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Fröhlich seh' ich die Gespielen, Alles um mich lebt und liebt In der Jugend Lustgefühlen; Mir nur ist das Herz getrübt. |
Schiller: Kassandra |
Meine Hochzuverehrenden Herren!
Ich bedarf wohl Ihrer freundlichen Verzeihung, wenn ich es wage, in Ihre weinperlenden Gläser die Tropfen bittrer Wehmut, unter Ihre geselligen Lieder die Laute einsamer Klage zu mischen, wenn ich es wage, Sie aus einer weinigen Stimmung in eine weinerliche zu versetzen. Sie feiern heute im Bewußtsein froher Lebensfrische und zum Teil langjähriger Tätigkeit ein gemeinsames Fest, und ich erhebe mich, um eine Leichenrede zu halten, eine Leichenrede an dem Krankenlager eines jugendlichen, frühendenden Wesens. Ja, ich will reden nicht von einer Gestorbenen, sondern von einer in den letzten Zügen rettungslos Dahinseufzenden. Schelten Sie mich nicht grausam; im Gegenteil, es ist Hartherzigkeit, mit der Leichenrede erst dann zu beginnen, wenn der Hauptperson die Ohren auf immer verschlossen sind, und ihr somit die Gelegenheit genommen ist, wenigstens einmal im Leben etwas Gutes von sich zu hören. Eine gute Vorrede erspart zuweilen eine böse Nachrede. – Wenn aber gar meine schwache Stimme zur Erhaltung des fliehenden Lebens stark genug sein sollte, dann wäre wohl selten eine Befriedigung gerechter, ein Triumph größer als der meine. Leider jedoch muß ich fürchten, daß wir das Wunder an des Jairi Töchterlein nicht erneut sehen werden, daß ich wie jene Kassandra die Wahrheit sagen werde, ohne nur einen einzigen von Ihnen zu überzeugen, und daß meine Rede sein wird die Rede des Predigers in der Wüste. Und wahrlich, eines mahnt mich hier sehr an die Wüste, denn trotz allen Überflusses an Speisen und Tellern, an Weinen und Gläsern ist es doch hier wie in der Wüste; hier wie dort fehlt das Wasser. Und das Wasser ist es gerade, von dem ich reden will, und das Lager, an welches ich Sie führe, ist das Krankenlager der dahinwelkenden Hydrotherapie.
Es kann nicht mehr geleugnet werden: Das milde, kühle, blauäugige, feuchte Mädchen mit den langen, blonden, perlengeschmückten, triefenden Nixenhaaren liegt im Sterben. Um die Hydropathie steht es schlimm, sehr schlimm. Ihre Tempel veröden und zerfallen, die Herden ihrer Gläubigen verlaufen sich, und ihre Priester machen schlechte Geschäfte. – Glänzend war ihre Laufbahn, aber kurz. Ein Kind der Mode, teilt sie das Los aller ihrer Geschwister, aller Kinder dieses modernen Saturns, dieser unersättlichen Kannibalin, die zahllose Sprößlinge leichtsinnig erzeugend, leichtsinniger noch sie wieder verschlingt.
Was half es, daß Oertel-Johannes von dem Erscheinen des Wassermessias Prießnitz Zeugnis gab? Was half es, daß dieser selbst in seinem Nazareth-Gräfenberg Wunder über Wunder tat? Was half es, daß mancher Wasserapostel für die neue Lehre predigte und warb? Die Mode hat die Gemeinde versammelt, und die Mode zerstreut sie wieder. Wehe einer Zeit, wo die heiligsten Interessen der Menschheit vor demselben Forum verhandelt werden, wo über die Form eines Hutes oder den Schnitt eines Frackrocks entschieden wird!
Was wollt ihr denn, wenn ihr kein Wasser wollt? Wir leben mitten zwischen den Wolken des Himmels und den Quellen der Tiefe. Der erhabene Pindar soll irgendwo sagen: άριστον μὲν ύδωρ. Von allen Elementen ist das Wasser das göttlich urgesegnete, denn es heißt: Der Geist Gottes schwebte über dem Wasser. Vom Wein, vom Bier, vom Kaffee, Tee oder Schokolade ist da nirgends die Rede, noch weniger aber von einem Decoctum Chinae, Ratanhiae oder gar vom Decoctum Zittmanni. – Das Wasser ist ein göttliches Arzneimittel, und die erste große Radikal-Kur, von der wir wissen, war eine Wasserkur, nämlich die Sündflut. Wenn je ein Zustand bedenklich war, so war es der, in welchem sich die Kinder Israel befanden, als sie aus Ägypten zogen, und die feindlichen Heerscharen ihnen auf dem Nacken saßen. Da half ihnen das Wasser; Pharao und seine alten Garden ersoffen im Roten Meer, und die Bedrohten waren von jedem gefährlichen Anfall glücklich kuriert. Wenn sie aber bald nachher in der Wüste allerlei Meuterei anstellten, und das güldene Kalb anbeteten, so war es gewiß wieder nur deshalb, weil sie notwendigerweise kein Wasser zu trinken hatten. Und wie einst jene erwähnte gewaltige Generalurwasserkur die Moralität des ganzen genus besserte, so sehen wir ja noch täglich, wie ein Paar Löffel Taufwasser das Smegma der Erbsünde gründlich abwaschen und den armen Säugling gegen alle Macht und Verfolgung des Pharao-Satan zuverlässig zu assekurieren imstande sind.
Man preist das Kindesalter als das glücklichste im Menschenleben, und mithin müssen die neun Monate fötaler Existenz gewiß die allerglückseligsten sein. Und wo und wie lebt der kleine vergnügte Pennsylvanier? Im Wasser. Das ganze Uterinalei ist eine natürliche Badeanstalt. Der Spruch: So ihr nicht werdet wie die Kinder, so könnt ihr nicht in das Himmelreich kommen, mag mithin nichts anderes bedeuten, als: So ihr euch nicht ins Wasser legt, so kann aus euch nichts Gescheites werden. Wie die alma mater tellus einen neptunistischen Ursprung gehabt hat, so glaube ich auch, daß der Beginn ihres liebsten Kindes, des Menschengeschlechts, im Wasser war, und wer weiß, ob genauere geologische Forschungen es nicht dartun, daß das ganze Paradies und der Garten Eden unter Wasser gestanden; ist ja doch aus dem Schlammboden Ägyptens aller Menschen Weisheit Urahnin hervorgewachsen. Aus dem Wasser ist alles Vollkommene und alles Schöne entstanden; die griechische Mythe nennt die Göttin der Schönheit und der Liebe die Meergeborne, ’Αφροδίτη αναδυομένη. Damals war das goldene, man würde richtiger sagen, das wäßrige Zeitalter. Es lag nach jener Urüberflutung die Erde gewiß noch nicht so ausgetrocknet und mürbe; alles mußte damals besser gedeihen, vor allem der Mensch, und so lesen wir, daß die Patriarchen ein fabelhaftes Alter erreichen konnten, daß Abraham 175, Isaak 180, Adam 930, und der der Sündflut mit knapper Not entronnene Noah sogar 950 Jahre lebten. Das war denn doch der Mühe wert! Es ist der Mensch ein geborner Fisch, und so sehr er auch seiner primitiven Natur sich entäußert, weiter als bis zum Amphibium soll er es doch nicht bringen. Der Mensch gehört in das Wasser und das Wasser in den Menschen;
nos nummus sumus, aquam consumere nati.
Aber, wird man einwenden, wie kommt es, daß der Mensch im Wasser ersäuft? Einfach daher, weil er sich dem Wasser entfremdet hat. Sie sehen täglich, meine Herren, wie die erste Pfeife Tabak, die erste Flasche Wein, die erste Prise gar sonderbare Wirkungen hervorruft, während der geübte Schoppenstecher furchtlos Tonnen parazentesiert, der unermüdliche Schmaucher einen ewig rauchenden Schlot darstellt, und die Nase des Schnupfers unanfüllbar ist wie der Schlund auf dem Forum Romanum, in den sich Marcus Curtius stürzte. Sie haben aus einem Feinde durch zuvorkommenden Umgang einen Freund gemacht; aber ebenso können wir auch durch Vernachlässigung den besten Freund, das Wasser, in den ingrimmigsten Gegner verwandeln. Wir sind der Natur fremd, und diese ist uns dafür Feind geworden. Die Allgewaltige aber rächt sich, von außen durch das Ertrinken, von innen durch die Wassersucht. Ersöffe das Wasser mehr in uns, so ersöffen wir weniger im Wasser. Betrachten Sie die glücklichen Bewohner der Südseeinseln; das halbe Leben verbringen sie im Meer, auf dem Wasser und unter dem Wasser. Der Haifisch und der Delphin sind ihre Gespielen und eiserne Gesundheit ihr Los. Da feiern keine Doktoren das goldene Jubelfest, wohl aber die ganze Bürgerschaft. Da gibt es keine geheimen Brunnenräte, keine Badeärzte, jeder ist ja sein eigner. Da gebären die Weiber ohne Cephalotripter gesunde Kinder, und die Kinder werden groß, ohne daß ihnen der Lebertran aus allen Poren quillt. Die Mädchen entwickeln sich, ohne daß sie zuvor die Erzeugnisse eines ganzen Eisenhammers zu verdauen nötig hätten, und die jungen Männer brauchen nicht ihre vertrockneten Medullae mit Gastein oder Wildbad zu befeuchten und haben demgemäß auch nicht zu befürchten, daß ihre späten Leibeserben einer generatio aequivoca das Dasein verdanken. Dank unseren Missions- und Zivilisationsversuchen soll dies alles bald anders werden. Wir bringen ihnen Pulver und Blei, sie bekommen eine Literatur, Schmähartikel und Lügenzeitungen, ihre katholischen Sonntagsblätter, ihren rheinischen oder tahitischen Beobachter; sie werden ihre Milanollos, Liszte und Linde haben, sie werden Pferde ausspannen und Lorbeerkränze regnen lassen. Sie sollen dann eine Geschichte erleben, worin die Tugend als eine fossile Rarität aufbewahrt werden wird. Gott weiß, was sie alles noch haben werden, wenn wir sie erst aus dem Wasser gezogen und in das glühende Element unserer Hyperkultur getaucht haben.
Das ist es aber, wohin wir es gebracht haben, und das ganze zivilisierte Europa leidet an einer Hydrophobia universalis. Gott behüte uns vor dem Stadium convulsivum. Es vererbt sich aber dieses Übel von Geschlecht zu Geschlecht; es ist die wahre Erbsünde, und leicht wäre uns von dieser geholfen, wenn wir das Wasser nicht verschmähten. Sie sehen, es liegt der Wiedertäuferei unbewußt ein großer Gedanke zugrund. Ja, sollte dennoch die Erbsünde durch den berüchtigten Apfelbiß entstanden sein, so bin ich fest überzeugt, daß, wenn Adam und Eva unmittelbar einen tüchtigen Schluck Wasser nachgetrunken hätten, jene erste pomologische Liebhaberei schwerlich so schlimme Folgen gehabt hätte. So mag aber schon im Paradies, wie heutzutage, das lächerliche Vorurteil geherrscht haben, Obstessen und Wassertrinken vertrügen sich nicht zusammen.
Wollen Sie ein Sinnbild dieser unseligen Hyperkultur? Wollen Sie das Ding kennenlernen, in welchem sich aller soziale Jammer symbolisiert, so nenne ich Ihnen: den Regenschirm! Ja, in diesem Instrumente habe ich Ihnen einen würdigen Gegenstand des Hasses und der Verfolgung gezeigt. Aber unser verweichlichtes Geschlecht duldet ihn, diesen Schirm, der es allem Übel preisgibt, diesen Schirm mit allen seinen Konsequenzen. Der echte Wasser- und Menschenfreund sollte einen tieferen Schauder empfinden bei Anblick eines Parapluies, als wenn er von Spielbanken, Aktienschwindel, Kommunisten, Pietisten und Russen hört. England ist groß und stark, weil es das Wasser nicht scheut, und wir, die wir uns vor Tropfen ängsten, faseln von einer deutschen Flotte!
Vor allen aber wir Ärzte, wir gehen als schädliches Beispiel voran. Wir vergessen, daß im Wasser Heil und Segen liegt, oder, um die Worte eines hydropathischen Schriftstellers zu zitieren: »daß das Wasser der rettende Balken sei, an den sich der Schiffbrüchige klammern müsse, um dem Tod durch Ertrinken zu entgehen.« Was wollt ihr mit eurem kalten Auf- und Umschlagen? Wir müssen zur Erkenntnis kommen, daß nur ein ganz und gar durchwässerter Organismus Dauer verheißt. Wenn ein Haus brennt, dann kommt ihr mit der Quartierspritze; aber wenn die Glut des Fiebers den Körper durchwühlt, dann streut ihr einen Gran Chinin darauf. Wahrlich, ich sage euch, ihr müßt Menschen-Pompiers werden! Oder glaubt ihr, daß mit einem bißchen kalt Klistieren die Sache abgetan sei? Mein Gott! Das kommt mir vor, als brenne das Vorderhaus und die Löschmannschaft bearbeite das Stallgebäude. – Und wenn Sie auch auf dem bisherigen Wege der Detailuntersuchung dahin gelangt sind, einem Blutkörperchen unter dem Mikroskope anzusehen, daß sein Besitzer bei Lebzeiten ein Schuhmacher von zerrütteten Vermögensverhältnissen gewesen ist, wenn Sie an einem Lymphkörperchen entdecken können, daß es einem Menschen angehörte, der für sein Leben gern gebackene Karpfen gegessen hat, oder wenn Sie die Fasern aus dem Accessorius Willisii eines protestantischen von denen eines katholischen Theologen, eines indischen Bonzen von denen eines Kapuziners auf das Bestimmteste unterscheiden können, was hilft dies alles? Es handelt sich nicht sowohl darum, nach dem Tode zu entdecken, als vor dem Tode zu helfen, und dies vermögen wir nur dann, wenn wir erkannt haben, daß der Mensch ein Mikrokosmos ist, und daß er als solcher auch seine Wolkenbrüche und Sturzbäder, seine individuellen Sündfluten und Wasserkuren durchleben muß.
Doch ich habe mich nicht erhoben, um eine Missionspredigt zu halten und zu einer Wiedertäufergemeinde zu bekehren. Das Bild der blühenden Hydrotherapie wollte ich Ihnen zeigen, damit das Bild der sterbenden einen um so rührenderen Eindruck machen möge. Andeuten wollte ich Ihnen, wie die Wasserheilkunde theologisch, teleologisch, geologisch, ethnologisch, physiologisch und pharmakologisch, kurz logisch nach allen Seiten hin naturgemäß begründet erscheint. Lassen wir sie sterben, weil sie nun einmal sterben muß! Ich will Sie nicht auffordern, ein Glas Wein auf das Wohl des Wassers zu trinken, da einesteils dies wenig nützen dürfte, andernteils die meisten von Ihnen mir nur wider Willen oder gar nicht Bescheid tun würden. Wir haben gelernt, Glaubensbekenntnisse so bequem zuzuschneiden, daß sie auf alle Leiber passen, ähnlich unseren Sommerpaletots, die im Sommer kühlen und im Herbst wärmen müssen. So schlage ich Ihnen nun wohlgemut und ohne Furcht, das Geschick des Dr. Rupp in Berlin erfahren zu müssen, folgenden Trinkspruch vor. Jeder, sei er Allopath, Homöopath, Hydropath, oder gehöre er selbst der neuen Sekte der Weck- und Rübenbrühopathen an, kann einstimmen.
Laßt uns eifrig protestieren Gegen alles, was zu trocken, Gegen Kerls, die immer frieren, Die in dumpfen Stuben hocken; Gegen alle dürre Seelen, Die mit ihren magern Brocken, Wie sie sich auch mühvoll quälen, Keinen Hund vom Ofen locken; Denen in den welken Herzen Alle Lebenspulse stocken; Die bei Wein und frohem Scherzen Nasen rümpfen, statt frohlocken. Aber Herzen auf, und Arme! |
(1842) |