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Als der Morgen und mit ihm Georg von seinem Zuge zurückkam, fand er sie in der gewöhnlichen Beschäftigung des Tags, Knechte und Mägde geweckt, das Frühstück bereit. Sie erschien ihm wenig anders als sonst und immer, aber dennoch, war ein Etwas in ihrem Wesen und Blick, das selbst ihn nicht nur von einer Erörterung des am vorigen Abend Geschehenen, sondern einstweilen auch von dem gleichgültigsten Gespräch zurückschreckte. Jetzt im Bewußtsein eines gelungenen und trotz der Bemühungen der Zollbeamten vollkommen glücklich vollbrachten Zuges ziemlich ermüdet und besänftigt, mochte er vielleicht das Unbillige seines Benehmens begreifen, allein nicht um die Welt hätte er dies zugegeben, nicht um die Welt hätte er Versöhnung oder gar Vergebung gesucht; und als er mit dem Vater ein ernstes Gespräch gehabt, in welchem dieser ihm sein Unrecht und seinen Unverstand vorhielt und ihm dringend Aenderung und Besserung anempfahl, machte er sich mürrisch und schweigend an's Frühstück und dann auf's Feld. Der Krüger war gegen Elsen herzlicher, als er je gewesen. »Nimm's dir nicht so zu Herzen,« sagte er, da er ihre Todeskälte und Starrheit bemerkte; »es muß und wird besser werden.« Sie schüttelte leise den Kopf und fuhr in ihrer Arbeit schweigend fort.

Und es ward auch nicht besser. Da sie sich allmälig faßte und nach einigen Tagen mehr und mehr in ihr altes gewöhnliches Wesen und Aussehen zurücktrat, kehrte auch Georg auf die kaum Verlassenen Bahnen zurück und der Alte kümmerte sich wieder weniger darum. Es geschah in der nächsten Zeit auch manches, was seine Augen von dem Innern seines Hauses abzog. Denn sei es, daß Jeremias durch die empfangenen Andeutungen geleitet wurde, oder daß er noch andere Nachrichten von anderer Seite erhalten hatte, in der folgenden Zeit gelang es ihm und den übrigen, kürzlich um einige Mann vermehrten Grenzjägern, mehr als einen Transport entweder aufzufangen oder zu zersprengen. Zwar waren die Sendungen nur gering und die Träger entkamen den nachsetzenden Beamten jedesmal glücklich in den Busch, allein diese plötzlich hereinbrechenden, ungewöhnlichen und häufigen Unfälle und einige eben so plötzliche Haussuchungen, so wie die Einziehung verschiedener Leute erregten in den Grenzdörfern eine überaus böse und gehässige Stimmung und ein wachsendes Mißtrauen. Dazu kam, daß Frühauf endlich gegen den Krüger und Georg bestimmt erklärte, er sei offenbar verdächtig, werde heimlich, aber scharf beobachtet und müsse allen Verkehr mit ihnen abbrechen. Zugleich warnte er sie stets von neuem vor Jeremias.

All dieses Unheil beschäftigte den Krüger, wie gesagt, dermaßen, daß er wenig an Haus und Familie dachte, und Georg brachte es so aus aller Haltung, daß er überall anband und Streit suchte, und zumal gegen Frau und Dienstleute seiner Aufregung freien Lauf ließ. Else hatte den Jeremias nicht wieder gesehen und dem Förster wich sie aus. Sie isolirte sich so viel wie möglich mit ihren Gedanken und Gefühlen, und Georg gegenüber suchte sie sich eine noch stillere Ruhe, ein noch tieferes Schweigen zu bewahren. Doch zuweilen ward es ihr unmöglich. »Georg,« sagte sie einmal bitter während einer heftigen Scene zu ihm, »mag Gott dir verzeihen, ich thu's nimmermehr. Wenn ich schlecht geworden bin, so ward ich's durch dich, durch deine teuflische Weise. Wenn die ganze Welt uns so sehen könnte, die ganze Welt müßte mich freisprechen, und hätt' ich auch gegen dich eine Todsünde begangen.« – »Ja, ja,« versetzte er höhnend, »du bist ein prachtvoll Stück von einem Weibe, und jetzt möchte man sich grämen, daß nicht auch die Weiber Pastoren werden dürfen, so herzbrechend schwatzest du.« – Und als der Alte nachher zu ihm sprach: »Du bist ein regulärer Thor. Bedenkst du denn nicht, daß alles einmal zu Ende geht und daß ein Mensch, der immer hündisch behandelt wird, zuletzt auch ein Hund wird und beißen thut?« da erwiderte er giftig lachend: »Ei, was kann sie mir thun? Die Kröte hat ja keine Zähne.« – Der Alte zuckte die Achseln. »Die menschliche Natur ist verschieden,« bemerkte er. »Ich hätte dir an des Weibes Stelle längst einmal ein Messer in den Leib gejagt oder wäre damals, nach deinem nichtswürdigen Vorwurf, zum Controleur gegangen und hätte dich angezeigt.«

Der Alte mußte nicht, wie nah er der Wahrheit kam. Diese letzten Tage hatten aus Elsens Herzen und Kopf jeden Zweifel über ihr damaliges Thun, auch die letzte Möglichkeit der Reue verbannt. Damals war sie sinnlos gewesen, jetzt aber war sie bei klarstem Bewußtsein und sagte sich entschlossen und ruhig: und wenn ich's nochmals thun müßte, ich thät' es nochmals. Dahin war dieses freundliche und edle, schöne und reine Geschöpf durch Kälte und Ungerechtigkeit, durch Rohheit und Härte, durch all den Jammer und die Hülflosigkeit ihrer elenden, vereinsamten, unerträglichen Lage gehetzt worden.

So verging die Zeit. Vierzehn Tage etwa nach jenem, an dem unsere Erzählung begonnen, sagte Georg Abends zum Alten: »Wir sind nun mit der Winterkornernte fertig und müssen endlich einmal ernsthaft mit dem Jeremias und den andern in's Geschirr. Bei den kleinen Transporten kommt nichts als Dummheit heraus. Wir müssen einmal alle mit einander daran; dann kümmern wir uns nicht um die paar Zolljapper und bringen das Ding mit einemmal in Gang und Richtigkeit. Was meint Ihr zum Sonnabend, übermorgen? Morgens über die Grenze, Nachmittags im Moor, am Abend mit dem ganzen Gepäck in die Heide.« – »Es mag gehen,« versetzte der Krüger: »aber besser ist besser, und das Beste, daß wir den Beamten gar nicht begegnen. Daher müssen wir vor Tag aufbrechen und nachher mögen einige Bursche von jenseits oben am kleinen Elsbruch einen Scheinversuch machen. Davon müßte der Jeremias erfahren.«

Am selben Abend noch brachen zwei Boten nach –t und nach der Grenzstadt des Nachbarlandes auf, um sowohl Lieferanten als Abnehmer von diesen Planen zu unterrichten. Allein der Knecht vom Krügerhofe, welcher über die Grenze sollte, war einige Tage zuvor von Georg in einem seiner Anfälle von Heftigkeit gröblich geschmäht und geschlagen worden. Georg dachte nicht mehr daran, der Bursch aber suchte auf der Station den Jeremias auf und gab ihm gegen eine gute Belohnung den Brief, welcher mit Leichtigkeit entsiegelt, gelesen, sauber wieder verschlossen und dann weiter gebracht wurde. Am folgenden Morgen ward das Hauptzollamt auf dem Wildpaß von allem unterrichtet; es ward heimlich Militär in der Stadt requirirt, und am Morgen des nächsten Tages marschirte eine halbe Kompagnie, von Zolljägern unter einem Obercontroleur geführt, durch die Waldung, dem von Jeremias angegebenen Rendezvous zu.

Am Sonnabend, bevor die Sonne aufging, brachen die Schmuggler, die sich während der letzten Nachtstunden beim Kruge versammelt hatten, vierzig bis fünfzig Mann stark auf und zogen, geführt von Georg und begleitet vom Krüger, in den Wald. Einige waren mit Flinten und Munition versehen, die meisten jedoch trugen nur ihre Stöcke und alle waren guter Dinge. Es begegnete ihnen nichts Auffälliges, von den Beamten war nichts zu sehen, und in verhältnismäßig kurzer Zeit gelangten sie zu den Brüchen, die sie an einer Stelle betraten, wo die suchenden Grenzjäger bisher nur den unergründlichen Sumpf gefunden hatten. Trotz aller Stille des Waldes war indessen ihr Marsch beobachtet worden und Jeremias lag am Ufer des Glockensee's verborgen, von wo er wenigstens ihre ungefähre Anzahl und die Stelle ihres Verschwindens bemerken konnte.

Nach einiger Zeit ward er vorsichtig abgelöst, berichtete das Geschehene an den herbeikommenden Controleur und ward dann mit Frühauf nach der öfters erwähnten Allee beordert, die zum Sammelplatz erkoren war. Hier lagerte er sich höchst gemächlich im Schatten und begann dann eifrig dem mitgebrachten Frühstück zuzusprechen. Frühauf hatte die verschiedenen Anordnungen des obern Beamten schweigend und augenscheinlich höchst betroffen vernommen. »Um alles in der Welt, Kamerad,« sagte er jetzt, »was gibt es doch? Alles dies sieht wie ein besonderer Plan aus.« – »Ei zum Teufel, Kamerad,« erwiderte der andere mit vieler Ruhe und in voller Beschäftigung mit seinem Frühstück, »Sie wissen ja doch von dem Schlag, den wir vorhaben.« – »Ich? Nichts weiß ich!« rief der Jäger heftig, während sein Gesicht sich röthete. »Und es ist mehr als kurios, daß alle davon zu wissen scheinen und nur ich nicht, daß ich also der Dummbart sein muß.« – »Ei nun, Kamerad, das ist allerdings wunderlich,« versetzte Jeremias achselzuckend und in gleichmüthigem Ton; »allein was hadern Sie mit mir? Ich kann doch den Controleur nicht gegen seinen Willen bewegen, Ihnen dieselben Mittheilungen zu machen wie uns. Sie wissen also nichts von der vorgestrigen Nachricht? Nicht daß man Truppen requirirt hat?« – »Und wozu das?« fragte Frühauf und saß wie aus den Wolken gefallen. – »Ei, Sie wissen ja – doch ich vergaß ,– Sie wissen es nicht. Nun, die ganze Bande vom Kruge und so weiter ist in den Bruch hinein und heut Abend werden wir, so es Gott gefällt, das Gesindel endlich einmal im Sack haben.« – »Heut?« fragte Frühauf wieder und fügte dann in ungläubigem Tone hinzu: »und dort durch die Engelswiese in den Bruch? Aber da führt ja kein Weg.« – Ein schiefer, höhnisch lächelnder Blick fiel aus Jeremias' lichtbraunen Augen auf den Jäger. Dann kam die Antwort: »Und doch, mein verehrter Kamerad, hab' ich sie mit meinen eigenen Augen dort eintreten sehen.« – Frühauf sprang auf. »Ei zum Teufel, Kamerad,« rief er mit gut gespieltem Enthusiasmus, »Sie sind doch ein Glückskind! So haben Sie ja den Pfad entdeckt. Lassen Sie uns nacheilen. Ich wette, wir haben jetzt diesseits freies Feld zum Nachspüren und können einen prachtvollen Hinterhalt legen.« Damit wollte er forteilen.

»Ne, ne, sachte Kamerad, sachte!« versetzte Jeremias, während er ihn mit der Hand am Kleide faßte und mit der andern die letzte Schnitte Butterbrod zum Munde führte. »Das könnte uns den Fang verscheuchen, und überdies befiehlt hier ja der Controleur.« – »Hm, ja,« sagte Frühauf, wieder beruhigt, »aber den Eingang des Weges könnten wir doch sondiren.« – Weder überflog ihn derselbe schiefe und lächelnde Blick; dann zuckte Jeremias die Achseln und sagte: »Das kann zu nichts führen. Ich habe den Eingang selbst untersucht, aber – es muß mit dem Teufel zugehen! – nach dem ersten Schritt ist ringsum nichts mehr als Moor oder blankes Wasser. Also lassen Sie uns warten; so haben wir sie gewiß.« – »Aber wenn sie Wind kriegen und uns durch einen andern Ausgang ganz in die Wicken gehen?« fragte Frühauf wieder. – »Bah, woher sollten sie Wind kriegen? Und es gibt außerdem auch nur noch einen Ausgang, den wir gleichfalls besetzen.« – »Sie sind scharf hinterher gewesen, Kamerad.« – »Wie auch Sie.« – »Ja, mit dem Unterschied jedoch, daß Sie etwas entdeckt haben und ich nichts,« sagte Frühauf seufzend und fuhr dann gleichsam offenherzig fort: »Ich habe mich sogar an das Gesindel gemacht, gehorcht und freundlich gethan, aber – nichts da!« – »Das ist ein gefährlich Stück Arbeit,« erwiderte der andere trocken und steckte den letzten Bissen in den Mund; »im besten Fall wird man nur an der Nase herumgeführt.« – »Ja wohl, hole sie alle der Teufel!« gab Frühauf zur Antwort. Sie schwiegen beide, bis nach einer Pause Jeremias sein Messer zuklappte und in die Tasche steckte. »So,« sagte er dann mit einem tiefen Seufzer und strich sich mit den Händen die Seiten hinunter, »nun habe ich vortrefflich gefrühstückt, und nun wünscht' ich, daß die Soldaten baldigst kommen möchten.«

Inzwischen hatten sie noch lange zu warten und erst gegen Mittag trafen die Truppen und Grenzjäger ein. In der Begleitung des Obercontroleurs kam auch Freidorf.

Der junge Mann hatte während der vergangenen Tage Gelegenheit genug gefunden, auch in der nächsten Umgegend des Passes die tiefe Entsittlichung zu bemerken, welche fast alle Klassen durchdrang. Das Bild, welches der Krüger damals in allerdings all zu grellen Zügen vom Leben und Treiben in den Grenzbezirken entworfen hatte, schien sich vor seinen Augen fast noch düsterer zu färben. Er sah Ackerbau und Gewerbe darnieder liegen und die Familien zu Grunde gehen, ohne daß auf Generationen hinaus eine Besserung abzusehen gewesen wäre. Auf manchen Stellen wurde sogar durch Kinder ein kleiner Schmuggel getrieben, da diese entweder leichter den Beamten entgehen und unbemerkt und unbeargwohnt durchschlüpfen konnten, oder im Betretungsfall doch mit einer unbedeutenden Strafe davonzukommen pflegten. Dazu kam dann ein ausgebreitetes Angeber- oder Verrätherwesen, Bestechung und Spionerie, kurz Verworfenheit auf allen Ecken und Enden, und alles dies vereinigte sich, dem jungen Mann seinen Dienst immer verhaßter und unerträglicher zu machen. Das erste, was er nun hier erfuhr, war, daß Jeremias ihm und dem Obercontroleur in seiner respektvollen Weise und dennoch mit aller Prahlerei und allem Jubel seines Charakters den Verrath Elsens mittheilte, ohne dabei ihres Zustandes zu erwähnen, den er selbst freilich niemals begriffen hatte. Dann wurden die Truppen und Grenzbeamten rings an sichern und verborgenen Plätzen aufgestellt und Jeremias selbst in ein Gebüsch beordert, welches dem Ausgange des Schmugglerpfades gerade gegenüber lag, und von wo sich alles, was dort vorging, leicht und schnell bemerken ließ. So wie er etwas erspähte, wollte er mit einem dem Bussard nachgeahmten Schrei das Signal geben.

Bald darauf erhielt man die Nachricht, daß sich eine Partei Jenseitiger bei der sogenannten obern Furt gesammelt habe und anscheinend durchbrechen wolle; da man jedoch von Zweck und Absicht auch dieses Scheinversuchs unterrichtet war, kümmerte man sich nicht weiter darum, sondern fuhr eifrig in den nothwendigen Vorbereitungen für den Abend fort. Man beschloß, nur die Leute durch einige Grenzjäger beobachten zu lassen; die Männer wurden abgeschickt, und dann lag die ganze Gegend in solcher Einsamkeit und Stille, als sei sie wie sonst nur dem alleinigen Wirken und Bewegen der Natur überlassen. Bis gegen fünf Uhr Nachmittags war der Tag sonnig und übermäßig warm; dann aber kam ein schweres Gewitter über den Wald daher, und wenn auch die graugelben drohenden Massen, die Blitz auf Blitz entsendeten und betäubende Donnerschläge folgen ließen, rasch genug unter heftigen Regenschauern vorüberzogen, so kühlte sich die Luft doch einigermaßen ab und der Himmel blieb mit einer stillen grauen Decke dicht überkleidet.

Mitten im tiefen Walde war ein kleiner freier Platz, bedeckt mit kurzem moosartigem Rasen. Links zog sich der feste Boden, nur schwach mit hochstämmigen Bäumen bestanden, aber geschmückt mit den reichsten Gebüschpartien und wundervoll üppigen Schlingpflanzen, noch eine Strecke lang bis jenseits des Baches hin, der hier zwischen ziemlich hohen Ufern langsam dem untern See zufließt. Rechts dagegen brach der sichere Grund alsbald scharf ab und wohl eine Viertelstunde weit konnte man zwischen den weit zerstreuten, inselartig sich erhebenden Boskets über eine gefährliche, unpassirbare Fläche hinaus sehen. Da wechselte das falbe Grün des überwachsenen bodenlosen Sumpfs nur mit dem häßlichen, schillernden Braun des stehenden Wassers ab; Binsen und wenig Schilf faßten hier und dort den Rand ein, weiterhin hatten allerlei Wasserpflanzen ihre großen saftigen Blätter ausgebreitet und die weiße Seelilie hob überall ihre melancholischen duftreichen Blumen. Noch weiter, hinter dieser Fläche, ließen sich geschlossenes Gebüsch und hohe Bäume sehen, die sich auf einem festen Landrücken bis an den Glockensee erstreckten. Vorn und hinten schloß sich Sumpf und Bruch an einander und ein Ausgang war nirgends sichtbar. Das war die Stelle im sogenannten großen Königsbruch, welche sich die Schmuggler bei ihren Gängen zum Ruheplatz erkoren hatten.

Dort finden wir denn auch am Nachmittag die Männer, welche Morgens vom Kruge aufgebrochen waren. Die schweren Päcke und die schmutzigen, bis oben nassen, hohen Stiefel, so wie die triefenden Hüte und Jacken zeigten zur Genüge, daß sie einen zwar erfolgreichen, aber auch beschwerlichen Marsch gemacht hatten und unterwegs der ganzen Gewalt des Unwetters ausgesetzt gewesen waren. Meist ruhten sie in tiefer Ermüdung auf trockenen Stellen unter den Büschen! der Krüger aber hatte auf einem vom Sturme umgeworfenen Stamm Platz genommen und Georg stand vor ihm und erzählte vom Gange des Geschäfts drüben dies und das. Der Alte war nur bis zum Grenzfluß mitgegangen und hatte dort der andern gewartet.

»So ist denn alles gut, abgelaufen,« sagte Georg endlich, »und unsere Ladung ist eines Freudensprunges werth. Aber Ihr seid still, Vater?« – »Ja,« entgegnete dieser ziemlich finster, ohne sein Haupt vom untergestützten Arm zu erheben, »ich denke noch immer an die beiden verdammten Fußspuren droben am Eingang. Einem von unsern Leuten gehören sie nicht, das ist einmal gewiß! aber wem denn?« – »Bah,« erwiderte Georg, »einer von den Jenseitigen wird wie ein steifer Gaul zu täppisch gewesen sein, wie ich heute Morgen schon sagte.« Der Alte schüttelte den Kopf. Ihm gefiel das Ding keineswegs, und er ärgerte sich, daß er nicht noch einmal hinaufgegangen war und sich umgesehen hatte. Georg ging des Wartens wegen mißmuthig auf und ab, die andern Leute unterhielten sich ziemlich leise oder schwiegen, einige schliefen auch.

»Horch!« sagte der Alte plötzlich leise, aber für alle rings vernehmbar, und hob lauschend den Kopf. Das leiseste Gespräch verstummte augenblicklich, sogar die Schläfer fuhren empor, denn in der Gefahr ist der Schlaf nur wie ein leichter Schleier über die Sinne gebreitet. Man horte ein flüchtiges Knacken, wie von einem brechenden dürren Zweig, dann ein plätscherndes Geräusch. »Eine Sau, die durch den Sumpf geht,« flüsterte Georg und trat hinter ein Gebüsch, wo man weiter hinaussehen konnte. »Nein!« murmelte der Alte. Da knackte es wieder und Georg sprang leicht zurück. »Beim Satan!« murrte er grimmig, »es ist Frühauf! Ich sah ihn beim alten Kreuzdorn.« – »Dann hilft es nicht,« sagte der Krüger kaltblütig und stand auf: eine starre Entschlossenheit lag auf der düstern Stirn. »Dieser Platz muß, verborgen bleiben,« fuhr er fort; »zurück, ihr Jungen! Hierher Georg, in den Busch, fix, fix! Wenn er dir den Rücken bietet, hau zu und zittere nicht!« Kaum gegeben waren seine Befehle auch schon ausgeführt, die Männer aufgesprungen und mit ihren Packen verborgen, Georg im Gesträuch. Alles war unhörbar, im Nu geschehen und im nächsten Augenblick trat Frühauf, rasch, aber vorsichtig von Bülte So nennt man die einzelnen festen Grasbüschel, die auf Schollen oder Erdklößen in Morästen oder in Brüchen und sumpfigen Wiesen zu stehen pflegen. zu Bülte schreitend, auf den Platz und dem Alten entgegen, wodurch er sogleich dem lauernden Georg den Rücken zudrehte.

Er sah sich rasch und mißtrauisch um. »Ihr allein hier, Krüger?« sagte er. – »Ei, bei Gott, Frühauf!« sprach der Alte, und drängte ihn näher tretend unmerklich noch weiter gegen das Gebüsch. »Woher kommt Ihr denn? Wie habt Ihr nur den Weg gefunden?« – Hätte der Jäger, wie er es beabsichtigte, jetzt augenblicklich seine Nachricht abgegeben, so wäre alle Vorsicht der Steuerbeamten und des Jeremias Freude vergebens gewesen, und auch sein eigenes Loos möchte sich anders gestaltet haben. Allein auf die Frage des Alten regte sich seine Eitelkeit und ein gewisses Gefühl des Triumphs, und mit leisem, selbstgefälligem Lachen sagte er: »Ja, ja, wer da sucht, der findet, und ich habe auch gefunden trotz Eures Heimlichthuns, Alter.«

In diesem Augenblick empfand er einen schmetternden Schlag auf den Hinterkopf und sank taumelnd zu Boden; dann fühlte er sich erhoben und in's Wasser gestürzt. Die Gewalt des Schlags war durch seine Mütze etwas gebrochen; das kalte Wasser belebte ihn wieder, und sich an einem Rohrbüschel haltend, vermochte er einen Augenblick lang den Kopf zu erheben. Und so, von Blut und Wasser triefend und das todtenbleiche Gesicht zu wildem Haß verzerrt, rief er den jetzt herbeieilenden Männern zu: »Nun, Canaillen – so – seid – ver – flucht! – verfl–« Da gab das Rohr nach, die angstvoll umhergreifenden Hände trafen nur lose Binsen, murmelnd und gurgelnd sank er in den Morast. Das Wasser schloß sich über ihm, die kleinen Blasen und Kreise verschwanden und alles war wieder still und ruhig. Nur ein paar Krähen, die hoch oben vorüberflogen, stießen ihr heiseres Geschrei aus.

»Na,« sagte Georg mit höhnischem Lachen und deutete auf die noch auf derselben Stelle schwimmende Mütze des Unglücklichen, »die mag da als Wahrzeichen herumtreiben, und wenn sie jemals ein anderer Zöllner sieht, kann er sich dran erbauen. Und nun zur Ruhe, Kameraden, wir haben noch eine Stunde zu warten.«

Die Stunde verging, und obgleich die Sonne noch am Himmel stehen mochte, war doch vor den dichten Wolken nichts von ihr zu sehen. Im Busch begann es bereits zu dunkeln und die Männer, brachen unter Georgs Führung auf.

Es war ein krauser, gefährlicher Weg, wo eine falsche Wendung, ein unsicherer Tritt in den Sumpf führen und eine lange Verzögerung bewirken konnte. Hier ging es knapp um ein wildes, wirres Gestrüpp und die Männer mußten in die Zweige greifen, um vorbei zu kommen; dort mußte man durch den Busch selbst, über die bemooste knorrige Wurzel, die rings hundert junge Sprößlinge ausschlagen ließ; da führte der Weg wieder wie ein schmaler scharfer Rücken hin, auf dem die Schreitenden balanciren mußten, oder es ging über einen Baumstamm, der als Brücke über einen sumpfigen Platz geworfen war. Dann gelangte man vielleicht auf eine kleine feste Fläche und mußte nach wenig Schritten wieder eine Strecke von Bülte zu Bülte springen, und dazwischen stand das Wasser schwarz und still; oder der Boden sah so fest und sicher aus, und dennoch zitterte und schwankte er unter dem flüchtigen Fuß, und das Wasser quoll rings empor und stand in den Spuren. Hier gerade vorwärts, dort im Zickzack, bald rechts, bald links, oder gar zurück; so ging es fort.

Der Weg war schlimm und es gehörte ein sicherer Blick, ein fester und doch leichter und schneller Tritt, unsägliche Aufmerksamkeit und große Erfahrung dazu, ihn ungehindert zurückzulegen. Allein das alles fand sich in Georg vereint, und eine kleine halbe Stunde nach ihrem Aufbruch bog er den letzten Busch auseinander und schritt gegen die Wiese vor.

In dem Augenblick ließ sich das Geschrei des Bussard hell und durchdringend vernehmen; der Schmuggler aber achtete nicht anders darauf, als daß er die Augen unwillkürlich zum Himmel erhob, um den Vogel zu erblicken. Dann ging er leicht über die hier ziemlich scharf zulaufende Wiese bis an den Rand des Holzes vor und blieb stehen, um zu lauschen, und seine Gefährten zu erwarten, die ihm in bald längern, bald kürzer Zwischenräumen folgten. Allein es war ringsum still, bis sich plötzlich in nicht allzuweiter Entfernung das Wiehern eines Pferdes hören ließ. »Hollah!« sagte der Schmuggler mit gedämpfter Stimme und seine nächsten Genossen sahen sein Gesicht in rachgieriger Freude sich verziehen, »da reitet der Jeremias die Allee entlang und somit kann's heute ein fetter Tag werden.« Dabei nahm er die Flinte, die er um den Hals gehängt, herunter und sah nach dem Pulver auf der Pfanne. Mittlerweile waren die meisten Träger schon herangekommen, die übrigen waren nahe und selbst der Krüger, welcher zu hinterst gegangen, wollte bereits auf die Wiese treten, als er plötzlich heranschleichende Uniformen erblickte, rasch besonnen durch den Busch zurück sprang und mit aller Gewalt seiner Stimme rief: »Zurück, Jungen, zurück!« Allein, da sie auf den furchtbaren Ruf herumfuhren, war es bereits zu spät und die Bajonette sperrten den Rückzug.

Einige Sekunden standen sie wie gelähmt; dann ward Georgs Stimme laut, und: »in den Busch! fort!« tönte sein mächtiges Geschrei. Aber auch dort traten ihnen die Truppen entgegen; sie kamen vom See über die Wiese daher. Die Schmuggler waren eingeschlossen. Der Obercontroleur trat einige Schritte vor. »Ergebt euch, Leute,« sagte er mit ernster, ruhiger Stimme; »ihr seid umzingelt und Widerstand kann zu nichts führen. Macht euer Loos nicht schlimmer als es ist, und zwingt mich nicht zur Gewalt.«

Die Schmuggler standen in dichtgedrängtem Haufen, Georg in der vordersten Reihe, schweigend und unentschlossen. Da aber tönte Jeremias' laute höhnende Stimme: »Ei, ei, verehrter Herr Georg, ist die Courage alle geworden? Haben wir Euch endlich einmal in der Patsche? Wollt Ihr immer noch ehrliche Beamte bestechen?« – Und als habe eine Schlange ihn gebissen, fuhr der Schmuggler empor und schrie: »Herab mit den Päcken, Kameraden! die Flinten zur Hand und die Stöcke! Auf sie, auf sie! Wenn der Lügner zehn Leben hätte, die müßt' ich haben!« Dann sprang er vor, zielte flüchtig und drückte ab, stieß ein Hurrah aus, da er den Jäger stürzen sah, und warf sich, gefolgt von den andern, mit geschwungener Flinte auf den vor ihm stehenden Haufen. Allein die Kugeln schlugen von allen Seiten in die dichte Masse der Angreifenden, und da sie an ihre Feinde herankamen, starrten ihnen die Bajonette entgegen und brachen die Gewalt ihres Stoßes. Das Handgemenge, das nun begann, war wild und blutig, aber lange vermochten die meist unbewaffneten Schleichhändler nicht Widerstand zu leisten. Georg sah das Unnütze eines ferneren Kampfes alsbald ein, und mit dem Ruf: »Mir nach! in den Busch!« schwang er sein Gewehr mit herkulischer Kraft, schlug und stieß, gelangte glücklich hindurch und drang in die Büsche. Ein ihm nachgesendeter Schuß traf nicht, und Grimm im Herzen stürzte er der Allee zu.

Freidorf war mitten im Gedränge gewesen und in der Nähe Georgs. Als er seinen letzten Ruf hörte und ihn durchbrechen sah, schoß ihm der Gedanke durch den Kopf: wenn der so nach Hause gelangt und gar von Elsens Verrath erfährt, gibt es ein Unglück. Durch alles, was er über sie erfahren, durch das, was er in den kurzen Stunden ihres Zusammenseins von ihr gesehen und gehört hatte, war die Frau ihm lieb geworden. Ihr Verrath ließ ihn in diesem Gefühl kaum einen Augenblick wanken. Er fühlte sich überzeugt, daß die Veranlassung zu dieser unseligen That nur eine ungewöhnliche, eine furchtbare gewesen sein konnte. Er säumte nicht langer, drängte sich durch den ermattenden Kampf und eilte dem Fliehenden nach.

Der Himmel war noch immer dicht mit Wolken bedeckt und nur am äußersten Rande des westlichen Horizonts war ein kleiner Streifen von ihnen befreit. In diese Oeffnung trat eben die Scheibe der untergehenden Sonne funkelnd hinein und erfüllte die gerade darauf zulaufende Allee mit einer um so gewaltigeren und allmächtigeren Flut von strahlendem Licht, da es durch die dichten Laubwände und die einfarbig dunkle Höhe auf das wunderbarste zusammengepreßt wurde. Georg, wie er in diesen Raum sprang, fuhr betäubt und geblendet zurück, schlug die Hände vor's Gesicht und hielt einen Augenblick in seiner Flucht an. Er hörte den Werdaruf und das gebietende Halt des hier aufgestellten Postens, er hörte den Schuß knallen und fühlte sich in der Seite verwundet, er sprang wie rasend, ohne sehen zu können, vorwärts über den Graben, durch die Büsche und floh, noch immer halb geblendet, weiter und weiter.

Auch Freidorf war durch die plötzliche Lichtflut aufgehalten, allein die Sonne war bereits wieder zwischen Gewölk getreten und die Pracht und Gewalt ihres Strahles schon halb erloschen. Der junge Mann verständigte den Posten durch ein rasches Wort und eilte weiter. Nach wenigen Schritten im Holz stieß er auf den Förster, welcher noch verwundert dem Schmuggler nachsah, der ohne Aufenthalt bei ihm vorübergestürzt war. Fritz hatte am Morgen die Anzeige von dem empfangen, was im Revier vorbereitet wurde; da man aber seine Mitwirkung nicht beansprucht hatte, war er ruhig seinen Geschäften nachgegangen und hatte sich weder um die Schüsse, noch um den weithin schallenden Lärm des Kampfes bekümmert. So war ihm Georg begegnet und jetzt wandte er sich dem Verfolger zu. Freidorf trat rasch zu ihm heran und legte die Hand auf seine Schulter.

»Förster,« sagte er athemlos, »lieben Sie die Else noch immer treu und innig?« – Die schlanke Gestalt, hob sich kräftig empor und die dunkeln Augen blitzten ihm stolz entgegen. »Gehört das auch mit zu Ihrem Amt, Herr Assistent? Ist's auch Contrebande? Das wüßt' ich nicht.« – »Mann, seid kein Thor! Red' ich umsonst? Es hängt Leben und Sterben an der Zögerung. Liebt Ihr sie noch?« – »Und wenn es so wäre?« fragte der erstaunende Förster. – »Wißt Ihr, daß sie, Else, den, der dort läuft, an Jeremias verrathen?« – »Allbarmherziger Gott!« schrie der Förster auf und sprang auf die Spur Georgs: »vorwärts, Herr, vorwärts! Mir nach! Ich weiß den nächsten Weg!« Es ward kein Wort mehr gesprochen. Sie flogen durch den Wald; aber der Flüchtling war ihnen längst aus den Augen. –

Else hatte den Tag in Einsamkeit verbracht, Knechte und Mägde und die Tagelöhner, die während der Ernte auf dem Hofe beschäftigt wurden, waren wie gewöhnlich auf dem Felde: sie selbst war mit ihren Geschäften bald fertig und dann quälten sie bittere Gedanken. Sie ahnete, es werde heut mit ihrem bisherigen Leben zum Schluß kommen. Sie wußte, was im Gange war, und sie wußte auch, daß Jeremias nach den Andeutungen, die er von ihr empfangen, kaum diese Gelegenheit versäumen werde, den Schleichhandel für lange Zeit zu unterdrücken. Gegen Georg war ihr Haß so tief und bitter wie je, und ihm galt das Schlagen ihres Herzens nicht: allein wie sie damals in ihrer Sinnlosigkeit überhaupt nicht gedacht, so hatte sie auch noch weniger erwogen, daß sie mit ihren Angaben nicht allein ihren Tyrannen, sondern auch alle seine Genossen verrieth und in's Verderben stürzte. Das quälte sie nun, das trieb sie endlich gegen Abend aus dem öden Hause hinein in den Wald.

Gedanken- und qualvoll fortschreitend war sie zur Pfaffenwiese gelangt, als sie die ersten dumpfen Schüsse vernahm: die Kniee zitterten ihr, erbebend setzte sie sich am Rand des Grabens auf das erhöhte Ufer, legte den Kopf in den Schooß und dachte und lauschte. Jetzt ward es still: es regte sich kein Laub. Sie saß lautlos in ihren Qualen und in ihrer – Reue. Jetzt hätte sie selbst Georg vergeben, alles was er ihr je gethan, wie er sie gepeinigt und in den Staub getreten Jahre lang. Jetzt fühlte sie ihre Schuld schwer und tief, und ein ganzes Menschenleben schien ihr nicht lang genug, sie zu büßen.

Da Vernahm sie einen eiligen, unstäten Schritt, ein lautes Keuchen: sie blickte empor und gleich darauf sah sie Georg aus dem Gebüsch stürzen, voll Blut und Schmutz, die Kleidung zerrissen, ohne Hut, und nach einigen weitern Schritten hatte er sie erblickt, fuhr zurück und dann auf sie zu. Sie hatte er gesucht, nach ihr hatte es ihn verlangt, denn vom ersten Blick auf die Truppen, das Gefecht hindurch und den Pfad der Flucht entlang, hatte sein Kopf nur den einen Gedanken: sie und nur sie hat uns verrathen!

Er stürzte auf sie zu, er faßte sie an, er riß sie empor; die Augen blitzten in wahnsinniger Wuth, die blonden Haare hingen wild und naß darüber, die trockenen Lippen liehen dem Gedanken heisere Worte und er zischte: »Weib, satanisches Weib, du hast uns verrathen!« – Da, wie sie ihn so vor sich sah, entschwand all ihre Reue, da gedachte sie wieder des Elends, das sein einzig Geschenk an sie gewesen, und der alte Haß hob sich fester und finsterer als je. Sie sah ihm fest in die blutunterlaufenen Augen und zuckte nicht, sie bebte nicht vor seinen Worten und nicht vor seiner Kraft, obgleich der Schmerz am zerdrückten Arm sie erbleichen ließ. »Nein,« sagte sie, durch die zusammengepreßten Zähne sprechend, »nein, euch hab' ich nicht verrathen, aber dich, hörst du, dich! Das ist meine Rache für fünf Jahre des Drucks und des Elends und des hündischen Lebens!« – »Und dem Jeremias zu Liebe!« Er lachte schneidend auf. Ein Lächeln der Verachtung flog über ihr blasses Gesicht. – »Der oder der,« sagte sie; »ich brauchte ja einen Hund, um ihn auf dich zu Hetzen.« – »Und dem Fritz zu Liebe!« Er lachte wieder und seine Hand senkte sich in die Hosentasche, wo das Messer verborgen war. »Ja, der hat wohl gar geholfen?« – »O,« sprach sie frei und laut, »siehst du, für den könnt' ich leben, für den könnt' ich sterben, für den könnt' ich alles thun, wie er alles thun würde für mich. Aber hier sollt' er mir nicht helfen. Das hat Gott nicht gewollt. Der ist rein geblieben in diesem Schmutz, und dafür dank' ich Gott bis an meinen Tod.« – »Dann ist es schnell damit aus,« sagte er. Seine Hand hob das Messer und stieß es ihr so gerade und sicher in die Brust, daß sie lautlos zusammenbrach. »So geh zur Hölle!« murmelte er, »und sei verflucht von mir und jedem Muttersohn im Lande!«

Dann ließ er ihren Körper fallen, nahm einen Anlauf und sprang mit seiner letzten Kraft über den Graben. In demselben Moment erschienen Freidorf und der Förster auf der andern Seite der Wiese. Sie sahen zwar nicht mehr den Schmuggler, aber die Büsche bewegten sich noch, wo er durchgebrochen, und in größter Eile stürmten sie ihm nach. Der Förster bemerkte den leblosen Körper des jungen Weibes zuerst, prallte zurück, und Menschliches hatte der Schrei nicht mehr an sich, mit dem er daneben, niederstürzte. Seine Untersuchung war trotzdem schnell und sicher. Dann legte er den Körper in Freidorfs Arme und murmelte: »Hebt mir den auf: der andere ist auch mein und könnte mir weglaufen.« Er sprang auf, über den Graben, und war fort.

Freidorf fand jede Hülfe überflüssig: der Stoß war in's innerste Leben gedrungen, auf den Lippen zitterte ein leichter blutiger Schaum und die Augen waren bereits gebrochen. Er ließ sie daher sanft auf den Rasen zurückgleiten und saß daneben, und er und der Wald waren beide still.

So traf ihn nach einiger Zeit ein hier vorüber und zum Kruge ziehender Theil der Truppen. Der Kampf hatte bald nach Georgs und Freidorfs Entfernung mit der gänzlichen Niederlage der Schmuggler sein Ende erreicht. Einige von ihnen entkamen in den Busch, einige waren todt oder verwundet, die meisten fielen nur leicht verletzt in die Hände ihrer Feinde und erlitten später ihre Strafe. Von den Truppen und Zollbeamten war keiner zu Tode gekommen als Frühauf, dessen Schicksal man erst später erfuhr. Verwundete waren jedoch viele da, und der schwerste darunter war Jeremias, den nur sein dickes Taschenbuch, das er auf der Brust unter der Uniform trug, gegen den Tod schützte, indem es die durchdringende Kugel entkräftete. Das vernahm Freidorf von dem Obercontroleur, wahrend man mit Elsens Leiche zum Kruge ging.

Man fand den alten Krüger dort, anscheinend nur in Sorge über das lange Ausbleiben seines Sohnes und seiner Schwiegertochter. – Nach seiner Angabe war Georg am Morgen auf's Feld gegangen, Else hatte gleich nach dem Gewitter im Holze Beeren pflücken wollen. – Als man ihm nun ihre Leiche in's Haus trug, war sein Entsetzen so groß und sein Schmerz so starr und stumm, daß ihn selbst Freidorf zu trösten suchte. Allein das war vergeblich; lautlos und ohne Bewegung saß er an ihrer Seite bis zum Morgen des nächsten Tages, die Arme schlaff vor sich im Schooß, die Augen starr auf sie gerichtet, Er wußte es jetzt nur zu gut, daß an diesem Ende auch er seine Schuld trage.

In Betreff des Schmuggelns war dem Alten nichts zu beweisen; beim Zuge hatte ihn niemand gesehen, seine Gefährten sagten nichts gegen ihn aus, und trotz der schärfsten Nachsuchungen war in seinem Hause kein Stück verbotener Waare zu finden. Er hat noch einige Jahre fortgelebt in eisiger Starrheit, wie man es bei schwer vom Schicksal getroffenen alten Leuten seines Standes öfters findet. Die Gesetze hat er nicht mehr verletzt, aber er hat sie und ihre Diener gehaßt und verflucht bis an sein Ende. Seines Sohnes erwähnte er nie wieder auch nur mit einem Wort, und ein finsterer Zorn trat auf seine Stirn, wenn einmal der Name desselben vor ihm genannt wurde. Auch von Elsen sprach er nie, und wo er ihren Namen hörte, ging er schweigend davon. Und so ist er mit Leid in die Grube gefahren.

Ueber Georgs Schicksal wurde niemals etwas Gewisses bekannt, weder ob er im Wald gestorben, noch ob er vielleicht einige Tage irgendwo versteckt gelegen und dann in fremde Länder gegangen. Der Förster behauptete ihn nicht gefunden zu haben; als jedoch Freidorf, der seine Entlassung aus diesem unseligen Dienst verlangt und erhalten hatte, nach einiger Zeit von ihm Abschied nahm und auf jenen Abend leise hindeutete, drückte der Förster seine Hand und sagte finster: »Laßt das! Der Abend hat uns allen nur Unglück gebracht.« Später sprach er gleichfalls nur ungern von diesen Ereignissen, und ein gewisser drohender Ernst, ein gleichsam nur von fern aufdämmernder Zorn, der dann wie ein Wetterleuchten über sein niemals wieder lächelndes Gesicht zog, ließ die Frager bald verstummen.

Nach diesem Schlage lag der Schleichhandel in diesen Gegenden eine Zeitlang tief darnieder; später soll jedoch das alte Wesen wieder seinen alten Gang genommen haben, wenn es auch nie mehr seine frühere Blüthe erlangte. Da die Gesetze fortdauern, werden sie auch nach wie vor umgangen.

Die Gegend hat sich seit der Zeit freilich sehr geändert. Der Forst ist vielfach beschnitten und gelichtet, Sumpf und Bruch sind wenigstens zum Theil ausgetrocknet, und es führen jetzt sichere, allgemein bekannte Wege hindurch. Der Krug endlich ist in fremde Hände gekommen und umgebaut worden: aber er steht doch noch und heißt noch immer der Schmugglerkrug.


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