Hugo von Hofmannsthal
Elektra
Hugo von Hofmannsthal

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An den grell erleuchteten Fenstern klirrt und schlürft ein hastiger Zug vorüber: es ist ein Zerren, ein Schleppen von Tieren, ein gedämpftes Keifen, ein schnell ersticktes Aufschreien, das Niedersausen einer Peitsche, ein Aufraffen, ein Weitertaumeln.

In dem breiten Fenster erscheint Klytämnestra. Ihr fahles, gedunsenes Gesicht, in dem grellen Licht der Fackeln, erscheint noch bleicher über dem scharlachroten Gewand. Sie stützt sich auf eine Vertraute, die dunkelviolett gekleidet ist, und auf einen elfenbeinernen, mit Edelsteinen geschmückten Stab. Eine gelbe Gestalt, mit zurückgekämmtem schwarzem Haar, einer Ägypterin ähnlich, mit glattem Gesicht, einer aufgerichteten Schlange gleichend, trägt ihr die Schleppe. Die Königin ist über und über bedeckt mit Edelsteinen und Talismanen. Ihre Arme sind voll Reifen, ihre Finger starren von Ringen. Die Lider ihrer Augen scheinen übermäßig groß, und es scheint ihr eine furchtbare Anstrengung zu kosten, sie offen zu halten.

Elektra richtet sich hoch auf.

Klytämnestra öffnet jäh die Augen, zitternd vor Zorn tritt sie ans Fenster und zeigt mit dem Stock auf Elektra.

Klytämnestra
Was willst du? Seht doch, dort! so seht doch das!
Wie es sich aufbäumt mit geblähtem Hals
und nach mir züngelt! und das laß ich frei
in meinem Hause laufen!
Schweratmend
Wenn sie mich mit ihren Blicken töten könnte!
O Götter, warum liegt ihr so auf mir?
Warum verwüstet ihr mich so? warum
muß meine Kraft in mir gelähmt sein? warum
bin ich lebendigen Leibes wie ein wüstes
Gefild und diese Nessel wächst aus mir
heraus, und ich hab' nicht die Kraft zu jäten!
Warum geschieht mir das, ihr ewigen Götter?

Elektra ruhig
Die Götter! bist doch selber eine Göttin,
bist, was sie sind.

Klytämnestra zu ihren Begleiterinnen
                              Habt ihr gehört? habt ihr
verstanden, was sie redet?

Die Vertraute                           Daß auch du
vom Stamm der Götter bist.

Die Schleppträgerin zischend
                                              Sie meint es tückisch.

Klytämnestra indem ihre schweren Lider zufallen, weich
Das klingt mir so bekannt. Und nur als hätt ich's
vergessen, lang und lang. Sie kennt mich gut.
Doch weiß man nie, was sie im Schilde führt.

Die Vertraute und die Schleppträgerin flüstern miteinander.

Elektra nähert sich langsam Klytämnestra
Du bist nicht mehr du selber. Das Gewürm
hängt immerfort um dich. Was sie ins Ohr
dir zischen, trennt dein Denken fort und fort
entzwei, so gehst du hin im Taumel, immer
bist du, als wie im Traum.

Klytämnestra                             Ich will hinunter.
Laßt, laßt, ich will mit ihr reden.

Sie geht vom Fenster weg und erscheint mit ihren Begleiterinnen in der Türe, von der Türschwelle aus. etwas weicher.

Sie ist heute
nicht widerlich. Sie redet wie ein Arzt.

Die Vertraute flüsternd                                 Sie redet
nicht, wie sie's meint.

Die Schleppträgerin Ein jedes Wort ist Falschheit.

Klytämnestra auffahrend
Ich will nichts hören! Was aus euch herauskommt,
ist nur der Atem des Ägisth.
Und wenn ich nachts euch wecke, redet ihr
nicht jede etwas andres? Schreist nicht du,
daß meine Augenlider angeschwollen
und meine Leber krank ist? Und winselst
nicht du ins andre Ohr, daß du Dämonen
gesehen hast mit langen spitzen Schnäbeln,
die mir das Blut aussaugen? zeigst du nicht
die Spuren mir an meinem Fleisch, und folg' ich
dir nicht und schlachte, schlachte, schlachte Opfer
und Opfer? Zerrt ihr mich mit euren Reden
und Gegenreden nicht zu Tod? Ich will nicht
mehr hören: das ist wahr und das ist Lüge.
Dumpf
Was die Wahrheit ist, das bringt
kein Mensch heraus. Wenn sie
zu mir redet,
Immer schwer atmend, stöhnend
                      was mich zu hören freut,
so will ich horchen, auf was sie redet.
Wenn einer etwas Angenehmes sagt,
Heftig
und wär' es meine Tochter, wär' es die da,
will ich von meiner Seele alle Hüllen
abstreifen und das Fächeln sanfter Luft,
von wo es kommen mag, einlassen, wie
die Kranken tun, wenn sie der kühlen Luft,
am Teiche sitzend, abends ihre Beulen
und all ihr Eiterndes der kühlen Luft
preisgeben abends... und nichts andres
denken, als Lindrung zu schaffen.
Laßt mich allein mit ihr.

Ungeduldig weist sie mit dem Stock die Vertraute und die Schleppträgerin ins Haus. Diese verschwinden zögernd in der Tür. Auch die Fackeln verschwinden, und nur aus dem Innern des Hauses fällt ein schwacher Schein durch den Flur auf den Hof und streift hie und da die Gestalten der beiden Frauen.

Klytämnestra kommt herab, leise
Ich habe keine guten Nächte. Weißt du
kein Mittel gegen Träume?

Elektra näher rückend               Träumst du, Mutter?

Klytämnestra
Wer älter wird, der träumt. Allein, es läßt sich
vertreiben. Es gibt Bräuche.
Es muß für alles richtige Bräuche geben.
Darum bin ich so
behängt mit Steinen, denn es wohnt in jedem
ganz sicher eine Kraft. Man muß nur wissen,
wie man sie nützen kann. Wenn du nur wolltest,
du könntest etwas sagen, was mir nützt.

Elektra
Ich, Mutter, ich?

Klytämnestra ausbrechend
                            Ja du! denn du bist klug.
In deinem Kopf ist alles stark.
Du könntest vieles sagen, was mir nützt.
Wenn auch ein Wort nichts weiter ist! Was ist denn
ein Hauch? und doch kriecht zwischen Tag und Nacht,
wenn ich mit offnen Augen lieg', ein Etwas
hin über mich. Es ist kein Wort, es ist
kein Schmerz, es drückt mich nicht, es würgt mich nicht,
nichts ist es, nicht einmal ein Alp, und dennoch,
es ist so fürchterlich, daß meine Seele
sich wünscht, erhängt zu sein, und jedes Glied
in mir schreit nach dem Tod, und dabei leb' ich
und bin nicht einmal krank: du siehst mich doch:
seh' ich wie eine Kranke? Kann man denn
vergehn, lebend, wie ein faules Aas?
Kann man zerfallen, wenn man gar nicht krank ist?
zerfallen wachen Sinnes, wie ein Kleid,
zerfressen von den Motten? Und dann schlaf' ich
und träume, träume, daß sich mir das Mark
in den Knochen löst, und taumle wieder auf,
und nicht der zehnte Teil der Wasseruhr
ist abgelaufen, und was unterm Vorhang
hereingrinst, ist noch nicht der fahle Morgen,
nein, immer noch die Fackel vor der Tür,
die gräßlich zuckt wie ein Lebendiges
und meinen Schlaf belauert.
Diese Träume müssen
ein Ende haben. Wer sie immer schickt:
ein jeder Dämon läßt von uns, sobald
das rechte Blut geflossen ist.

Elektra                                         Ein jeder!

Klytämnestra wild
Und müßt ich jedes Tier, das kriecht und fliegt,
zur Ader lassen und im Dampf des Blutes
aufsteh'n und schlafen gehn wie die Völker
des letzten Thule im blutroten Nebel:
ich will nicht länger träumen.

Elektra                                           Wenn das rechte
Blutopfer unterm Beile fällt, dann träumst du
nicht länger!

Klytämnestra sehr hastig
                      Also wüßtest du, mit welchem
geweihten Tier? –

Elektra geheimnisvoll lächelnd
                                Mit einem ungeweihten!

Klytämnestra
Das drin gebunden liegt?

Elektra                                   Nein! es läuft frei.

Klytämnestra begierig
Und was für Bräuche?

Elektra                               Wunderbare Bräuche,
und sehr genau zu üben.

Klytämnestra heftig               Rede doch!

Elektra
Kannst du mich nicht erraten?

Klytämnestra                                 Nein, darum frag' ich.
Elektra gleichsam feierlich beschwörend
Den Namen sag des Opfertiers.

Elektra                                               Ein Weib.

Klytämnestra hastig
Von meinen Dienerinnen eine, sag!
ein Kind? ein jungfräuliches Weib? ein Weib,
das schon erkannt vom Manne?

Elektra ruhig                                     Ja! erkannt!
das ist's!

Klytämnestra
                Und wie das Opfer? und welche Stunde?
und wo?

Elektra ruhig
                An jedem Ort, zu jeder Stunde
des Tags und der Nacht.

Klytämnestra                         Die Bräuche sag!
Wie brächt' ich's dar? ich selber muß –

Elektra                                                           Nein. Diesmal
gehst du nicht auf die Jagd mit Netz und Beil.

Klytämnestra
Wer denn? wer brächt' es dar?

Elektra                                             Ein Mann.

Klytämnestra                                                     Ägisth?

Elektra lacht
Ich sagte doch: ein Mann!

Klytämnestra                           Wer? gib mir Antwort.
Vom Hause jemand? oder muß ein Fremder
herbei?

Elektra zu Boden stierend, wie abwesend
              Ja, ja, ein Fremder. Aber freilich
ist er vom Haus.

Klytämnestra             Gib mir nicht Rätsel auf.
Elektra, hör' mich an. Ich freue mich,
daß ich dich heut einmal nicht störrisch finde.

Elektra leise
Läßt du den Bruder nicht nach Hause, Mutter?

Klytämnestra
Von ihm zu reden hab' ich dir verboten.

Elektra
So hast du Furcht vor ihm?

Klytämnestra                             Wer sagt das?

Elektra                                                               Mutter,
du zitterst ja!

Klytämnestra         Wer fürchtet sich
vor einem Schwachsinnigen.

Elektra                                           Wie?

Klytämnestra                                           Es heißt,
er stammelt, liegt im Hof bei den Hunden
und weiß nicht Mensch und Tier zu unterscheiden.

Elektra
Das Kind war ganz gesund.

Klytämnestra                               Es heißt, sie gaben
ihm eine schlechte Wohnung und Tiere
des Hofes zur Gesellschaft.

Elektra                                         Ah!

Klytämnestra mit gesenkten Augenlidern
                                                      Ich schickte
viel Gold und wieder Gold, sie sollten ihn
gut halten wie ein Königskind.

Elektra                                             Du lügst!
Du schicktest Gold, damit sie ihn erwürgen.

Klytämnestra
Wer sagt dir das?

Elektra                         Ich seh's in deinen Augen.
Allein an deinem Zittern seh ich auch,
daß er noch lebt. Daß du bei Tag und Nacht
an nichts denkst als an ihn. Daß dir das Herz
verdorrt vor Grauen, weil du weißt: er kommt.

Klytämnestra
Was kümmert mich, wer außer Haus ist.
Ich lebe hier und bin die Herrin. Diener
hab' ich genug, die Tore zu bewachen,
und wenn ich will, laß ich bei Tag und Nacht
vor meiner Kammer drei Bewaffnete
mit offenen Augen sitzen.
Und aus dir
bring' ich so oder so das rechte Wort
schon an den Tag. Du hast dich schon verraten,
daß du das rechte Opfer weißt und auch
die Bräuche, die mir nützen. Sagst du's nicht
im Freien, wirst du's an der Kette sagen.
Sagst du's nicht satt, so sagst du's hungernd. Träume
sind etwas, das man los wird. Wer dran leidet
und nicht das Mittel findet, sich zu heilen,
ist nur ein Narr. Ich finde mir heraus,
wer bluten muß, damit ich wieder schlafe.

Elektra mit einem Sprung aus dem Dunkel auf Klytämnestra zu, immer näher an ihr, immer furchtbarer anwachsend
Was bluten muß? Dein eigenes Genick,
wenn dich der Jäger abgefangen hat!
Ich hör' ihn durch die Zimmer gehn, ich hör' ihn
den Vorhang von dem Bette heben: wer schlachtet
ein Opfertier im Schlaf! Er jagt dich auf,
er treibt dich durch das Haus! Willst du nach rechts,
da steht das Bett! Nach links, da schäumt das Bad
wie Blut! Das Dunkel und die Fackeln werfen
schwarzrote Todesnetze über dich –

Klytämnestra, von sprachlosem Grauen geschüttelt, will ins Haus. Elektra zerrt sie am Gewand nach vorn. Klytämnestra weicht gegen die Mauer zurück. Ihre Augen sind weit aufgerissen, der Stock entfällt ihren zitternden Händen.

Hinab die Treppe durch Gewölbe hin,
Gewölbe nach Gewölbe geht die Jagd –
Und ich! ich! ich, die ihn dir geschickt,
ich bin wie ein Hund an deiner Ferse,
willst du in eine Höhle, spring' ich dich
von seitwärts an, so treiben wir dich fort –
bis eine Mauer alles sperrt und dort
im tiefsten Dunkel, doch ich seh' ihn wohl,
ein Schatten und doch Glieder und das Weiße
von einem Auge doch, da sitzt der Vater:
er achtet's nicht und doch muß es geschehn:
zu seinen Füßen drücken wir dich hin –
Du möchtest schreien, doch die Luft erwürgt
den ungebornen Schrei und läßt ihn lautlos
zu Boden fallen. Wie von Sinnen hältst du
den Nacken hin, fühlst schon die Schärfe zucken
bis in den Sitz des Lebens, doch er hält
den Schlag zurück: die Bräuche sind noch nicht erfüllt.
Alles schweigt, du hörst dein eignes Herz
an deinen Rippen schlagen: Diese Zeit
– sie dehnt sich vor dir wie ein finstrer Schlund
von Jahren. – Diese Zeit ist dir gegeben,
zu ahnen, wie es Scheiternden zumute ist,
wenn ihr vergebliches Geschrei die Schwärze
der Wolken und des Todes zerfrißt, diese Zeit
ist dir gegeben, alle zu beneiden,
die angeschmiedet sind an Kerkermauern,
die auf dem Grund von Brunnen nach dem Tod
als wie nach Erlösung schrei'n – denn du,
du liegst in deinem Selbst so eingekerkert,
als wär's der glühende Bauch von einem Tier
von Erz – und, so wie jetzt kannst du nicht schrein!
Da steh' ich
vor dir, und nun liest du mit starrem Aug'
das ungeheure Wort, das mir in mein
Gesicht geschrieben ist:
Erhängt ist dir die Seele in der selbst-
gedrehten Schlinge, sausend fällt das Beil,
und ich steh' da und seh' dich endlich sterben!
Dann träumst du nicht mehr, dann brauche ich
nicht mehr zu träumen, und wer dann noch lebt,
der jauchzt und kann sich seines Lebens freun!

Sie stehen einander, Elektra in wildester Trunkenheit, Klytämnestra gräßlich atmend vor Angst, Aug' in Aug'. In diesem Augenblick erhellt sich der Hausflur. Die Vertraute kommt hergelaufen. Sie flüstert Klytämnestra etwas ins Ohr. Diese scheint erst nicht recht zu verstehn. Allmählich kommt sie zu sich. Sie winkt: Lichter! Es treten Dienerinnen mit Fackeln heraus und stellen sich hinter Klytämnestra. Klytämnestra winkt: Mehr Lichter! Es kommen immer mehr heraus, stellen sich hinter Klytämnestra, so daß der Hof voll von Licht wird und rotgelber Schein an die Mauern flutet. Nun verändern sich ihre Züge allmählich, und die Spannung des Grauens weicht einem bösen Triumph. Sie läßt sich die Botschaft abermals zuflüstern und verliert dabei Elektra keinen Augenblick aus dem Auge. Ganz bis an den Hals sich sättigend mit wilder Freude, streckt sie die beiden Hände drohend gegen Elektra. Dann hebt ihr die Vertraute den Stock auf und, auf beide sich stützend, eilig, gierig, an den Stufen ihr Gewand aufraffend, läuft sie ins Haus. Die Dienerinnen mit den Lichtern, wie gejagt, hinter ihr drein.

Elektra
Was sagen sie ihr denn? sie freut sich ja!
Mein Kopf! Mir fällt nichts ein. Worüber freut sich
das Weib?


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