Hugo von Hofmannsthal
Elektra
Hugo von Hofmannsthal

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der innere Hof, begrenzt von der Rückseite des Palastes und niedrigen Gebäuden, in denen die Diener wohnen. Dienerinnen am Ziehbrunnen, links vorne. Aufseherinnen unter ihnen.

Erste Magd ihr Wassergefäß aufhebend
Wo bleibt Elektra?

Zweite Magd                 Ist doch ihre Stunde,
die Stunde wo sie um den Vater heult,
daß alle Wände schallen.

Elektra kommt aus der schon dunkelnden Hausflur gelaufen. Alle drehen sich nach ihr um. Elektra springt zurück wie ein Tier in seinen Schlupfwinkel, den einen Arm vor dem Gesicht.

Erste Magd
Habt ihr gesehn, wie sie uns ansah?

Zweite Magd                                             Giftig,
wie eine wilde Katze.

Dritte Magd                         Neulich lag sie da
und stöhnte –

Erste Magd           Immer, wenn die Sonne tief steht,
liegt sie und stöhnt.

Dritte Magd                   Da gingen wir zuzweit
und kamen ihr zu nah –

Erste Magd                         Sie hält's nicht aus,
wenn man sie ansieht.

Dritte Magd                       Ja, wir kamen ihr
zu nah. Da pfauchte sie wie eine Katze
uns an. »Fort, Fliegen!« schrie sie, »fort!«

Vierte Magd
»Schmeißfliegen, fort!«

Dritte Magd                           »Sitzt nicht auf meinen Wunden!«
und schlug nach uns mit einem Strohwisch.

Vierte Magd
»Schmeißfliegen, fort!«

Dritte Magd                           »Ihr sollt das Süße nicht
abweiden von der Qual. Ihr sollt nicht schmatzen
nach meiner Krämpfe Schaum.«

Vierte Magd                                       »Geht ab, verkriecht euch«,
schrie sie uns nach. »Eßt Fettes und eßt Süßes
und kriecht zu Bett mit euren Männern«, schrie sie,
und die –

Dritte Magd
                Ich war nicht faul –

Vierte Magd                                   Die gab ihr Antwort!

Dritte Magd
Ja: »Wenn du hungrig bist«, gab ich zur Antwort,
»so ißt du auch«, da sprang sie auf und schoß
gräßliche Blicke, reckte ihre Finger
wie Krallen gegen uns und schrie: »Ich füttre
mir einen Geier auf im Leib.«

Zweite Magd
Und du?

Dritte Magd
              »Drum hockst du immerfort«, gab ich
zurück, »wo Aasgeruch dich hält und scharrst nach
einer alten Leiche!«

Zweite Magd                   Und was sagte sie da?

Dritte Magd
Sie heulte nur und warf sich
in ihren Winkel.

Erste Magd               Daß die Königin
solch einen Dämon frei in Haus und Hof
sein Wesen treiben läßt.

Zweite Magd                         Das eigne Kind!

Erste Magd
Wär sie mein Kind, ich hielte, ich – bei Gott! –
sie unter Schloß und Riegel.

Vierte Magd                                 Sind sie dir
nicht hart genug mit ihr? Setzt man ihr nicht
den Napf mit Essen zu den Hunden?
Seufzend                                           Hast du
den Herrn sie nie schlagen sehn?

Fünfte Magd ganz jung; mit zitternder, erregter Stimme
                                                      Ich will
vor ihr mich niederwerfen und die Füße
ihr küssen. Ist sie nicht ein Königskind
und duldet solche Schmach! Ich will die Füße
ihr salben und mit meinem Haar sie trocknen.

Aufseherin stößt sie
Hinein mit dir!

Fünfte Magd           Es gibt nichts auf der Welt,
das königlicher ist als sie. Sie liegt
in Lumpen auf der Schwelle, aber niemand,
niemand ist hier im Haus, der ihren Blick
aushält!

Aufseherin stößt sie in die offene niedere Tür links vorne
                Hinein!

Fünfte Magd in die Tür geklemmt
Ihr alle seid nicht wert,
Die Luft zu atmen, die sie atmet! O,
könnt' ich euch alle, euch, erhängt am Halse,
in einer Scheuer Dunkel hängen sehn
um dessen willen, was ihr an Elektra
getan!

Aufseherin schlägt die Türe zu
Hört ihr das? wir, an Elektra!
die ihren Napf von unserm Tische stieß,
als man mit uns sie essen hieß, die ausspie
vor uns und Hündinnen uns nannte.

Erste Magd                                             Was?
Sie sagte: keinen Hund kann man erniedern,
wozu man uns hat abgerichtet: daß wir
mit Wasser und mit immer frischem
Wasser das ewige Blut des Mordes von der
Diele abspülen –

Dritte Magd                 »Und die Schmach«, so sagte sie,
»die Schmach, die sich bei Tag und Nacht erneut,
in Winkel fegen...«

Erste Magd                     »Unser Leib«, so schreit sie,
»starrt von dem Unrat, dem wir dienstbar sind!«

Die Mägde tragen die Gefäße ins Haus links.

Aufseherin die ihnen die Tür aufgemacht hat
Und wenn sie uns mit unsern Kindern sieht,
so schreit sie: »Nichts kann so verflucht sein, nichts,
als Kinder, die wir hündisch auf der Treppe
im Blute glitschernd, hier in diesem Hause
empfangen und geboren haben.« Sagt sie
das oder nicht?

Erste, zweite, dritte, vierte Magd im Abgehen
                          Ja! ja!

Aufseherin
Sagt sie das oder nicht?

Die Aufseherin geht hinein. Die Tür fällt zu.

Erste, zweite, dritte, vierte Magd alle schon drinnen
                                        Ja! ja!

Fünfte Magd innen
Sie schlagen mich!

Elektra tritt aus dem Hause.

Elektra
Allein! Weh, ganz allein. Der Vater fort,
hinabgescheucht in seine kalten Klüfte...
Gegen den Boden
Agamemnon! Agamemnon!
Wo bist du, Vater? hast du nicht die Kraft,
dein Angesicht herauf zu mir zu schleppen?
Leise
Es ist die Stunde, unsre Stunde ists,
die Stunde, wo sie dich geschlachtet haben,
dein Weib und der mit ihr in einem Bette,
in deinem königlichen Bette schläft.
Sie schlugen dich im Bade tot, dein Blut
rann über deine Augen, und das Bad
dampfte von deinem Blut. Dann nahm er dich,
der Feige, bei den Schultern, zerrte dich
hinaus aus dem Gemach, den Kopf voraus,
die Beine schleifend hinterher: dein Auge,
das starre, offne, sah herein ins Haus.
So kommst du wieder, setzest Fuß vor Fuß
und stehst auf einmal da, die beiden Augen
weit offen, und ein königlicher Reif
von Purpur ist um deine Stirn, der speist sich
aus des Hauptes offner Wunde.
Agamemnon! Vater!
Ich will dich sehn, laß mich heute nicht allein!
Nur so wie gestern, wie ein Schatten dort
im Mauerwinkel zeig dich deinem Kind!
Vater! Agamemnon! dein Tag wird kommen! Von den Sternen
stürzt alle Zeit herab, so wird das Blut
aus hundert Kehlen stürzen auf dein Grab!
So wie aus umgeworfnen Krügen wird's
aus den gebundnen Mördern fließen,
und in einem Schwall, in einem
geschwollnen Bach wird ihres Lebens Leben
aus ihnen stürzen
Mit feierlichem Pathos
                            und wir schlachten dir
die Rosse, die im Hause sind, wir treiben
sie vor dem Grab zusammen, und sie ahnen
den Tod und wiehern in die Todesluft
und sterben. Und wir schlachten dir die Hunde,
die dir die Füße leckten,
die mit dir gejagt, denen du
die Bissen hinwarfst, darum muß ihr Blut
hinab, um dir zu Dienst zu sein, und wir, wir,
dein Blut, dein Sohn Orest und deine Töchter,
wir drei, wenn alles dies vollbracht und
Purpurgezelte aufgerichtet sind, vom Dunst
des Blutes, den die Sonne nach sich zieht,
dann tanzen wir, dein Blut, rings um dein Grab:
In begeistertem Pathos
und über Leichen hin werd' ich das Knie
hochheben Schritt für Schritt, und die mich werden
so tanzen sehn, ja, die meinen Schatten
von weitem nur so werden tanzen sehn,
die werden sagen: einem großen König
wird hier ein großes Prunkfest angestellt
von seinem Fleisch und Blut, und glücklich ist,
wer Kinder hat, die um sein hohes Grab
so königliche Siegestänze tanzen!
Agamemnon! Agamemnon!

Chrysothemis die jüngere Schwester, steht in der Haustüre. Leise
Elektra!

Elektra fährt zusammen und starrt zuerst, wie aus einem Traum erwachend, auf Chrysothemis.

Elektra
Ah, das Gesicht!

Chrysothemis steht an die Tür gedrückt
                            Ist mein Gesicht dir so verhaßt?

Elektra heftig
Was willst du? Rede, sprich, ergieße dich,
dann geh und laß mich!

Chrysothemis hebt wie abwehrend die Hände.

Elektra                                 Was hebst du die Hände?
So hob der Vater seine beiden Hände,
da fuhr das Beil hinab und spaltete
sein Fleisch. Was willst du? Tochter meiner
Mutter, Tochter Klytämnestras?

Chrysothemis
Sie haben etwas Fürchterliches vor.

Elektra
Die beiden Weiber?

Chrysothemis                   Wer?

Elektra                                       Nun, meine Mutter
und jenes andre Weib, die Memme, ei
Ägisth, der tapfre Meuchelmörder, er,
der Heldentaten nur im Bett vollführt.
Was haben sie denn vor?

Chrysothemis                         Sie werfen dich
in einen Turm, wo du von Sonn' und Mond
das Licht nicht sehen wirst.

Elektra lacht.

Chrysothemis                             Sie tun's, ich weiß es,
ich hab's gehört.

Elektra                       Wie hast denn du
es hören können?

Chrysothemis leise
                            An der Tür, Elektra.

Elektra ausbrechend
Mach keine Türen auf in diesem Haus!
Gepreßter Atem, pfui! und Röcheln von Erwürgten,
nichts andres gibt's in diesen Mauern!
Mach keine Türen auf! Schleich nicht herum,
sitz an der Tür wie ich und wünsch den Tod
und das Gericht herbei auf sie und ihn.

Chrysothemis
Ich kann nicht sitzen und ins Dunkel starren
wie du. Ich hab's wie Feuer in der Brust,
es treibt mich immerfort herum im Haus,
in keiner Kammer leidet's mich, ich muß
von einer Schwelle auf die andre, ach!
treppauf, treppab, mir ist, als rief es mich,
und komm ich hin, so stiert ein leeres Zimmer
mich an. Ich habe solche Angst, mir zittern
die Knie bei Tag und Nacht, mir ist die Kehle
wie zugeschnürt, ich kann nicht einmal weinen,
wie Stein ist alles! Schwester, hab Erbarmen!

Elektra
Mit wem?

Chrysothemis
                Du bist es, die mit Eisenklammern
mich an den Boden schmiedet. Wärst nicht du,
sie ließen uns hinaus. Wär' nicht dein Haß,
dein schlafloses unbändiges Gemüt,
vor dem sie zittern, ah, so ließen sie
uns ja heraus aus diesem Kerker, Schwester!
Leidenschaftlich
Ich will heraus! Ich will nicht jede Nacht
bis an den Tod hier schlafen! Eh' ich sterbe,
will ich auch leben!
Äußerst lebhaft und feurig
                                  Kinder will ich haben,
bevor mein Leib verwelkt, und wär's ein Bauer,
dem sie mich geben, Kinder will ich ihm
gebären und mit meinem Leib sie wärmen
in kalten Nächten, wenn der Sturm die Hütte
zusammenschüttelt!
Hörst du mich an? Sprich zu mir, Schwester!

Elektra
Armes Geschöpf!

Chrysothemis stets äußerst erregt
Hab Mitleid mit dir selber und mit mir!
Wem frommt denn solche Qual?
Der Vater, der ist tot. Der Bruder kommt nicht heim.
Immer sitzen wir auf der Stange
wie angehängte Vögel, wenden links
und rechts den Kopf und niemand kommt, kein Bruder,
kein Bote von dem Bruder, nicht der Bote
von einem Boten, nichts! Mit Messern
gräbt Tag um Tag in dein und mein Gesicht
sein Mal und draußen geht die Sonne auf
und ab, und Frauen, die ich schlank gekannt hab',
sind schwer von Segen, mühn sich zum Brunnen,
heben kaum die Eimer, und auf einmal
sind sie entbunden ihrer Last, kommen
zum Brunnen wieder und aus ihnen selber
quillt süßer Trank und säugend hängt ein Leben
an ihnen, und die Kinder werden groß –
Nein, ich bin
ein Weib und will ein Weiberschicksal.
Viel lieber tot, als leben und nicht leben.
Sie bricht in heftiges Weinen aus.

Elektra
Was heulst du? Fort! Hinein! Dort ist dein Platz!
Es geht ein Lärm los.
Höhnisch                   Stellen sie vielleicht
für dich die Hochzeit an? ich hör sie laufen.
Das ganze Haus ist auf. Sie kreißen oder
sie morden. Wenn es an den Leichen mangelt,
drauf zu schlafen, müssen sie doch morden!

Chrysothemis
Geh fort, verkriech dich! daß sie dich nicht sieht.
Stell dich ihr heut nicht in den Weg: sie schickt
Tod aus jedem Blick. Sie hat geträumt.

Der Lärm von vielen Kommenden drinnen, allmählich näher.

Geh fort von hier. Sie kommen durch die Gänge.
Sie kommen hier vorbei. Sie hat geträumt:
ich weiß nicht, was, ich hab' es
von den Mägden gehört;
sie sagen, daß sie von Orest geträumt hat,
daß sie geschrien hat aus ihrem Schlaf,
wie einer schreit, den man erwürgt.

Fackeln und Gestalten erfüllen den Gang links von der Tür.

Sie kommen schon. Sie treibt die Mägde alle
mit Fackeln vor sich her, sie schleppen Tiere
und Opfermesser. Schwester, wenn sie zittert,
ist sie am schrecklichsten,
Dringend
geh ihr nur heut,
nur diese Stunde geh aus ihrem Weg!

Elektra
Ich habe eine Lust, mit meiner Mutter
zu reden wie noch nie!


 << zurück weiter >>