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Es herbstelt

Meine sehr verehrten Damen und Herrn!

Als ich zuhause in meinem Bibliothekzimmer am Schreibtisch saß, um das Manuskript zu meinem heutigen Vortrage zu beginnen, da war mir als ob von allen Regalen alle Bücher zu mir herabsteigen wollten – mir war, als ob jedes einzelne Buch mir zuriefe: »Mich, ja, mich mußt du in deinem Vortrag erwähnen!«

[Eine Zeile fehlt im Buch. Re.] ist jedem etwas eingefallen.

Na, dieser Wachtraum war – wie alle Wachträume ein bißchen übertrieben.

Aber nur ein bißchen!

Denn beinahe stimmt es.

Beinahe kann man behaupten, daß jeder Dichter, zum mindesten: jeder reife Dichter, etwas Schönes über den Herbst gesagt hat. Der eine über die Herrlichkeiten des Herbstes, der andre über die Niederträchtigkeit des Herbstes. Der Herbst ist so recht geeignet, in jedem Gemüte die Lampe der Nachdenklichkeit zu entzünden. Er drängt uns die Vergleiche förmlich auf, die Vergleiche zwischen den Jahreszeiten einerseits und dem Menschenleben andererseits.

Mancher große Schriftsteller brachte es nicht übers Herz, den Frühling zu besingen, weil gerade das, was wir Frühlingsgefühle nennen, ihm zu zart erschien, als daß er solche Geheimnisse hätte entschleiern mögen. Aber über den Herbst durfte jeder schreiben, dem etwas einfiel, und es

Man kann schwer einen deutschen Vortrag halten, ohne den Namen Goethe zu nennen. Ich verkenne, trotz meiner leidenschaftlichen Goetheverehrung, durchaus nicht, daß dieses ewige Goethe-Zitieren schließlich manchem Rundfunkhörer auf die Nerven fällt. Aber ich bitte Sie, meine verehrten Damen und Herren, trotzdem jetzt nicht sofort Ihren Apparat abzudrehen, wenn auch ich beim Auftakt meiner Herbst-Skizze den großen Unsterblichen beschwöre. Es sind nur sechzehn Goethe-Zeilen, die ich sagen will. Es ist das kurze Goethe'sche Gedicht:

»Herbstgefühl«

und die sechzehn kurzen Zeilen lauten:

Fetter grüne, du Laub,
Am Rebengeländer
Hier mein Fenster herauf!
Gedrängter quellet,
Zwillingsbeeren, und reifet
Schneller und glänzend voller!
Euch brütet der Mutter Sonne
Scheideblick, euch umsäuselt
Des holden Himmels
Fruchtende Fülle;
Euch kühlet des Mondes
Freundlicher Zauberhauch,
Und euch betauen, ach,
Aus diesen Augen
Der ewig lebenden Liebe
Vollschwellende Tränen.

Uebrigens verspreche ich Ihnen, meine Damen und Herren, daß diese Tränen die einzigen sind, die in meinem Vortrage drahtlos vergossen werden sollen, von jetzt ab wollen wir für die nächste Viertelstunde den Herbst von seinen heiteren Seiten betrachten.

In Deutschland, das den weintragenden Rheingau, den Maingau und das Frankenland umschließt, das die rebenbekränzten Hügel an Mosel, Saar und Ruwer seinen Schmuck nennt, in Deutschland kann es nicht Wunder nehmen, daß durch die Herbstlieder aller Dichter der Duft deutscher Trauben zieht. Im Grunde genommen könnten die Dichter im Herbst auch jedes andere Getränk mit dem gleichen Rechte besingen. Auch die alkoholfreien Getränke. Zum Beispiel die Milch und das Mineralwasser. Bitte meine Damen und Herren, widersprechen Sie mir nicht! Auch für die Milch ist die Herbstzeit ungeheuer wichtig, denn sie umfaßt die Vorbereitungsarbeiten für die zahlreichen Wintermonate. Würde im Herbst nicht das Viehfutter in den Scheunen lagern – woher sollten wir in der Kälteperiode des Jahres die Milch bekommen, die gerade bei Eis- und Schnee-Wetter dem Körper von Groß und Klein so wohl tut? Und was die Mineralwässer anbelangt – meine Damen und Herren, denken Sie mal ein bißchen nach! Glauben Sie wirklich, es sei so ungefährlich, bei zwanzig Grad Kälte Wasser mit der Bahn zu versenden? Oder sind Sie der Ansicht, daß bei solchen Temperaturen der bekannte Knabe an der bekannten Quelle sitzt und dabei Mineralwasser auf Flaschen zieht? Nein! Der Herbst ist auch die Zeit der Mineralgewässer, da müssen sie abgefüllt und verwandt werden, damit der moderne Kulturmensch sie in der Weltstadt wie auf seinem Bauerngute selbst beim strengsten Frost nicht zu missen braucht.

 

Um langsam wieder zum poetischen deutschen Herbst-Thema, dem Traubensafte, zurückzukehren, muß ich noch im Vorübergehen davon sprechen, daß eigentlich die Biertrinker – und deren gibt es ja in Deutschland mindestens ebenso viele wie Milch- und Mineralwasser-Genießer – ein gewisses Anrecht auf Herbstlieder hätten, aber da hapert's. Wenn ein Deutscher schon den Herbst besingt, so will er nichts davon wissen, daß auch für den Hopfen und für das Malz der Herbst eine bedeutungsvolle Zeit ist, sondern jeder deutsche Poet fühlt sich verpflichtet, auch wenn ihm sein Glas »Helles« oder »Echtes« noch so trefflich mundet, den Herbstgesang auf das Thema »Wein, Weib und Gesang« abzustimmen. Na ja, das »Helle« und das »Echte« in allen Ehren – aber es klänge eben doch ein bißchen poesiewidrig, wenn man sagen wollte: »Bier, Weib und Gesang«. Wobei übrigens noch betont werden muß, daß der alte Spruch

»Wer nicht liebt Weib, Wein und Gesang,
Der bleibt ein Narr sein Leben lang,«

zwar sehr häufig dem Doktor Martin Luther in die Schuhe geschoben wird, aber trotzdem keineswegs von Luther herrührt. Er findet sich nicht in Luthers Schriften und Aufzeichnungen, sondern ist erst im achtzehnten Jahrhundert aufgekommen. Gegen diese Tatsache kann man nicht an.

Und noch eine andere Tatsache will ans Licht: meine Damen und Herren – an welchem Tage fängt der Herbst an? Wie, bitte? Sie meinen: am einundzwanzigsten September? Annähernd ist das ja richtig. Aber nicht ganz. Auf der nördlichen Halbkugel der Erde, und da halte ich ja meinen Vortrag, wenn er vielleicht auch auf der südlichen hörbar ist – beginnt der astronomische Herbst am 23. September und dauert bis 21. Dezember. Auf der südlichen Halbkugel beginnt er am 21. März und dauert bis zum 21. Juni! Im Norden ist die Herbstdauer also drei Tage länger als im Süden. Etwas anderes ist der meteorologische Herbst, der beginnt mit dem 1. September und dauert bis Ende November. Die deutsche Landwirtschaft endlich versteht unter Herbst einfach die Zeit des Einsammelns der Früchte. Und insbesondere der Weinbauer begreift unter Herbst die Zeit der Weinlese. Für den Menschen als solchen beginnt der Herbst, der Herbst des Lebens, zumeist mit einer nicht allzutragisch zu nehmenden Äußerlichkeit, nämlich mit dem Ergrauen seiner Haare. Nicht umsonst reimt sich da auf » der Herbst« die Wendung: » du färbst«! Und das ist das Merkwürdige: wenn denn schon einmal gefärbt werden muß, dann färbt der Mann sein Haupthaar dunkel, die Frauen aber färben es lieber hell. Blond. So hellblond wie möglich!

 

Wasserstoffsuperoxyd,
Dir gilt mein Lied!
Wasserhell rieseltst du raus aus der Flasche,
Daß man mit dir sich das Frauenhaar wasche.
War der Bubikopf morgens noch braun,
Abends ist er schon goldblond zu schaun,
Morgens da war er noch schwarz wie die Nacht,
Abends erglänzt er in sonniger Pracht,
Glänzt wie ein Christbaum mit Tausenden Flittern,
Macht allen Männern die Herzen erzittern ...
Was er frühmorgens durchaus nicht gekonnt!
Denn jeder Jüngling von heute liebt blond.
Blond ist die Farbe, für die er erglüht –
Heiliges Wasserstoffsuperoxyd!

Kamillenextrakt,
Dir klingt mein Sang in tönendem Takt!
Wenn du den Frauen ins Haar hinein kriechst,
Und dort nach Zahnschmerz und Magenweh riechst,
Schaffst du ein Wunder, das kaum zu erfassen,
Läßt du das dunkelste Haupthaar erblassen.
Dürftigen schwärzlichen, bräunlichen Reizen
Hilfst du zur Farbe von üppigem Weizen.
Zahnschmerz- und Magenweh-Duft, der verfliegt,
Aber die Blondheit, die bleibt und die siegt.
Dich, o, Kamille, frißt gern jede Kuh
Sämtliche Ochsen bezauberst du,
Jegliches Männerherz fühlt sich gepackt
Vom Kamillenextrakt.

Salmiak-Geist!
Du den meine Dichtung preist!
Herrliche Dünste, die dir entquillen,
Mahnen so schön an Lakritzenpastillen.
Mückenstich heilt, wenn du ihn beklexest,
Blondheit entsteht, wo du sie erhexest!
Wasserstoff, Salmiak und Kamillen,
Ihr drei verändert des Weltschöpfers Willen.
Er wollt': es gäbe der Haarfarben vier,
Nur eine einzige – blond – wollt ihr!
Ihr habt die Schöpfung ins Wanken gekriegt,
Blond gibt es nur noch, und blond, das genügt,
Blond ist heut' Allerweltsgeschmack:
Heil Kamille, Oxyd und Salmiak!

*

Mein Gott, ich – ich bin ja nur ein Humorist. Aber was die richtigen Dichter sind, die gewinnen dem Herbst ganz andere Seiten ab. Friedrich Rückert, der mir als der reingewandteste unter den deutschen Poeten erscheint, singt diese herbstlichen Verse:

»Wein ist der Glättstein
Des Trübsinns, der Wetzstein
Des Stumpfsinns, der Breitstein
Des Siegers im Schach.
Ja, Wein ist der Meister
Der Menschen und Geister,
Der Feige macht dreister
Und stärket, was schwach;
Der Kranke gesund macht,
Blaßwangiges bunt macht,
Verborgenes kund macht
Und Morgen aus Nacht

und bei anderer Gelegenheit dichtet Friedrich Rückert über das gleiche Thema:

»Man kann, wenn wir es überlegen,
Wein trinken, fünf Ursachen wegen:
Einmal, um eines Festtags willen;
Sodann, vorhandnen Durst zu stillen;
Ingleichen künftigen abzuwehren,
Ferner dem guten Wein zu Ehren,
Und endlich um jeder Ursach' willen.«

Da es meine Spezialität ist, ein bißchen in allgemeine Irrtümer hineinzuleuchten, sei hier erwähnt, daß der so gerne in deutsche Dichtungen hineingereimte »Muskateller« durchaus kein fremdländisches Erzeugnis ist. Der Muskateller ist ein biederer Frankenwein, wächst bei Eschernborn am Main, und von ihm sang schon vor dreihundert Jahren Johannes Fischart das noch heute lebende Liedlein:

»Der liebste Buhle, den ich han,
Der liegt beim Wirt im Keller;
Er hat ein hölzins Röcklin an
Und heißt der Muskateller.«

Ein stürmischer Verehrer des Frankenweins war selbstverständlich auch der fröhliche Dichter Viktor von Scheffel. Aus seinem herbstlichen » Wanderlied« möchte ich diese Verse hier zitieren:

Wohlauf, die Luft geht frisch und rein,
Wer lange sitzt muß rosten!
Den allersonnigsten Sonnenschein
Läßt uns der Himmel kosten.

Zum heiligen Veit von Staffelstein
Komm ich emporgestiegen
Und seh' die Lande um den Main
Zu meinen Füßen liegen:
Von Bamberg bis zum Grabfeldgau
Umrahmen Berg und Hügel
Die breite, stromdurchglänzte Au –
Ich wollt' mir wüchsen Flügel.

Einsiedelmann ist nicht zu Haus,
Dieweil es Zeit zu mähen;
Ich seh' ihn an der Halde draus
Bei einer Schnittrin stehen.
Verfahrner Schüler Stoßgebet
Heißt: Herr, gib uns zu trinken!
Doch wer bei schöner Schnittrin steht,
Dem mag man lange winken.

Einsiedel, das war mißgetan,
Daß du dich hubst von hinnen!
Es liegt, ich seh's dem Keller an,
Ein guter Jahrgang drinnen.
Hoiho! die Pforten brech' ich ein
Und trinke, was ich finde ...
Du Heilger Veit von Staffelstein,
Verzeih' mir Durst und Sünde!

*

Uebrigens, da hab' ich vorhin etwas Falsches gesagt. Ich habe behauptet, daß es den alkoholfreien Getränken an Sängern fehle. Das ist nicht wahr. Mir fällt da eben ein allerliebster Vers des gütigen, weisen Dichters Johannes Trojan ein – kein Weingedicht, kein Biergedicht, sondern ein Milchgedicht, es heißt:

Das pessimistische Flaschenkind

Da lieg ich nun und schrei mich matt,
Keine Menschenseel erwacht.
Wie ist das Leben so schal und leer!
Ich hab' es mir anders gedacht.

Man hat mich getauft, ich weiß nicht wie,
Man hat mich geimpft sogar,
Obgleich ich gegen das Taufen sowohl
Wie gegen das Impfen war.

Drei silberne Löffel, die sind mein,
All mein Vermögen bis jetzt.
Wer weiß aber, wo die heut schon sind –
Sie sind gewiß schon versetzt!

Nur Milch bekomm' ich und nichts als Milch,
Ich mag sie schon gar nicht mehr.
Keine Abwechslung im Ernährungsgang,
Niemals der kleinste Likör!

Nur Milch, nur Milch und nichts als Milch,
Niemals ein andres Getränk!
Und die Masern steh'n mir auch noch bevor,
Mich schaudert, wenn ich dran denk!

Und dieselbe Umgebung, blöd und stumpf,
Glotzt Tag für Tag mich an.
Davon laufen möcht' ich! Wehe mir,
Daß ich noch nicht laufen kann!

Das Leben ist, ich merk' es schon,
Ein ewiges Einerlei:
Man wird naß und wird wieder trocken gelegt –
O wär' erst alles vorbei!

*

Für den Weltstädter, wofern er das nötige Kleingeld hat, was er aber meistens nicht hat, haben Sie es etwa? Ich habe es auch nicht. Aber, um wieder in meinen angefangenen Satz hineinzukommen, für den Weltstädter ist der Herbst das Zeichen zum Saisonbeginn. Saison heißt für den richtigen Weltstädter, wenn er das nötige Klein... aber das hab' ich ja schon gesagt, also Saison heißt: Theater, Kino, Gesellschaften.

Kino. Ja, das wäre ja schon recht schön. Wenn man nur auch im Parkett verstünde, was auf der Flimmerleinwand des Kinos da oben vorgeht!

Wenn ich im Parkettraum des Kintopps sitze...
Wie sehr ich auch Augen und Ohren spitze,
Ich fühle trotzdem, daß ich nicht erriet,
Was eigentlich auf dem Film geschieht!
Die Menschen, die über die Leinwand rollen,
Ich weiß nicht, was sie bedeuten wollen;
Ob das der Vater ist, oder der Sohn ist,
Ob das der Bankier oder ob's der Baron ist, -
Ob das der Fürst ist, ob der Gesandte,
Ob das die Nichte ist oder die Tante,
Ich hab' keine Ahnung, ich kenn mich nicht aus,
Ich werde da nimmermehr klug daraus!
Wer ist's? der da schleicht durch die finstern Gemächer –?
Der Detektiv–? oder der Verbrecher –?
Warum hat er sich hinterm Vorhang verborgen?
Warum heißt's nun plötzlich: »... Am andern Morgen –?«
Wie kommt Neuyork zum Potsdamerplatze?
Was kitzelt die Dame den Herrn auf der Glatze –?
Warum trägt die Stallmagd ein seidenes Kleid –?
Ich werd' aus dem ganzen Betrieb nicht gescheit!
Der klebt sich 'nen Bart; wozu die Verwandlung?
Wie endete die Gerichtsverhandlung?
Was ist's mit dem Zeichen, das jetzt der Spion macht?
Ist die Gräfin tot? oder ist das bloß Ohnmacht?
Wie kamen die Bräutigams plötzlich zu Bräuten?
Ich weiß nicht! Ich weiß nicht, was soll es bedeuten!

Ja, ich – ich weiß nicht was soll es bedeuten;
Ganz anders geht das den anderen Leuten.
Die andren, die vor mir und hinter mir,
Die wissen Bescheid in allem hier;
Ich höre sie reden, ich höre sie flüstern,
Ich hör' sie, wenn Licht ist, ich hör' sie im Düstern,
Ich höre neidvoll, mit Gift und Gall', es:
Die anderen Leute – die wissen alles!
Daß dies der Sohn ist, daß das der Baron ist,
Daß der der Gesandte, daß die dort die Tante,
Daß der der Verbrecher, daß jener der Rächer;
Sie wissen, warum man den Grafen bespitzelt,
Warum die Dame den Glatzenmann kitzelt,
And sie sagen, des sicheren Blickes froh:
»Die Gräfin ist nich dot; die tut bloß so
Stumm höre ich zu. Zwar stimmt es mich grämlich,
Daß die andern so klug sind und ich so dämlich...
Aber schließlich, wer weiß? manch' einer im Saal
Sieht's vielleicht heut' schon zum zweiten Mal?
Da hat er gut reden und gut erklären
Und gnädig von seiner Weißheit bescheren – –
Schon hundertmal hab' ich mir vorgenommen:
Gleich » morgen« werde ich wiederkommen
Und, wenn dann die Bilder flimmernd wandern,
Dann leg' ich los und erkläre den andern ...

Doch es glückte mir nie, mir belämmertem Lamm,
Denn »morgen«... war allemal neues Programm.

 

Das ist also – wenn auch nicht immer, so doch häufig genug – mein persönliches Verhältnis zu den Lichtbildtheatern. Und was die sogenannten »Gesellschaften« anbelangt – ich probier's jetzt schon seit einigen Jahrzehnten, aber sehr wohl hab' ich mich da nie gefühlt. Mir wird da – zu viel gelogen!

 

Ein kleines Beispiel, das ich jüngst persönlich erlebte:

Wir lernten vor kurzer Zeit
Bei einer Festlichkeit
Eine reizende junge Dame kennen.
Wir wollten uns das Vergnügen gönnen,
Sie auch bei kleinen häuslichen Festen
Zu unseren Gästen
Zählen zu können,
Sie war so wohlerzogen und sein.
Wir luden sie ein.

Sie kam.
Also wie die sich benahm!
Beim Eintritt, die Diele kaum erblickend,
Fand sie unsere Wohnung »... entzückend ...«,
Die Straße schon sei »... so ruhig, ganz reizend ...«
Der Kamin im Korridor »... wundervoll heizend ...«

Beim Anblick vom Biedermeierzimmer
Erglänzte ihr Blick im Begeisterungs-Schimmer:
»... die alten Möbel... die süßen, netten ...
... mein Gott ... diese herrlichen Silhouetten ...«

Das Mädchen meldet: »Es ist serviert,«
Ich habe die Dame zur Tafel geführt.
Sie sah den Tisch. Vor Begeisterungsfieber
Schnappte sie über.

»... die Blumen ... Floras lieblichste Kinder...
... und fast schon im Winter! ...
... vor meinem Platz ein ganzer Pack voll! ...
... nein wie geschmackvoll ...«

Was nun das Tafelgespräch anbelangt:
Mir hat vor ihrem Entzücken – gebangt!
Ich sprach von tiefen Themen und flachen,
Als Quittung ... bog sie sich stets vor Lachen.
Was ich auch redete, sie fand:
»... so komisch! ... wie geistreich!... ach, amüsant!«
So ging es die ganze Mahlzeit lang.
Sie lobte auch jeden einzelnen Gang:
»... so gut hat mir's lange nicht geschmeckt ...«
Sie pries das Bier, den Wein, den Sekt,
Pries mich als des Menü's Verfasser,
Sie lobte sogar das Fachinger Wasser,
Es munde »... zu köstlich, perlend und frisch
Wie nie sonst an einem privaten Tisch ...«

Der Kaffee kam. »... nein! Sèvres–Tassen ...
... so zierlich, man traut sich nicht anzufassen ...
... wie der Mokka duftet... des Orients Hauch –
– und echten Kristallzucker haben Sie auch

Dann, nach dem Souper war Gesang mit Klavier.
Die junge Dame saß neben mir
Und lobte sonder Maß und Zügel:
»... die Stimme! ... das Spiel ... ach, Strauß!
... der Flügel

Als ich sie kurz aus den Augen verlor,
Fand ich sie wieder – im Korridor;
Sie schaute in einen Spiegel hinein,
Besah sich und glaubte sich allein.
Von ganzer Seele gähnte sie da
So richtig herz- und nervenerlabend:
»Uaaaaaaaaaaaaah!«

Ich schlich mich ungesehen fort.
Das »Uah« war ihr einziges wahres Wort
An diesem ganzen Abend.

*

Jetzt ist das Ende des Vortrags da,
Sonst sagen Sie selber auch noch: »Uah!«
Das wäre durchaus nicht mein Begehren;
Schluß also! und auf Wiederhören!


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