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XII.

Lore war am Morgen auf dem Rade in die Fabrik gekommen. Der Tag hatte kalt und frisch begonnen, auf der gefrorenen Straße war sie gut vorwärts gekommen. Aber später war es wärmer geworden, es war Schnee gefallen, der dann in Regen übergegangen war. Die Straße war nun, am Spätnachmittag, aufgeweicht, schlechter Fahrweg geworden.

Lore ging lieber und ich schritt neben ihr.

Trübhäßlich war das Bild der Landschaft. Wolkenverhangen grau war der Himmel. Traurig wirkten die kahlen Bäume am Rande der Straße. Wuchtige Krähen flatterten, wenn wir näher kamen, aus dem Geäste auf, krächzten und flogen hinaus auf die Felder. Schneeflecken waren hingesprenkelt über das Schwarz der Aecker.

Mich fröstelte, und das Gespräch mit Lore stieß mich tiefer hinein in das Gefühl des Unbehagens.

Denn Lore sprach wieder von der roten Maske.

Ich versuchte ihr deutlich zu machen, daß sie sich durch ein Phantom beunruhigen lasse. Durch eine gewesene, nicht mehr vorhandene Gestalt. Sie erdenke sich das Gespenst, mit dem sie sich herumquält.

»Das ist kein Phantom!« rief Lore zornig. »Die Rote war sehr wirklich!«

Ich verstand Lore nicht. Warum schlug sie sich herum mit einem Gespinnst der Phantasie?

»Wüßte ich nur, wer in dem roten Fetzen steckte! Dann wäre ich ruhiger. Dann wüßte ich doch wenigstens, mit wem ich es zu tun habe!«

Wie sollte ich diesen Ausbruch verstehen können? Ich habe doch wirklich nie mehr an die rote Maske gedacht, nie mehr! Nicht mit dem Hauch eines Gedankens. Lore war es, die meine Gedanken wieder zu ihr hinlenkte. Und ich sagte es Lore:

»Du zwingst mich doch geradezu, an sie zu denken!«

»Ich brauch' dich zu zwingen! Wäre sie nicht in deiner Erinnerung, so dächtest du nicht an sie!«

»Aber ich denke doch nicht an sie!«

»Du redest doch immerzu von der Roten! Und wenn sie dir so gleichgültig gewesen wäre, wie du behauptest, so wärest du nicht mit ihr Walzer tanzen gegangen und hättest mich nicht vergeblich warten lassen! Wenn ich dich nicht aus ihren Armen gerissen hätte – o, du hättest überhaupt vergessen, daß du mit mir auf den Ball gekommen warst! – Und wie du sie an dich gedrückt hast!«

Hätte ich jetzt geantwortet, daß doch alles nicht ganz so war, wie sie behauptete, wäre sie zornig geworden. Und ich wollte doch keinen Zank mit Lore, wollte doch nur, daß sie endlich die törichte Selbstquälerei aufgab, das Kämpfen mit einem Schatten, ja ärger noch: mit Unsichtbarem! So widersprach ich nicht, sondern sagte nur:

»Laß doch die Rote! Ich weiß nicht, wer sie ist, habe nie nachgeforscht …«

»Laß sie! Laß sie! – Du sollst sie lassen, hörst du! Ich hab dir gesagt, daß ich nicht teile! Entweder gehörst du ganz mir – oder ich verzichte!«

Und nach einer Weile des Schweigens, denn ich mußte nichts mehr zu sagen, fügte sie klagend hinzu:

»Was soll ich denn noch tun, um sie aus deinem Gedächtnis zu verdrängen?«

Ich antwortete nicht mehr. Worte mußten wirkungslos bleiben. Nur wenn ich Lore den Skalp der Roten gebracht hätte, wäre sie beruhigt und sicher und zufrieden gewesen. Ich verdiente nicht dieses Mißtrauen und nicht diese Anschuldigungen. Ungerecht durfte auch die Geliebte nicht sein …

Lore schien zu merken, daß sie mir weh getan hatte. Sie sprach nicht mehr von dem Gespenst. Aber sie vermochte, so nahm ich an, auch nicht rasch ihre Gedanken auf andere Wege zu zwingen. Vielleicht mußte sie, je weniger sie es wollte, um so intensiver an die unwirkliche und für sie so lebendige Erscheinung denken, von der sie doch nicht mehr sprechen wollte. So schwieg auch sie.

Langsam wanderten wir auf der Straße dahin, die sich schon mit den ersten Gespinnsten der nahenden Dämmerung zu verschleiern begann. Wir gingen langsam dahin, Hand in Hand, aber zwischen uns wanderte eine Wand beklemmenden Schweigens mit.

Vor uns tauchte aus den Dämmerschatten etwas Schwarzes auf, kam näher, wurde größer, bekam Konturen, der massige Schatten zerteilte sich, löste sich in mehrere auf. Laute hörten wir, Menschenstimmen, das Gekläff eines Hündchens, Geknarre und Gequietsche von Rädern. Ein Wanderwagen kam, gezogen von zwei mageren Pferdchen, umsprungen von einem schwarzen Spitz, gelenkt von einem wildbärtigen Mann, auf dessen Schädel ein alter Hut mit Gemsbart hing. Eine Frau schritt neben dem Wagen. Ein paar schwarzhaarige Kinder waren bald vor, bald hinter dem Gefährt und liefen uns, als sie uns entdeckt hatten, schreiend entgegen, reckten uns kreischend und einander zur Seite puffend die schmutzigen Händchen hin.

Während noch die Kinder uns umdrängten, kam auch die Frau, kamen auch Pferd und Wagen und der Lenker zu uns. Während der Mann uns nur einen flüchtigen Blick zuwarf, blieb die Frau vor uns stehen, ein hageres braunes Weib, in einem Männermantel steckend, die Füße in über und über kotverkrusteten Schuhen. Kaum stand das Weib bei uns, kaum hatte sie in Lore ein junges Mädchen erkannt, als auch schon Lores Rechte gepackt war und die Braune auf sie einredete, mit sprudelnden beschwörenden Worten:

»Wahrsagen! Ich sage Dir wahr, schönes Fräulein. Erst Geld auf die Hand legen, silbernes Geld! O so schön, Fräulein! Ich sage dir wahr!«

Ich war ärgerlich.

»Komm doch weiter, Lore! Ich gebe der Frau eine Kleinigkeit und sie soll schauen, daß sie ihrem Wagen nachkommt.«

Lore schüttelte den Kopf.

»Das ist ein schöner Spaß. Das ist lustig. Und ein wenig neugierig bin ich schon auch, was mir die Frau prophezeien wird!«

Lore entnahm ihrem Handtäschchen die Börse, suchte, sie im sinkenden Dunkel nahe an die Augen führend, nach Geld und streckte dann, den Handteller, auf dem eine Münze schimmerte, zur Schau darbietend, der Zigeunerin die Rechte hin.

Lore würde heftig bestreiten, abergläubisch zu sein. Und sie ist es doch. Ist es nicht bewußt. Ist es mit einem Gefühl, das man nicht näher bezeichnen kann. Ist es vielleicht, weil sie als Weib dem Geheimnisvollen, Unenträtselbaren, das hinter den Dingen lebt, näher und verbundener ist als ein Mann. Sie weiß ganz genau, daß es unsinnig ist, aus den Handlinien die Zukunft lesen zu wollen, noch glaubt sie an den Seherblick der Zigeunerinnen. Und doch offenbart die Art, wie sie das Tun der Alten verfolgt und ihren Worten lauscht, Gläubigkeit. Sie würde es wahrscheinlich abstreiten, hielte man es ihr vor und sie würde die Wahrheit sagen – und in ihrem Innersten doch fühlen: Es kann schon etwas daran sein!

»Da, schönes Fräulein, die Lebenslinie! O, langes Leben! Und großes Glück! Viel Liebe. Schöner Mann! Aber da ein Weib, böses Weib! Vor der in Acht nehmen!«

Lore nickte bestätigend zu den Worten der Zigeunerin. Sie wußte wohl kaum, daß sie es tat. Und doch waren ihr die Redereien des braunen Weibes Bestätigung aller Vermutungen und Befürchtungen. Hatte sie nicht längst schon gewußt, was die Braune aus ihrer Hand las?

Jetzt rief die Zigeunerin triumphierend aus:

»Da – jetzt verschwindet das böse Weib – weg ist sie – dahinter nichts mehr – wieder großes Glück!«

»Ich weiß genug!«

Die Wahrsagerin verlangte noch eine Draufgabe und ich steckte ihr, froh, der unangenehmen Begegnung zu entrinnen, rasch eine Krone zu.

»Viel Dank, junger Herr! Viel Dank, schönes Fräulein! Großes Glück!«

Schon aus dem Dunkel, in dem sie rasch verschwand, kamen die Worte der Zigeunerin.

»Lore,« sagte ich mit einem Versuch zu scherzen und damit das ganze, mir so lächerlich erscheinende Erlebnis beiseite zu schieben, »ich habe nicht gewußt, daß man aus Händen Gesichter herausdeuten kann. Ich habe gemeint, das kann man nur aus Karten lesen: Erbschaft, Reise, Nebenbuhlerin …«

»Warum nicht aus der Hand!« fragte Lore ganz ernst.

Nun umhüllte uns schon die Nacht.

»Komm, Lore, wir müssen uns beeilen! Es ist spät geworden!«

Willig ließ Lore sich mit fortziehen. Und jetzt begann sie wieder zu plaudern:

»Das war die Rote – das böse Weib. Aber sie ist schon verschwunden. Hast du gehört, daß die Zigeunerin sagte: Weg ist sie? – Du wirst natürlich lachen, Junge, du bist ja so gescheit, daß dir das albern vorkommen muß, das Wahrsagen aus der Hand. Und ich glaub ja auch nicht daran. Aber ist es nicht seltsam, daß ich mich beruhigt fühle, weil die Alte gesagt hat: Weg ist sie?«

War Lore ruhig, war das Phantom verjagt, wenn auch durch die Worte einer wahrsagenden Zigeunerin, dann konnte ich zufrieden sein. Mir wurde ordentlich leicht ums Herz. Endlich versank das rote Gespenst ins Nichts! Und nichts mehr stand zwischen Lore und mir!

Stand nichts mehr zwischen ihr und mir?

Schwebte nicht ein leiser, kaum fühlbarer Hauch fast unmerklicher Entfremdung zwischen uns? War nicht Lores Mißtrauen da gewesen und konnte es nicht irgendeinmal, durch einen unscheinbaren Zufall erweckt, sich wieder aufrichten? Konnte ich ganz vergessen, daß sie mir mißtraut hatte? Schlug nicht leise, leise, kaum spürbar hin- und widerflutend, eine Welle des Wehs an mein Herz?

In dieser Nacht träumte mir von der roten Maske. Und ich wußte beim Erwachen, daß ich Lore diesen Traum nicht erzählen darf!

*

Ich könnte doch ruhig sein, ganz ruhig!

Das Phantom ist verschwunden, Lore spricht nicht mehr von der Roten, und es ist alles so wie es vorher war.

Es ist nicht alles so wie früher!

Lore hat mich gezwungen, über sie und mich und über unsere Liebe nachzudenken. Und man kann über seine Liebe träumend nachsinnen, aber es ist nicht gut für sie, wenn man über sie nachdenkt.

Wäre Lore eifersüchtig gewesen, richtig eifersüchtig, so hätte ich es verstanden. Ich war es doch auch! War es auf die Männer, die ihr einmal nahestanden, auf den Jüngling, der mit ihr, Verse sprechend, durch den Wald gegangen war, und auf den Mann, der ihr Briefe geschrieben hatte. Denn es ist wohl so, daß man Geliebter und einziger Geliebter der Geliebten gewesen sein möchte von Uranfang an.

Aber Lores Eifersucht scheint mir keine Eifersucht zu sein.

Oder doch Eifersucht einer ganz besonderen Art.

Nicht schmerzgeboren, nicht entsprungen der Angst um den Verlust des Geliebten.

Eher wie gekränkter Besitzstolz, wie der Zorn eines Menschen, der in seinem Bereiche allein herrschen will und diese Herrschaft angetastet wähnt.

Lore ist in vielem bewundernswert. Sie ist schön und sie ist eine beglückende Spenderin in der Liebe. Wie aus unerschöpflichem Quell schenkt und schenkt sie. Aber sie gibt sich nicht auf dabei. Sie gibt nichts von sich auf. Sie nimmt, aber sie tauscht nicht. Ja, sie gibt und nimmt, aber es ist kein Tausch.

Sie liebt mich. Sie liebt mich sehr. Ich konnte keine Sekunde zweifeln seit jenem lichtüberglänzten Tag auf dem Hügel, seit dem Augenblick des ersten Kusses. Aber sie liebt nur den Mann als Mann und nicht mehr, nicht noch anders.

Sie verkehrt freundlich mit den Arbeitern, die meine Freunde sind. Aber sie versteht nicht, kann es nicht verstehen, daß sie meine Freunde sind, daß sie mir so sehr Freunde sind, und daß ich mich als einen von ihnen sehe, mich verbunden fühle mit ihnen. Sie kann es nicht verstehen, daß Glück und Unglück dieser Arbeiter mein Glück und mein Unglück sind, daß ihre Sorgen und ihre Kämpfe und ihre Hoffnungen und Befürchtungen auch meine sind. Und sie versucht gar nicht, es zu verstehen!

Tausch von Küssen und Liebkosungen und Umarmungen. Schenken und Empfangen süßester Freuden. Verschwenderisches Schenken und nimmermüdes Empfangen. Aber kein Annehmen meiner Gedanken, meiner Anschauungen, und nicht das Verlangen darnach! Nicht das Wollen, sie kennen zu lernen, keine Sehnsucht, einen Pfad in meine Welt zu finden und in ihr heimisch zu werden. So lebe ich nur mit einem Teil meines Lebens, nur mit einem Teil meines Wesens in Gemeinschaft mit Lore. Der andere Teil gehört den Arbeitern, meinen Freunden.

Ich habe mich gewundert, daß Lore nie eifersüchtig wurde auf meine Freunde, auf mein Mitsorgen, auf meine Arbeit für sie und mit ihnen. Aber dann versuchte ich mir das so zu erklären, daß Lore wie so viele Frauen, die erzogen wurden zur Nichtbeachtung der großen Vorgänge in der Welt, sich um das Geschehen, das mich erschüttert, überhaupt nicht kümmert, und es dann erst beachtet, wenn es sie berührt, – die Vorgänge im Betrieb werden ihr so lange gleichgültig sein, so lange sie nicht ihre Stelle verliert. Und daß ich mich mit den Arbeitern und um sie sorge, an ihren Beratungen teilnehme – das scheint ihr wohl eine männliche Schrulle zu sein, die sie hinnehmen muß. Die Männer sind schon so: der eine rennt zu jedem Fußballwettspiel, der andere treibt sich in der Politik herum. Sie müssen ihr Spielzeug haben. Besser, als sie rennen anderen Weibern nach.

Lore hat mancherlei gelernt und weiß vielerlei. Sie spricht fließend tschechisch und ziemlich gut englisch. Sie hat mich dazu geführt, mich gleichfalls ein wenig mit dem Englischen zu beschäftigen. Sie gilt als eine der tüchtigsten Beamtinnen der Fabrik.

Aber habe ich ihr etwas erzählt vom Wirken der Ideen und von der Verpflichtung gegen die Idee, hat sie es nicht verstanden. Meine Worte blieben für sie ohne Sinn.

Erzählte ich von den Nöten, von dem anschwellenden Leid unserer Arbeiter, so wurde sie von Mitleid erfaßt. Ja, aber es war und blieb Mitleid mit fremden Menschen, die sie im Grunde nichts angingen, um die sie sich nicht zu kümmern brauchte.

»Um dich hab ich mich zu kümmern – nicht um andere!«

Wahrscheinlich hält sie mich für einen netten, liebenswerten Menschen, der eigentlich doch ein Narr ist.

Und ich merkte, daß sie manchmal versuchte, mich zu sich hinüberzuziehen, zu ihrer Auffassung vom Leben.

Leben: das ist, geliebt werden und den Geliebten lieben. Und ist Freude am Tanz und an Musik, an schönen Dingen und Behaglichkeit, an erquickenden Wanderungen und Sport. Und eine Arbeit gut und richtig machen, sodaß man auf sich selber stolz sein kann, – auch das ist Leben. Ja, dafür lebt man, deshalb lebt man: um schöne Dinge zu besitzen und sich zu freuen und um zu lieben! Wozu sich um andere kümmern? Man ändert doch nichts! Für sich selber lebt man! Natürlich leb ich auch für dich, mein Junge! Aber da leb ich doch auch, weil ich dich liebe und du mich liebst, zugleich für mich!

Kann ich, darf ich Lore Vorwürfe machen? Habe ich mich nicht in sie verliebt just so wie sie ist, ohne zu fragen, ohne auch nur ahnend an die Frage zu tasten, ob sie so denken und die Welt so sehen werde wie ich? Ist sie denn in ihrer Art so viel anders als andere Frauen, als viele viele Männer?

Und doch sehe ich manchmal, wenn ich an Lore denke, sie am jenseitigen Ufer eines Flusses stehen, über den keine Brücke führt.

Die Stillegung der Fabrik sei nur ein wenig hinausgeschoben, behauptet Lore. Das Unternehmen werde doch gesperrt werden. Sie weiß es ganz bestimmt. Es gibt Nachrichtenwege von ganz oben nach unten, die nicht zu jedermanns Ohren führen. Sie weiß es, weil der Direktor selber es zu ihr sagte.

»Ein paar besonders tüchtige Arbeiter sollen in die nordwestböhmische Fabrik mit übernommen werden. Und ein Teil der Beamtenschaft. Ich auch!« Lore sah, wie ich zusammenzuckte.

Lächelnd schüttelte sie den Kopf.

»Brauchst keine Angst zu haben! Hör nur einmal zu: Ich bin gut eingearbeitet, ich gelte als tüchtig, ja, und ich gelte auch ganz oben etwas! Und das freut mich so sehr, weil ich mit übernommen werden soll in die andere Fabrik!«

»Wie kann dich das freuen! Wenn du von mir wegkommst – so weit fort!«

»Tschapperl, glaubst du, ich hab nicht daran gedacht? Paß auf, Junge, jetzt kommt doch erst das Schöne! Kurz und gut – ich habe mich für dich verwendet, ich könnte dich mit unterbringen! Du kannst Tschechisch und Französisch und das Englische wirst du bald erlernt haben, und du bist doch auch in der Buchhaltung zuhaus', du wirst dich bald einarbeiten. Und stell dir vor, wir sind dann immer beisammen! In derselben Fabrik! Und wir können im selben Ort wohnen! Nun, was sagst du dazu?«

Triumphierend blickte sie mich an, Freude färbte ihr Gesicht.

»Was ich dazu sage? Aber Lore, Lore, ich habe doch immer nur eines gedacht: daß du bei mir bleibst, daß wir heiraten.

»Heiraten? Was hat denn schon so ein Gemeindesekretär!«

»Er hat eine sichere Stellung, Lore, und hunderttausend Männer würden gern mit mir tauschen! Und wenn mein Einkommen auch nicht groß ist, so ist es doch ausreichend, uns zu ernähren.«

»Ausreichend! Von deinem Gehalt sollen wir leben! Und ich soll mich so jung schon an den Kochherd stellen und im Dunst stehen und in den Töpfen herumrühren, und auf alles verzichten, was das Leben schön macht! Stell dir doch vor, wie es hier werden wird! Die Gemeinde wird mehr und mehr verarmen – wer weiß, ob man dann überhaupt noch einen Sekretär bezahlen kann! Alles wird hier veröden! Nur zerlumpte, vergrämte Menschen werden umherschleichen und einen auf der Gasse anbetteln! Man wird sich nicht getrauen, ein ordentliches Kleid anzuziehen. Und nicht ein bißchen Freude wird es geben! Alles wird wie tot sein. Und ich will doch leben! Und mit dir will ich leben! Und deshalb mußt du mitkommen!«

»Jetzt soll ich weggehen? Jetzt, wo meine Kameraden in höchster Not sind?«

»Was kümmern uns die Arbeiter?«

Wieder dieses Wort, und diesmal in geringschätzigem, wegwerfendem Ton gesprochen!

Es hat mich, als es Lore zum ersten Male sprach, befremdet, irritiert, auch ein wenig geschmerzt. Jetzt tut es weh, arg weh.

Ich erklärte Lore, daß ich mich keineswegs so sicher fühle, in der Kanzlei eines großen Fabriksbetriebes leisten zu können, was man von mir erwarten würde. Zu fremd und ungewohnt wäre mir diese Arbeit, Und hier sei ich eingewöhnt und eingearbeitet und die Arbeit freue mich. Und ich will auch nicht der Fürsprache meiner Geliebten eine Arbeitsstelle verdanken. Ich will um meiner selbst willen, meiner Leistung wegen geschätzt werden und meinem Können meine Stellung verdanken, auch wenn es eine geringer bezahlte ist als die in der nordwestböhmischen Fabrik. Das alles sage ich Lore, um ihr begreiflich zu machen, daß ich nicht fortgehen kann. Aber ich muß ihr doch auch den wichtigsten Grund sagen, muß nochmal auf ihn hinweisen: Daß es mit meiner Vorstellung von Ehre nicht vereinbar ist, jetzt wegzugehen. Daß die Arbeiter es nicht verstehen könnten. Daß meine besten Freunde schmerzlich enttäuscht wären. Und daß ich einfach nicht könne!

»Hörst du Lore: Ich kann nicht weg! Ich kann es nicht, weil ich zu den Leuten gehöre. Zu ihnen, und nicht zu den Beamten der Fabrik!«

»Zu mir gehörst du!«

Ich achte nicht auf ihren Schrei. Ich muß zu Ende sprechen:

»Mein Vater war ein Arbeiter und ich hab mir nie eingebildet, etwas anders zu sein, und ich habe mich immer als Arbeiter gefühlt. Und wie in dem Theaterstück von Gerhard Hauptmann der Florian Geyer zu einem Adeligen sagt: Ein Bauer bin ich und nichts denn ein Bauer! – so sag ich: Ein Arbeiter bin ich und nichts als ein Arbeiter!«

Lore sprang zornig auf.

»Aber das ist doch Theater!« rief sie. »Das kommt doch im Leben nicht vor, daß sich einer, der ein Beamter ist, einbildet, ein Arbeiter zu sein!«

Auch ich war aufgestanden und trat vor Lore. Meine Hände umfaßten ihr Gesicht, hoben es zu mir empor. Ich wollte ihre Augen nahe haben.

»Nein, Lore,« sagte ich, »das ist keine Theaterredensart! Das ist der tiefste Grund, warum ich hier bleiben muß!«

Aber sie schleuderte unwillig meine Hände von sich.

»Du willst ja doch nur der Roten wegen da bleiben!«

Die Türe sprang hinter ihr ins Schloß.


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