darüber denken, aber das weiß ich, daß die Erde rund ist.

Jeronimus. Sie mag den Teufel rund sein! Ihr seid verrückt, glaub' ich; Ihr habt ja doch Augen im Kopfe, wie andere Menschen!

Montanus. Aber das ist ja doch eine bekannte Thatsache, mein theuerster Schwiegervater, daß gerade unter uns Menschen wohnen, die ihre Füße gegen die unsern kehren.

Jesper. Ha ha ha! Hi hi hi! Ha ha ha!

Jeronimus. Ja, der Herr Verwalter hat wol Grund zu lachen, dem ist wirklich eine Schraube im Kopfe losgegangen. Macht nur mal den Versuch, geht hier unter dem Dach mit dem Kopfe nach unten und seht zu, wie das ablaufen wird!

Montanus. Das ist ja ganz was anders, das –

Jeronimus. Ich mag gar nicht mehr Euer Schwiegervater sein, dazu habe ich meine Tochter viel zu lieb, um sie auf die Art wegzuwerfen.

Montanus. Ich liebe Eure Tochter wie mein eignes Leben, ohne Zweifel: aber daß ich um ihretwillen der Philosophie entsagen und meinen gesunden Menschenverstand zum Hause hinausjagen sollte, das ist mehr, als Ihr verlangen könnt.

Jeronimus. Ah so, Ihr habt noch eine Liebschaft, merk' ich. Na, so behaltet denn Eure Lucie oder Sophie, aufzwingen will ich Euch meine Tochter wahrhaftig nicht. 323

Montanus. Ihr mißversteht mich, ich spreche von der Philosophie, das ist eine Wissenschaft, die mir die Augen geöffnet hat, sowol in diesem als in andern Stücken.

Jeronimus. Vielmehr blind gemacht hat sie Euch, an den Augen sowol als am Verstande. Wie wollt Ihr nur das alles beweisen, was Ihr da zusammengeschwatzt habt?

Montanus. Es braucht keinen Beweis, alle Gelehrten sind darüber einig.

Jesper. Der Küster wird Euch das meiner Seele nicht zugeben.

Montanus. Ach ja, der Küster, das ist auch der Rechte! Ich bin wirklich ein Thor, daß ich hier noch lange stehe und mit Euch über Philosophie streite. Um indeß Monsieur Jeronimus den Willen zu thun, will ich doch ein Paar Beweise anführen. Nämlich erstens von Reisenden, welche, wenn sie ein paar tausend Meilen zurückgelegt, Tag haben, wenn bei uns Nacht ist, und einen andern Himmel mit andern Sternen erblicken.

Jeronimus. Seid Ihr denn ganz verrückt? Giebt es denn auch mehr als einen Himmel und eine Erde?

Jesper. Ei ja, Monsieur Jeronimus, es giebt zwölf Himmel, einen immer höher als den andern, bis man zuletzt an den Krystallhimmel kommt; insoweit muß ich Ihm Recht geben.

Montanus. Ach, quantae tenebrae!

Jeronimus. Ich bin doch, wie ich jung war, wol sechzehnmal auf dem Kieler UmschlagDer Kieler Umschlag (Kieler Messe) ist noch jetzt berühmt. Für einen Inseldänen war übrigens eine Reise nach Kiel damals schon ein ansehnliches Unternehmen, und so will Jeronimus sich mit dieser Anführung als gereister Mann erweisen, dem über dergleichen Dinge wol ein Urtheil zusteht. A.d.Ü. gewesen, aber wenn ich da einen andern Himmel gesehen habe, als wir hier haben, so will ich wahrhaftig kein ehrlicher Mann sein.

Montanus. Ihr müßt aber auch sechzehnmal weiter reisen, domine Jeronime, bevor Euch der Unterschied bemerkbar wird, indem nämlich –

Jeronimus. Geht mir ab mit den Faxen, damit ist es nichts; laßt uns lieber Euren zweiten Beweis hören.

Montanus. Der zweite Beweis wird hergenommen von der Sonnen- und Mondfinsterniß.

Jesper. Nein, nun höre ein Mensch, nun wird er ganz und gar verrückt! 324

Montanus. Was glaubt Ihr wol, daß es mit diesen Finsternissen für eine Bewandniß hat?

Jesper. Diese Mond- und Sonnenfinsternisse sind ein zuverlässiges Zeichen, daß sich auf Erden irgend ein großes Unglück ereignen wird, das kann ich aus eigener Erfahrung beweisen; denn wie meine Frau vor drei Jahren zu früh niederkam und wie meine Tochter Gertrud starb, da war beide Male vorher eine Finsterniß gewesen.

Montanus. Möchte man über solchen Unsinn nicht toll werden!

Jeronimus. Der Verwalter hat ganz recht, solche Finsternisse haben allemal etwas zu bedeuten. Wie die letzte Finsterniß war, da schien es allerdings, als ob alles gut bleiben sollte, aber lange dauerte es auch nicht; denn vierzehn Tage darauf kam aus Kopenhagen die Nachricht, daß sechs Candidaten auf einmal durch das Examen gefallen waren, alle von guter Herkunft, darunter sogar zwei Superintendentensöhne. Hört man nach solcher Finsterniß an einem Orte nichts Schlimmes, so hört man es doch gewiß am andern.

Montanus. Das hat allerdings seine Richtigkeit, da natürlich kein Tag vorbeigeht, an dem nicht irgend ein Unglück passirte. Indessen was die sechs Candidaten anbetrifft, so haben die wol keinen Grund, sich über die Finsterniß zu beklagen; hätten sie mehr gelernt, würden sie gewiß nicht durchgefallen sein.

Jeronimus. Was denkt Ihr denn nun aber, daß eine Mondfinsterniß ist?

Montanus. Das ist nichts weiter als der Schatten der Erde, welcher den Mond seines Scheins beraubt, und da nun dieser Schatten rund ist, so beweist das, daß die Erde ebenfalls rund ist. Das hängt alles durch eine ganz natürliche Ordnung zusammen. Man kann die Sonnen- und Mondfinsternisse sogar berechnen, und darum ist es Thorheit, zu sagen, daß so etwas ein Unglück bedeutet.

Jeronimus. Ach, Herr Verwalter, mir wird übel. Eure Eltern haben Euch zur bösen Stunde studiren lassen.

Jesper. In der That, es fehlt nicht viel, so wird er noch 325 ein Atheist. Ich muß ihm nur den Küster auf den Hals schicken; das ist der Mann dazu, der weiß mit Nachdruck zu sprechen, der wird Euch schon überführen, lateinisch oder griechisch, wie Ihr wollt, daß die Erde, Gott sei Lob und Dank, flach wie meine Hand ist. Aber da kommt Madame Jeronimus mit ihrer Tochter.

Sechste Scene.

Magdelone. Lisbeth. Jeronimus. Montanus. Jesper.

Magdelone. Ach, mein lieber Schwiegersohn, wie freut es mich, daß Ihr frisch und gesund nach Hause zurückgekommen seid!

Lisbeth. Ach, mein Schatz, laß Dich umarmen!

Jeronimus. Sachte, sachte, mein Kind, nicht so hitzig!

Lisbeth. Darf ich denn nicht meinen Bräutigam umarmen, den ich seit Jahren nicht gesehen habe?

Jeronimus. Bleib' ihm vom Leibe, sag' ich Dir, oder es setzt Hiebe!

Lisbeth (weinend). Aber wir sind ja doch öffentlich mit einander verlobt!

Jeronimus. Allerdings, aber das Ding hat noch einen Haken gekriegt. (Lisbeth weint.) Siehst Du, mein Kind, als er sich mit Dir versprach, war er noch ein guter Mensch und honneter Christ, jetzt aber ist er ein Ketzer und Schwärmer, einer, für den ich lieber will öffentlich beten lassen, als ihn zu meinem Schwiegersohne haben.

Lisbeth. Wenn es weiter nichts ist, mein theuerster Vater, damit wollen wir schon noch in Ordnung kommen.

Jeronimus. Bleib' ihm vom Leibe, sag' ich!

Magdelone. Was heißt dies alles nur, Herr Verwalter?

Jesper. Nicht viel Gescheidtes; er steckt das Dorf mit falschen Lehren an, behauptet, die Erde sei rund und mehr dergleichen, daß ich mich schäme, es nachzusagen.

Jeronimus. Aber sind die armen braven Eltern nicht zu beklagen, die so viel Geld an ihn gewandt haben? 326

Magdelone. Ei, wenn es weiter nichts ist! Hat er unsere Tochter wirklich lieb, so wird er bald genug anderen Sinnes werden und wird zugeben, daß die Erde flach ist, schon ihr zu Liebe.

Lisbeth. Ach, mein Schatz, mir zu Liebe sag' doch nur, daß sie flach ist!

Montanus. So lange ich den unverkümmerten Gebrauch meiner Vernunft habe, kann ich Euch in diesem Punkte nicht dienen; ich kann der Erde doch keine andere Gestalt geben, als sie von Natur hat. Gern will ich Euch zu Liebe alles thun, was mir irgend möglich ist, nur in diesem Punkt vermag ich Euch nicht zu dienen. Wenn meine Collegen das hörten, daß ich so etwas statuirt hätte, sie müßten mich ja für einen Dummkopf halten und mich verachten. Ueberdies geben wir Gelehrten auch niemals eine Meinung auf, sondern was wir einmal gesagt haben, das vertheidigen wir auch bis zum letzten Tropfen Tinte.

Magdelone. Ei, lieber Mann, so wichtig kommt mir das doch nicht vor, um die Partie deshalb rückgängig zu machen.

Jeronimus. Und ich würde deshalb auf Scheidung antragen, wenn sie schon verheirathet wären.

Magdelone. Ich habe in der Sache wahrhaftig auch ein Wort mitzureden; ist sie Eure Tochter, so ist sie ebenso gut auch meine.

Lisbeth (weinend). Ach, Schatz, sag' doch nur, daß sie flach ist.

Montanus. Ich kann profecto nicht.

Jeronimus. Höre, Frau, vergiß nicht, daß ich Herr im Hause und daß ich ihr Vater bin.

Magdelone. Vergiß Du nur ebenfalls nicht, daß ich Frau im Hause und daß ich ihre Mutter bin.

Jeronimus. Aber Vater, meine ich, ist doch allemal mehr als Mutter.

Magdelone. Und ich meine gerade umgekehrt: denn daß ich ihre Mutter bin, das ist gewiß, ob Ihr aber – na ich will nur lieber still sein, ich könnte hitzig werden. 327

Lisbeth. Ach, mein Schatz, könnt Ihr denn nur nicht um meinetwillen sagen, daß sie flach ist?

Montanus. Ich kann nicht, mein Püppchen, nam contra natarem est.

Jeronimus. Sag' mal, Frau, was hast Du damit eigentlich sagen wollen? Bin ich nicht ebenso gut ihr Vater, wie Du ihre Mutter bist? Höre, Lisbeth, bin ich nicht Dein Vater?

Lisbeth. Ich glaube ja, denn die Mutter sagt es; ich glaube, daß Ihr mein Vater seid, aber daß sie meine Mutter ist, das weiß ich.

Jeronimus. Aber was sagt Ihr nun dazu, Herr Verwalter?

Jesper. So ganz unrecht kann ich der Mamsell nicht geben; denn –

Jeronimus. Genug davon, laßt uns gehen. Ihr aber, mein guter Rasmus Berg, verlaßt Euch darauf, daß, so lange Ihr bei Euren Irrlehren verharrt, meine Tochter niemals die Eure wird.

Lisbeth (weinend). Ach, Schatz, sag' doch, daß sie flach ist!

Jeronimus. Marsch fort mit Dir!

(Die Fremden entfernen sich.) 328


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