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Darüber war die Dämmerung bereits stark hereingebrochen, die Gäste erhoben sich, um sich nach Hause zu begeben, auch der Förster ging davon, und Freidorf mit dem Grenzjäger folgte dem vorangehenden Alten, um die Abendmahlzeit einzunehmen. Vom Thor aus erstreckte sich mitten durch das Haus die breite geräumige Tenne, rechts lagen Stallungen und Getreide- und Futterräume, links schloß sich unmittelbar der weite offene Platz der Küche an. Trotz dieser alterthümlichen Einrichtung war jedoch auch hier schon manches verändert worden; der Boden der Tenne und Küche war mit einer guten festen Decke versehen und in den Wänden der letztern fand man nichts mehr von jenen Schiffskojen ähnlichen Nischen, in denen die Bewohner sonst ihre Lagerstätten aufzuschlagen pflegten, und von wo die Hausfrau den ganzen innern Raum ihres Eigenthums bei Tag und Nacht, gesund und krank, vor Augen hatte. Hier, nahe am Herde, war der Tisch für die Hausbewohner gedeckt, die Gäste aber führte der Krüger links in die Wirthsstube, ein großes Zimmer, welches den ganzen vorspringenden Flügel ausfüllte. Dort wurden sie allein und bei ihrem einfachen, aber kräftigen Mahl gelassen.

Nun fragte Freidorf, der bisher still gewesen und noch immer den Reden des Alten nachgedacht, den Jäger, weßhalb er vorhin gelacht habe, und setzte dann hinzu: »Mir fiel das auf, Herr Frühauf. Der Mann sprach so ernsthaft, vor so vielen Zuhörern, daß ich kaum an eine Unwahrheit oder Uebertreibung glauben kann, wenn ich andererseits auch eine solche Größe des Verderbnisses und Elends fast für unmöglich halten möchte.« – »Ei,« erwiderte der Angeredete nach einer Pause mit einem gewissen Zögern in der Stimme, »das Verderbniß ist groß und das Elend nicht minder; der Ackerbau liegt bei den meisten tief darnieder und das häusliche Leben ist in argem Verfall. Das ist gewiß und leider Gottes schlimm genug, wenn der Krüger auch das Ding ein wenig übertrieben haben sollte. Das geht dem Menschen so, wenn er einmal im Feuer ist und einen rechten Text vor hat, da kommt's denn auf eine Handvoll Noten nicht an. Darüber lacht' ich auch nicht, sondern vielmehr über die alte Historie vom Splitter und Balken. Der Alte schnackt da nun schier das Weiß zu Schwarz und thut wie ein Unschuldsengel, und doch sollte er sich an die eigene Nase fassen. Sein Ackerwesen ist zwar in gutem Stande, denn er ist dahinterher wie ein Schießhund und weiß was Knöpfe bringt. Aber sein Hauswesen, oder das seines Sohnes – puh!«

»Das hab' ich leider schon selbst bemerkt,« sprach Freidorf kopfschüttelnd. »Es ist doch eine so freundliche, schmucke Frau und nimmt des Schwätzers Härte und des Mannes Toben so ruhig an. Sie mag wohl ein wenig vergeßlich und flüchtig sein, aber das wird durch solch' Schelten nicht gebessert.« – »Ja ja,« sagte Frühauf, »es hat alles seinen Haken, aber –« und dabei deutete er gegen die Thür, durch welche man die in der Küche Befindlichen reden hören konnte. »Das ist nun eins,« fuhr er dann mit gedämpfter Stimme fort, »doch er sprach auch vom Schmuggeln, und da – na, na!« Und er aß wieder weiter. – »Wie denn?« fragte Freidorf, gleichfalls leise redend; »schmuggelt er denn selbst? Freilich nach seinen Reden und Ansichten könnte man das vermuthen.«

Der Jäger neigte sich zu ihm und sprach, während er Teller, Messer und Gabel laut und eifrig bewegte, in flüsterndem Tone: »Nun, Herr Assistent, es ist hier darüber schlecht zu reden, die Leute könnten horchen. Sehen Sie, der Alte und der Georg sind noch nie beim Geschäft betroffen worden, im Kruge ist trotz aller Nachforschungen nie etwas zu finden gewesen, und dennoch spricht man von ihnen als Hauptschmugglern; das Haus hier steht in dem Ruf, daß es die Hauptniederlage der Waaren und die Herberge der kecksten Schleichhändler sei, und heißt allgemein der Schmuggelkrug. Aber wie gesagt, wir entdeckten nie etwas und sind doch alle scharf hinterher, und zumal der Jeremias, der ein furchtbares Gift auf sie hat.« – »Wer ist dieser Jeremias?« fragte der junge Mann. – »Er ist ein Grenzjäger wie ich, aber ein berittener, und auch auf unserem Posten.« – »Und weßhalb haßt er die Leute?« – »Ei, das ist gegenseitig,« lächelte der andere: »sie geben's ihm ehrlich zurück, und nicht, hier allein. Er ist ringsum grausam verhaßt und ich möchte nicht in seiner Haut stecken.« – »Aber weßhalb, weßhalb?« fragte Freidorf ungeduldig. – »Je nun,« war die Antwort, »ich rede einem Kameraden nicht gern Uebles nach, allein wenn es der Herr Assistent wissen will – die Geschichte wird verschieden erzählt. Einige sagen, der Jeremias sei unter der Hand aufgefordert worden, für ein gut Stück Geld den Schmugglern zu Diensten zu sein; da habe er den Unterhändler angezeigt und ihn in's Zuchthaus schicken lassen. Andere sprechen dagegen, mein Kamerad habe selbst seine Dienste angeboten, jedoch zu viel verlangt und eine Abweisung erhalten. Darauf habe er den Burschen, mit dem er gesprochen und durch den er auch die Antwort erhalten, wegen eines Bestechungsversuchs angeklagt u. s. w.« – »Das ist aber furchtbar!« sprach Freidorf heftig; »und was ist nun das Richtige?« – »Wohl das ersten,« gab der Jäger zur Antwort, indem er mit einer Brodrinde seinen Teller abwischte. »Denn vor anderthalb Jahren kam wirklich ein Bursche auf Jeremias' Denunciation in's Zuchthaus und seit der Zeit ist er barsch und wild wie ein Wolf und molestirt und chikanirt die Leute auf's Menschenmögliche, so daß ich es ihnen kaum verdenke, wenn sie ihm nicht grün sind. Allein,« schloß er, »es ist hier, wie gesagt, nicht gut zu reden. Ich muß nun auf meinen heutigen Posten am Königsbruch, und wenn mich der Herr Assistent noch ein Stückchen begleiten wollten, würde ich unterwegs besser auf Ihre Fragen antworten können.«

»Das will ich,« erwiderte Freidorf; sie standen auf, gingen durch die Küche, wo sie die Hausbewohner noch beim Essen trafen, und nachdem der junge Mann gesagt, er wolle nur den vom langen Reiten steifen Beinen einige Bewegung machen und werde bald zurückkehren, verließen sie das Haus und schritten um den Garten in das stille Holz. Da erzählte der Jäger mancherlei über die Gegend und ihre Bewohner, über den Schleichhandel und seine Wege, über Hauswesen und Familie des Krügers. Freidorf hörte aufmerksam und traurig zu. Er sah so trübe Tiefen, so düstere Schatten.

Unterdessen hatten auch die Bewohner des Krugs ihre Mahlzeit beendet und Knechte und Mägde, bis auf eine, die noch das Geschirr zu reinigen hatte, entfernten sich, um ihr Lager aufzusuchen. Dann setzte sich der Alte mit seiner Pfeife zum Feuer, die Frau nahm das Spinnrad und Georg schritt mürrisch auf und ab.

»Was die Beiden wohl im Wald mit einander zu klönen So viel wie schwatzen, oft mit dem Nebenbegriff des Ausplauderns. haben?« bemerkte endlich der Sohn; »das Volk hängt doch aneinander wie die Kletten. Aber der Frühauf –.« – »Hm!« machte der Krüger und warf einen blitzenden. Blick auf das geschäftige Mädchen. – »Aber der Frühauf,« fuhr Georg gleichgültig fort, »ist doch der beste von ihnen, obgleich all die Gesellen nichts taugen.« – »Der Neue, der Assistent,« meinte der Alte, »scheint ein billiger Mensch zu sein.« – »Bah!« versetzte der Sohn, »freilich wird er kein solches Unthier sein wie der Hermann Jeremias, der glatzköpfige Heuchler. – Sagt doch, Vater,« fuhr er fort und blieb vor dem Alten und der Frau stehen, »ist der am heutigen gesegneten Tage nicht auch hier gewesen?« – »Nein,« war die kurze Antwort. – »Ei, das wundert mich,« sprach er weiter und seine Augen flogen mit einem höhnischen Ausdruck über die verschiedenen Personen; »er weiß doch sonst, wo es feine Bissen absetzt für geringes Geld; er ist doch wieder so freundlich gegen uns, so weich und sanft, als hätte er Seife gegessen. Ist er nicht hier gewesen und hat gehorcht, geklönt und gelächelt mit dir, Else? Du bist ja stockstill heut Abend? Hm, hast du dich müde geredet mit ihm?« – Sie zuckte nur flüchtig die Achseln, und ohne aufzusehen, sagte sie kalt: »Du bist nicht bei Sinnen; du hörst ja vom Vater, daß er nicht hier gewesen. Und sonst hab' ich auch nicht dreimal mehr mit ihm gesprochen, als ich mußte.«

»Ja, hör' doch, du bist ja ein Unschuldsengel!« erwiderte Georg höhnisch. »Also damals an der Gartenhecke sprachst du ihn zuerst und neulich hier unter dem Baum war euer zweites und letztes Gespräch. Ist's nicht so?« – »Wenn man mich fragt, muß ich antworten, hat man mich gelehrt,« versetzte sie kalt. – »So? ei!« fuhr er immer heftiger fort, »und ich lehre dich, daß du gar nicht mit ihm redest. So ist's und das will ich! Und willst du reden, so kannst du's mit dem Vater thun oder mit mir, und das sollst du und sollst nicht dasitzen wie dein Spinnrad – ja das schnurrt doch noch, aber du thust den Mund nicht auf.« – »Das Reden läßt sich doch nicht kommandiren,« sprach sie. – »Ei doch, mein Schatz,« entgegnete er giftig; »siehst du, ich kommandir' es und ich will's!«

Und nun ergoß sich ein Strom von Tadel und Anklagen, von Schmähungen und rohem Schelten über das stille, unglückliche Weib. Sie solle und müsse anders werden; sie solle zur Arbeit und in's Feld, sie sei »krank wie'n Huhn, das mag essen und nichts thun.« Sie solle sich um den Mann bekümmern; sie müsse auf's Hauswesen sehen lernen. Das Brod sei schlecht wie die Sünde und das Getränk sauer. »Und dann sitzt sie da,« schloß er, »steif und starr. Das will ich nicht! Du sollst reden, du sollst um Vergebung bitten, du sollst geloben dich zu bessern!« – Ohne mit ihrer Beschäftigung innezuhalten, hob sie nur flüchtig den Kopf. »Das Spinnen da pressirt mehr als das Sprechen,« meinte sie ruhig, und ein leises kaltes Lächeln lief über ihr krankhaft scharfes und doch noch schönes Gesicht. »Du brauchst mehr Strümpfe bei deinem gottlosen Laufen, als Mode ist, und die Frau soll sie einmal schaffen.«

»Weib!« drohte er. Aus der gerötheten Stirn traten die Adern scharf hervor, die Arme sanken vom Rücken und die Hände ballten sich krampfhaft. Der Krüger hatte bisher theilnahmlos in's Feuer gestarrt. Bei den Worten der Frau aber hob er mit einem plötzlichen Ruck den alten grauen Kopf und sah bald auf den Sohn, bald auf das Weib, das schon wieder so still bei der Arbeit war wie je. »Else!« sagte er drohend und streckte wie abwehrend die Hand gegen Georg aus, »das ist die Art nicht, deinen Mann wieder gut zu machen, wenn du ihm vorwirfst, was wir alle treiben und für recht halten, was uns so viel einbringt. Du bist keine Heilige, wenn du auch keine Mannsläuferin bist. Du taugst wenig zu einer Bauerfrau und bist es doch. Drum lerne und gib dir Müh, sei freundlich und gehorsam; denn so wird man was, aber nicht wenn man tückisch ist und die Hände in den Schooß legt. Verbitt' dich!« Sich bei einem verbitten, so viel wie ihn um Verzeihung bitten. Der Alte schwieg, und nachdem er den messingenen breiten Kamm, der sein zurückgeschlagenes langes graues Haar am Hinterkopf festhielt, wieder zurechtgeschoben, richtete er seine Augen wieder gleichgültig auf das Feuer. – »Ja,« fuhr Georg fort, dessen Wuth sich bereits zu seinem gewöhnlichen Hohn umgewandelt hatte, »dabei wird man nichts, aber man kann dem Unsinn nachhängen, den man im Kopf hat, man kann so hübsch an den Herumtreiber, die Milchsuppe, den blassen Fritz, denken und so jammervoll über ihn lamentiren.«

Else ließ die Hände in den Schooß sinken und ihr Fuß ruhte. »Mann,« sagte sie und man hörte ihrer sonst so sichern und reinen Altstimme ein leises Zittern an, »Mann, ich bitte dich, das lasse nun einmal ruhen, wie du es mir versprochen hast. Du weißt, ich habe mir nichts zu Schulden kommen lassen, und du kannst mir nichts vorwerfen. Gegen unsern Herrgott kann niemand, wenn der etwas fügt, und ich beklage mich auch nicht. Aber wider die Gedanken in des Menschen Kopf kann auch niemand, selbst der Herrgott nicht. Was dir einmal passirt ist, und es war recht ernsthaft, das sitzt dir im Hirn fest, bis du todt bist oder von Sinnen. Das kann einschlafen und der Staub mag sich darüber legen, wenn du's ruhen läßt; aber wo du es alle Tage aufrührst, da bleibt, es in Ewigkeit wach und munter.« Sie sprach mit einem solchen Ernst und einer solchen Energie, daß der zornige Mann sie nicht zu unterbrechen vermochte; allein nun setzte die noch immer gegenwärtige Magd gerade ein Geschirr hart in das Brett und Else sah sich hastig um. »Geh,« sagte sie, »ich dachte, du wärest längst davon; es schickt sich nicht, daß die Dienstboten zuhören, wo die Herrschaft zu reden hat. Geh, Trine.« – »Nein, sie soll bleiben!« rief Georg. »Sie will ja heirathen, und da kann sie nun lernen, was sich für eine Frau schickt und wie es ihr geht, wenn sie toll und schlecht ist. Du bleibst, Dirne!« – »Ich bin fertig, Herr!« versetzte das Mädchen trotzig und wandte sich zum Gehen. »Und übrigens braucht Er mich nicht zu lehren, was sich schickt. Das weiß ich schon längst.« Damit verließ sie die Küche.

»Die Weiber werden alle aufsäßig!« rief er zornig lachend und schüttelte die geballte Faust. »Aber die eine jag' ich aus dem Dienst und die andere will ich auch schon kriegen! Das Winseln und Schmatzen soll mich nicht mehr abhalten. Doch ich will mich nicht mehr ärgern,« fuhr er fort und wandte sich an den Vater. »Ich habe draußen einen Brief von –z erhalten, der besprochen sein will. Ihr kommt wohl in Eure Kammer, Vater. Es ist spät und wir haben noch viel zu reden.« Der Alte erhob sich, zündete eine Lampe an und ging mit dem Sohn hinaus. Else saß noch einige Zeit lang ruhig; dann stand auch sie auf, setzte das Spinnrad in die Ecke am Herd, rief die Magd und befahl ihr auf den Fremden zu warten. Sie selbst ging durch den Gang, der von der Küche aus die lange Seite des Hauses theilte, und trat in den Garten. Nahe am Zaun, der längs des Waldes hinlief, stand ein uralter Apfelbaum mit vielen verdorrten Zweigen und darunter lag ein großer Klotz statt der Bank. Da setzte sich das junge Weib und war allein in der Nacht.

Nach einiger Zeit kam Freidorf aus dem Walde zurück. Da er nicht fern vorbeiging und die Sommernächte selten sehr dunkel sind, erkannte er die Sitzende, allein er mochte sie nicht anreden, schritt vorüber in's Haus und suchte sein Lager.

Das junge Weib saß einsam, allein mit der Bitterkeit seines Herzens, mit seinem verlorenen und vergrämten Leben, mit schweren, trüben Gedanken. Der Mond war noch nicht aufgegangen, aber die Sterne leuchteten und die Nacht lag im durchsichtigen Dämmer schön und mild. Es regte sich nicht ein Hauch, weder in der Luft noch im Walde, auch das letzte Flüstern war erstorben zwischen den geschmeidigen langen Zweigen, und das bebende Laub schlief auf seinen schwanken Stielen. Sie hatte sich zurückgelehnt an den Stamm und die schmächtigen Arme über die Brust gekreuzt; aus dem aufwärts gerichteten Gesicht schauten die prächtigen großen dunkelgrauen Augen still zur Höhe. Zuerst waren in der Ferne ein paar dumpfe Schüsse gefallen! nun aber hörte sie nichts als das Schwirren eines Nachtfalters und das harte Klopfen ihres Herzens: sie sah nichts als die schwarzen dürren Zweige, die der Baum über sie hinstreckte, und hoch drüber den weiten, von den Sternen matt erhellten Himmel. Da saß sie nun und dachte.

Sie war ein glückliches Kind gewesen, der einzige Sprößling im behaglichen Hause wohlhabender Eltern, gehegt und gepflegt als die Krone und das Kleinod des Lebens nicht allein, sondern auch des Wohlstandes, die Schönheit und der Liebling des Dorfs. Der alte Schulmeister ihrer Heimat war so gut vernarrt in sie wie all die übrigen, und da er zufällig ein ziemlich gebildeter Mann war, brachte er ihr mit Lust und Liebe alles Wissen seines Kopfes bei. Denn er sah sie beschenkt und bevorzugt von allen andern, er wollte nicht zurückbleiben und nannte wie ein rechter deutscher Schulmeister nichts auf der Welt sein als die Armuth, sein Wissen und eine reiche Erfahrung. Das gab er ihr hin und sie war sein Stolz: allein an die Folgen hatte er nicht gedacht, sonst hätte er ihr vermuthlich zu dem gewöhnlichen kümmerlichen Unterricht nur noch den Segen seines liebevollen Herzens mitgegeben. Sein Geschenk gereichte ihr nicht zum Glück, wenigstens nicht zu dem, welches darin bestehen soll, daß man das Leben gleichmüthig und gedankenlos hinnimmt und trägt, wie es kommt und wie es geht. Das wenige, was er ihr geben konnte, genügte, sie weit über Ansichten und Leben ihres Landes, ihrer Zeit und Umgebung zu erheben, Gefühle in ihrem Herzen und Gedanken in ihrem Kopf zu wecken, die ihr sonst der Traum nicht vorgespiegelt hätte, die sie für gut und richtig halten mußte und dennoch nirgends verwirklicht fand, noch selbst zu verwirklichen im Stande war. Mit einem Wort – es war für sie das zweideutige Geschenk der Elfen: ihre Augen wurden hell für Schätze und Qualen, die den andern verborgen waren und von denen sie die einen doch nimmer erreichen, den andern niemals ausweichen konnte.

Und dennoch wäre es vielleicht noch zu ihrem und der Ihrigen Glück ausgeschlagen, wenn um ihr Herz und Leben eine volle reiche Liebe ihre glänzenden magischen Kreise geschlungen hätte, eine Liebe, wie sie dieselbe erhoffte und wie sie ihr damals nahe war. Denn sie erneuerte die Bekanntschaft mit ihrem Spielgefährten Fritz, der einige Jahre lang die Jägerei in der Ferne erlernt hatte und nun in der nahen Försterei als Gehülfe angestellt war. Die Sache nahm ihren einfachen Verlauf, die Bekanntschaft ward zur Liebe, die Eltern sahen es so gut wie jeder und sprachen nicht dawider, denn das Mädchen hatte Geld und der Bursche die Aussicht auf einen guten Posten. Aber der Hof, den die Eltern bewohnten, brannte eines Tages ab, da die meisten Bewohner im Felde waren; gerettet ward wenig oder nichts und Feuerversicherung fand für ländliche Gebäude damals noch nicht statt. So ward der Bauer ein Bettler und alsbald, da seine Frau an den Brandwunden starb, auch Wittwer.

Es war eine theure Zeit, die unmittelbar auf den Krieg folgte. Das Geld war knapp, die Grundstücke hatten den geringsten Werth, die Regierung konnte ihrem Pächter nur eine unbedeutende Unterstützung geben. Der Alte verzweifelte, mit so geringen Hülfsmitteln zu einem neuen Eigenthum gelangen zu können, stand seine Pacht für eine Kleinigkeit ab und lebte kümmerlich in einer schlechten Köthnerwohnung. So lange er im Glück saß, war er ein wackerer, thätiger und nüchterner Mann gewesen, nun aber im Unglück ging es ihm wie seinen Standesgenossen so oft: er ergab sich dem Brüten, dem Nichtsthun und dem Trunk, er ward Wilddieb und Schmuggler. Dieses Treiben erkältete ihn gegen seine Tochter, denn es entfremdete sie ihm: es brachte ihn in mehrmalige unangenehme Berührung mit dem Jäger und in genaue Bekanntschaft mit dem Krüger und dessen Sohn. Die Anstellung des Jägers verzögerte sich: der reiche Bauernbursch bot der verlassenen und verarmten Else eine gesicherte, ansehnliche Stellung. Die Freunde redeten zu, die Bekannten beneideten, der Vater trieb mit Schelten und Drohen: sie sahen nur auf den stattlichen Mann, den reichen Hof, die nährige Krugwirthschaft, wie das im Stande der Landbewohner so gewöhnlich und am Ende auch natürlich ist. Die Liebe kam dabei, auch wie gewöhnlich, nicht in Betracht: das Mädchen gab nach und saß nun als Hausfrau des Georg im geräumigen Hause, im bedeutenden, täglich sich mehrenden Wohlstand.

Ihren Vater verlor sie bald: er wurde von einem Beamten beim Schmuggeln ertappt, da er nicht stehen und seine Waaren hingeben wollte, wie ein Waldthier angeschossen und gejagt, bis er, eben wie ein solches, auch im Walde verblutete. So roh und gleichgültig der Mann auch geworden, war er doch ihr letzter Halt, ihre letzte Stütze gewesen. Denn mit dem Fritz, der inzwischen die gewünschte Stelle erhalten, hatte der über sie und Georg ausgesprochene Priestersegen alles beendet. Sie war Eheweib und ein christliches, frommes und reines Herz, und auch der Förster dachte nicht daran, daß man eine fremde Ehe stören könne. Sie sahen und sprachen sich oft und ungehindert, ohne daß ihre Ruhe sonderlich gestört worden wäre. Die Vergangenheit war ja zu Ende, und die Liebe ist bei diesen Leuten, äußerlich wenigstens, selten ein allmächtiges, unüberwindliches Gefühl, und meistens, wie die Leute selbst, anscheinend fern von Ueberschwenglichkeit und Empfindsamkeit.

Sie war also einsam und ohne Stütze, denn in ihrer Häuslichkeit fand sie keinen Anhalt. Der Krüger war von Anfang an wenig mit der armen Schwiegertochter zufrieden gewesen, hatte sich gegen sie immer kalt und ablehnend bewiesen und des Sohnes Partei genommen. Georg war eine heftige, aufbrausende und ziemlich rohe Natur, in welcher Schärfe und Sarkasmus des Vaters' in Hohn und Bitterkeit übergegangen waren. Mit Leidenschaft hatte er sich dem Schleichhandel hingegeben, und durch die bei diesem Leben und Treiben unvermeidlichen und natürlichen Auftritte von ewiger, wechselvoller Aufregung und rauher Wildheit war er endlich dahin gekommen, sich nur in solcher Bewegung, bei solchem Treiben wohl und heiter zu fühlen, und war selbst immer heftiger und leidenschaftlicher, immer wilder und roher geworden. Wenn dann Zeiten eintraten, wo der Handel aus diesem oder jenem Grunde eine Zeitlang ruhen mußte, wenn ihn und seine Gesellen gar hin und wider einmal Unfälle betrafen, trieben ihn Unthätigkeit, Aerger und Ungeduld zu immer heftigeren und wilderen Ausbrüchen, und Schelten und Drohen, Zank und Streit füllten seine Tage. Und da er dieses Wesen gegen den strengen Vater nicht auslassen konnte und bei den Dienstleuten gewöhnlich keine Gelegenheit dazu fand, so übte er es entweder gegen einen seiner Gefährten oder gegen die Frau, welche letztere ihm in der That auch mehr als einen Anknüpfungspunkt und mehr als einen Grund zum Zürnen darbot.

In Betreff der Wirtschaft von der liebesblinden Mutter nur lässig erzogen, konnte Else sich nicht immer in den ganzen Kreis einer oft kleinlichen Thätigkeit hineinfinden, und fand sich um so weniger hinein, als sie nur mit Schelten und rauhem Tadel angetrieben, kaum jemals belehrt wurde. Sie fühlte selbst, daß sie Stoff genug zum Tadel dem bot, der allein das rein Praktische und den Augenblick und darin selbst das Kleinste peinlich beachtet, aber sie fühlte auch, daß selbst, was sie in bester Absicht und mit wirklicher Tüchtigkeit verrichtet hatte, mit derselben Härte, mit der gleichen Unbilligkeit gescholten wurde. Da regte sich denn Trotz und Härte in ihr, die sie sonst nie gekannt und die ihr in andern Verhältnissen vielleicht immer fremd geblieben wären; denn ihr Charakter war offen und weich gewesen, und durch die Liebe, Theilnahme und Sorgfalt eines tüchtigen freundlichen Mannes hätte er zu allem Guten und Schönen erstarken können. Von Liebe indessen und Theilnahme war zwischen den Gatten nie die Rede gewesen: jetzt war aber bei ihm auch das Wohlgefallen an ihrem Aeußern in der Gewohnheit des täglichen Umgangs, zu Grunde gegangen: er übte keine Schonung mehr und verfolgte sie jetzt auch noch mit den Ausbrüchen einer Eifersucht, die, wie er selbst recht gut wußte, gänzlich unbegründet war. Sie hatte seinen wilden, fast täglichen Ausbrüchen lange nur Thränen entgegengesetzt, dann war sie zu Kälte und Schweigen erstarrt; nun verlor sie auch noch den letzten Rest von Achtung und begann ihm offen zu trotzen.

Das ging nun alles durch den Kopf des einsamen Weibes. Sie sah die Höhe über sich – die war tief und dunkel wie ihr Leben, und die Lichtpunkte darin, so glänzend und so fern, waren wie die schönen Erinnerungen ihrer heitern Jugend. Aber wie die Steine dort oben, erblichen und ermatteten auch sie vor dem Raum und dem Düster der unermeßlichen Tiefe. Und ihre Gedanken waren schwer und trüb; sie kamen in dichten, drängenden Schaaren, sie bebten zurück vor der Zukunft, sie flohen die Gegenwart, sie zogen angstvoll immer weiter in die Vergangenheit, wo noch Licht und Wärme war, Glück und Schuldlosigkeit; sie zogen, wie die Schwäne gen Süden ziehen, wenn der Winter droht. Sie hätte die Vergangenheit gern verschlossen gelassen, denn sie fand dort am Ende auch nicht mehr als ein Grab – das ihrer Jugend und ihrer Hoffnungen. Und daran knüpfte sich so viel, und daraus stieg so viel hervor, vor dem sie zurückbebte. Sie war ja ein Eheweib. So floh sie auch die Vergangenheit! sie kehrte zurück in die Gegenwart, und da fand sie nur ihr zerdrücktes, aussichts- und hoffnungsloses Leben, und in ihrer Brust regte sich ein neues Gefühl: das war der Haß.

Da schlüpfte es neben ihr durch den Wald, ein paar trockne Zweige knackten, die kalte Nase eines Hundes stieß an ihre zurückfahrende Hand und die Aufschreckende hörte neben sich die leisen Worte: »Bist du's, Else?« – »Ja, ja, Fritz, ich bin's,« versetzte sie gefaßt. »Du noch so spät im Wald?« – Der Förster trat aus dem Schatten der Stamme hervor und lehnte sich müde auf den Zaun. »Mich lassen die Wilddiebe nicht ruhen, die es toller als je treiben,« sagte er. »Ich meinte erst Erst – hier wie öfters so viel wie vorhin. Schüsse zu hören und war darnach aus. Nun kam ich hier herum und sah deine Gestalt. Trauerst du denn noch immer über das Kind? Du mußt bedenken, daß das arme Würmchen jetzt viel besser dran ist! beim lieben Gott gibt es kein Kranksein.« – »Nein, Fritz,« erwiderte sie und hob sich langsam aus ihrer ruhigen Stellung, »trauern thu' ich jetzo nicht und ich hab' es mit was anderem zu thun. Und über das Kind trauern? O ich danke ja Gott, ich danke ja Gott, daß er's zu sich nahm, bevor es so weit mit mir gekommen! Denn es war sein Kind, sein Kind, und ich hatte es dennoch lieb, und jetzt würd' ich es verfluchen müssen, wie alles, was von ihm kommt, was sein ist!«

Sie sprach leise, aber eisenhart und mit solcher Leidenschaft, daß es den lauschenden Mann mit tiefem Schrecken erfüllte. So hatte er sie nie gesehen, nie geahnt, wie sie da vor ihm saß, die Arme erhoben und die Hände krampfhaft zitternd, die Augen starr und wild blitzend gen Himmel gerichtet. Er wußte nicht, war es der Schimmer eines Sterns, der sich darin spiegelte, oder war's das Leuchten des Hasses, das drohend daraus hervorsprang. Aber es war auch nur ein Moment. Gleich darauf war sie zurückgesunken an den Stamm, die Arme gekreuzt, den Kopf gesenkt und die langen dunkeln Wimpern schattig über die Augen gedeckt.

Der Förster schwieg eine geraume Zeit. »Ist's so?« fragte er endlich und seine Stimme zitterte vor Erregung und Entrüstung. »Quälen sie dich immerfort trotz all deiner lieben Güte? Peinigen sie dich bis in's Leben, daß ich nun solche Worte hören muß? Haben kann ich dich nicht, aber ich kann dich beschützen? wenn der Georg dich verläßt, ist kein Mann auf der Welt dir so nah wie ich; denn ich habe dich lieb, das weißt du. Was vertraust du mir nicht? Sprich ein Wort – soll ich mit ihm ernstlich reden? Ich scheue die Kreatur nicht, so wild und borstig sie auch thut. Oder ich schieße ihn nieder wie einen tollen Hund; denn ich weiß, wo er mir in's Gehege kommt, und nur um deinetwillen habe ich seither fünf gerade sein lassen und bin ihm aus dem Wege gegangen.«

Sie stand auf, trat langsam zum Zaun und legte ihre beiden Hände auf die seinen. »Hör', Fritz,« sprach sie ruhig und bestimmt, »das sollst du auch jetzt thun; du sollst ihm aus dem Wege gehen, wenn du mich lieb hast. Du kannst mir nicht helfen und darfst es nicht. Zwischen Eheleuten taugt kein Dritter. Sie müssen's eben mit einander ausmachen. Dahin werden wir auch noch kommen. Ich habe vorhin zu viel gesagt, der Augenblick riß mich fort, ich hatte so viel gedacht und mein Kopf war wild und schwach. Hassen will ich nicht und verzweifeln auch nicht. Und nun genug,« fuhr sie fort und zog sich zurück. »Nun geh'; ade, lieber Fritz. Es ist Zeit.« – Der Jäger sah sie lange und schweigend an, ihre Entschlossenheit berührte ihn unheimlich. »Else,« sagte er dann, »es ist nicht so wie es soll. Glaube mir, so geht das nicht weiter. Nur das Eine bedenke, daß dein Leben nicht dein's allein ist. Und nun gebe Gott dir Schlaf und Ruh'!« Er pfiff leise seinem Hund, und sich kurz abwendend ging er in den Wald.

Else stand und sah ihm nach, ihr Kopf fiel auf die Brust, ihre Hände falteten sich unwillkürlich. »Ja,« murmelte sie, »mein Leben ist nicht mein allein. Es ist ja auch meines Gottes und –« Sie vollendete nicht, sie hob die Hände und preßte sie gegen ihre Schläfe. »O,« murmelte sie wieder, »es thut nicht gut, nicht gut! Ich darf ihn so nicht wiedersehen« Dann richtete sie sich auf, strich das dunkle Haar tiefer unter den Strich der Mütze zurück und ging in's Haus und zur Ruhe. In der Kammer nebenan hörte sie, die Männer sprechen. Sie wachte noch, als Georg den Alten verließ und gleichfalls sein Lager suchte. –

Als Freidorf zeitig am andern Morgen erwachte und in die Küche trat, fand er alle Bewohner schon bei der täglichen Arbeit. Georg war mit den Leuten zum Mähen, der Alte selbst hatte sich auf die Füße gemacht, um nach einer Wiese zu sehen, die er im Forst von der Krone gepachtet hatte, Frau und Magd hatten im Hause mit den Zurüstungen zum Mittagessen zu thun. Else besorgte jetzt das Frühstück des jungen Mannes freundlich und rasch, ohne vieles Reden, und ging dann wieder an die Arbeit des Kartoffelschälens. Er saß in der Wirthsstube, aber die Thür nach der Küche stand auf und in dem durch ein hinteres Fenster erhellten Raum war die Gestalt und das Gesicht der am Herd sitzenden ihm ganz sichtbar. Mehr als einmal sah er aufmerksam und nachdenklich zu ihr hinüber, denn was er selbst bemerkt, was Frühauf ihm von ihr erzählt hatte, vereinigte sich nun mit dem, was er vor sich sah, zu einem ihn lebhaft interessirenden Ganzen.

Als er aufstehend und hinausgehend ein Gespräch über dies und das mit ihr anknüpfte, fühlte er sich noch mehr angezogen. Ihre raschen und sichern Bewegungen enthüllten eine einfache Anmuth, der stille Ernst des schönen mächtigen Auges sprach von reicher Erfahrung und vielem tiefem Nachdenken, wenn dies auch nicht aus manchen überraschend klaren und scharfen Aeußerungen, aus mancher fast geistvollen Wendung hervorgeleuchtet hätte. Und über alle dem lag eine ruhige sanfte Freundlichkeit, die dem jungen Mann wohlthuend in's Herz drang. Denn wie sehr auch Schweigsamkeit, Starrheit und Kälte sie verändert haben mochten, das ursprünglich Schöne und Anmuthige dieser reichen Natur war unverwüstlich und drang überall durch. Freidorf wußte und sah es, daß sie sich nicht glücklich fühlte, und mit wirklicher Theilnahme reichte er ihr zum Abschied die Hand. Denn selten empfindet ein junges und edles Herz die Schwäche und Unzulänglichkeit seiner menschlichen Natur, seiner Kräfte und Mittel so tief und so klar, als wenn es eines Andern Unglück erkannt und theilnehmend beklagt hat, wenn es mit voller Liebe und bestem Willen helfen möchte und doch nirgends weder die Mittel findet noch die Möglichkeit sieht, diese Hülfe zu bethätigen.

»Leben Sie wohl, meine liebe Frau,« sagte er. »Ob ich schon in der Nähe bleibe, möchte ich Sie doch lange nicht wieder sehen, und ich wünsche Ihnen daher für Ihr weiteres Leben alles mögliche Gute.« Sie stand vor ihm am Tisch, auf dem er die Zeche berichtigt, ungezwungen und ruhig. Auf seine herzlichen Worte schloß sie langsam und mit einem weichen Lächeln eine Sekunde lang ihre Augen, sie hob den Kopf ein wenig hintenüber und schüttelte ihn leicht, als ob sie die aus der Haube hervortretenden Haare zurückdrängen wollte, eine Bewegung, so schnell, so ungesucht, und doch voll einer milden Trauer und der einfachsten, unnachahmlichsten Anmuth. »Wie Gott will!« sprach sie dann. »Lebt wohl und gesund, Herr Assistent.«

Er ging in den Stall, sattelte sein Pferd und brach dann auf. Die Frauen waren mit ihm vor's Thor getreten und sahen ihm nach, wie er die Straße links entlang ritt. »Das ist ein schmucker Herr und ein gutes junges Blut,« sagte die hinter der Frau in der Thür stehende Magd. – »Ja,« versetzte Else und kehrte in's Haus zurück, »er ist zu gut für uns und unser Treiben hier, er schickt sich nicht hinein. Und der Herrgott gebe, daß er im Leben sich nicht hineinschicken lernt. Es wäre schade um ihn.« Sie schüttelte still vor sich den Kopf und setzte sich zur Arbeit; sie mochte vielleicht denken, was Gott die Menschen doch so gar verschieden geschaffen, und was das Geschick sie auch wieder auf so verschiedenen und anscheinend so wenig richtigen Wegen dahin führe.

Der Beamte ritt indessen seines Wegs, wandte sich um die Grenze des Gartens und verfolgte den Steig in's Holz, welchen er am vergangenen Abend mit dem Grenzjäger beschritten hatte. Auch er mochte ziemlich denselben Gedanken nachhängen wie die stille Frau im Kruge, und so gelangte er unmerklich weiter und weiter in den Wald, der sich allerwärts dicht und grün zur Höhe hob.

Wenn irgendwo, greift hier der Wald und die Poesie seiner Einsamkeit tief in das Leben und die Gedanken der Menschen hinein; denn das Land, wo sich unsere Erzählung entwickelt, prangt noch mit vielen und nicht unbedeutenden Wäldern, die man in den Ebenen Preußens oder über die Höhen des mittleren und südwestlichen Deutschlands hin vielleicht ausgedehnter, aber sicher nicht laubiger und dichter, nicht einsamer und schöner findet. Vor allen andern ist es der sogenannte Kronforst, den man auch jetzt noch als eine der schönsten deutschen Waldungen preisen kann. Damals erstreckte er sich, etwa sechs bis acht Stunden in der Länge und drei bis vier in der Breite haltend, ungelichtet und frisch längs des Flusses hin, der hier die Grenze bildet. Diese bedeutende Fläche war damals nur von wenigen Holzwegen und Fußsteigen, so wie von zwei oder drei sogenannten Alleen durchbrochen, das heißt von breiten, schnurgeraden Wegen, die man vor Zeiten einmal für die großen Jagden ausgehauen hatte. Vornean war dichter hoher Wald, weiter hinein jedoch fiel das Terrain ziemlich rasch und steil ab und verflachte sich zu weit ausgedehnten Brüchen, wo fester Boden, feuchte Strecken, große spiegelklare Seen und öde, gefährliche Sumpfflächen auf das bunteste abwechselten und durcheinander lagen. Noch weiter gegen den trüben, langsamen Fluß zu ging dies alles dann in einen nur mit Weiden, Erlen und sonstigem Gestrüpp bewachsenen pfadlosen Sumpf über.

Dieses Terrains nun hatte sich der Schleichhandel zu seinen Wegen bemächtigt: die Schmuggler allein waren im Allgemeinen mit den Pfaden bekannt, auf denen man Moor und Sumpf überschreiten konnte, und die genaue Kenntniß besaßen sogar nur wenige Führer, welche das Geheimniß auf's strengste und eifersüchtigste bewahrten. Hier hatten die Zollbeamten bisher nie vorzudringen vermocht, nicht einmal die Ausgänge der Wege waren von ihnen entdeckt worden, und das spurlose Verschwinden einiger der besten und kühnsten Leute mahnte die übrigen zur Vorsicht auf einem Boden, der selbst im strengen Winter nicht zu beschreiten, und wo nach einem einzigen Fehltritt oder Sprung selbst der Gewandte und Kaltblütige sich nicht immer mehr zu retten im Stande war.

Der Steig, auf welchem Freidorf in die Waldung ritt, war ursprünglich ein Fahrweg gewesen, den die Anwohner früher zur Herausschaffung ihres Holzes benützt hatten,; seit jedoch die neue Regierung eine andere und strengere Forstkultur in's Land gebracht, war er gelegt worden, wurde meistens nur noch von Fußgängern gebraucht, und die drei oder vier Jahre waren hinreichend gewesen, ihn vollkommen für jedes Fuhrwerk zu ruiniren. Die Gräben an den Seiten waren theilweise bereits eingesunken, die Büsche drängten sich schon lustig daraus hervor, sie schlugen auf aus denselben, sie sproßten aus den alten Geleisen, sie schossen aus dem Wege selbst. Auch der Rasen zeigte sich schon; wo ein Schößling von hastigen Wanderern zerbrochen oder zertreten war, setzte sich bereits Moos um den kleinen Stumpf; Erd- und Heidelbeeren kamen bedächtig über den Graben herbeigekrochen und legten ihre Ranken und kleinen Zweige schon zierlich zurecht und grüßten den Epheu und das Geißblatt, die über die Büsche hereinnickten; kurz das alles kam zwar noch schwach und gleichsam mißtrauisch, aber doch auch wieder recht unverzagt und munter. Es waren die Vorposten des Waldes, der wieder einziehen wollte in sein altes, lang verlorenes Reich. Und der Wanderer schritt nicht mehr schnell hindurch und das Pferd selbst ging einen bedächtigen Schritt.

Ringsum lag es dicht und grün; da hob sich Baum an Baum, Eiche und Buche, Ahorn und Esche, der wilde Kirschbaum und die trotzige Sturmweide, die schlanke Fichte und die prächtige Tanne hin und wider mitten drunter, und dazwischen drängten sich die Stauden zur schwanken, schier undurchdringlichen Mauer. Hoch oben hatten sich die alten Bäume immer zusammengewölbt, weiter unten schlangen jetzt aber auch die Büsche ihre Zweige ineinander und deckten ihre Blätter zum luftigen, zierlichen Gewölbe zusammen. In der Höhe war alles Licht, an den hellern Stellen konnte man in niedrig stehenden Blättern die Aederchen unterscheiden und das ganze Gewebe, aber hier unten war es tief dämmerig und schattig; kaum vermochte sich hie und da ein einziger Sonnenstrahl durchzudrängen, und dann war er so fein und zitterte, als ob er sich fürchte in dieser Einsamkeit, fern von der Fülle des Glanzes und Schimmers, der er neugierig entschlüpft war. Droben murmelte und plauderte ein leiser Wind mit den Baumkronen, und dort riefen auch die Vögel und lärmten, die Amsel pfiff, die Häher schrien, die Spechte klopften, aber man sah sie nicht. Hier unten schlüpfte vielleicht eine kleine bunte Schlange vorüber, oder ein Frosch hüpfte über den Pfad, ein Käfer lief hurtig den Weg entlang, eine Schnecke kroch langsam durch das feuchte Moos; allein das alles ging lautlos dahin und das Ohr erlauschte keine Bewegung. Oder da – es raschelt und schwirrt flüchtig im Laub, im Busch, und nun ist es wieder still. War es ein Reh gewesen? oder ein Eichhorn? ein Vogel? – Wer konnte das wissen!


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