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Der innere Hof, begrenzt von der Rückseite des Palastes und niedrigen Gebäuden, in denen die Diener wohnen. Dienerinnen am Ziehbrunnen, links vorne. Aufseherinnen unter ihnen.
Erste Magd ihr Wassergefäß aufhebend
      Wo bleibt Elektra?
Zweite Magd                 Ist doch ihre Stunde,
      die Stunde wo sie um den Vater heult,
      daß alle Wände schallen.
Elektra kommt aus der schon dunkelnden Hausflur gelaufen. Alle drehen sich nach ihr um. Elektra springt zurück wie ein Tier in seinen Schlupfwinkel, den einen Arm vor dem Gesicht.
Erste Magd
      Habt ihr gesehn, wie sie uns ansah?
Zweite Magd                                             Giftig,
      wie eine wilde Katze.
Dritte Magd                         Neulich lag sie da
      und stöhnte –
Erste Magd           Immer, wenn die Sonne tief steht,
      liegt sie und stöhnt.
Dritte Magd                   Da gingen wir zuzweit
      und kamen ihr zu nah –
Erste Magd                         Sie hält's nicht aus,
      wenn man sie ansieht.
Dritte Magd                       Ja, wir kamen ihr
      zu nah. Da pfauchte sie wie eine Katze
      uns an. »Fort, Fliegen!« schrie sie, »fort!«
Vierte Magd
      »Schmeißfliegen, fort!«
Dritte Magd                           »Sitzt nicht auf meinen Wunden!«
      und schlug nach uns mit einem Strohwisch.
Vierte Magd
      »Schmeißfliegen, fort!«
Dritte Magd                           »Ihr sollt das Süße nicht
      abweiden von der Qual. Ihr sollt nicht schmatzen
      nach meiner Krämpfe Schaum.«
Vierte Magd                                       »Geht ab, verkriecht euch«,
      schrie sie uns nach. »Eßt Fettes und eßt Süßes
      und kriecht zu Bett mit euren Männern«, schrie sie,
      und die –
Dritte Magd
                      Ich war nicht faul –
Vierte Magd Die gab ihr Antwort!
Dritte Magd
      Ja: »Wenn du hungrig bist«, gab ich zur Antwort,
      »so ißt du auch«, da sprang sie auf und schoß
      gräßliche Blicke, reckte ihre Finger
      wie Krallen gegen uns und schrie: »Ich füttre
      mir einen Geier auf im Leib.«
Zweite Magd
      Und du?
Dritte Magd
                    »Drum hockst du immerfort«, gab ich
      zurück, »wo Aasgeruch dich hält und scharrst nach
      einer alten Leiche!«
Zweite Magd Und was sagte sie da?
Dritte Magd
      Sie heulte nur und warf sich
      in ihren Winkel.
Erste Magd               Daß die Königin
      solch einen Dämon frei in Haus und Hof
      sein Wesen treiben läßt.
Zweite Magd Das eigne Kind!
Erste Magd
      Wär sie mein Kind, ich hielte, ich – bei Gott! –
      sie unter Schloß und Riegel.
Vierte Magd                                 Sind sie dir
      nicht hart genug mit ihr? Setzt man ihr nicht
      den Napf mit Essen zu den Hunden?
Seufzend                                           Hast du
      den Herrn sie nie schlagen sehn?
Fünfte Magd ganz jung; mit zitternder, erregter Stimme
                                                            Ich will
      vor ihr mich niederwerfen und die Füße
      ihr küssen. Ist sie nicht ein Königskind
      und duldet solche Schmach! Ich will die Füße
      ihr salben und mit meinem Haar sie trocknen.
Aufseherin stößt sie
      Hinein mit dir!
Fünfte Magd           Es gibt nichts auf der Welt,
      das königlicher ist als sie. Sie liegt
      in Lumpen auf der Schwelle, aber niemand,
      niemand ist hier im Haus, der ihren Blick
      aushält!
Aufseherin stößt sie in die offene niedere Tür links vorne
                      Hinein!
Fünfte Magd in die Tür geklemmt
      Ihr alle seid nicht wert,
      Die Luft zu atmen, die sie atmet! O,
      könnt' ich euch alle, euch, erhängt am Halse,
      in einer Scheuer Dunkel hängen sehn
      um dessen willen, was ihr an Elektra
      getan!
Aufseherin schlägt die Türe zu
      Hört ihr das? wir, an Elektra!
      die ihren Napf von unserm Tische stieß,
      als man mit uns sie essen hieß, die ausspie
      vor uns und Hündinnen uns nannte.
Erste Magd                                             Was?
      Sie sagte: keinen Hund kann man erniedern,
      wozu man uns hat abgerichtet: daß wir
      mit Wasser und mit immer frischem
      Wasser das ewige Blut des Mordes von der
      Diele abspülen –
Dritte Magd                 »Und die Schmach«, so sagte sie,
      »die Schmach, die sich bei Tag und Nacht erneut,
      in Winkel fegen...«
Erste Magd                     »Unser Leib«, so schreit sie,
      »starrt von dem Unrat, dem wir dienstbar sind!«
Die Mägde tragen die Gefäße ins Haus links.
Aufseherin die ihnen die Tür aufgemacht hat
      Und wenn sie uns mit unsern Kindern sieht,
      so schreit sie: »Nichts kann so verflucht sein, nichts,
      als Kinder, die wir hündisch auf der Treppe
      im Blute glitschernd, hier in diesem Hause
      empfangen und geboren haben.« Sagt sie
      das oder nicht?
Erste, zweite, dritte, vierte Magd im Abgehen
                                Ja! ja!
Aufseherin
      Sagt sie das oder nicht?
Die Aufseherin geht hinein. Die Tür fällt zu.
Erste, zweite, dritte, vierte Magd alle schon drinnen
                                              Ja! ja!
Fünfte Magd innen
      Sie schlagen mich!
Elektra tritt aus dem Hause.
Elektra
      Allein! Weh, ganz allein. Der Vater fort,
      hinabgescheucht in seine kalten Klüfte...
Gegen den Boden
      Agamemnon! Agamemnon!
      Wo bist du, Vater? hast du nicht die Kraft,
      dein Angesicht herauf zu mir zu schleppen?
Leise
      Es ist die Stunde, unsre Stunde ists,
      die Stunde, wo sie dich geschlachtet haben,
      dein Weib und der mit ihr in einem Bette,
      in deinem königlichen Bette schläft.
      Sie schlugen dich im Bade tot, dein Blut
      rann über deine Augen, und das Bad
      dampfte von deinem Blut. Dann nahm er dich,
      der Feige, bei den Schultern, zerrte dich
      hinaus aus dem Gemach, den Kopf voraus,
      die Beine schleifend hinterher: dein Auge,
      das starre, offne, sah herein ins Haus.
      So kommst du wieder, setzest Fuß vor Fuß
      und stehst auf einmal da, die beiden Augen
      weit offen, und ein königlicher Reif
      von Purpur ist um deine Stirn, der speist sich
      aus des Hauptes offner Wunde.
      Agamemnon! Vater!
      Ich will dich sehn, laß mich heute nicht allein!
      Nur so wie gestern, wie ein Schatten dort
      im Mauerwinkel zeig dich deinem Kind!
      Vater! Agamemnon! dein Tag wird kommen! Von den Sternen
      stürzt alle Zeit herab, so wird das Blut
      aus hundert Kehlen stürzen auf dein Grab!
      So wie aus umgeworfnen Krügen wird's
      aus den gebundnen Mördern fließen,
      und in einem Schwall, in einem
      geschwollnen Bach wird ihres Lebens Leben
      aus ihnen stürzen
Mit feierlichem Pathos
                                  und wir schlachten dir
      die Rosse, die im Hause sind, wir treiben
      sie vor dem Grab zusammen, und sie ahnen
      den Tod und wiehern in die Todesluft
      und sterben. Und wir schlachten dir die Hunde,
      die dir die Füße leckten,
      die mit dir gejagt, denen du
      die Bissen hinwarfst, darum muß ihr Blut
      hinab, um dir zu Dienst zu sein, und wir, wir,
      dein Blut, dein Sohn Orest und deine Töchter,
      wir drei, wenn alles dies vollbracht und
      Purpurgezelte aufgerichtet sind, vom Dunst
      des Blutes, den die Sonne nach sich zieht,
      dann tanzen wir, dein Blut, rings um dein Grab:
In begeistertem Pathos
      und über Leichen hin werd' ich das Knie
      hochheben Schritt für Schritt, und die mich werden
      so tanzen sehn, ja, die meinen Schatten
      von weitem nur so werden tanzen sehn,
      die werden sagen: einem großen König
      wird hier ein großes Prunkfest angestellt
      von seinem Fleisch und Blut, und glücklich ist,
      wer Kinder hat, die um sein hohes Grab
      so königliche Siegestänze tanzen!
      Agamemnon! Agamemnon!
Chrysothemis die jüngere Schwester, steht in der Haustüre. Leise
      Elektra!
Elektra fährt zusammen und starrt zuerst, wie aus einem Traum erwachend, auf Chrysothemis.
Elektra
      Ah, das Gesicht!
Chrysothemis steht an die Tür gedrückt
                                  Ist mein Gesicht dir so verhaßt?
Elektra heftig
      Was willst du? Rede, sprich, ergieße dich,
      dann geh und laß mich!
Chrysothemis hebt wie abwehrend die Hände.
Elektra                                 Was hebst du die Hände?
      So hob der Vater seine beiden Hände,
      da fuhr das Beil hinab und spaltete
      sein Fleisch. Was willst du? Tochter meiner
      Mutter, Tochter Klytämnestras?
Chrysothemis
      Sie haben etwas Fürchterliches vor.
Elektra
      Die beiden Weiber?
Chrysothemis Wer?
Elektra                                       Nun, meine Mutter
      und jenes andre Weib, die Memme, ei
      Ägisth, der tapfre Meuchelmörder, er,
      der Heldentaten nur im Bett vollführt.
      Was haben sie denn vor?
Chrysothemis                         Sie werfen dich
      in einen Turm, wo du von Sonn' und Mond
      das Licht nicht sehen wirst.
Elektra lacht.
Chrysothemis                             Sie tun's, ich weiß es,
      ich hab's gehört.
Elektra                       Wie hast denn du
      es hören können?
Chrysothemis leise
                                  An der Tür, Elektra.
Elektra ausbrechend
      Mach keine Türen auf in diesem Haus!
      Gepreßter Atem, pfui! und Röcheln von Erwürgten,
      nichts andres gibt's in diesen Mauern!
      Mach keine Türen auf! Schleich nicht herum,
      sitz an der Tür wie ich und wünsch den Tod
      und das Gericht herbei auf sie und ihn.
Chrysothemis
      Ich kann nicht sitzen und ins Dunkel starren
      wie du. Ich hab's wie Feuer in der Brust,
      es treibt mich immerfort herum im Haus,
      in keiner Kammer leidet's mich, ich muß
      von einer Schwelle auf die andre, ach!
      treppauf, treppab, mir ist, als rief es mich,
      und komm ich hin, so stiert ein leeres Zimmer
      mich an. Ich habe solche Angst, mir zittern
      die Knie bei Tag und Nacht, mir ist die Kehle
      wie zugeschnürt, ich kann nicht einmal weinen,
      wie Stein ist alles! Schwester, hab Erbarmen!
Elektra
      Mit wem?
Chrysothemis
                      Du bist es, die mit Eisenklammern
      mich an den Boden schmiedet. Wärst nicht du,
      sie ließen uns hinaus. Wär' nicht dein Haß,
      dein schlafloses unbändiges Gemüt,
      vor dem sie zittern, ah, so ließen sie
      uns ja heraus aus diesem Kerker, Schwester!
Leidenschaftlich
      Ich will heraus! Ich will nicht jede Nacht
      bis an den Tod hier schlafen! Eh' ich sterbe,
      will ich auch leben!
Äußerst lebhaft und feurig
                                        Kinder will ich haben,
      bevor mein Leib verwelkt, und wär's ein Bauer,
      dem sie mich geben, Kinder will ich ihm
      gebären und mit meinem Leib sie wärmen
      in kalten Nächten, wenn der Sturm die Hütte
      zusammenschüttelt!
      Hörst du mich an? Sprich zu mir, Schwester!
Elektra
      Armes Geschöpf!
Chrysothemis stets äußerst erregt
      Hab Mitleid mit dir selber und mit mir!
      Wem frommt denn solche Qual?
      Der Vater, der ist tot. Der Bruder kommt nicht heim.
      Immer sitzen wir auf der Stange
      wie angehängte Vögel, wenden links
      und rechts den Kopf und niemand kommt, kein Bruder,
      kein Bote von dem Bruder, nicht der Bote
      von einem Boten, nichts! Mit Messern
      gräbt Tag um Tag in dein und mein Gesicht
      sein Mal und draußen geht die Sonne auf
      und ab, und Frauen, die ich schlank gekannt hab',
      sind schwer von Segen, mühn sich zum Brunnen,
      heben kaum die Eimer, und auf einmal
      sind sie entbunden ihrer Last, kommen
      zum Brunnen wieder und aus ihnen selber
      quillt süßer Trank und säugend hängt ein Leben
      an ihnen, und die Kinder werden groß –
      Nein, ich bin
      ein Weib und will ein Weiberschicksal.
      Viel lieber tot, als leben und nicht leben.
Sie bricht in heftiges Weinen aus.
Elektra
      Was heulst du? Fort! Hinein! Dort ist dein Platz!
      Es geht ein Lärm los.
Höhnisch                   Stellen sie vielleicht
      für dich die Hochzeit an? ich hör sie laufen.
      Das ganze Haus ist auf. Sie kreißen oder
      sie morden. Wenn es an den Leichen mangelt,
      drauf zu schlafen, müssen sie doch morden!
Chrysothemis
      Geh fort, verkriech dich! daß sie dich nicht sieht.
      Stell dich ihr heut nicht in den Weg: sie schickt
      Tod aus jedem Blick. Sie hat geträumt.
Der Lärm von vielen Kommenden drinnen, allmählich näher.
Geh fort von hier. Sie kommen durch die Gänge.
      Sie kommen hier vorbei. Sie hat geträumt:
      ich weiß nicht, was, ich hab' es
      von den Mägden gehört;
      sie sagen, daß sie von Orest geträumt hat,
      daß sie geschrien hat aus ihrem Schlaf,
      wie einer schreit, den man erwürgt.
Fackeln und Gestalten erfüllen den Gang links von der Tür.
Sie kommen schon. Sie treibt die Mägde alle
      mit Fackeln vor sich her, sie schleppen Tiere
      und Opfermesser. Schwester, wenn sie zittert,
      ist sie am schrecklichsten,
Dringend
      geh ihr nur heut,
      nur diese Stunde geh aus ihrem Weg!
Elektra
      Ich habe eine Lust, mit meiner Mutter
      zu reden wie noch nie!