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Das Freifräulein.

(1889)

 

[68] [69]

Wie es zuging, daß diese Geschichte, die drei Jahrzehnte lang in einem Winkel meines Gedächtnisses geruht hat, auf einmal wieder mit allen Einzelzügen so lebendig vor mich hintrat, daß ich der Versuchung, sie aufzuschreiben, nicht widerstehen kann, wüßte ich nicht zu sagen. Von Allen, die darin mitspielen, habe ich nur einen Einzigen gekannt. Auch dieser hat mich in Person nicht an sich erinnern können; er schläft schon lange den letzten Schlaf, und sein Name ist in der Welt verschollen. Das kleine Kunstwerk aber, das ich von ihm besitze, – er war ein Landschaftsmaler – habe ich unzählige Male betrachtet, ohne daß ich den Drang gespürt hätte, der Welt zu erzählen, was ich von seinem Urheber weiß.

Wer ihm freilich jemals nahegetreten war, hat ihn schwerlich je wieder vergessen.

Er war ein stattlicher Mensch, der den Frauen auf den ersten Blick gefiel und den Männern, ehe er noch ein Wort gesprochen, den Eindruck eines Charakterkopfs [70] machte, der sein eigenes Leben lebte, auf eigene Rechnung und Gefahr. Als ein echter Sohn seiner schleswigholsteinischen Heimath hoch und schlank aufgeschossen, trug er das Haupt mit dem dichten blonden Haar aufrecht auf den breiten Schultern, der ins Röthliche spielende Bart umgab ein feines Gesicht von zarter Farbe wie die Haut eines jungen Mädchens, und unter den lichten Brauen blickten ernsthafte Augen hervor von so tiefer Bläue, daß man sie zuerst für schwarz zu halten geneigt war. Dazu die zierlichsten Hände und Füße und eine sanfte, leichtumschleierte Stimme. Gleichwohl hatte ihn Niemand, der nur zwei Worte mit ihm getauscht, im Verdacht der geringsten weiblichen Schwäche, ja die Meisten klagten über einen herben und scharfen Grundzug seines Wesens, und empfindsame Damen erklärten, er sei kalt wie Nordlandseis. Ihn selbst kümmerte es am wenigsten, was man von ihm dachte und sprach. Obwohl er mit Leidenschaft an seinem Künstlerberufe hing und mit reiner Ueberzeugung auf seinem Wege fortging, kam er doch nicht zu einer vollen inneren Ruhe. Eine stille, zornige Schwermuth lag im Grunde seiner Seele, da er das Schicksal der Herzogthümer beständig vor Augen hatte und die Politik der Großmächte für ebenso unwürdig wie verderblich hielt. Das gab ihm eine schroffe Haltung seinen süddeutschen Kunstgenossen gegenüber, die seine Gesinnung nicht begriffen und der Politik fern zu bleiben pflegten, und nachdem er einige [71] unliebsame Scenen verursacht hatte, da er nach eigensinnigem Schweigen mit bitterer, wilder Empörung ausgebrochen war, hatte er sich ganz zurückgezogen und lebte mit seiner klugen kleinen Frau, die ihn völlig verstand, und zwei schönen Kindern in einer der entlegneren Straßen Münchens nur seiner Kunst und zwei oder drei alten Freunden, denen im Lauf der Zeit auch ich mich gesellen durfte, nachdem zuerst unsere Frauen Gelegenheit gehabt hatten, sich einander zu nähern.

Wie wir Männer zu einander standen, war mir lange fraglich geblieben. Er wußte, daß ich mit seiner Kunstanschauung, die in der Natur einzig und allein die strenge Form und den Adel der Silhouette suchte und den Reiz der Stimmung verschmähte, nicht völlig einverstanden war, wie auch ich es immer als eine Ausnahme empfand, wenn er einmal eine meiner Arbeiten seines Lobes würdigte. Mit Aeußerungen zarterer Gefühle war er überhaupt sparsam, obwohl Niemand ihn der Kälte zeihen konnte, der Zeuge war, wie seine Augen von einem stillen Feuer brannten, wenn er mit Weib und Kindern zu Tische saß, oder Abends an die kleinen Betten trat, dem Knaben zur guten Nacht die Hand zu schütteln wie einem alten Freunde, und dem goldblonden kleinen Mädchen, seinem Ebenbild, sacht über das Haar zu streichen. Daß er die Kinder geküßt hätte, entsinne ich mich nicht je gesehen zu haben.

Indem ich nun so Jahr und Tag neben ihm hin [72]lebte, da wir uns an einem bestimmten Abend der Woche mit unseren Frauen bei der nordischen Theemaschine zusammenfanden, hatte ich mich der alterprobten Lebensweisheit getröstet, auch von diesem seltenen Menschen nicht mehr zu verlangen, als er aus freien Stücken geben wollte, und an die Möglichkeit nicht gedacht, daß unser Verkehr eine wärmere Tonart annehmen könne. Um so freudiger war ich überrascht, als am Weihnachtsabend im zweiten Jahr unserer Bekanntschaft mir das liebenswürdigste Christgeschenk von ihm überbracht wurde, das ich mir nur hätte wünschen können.

Ein Skizzchen von jener alten, wunderlichen Kirche, die auf dem schroffen Vorgebirge von Portovenere den schmalen Thurm mit der weiß und schwarz gestreiften Marmorbekleidung hoch über dem blauen Meer in die Lüfte hebt, ganz von unten gesehen, badende Knaben um die Klippen, an denen der weiße Gischt hoch aufsprüht, während graue Seevögel hin und wieder streifen.

Ich hatte die kleine Leinwand im Atelier unter anderen seiner Studien nach südlichen Gegenden an der Wand hängen sehen und war oft genug davor stehen geblieben, da sich mir reizende Jugenderinnerungen an diese Stätte knüpften. Wir hatten kein Wort darüber gesprochen. Nun schickte er mir diesen meinen Liebling in einem schlichten dunklen Rähmchen, wie sich's für die Studie schickte, mit einer Karte, auf der nur der bekannte Festgruß: »Vergnügte Feiertage!« geschrieben stand.

[73] Auch als Kind entsinne ich mich nicht durch irgend eine Christbescherung mehr erfreut worden zu sein und schämte mich freilich ein wenig, nicht auch irgend einen glücklichen Einfall, ihn zu erfreuen, gehabt, ja überhaupt nicht einmal daran gedacht zu haben.

Natürlich war mein erster Gang am Morgen des ersten Weihnachtstages zu dem Freunde, der mir die Feiertage so froh gemacht hatte. Denn ich wußte, daß er auf seine Studien mehr als auf seine ausgeführten Bilder Werth legte und sie nur ausnahmsweise an Solche verschenkte, denen er sich traulich nahe fühlte.

Als ich nach zweimaligem Klopfen, ohne das Herein! abzuwarten, das Atelier betrat, nach welchem die Magd mich gewiesen hatte, sah ich auf den ersten Blick, daß ich ungelegen kam. Mein Freund stand am Fenster, die Stirn gegen die Scheibe gedrückt, die Hände auf den Sims gestemmt. Das Geräusch auf der Gasse drunten hatte ihn mein Klopfen überhören lassen. Auf dem niedrigen Sopha, in die Kissen zurückgelehnt, lag seine Frau, ihr Tuch vor die Augen gedrückt. Als die Thüre ging, fuhren Beide in die Höhe und kehrten mir zwei Gesichter zu, die von einer noch frischen Aufregung verstört und geröthet waren.

Ich stammelte eine unbeholfene Entschuldigung, ich sähe, daß ich sie gestört hätte, sie möchten mich ohne Umstände wieder wegschicken. Ludwig aber – ich muß nun doch wenigstens seinen Vornamen nennen – be [74]zwang sich rasch, ging mit ausgestreckten Händen auf mich zu und sagte:

Sie sind es?! Das ist schön, daß Sie sich sehen lassen. Sie treffen uns nicht gerade in froher Feststimmung. Wir haben soeben eine Nachricht erhalten, die uns sehr erschüttert hat. Aber bleiben Sie ja! Gerade in solchen Stunden ist die Nähe eines Freundes doppelt wohlthuend.

Auch die Frau war aufgestanden und hatte mir mit leichtem Zunicken eine Hand geboten. Als ich dieselbe aber ergriff und herzlich drückte, gingen ihr von Neuem die Augen über. Sie wandte sich ab und sagte kaum hörbar:

Verzeihen Sie, ich muß – mich erst wieder sammeln. Ludwig wird Ihnen erklären –

Damit ging sie hinaus, durch eine andere Thür, die in das Eßzimmer führte. Ich konnte nur einen Augenblick den Weihnachtsbaum sehen, der auf dem Tisch in der Mitte stand, und die lieblichen Kindergesichter, die sichtbar betroffen von ihrem Spiel aufblickten und nicht wußten, was sie von den weinenden Augen der Mutter denken sollten.

Ich beeilte mich, um die verlegene Stille zwischen uns zu unterbrechen, dem Freunde den Grund meines frühen Besuchs zu erklären. Er schüttelte abwehrend den Kopf. Es sei nicht der Rede werth, ich mache viel zu viel Aufhebens von der Bagatelle. Nein, sagte ich, er [75] dürfe den Werth nicht herabsetzen; ich müsse sonst denken, es sei ihm beim Geben nicht so ums Herz gewesen wie mir beim Empfangen, es als ein Zeichen zu betrachten, daß das letzte Jahr uns einander herzlich nahe gebracht. Da sah er mich mit seinen ehrlichen dunklen Augen ernsthaft an.

Wenn Sie es so meinen, nun ja, ich hatte mir überlegt in diesen letzten Tagen, daß es doch eine gute Sache sei um die Freundschaft zwischen zwei Menschen, die so verschieden geartet sind wie wir. Ich habe oft gefunden: man muß sich nicht allzu ähnlich sehen, um sich auf die Dauer mit einander wohl zu fühlen. Die erste Illusion eines vollkommenen Einverständnisses ist ja ein himmlisches Gefühl. Aber sobald dann kleine Störungen des Einklangs kommen, thun sie um so empfindlicher weh. Wir dagegen haben uns – und er lächelte zum ersten Mal mitten durch seinen Trübsinn – im Zank befreundet, in einem heftigen ästhetischen Disput, wissen Sie noch? Sie machten mir meinen Poussin schlecht, und ich wollte Ihren Menzel nicht so ohne Vorbehalt gelten lassen. Dabei empfand doch Jeder, daß er es mit einem ehrlichen Kerl zu thun hatte, und der keine vergifteten Pfeile abschoß. Und dann waren wir um so froher, über so manches Andere einverstanden zu sein, und mir insbesondere gewährte es immer eine besondere Genugthuung, Ihnen einmal etwas zu Dank gemacht zu haben. Das allerdings sollte Ihnen [76] der kleine Leinwandfetzen sagen; ich sehe mit Vergnügen, daß er seine Schuldigkeit gethan hat.

Er wandte sich wieder dem Fenster zu und schien von Neuem in die Gedanken zu versinken, aus denen mein Eintritt ihn herausgerissen hatte. Ich trat vor die Staffelei, auf der ein großes Bild, ein Waldinneres mit einem Tempelchen, das sich in einem Weiher spiegelte, nur erst in flüchtiger Untermalung zu sehen war. Aber gerade seine Art, zu entwerfen, zog mich an, während seine letzte Hand oft eine gewisse Härte und allzu peinliche Deutlichkeit in die großempfundenen Formen brachte.

Doch nachdem ich mit ein paar Naturlauten meiner Freude an dem Werk Ausdruck gegeben und gemerkt hatte, daß in diesem Augenblick selbst seine Arbeit ihm sehr gleichgültig war, griff ich nach meinem Hut und näherte mich ihm, um Abschied zu nehmen.

Voglio levarvi l'incomodo! sagte ich.

Er kehrte sich aber rasch nach mir um und faßte mich am Arm.

Nein, sagte er, bleiben Sie. Warum wollen Sie gehen mit dem stillen Verdacht, ich hätte mir diesen ersten Feiertag ausgesucht, um mich mit meiner lieben Frau zu zanken? Gestehen Sie nur, das haben Sie gedacht. Warum auch nicht? In den glücklichsten Ehen giebt es unglückliche Stunden, wo man wie durch einen plötzlichen Erdstoß, durch irgend ein Mißverständniß oder ein thörichtes Wort aus seinem Frieden aufgeschreckt [77] wird und glaubt, ein Abgrund thue sich zwischen Menschen auf, die sich für unzertrennlich gehalten. Aber nichts dergleichen hat die Thränen verschuldet, die Sie in Helenens Augen gesehen haben. Im Gegentheil: das Einzige, was etwa noch zwischen uns stand, auch nur wie eine Feder leicht oder wie ein kleiner Wolkenschatten am Sommerhimmel – heut' ist es geschwunden. Es ist eine alte, wunderliche Geschichte; wollen Sie sie hören? Kommen Sie – und er nahm mir den Hut ab und führte mich zu dem Sopha in der Ecke, wo seine Frau so eben gesessen hatte – ich tauge in dieser Stunde ohnehin nicht zu einem ordentlichen Gespräch über andere Dinge, und es ist mir eine Erleichterung, mir das Alles zurückzurufen, einem Freunde, der mich noch nicht genug kennt, dieses Jugendabenteuer zu beichten und zu sehen, was er für ein Gesicht dazu macht. Ich selbst habe es mir bis heute nicht recht vergeben können, daß ich keine glänzendere Rolle dabei gespielt habe. Und doch – am Ende ist's so am besten gewesen. Helene wenigstens war immer der Meinung. Und was wir heut' erfahren haben, hat ihrem feinen weiblichen Urtheil Recht gegeben.

Aber zünden Sie sich eine Cigarre an. Ich fürchte, meine Beichte zieht sich etwas in die Länge. Meine Frau wollte mit den Kindern indessen zu den Großeltern gehen, wohin ich erst zu Mittag nachkomme. Wenn Sie nichts Besseres zu thun haben –

[78] Ich drückte ihm die Hand und versicherte ihm, daß ich vollkommen frei sei. Er ging dann noch eine Weile stumm und mit gesenktem Haupt in dem großen Gemach auf und ab, bückte sich zu dem eisernen Ofen hin, um frische Kohlen aufzuschütten, und sagte endlich:

Ich will versuchen, beim Anfang anzufangen, der ein bischen weit zurückliegt, obwohl gute Erzähler in medias res gehen. Nun, ich mache keine Ansprüche darauf, Ihnen ins Handwerk zu pfuschen.

*

Also ich war, als dies Abenteuer sich ereignete, ein hoffnungsvoller Akademieschüler von achtzehn Jahren, dem Jeder, der ihm auf der Straße begegnete, ein paar Jahre mehr gab. Nicht sowohl wegen eines verfrühten Bartwuchses, als wegen der finstern Miene, mit der ich in die Welt blickte, einer gewissen »stolzen und unzufriedenen« Manier, mit der ich die Lippe rümpfte und den dicken gelben Haarbusch von der Stirne zurückwarf. Zur Unzufriedenheit hatte ich wohl einigen Grund, zum Stolz keinen. Ich lebte in engen Verhältnissen, da meine gute Mutter nach dem Tode des Vaters mit der Pension einer Gymnasialprofessorswittwe zwei Söhne und sich selbst durchzubringen hatte. Der jüngere machte ihr die geringste Sorge. Er war schon im funfzehnten Jahr, da er die häusliche Noth erkannte, als Setzerlehrling in eine große Buchdruckerei eingetreten und brauchte nur [79] wenig Zuschuß von der Mutter, bei der er wohnen blieb. Der ältere aber, der Stolz der Familie, meine Wenigkeit, schien sich selbst zu hohen Dingen berufen und knirschte in den Zügel, den seine Armuth ihm täglich fühlbar machte.

Wie es sich gefügt hatte, daß mein Vater aus seiner holsteinischen Heimath nach Berlin verzogen und dort an einem Gymnasium angestellt worden war, wüßte ich in der That nicht zu sagen. Wir beiden Brüder waren noch in den unteren Klassen, als er starb, und seitdem wiederholte ich mir täglich, was meine gute Mutter mir am Tage des Begräbnisses gesagt hatte, daß ich ihr Stab und ihre Stütze sein müsse und auch dem jüngern Bruder stets mit gutem Beispiel vorangehen.

Ich war ein etwas windiger Patron gewesen, nicht der fleißigste Schüler und zu dummen Streichen nur allzu leicht zu verführen. Aber ich hing mit aller Leidenschaft meines dreizehnjährigen Herzens an dieser liebevollen, sanften Frau und wurde von dem Tag an in meinem Innersten verwandelt. Schon damals spukte mir der Künstler im Kopf, und mein Vater, der mich für ein kleines Genie hielt, hatte mich in meinen malerischen Liebhabereien selbst auf Kosten meiner Fortschritte in den Schulfächern gewähren lassen, mir aber immer vorgehalten, ich müsse auf jeden Fall das Gymnasium durchmachen, da nichts kläglicher sei, als ein Mensch, [80] der nur die Hand und nicht den Kopf geschult habe. Auch Rafael hätte die Schule von Athen nicht malen können, wenn er von klein auf nichts gethan hätte, als Akte zeichnen und Farben verquisten.

Hieran hielt auch die Mutter unverbrüchlich fest, und ich betrachtete es als meine heilige Pflicht, jetzt, da der väterliche Pädagog mich nicht mehr überwachen konnte, mich selbst im Zaume zu halten. Ich brachte es auch wirklich dahin, in kurzer Zeit alles Versäumte nachzuholen und mich zu einem Musterschüler aufzuschwingen. Meine Zeichenhefte ließ ich im tiefsten Winkel meines Kastens liegen, ja, aus einer Art von verbissenem Trotz gegen das Schicksal benützte ich nicht einmal die Ferien zum Kritzeln und Tuschen, sondern ließ lieber die Hände im Schooß ruhen, während die Augen sich an irgend etwas Hübsches festsaugten, das die Hände früher mit heißer Begierde nachzuzeichnen versucht haben würden.

Im Innern war mir nicht eben wohl dabei, trotz der guten Censuren, die mir meine liebe Mutter mit zärtlicher Umarmung dankte. Aber ich hatte wenigstens den einen heimlichen Trost, daß ich mir als ein tragischer Charakter, ein früh zum Mann gereifter Juvenil vorkam und auf die Kindereien meiner Kameraden mit überlegenem Lächeln herabsah.

Ueberdies machte ich schon seit der Obertertia Verse – irgend ein Nothventil mußte ich dem zurückgedrängten Künstlertriebe doch öffnen – und die schwermüthigen [81] Sarcasmen im Heine'schen Stil, die ich in reinliche Hefte eintrug, erhöhten mein Selbstgefühl nicht wenig. Freilich war ich zu entschuldigen, daß ich mit mir selbst auf so intimem Fuße lebte und mich für einen ganz famosen Gesellen hielt, da ich sonst keinen Freund hatte.

Mein Bruder besuchte eine Realschule und hatte Verkehr mit seinen eigenen Schulkameraden, die kein Herz zu mir fassen konnten. In meiner eigenen Klasse, deren Primus ich bald geworden war, wurde ich mehr beneidet als geliebt, was mir weder lieb noch leid war. Und so stieg ich die Leiter bis zur Prima sehr einsam hinauf, immer Allen voran, ohne rechte Freude an irgend etwas außer den Griechen, deren edle Form und Seelenhoheit mich von früh an bezauberten, im Übrigen fest entschlossen, sobald ich dem »Stall,« entronnen, auch dem Homer und Sophokles den Rücken zu kehren und mich auf der grünen Weide der Kunst ohne Halfter herumzutummeln.

In der Oberprima jedoch machte ich die Bekanntschaft eines Kameraden, der sich so lebhaft an mich anschloß, daß ich wider Willen aus meiner gewohnten Zurückhaltung herausgelockt wurde. Es war ein gewisser Jost, Sohn eines Freiherrn von T., der aus einem der kleinen mitteldeutschen Fürstenthümer vor kurzem nach Berlin übergesiedelt war, um an die Erziehung seiner beiden Kinder, dieses Sohnes und einer jüngern Tochter, [82] bequemer und gründlicher die letzte Hand anlegen zu können. Er hatte es aber, da er ein eifriger Landwirth war und den Staub der großen Stadt verabscheute, nicht lange in seinem städtischen Quartier ausgehalten, sondern ein Landhaus in Schöneberg mit einem großen Garten gemiethet, von wo aus Sohn und Tochter jeden Morgen zu ihren Studien in die Stadt fuhren, der Sohn ins Gymnasium, bei dessen Rector er auch den Mittagstisch hatte, die Tochter, die vier Jahre jünger war, zu einer Pensionsvorsteherin, die sie an den Stunden der höheren Töchter theilnehmen ließ und sie behütete, bis der Wagen am Nachmittage die Geschwister wieder abholte.

Der »Junker«, wie seine Mitschüler meinen Freund Jost alsbald nannten, war schon neunzehn Jahre alt, zwei Jahre älter als ich, ein höchst gutartiger, aber nicht sehr begabter Junge, der sich mit Vorliebe auf den untersten Bänken aufhielt, doch außer mit dem großen Znmpt und Buttmann mit aller Welt auf gutem Fuße stand, sogar mit seinen Lehrern, die seinen biedern Charakter schätzten und es mit seinen Leistungen nicht zu genau nahmen, da sie wußten, daß der alte Freiherr ihn gleich nach dem Examen ins Militär eintreten lassen und späterhin ihm seine Güter übergeben wollte. Schon jetzt durfte er an Sonn- und Feiertagen seine Reitübungen fortsetzen, was ihm in unseren Augen eine gewisse Würde und Bedeutung verlieh, die alle noch so argen Böcke in seinen lateinischen Exercitien aufwog. Auch flüsterte man [83] sich in die Ohren, daß er schon eine kleine, ganz regelrechte Liebschaft mit einer hübschen Handschuhnäherin unterhielt, über die er selbst sich nie das leiseste Wort entschlüpfen ließ.

Gleich in der ersten Freiviertelstunde, die wir unten im Hof zu verschlendern pflegten, hatte mein Junker sich mir genähert und sich gleichsam verpflichtet gefühlt, mir als dem Primus sich vorzustellen. Auf den ersten Blick hatten wir nichts mit einander gemein, als daß wir Beide die Größten und Stärksten unserer Klasse waren. Bald aber erkannte ich, nachdem ich ihn zuerst wegen eines gräulichen cum mit dem Indicativ sehr gering taxirt hatte, daß er in Bezug auf andere Dinge unseren knabenhaften Kameraden weit überlegen war, und obwohl ich von all den noblen Passionen, die er sich erlauben durfte, durch meine Armuth ferngehalten wurde, bewunderte ich doch heimlich die Sicherheit seines Auftretens und daß er mit seinen neunzehn Jahren sich schon als einen ganzen Mann fühlte, wie ich mit meinen siebzehn freilich auch mir herausnahm. Vor mir voraus hatte er nur den Anflug eines dunkelbraunen Bärtchens, das seine Oberlippe zierte.

Schon am Abend dieses ersten Schultages mußte er zu Hause von mir gesprochen haben. Denn am andern Morgen, als wir uns wieder begrüßten, sagte er mir, es würde seine Eltern freuen, wenn ich sie einmal besuchen wollte. Vielleicht am nächsten Sonntag. [84] Es sei sehr hübsch draußen in ihrem Garten. Er habe auch einen Zimmerstutzen, mit dem wir nach der Scheibe schießen könnten. Um zwei Uhr sei ihre Eßstunde. Ich sollte aber nur recht früh kommen und recht lange bleiben.

Ich entsinne mich noch heut, daß mir diese Einladung einen Schrecken verursachte. Zunächst weil ich sofort bedachte, daß es meiner Mutter nicht lieb sein würde, die sich den Sonntagnachmittag immer zu einem besondern Fest machte. Sie hatte dann ihre beiden Söhne recht behaglich an ihrem bescheidenen Tisch, auf dem Sonntags auch ein Braten nicht fehlte, und Nachmittags gingen wir zusammen spazieren, hörten irgendwo ein billiges Gartenconcert, oder tranken sonstwo an einem Vergnügungsort unsern Kaffee. Nun, sie konnte wohl einmal eine Ausnahme machen. Aber schlimmer stand es um einen andern Punkt. Es war im Frühjahr, mein Winteranzug sehr abgetragen und nachgerade ausgewachsen, für die Sommergarderobe noch nicht gesorgt. Wie sollte ich mich in einem freiherrlichen Hause anständig präsentiren, da schon die Schultoilette des Junkers so viel eleganter war, als meine Sonntagskleidung in ihrer besten Zeit!

Ich nahm daher die Einladung nicht sofort an, sondern erwiderte, ich müsse erst die Mutter befragen, die, wie ich glaubte, gerade für den nächsten Sonntag selbst Gäste geladen habe – eine Nothlüge, über die ich tief erröthete, da sich nie ein Tischgast in unseren dürftigen [85] vier Pfählen blicken ließ; nur dann und wann bot die Mutter ein paar guten Freundinnen eine Tasse Kaffee an.

Als ich aber am Abend dies unerwartete Ereigniß zu Hause erzählte, sehr beiläufig, mit dem Zusatz, ich mache mir gar nichts daraus und sei entschlossen, mit diesen Aristokraten keinerlei Verkehr anzuknüpfen, wurde mir von meiner Mutter aufs Eifrigste widersprochen.

Ich dürfe keinesfalls die Einladung ablehnen, man könne nie wissen, was eine solche Verbindung mit den höheren Kreisen für wichtige Folgen haben möchte, zunächst schon für meine gesellschaftliche Bildung, und was meine Kleidung betreffe, für die solle gesorgt werden, es sei ohnehin Zeit, daß ich mich etwas feiner machte, mit siebzehn Jahren sei man kein Knabe mehr – und was das liebe, thörichte Mutterherz ihr sonst noch alles auf die Lippen gab.

Um es kurz zu machen: am nächsten Sonntag gegen Mittag wanderte ich wirklich in einem funkelnagelneuen Anzug, der freilich verrieth, daß er aus dem Atelier eines sehr kleinbürgerlichen Schneidermeisters hervorgegangen war, die Schöneberger Chaussee entlang, wunderlich aufgeregt von der Erwartung alles dessen, was mir beim Eintritt in die vornehme Welt bevorstand.

Sie entsinnen sich, lieber Freund, damals war die Villenstadt, die heut mit der Pferdebahn in einer kleinen halben Stunde erreicht wird, noch ein unansehnliches [86] Dorf, das seine Berechtigung zum Dasein hauptsächlich darauf stützte, daß es die Hauptstadt Preußens mit Milch und Gemüse versorgte. Ein paar Wirthschaften bescheidenen Zuschnitts füllten sich an Sonntagen mit kleinen Leuten, die dort ihr Weißbier tranken und kegelten, während andere grüne Winkel hinter morschen Zäunen die noch Anspruchsloseren einluden, durch die Inschrift über der Gitterthür: »Hier können Familien Kaffee kochen!« – wozu sie freilich alles Erforderliche mitbringen mußten. Ich war selten jene Straße gegangen, da meine gute Mutter schlecht zu Fuß war und über den Thiergarten nicht hinauskam. Aber auch heute achtete ich kaum auf die Scenerie zur Rechten und Linken, sondern suchte mit den Augen weit voraus die freiherrliche Villa, die mein Freund mir genau beschrieben hatte, falls ich die Hausnummer vergessen sollte.

Sie war wirklich nicht zu verfehlen. Denn unter allen Nachbarhäusern zeichnete sie sich durch ihre Lage hinter einem sanft ansteigenden Blumengarten aus, von der Landstraße durch ein hohes Eisengitter geschieden, von prachtvollen Ulmen und Ahornbäumen überragt, die über den Park an der Rückseite des einstöckigen Hauses ihre noch hellgrünen Wipfel erhoben. Wir waren im ersten Frühling, das Laub seit wenigen Tagen aufgesprossen, alle Aeste von Nester bauenden Spatzen und Finken belebt und die schönste junge Aprilsonne noch schüchtern über das alles ergossen.

[87] Als ich eintrat, sah ich an einem der Beete einen großen Mann in einem grauen Arbeitsrock trotz des Sonntags beschäftigt, ein paar frisch eingepflanzte hochstämmige Rosen zu begießen, und wollte mit einem kurzen Kopfnicken an ihm vorbei.

Da richtete er sich auf, schob die Mütze zurück, die ihm tief in die Stirn gerutscht war, und sagte in einem freundlichen sonoren Baß:

Wohin wollen Sie, junger Freund?

Zu dem Herrn Baron! erwiderte ich, kurz angebunden, ohne den Schritt anzuhalten.

Den können Sie näher haben, er steht vor Ihnen, und Sie sind ohne Zweifel Herr Ludwig R., der Freund unseres Sohnes. Seien Sie mir herzlich willkommen!

Sie können denken, daß ich ein wenig betroffen war, doch wahrlich nicht unliebsam. Ich hatte mir Jost's Vater als einen steifen, hochmüthigen Aristokraten vorgestellt, der sich gnädig zu mir herablassen, meine Toilette mustern und mir den letzten Platz an seinem Tisch anweisen würde. Im Hinausgehen hatte ich mich mit dem ganzen Stolze meiner Armuth umgürtet und mir gelobt, mich nöthigenfalls als einen hoffnungsvollen Marquis Posa einzuführen. Das war nun sehr überflüssig. Dieser stolze Freiherr trug einen schlechteren Rock als ich und empfing mich auf dem Fuß vollkommener Gleichheit. Durch die ersten Worte hatte er den starren Demokraten in mir entwaffnet.

[88] Er hatte ein gutes Gesicht mit großen, regelmäßigen Zügen, das schwarze Haar schon etwas mit Grau gemischt, einen mächtigen Kopf auf breiten Schultern, um den starken offenen Hals ein schwarzseidenes Tuch geknüpft, so nachlässig, wie Alles an seiner Kleidung. Und doch schämte ich mich, daß ich ihn für den Gärtner hatte halten können. Denn Blick und Geberde, Alles an ihm kündigte den geborenen Edelmann an.

Verzeihen Sie, sagte er, ohne mich erst lange zu mustern, ich habe hier noch ein bischen zu thun. Dem Gärtner habe ich Urlaub gegeben, heut zu seiner Familie zu gehen, die in der Stadt wohnt, aber die Pflanzen, zumal die frisch eingesetzten, dürfen darum nicht Durst leiden, und übrigens bin ich ein passionirter Gärtner. Haben Sie auch Interesse für die Natur, oder nur für Ihre Bücher? Nun, um so besser, so kommen Sie mit mir und sehen Sie, was ich seit vorgestern geschafft habe; freilich können Sie diesen Rosenflor nur erst auf mein ehrliches Gesicht hin bewundern, aber wenn Sie uns öfter das Vergnügen machen, werden Sie hoffentlich finden, daß weit und breit keine schöneren Theerosen und Marschall Niel gezogen werden, als auf diesem kleinen Fleck.

Er führte mich nun herum, und ich durfte ihm helfen, das Wasser in die Gießkanne zu füllen aus einem großen, in den Boden eingelassenen Faß, das in einem schattigen Winkel unter Hollunderbüschen versteckt lag. [89] Mir war unendlich wohl dabei, mit dem trefflichen Herrn gleich auf dem traulichsten Fuß verkehren zu dürfen, und ich fühlte erst wieder meine frühere Befangenheit, als er seine großen, mit kleinen schwarzen Härchen bedeckten Hände an einem blauseidenen Taschentuch abwischte und sagte:

So! Nun haben wir unser Mittagessen verdient, nun will ich Sie zu meiner Frau führen.

*

Indem wir uns aber umwandten, um nach dem Hause zurückzugehen, sah ich in der Glasthür, die sich nach der Gartenterrasse öffnete, eine Dame stehen, die uns schon eine Zeitlang zugeschaut zu haben schien. Der Freiherr winkte ihr mit gutmüthigem Lächeln zu und rief: Wir kommen, wir kommen! Dann nahm er mich unter den Arm und fragte nach meiner Mutter, wie es ihr gehe, ob sie mich heut auch nicht zu sehr entbehre und ich sie, er wisse, daß ich ein guter Sohn sei. Aber es liege ihm eben darum viel daran, daß ich mit seinem Jost fernerhin gute Freundschaft hielte, der sonst sich nicht immer die beste Gesellschaft ausgesucht und jetzt zum erstenmal ein penchant für einen Kameraden gezeigt habe, der ihm in Allem außer den Jahren überlegen sei.

Ich hatte nicht Zeit, viel darauf zu antworten, denn schon stand ich vor der Baronin, machte meine etwas [90] linkische Verbeugung und berührte unbeholfen die kleine Hand, die sie mir entgegenstreckte. Dabei stellte ich sofort die Betrachtung an, daß ein ungleicheres Paar schwer zu denken sei, als diese Frau neben diesem Manne. Sie war kaum von mittlerer Größe und erschien noch kleiner durch eine fast schon übermäßige Fülle, die aber die Raschheit und Zierlichkeit ihrer Bewegungen nicht hinderte. Ein sehr hübscher Kopf mit reichem aschblondem Haar saß auf den runden Schultern, von einer Spitzenhaube mit einem koketten blauen Bande eingefaßt, die Züge des noch beinahe faltenlosen Gesichtes klein und spitz, rosig angehaucht, wie die eines jungen Mädchens, so daß man keinen Augenblick zweifelte, mit sechzehn Jahren müsse sie für einen completten Engel gegolten haben. Noch jetzt hatten die hellblauen Augen und der lächelnde Mund mit dem Grübchen in der linken Wange etwas ungemein Seraphisches, und eine zarte Kinderstimme vollendete, wenn man die Augen schloß, die Illusion. Ich weiß aber nicht, wie es kam: trotz meiner geringen Erfahrung und Menschenkenntniß war mir diese charmante kleine Frau, die mich mit gewinnendem Lächeln und größter Herzlichkeit begrüßte, nicht halb so sympathisch wie ihr rauhhaariger, ungefüger Gemahl, der sich neben ihr ausnahm wie ein riesiger Neufundländer neben einem dicken, weißen Schooßhündchen.

Er verschwand dann hastig – er hatte noch die Kleider zu wechseln – und die Baronin führte mich [91] unter dem anmuthigsten Geplauder in den Gartensaal, wo mich Kunstschwärmer die Menge schöner Bilder an den Wänden zunächst so in Beschlag nahm, daß ich nur einsilbige und zerstreute Antworten gab.

Sie bemerkte es, und ich entschuldigte mich verwirrt. O, sagte sie, Sie wollen Maler werden, da sind Ihnen alte Bilder natürlich interessanter als neue Menschen! Und nun führte sie mich in dem großen Gemach, dessen Wände mit pompejanischem Roth und einigen gelblichen Ornamenten decorirt waren, von Bild zu Bild und freute sich an meiner Bewunderung. Es waren da u. A. ein paar alte Italiener, wohl von geringerem Werth, mir aber sehr merkwürdig. Sie hätten auf ihrem Schloß zu Hause eine ganze Galerie, aber nur diese wenigen mitgebracht, die immer in ihrem Wohnzimmer gehangen hätten. Auch allerlei curiose alte Möbel fielen mir auf, deren Geschichte sie mir erzählte, und ehe ich's dachte, war ich auch mit ihr auf so unbefangenem Fuß, als hätte ich sie jahrelang gekannt, und selbst der altgegründete Reichthum, der sich in Allem, was sie umgab, offenbarte, imponirte mir nicht im Mindesten.

Da ging die Thür eines der beiden Seitenzimmer auf, und mein Schulfreund trat ein, seine Schwester am Arm führend. Er entschuldigte seine Verspätung, er habe einen Ritt gemacht, und sein Gaul, der alle Pfützen durchtrabt, ihn so zugerichtet, daß er sich von Kopf bis Fuß habe umkleiden müssen.

[92] Und hier habe ich die Ehre, Herrn Ludwig R., Primus omnium und Rafael in spe, meiner kleinen Schwester Dorette, Freifräulein von T., vorzustellen!

Sie werden sich wundern, daß mir alle diese Einzelheiten bis auf die ipsissima verba noch gegenwärtig sind. Was aber in unserem Leben Epoche macht, gräbt sich in unser Gedächtniß mit unauslöschlichen Zügen ein und klingt uns zuweilen im Ohre nach wie die Kinderlieder, die uns die Mutter vorgesungen.

So ist mir auch der erste Eindruck völlig gegenwärtig, den das Freifräulein auf mich machte und der in jedem Sinn eine Enttäuschung war.

Die »kleine« Schwester, die erst im October, wie ihr Bruder mir erzählt hatte, sechzehn Jahre alt werden sollte, war eine große junge Person, kaum einen halben Kopf kleiner als ihr Bruder, und hatte vom Backfisch nichts als die noch etwas steifen Bewegungen und die leichtgerötheten Hände, die übrigens schön geformt waren. Das Kopfnicken, mit dem sie mich etwas gar zu nachlässig begrüßte, zeigte, daß sie sich ihrer Stellung dem jungen Proletarier gegenüber wohl bewußt war. Ich hatte sie mir sehr hübsch gedacht. Doch auf den ersten Blick gefiel mir weder ihre Gestalt, die mir zu wenig zart und schmiegsam erschien, noch ihr Gesicht, das dem ihres Vaters glich. Nur war ihre Haut statt der braunen Farbe des Freiherrn von so matter Blässe, weiß wie ein [93] Lilienblatt ohne den geringsten rosigen Schimmer, so daß sie den lebhaftesten Contrast zu ihrem schwarzen Haar und den sammetbraunen Augen bildete. Doch konnte Niemand dabei an eine bleichsüchtige Anlage denken; die vollen, fast immer streng geschlossenen Lippen waren von gesunder Röthe, und die auffallend kleinen Ohren zeigten ebenfalls nicht die fahle Wachsfarbe, wie bei blutarmen jungen Mädchen.

Der Junker hatte mein Erstaunen wohl bemerkt und neckte seine Schwester damit, daß sie für ein Schulmädel schon imponirend genug aussehe, um einen sonst sehr unerschrockenen Primaner außer Fassung zu bringen. Sie wandte sich mit einem trotzigen Achselzucken von uns ab und trat, ohne die Mutter zu begrüßen, vor die offene Glasthüre. Dort blieb sie, uns beharrlich den Rücken zukehrend, stehen, bis sich die Thür des anderen Zimmers öffnete und der Freiherr wieder eintrat, jetzt in einem sauberen dunklen Anzug, doch wie ein Landedelmann, der keinen Werth darauf legt, mit der Mode fortzugehen. Die Tochter hatte sich rasch nach ihm umgewendet und war ihm durch das ganze Zimmer entgegengeeilt. Er empfing sie mit ausgebreiteten Armen und küßte sie auf die Stirn. Zugleich trat ein alter Bedienter in einer dunkelgrünen Livree herein und meldete, daß die Tafel servirt sei.

Die Baronin nahm meinen Arm und führte mich durch das Zimmer ihres Gemahls, der mit der Tochter [94] folgte, in das Eßzimmer; Jost bildete den Nachtrab. Es war ein mäßig großer Raum, nach dem Park zu gelegen, in dessen Mitte der gedeckte Tisch stand. Ich sehe ihn noch vor mir mit dem blendend weißen Damastgedeck, dem Service von altem Meißener Porzellan, den silbernen Bestecken und dem Rococoaufsatz in der Mitte, ebenfalls aus der altberühmten sächsischen Fabrik, eine Diana vorstellend, von Hunden und erlegtem Wild umgeben, eine zierliche Fruchtschale in die Höhe haltend, die mit Südfrüchten angefüllt war. Dem Sohn der Lehrerswittwe, der nie eine silberne Gabel in der Hand gehalten hatte, erschien dies Alles wie ein fürstlicher Prunk. Aber die einfachen Speisen, die seine gute Mutter selbst aus der kleinen Küche hereintrug, schmeckten ihm besser als das freiherrliche Diner, bei dem er sich beständig in einer stillen Unruhe befand, ob er nicht etwas thue oder äußere, was gegen die aristokratische Sitte verstoße.

An den Wänden des Zimmers hingen einige der schönen Landseer'schen Thierstücke, der Kampf der beiden Hirsche, der schreiende Hirsch im Röhricht, jene Scene im Hof eines ländlichen Schlosses, wo der Page, auf seinen Spieß gestützt, die Jagdbeute am Boden betrachtet. Ich studirte diese Blätter, die ich zum erstenmale sah, mit meinen jungen Maleraugen und wünschte heimlich, mich dort zu befinden, in der freien Wildniß lieber, als hier an dem gastlichen Tische, wo man sich alle Mühe gab, mir zu zeigen, wie gut man es mit mir meine.

[95] Besonders die Frau vom Hause. Sie führte fast allein die Unterhaltung, fragte nach meiner Mutter, meinem Bruder, meinen Studien und Liebhabereien. Ich saß zu ihrer Rechten, neben mir Jost, dann das Freifräulein, und der Papa zwischen Tochter und Mutter. Der Baron warf dann und wann ein paar Worte dazwischen, immer mit dem gütigen Lächeln, das sein dunkelfarbiges Gesicht so anziehend machte. Mein Schulkamerad aß schweigsam mit erstaunlichem Appetit. Auch seine Schwester zierte sich nicht, ihren gesunden jungen Hunger zu stillen, wobei es sehr hübsch anzusehen war, wie sie mit Messer und Gabel hantierte. Zum erstenmal beobachtete ich's bei ihr, daß man die Gabel nicht in die rechte Hand nehmen dürfe, wie ich's zu Hause gewohnt war, und eine Schamröthe stieg mir ins Gesicht, daß ich mir diesen Verstoß gegen die feine Sitte hatte zu Schulden kommen lassen. Doch schien es Niemand bemerkt zu haben.

Die Stimme des Freifräuleins hatte ich noch nicht gehört. Ihr Vater, der sie zuweilen mit zärtlichen Blicken betrachtete, neckte sie mit gewissen kleinen Vorfällen, die mir unbekannt waren. Sie antwortete aber nur mit Achselzucken oder Nicken und Schütteln des Kopfes, wobei ihr weißes Gesicht sich manchmal leicht röthete. Gewöhnlich sah sie still auf ihren Teller, die breiten Lider halb über die dunklen Augensterne gesenkt, und schon in jener ersten Stunde fiel mir auf, daß ihr Blick sich nie auf die Mutter richtete.

[96] Ich hatte während des Essens ein so ausführliches Verhör bestanden, mein ganzes Leben und die Pläne für meine Zukunft beichten müssen, daß ich nur wenige Bissen zu genießen Zeit behielt und endlich halb gesättigt vom Tisch aufstand, dafür aber, obwohl ich an dem rothen Wein nur genippt hatte, in einer Art Rausch, als wäre mir die ungewohnte Liebenswürdigkeit dieses vornehmen Paars zu Kopf gestiegen. So kam es mir sehr gelegen, daß Freund Jost vorschlug, wir Drei – seine Schwester hatte er zur Gesegneten Mahlzeit in den Arm genommen und herzhaft geküßt – sollten in den Park hinaus, während Papa und Mama ihre Siesta hielten.

Das Fräulein antwortete wieder nur mit ihrem kurzen Kopfnicken, setzte einen großen Gartenhut auf, der einen reizenden Schatten über ihre blassen Wangen warf, und wir wandelten, Jost als galanter Cavalier seine Schwester führend, ich an ihrer andern Seite, in den Garten hinaus, dessen Wege etwas verwahrlost und noch vom Blätterabfall des Winters überrieselt waren. In dieser Verwilderung aber gefiel er mir um so besser.

Da ich aber schon damals nicht sprechen konnte, wenn meine Augen an irgend etwas Schönem der Kunst oder Natur sich weideten, und auch die Geschwister in ihre Gedanken versunken waren, blieben wir alle Drei stumm, bis wir zu einem langgestreckten Weiher kamen, der ziemlich am Ende des Parks unter hohen Ulmen [97] und Eschen lag, so träumerisch selbst am hellen Nachmittag von ihrem zarten Laube beschattet, daß mir ein Ausruf der Bewunderung entfuhr und ich stehen blieb, das schöne Bild recht in mich aufzunehmen.

Gefällt Ihnen mein See? sagte das Fräulein, ihren Arm aus dem des Bruders ziehend. Es war das erstemal, daß ich ihre Stimme hörte, die einen dunklen, gar nicht recht jugendlichen Klang hatte. Es ist die schönste Stelle im ganzen Park, setzte sie hinzu, finden Sie nicht auch?

Ich möchte ihn wohl malen, versetzte ich, aber erst, wenn die Zweige dichter geworden sind. Es muß schön sein, wenn der Mond hinter den Wipfeln heraufkommt. Jetzt freilich könnte ich mich noch nicht an etwas so Schweres wagen.

Kommen Sie zu meiner Bank, sagte sie und ging voran nach einer Blutbuche, die freilich nur noch einen dürftigen Rest ihrer Blätter vom vorigen Jahr behalten hatte. Sie stand dicht am Ufer, an einem Pfahl nicht weit davon war ein kleiner Kahn angebunden, eine Bank aus schlichten Brettern und Pflöcken daneben aufgeschlagen. Wir setzten uns alle Drei und schauten, wieder schweigsam, auf die glatte schwärzliche Wasserfläche, die mit dunkelrothem und gelbem Laube bestreut war.

Jost zog eine Cigarrentasche hervor und hielt sie mir hin. Ich dankte, denn ich hatte mir diesen Luxus, wie manchen andern, gewissenhaft versagt; von meinem [98] schmalen Taschengeld hätte ich ihn nicht bestreiten können. Der Junker aber blies mit dem Selbstgefühl eines Neulings, der bereits in alle Künste alter Raucher eingeweiht ist, die schönsten blauen Ringe in die Luft, behaglich zurückgelehnt und den Arm hinter dem Rücken seiner Schwester auf die Lehne der Bank gelegt.

Ich saß auf der andern Seite des Freifräuleins und studirte, während ich das Landschaftsbild vor mir zu betrachten schien, verstohlen ihr Profil, so daß ich wie ein ertappter Verbrecher zusammenfuhr, als ich Jost plötzlich sagen hörte: Du solltest Dorette porträtiren! – Auch sie wurde einen Augenblick dunkelroth, sagte aber kein Wort und blieb regungslos sitzen.

Er zeichnet nämlich in den Stunden die Lehrer und auch den und jenen von den Kameraden, der eine besondere Rase hat, erklärte Jost seiner Schwester, immer mit wenigen Strichen, aber zum Lachen ähnlich. Hole doch dein Buch heraus, Ludwig. Du trägst es ja immer in der Tasche.

Das war nun freilich die Wahrheit. Obwohl ich mein Gelübde, auf der Schule keine Zeit mit Zeichnen zu verlieren, all die Jahre hindurch getreulich hielt, konnte ich mir das unschuldige Vergnügen doch nicht versagen, in ein schmales Taschenbuch oder an den Rand der Schulhefte Caricaturen oder ganz ernstlich gemeinte kleine Porträts zu kritzeln. Ich hatte darin eine große Gewandtheit erlangt, und die Professoren sahen mir durch [99] die Finger, da ich etliche von ihnen so respectabel abconterfeit hatte, daß sie, als sie mich darüber betrafen, die Bildchen sich ausbaten, um sie ihren Frauen zu zeigen.

Da überwand endlich ein stiller Ehrgeiz, zu zeigen, was ich könne, und der Wunsch, das merkwürdige Mädchengesicht recht nach Lust betrachten zu dürfen, meine Schüchternheit. Wenn das Fräulein nichts dagegen hat – stammelte ich und zog mein Buch aus der Brusttasche. Sie nickte kaum merklich und saß nun wie eine Statue. Ich aber machte mich ohne Zögern ans Werk.

Aber ich kann Ihnen ja zeigen, was ich damals zu Stande brachte. Ich habe das ungeschickte kleine Skizzchen sorgfältig aufgehoben; es ist das einzige Bild, das ich von ihr besitze, obwohl ich sie später noch ein paarmal zeichnen durfte, weit besser und ausgeführter, aber zum Geschenk für Andere. Dieses erste Abbild ihrer noch halb kindlichen und doch schon so ernsthaft gespannten Züge nahm ich an jenem Tage wieder an mich, ohne es auch nur den Eltern zeigen zu wollen, unter dem Vorgeben, es sei mißglückt und ich schämte mich, von meinem Talent eine so schwache Probe vorzuweisen. Es ist auch eine sehr fragwürdige Jugendsünde, aber in seiner dürftigen künstlerischen Form um so treuer und mir heute unschätzbar.

*

[100] Er stand auf und ging nach einem geschnitzten Schränkchen, das auf einer altertümlichen Kommode stand. Ich wußte, daß er dort in einem verschlossenen Fach allerlei Reliquien verwahrte, Reisetagebücher und Briefe seiner Mutter, kleine antike Schmucksachen, die er bei einer Ausgrabung in Pompeji an sich zu bringen gewußt hatte. Da lag auch ein kleines, schwarz eingerahmtes Bildchen, das ich schon einmal, als er die Lade zufällig herauszog, flüchtig gesehen, aber nicht weiter beachtet hatte. Nun brachte er mir's, und man kann denken, mit welchem Antheil ich es jetzt betrachtete.

Es war allerdings das Werk einer noch ungeübten Hand, in harten Umrissen und mit wenigen Schattenstrichen schraffirt. Aber in aller Unbehülflichkeit hatte das Mädchengesicht, das, ein wenig vorgeneigt, mit halb gesenktem Blick vor sich hin starrte, die feste schmale Nase mit den energischen Flügeln, der sehr hübsche, trotzig gepreßte Mund und die gerade ansteigende Stirn unter dem dichten, schlichten Scheitel einen Reiz, der mich nicht losließ. Die nur leicht angedeutete Gestalt saß nachlässig zurückgelehnt, die Hände im Schooß ruhend, auf der roh gezimmerten Bank, der Strohhut war auf den Rücken geglitten und wurde von dem breiten Bande vorn am Halse festgehalten, was der ganzen Figur etwas anmuthig Unbefangenes, Unbelauschtes gab. Unten in der Ecke stand das Datum geschrieben: 29. April 1846.

[101] Sollte man glauben, daß dies einen noch nicht sechzehnjährigen Backfisch vorstellt? fragte mein Freund, der sich wieder neben mich gesetzt hatte, ohne das Bildchen zu betrachten, Und nun hätten Sie erst sehen sollen, wie sie sich trug und geberdete, wie eine kleine Prinzessin, die sich von Jugend auf ihrem Gefolge überlegen fühlt. Und wie sie nun erst wurde, schon im nächsten Jahr, noch ehe sie die siebzehn erreicht hatte, eine vollendete junge Dame – und doch wieder ohne all die kleinen Affectationen, die junge Aristokratinnen für guten Ton und die Blüte der gesellschaftlichen Tournüre halten. Wenn ich es jetzt mit einem Wort bezeichnen sollte: sie war ein Wesen im großen Stil, der sich schon in jenem unreifen Alter ankündigte. Alles Kleine, Gekünstelte, Unwahre erschien neben ihr doppelt armselig. Wenn man diesen stolzen Mund ansah, hätte man schwören mögen, daß er nie eine conventionelle Phrase, geschweige eine offenbare Lüge über die Lippen zu bringen vermocht hätte.

Damals kannte ich noch so Wenige ihres Geschlechts, daß ich von dem Eindruck, den sie mir machte, mir kaum Rechenschaft zu geben vermochte. Nur das fühlte ich, daß sie anders war als alle Anderen, und nicht einmal ganz zu ihrem Vortheil. Als Ideal eines jungen Mädchens, eines so jungen zumal, schwebte mir immer etwas Lachendes, Rosiges, Muthwilliges vor, von keines Gedankens Blässe angekränkelt. So hatte ich es auch in den Novellen und Romanen, die mir einstweilen die [102] eigene Erfahrung ersetzen mußten, dargestellt gefunden. Hier saß nun ein Wesen vor mir, das von all diesen lieblichen Eigenschaften nicht eine besaß und mir daher mehr räthselhaft als anziehend erschien. Ich vollendete auch meine Zeichnung mühsamer als sonst. Die Feinheit des Profils war nicht so im Fluge zu treffen, und endlich, da wir eine gute Stunde einsilbig neben einander gesessen und Jost mehrmals »es wird sehr gut« gebrummt hatte, fuhr ich mit dem Gummi rasch über den Umriß hin und sprang auf, indem ich unmuthig erklärte, es sei mißrathen, ich bäte um Entschuldigung, daß ich sie so lange vergebens bemüht habe.

Jost wollte die Zeichnung durchaus haben; ich hatte aber das Buch schon wieder eingesteckt und sagte, ich müsse nun nach Hause. Sie selbst stand ohne ein Zeichen des Unwillens oder der Enttäuschung auf und lief uns voraus, dem Hause zu, wo ich mich von den Eltern verabschiedete. Ich mußte versprechen, bald wiederzukommen, man trug mir Grüße an die Mutter auf, der Freiherr begleitete mich mit Jost bis an die Gitterthür und drückte mir treuherzig die Hand, indem er mir nochmals dankte, daß ich mit seinem Wildfang von Sohn so gute Freundschaft hielte.

Ich wanderte der Stadt zu wie im Traum, nichts hörend und sehend von den vielen Spaziergängern, gegen deren Strom ich zu schwimmen hatte. Die Mutter war allein, ihrer Gewohnheit nach mit einer Handarbeit be [103]schäftigt, da sie ganz allein die Garderobe ihrer beiden großen Söhne im Stand hielt. Sie brannte darauf, zu hören, wie es mir bei meinem ersten Eintritt in die große Welt zu Muth gewesen sei, fragte mich nach hundert Einzelheiten, die mir entgangen waren, und verrieth mit keinem Seufzer, daß sie mich entbehrt hatte. Doch empfand ich es als ein Unrecht, das ich ihr angethan, und um sie ein wenig zu entschädigen, schlug ich ihr vor, einen Gang in den Thiergarten mit mir zu machen.

Sie war gleich bereit, in sichtlicher Freude, umarmte mich, und wir gingen. Ich blieb jedoch schweigsam und stand nur einsilbig Rede auf ihre Fragen. Ich konnte ihr doch nicht sagen, wie beklommen mir ums Herz gewesen war, als ich in unsere enge, so höchst bescheiden eingerichtete Wohnung zurückgekehrt war aus dem reichen Behagen und der künstlerischen Ausstattung der Villa. Zum erstenmal fiel mir auch auf, daß der schwarze Hut meiner lieben Mutter, ihr sehr sauberer, aber ganz unmoderner Anzug neben dem Sonntagsstaat der meisten uns begegnenden Frauen fast ärmlich erschienen und schon neben der Kammerjungfer der Baronin sich nicht hätten sehen lassen dürfen, geschweige neben dem Spitzenkleide ihrer Herrin selbst. Sie ahnte das natürlich nicht und ging mit heiteren Blicken neben ihrem großen Sohne hin, der ihr in den neuen Kleidern so vornehm erschien, daß er den Vergleich mit jedem [104] Junker aushalten konnte. Wir trafen zufällig auch meinen Bruder mit einem seiner Freunde und beschlossen den Tag bei einem Glas Kalteschale und erträglicher Musik in den Zelten. Als ich dann auf meinem stillen Stübchen bei der Lampe saß und mir die Erlebnisse dieses Tages zurückrief, schüttelte ich den Druck, den ich bei der Vergleichung der beiden Welten empfunden, mit einem kräftigen Entschluß von mir ab. Meine arme liebe Mutter gefiel mir doch tausendmal besser als alle Freifrauen der Welt, meinen Bruder, den Setzergehülfen mit den etwas schwärzlichen Fingern und den plumpen Manieren, hätte ich um ein Dutzend Junker nicht vertauscht, und nur einen Vater, wie der Freiherr, zu haben, schien mir ein Vorzug zu sein, zumal ich den meinen nicht mehr hatte. Aber eine Schwester wie das Freifräulein? Darauf hatte ich nicht gleich eine Antwort. Ich zog mein Zeichenbuch heraus und fing so still für mich an, das ausgewischte Profil von Neuem zu zeichnen, und seltsam, aus dem Gedächtniß glückte es weit besser als nach dem Leben. In wenigen Minuten hatte ich den Umriß wieder hergestellt, so sprechend ähnlich, daß ich mit großer Befriedigung mein Werk betrachtete. Ich schattirte es nun noch, wie Sie es da sehen, lös'te das Blatt sorgfältig aus dem Buche heraus und verwahrte es in einer verschlossenen Mappe, in der ich auch meine Verse vor jedem unbefugten Blick versteckt hielt. Warum ich so heimlich damit verfuhr, statt die junge Dame [105] wenigstens der Mutter in effigie vorzustellen, kam mir selbst nicht zum Bewußtsein.

Doch ich merke, daß ich Ihre Geduld ungebührlich in Anspruch nehme, indem ich all diese unbedeutenden Erinnerungen vor Ihnen auskrame, die nur für mich Werth haben können. Fürchten Sie nicht, daß ich in demselben Stil fortfahren werde, Ihnen die Geschichte meiner ersten Liebe zu beichten. Denn daß es sich um nichts Geringeres handelt, haben Sie längst errathen. Ich glaube zwar nicht, daß mein Langen und Bangen in schwebender Pein, wenn man es ausführlich schilderte, sich ganz so ausnehmen würde wie die meisten Primanerromane, und zwar nicht sowohl weil der Liebhaber ein so besonders genaturter Jüngling gewesen wäre, als wegen des jungen weiblichen Charakterkopfs, der in der Geschichte mitspielt. Werden Sie glauben, daß während des ganzen Jahres, daß ich noch als Pennal mit ihr verkehrte und nach und nach allsonntäglich stundenlang im Park oder Garten mich mit ihr tummelte, kaum jemals ein Spaß zwischen uns jenes helle Lachen hervorrief, das so jungen Paaren sonst so leicht aus der Kehle dringt? Zwar war auch ich nicht vom scherzhaftesten Temperament. Aber ich war kein Pedant und glaubte einem jungen Mädchen gegenüber mich zu einer möglichst heiteren Laune zwingen zu müssen. Ich gab also allerlei lustige Geschichten zum besten, über die meine Mutter herzhaft gelacht hatte. Das seltsame Fräulein sah mich [106] nur wie betroffen an, und als ich fragte, ob sie ihr nicht drollig erschienen, erwiderte sie ganz ernsthaft: O gewiß. Ich wundere mich nur, daß gerade Sie Geschmack daran finden.

Gerade ich! Was hatte sie sich für einen Begriff von mir gemacht, dem diese harmlosen Schnurren widersprachen?

Ich fragte sie darum. Sie wollte aber nicht mit der Sprache heraus. Da ich nun sah, daß mir meine Herablassung zu ihrem vermeintlichen Backfischstandpunkt nicht gedankt würde, änderte ich die Tonart und erzählte ihr allerlei von meinen geliebten Griechen und Römern, zumal von den Dichtern, die ich gelesen hatte. Da hätten Sie sehen sollen, mit welcher Andacht sie mir zuhörte, wie ihre Augen leuchteten oder sich völlig schlossen, wie um einen schönen Traum, der ihr vorüberzog, nicht durch die gemeine Wirklichkeit um sie her zu stören. Den Bruder langweilten solche Gespräche. Er hörte von Sophokles und Aeschylos schon in der Schule mehr, als ihm lieb war, und so ließ er uns oft allein, um im hintersten Theil des Parks nach der Scheibe zu schießen oder, tiefsinnig im Grase ruhend, auf die Meerschaumpfeife zu starren, die anzurauchen sein Ehrgeiz war. Wir indeß saßen auf der Bank unter der Blutbuche, die nun dichten, dunklen Schatten bot, und ich las dem Freifräulein, während sie an einer Stickerei arbeitete, meine Uebersetzungen aus dem rasenden [107] Ajax vor, die mein guter Director gelobt hatte, oder erzählte ihr die Fabel des Orestes, die ihr besonders zu Gemüthe ging, so stark, daß sie bei der Ermordung der Klytämnestra aufstand und eine gute Weile mich allein ließ, da sie mich ihre hervorstürzenden Thränen nicht sehen lassen wollte.

Ich dachte mir nichts Anderes dabei, als daß ihr tiefes und starkes Gemüth, das bei der oberflächlichen Abrichtung in ihrer Pension keine Nahrung fand, durch diesen Einblick in eine fremde, gewaltige Welt allzu heftig erschüttert würde. Als ich aber andeutete, wir sollten diese Unterhaltungen vielleicht lieber einstellen, ich fürchtete, sie möchten ihr schwere Träume bringen, schüttelte sie den Kopf. Im Wachen kommen mir oft noch viel schwerere! sagte sie finster vor sich hin. Seitdem beherrschte sie sich, und ich sah keine Thräne mehr. Aber sie hielt darauf, daß ich ihr jedesmal etwas von diesen Dingen erzählen mußte, und als ich ihr zum nächsten Weihnachten das Buch Gustav Schwab's schenkte, in welchem er »die schönsten Geschichten und Sagen des klassischen Alterthums« so glücklich für junge Leser vorgetragen hat, drückte sie mir mit solcher Wärme die Hand wie nie zuvor, da ich gewöhnlich beim Kommen und Gehen nur ein paar kühle Fingerspitzen in der meinigen gefühlt hatte.

Sie wissen nun schon, daß ich der stehende Sonntagsgast in der Villa geworden war. Meine Mutter [108] hatte sich nicht nur ohne Klage darein gefunden, sondern es über ihr selbstloses Herz gebracht, es als ein besonderes Glück zu rühmen, daß ihr Sohn eine so bevorzugte Stellung in dieser vornehmen Familie gewonnen hatte. So brachte sie mein eigenes Gewissen zum Schweigen, und ich bildete mir endlich selber ein, ich sei es meiner Erziehung schuldig, nicht immer an der Schürze meiner Mutter zu hängen, sondern im Umgang mit einer so hochgebildeten, weltgewandten Dame, wie die Baronin, meine Manieren zu verfeinern und so viel »Welt« mir anzueignen, wie für einen jungen Menschen, der Künstler werden will, nöthiger sei, als für einen Buchdrucker oder selbst für einen Gymnasiallehrer.

So fand ich es ganz in der Ordnung, daß man mich draußen in der Villa verhätschelte, bewunderte, meine Talente aus ihrem schüchternen Dunkel hervorzog; daß ich – ohne Jost im Geringsten eifersüchtig zu machen, da er ebenfalls zu mir hinaufsah – von der Freifrau der Goldsohn genannt wurde und sie selbst in Briefen und Gedichten die Goldmama nennen mußte.

Seltsam aber: so ein recht söhnliches Herz konnte ich bei alledem nicht zu ihr fassen. Ich bezeigte ihr eine Art ritterlicher Verehrung, und sie cajolirte mich wie eine mittelalterliche Edeldame einen Pagen, der seiner heimlich angebeteten Herrin eine lyrische Huldigung widmet. Es war gewiß von beiden Seiten nichts Arges dabei. Ich ahmte einfach nach, was ich von den [109] wenigen fremden Herren, die dann und wann in der Villa vorsprachen, ja von ihrem eigenen Mann und Sohn dieser noch immer jugendlich sich geberdenden Frau an kleinen Galanterien darbringen sah. Hätte ich mein Herz aufs Gewissen gefragt, so wäre die Antwort gewesen, daß es sich sehr kühl verhielt gegen diese Goldmama.

Keinen geringen Antheil hieran hatte die offenbare Kälte, die zwischen ihr und ihrer Tochter herrschte. Ich zerbrach mir den Kopf, wie es zugehen möge, daß das Freifräulein, das mit solcher Inbrunst am Vater hing, sich kaum die Mühe gab, ihre vollkommene Gleichgültigkeit, ja Abneigung, gegen diese freundliche, immer lächelnde Mama zu verbergen, die ihr nie ein böses Wort sagte, jeden ihrer Wünsche befriedigte, wenn sie ihr auch freilich nicht mit der rechten mütterlichen Herzenswärme begegnete, sondern den Sohn vorzog, der ihre Caressen mit humoristischer Courtoisie erwiderte. Die Tochter dagegen ging mit halb geschlossenen Augen an ihr vorbei, richtete nie das Wort an sie und beantwortete ihre Fragen nicht unartig, aber mit möglichster Kürze. Keiner im Hause schien darin etwas Auffallendes zu sehen. Der Papa neckte sie zuweilen mit ihrer Verschlossenheit und nannte sie sein stilles Wässerchen. Der Bruder prophezeite ihr, die Zunge werde ihr schon gelös't werden, wenn sie erst auf Bälle gehen und mit zwanzig jungen Herren geistreiche Gespräche führen [110] müsse. Für mich war gerade diese ihre nachdenkliche Stille ein Reiz und eine Tugend mehr an ihr.

Denn Sie müssen nicht glauben, daß ihr seltsames Wesen auch nur einen Hauch von mattherziger Sentimentalität oder Unfrische gehabt hätte. Eine starke Willenskraft, sogar ein Ueberschwang von jugendlichem Feuer kündigte sich in hundert kleinen Zügen an, und in diesen kräftig aufgeblühten Gliedern kreiste ein so übermüthiges Blut, daß sie es nur schwer zu bezwingen vermochte, hatte sie ihm einmal die Zügel schießen lassen. Ihr liebstes Vergnügen war, wenn es recht stürmte, gegen den Wind zu laufen, so behende, daß wir sie nur selten wieder einholen konnten. Sie sei eine kecke Turnerin gewesen in ihrer früheren Zeit und schwimme noch jetzt mit Leidenschaft wie eine Seejungfer, vertraute mir Jost. Als der Winter gekommen war und auf dem Weiher die schönste Eisbahn hergestellt hatte, konnte sie nicht satt werden, Schlittschuh zu laufen, am liebsten beim unholdesten Eiswind. Ich hatte diese edle Kunst vernachlässigt, da es mich zu viel Zeit gekostet hätte, während des Semesters die entfernten Gelegenheiten dazu aufzusuchen. Kaum hörte sie, daß es so mit mir stand, so drang sie darauf, jeden Sonnabend – denn ich kam jetzt gewöhnlich schon am Vorabend des Sonntags und übernachtete oben im Zimmer meines Freundes, um den ganzen folgenden Tag draußen zu bleiben – sobald ich die Eltern begrüßt hatte, mir Unterricht im Eislaufen [111] zu geben. Die Goldmama schenkte mir natürlich sofort ein Paar Schlittschuhe bester Qualität, und nun wurde ich von den Geschwistern in die Mitte genommen und machte mit großem Ehrgeiz meine Schule durch. Wie glücklich war ich, daß sie sich mit mir beschäftigte! Welche Wonne durchrieselte mich, wenn sie meine Hand faßte und meine unsicheren Schritte leitete! Und wie konnte sie sogar hell auflachen, wenn ich mit absichtlicher Unbeholfenheit allerlei drollige Fallversuche machte und meine lange Figur doch noch glücklich wieder ins Gleichgewicht brachte! Sie war in solchen Stunden wie ausgetauscht, jeder Schatten des Trübsinns von ihrem Gesicht verschwunden, ihre Augen glänzten, ihr Haar unter dem polnischen Mützchen flatterte im Wind, und die weißen Zähne blitzten in der grauen Dämmerung so munter, daß mir das Herz aufflammte und ich alle Vernunft zusammennehmen mußte, die Arme nicht um ihre schlanke Gestalt zu schlingen und ihr zuzuflüstern, daß ich wie ein Wahnsinniger in sie verliebt sei.

Aber jede Regung eines so verwegenen Gelüstes schwand, sobald wir wieder statt der glatten Eisfläche die rauhe Erde unter den Füßen hatten. Auch mit ihrem Muthwillen war's dann plötzlich vorbei. Wir kehrten entweder stumm ins Haus zurück, oder sie erzählte von etwas, das sie gelesen hatte, und ich athmete auf wie Jemand, der einer halsbrechenden Gefahr entgangen war, überzeugt, daß sie mich mit einem einzigen stolzen Wort [112] und empörten Blick zurückgeschleudert haben würde, wenn ich gewagt hätte, die Schranke zwischen uns zu überspringen.

Ich war so fest wie von meinem Leben überzeugt, daß ich ihr nicht näher stand, als jeder andere Schulkamerad ihres Bruders gethan hätte, der als Musterknabe, als sittliches Vorbild für den Leichtfuß von Junker ein erwünschter Umgang gewesen wäre. Zuweilen sogar wollte mir's scheinen, als betrachte sie mich mit einer Art mitleidiger Geringschätzung, und zwar immer dann, wenn ich der Mama auf meine Pagenmanier den Hof machte. Sie ließ es mich dann empfinden, indem sie an einem solchen Tage ein Gespräch mit mir absichtlich vermied. Aber sie zürnte nicht lange. Ich war ihr zu unbedeutend, dachte ich, um mein Thun oder Lassen allzu tragisch zu nehmen.

Daß eine gesellschaftliche Kluft zwischen uns sei, war das Letzte, woran ich dachte. Sie kennen meine demokratische Erziehung, und wir standen damals vor den Märzereignissen, in einer Stimmung aller jungen Gemüther, die mich die Freiherrnkrone auf der Visitenkarte meines guten Jost nicht mit dem geringsten Respect betrachten ließ. Dennoch entsinne ich mich, daß ich in meinen lyrischen Herzensergießungen die Kälte, mit der mir das Freifräulein begegnete, auf ihren Standeshochmuth schob und von einer Revolution träumte, welche den armen Lehrerssohn der blaublütigen Geliebten gleich [113]stellen würde. Zu anderen Stunden klagte ich ohne solche Thorheiten mein Herzeleid, daß ich meine Lieb' und Treue an ein Marmorbild verschwendete, in dessen Adern »ewig niemals« warmes Leben sich regen werde, eine Nixe, die nur im Winterfrost Verlangen nach der Berührung einer warmen Menschenhand empfinde, und was der lyrischen Invectiven mehr waren.

Und diese hoffnungslosen Gefühle hatten schon nach wenigen Monaten eine solche Macht über mich gewonnen, daß ich nicht bloß die Rücksichten gegen meine gute Mutter völlig vergaß, sondern auch meinen Ehrgeiz, in der Klasse mir nicht den geringsten Tadel zuzuziehen. Ich lebte, sann, hoffte und harrte nur von einem Sonntag zum andern. Was dazwischen lag, hatte allen Werth für mich verloren.

Meine Lehrer wunderten sich, daß plötzlich, so dicht vor dem Ende, mein rühmlicher Eifer erkaltete. Sie schoben jedoch die beklagenswerthe Veränderung auf den Schulekel, der selbst ihre trefflichsten Zöglinge zuweilen kurz vor dem Austritt aus dem Gymnasium befällt. Und der überfließende Gnadenschatz, den ich neun Jahre hindurch angehäuft, kam mir auch noch zu guter Letzt zu Statten; ich bestand das Abiturientenexamen mit allen Ehren, während es an einem Haar hing, daß Junker Jost trotz des allseitigen guten Willens, ihm jeden Stein des Anstoßes aus dem Wege zu räumen, dennoch unsanft durchgefallen wäre.

*

[114] Das war um Ostern 1847. Ich hatte kurz vorher mein achtzehntes Jahr vollendet, Jost feierte einige Monate später seinen zwanzigsten Geburtstag, trat, sobald er den lateinischen »Stall« hinter sich hatte, in einen viel ersehnteren ein, indem er sich bei einem Husarenregiment als Einjähriger meldete, und ich hatte nichts Eiligeres zu thun, als mich dem Director der Akademie zur Eintrittsprüfung vorzustellen. Obwohl ich so viele schöne Zeit versäumt hatte und an Fertigkeit der Hand hinter manchem Jüngern weit zurückstand, war doch mein Auge während der Schuljahre nicht ungeübt geblieben und die Leidenschaft für meinen wahren Beruf so groß, daß ich ohne sonderliche Schwierigkeiten die Aufnahme in die unterste Klasse erlangte.

Zum erstenmal seit Jahr und Tag fühlte ich mich wieder von einem vollen Glücksgefühl durchströmt. Ich hatte irgendwo gelesen, nach Spinoza's Ausspruch könne keine Leidenschaft durch Vernunftgründe, sondern nur durch eine andere, stärkere Leidenschaft bezwungen werden. Nun gab ich mich der Hoffnung hin, die unselige Liebe zu dem unnahbar stolzen Mädchen werde erlöschen, wenn ich Tag für Tag fleißig hinter meinem Reißbrett hockte und nach der damaligen unsinnigen Methode die schönen griechischen Götter und Göttinnen in Gyps nachzuzeichnen mich mühte, deren Würde und Höhe das heiße Blut abzukühlen wie geschaffen schienen.

Ich sollte bald merken, daß ich von diesen himm [115]lischen Mächten vergebens Heilung meines Fiebers gehofft hatte.

Zwar gewann ich es über mich, in den Sommermonaten meine Besuche in der Villa auf sehr wenige Sonntage einzuschränken, unter dem Vorwand, ich hätte allzu viel versäumt und müsse auch die freien Tage nützen, um mit meinen jüngeren Kameraden Schritt zu halten. Auch ließ ich mich nie mehr verführen, vom Sonnabend auf den Sonntag draußen zu bleiben. So lange unter einem Dach mit meiner heimlichen Flamme zu hausen, hätte meine Glut wieder hoch angeschürt. Ich kam jetzt gewöhnlich am Sonntag Nachmittag und blieb bis zur Dämmerung, jedesmal mit zärtlichem Schmollen von der Goldmama ausgescholten, daß ich sie vernachlässigte, von dem Freifräulein mit dem gleichen kühlfreundschaftlichen Gesicht empfangen. Jost fand meine Zurückhaltung nicht auffallend, da er selbst jetzt ganz seinen neuen Pflichten lebte und dem schönen Gaul, den zu reiten ihm ein unsägliches Vergnügen machte. Der Freiherr war mir unverändert zugethan. Doch glaubte ich auch bei ihm keinen sonderlichen Kummer darüber zu bemerken, daß der Freund seines Sohnes sich jetzt seltener blicken ließ, da von einem sittlichen Einfluß auf den jungen Husaren doch keine Rede mehr sein konnte.

Meine liebe Mutter war sichtbar froh, mich nun wiederzuhaben. In der letzten Zeit hatte sie doch Mühe gehabt, ihre Eifersucht auf die gefährliche Goldmama [116] zu verbergen. Wir führten unser altes trauliches Leben zu Dreien, gingen fleißig spazieren, und ich dachte wirklich das Schlimmste überstanden zu haben.

Als aber die erste Glückseligkeit meiner jungen Künstlerfreiheit ihren Zauber verloren hatte, die Blätter von den Bäumen fielen und die Abende länger wurden, so daß das Zeichnen bei der trüben kleinen Lampe nur nothdürftig von Statten ging, fing ich an zu spüren, an einer wunderlichen Unruhe und Mißzufriedenheit, daß ich zu früh Victoria gerufen und gewähnt hatte, den reizenden Feind aus dem Felde geschlagen zu haben.

So war ich bald wieder schwach genug, in alter Weise jede Gelegenheit, mich draußen sehen zu lassen, begierig zu ergreifen; es trug mir nichts ein als neue Nahrung für meine Leidenschaft und immer tiefere Hoffnungslosigkeit.

Zu ihrem Geburtstag im November hatte ich eine Federzeichnung gemacht, den blinden alten Oedipus, von seiner Tochter geführt, meine erste, noch sehr kindliche Composition. Ohne daß ich mir's vorgesetzt, sah der alte König dem Freiherrn so ähnlich, wie die Uebersetzung eines deutschen Urtextes ins Griechische nur immer konnte, und Antigone unterschied sich von dem Freifräulein nur durch das Gewand und die antike Haartracht. Als ich ihr das Blatt mit meinem erröthend gestammelten Glückwunsch überreichte, – ich traf sie glücklicherweise allein in dem Gartensaal, wo sie den Blumentisch ordnete – [117] betrachtete sie es erst lange, ohne ein Wort zu sagen. Dann gab sie mir die Hand.

Es ist schön, sagte sie. Sie machen große Fortschritte. Ich danke Ihnen. Sie haben mir eine großeFreude gemacht.

Die Anderen kamen dazu, ich wurde sehr gelobt; von den Aehnlichkeiten, die, wie ich gefürchtet, mich verrathen würden, sagte Niemand ein Wort. Ich sollte zu Tische bleiben, mehrere junge Freundinnen des Geburtstagskindes wurden erwartet, ich entschuldigte mich, da es ein Wochentag war, ich dürfe die Akademie nicht versäumen, und hatte auf dem langen Heimweg Zeit genug, mich einmal übers andere einen Schwächling und jämmerlichen Thoren zu schelten, daß ich noch immer in den Fesseln eines hoffärtigen Mädchens schmachtete, das so offenbar nichts von mir wissen wollte.

Nur diese Weihnachten noch überstanden, dann sollte es für immer aus sein, schwor ich mir zu. Für alle Gastfreundschaft, die ich in diesem Hause genossen, mußte ich mich noch einmal erkenntlich zeigen, auf meine bescheidene Weise, da ich zu kostbaren Geschenken zu arm war. Ich hatte mir ausgedacht, wenn ich den Hausherrn für seine Gattin, diese für ihren Mann zeichnete und die beiden Geschwister für einander, würde ich meine Dankesschuld einigermaßen abtragen und mir damit zugleich ein bleibendes Andenken stiften, das, wenn ich den Verkehr nun abbräche, doch zuweilen ein Bedauern, mich verloren zu haben, hervorrufen müßte.

[118] Ich hatte schon so viel gelernt, daß die Zeichnungen nicht mehr an meine naiven Profilskizzen von der Schule her erinnnerten, sondern einen künstlerischen Anstrich hatten und mit kräftiger Schattenwirkung auch an einer Wand eingerahmt sich sehen lassen konnten. Ueberdies wußte Keiner von dem, was ihm selber zugedacht war, ich hatte mir Jeden heimlich sitzen lassen, Dorette wieder unter der Blutbuche, die Entwürfe eilfertig zu Stande gebracht und zu Hause die Zeichnungen sorgfältig ausgeführt. Es sollte eine vierfache Ueberraschung werden.

Jost, dessen ich draußen nur selten habhaft wurde, da der Dienst ihn in der Stadt festhielt, wollte mir drei Tage vor Weihnachten noch einmal in meinem Zimmer sitzen, das ich jetzt zu einem kleinen Atelier eingerichtet hatte. Er trat auch wirklich am Vormittag bei mir ein, von einem Ritt in der scharfen Decemberluft geröthet, in der kleidsamen Uniform, deren Schnüre und Knöpfe mir noch eine Stunde lang zu schaffen machen sollten.

Sofort merkte ich an seinem Blick und Gruß, daß seine offene, fröhliche Seele von irgend einer Sorge verdüstert war.

Ich fragte ihn scherzend, ob er gestern Nacht gespielt und eine Unsumme verloren habe, ob sein Pferd krank oder seine Liebste ihm untreu geworden sei.

Er erwiderte nichts, setzte sich finster auf den Platz, den er für die Zeichnung einnehmen mußte, und schwieg [119] wohl eine Viertelstunde. Dann stand er plötzlich auf und begann in dem kleinen Zimmer auf und ab zu gehen.

Höre, sagte er, ich muß von einer Sache mit dir reden, die mir sehr fatal ist. Sage mir aufrichtig, als mein Freund und ehrenhafter Mensch, wie ich dich kenne, wie steht es zwischen dir und Dorette?

Ich fühlte, daß ich bis in die Stirn erröthete. Zum Glück saß ich gegen das Fenster gekehrt, und auch ihm fiel es nicht ein, einen prüfenden Blick auf mein Gesicht zu werfen.

Was meinst du? versetzte ich so unbefangen, wie mein stark pochendes Herz es mir erlaubte. Wie soll es zwischen mir und deiner Schwester stehen? Du weißt ja selbst, daß wir bisher gute Kameradschaft gehalten haben, soweit das zwischen einer hoffähigen jungen Dame und einem Sohne armer, aber ehrlicher Eltern möglich ist. Seit du dich draußen so rar machst, bin auch ich seltener in ihrer Gesellschaft gewesen, und mit dem neuen Jahr wird es wahrscheinlich mit der Goldsohnschaft überhaupt ein Ende nehmen. Wir denken daran, von Berlin wegzuziehen, irgend wohin, wo das Leben billiger ist und ich doch Gelegenheit habe, bei einem Maler in die Lehre zu gehen.

Ich warf das so hin, weil es einmal als ein flüchtiger Plan zwischen mir und der Mutter aufgetaucht war, ohne daß wir ernstlich daran dachten. Es sollte [120] meinen Rückzug aus dem unseligen Verhältniß maskiren.

Wenn es so steht, sagte er, so bin ich beruhigt. Denn, unter uns, Ludwig, es wäre nicht so fortgegangen.

Warum nicht? fragte ich und stand nun ebenfalls auf. Was hast du mir vorzuwerfen? du, oder deine Eltern, oder deine –

O, nicht das Geringste! Es ist nur natürlich, daß es mit der Zeit so kommen mußte. Du warst ja der einzige junge Mensch, den sie zu sehen bekam, und wie sie nun einmal ist gerade weil du ihr nie die Cour gemacht hast, sondern sie wie ein reifes Frauenzimmer von allerlei ernsthaften Dingen, Sophokles und Consorten, unterhalten hast – das mußte am Ende Eindruck auf sie machen. Aber wenn ihr jetzt getrennt werdet, wird bald Gras darüber gewachsen sein. Ich wollte nur wissen, wie es mit dir stünde, ob du nicht etwa selbst angebrannt wärst. In diesem Fall hätte ich dich freundschaftlich warnen müssen. An etwas Ernsthaftes zwischen euch kann ja kein Gedanke sein, zumal, da ich ganz bestimmt weiß, daß die Eltern andere Absichten mit ihr haben. Wenn du nun weiterzeichnen willst –

Verzeih, sagte ich, ohne zu beachten, daß er sich wieder gesetzt hatte, du mußt mir nun doch noch etwas mehr Aufklärungen geben. Wie kommst du überhaupt auf den abenteuerlichen Gedanken, daß deine Schwester [121] auch nur das geringste wärmere Interesse für mich fühle? Mir hat sie immer nur die äußerste Gleichgültigkeit gezeigt, nicht anders, als ob sie einem sechzigjährigen Hausfreund sich gegenübersähe.

Hm, machte er, du kennst sie nicht. Niemand kennt sie, und ich selbst habe mich täuschen lassen von ihrer kaltblütigen Miene. Auch glaube ich nicht, daß sie sich je vergessen und, wenn sie wirklich eine Passion für Jemand hätte, sich's merken lassen würde. Aber daß du ihr nicht so gleichgültig bist, wie du meinst, dafür habe ich untrügliche Beweise. Deine Zeichnung von Oedipus und Antigone hat sie sich einrahmen lassen und über ihr Bett gehängt. Den Bleistift, den du neulich bei uns vergessen hast, fand ich auf ihrem Schreibtisch, und als ich vorgestern unerwartet hinauskam und in mein Zimmer trat, finde ich sie ganz vertieft in die Betrachtung deines Daguerreotyps, das du mir zum Geburtstag geschenkt hast. Ich machte einen Scherz daraus, bereute es aber gleich, denn ich sah, daß sie todtenblaß geworden war und nur mühsam Contenance bewahren konnte. Am Ende ist sie doch auch ein junges Ding von Fleisch und Blut, und wenn die Sache überhaupt möglich wäre – mir könnte nichts lieber sein, als dich zum Schwager zu haben. Aber du wirst selber einsehen –

O gewiß! unterbrach ich ihn; es wäre ja eine Tollheit, daran zu denken – und ich versichere dich, [122] du kannst ganz ruhig sein – ich habe ihr nie auch nur das leiseste Wort gesagt, aus dem sie hätte entnehmen können – nein, Jost, sei ganz unbesorgt – und wenn du dich jetzt etwas mehr nach rechts drehen wolltest –

So sprudelte ich heraus und nahm hastig die Arbeit wieder auf, um nur einer weiteren Auseinandersetzung vorzubeugen. War es denn möglich? Ich hatte für Kälte gehalten, was nur mädchenhafter Stolz war, um ihr wahres Gefühl zu verbergen! Was galt es mir jetzt, ob es eine Tollheit war, irgend welche Hoffnungen zu nähren! Ich fühlte nur eins: wenn es so war, wie er glaubte, so war kein Abgrund zwischen uns so tief, keine gesellschaftliche Kluft so breit, daß mir nicht hätten Flügel wachsen sollen, mich darüber hinwegzuschwingen.

Sie können denken, was aus der Zeichnung wurde. Zum Glück besann sich mein Modell, daß wegen einer Verabredung mit Kameraden die Sitzung abgebrochen werden mußte. Wir schüttelten uns die Hände und schieden – auf Wiedersehen in der Villa am heiligen Abend.

*

Kaum war ich allein, so überließ ich mich dem unsinnigsten Freudentaumel, Lachen und Weinen, Jauchzen und Herumtanzen in meinen engen vier Wänden, wie ein armer Sünder in seinem Gefängniß, dem seine Be [123]gnadigung und die nahe Freilassung angekündigt worden ist. Es litt mich auch nicht in dieser Enge. Ich lief zur Mutter und umarmte die gute, ahnungslose Frau so zärtlich wie lange nicht, daß sie mich ganz erschrocken ansah, ob ich etwa süßen Weines voll sei. Ehe sie mich noch ins Gebet nehmen konnte, war ich schon auf der Straße, und erst nachdem ich mich müde gelaufen hatte, konnte ich es über mich gewinnen, die Lage vernünftiger ins Auge zu fassen.

Das Eine stand mir über allen Zweifel fest: ich konnte nun nicht dies Haus meiden, ehe ich unumstößliche Gewißheit erlangt hatte, ob ich wirklich das Herz dieses Mädchens besaß. War das der Fall, so gehörte mein ganzes Leben ihr, so mußte ich Alles daran setzen, sie mir zu erringen. Und warum sollte es »eine Tollheit« sein? Hatte ich nicht die sichere Gewißheit in mir, ein Künstler zu sein, dessen Talent sich Bahn brechen, in kürzerer Zeit ihn unabhängig machen müsse, als es in jedem andern Beruf der Fall gewesen wäre? Und wenn sie eine junge Baronesse war, galt nicht auch das Genie für einen Adelsbrief und führte zu den obersten Stufen des Lebens hinan, zu der Menschheit Höh'n, nach dem tröstlichen Dichterwort? Vielleicht wären die Eltern nicht gleich einverstanden; Jost hatte so eine Andeutung gemacht. Aber kannte ich nicht den festen Willen meiner Geliebten und durfte vertrauen, daß sie sich durch keine Einschüchterungen irre machen ließ, ihrem Herzen zu folgen?

[124] Ich will Sie nicht langweilen, lieber Freund, mit alle dem, was ich in jenen drei Tagen anfing, um meine Ungeduld zu beschwichtigen. Genug, obwohl die Mutter mir wehmüthig nachblickte, als ich ihr sagte, ich würde den heiligen Abend nicht bei ihr zubringen können, machte ich mich in überschwänglicher Wonne auf den Weg und tröstete mich damit, wie glücklich auch die liebevolle Mutterseele sein würde, wenn sie hinterher erführe, welch ein Glücksstern an diesem Abend ihrem Liebling aufgegangen sei.

Unterm Arm trug ich ein Packet, worin die vier Porträts eingewickelt waren, sämmtlich in geschmackvollen flachen Rähmchen von gepreßtem Papier. In der Tasche aber hatte ich noch ein heimliches Angebinde: einen kleinen goldenen Ring mit einem blauen Türkis, für den ich meine letzten dürftigen Sparpfennige hingegeben hatte. Alle Augenblicke fühlte ich darnach, ob er auch noch vorhanden sei. Und dann dachte ich an Alles, was ich sagen wollte, wenn ich ihn herausholte, und was sie wohl antworten würde, und so scharf der Wind mir entgegenblies, so heiß war mir's unterm Hut und so frühlingswarm im Herzen, daß ich laut vor mich hin sang und von den wenigen Vorübergehenden auf dem langen dunklen Weg wahrscheinlich für einen liederlichen Burschen gehalten wurde, der ein ansehnliches Geldgeschenk zu Weihnachten bereits so früh am heiligen Abend in einer Kneipe durchgebracht hätte.

*

[125] Als ich draußen ankam, war's etwa fünf Uhr, am Himmel zogen schwere bleigraue Schneewolken hin, nur die beschneiten Büsche und Bäume verbreiteten ein bleiches Zwielicht, denn die Laterne auf der Chaussee vor der Villa hatte der Wind ausgeweht. Ich fand im Hausflur den alten Diener, dem ich meine Bescherung übergab. Er sollte, da er allein Zutritt zu der Weihnachtsstube hatte, die Bilder, die durch Inschriften bezeichnet waren, auf ihre Plätze legen. Der Herr Baron sei in die Stadt gefahren, einen Gast abzuholen, die Frau Baronin noch mit dem Aufbau beschäftigt. Die jungen Herrschaften würde ich im Park beim Weiher finden, da sie noch Schlittschuh liefen.

Ich betrat mit klopfendem Herzen die wohlbekannten Wege. Wie oft war ich hier in hoffnungslosen Gedanken neben ihr gegangen, und heute –! Auch daß ich den Bruder bei ihr treffen sollte, machte mich in meinem Vorsatz nicht wankend. Was ich ihr zu sagen hatte, konnte – sollte ja alle Welt erfahren! Ich fühlte mir Muth, mitten in einem großen, dichtgedrängten Saal vor sie hinzutreten und ihr mein Herz zu Füßen zu legen, nicht verzagter und zögernder, als man seiner Tänzerin ein Cotillonsträußchen darbringt.

Aber sie war allein.

Schon von weitem durch die entlaubten Zweige sah ich sie auf dem Bänkchen unter der kahlen Blutbuche sitzen in ihrer pelzverbrämten Jacke und dem pol [126]nischen Mützchen. Sie schien nichts zu spüren von der eisigen Luft und dem schauerlichen Wind, der in den starren Binsen am Ufer rauschte. So tief war sie in ihre Gedanken versunken, daß sie meinen Schritt überhörte und erst in die Höhe fuhr, als ich dicht herangekommen war und »Guten Abend, Fräulein Dorette!« sagte.

Sie sind es?! sagte sie und ließ gleich wieder die Augen sinken. Jost ist eben hinaufgegangen; er hatte sich müde gelaufen. Auch ich – die Bahn ist verdorben durch die vielen welken Blätter – aber wenn Sie es versuchen wollen –

Ich schüttelte den Kopf – das Herz schlug mir bis zum Halse hinauf – stillschweigend setzte ich mich neben sie, sagte mühsam ein paar Worte über das Wetter, das umzuschlagen Miene mache, dann schwiegen wir Beide.

Der Schnee gab gerade so viel Licht, daß ich ihr Gesicht sehen konnte, auf dem eine unsägliche Traurigkeit lag. Sie hielt die Schlittschuhe im Schooß, ihre Glieder durchfuhr es zuweilen wie ein Krampf, daß die Eisen leise gegen einander klirrten.

Liebe Dorette, sagte ich endlich, Ihnen ist nicht wohl. Sie sind nicht so froh, wie selbst große Kinder am heiligen Abend zu sein pflegen. Was sitzen Sie hier in der bösen Schneeluft? Kommen Sie ins Haus hinein, Sie werden sich erkälten.

[127] Sie regte sich nicht, als hätte sie nicht gehört, was ich so nah an ihrem Ohr gesagt hatte. Stumm und starr blickte sie auf den zerstampften grauen Schnee zu ihren Füßen nieder. Da sah ich, wie zwei große, schwere Tropfen aus ihren schwarzen Wimpern vordrangen und langsam über ihr weißes Gesicht rollten.

Liebe, theure Dorette, rief ich, Sie leiden, Sie haben einen großen Kummer! O, wenn ich Ihnen helfen könnte – ich gäbe mein Leben darum! Wollen Sie sich mir nicht anvertrauen? Wissen Sie nicht, daß Sie keinen bessern, zuverlässigeren Freund haben als mich?

Sie machte eine Bewegung, wie wenn sie aufstehen wollte, aber ihre Glieder waren wie gelähmt.

Ich bitte, hauchte sie, kümmern Sie sich nicht um mich. Sie meinen es gewiß gut, aber helfen können Sie mir nicht – Niemand kann mir helfen – gehen Sie, lassen Sie mich hier – es ist besser so – ich werde mich schon zurechtfinden –

Aber indem sie dies sagte, brach ihr die Stimme. Ein Strom von heißen Thränen stürzte ihr aus den Augen, die Schlittschuhe glitten ihr von den Knieen, und beide Hände vors Gesicht drückend, schluchzte sie fassungslos auf in so herzbrechendem Jammer, wie ein Kind, das sich in einem wilden Walde verirrt hat und auf der Stelle sterben zu müssen meint.

Da hielt ich nicht länger an mich. Ich schlang [128] den Arm um ihre Schulter, und selbst der Thränen mich kaum erwehrend, raunte ich ihr in ausbrechender Leidenschaft Alles zu, was ich tausendmal in Gedanken an sie hingeredet hatte, alle meine Liebe und Qual, und daß, was sie auch an verschwiegenem Kummer zu tragen hätte, ihre Schmerzen mit meinen sich nicht messen könnten, wenn ich auf jede Hoffnung verzichten müßte.

Ich hatte sie während dieses stürmischen Bekenntnisses nicht anzusehen gewagt. Ich fühlte nur, daß das Zucken ihres jungen Leibes sich beruhigte und ihre Hände wieder herabsanken. Als ich endlich schwieg und in banger Spannung sie anblickte, sah ich, daß sie mit einem seltsam ekstatischen Ausdruck die Augen weit geöffnet hatte, aus denen keine Thränen mehr vordrangen, während ihre Wangen wie gebadet schimmerten.

Ist das Alles wahr? Sagen Sie das nicht bloß, um mich zu trösten? hauchte sie.

Ich wiederholte jetzt, nur feuriger und freudiger, was ich soeben halb beklommen mir von der Seele gewälzt hatte.

Da wandte sie sich plötzlich zu mir um, sah mir voll ins Gesicht und reichte mir die Hand.

Ich danke Ihnen, Ludwig, sagte sie. Ich glaube Ihnen Alles, ich weiß, Sie können nicht lügen. Auch ich kann es nicht, und wenn ich auch meinen Mund bezwinge, daß er nicht verräth, wie ich fühle, meine Augen kann ich nicht beherrschen. Haben Sie nicht [129] längst darin gelesen, daß ich Ihnen gut bin? Ich schämte mich manchmal, wenn ich dachte, Sie müßten es mir angesehen haben, und ich wußte doch nicht, wie Sie zu mir gesinnt waren. Schon seit lange trage ich es in mir. Es thut mir so wohl, daß ich es endlich frei heraussagen darf. O, ich war so unglücklich – und nun dies große, große Glück – ist es denn möglich?

Ein Schauer überlief sie wieder. Sie zog ihre Hand zurück und schloß die Augen, ihr Kopf lag an meinem Arm, ihre Lippen waren halb geöffnet und athmeten durstig die feuchte Nachtluft ein – warum konnte ich mir nicht ein Herz fassen, meine Lippen auf diesen Mund zu drücken, den ich in meinen verwegenen Träumen so oft geküßt hatte?

Nicht einmal das Du wollte mir über die Lippen. Ich drückte sie nur fester an mich.

Sie litt es eine Weile und schmiegte sich an meine Schulter, während ihre Brust noch immer dann und wann von einem Nachzittern des heftigen Weinens erschüttert wurde. Dann machte sie sich sanft von mir los und richtete sich auf dem Bänkchen gerade in die Höhe.

Wir müssen uns fassen, Ludwig, sagte sie. Wir haben nicht viel Zeit, uns auszusprechen. Mein Gott, wenn ich das gedacht hätte, wie ich hier so trostlos saß und glaubte, ich sei das unglücklichste Wesen auf der [130] Welt und mir wäre wohler, ich läge da unten im Weiher unter dem dunklen Eise! Jetzt – es ist zwar Alles, wie es war, aber ich weiß doch, daß ich einen Freund habe, der mich nicht verlassen wird, bei dem ich Hülfe und Schutz finden kann, wenn ich allein mir nicht mehr zu helfen weiß. Denn das ist doch Ihr Wille, Ludwig? Sie werden mir doch beistehen in meinem Unglück?

Muß ich Ihnen das noch betheuern, geliebte Dorette? rief ich. Wenn es nur Ihnen so ernst damit ist wie mir, daß nichts uns trennen soll aber Sie sprechen nur von einem Freunde! Soll ich Ihnen nicht mehr sein, nicht Alles, was ein Mann einem Weibe sein kann? Wollen Sie nicht meine Frau werden?

Ich werde keinem andern Mann meine Hand reichen! erwiderte sie mit so bestimmtem Ton, wie wenn sie das Ja vor dem Altar ausspräche. Man will mich mit einem Andern verheirathen, die Mama hat es mir heute deutlich zu verstehen gegeben und gelächelt, als ich antwortete, ich würde nie die Frau eines Mannes werden, den ich nicht liebte. Sie denkt, sie bringe mich doch noch zu ihrem Willen. Aber sie kennt mich nicht. O Ludwig, wenn ich Ihnen Alles sagen dürfte! Es giebt nichts Schlimmeres, als mit Jemand verheirathet zu sein, den man nicht recht von Herzen liebt. Nur das kann ich Ihnen sagen: auch mein guter Papa wird [131] nicht so geliebt, wie er es verdient. Daher ist alles Unheil gekommen. Nein, das will ich nie erleben! Wenn ich nicht wüßte, daß ich nie einen Menschen lieber haben werde als Sie, würde ich Ihr Geständniß nicht erwidert haben. Es wird noch einen Kampf kosten. Auch der Papa, der mich so lieb hat, wird gegen uns sein. Er thut immer, was die Mama will, wenn es ihn auch zuweilen hart ankommt. Selbst wenn ich ihm sage, daß es das Unglück meines Lebens sein würde, wird er mich nur beklagen, aber nicht den Muth haben, mich offen zu beschützen. Aber das Alles kann mich nicht irre machen. Ich habe Ihnen mein Herz und meine Treue gelobt, daran ist nicht zu rütteln und zu rühren. Wenn Sie nur fest bleiben –

Ich ergoß mich in glühenden Betheuerungen meines Muthes, meiner Sündhaftigkeit. Ich sagte ihr, daß ich schon in wenigen Jahren so weit zu sein hoffte, um einen eigenen Herd gründen zu können. Ich fürchtete nur, mein bescheidenes Loos möchte ihr allzu dürftig erscheinen, um es mit mir zu theilen.

Sie schüttelte den Kopf.

Ich weiß, daß Reichthum nicht glücklich macht. Und ich bin jung, das sind Sie ja auch. Wir können warten, wenn wir nur Beide das Ziel fest im Auge behalten. Ihre liebe Mutter war auch glücklich, obwohl sie oft mit Sorgen zu kämpfen hatte. Und wenn meine Eltern sehen, wie ernst es uns ist –

[132] In diesem Augenblick hörten wir die Stimme der Kammerjungfer, die nach dem Fräulein rief. Sie zog ruhig die Hand zurück, die wieder in der meinen gelegen hatte, stand auf und erwiderte laut: Ich komme! Dann zu mir gewendet: Ich muß zur Mutter. Ich glaube, sie hat keine Ahnung und wird mir eine Scene machen, wenn ich es ihr sage. Das ist nun nicht zu ändern. Gleich jetzt muß sie es erfahren, damit sie sich selbst und Dem, den sie heut erwartet, keine falschen Hoffnungen macht. Es ist ein Baron Z., seine Güter grenzen au die unseren. Ich kenne ihn von klein auf und habe ihn immer gehaßt, da er mich noch wie ein Spielzeug behandelte, als ich schon ein großes Mädchen war. Und noch Etwas ist's, weßhalb ich ihn hassen muß; das aber kann ich nicht sagen. Und nun kommt er und denkt, er brauche die Hand nur nach mir auszustrecken, so könne er mich haben und sein Leben lang mit mir spielen. Aber er soll sehen, daß ich ein freies Geschöpf bin, keine Sache!

Wir schritten neben einander hin, ohne uns an der Hand zu halten. Die Kammerjungfer hatte uns erwartet, sie war mir sehr gewogen, und wir konnten ihrer Verschwiegenheit sicher sein. Aber wie bei dieser ganzen wundersamen Verlobung hatten wir auch jetzt kaum den Gedanken an eine zärtliche Berührung.

Wissen Sie, was die Mama mir gedroht hat? fuhr sie fort. Ich würde Hofdame bei der alten Fürstin [133] werden müssen, wenn ich eigensinnig genug wäre, mich gegen eine so vortheilhafte Partie zu sträuben. Sie ahnen nicht, was das bedeutet. Die alte Fürstin ist eine allgemein beliebte, ehrwürdige Dame; Viele würden mich beneiden, wenn ich in ihre Nähe käme. Aber ich kann nicht vergessen, was mir einmal ein liebenswürdiges Hoffräulein gesagt hat, als ich noch sehr jung war und die schönen Kleider bewunderte, die ihr die Fürstin geschenkt hatte. »Das ist wie das silberbeschlagene Geschirr, mit dem man die Pferde bei Hof herausputzt. Glauben Sie, liebes Kind, gleich nach den Hofpferden, die einen anstrengenden Dienst haben und immer im Carrière laufen müssen, kommen die Hofdamen.« Nein, Ludwig, lieber in einer Hütte leben und frei sein, als an einem Hofe glänzen und sich nicht selbst angehören. Das werde ich den Eltern geradeheraus erklären. Und Sie werden Ihnen auch noch heute sagen, was wir mit einander abgeredet haben. Mag dann kommen, was kommen will – wir brauchen uns unserer Liebe und Treue vor Niemand zu schämen!

Sie nickte mir, da wir das Haus betraten, noch einmal mit einem lieblich-ernsten Lächeln zu und ging dann in das Wohnzimmer, wo die Mutter, wie Fanny gesagt hatte, sie erwartete.

*

[134] Ich stieg in der wunderlichsten Verfassung die Treppe hinauf zu dem oberen Stock, wo Freund Jost sein Zimmer hatte.

In die selige Gewißheit, daß sie mein war, mischte sich ein banges Gefühl. So hatte ich es nicht gemeint, daß wir gleich heute, wenn wir unter uns Zweien einig geworden wären, vor die Familie hintreten und uns als ein Brautpaar erklären sollten. Trotz all meines Selbstgefühls kam ich mir in der Rolle eines Verlobten der Tochter dieses Hauses doch ein wenig fragwürdig vor. Ich hatte gedacht, die nächsten Jahre in aller Stille mein Glück zu genießen und erst mit meiner Werbung hervorzutreten, wenn ich irgend einen nennenswerthen Erfolg aufzuweisen gehabt hätte. Aber wie sollte ich es übers Herz bringen, meiner so entschlossenen, furchtlosen Geliebten gegenüber zaghafter und vorsichtiger zu erscheinen als sie, die so viel Jüngere?

Den Bruder ins Vertrauen zu ziehen, fiel mir nicht ein. Nach dem, was ich vor einigen Tagen von ihm gehört hatte, konnte ich nicht hoffen, an ihm einen Bundesgenossen zu haben. Ich fand ihn oben in dem niedern, aber sehr großen Zimmer neben dem seinigen, das so manchesmal mich beherbergt hatte. Es war heute festlich beleuchtet durch zwei große Lampen, das Bett frisch überzogen, aber statt der wollenen Decke, unter der ich zu schlafen pflegte, mit einer grünseidenen versehen.

[135] Wir erwarten heut noch Baron Z., sagte Jost, indem er fortfuhr, allerlei im Zimmer zu ordnen, ein Kistchen mit Cigarren auf den Tisch zu stellen und den Ofen zu schüren. Ich habe dir wohl schon von ihm erzählt. Ein Gutsnachbar von uns, ein famoser Jäger und Reiter und ein sehr gemächlicher Kamerad, obwohl er ein Dutzend Jahre älter ist als ich. Ich denke, er bleibt über die Feiertage bei uns. Wenn du, wie ich hoffe, heut nicht mehr in die Stadt zurückkehrst, mußt du schon so gut sein, für diesmal mit einem Lager auf meinem Schlafsopha vorlieb zu nehmen. Du wirst's nicht bereuen, altes Haus. Ich braue uns hernach einen excellenten Grog, und wir machen vielleicht noch ein Spielchen oder schwatzen, bis uns die Augen zufallen.

Ich hatte keine Zeit, etwas zu erwidern, denn schon trat der Bediente ins Zimmer mit der Botschaft, die Frau Baronin lasse mich bitten, einen Augenblick zu ihr hinunter zu kommen.

Als ich in das kleine Boudoir trat, in welchem ich der Goldmama so oft stundenlang unter vier Augen Gesellschaft geleistet, wenn sie unwohl war, ihr meine Gedichte vorgelesen oder Piquet mit ihr gespielt hatte, stand sie vor ihrem alterthümlichen Schreibsecretär mit dem runden Verschluß, von dessen oberem Bord das große, mit Rosen bemalte Potpourrigefäß herabsah, während eine Lampe mit breitem rosa Schirm eine sanfte Däm [136]merung über die seidenen Möbel und das kleine Sopha in der Ecke verbreitete. Ich hatte ein strengblickendes Gesicht erwartet. Statt dessen ging sie mir mit ihrem holdseligsten Lächeln entgegen, nickte mir heiter zu, daß die Bänder ihres Häubchens auf ihren runden Schultern tanzten, und hob nur, wie schalkhaft drohend, den kleinen weißen Zeigefinger, als ich mich in wortloser Befangenheit vor ihr verbeugte.

Was fangen Sie für abenteuerliche Geschichten an, theurer Goldsohn! sagte sie ganz gleichmüthig. Dorette hat mir Alles gebeichtet. Wenn ich nicht wüßte, daß Sie ein Poet sind, lieber Ludwig, und meine Tochter eine überspannte kleine Person, würde ich ordentlich erschrocken sein. Kommen Sie, setzen Sie sich zu mir und lassen Sie uns vernünftig mit einander plaudern, wie es so einer prosaischen Goldmama von Herzen kommt, wenn ihre großen Kinder ein bischen Schelte verdient haben.

Ich blieb ruhig stehen. Daß sie aus dem, was mir und meiner Geliebten heiliger Ernst war, eine Kinderei machen wollte, empörte mich im tiefsten Herzen und gab mir plötzlich meine ganze Kaltblütigkeit wieder.

Verzeihen Sie, Frau Baronin, sagte ich, es war unrecht von mir, daß ich Ihrer Tochter nicht zuvorkam und Ihnen selbst das Geständniß machte. Sie mußten es natürlich zuerst erfahren, und von mir. Ich bitte Sie aber, zu glauben, daß meine Gefühle für Ihre [137] Tochter mehr sind als eine poetische Anwandlung, daß es mein tiefster Ernst ist, was ich ihr gestanden habe, und daß mein ganzes Leben dafür zeugen wird. Wenn es zu kühn war, zu hoffen, sie würde meine Neigung erwidern –

Aber, liebster Ludwig, unterbrach sie mich, immer noch mit demselben rosigen Lächeln, darum handelt es sich ja gar nicht. Daß ihr jungen Kinder einander gern habt, ist ja nur zu natürlich. Dorette kennt kaum einen andern jungen Mann, als den Freund ihres Bruders, und unser Goldsohn hat ja auch noch ein jungfräuliches Herz, und darum gerade ist er mir so theuer geworden. Glauben Sie denn, wenn Sie mir in Versen von einer hoffnungslosen ersten Liebe vorgeschwärmt haben, ich hätte nicht errathen, wem diese unschuldigen Flammen galten? Ich habe nichts dazu gesagt, weil die Verse viel zu hübsch waren, um daran eine philisterhafte Kritik zu üben, und wenn das Alles nur im Reich der Träume bleibt, ist es ja auch sehr unschädlich und kann den jungen Dichter davor bewahren, allerlei viel gefährlicheren Verführungen zu erliegen. Aber Sie haben zu viel Verstand, lieber Freund, um nicht einzusehen, daß zwischen Ihrer Poesie und der Prosa des Lebens eine hohe Mauer aufgerichtet ist, die Ihre Flammen nicht überspringen dürfen. Und darum wollen wir, was heut vorgefallen, unter uns lassen, nicht wahr? Und mein Goldsohn wird mir versprechen, [138] daß er in Zukunft seine poetische Phantasie im Zaum halten werde, damit sie ihm nicht wieder solche thörichten Streiche spiele.

Sie hielt mir beide Hände hin und erwartete offenbar, daß ich sie reuig ergreifen und ein feierliches Gelübde, mich bessern zu wollen, ablegen würde. Ich sah aber finster zu Boden.

Haben Sie Ihrer Tochter dasselbe gesagt, Frau Baronin, und was hat Sie Ihnen geantwortet?

Dorette? versetzte sie mit einem Seufzer. Sie kennen ja das wunderliche Kind. Sie ist so verschlossen, nicht einmal die eigene Mutter hat den Schlüssel zu ihrem eigensinnigen Herzen. Aber sie wird sich fügen müssen, wenn Sie mit gutem Beispiel vorangehen, und das werden Sie Ihrer guten alten Goldmama, die Ihnen so zärtlich zugethan ist, nicht verweigern. Sehen Sie mich an, Ludwig, und gestehen Sie, daß Sie, obwohl Sie schon so ein großer Mensch sind, doch noch einen rechten Pagenstreich begangen haben.

Da ermannte ich mich und sah ihr fest ins Gesicht.

Frau Baronin, sagte ich, ich müßte mich selbst verachten und verdiente auch Ihren und Ihres Herrn Gemahls unversöhnlichen Zorn, wenn ich in dieser Lebensfrage wie ein leichtfertiger Knabe gehandelt hätte. Niemals habe ich mich ernstlicher geprüft, als da ich mich entschloß, Ihrer Tochter endlich zu gestehen, was seit Jahr und Tag so unerschütterlich fest in mir steht, wie [139] der Glaube an irgend etwas Hohes und Heiliges. Es ist nicht gütig von Ihnen, daß Sie mich eines Knabenstreiches fähig halten, wo es Wohl und Weh eines Ihrer Angehörigen betrifft, Sie mögen sonst davon denken wie Sie wollen! Wenn ich es denn ausdrücklich betheuern soll: ich kann mir kein anderes Lebensglück denken, als an der Seite Ihrer Tochter, und da Sie immer noch ungläubig dazu lächeln, werde ich, sobald der Herr Baron zurückkehrt, ihn um eine Unterredung bitten und ihm offen und ehrlich meine Bitte vortragen, sobald ich in der Lage sein werde, eine Frau ernähren zu können, um die Hand seiner Tochter bei ihm anhalten zu dürfen.

Es war eine Weile still in dem Gemach. Ich konnte deutlich hören, daß die kleine Frau mir gegenüber mühsam athmete, wie Jemand, der den Ausbruch einer heftigen Erregung zurückzudrängen sucht. Auch ihr Gesicht hatte sich verändert. Das verbindliche Lächeln war einer kalten, fast feindseligen Miene gewichen.

Wenn Sie in diesem Tone sprechen, sagte sie endlich leise, so muß ich Ihnen leider erkären, daß es Ihnen nicht wohl ansteht, für eine Freundschaft, die Sie in diesem Hause genossen haben, sich auf solche Weise erkenntlich zu zeigen. Zu Ihrer Entschuldigung will ich glauben, daß Ihre Unkenntniß der Welt und Ihr lebhaftes Naturell Sie verblendet und fortgerissen haben. An der Sache selbst wird dadurch nichts geändert, und Sie [140] täuschen sich sehr, wenn Sie glauben, von meinem Mann einen andern Bescheid zu erhalten als von mir. Sie sind ein talentvoller junger Mensch ohne Vermögen, Namen, Aussichten, und werden es vielleicht, wenn Sie Glück haben, in zehn Jahren zu einer geachteten bürgerlichen Stellung gebracht haben. Hielten wir schon so weit, so würde ich wahrscheinlich alle anderen Rücksichten beiseite setzen und, falls ich mich überzeugte, daß es auch bei meinem Kinde mehr als eine flüchtige Phantasie des Herzens wäre, meine Einwilligung nicht versagen. Mein Mann aber, wie ich ihn kenne, würde auch dann wohl nicht vergessen, was er seinem alten Hause schuldig zu sein glaubt, und nimmermehr seine Zustimmung geben, daß seine einzige Tochter die Gattin des Malers Ludwig R. würde. Sie sehen daher, daß Sie das Uebel nur ärger machen würden, wenn Sie ihm als Weihnachtsgeschenk Ihr Geständniß entgegenbrächten.

Ich werde dennoch thun, was ich für meine Pflicht halte, sagte ich trotzig und wandte mich nach der Thür, um der Versuchung zu entgehen, all das Bittre heraussagen, was mir auf der Zunge lag. Da hörte ich sie erwidern, mit einer so bösen, schneidenden Stimme, wie ich sie nie von ihr vernommen, und mit einem so völlig verwandelten Ausdruck des Gesichts, daß ich in diesem Augenblick begriff, warum ihre Tochter kein Herz zu dieser Frau fassen konnte:

Das werden Sie nicht thun, Ludwig. Ich verbiete [141] es Ihnen und habe wohl noch so viel Autorität, daß Sie mir gehorchen werden. Ich selbst werde mit meinem Manne reden und seine Antwort Ihnen schriftlich mittheilen. Ich hatte mich darauf gefreut, den heutigen Abend mit meinen drei großen Kindern traulich zu verleben. Die Freude haben Sie mir nun verdorben. Ihnen selbst, so unzurechnungsfähig Sie in diesem Augenblicke sind, wird es einleuchten, daß Ihre Gegenwart für heute Niemand, selbst Ihrer Mitschuldigen nicht, erwünscht sein kann. Aber auch für die nächsten Tage möchte ich bitten, daß Sie sich fern halten und erwarten, welche Botschaft Ihnen zukommen werde. Wenn ich nicht zurückdächte an alle herzlichen Beziehungen, die seit so lange Sie mit uns verbunden haben, würde ich auf die Hoffnung, Sie wiederzusehen, überhaupt verzichten. Aber Sie sind jung, und ich bin großmüthig. Nur das Eine fordere ich von Ihnen, daß Sie heute keinen Versuch mehr machen, das thörichte Kind zu sprechen und in seiner Halsstarrigkeit zu bestärken. Versprechen Sie mir das, Ludwig. Es wäre sonst für immer zwischen uns aus und zu Ende.

Sie hatte die letzten Worte minder heftig an mich hingeredet und streckte mir jetzt noch einmal die Hand entgegen. Ich schlug aber wieder nicht ein.

Ich verspreche es, Frau Baronin! sagte ich kalt, verneigte mich und ging aus dem Zimmer.

*

[142] Draußen im Flur schwankte ich an dem Bedienten vorbei, der mir zuflüsterte, er habe die Bilder bereits auf dem Weihnachtstisch untergebracht, und Hut und Mantel vom Haken reißend, stürmte ich in die Nacht hinaus. So also hatte der Tag geendet, der meine liebsten, kühnsten Hoffnungen erfüllen sollte! Nicht daß ich mich in dem thörichten Wahn gewiegt hätte, man werde mich sogleich mit offenen Armen als einen erwünschten Schwiegersohn ans Herz drücken. Eine Bedenkzeit für die Eltern, eine Probezeit für uns hatte ich sicher erwartet. Daß aber diese Frau, die mich wie eine zweite Mutter zu lieben tausendmal versichert hatte, kein Wort des Verstehens, des Vertröstens für mich über die Lippen brachte, den schweren Ernst meines ehrlichen Herzens so geflissentlich verkannte und zu einer kindischen Tändelei machen wollte, was mich im Tiefsten durchglühte – das öffnete mir auf einmal die Augen über den sittlichen Unwerth dieser glatten, lächelnden, herzlosen vornehmen Dame, der ich zum Schooßpoeten, zum jugendlichen Anbeter gerade gut genug gewesen war und die mir in dem Augenblick, wo ich ein Menschenherz von ihr verlangte, eine kalte steinerne Larve gezeigt hatte.

Aber auch gegen mich selbst wüthete ich, über meine eigene Schwachherzigkeit und gute, dumme Einfalt war ich empört, daß ich mir jenes Versprechen hatte ablisten lassen, statt auf Biegen oder Brechen heute noch vor den [143] Freiherrn hinzutreten, heute noch mich mit meiner Geliebten zu verständigen, wie wir uns betragen wollten, um jedem Widerstand die Stirn zu bieten. Ich fühlte nach dem Ring in meiner Tasche, den ich nun wieder heimtrug, da ich zu feige gewesen war, ihn meiner Braut öffentlich an den Finger zu stecken. Mir war's, als wäre das kleine Reifchen glühend geworden und verbrennte mir die Fingerspitzen. Was mußte sie von mir denken, da ich mich hatte aus dem Hause treiben lassen wie ein böser Bube, der sich ungebeten in das Fest hatte einschleichen wollen? Und Jost – und der unbekannte Zukünftige, der erwartet wurde und meine Zeichnungen sehen und ohne Zweifel unter vier Augen hören würde, was der dreiste Akademieschüler sich erfrecht und wofür er den Laufpaß erhalten habe?

Das Alles brannte, wogte, tobte in meinem Gehirn, ich stürzte die dunkle Straße entlang, wie von bösen Geistern gejagt, rathlos, was ich beginnen, wie ich der brennenden Schmach nur die geringste Linderung schaffen sollte. Auf einmal hörte ich einen Wagen heranrollen, und wie ich aufsah, erblickte ich beim Licht einer röthlich flackernden Chausseelaterne die wohlbekannte Kalesche des Freiherrn und im Fond neben ihm, aus einem grauen Jagdpelz auftauchend, einen Fremden, dessen Anblick mir einen Stich durchs Herz gab.

Ein breites, stark geröthetes Gesicht, dem die junkerliche Brutalität aus jedem Zuge vorbrach, starke dunkle [144] Brauen, eine nicht geringe Nase, und wie er im Vorbeifahren lachte, daß ihm die großen weißen Zähne unter dem in zwei Spitzen gedrehten Bart blitzten! Das also war Der, dem sie geopfert werden sollte, weil es eine standesgemäße Partie war, während der Proletariersohn, den man als einen ganz ungefährlichen, ganz unmöglichen sonderbaren Schwärmer so lange im Hause geduldet hatte, nun, da es ernst wurde, seinen Abschied bekam!

Ich war wie angewurzelt stehen geblieben und hatte dem vorübersausenden Wagen nachgestarrt. Es hatte zu schneien begonnen, die Flocken fielen dicht und weich auf mich herab; wenn eine Schneelawine mich hier auf der Stelle verschüttet und begraben hätte, wäre ich ihr sehr dankbar gewesen. Doch rüttelte ich mich endlich auf und schritt langsam meines Weges weiter. Eine Betäubung war über mich gekommen, daß ich völlig gedankenlos in das weiße Wirbeln und Wehen vor meinen Augen blickte und mit einer Art Wollust beobachtete, wie mein Herz mehr und mehr erkaltete und Reue und Zorn, Scham und Gram nach und nach einer tiefen Lebensmüdigkeit unterlagen. Ich schritt durch die hellen Straßen, in denen das weihnachtliche Gewühl mich umgab, wie ein Nachtwandler oder ein armes Gespenst, das sich wieder in die Oberwelt verirrt hat. Nach Hause zu kommen, meiner Mutter gegenüberzutreten, die mich nicht erwartete, fühlte ich einen starken Widerwillen. Aber [145] die Erschöpfung meiner Glieder war zu groß nach all den Aufregungen, als daß ich das Herumirren in den naßkalten Straßen lange ausgehalten hätte. Ehe ich es mich versah, hatte ich unser Haus erreicht und mich wie ein Schwerkranker die drei steilen Treppen hinaufgeschleppt.

In unserem Wohnzimmer, wo das bescheidene Weihnachtsbäumchen stand, das morgen für mich Abtrünnigen noch einmal angezündet werden sollte, fand ich nur meine gute Mutter. Der Bruder war nach der häuslichen Bescherung noch zu einer befreundeten Familie gegangen, deren Haupt sein Pathe war und ihn wenigstens auf eine Stunde unter den Seinigen sehen wollte. Ich hatte mir eine recht wahrscheinliche Geschichte ausgedacht, weßhalb ich nun doch nicht in der Villa geblieben war. Aber das Mutterauge ließ sich nicht täuschen. Und ehe ich noch Zeit gehabt hatte, mein Märchen vorzutragen, hatte sie mir schon auf den Kopf zugesagt, daß ich etwas sehr Bitteres erlebt haben müsse, und mit ihren ängstlichen Bitten und Fragen mir das ganze klägliche Geheimniß abgelockt.

Ich sehe uns noch, wie wir neben dem Tannenbäumchen und den kleinen Geschenken, die ich erst morgen in Empfang nehmen sollte, einander gegenüber saßen, ich in verbissenem Ingrimm, nachdem ich mit den stärksten Ausdrücken meinem Herzen Luft gemacht hatte, sie mit ihren lieben, sanften, vergrämten Augen an meinen [146] hängend, während sie mir verstohlen die geballte Faust streichelte, die ich auf dem Knie liegen hatte. Ja, sie hatte ein Mutterherz, echter und unschätzbarer als jenes vergoldete, und ich fühlte, wie die Wärme aus diesem Herzen zu mir hinströmte und das Eis um meine Brust aufthaute, daß ich, ermattet von allem Wüthen und Toben, nach und nach in eine weiche Wehmuth verfiel und endlich in Thränen ausbrach.

Sie rückte eilig ihren Stuhl neben den meinen und schlang den Arm um mich, und obwohl ich mich schämte, daß ich mich so kindisch geberdete, thaten mir meine Thränen und ihr liebevolles Streicheln doch wohl. Leider aber – in der besten Meinung, mir zu Hülfe zu kommen – verdarb sie es plötzlich wieder, indem sie mich schüchtern zu überzeugen versuchte, so schmerzlich diese Erfahrung sei, so sei es doch eine wohlthätige Fügung, daß ich sie schon jetzt und nicht erst später gemacht, ehe ich noch mehr von meinem Herzblut an diesen trügerischen Traum verschwendet hätte.

Ich entzog mich ungeberdig ihrem Arm und fuhr in die Höhe. Ich wußte ja, daß sie gegen die Freifrau eine heimliche Abneigung gehegt hatte, aber wie sie daran zweifeln konnte, daß die Tochter mich glücklich machen würde, begriff ich nicht, da ich immer nur das Freundlichste über meine Geliebte von ihr gehört hatte, seit sie einmal den Besuch der beiden Damen erhalten und erwidert hatte.

[147] Ich starrte sie erschrocken an. Wenn ich auch von ihr nicht verstanden wurde –

Aber sie hielt den Blick tapfer aus. Sie sagte, da sie einmal im Zuge war, Alles heraus, was sie seit Monaten, da sie meine wachsende Neigung mit banger Sorge beobachtet hatte, schon so manchesmal auf der Zunge gehabt hatte. Nicht wie eine knabenhafte Thorheit behandelte sie die Sache, sondern gerade, weil sie den vollen Ernst meiner leidenschaftlichen Seele kannte, war es ihr nun bei allem Mitempfinden meines Schmerzes eine Beruhigung, daß mir die Augen geöffnet worden waren, daß ich wußte, ich hätte diesen Menschen zu viel von meiner eigenen hochherzigen Gesinnung geliehen, und die Schranke zwischen uns werde niemals eingerissen werden.

Ich hörte ihr zu, ohne ein einziges Wort zu erwidern. Jeder Dritte hätte ihr das Zeugniß geben müssen, daß Alles, was sie vorbrachte, die reinste Vernunft und vom gütigsten Herzen in die sanfteste Form gekleidet war. Ich aber hörte aus Allem nur heraus, daß auch sie es beklagen würde, wenn noch irgend eine Hoffnung bliebe, meine Geliebte zu gewinnen, und mein thörichtes, verliebtes Herz verstockte sich auch gegen die treueste Mutterliebe.

Es ist gut, sagte ich, da sie endlich mit ihren Bitten und Ermahnungen, den Kopf oben zu behalten, zum Schluß gekommen war; du wirst gewiß Recht [148] haben; wenn es mir noch nicht ganz einleuchtet, ist wohl mein dummer Kopf daran schuld, auf den heut so Manches eingestürmt ist, daß er nicht einsieht, was gewiß so klar ist, wie zweimal zwei vier. Ich will zu Bett gehen, du entschuldigst mich wohl, ich könnte dir nur eine trübselige Gesellschaft leisten.

Damit zündete ich mein Lämpchen an, gab der Mutter eine Hand, ohne mir meine Weihnachtsbescherung anzusehen oder die gütige Geberin zu umarmen, und verschloß mich in meinem Zimmer.

*

Es war noch nicht viel über neun Uhr; um diese Zeit saß ich sonst an meinem Tischchen neben der Staffelei und schmiedete Verse, las in meinem Werther oder sonst einem Poeten, der meinem Liebeskummer Nahrung bot, und betrachtete dazwischen das kleine Bild, das ich damals, vor fast zwei Jahren, gezeichnet hatte. Heute war ich zu all solchem löblichen Thun verdorben. Eine unbezwingliche Lähmung aller Glieder und Gedanken warf mich aufs Bett, und in wenigen Secunden war ich fest eingeschlafen.

Ich erwachte aber lange, ehe es Tag geworden war, und jetzt, da die Sinne sich wieder erfrischt hatten, kehrte mir auch das Bewußtsein meiner hoffnungslosen Lage mit scharfer, schmerzlicher Klarheit zurück. Ich sah mich und das geliebte Mädchen in einer kalten, uner [149]bittlichen Welt nur auf uns allein angewiesen, von Denen nicht verstanden, auf deren Mitgefühl wir das heiligste Naturrecht hätten haben sollen; was blieb uns übrig, als dieser Welt den Rücken zu kehren und ihr zu zeigen, daß man sich sehr in uns geirrt habe, wenn man unserer tiefsten Empfindung spotten zu dürfen glaubte. Man wollte uns das Recht nicht einräumen, für und mit einander zu leben; das Recht, mit einander zu sterben, sollte man uns nicht streitig machen.

Daß Dorette ganz so dachte wie ich, bezweifelte ich keinen Augenblick. Ein Bedenken machte mir's nur, ob ich befugt sei, über mein Leben zu verfügen, ohne die Frau, der ich es verdankte, um Erlaubniß zu fragen. Ich sagte mir, daß ich sie jedenfalls schwer kränken und unheilbar betrüben würde, wenn ich ihr den Sohn raubte, an dem sie mit so zärtlicher Liebe hing, auf den sie all ihre stolzesten Hoffnungen gebaut hatte. Aber ich arges Kind war an jenem Morgen zu sehr gegen meine einzige und beste Freundin aufgebracht, um nicht mit allerlei Sophismen die Stimme meines Gewissens zu übertäuben. Auch sie hatte mir nicht zugetraut, daß ich Manns genug sein würde, über alle socialen Hindernisse hinweg mein Lebensglück zu erringen. Wenn ich bei ihr keine Stütze fand, von ihr so kaltherzig verkannt und im Stich gelassen wurde, so bleibe mir freilich kein anderer Ausweg, als wenigstens meine Liebste vor dem drohenden Unheil zu retten und mich mit ihr in jene Sicherheit [150] zu bringen, vor der feige Menschen freilich zurückschrecken, die aber zwei edlen Liebenden von jeher als die seligste Zuflucht erschienen sei!

In diesem Sinne schrieb ich rasender Thor einen langen Abschiedsbrief an die Mutter, voll hochtönender Worte, in denen ich mir ungemein erhaben vorkam. Einen zweiten, sehr kurzen und schneidend kalten an die Freifrau – ein Meisterstück vornehmer Ironie, wie ich glaubte. Beide Briefe versiegelte ich und steckte sie zu mir. Sie sollten aus meiner Brusttasche gezogen werden, wenn man uns vermißte und endlich am Bänkchen unter der Blutbuche die beiden Opfer einer grausamen Familienpolitik in ihrem Blute liegen fände.

Dann machte ich mich noch vor dem Frühstück auf den Weg, um von einem jungen Kunstgenossen einen Revolver zu leihen, um den ich ihn schon öfters beneidet hatte, da ich durch die Schießübungen Jost's Freude an schönen Waffen gewonnen hatte. Ich fand den Freund nicht, er war über die Feiertage zu seinen Eltern in eine Provinzstadt gereift. Da ich aber unter seinen Sachen Bescheid wußte, konnte ich mich des Revolvers leicht bemächtigen, sah, daß alle sechs Läufe geladen waren, und sagte seiner Hausfrau, der ich wohlbekannt war, mein Freund habe mir erlaubt, die Waffe an mich zu nehmen, da ich ihrer »zu einer vorhabenden Reise« – ich citierte meinen Werther wörtlich mit einem gewissen schaurigen Behagen – vielleicht nöthig haben würde.

[151] Wie ich es anzufangen hätte, mein Vorhaben auszuführen, hatte ich genau überlegt. Ich wollte am Nachmittag, während die Eltern noch ihre Siesta hielten, verstohlen mich in den Park schleichen, meine Geliebte herausrufen lassen und, wenn sie mir zu der Blutbuche gefolgt wäre, ihr dort meinen Entschluß mittheilen. Daß sie ihn billigen und sofort entschlossen sein würde, auf der vorhabenden Reise mich zu begleiten, bezweifelte ich keinen Augenblick.

So kehrte ich zur Mutter zurück, begrüßte sie herzlich, ohne unser gestriges Gespräch mit einer Silbe zu berühren, frühstückte mit ihr und dem Bruder und betrug mich gegen beide mit einer gewissen wehmüthigen Feierlichkeit, an der die gute Frau kein Arg nahm, da sie im Stillen hoffte, über Nacht sei mir guter Rath gekommen und ich hätte mit weiser Resignation eingesehen, daß mir nichts übrig bleibe, als männlich zu verzichten.

Ich zog mich dann in mein Zimmer zurück und begann, meine Papiere zu ordnen, eine Art Testament aufzusetzen, worin ich von dem kleinen Malerkram, den ich besaß, einige Andenken für meine paar guten Freunde in der Akademie bestimmte, und alles Andere der Mutter überließ, die ich nochmals um Verzeihung bat. Zuletzt nahm ich die Mappe mit meinen Versen vor, legte sie in chronologischer Ordnung zusammen und kam mir bei dieser Redaction letzter Hand ebenso beklagenswerth wie interessant vor. Da noch eine Stunde bis zum [152] letzten Mittagessen mit den Meinigen, meinem Henkersmahl, übrig blieb, wußte ich die Zeit mit nichts Besserem auszufüllen als mit einem langen »Abschied an das Leben« in Octaven, die mir so leicht aus der Feder flossen, daß ich die Welt sehr bedauerte, ein solches Talent in der ersten Blüte verlieren zu sollen, und etwas vor mich hin seufzte, was beinahe wie das berühmte Qualis artifex morior! klang.

Ich war eben damit beschäftigt, diesen meinen Scheidegruß reinlich abzuschreiben, nicht ohne eine bescheidene Hoffnung, das ganze Heft werde als mein Vermächtniß posthum, wenn auch nur für Freunde, gedruckt ans Licht treten, da hörte ich im Flur eine kräftige männliche Stimme nach mir fragen und gleich darauf an meine Thür klopfen.

Herein trat ein großer, breitschultriger Mann in einem schönen grauen Pelz, mit einem freundlichen, lebhaft gerötheten Gesicht und cavaliermäßigem Anstande, ging rasch auf mich zu und sagte, indem er mir die breite Hand entgegenstreckte, er freue sich sehr, meine Bekanntschaft zu machen, er habe die Ehre, sich selbst vorzustellen: Baron Z., der Name werde mir nicht ganz unbekannt sein, und da die Freunde unserer Freunde auch unsere Freunde seien, so hoffe er – das Alles im treuherzigsten Tone, als ob er sicher darauf rechne, mir sehr willkommen zu sein.

Er hätte sich mir nicht zu nennen brauchen, das [153] Gesicht, das ich gestern Abend im Wagen neben dem Freiherrn gesehen, war mir unvergeßlich eingeprägt. Nur erschien es mir heute am hellen Tage nicht so abstoßend hochmüthig, obwohl die beiden Spitzen des Schnurrbarts noch herausfordernd-junkerlicher in die Luft starrten und die großen Zähne mit ihrem Glanz etwas Impertinentes hatten. Dafür leuchtete eine gewisse ironische Gutmüthigkeit aus den kleinen grauen Augen, die mich so weit entwaffnete, daß ich die Hand meines Todfeindes nicht abweisen konnte. Er schüttelte die meine mit einem herzhaften Druck, schien meine Verwirrung nicht zu bemerken und begann, nachdem er den schweren Pelz und die Reisemütze auf mein Sofa geworfen, sich an den Wänden umzusehen.

Das also ist ihr Privatatelier! sagte er und betrachtete die Zeichnungen, mit denen ich die Wände decorirt hatte. Hören Sie, Sie haben ja ein ganz erstaunliches Talent und sind noch so jung. Ich kann Ihnen sagen, ich habe nie ähnlichere Porträts gesehen als die vier, die Sie Ihren Freunden draußen in der Villa zu Weihnachten beschert haben. Geschmeichelt haben Sie den Damen freilich nicht; das werden Sie auch noch lernen; zumal der guten Baronin hätten Sie ein paar kleine Fältchen schenken können, ohne Ihrer Kunst etwas zu vergeben. Warum sind Sie aber nicht geblieben, um den Dank und die Complimente gleich auf frischer That einzukassiren? Man war allgemein sehr betroffen, Sie [154] nicht an der Bescherung theilnehmen zu sehen. Freilich, Sie hatten als guter Sohn das Verlangen, Ihre Mutter am heiligen Abend nicht allein zu lassen. Aber als der »Goldsohn«, zu dem Sie nun einmal avancirt sind, müssen Sie uns heute jedenfalls entschädigen. Ich komme in höherem Auftrag, Sie für den Mittag zu uns hinauszubringen, todt oder lebendig. Wir sind schon ein bischen spät daran. Aber wenn wir die Pferde auslaufen lassen – mit Ihrer Frau Mama habe ich schon gesprochen und Ihnen Urlaub ausgewirkt. Also weichen Sie der Gewalt und machen sich geschwind fertig. Der Wagen wartet unten am Hause.

Während er sprach, offenbar ohne eine Antwort zu erwarten, hatte ich Zeit gehabt, mich zu fassen, auch meinen Haß gegen diesen herrischen, so von oben herab über mich verfügenden Menschen neu in mir anzuschüren. Ich bemerkte ruhig, die Frau Baronin habe mir selbst erklärt, sie rechne heut nicht auf meinen Besuch, ich würde deßhalb zu Hause bleiben, da ich auch noch zu thun hätte.

Aber wenn ich Ihnen sage, daß ich gerade von der Goldmama den bestimmten Auftrag habe und mich draußen ohne Sie nicht wieder sehen lassen darf! rief er und griff wieder nach seinem Pelz. Sie scheinen nicht gut aufgelegt, Ihr Kopf glüht, kein Wunder bei der Temperatur in Ihrem Zimmer. Die Fahrt wird Sie erfrischen, und draußen werden Sie erfahren, daß [155] Sie die Baronin mißverstanden haben. Also machen Sie keine Umstände, daß wir uns den Zorn der Köchin nicht zuziehen, wenn sie mit dem Anrichten auf uns warten muß.

Ich sah nun wohl, daß kein Entrinnen war. Auch war ich in Betreff des Räthsels, wie sich diese gewaltsame Freundlichkeit mit meinem gestrigen Abenteuer reimen lasse, zu einer sehr plausiblen Erklärung gelangt. Offenbar hatte meine Dorette gestern Abend den Gast so abweisend empfangen, daß die Mutter für gut befunden, ihren künftigen Eidam in das Geheimniß einzuweihen: es handle sich um eine pure Kinderei, um eine ganz unschuldige sogenannte erste Liebe zu einem unreifen jungen Menschen, dem man aber schon die Wege gewiesen habe. Er solle sich nicht daran kehren, dergleichen Sentimentalitäten verschwänden von selbst, wenn man sie nicht beachte. Darauf hatte er wahrscheinlich lachend erwidert, er möchte seinen Nebenbuhler doch kennen lernen. Das Klügste werde sein, die ganze Sache zu behandeln comme non avenue und dem jungen Heißsporn zu zeigen, daß man den Vergleich mit ihm wohl noch aushalten könne. Auch der Vater hatte das sehr zweckmäßig gefunden, und nun sollte ich hinausgeschleppt werden, um vor den Augen meiner Geliebten zu sehen, daß es geradezu lächerlich wäre, wenn ich neben einem solchen Bewerber mir nur noch die geringsten Hoffnungen machte.

[156] Gut denn! knirschte ich bei mir selbst, Sie sollen Ihren Willen haben, mein Herr Baron! Aber ich werde zeigen, daß ich Ihren schadenfrohen Absichten ein Schnippchen schlagen kann. Hinaus wollte ich ja. Wenn dieser hochmüthige Freier mich selbst zu meiner Geliebten begleiten will, kann ich ihm das Vergnügen gönnen. Nach Tisch aber – wenn ich ausgeführt habe, was ich mir vorgesetzt – wird er seine Miene wohl ändern, und das heuchlerische Lächeln auf dem Gesicht der Frau Schwiegermama wird ebenfalls nicht Stand halten.

Wie ich sie haßte und verachtete in diesem Augenblick, auch meinen guten Jost, der offenbar mit im Complott war!

Aber »ich lerne mich verstellen, denn du bist ein großer Meister, und ich lerne leicht!« sagte ich mit Tasso, zwang mich zu einem verbindlichen Lächeln, umarmte noch hastig meine arme Mutter, die ich nicht wiederzusehen dachte, und folgte meinem harmlos plaudernden Entführer zum Wagen hinab.

*

Es war ein herrlicher Wintertag, auf dem Schnee, der über Nacht gefallen, lag die schönste Weihnachtssonne, und der windstille Frost hatte zahllose Menschen hinausgelockt, die ihre neuen Mäntel und Hüte spazieren führten. In dem rasch dahinsausenden offenen Wagen jedoch, nur in einen dünnen Mantel gehüllt, in dessen [157] Tasche ich zuweilen nach meinem Revolver fühlte, fror mich trotz der hitzigen Feindschaft, mit der ich meinen Nachbar von der Seite ansah, vielleicht auch bei dem Gedanken, daß ich diese goldene Sonne heut zum letztenmal schaute. Kaum merkte das mein Begleiter, so ließ er sich vom Kutscher eine große wollene Decke reichen, die auf dem Bock zusammengefaltet gelegen, und wickelte mich trotz meines Widerstrebens bis an die Brust hinauf darin ein. Er hatte mir eine Cigarre angeboten, die ich abgelehnt hatte, und dampfte nun selbst sehr behaglich neben mir, während er von allerlei Dingen plauderte, die mich hätten interessiren können, wären sie aus einem andern Munde gekommen. Er hatte große Reisen gemacht und überall Museen und Galerien mit dem Auge eines Kunstfreundes betrachtet. Ich blieb einsilbig, im Stillen nur bemüht, mich gegen seine franke und fröhliche Art zur Wehre zu setzen, um ihn ja nicht liebenswürdig zu finden.

Als wir bei der Villa anlangten, schlug es gerade Zwei vom Dorfkirchthurm. Der Baron sprang aus dem Wagen, klopfte die Hälse der dampfenden Pferde, die sich so wacker gehalten hatten, und wollte mich unter den Arm nehmen, um mich wie einen überwundenen Feind im Triumph ins Haus zu führen. Ich entzog mich ihm aber mit einiger Schroffheit und folgte ihm, meine würdigste Miene aufsetzend, hinein.

Im Gartensaal fanden wir die Familie unser [158] wartend, nur Dorette fehlte noch. Ein verlorener Sohn, der sich endlich nach Hause gefunden, kann nicht herzlicher begrüßt werden. Eine Flut der zärtlichsten Vorwürfe wegen meiner gestrigen Flucht mußte ich über mich ergehen lassen, die innigsten Händedrücke und Lobsprüche für meine Zeichnungen hinnehmen und hatte Mühe, den Grimm und Ekel hinunterzuwürgen, mit dem mich all diese heuchlerische Güte und Liebe erfüllte. Am schwersten wurde mir's, mich für die Geschenke zu bedanken, die auf dem Weihnachtstische mir zugedacht waren: eine große Mahagonikassette mit den kostbarsten Farben, bunten Stiften, Pinseln und verschiedenen Paletten, ein in rothe Juchten gebundenes Buch, auf dessen Deckel ›Poesie‹ in Goldbuchstaben geprägt stand, ein silberner Federhalter, dessen Knauf ein amethystenes Petschaft mit meinem Namen enthielt, – lauter Herrlichkeiten, die allen Werth für mich verloren hatten. Doch schien Niemand über meine steife, wortkarge Haltung verwundert, was mich in dem Argwohn bestärkte, man spiele eine Komödie mit mir und verlange nichts weiter, als daß ich gute Miene dazu mache.

Kurz ehe zu Tische gegangen wurde, erschien meine Geliebte. Sie grüßte mich mit ihrem gewöhnlichen kurzen Kopfnicken, sagte aber kein Wort, auch nicht einen Dank für das Bild ihres Bruders, das ich ihr geschenkt, sondern trat ans Fenster, in dessen Eisblumen sie eine kleine freie Stelle hauchte, um dann unverwandt [159] in den Garten hinanszuschauen. Sie war mir nie so anbetungswürdig erschienen, die Einzige in dem ganzen Kreise, die es verschmähte, zu heucheln und in der verabredeten Komödie mitzuspielen.

Der Baron bot der Herrin des Hauses den Arm, sie zu Tische zu führen, der Freiherr legte die Hand auf Jost's Schulter, mir blieb nichts übrig, als dem Freifräulein mein Geleit anzutragen – mit sehr getheilter Empfindung. Daß man sie mir überließ, bestätigte mir aufs Neue, wie völlig ungefährlich ich Allen vorkam. So hatte man mir auch den Platz zu ihrer Rechten gelassen, den ich sonst einzunehmen pflegte, während mein Nebenbuhler an ihrer Linken saß.

Der war während des ganzen Mittags in der besten Laune und führte mit der Mama das Gespräch fast ganz allein, sich an den Freiherrn nur wendend, wenn auf Jagd oder Landwirthschaft die Rede kam. In Rußland hatte er Wolfs- und Bärenjagden mitgemacht, die er sehr anschaulich schilderte und, wie ich ihm wider Willen zugestehen mußte, ohne Prahlerei. So erzählte er auch von den Stiergefechten, die er in Spanien mitangesehen hatte, mit ehrlichem Abscheu gegen die Barbarei dieser Volksschauspiele. So oft er sich an mich wandte, geschah es immer mit ausgesuchter Höflichkeit, wie an eine bedeutende Person, deren Meinung zu erfahren ihm wichtig sein müsse. Ich gab immer nur kurze und zerstreute Antworten. Je weniger ich ihm meine Achtung [160] versagen konnte, desto unausstehlicher wurde mir dieser behagliche, selbstbewußte Weltmann, hinter dem ich mit meiner geringen Lebenserfahrung und dürftigen äußern Lage so weit zurückstand. Daß die junge Dame, die zwischen uns saß, trotz alledem, wenn sie uns Beide verglich, zu meinen Gunsten entscheiden müsse, war ich gleichwohl überzeugt. Ich hatte mich nie für einen Adonis gehalten. Aber dieser ungefüge Mensch mit dem breiten rothen Gesicht, dem kurzgeschorenen Kopf und dem ungeheuren Appetit, der auch den Wein gläserweise in den großen Mund mit den derben Eberzähnen hineingoß, konnte einem edlen jungen Fräulein, das die Züge meiner Antigone trug, auf keine Weise gefährlich werden, geschweige als ein erwünschter Ehemann erscheinen. Auch sprach sie während des Essens nicht eine Silbe zu ihm, sondern blickte stumm und steinern auf ihren Teller.

Als wir uns erhoben hatten und zum Kaffee in den pompejanischen Salon gegangen waren, kam Jost auf mich zu und schalt mich freundschaftlich aus über meine mürrische Laune. Sie hätten Z. so viel von meinem Talent der Unterhaltung erzählt, er werde sich sehr enttäuscht gefunden haben. Ich bemerkte, daß mir das höchst gleichgültig sei. Sich ehrlich zu geben, wie einem zu Muthe sei, dünke mich löblicher, als die gesellschaftliche Lüge oder gar eine kaltherzige Komödie unter Menschen, die sich früher für unsere Freunde ausgegeben hätten.

[161] Ich dachte ihm damit einen wohlverdienten Stich beigebracht zu haben. Das verdutzte Gesicht aber, das der junge Husar mir machte, konnte mich belehren, daß er von dem Familiencomplott nichts wußte. Doch war ich zu gereizt und erbittert, um ein begütigendes Wort zu finden. Jedenfalls war er auf der Seite dieses zukünftigen Schwagers; das genügte, um ihn aufzugeben.

Der Schnee glänzte zu den hohen Fenstern herein, über dem stillen Garten lag eine rosige Dämmerung. Nachdem die Herren geraucht hatten, fragte der Baron, ob Jost nicht Lust hätte, einen Ritt mit ihm zu machen. Er habe seinen Bedienten zu Pferde herausbestellt, der Tag sei schön, und nach dem trefflichen Burgunder, den sie getrunken, werde ihnen eine Erfrischung wohlthun. Jost war mit Freuden bereit, sah aber verlegen auf mich.

Wenn unser junger Künstler mit von der Partie sein möchte, bemerkte Z., so wäre wohl auch ein drittes Pferd aufzutreiben. – Er sagte das ohne Ironie. Da empfand ich wieder mein Proletarierthum und erwiderte, während mir das Blut ins Gesicht stieg, ich hätte leider keine Gelegenheit gehabt, diese edle Kunst zu lernen. Nun, so lassen wir Sie, bis wir zurückkehren, den Damen! versetzte der Baron. Er verabschiedete sich herzlich von seinen Wirthen, die ihn bis an das Gitterthor begleiteten, um die beiden Herren zu Pferde steigen zu sehen. Alle waren [162] in der heitersten Stimmung, und Dorette's Schweigen und meine Verdrossenheit blieben völlig unbeachtet.

Als die Reiter davongesprengt waren – ich hatte dem Baron das Zeugniß nicht versagen können, daß er sich zu Pferde besser ausnahm, als auf seinen eigenen breiten Füßen – äußerte meine Geliebte, sie wolle noch ein wenig in den Park gehen, sie habe Kopfweh und es sei heiß im Zimmer.

Thu das! sagte der Vater und küßte sie auf die Stirn. Ludwig kann dir ja Gesellschaft leisten, wenn du nicht lieber allein sein willst.

Sie antwortete nicht. Die Mama warf ihrem Mann einen mißbilligenden Blick zu, doch da er ihn nicht beachtete, schärfte sie der Tochter nur ein, nicht zu lange draußen zu bleiben. Wir nahmen unsere Hüte und Mäntel und schritten langsam neben einander in den öden Park hinein.

Das Blut tobte mir so stark gegen die Kehle, daß ich keines Wortes mächtig war. Ich fühlte nur nach der kleinen Waffe in meiner Manteltasche und wiederholte mir im Stillen Alles, was mich dazu gedrängt hatte, diese ultima ratio als den einzigen rettenden Ausweg zu erkennen. Die Scenerie stimmte auch trefflich zu einem so romantischen letzten Kapitel unseres Liebesromans. Die Natur ringsum schien in einen Schlaf versunken, aus dem sie nie wieder erwachen könne, und ihr tiefer Friede lud uns ein, uns gleichfalls so [163] kühl und sanft zu betten, wie dort die Pflanzen und Sträucher unter ihrem fleckenlosen Leichentuch. Selbst die Krähen saßen regungslos auf ihren Aesten und blinzelten kaum zu uns herab.

So waren wir, ohne ein Wort zu sprechen, an den Weiher gekommen, von wo man die Villa selbst durch die kahlen Zweige hindurch nicht mehr sehen konnte.

Da stand sie plötzlich still.

Sie haben ihn nun gesehen, sagte sie, mit einer durch das lange Schweigen etwas rauh gewordenen Stimme. Sie werden begreifen, daß ich nie und nimmer die Frau eines solchen Menschen werden kann. Jeder Blutstropfen in mir empört sich, wenn ich sein übermüthiges Lachen höre, seinen dreisten, kalten Blick sehen muß, der immer zu sagen scheint: Sträube dich, so viel du willst, du entgehst mir doch nicht! Giebt er sich nur die geringste Mühe, mir weiszumachen, daß er eine Neigung für mich fühle? Er behandelt mich wie ein kleines Mädchen, auf dessen Willen es überhaupt nicht ankomme. Wenn er mich liebte, was ich wenigstens darunter verstehe, wäre er befangen und scheu mir gegenüber, wie Sie es sind, und zweifelte, ob ich seine Liebe erwiedern möchte. Aber er findet es höchst überflüssig, eine solche Liebe auch nur zu erheucheln. Er hat es mit den Eltern abgemacht – das Andere versteht sich von selbst. O, er soll erfahren, daß wir nicht in der Türkei leben, wo die Braut nicht erst gefragt, sondern dem Bräutigam [164] wie eine Sklavin ins Haus geschickt wird, wenn der Preis für sie vereinbart und bezahlt ist. Von ihm freilich finde ich das ganz natürlich, und auch von der Mama wundert mich's nicht. Aber daß auch mein Vater –

Das Wort stockte ihr. Sie brach einen beschneiten dürren Zweig von der Blutbuche und zerknickte ihn in heftiger Erregung.

Sage nichts mehr, nahm ich hastig das Wort. Ich verstehe dich ganz. Ich habe es nicht anders erwartet. Auch wenn er mich nicht mit dem Wagen abgeholt hätte, wäre ich doch gekommen und hätte Mittel und Wege gefunden, mich mit dir zu besprechen. Ich habe Zeit gehabt, diese Nacht Alles zu bedenken. Es giebt nur ein Mittel, uns vor diesem Schicksal zu retten.

Sie sah mich fragend an.

Ich zog die kleine Waffe aus der Tasche und hielt sie ihr hin. Dann, da sie schwieg, redete ich mit fieberhaftem Ungestüm auf sie ein und schilderte ihr, wie groß und herrlich es sein würde, wenn wir auf diese Art den Beweis führten, daß wir keine unmündigen, willenlosen Kinder seien, über die man nach herzlosem Gutdünken verfügen könne. An dieser Stelle, wo wir uns unsere Liebe gestanden, sollten wir sie durch einen freiwilligen Tod besiegeln. Zugleich zeigte ich ihr die beiden Abschiedsbriefe, die ich bei mir trug.

Sie betrachtete die blanke Todeswaffe ohne jedes [165] Grauen, aber auch nicht mit der freudigen Begeisterung, die ich gehofft hatte.

Nein, Ludwig, sagte sie nach einer nachdenklichen Pause, das dürfen wir nicht thun. Es ist Sünde, sich selbst das Leben zu nehmen, das ein göttliches Geschenk ist. Und gerade jetzt, da wir erst recht zu leben anfangen, da wir wissen, daß wir für einander leben wollen – nein, es wäre nicht nur eine Sünde, sondern eine Thorheit. Ich erkenne darin deine große Liebe zu mir – zum erstenmal nannte sie mich Du – aber es kann nicht sein. Ich kann es auch meinem Vater nicht anthun, der mich so herzlich liebt. Der Gedanke an die Mama würde mich nicht abschrecken, sie hat kein Herz für mich, und ich – ich kann sie weder lieben noch achten. Aber deine eigene gute Mutter, Ludwig – hast du daran gedacht, daß es ihr Tod sein könnte, wenn sie diesen Brief ihres Sohnes erhielte, der ihr Stolz, ihre Stütze ist? Verzeih, aber es war nicht recht von dir, einen solchen Brief zu schreiben.

Weißt du eine bessere Hülfe? sagte ich unwillig, indem ich zaudernd den Revolver wieder einsteckte. Sie nickte.

Höre, was ich mir ausgedacht habe. Daß es mein heiliger Ernst ist, diesen Bräutigam mir nicht aufdringen zu lassen, daß ich nie Jemand anders zum Manne nehmen will als dich, das muß ich ihnen freilich so unzweideutig als möglich zu erkennen geben. Ich will mich [166] deßhalb heute Nacht aus dem Hause schleichen und mich von dir in die Stadt begleiten lassen. Fanny geht mit, ohne sie würde sich's nicht schicken. Ich habe sie schon ins Geheimniß gezogen, sie ist mir sehr anhänglich, mehr als der Mama, und liebt auch dich und beklagt das Schicksal, das uns zu trennen droht. In der Stadt aber habe ich keine bessere Zuflucht, als bei deiner Mutter, die sich gewiß nicht weigern wird, uns wenigstens für diese Nacht bei sich aufzunehmen und mir mit gutem Rath beizustehen. Du freilich darfst nicht unter demselben Dach mit mir wohnen, das wirst du begreifen; aber du findest leicht ein vorläufiges Unterkommen. Morgen früh schreib' ich dann an die Eltern und erkläre ihnen offen, ich würde nur dann zu ihnen zurückkehren, wenn sie mir das feierliche Versprechen gäben, daß von einer Heirath mit Z. nicht mehr die Rede sein solle. Wenn sie meinen Ernst, meinen unbesieglichen Widerwillen sehen, werden sie andere Saiten aufziehen und auch in Betreff unserer Verlobung begreifen, daß ihnen nichts übrig bleibt, als ihren Segen dazu zu geben. Scheint dir das nicht auch das Beste und Einfachste, was wir thun könnten?

Das schien es mir nun freilich durchaus nicht. Nicht nur wegen der Schwierigkeiten seiner Ausführung wollte dieser Plan mir nicht einleuchten, sondern ich ahnte auch, daß er erfolglos bleiben, daß man das entflohene Kind mit Güte oder Gewalt zurückholen und in Zukunft besser [167] bewachen würde. Auch meine Mutter in die unselige Geschichte zu verwickeln, widerstrebte mir. Sonderbarer Widerspruch: sie tödtlich zu betrüben hatte mir kein Bedenken erregt; Unannehmlichkeiten, bei denen sie noch dazu keine moralische Verantwortung hatte, hätte ich ihr um jeden Preis ersparen mögen. Denn Dorette's Eltern mußten ja glauben, wir hätten im Einverständniß mit ihr gehandelt, und es ihr zum Verbrechen machen, daß sie dem thörichten Mädchen, das um Mitternacht bei ihr anklopfte, nicht die Thür verschlossen hätte.

Ich faßte mir ein Herz, meiner Liebsten Alles zu sagen, was gegen ihren Fluchtplan sprach. Noch einmal kam ich auf meinen Vorschlag zurück, der Alles so kurz und bündig erledigen würde. Sie blieb aber unerschütterlich.

Wenn du mir nicht helfen willst, so gehe ich allein. Irgendwo werde ich mit Fanny wohl einen Schlupfwinkel finden. In dem Hause, wo dieser Mensch zu Gast ist und schon als ein Angehöriger der Familie betrachtet wird, kann ich keine Nacht zubringen!

Da mußte ich mich wohl fügen.

Ich versprach, pünktlich um Mitternacht am Gitterthor mich einzufinden. Ein verschlossener Wagen würde gewiß aufzutreiben sein, der uns Drei nach der Stadt brächte. Meiner Mutter wollte ich sofort einen Boten schicken, damit sie uns erwartete und für sie und Fanny [168] Betten bereit hielte. Ich selbst würde in der Wohnung des Freundes übernachten, dem ich den Revolver verdankte.

Als dies Alles mit ihrer eifrigen Zustimmung zwischen uns abgeredet war, zog ich den Ring hervor und bat sie, sich ihn an den Finger stecken zu lassen. Sie streifte rasch ihren Handschuh ab und zog ihrerseits einen alten Siegelring mit ihrem Wappen, den ihr eine Großmutter vererbt hatte, vom Finger, um ihn mir dagegenzugeben. Ich schlang den Arm um sie und zog sie an mich. Aber in einer sonderbaren Sprödigkeit wehrte sie mich zitternd ab, so daß meine Lippen nur ihre Schläfe berühren konnten.

Wir dürfen nicht tändeln wie ein fröhliches Liebespaar, sagte sie mit schwermüthigem Kopfschütteln. Ein Bund ohne den Segen der Eltern ist traurig, wir sehen so viel Kämpfen entgegen; erst wenn wir gesiegt haben, wollen wir uns unserer Liebe freuen. Darauf aber kannst du rechnen, Ludwig, ich gehöre dir im Herzen an, und es wird mir auch kein Opfer sein, geduldig zu warten, bis du im Stande bist, mich zu deiner Frau zu machen. Ich gelobe dir –

Nein, rief ich, da mich ihre selbstvergessene Liebe bis ins Innerste rührte, gelobe mir nichts! Ich bin deiner Liebe und Treue auch ohne Schwüre sicher. Aber damit du siehst, wie ernst es mir mit deinem Glück ist: wenn ich binnen drei Jahren es nicht so weit gebracht [169] habe, dir ein Loos, wie du es verdienst, bieten zu können, so spreche ich dich heute schon von jeder Verpflichtung gegen mich frei. Ich bin dann volljährig und werde hoffentlich auf eigenen Füßen stehen. Weihnachten über drei Jahre sind wir ewig verbunden, oder ich habe jeden Anspruch verscherzt, ein Glück von dir zu hoffen, dessen ich mich nicht werth gezeigt hätte.

Sie gab mir mit einem vollen, innigen Blick die Hand, die ich leidenschaftlich küßte.

Wir wollen auf unsern guten Stern vertrauen! sagte das tapfere, hochherzige Kind. Dann wandte sie sich, um ins Haus zurückzukehren. Um Mitternacht! flüsterte sie mir noch zu, als sie mir an der Schwelle Lebewohl sagte. So schieden wir.

*

Kaum sah ich mich allein, so überfiel mich eine peinliche Niedergeschlagenheit. Ich traue mir zu, daß mein Todesmuth mich nicht verlassen haben würde, wenn es zu diesem Letzten gekommen wäre. Das Wagestück aber, in das ich gewilligt hatte, so lange ihr Blick seine Macht über mich ausübte, erschien mir jetzt, da ich die Vorbereitungen dazu treffen sollte, als eine so abenteuerliche Unternehmung, daß ich einen Augenblick drauf und dran war, sie noch einmal herausrufen zu lassen und zu versuchen, ob sie nicht doch noch davon abzubringen wäre.

[170] Dann betrachtete ich ihren Ring und drückte meine Lippen darauf. Es war, als ob ihm eine Zauberkraft innewohnte. Ich vergaß all meine Bedenken, und das selige Bewußtsein erfüllte mich ganz, daß dies herrliche Mädchen sich mir verlobt hatte und den Kampf mit der ganzen Welt aufnehmen wollte, um mir anzugehören.

So verließ ich den Garten. Es fiel mir nicht schwer, zu gehen, ohne von der Mama mich zu verabschieden. Was war es nur, das die Tochter zu dem harten Wort berechtigte, sie könne ihre Mutter nicht achten? Sollte sie hinter irgend ein Geheimniß gekommen sein, etwa eine Verschuldung gegen den so sehr geliebten Vater, die sie ihr nicht verzeihen konnte? Während ich hastig den Garten verließ, grübelte ich darüber nach, ohne die Lösung zu finden. Draußen aber hatte ich an Wichtigeres zu denken.

Es mochte zwischen Fünf und Sechs sein, bis zur Ausführung unseres Fluchtplans noch sechs ewig lange Stunden. Ich lenkte meine Schritte nach einem armseligen Wirthshaus, das an diesem ersten Feiertag voll war von Dorfleuten und ihren Weibern und Mädchen. Sie saßen in einem entsetzlichen Qualm unten in der Gaststube, Bier und Schnaps trinkend und mit schmutzigen Karten spielend, so daß dort meines Bleibens nicht war. Ich ließ mir eines der kahlen, eiskalten Gastzimmer im oberen Stock aufschließen, ein Licht bringen und eine [171] Tasse Kaffee und bat um Schreibzeug. Denn das Nächste war, daß ich meiner Mutter Nachricht geben mußte.

Das that ich denn auch, in einem kurzen, diplomatischen Stil. Ich bat sie, aufzubleiben, bis ich kommen würde, da ich den Hausschlüssel vergessen hätte. Es könne Ein Uhr werden. Da ich wahrscheinlich Jemand mitbringen würde, der bei uns übernachten müsse, möchte sie im Wohnzimmer ein Lager bereiten. Alles Weitere werde sie mündlich erfahren.

Dies Billet durch einen sichern Boten, der gut bezahlt werden würde, sogleich in die Stadt besorgen zu lassen, band ich dem Wirth auf die Seele. Auch hatte er gerade einem Knecht aufgetragen, den Milchwagen anzuspannen, um neue Trinkvorräthe herauszuschaffen, da der unerwartet zahlreiche Zuspruch seinen Keller zu erschöpfen drohte. Dies also war nach Wunsch besorgt. Auch für einen Wagen, der uns Drei befördern sollte, wußte der Mann Rath. Er führte mich selbst in den Schuppen, wo sein Fuhrwerk stand; da aber die alte Chaise, die er mir mit der Laterne von allen Seiten beleuchtete, einen gar zu morschen und brüchigen Sitz hatte und die Federn nur nothdürftig mit Stricken zusammengehalten wurden, entschied ich mich für einen etwas plumpen, aber soliden viersitzigen Schlitten, verabredete mit dem Wirth, an welcher Stelle der Kutscher fünf Minuten vor Zwölf auf mich warten sollte, und [172] stieg, zufrieden mit meinen Anordnungen, wieder in meine feuchtkalte Kammer hinauf.

Ein Feuerchen war in dem kleinen Ofen angemacht worden, das aber so viel Rauch aus allen Ritzen der uralten Kacheln strömte, daß ich froh war, als es nach kurzem Prasseln und Knistern wieder ausging. Nun rannte ich wie ein eingefangenes Raubthier, die Hände in den Taschen, wohl eine Stunde lang in meinem Käfich hin und her, quälte mich ab mit fruchtlosen Versuchen, über das, was die nächste Zeit bringen würde, mir eine klare Vorstellung zu machen, und warf mich endlich, da die Kälte mich schüttelte, im Mantel, wie ich war, auf das schmale Bett, da ich aus Tristram Shandy wußte, daß der Mensch in horizontaler Lage am besten dazu gelangt, das Gleichgewicht seines erschütterten Gemnthes wieder herzustellen.

Dies gelang mir auch nur allzu gründlich. Denn es dauerte nicht lange, so war ich fest eingeschlafen.

Ich hatte einen schweren, aufreibenden Tag hinter mir und die vergangene Nacht nicht hinlänglich Schlaf gefunden. Aber so nothwendig und heilsam diese Selbsthülfe der Natur auch war – ich fuhr doch mit glühender Beschämung aus dem Schlummer auf, als an meine Thür gepocht wurde. Ein betrunkener Gast hatte sich hinauf verirrt und, nach seinem Zimmer suchend, um zu Bett zu gehen, mir diesen Dienst erwiesen. Denn mit wahrem Entsetzen, da es mir durch das Gehirn [173] fuhr, wie leicht ich die Zeit hätte verschlafen können, sah ich auf meiner Uhr, daß nur noch eine halbe Stunde bis Mitternacht blieb.

Ich flog die Stiege hinab, fand den Wirth hinterm Ofen im leeren Gastzimmer eingenickt, den Knecht aber, der uns fahren sollte, im Stall beim Aufschirren der beiden Gäule beschäftigt. Ich schärfte ihm nochmals ein, wo er auf mich warten sollte, und eilte in die bitterkalte, sternfunkelnde Nacht hinaus. Da erst überlegte ich, ob der offene Schlitten auch wohl das richtige Vehikel sein möchte, meine junge Liebe wohlbehalten in Sicherheit zu bringen. Ich kehrte noch einmal um und band dem Knecht auf die Seele, Alles zusammenzuraffen, was an warmen Decken vorräthig sei. Dann eilte ich, mich immer auf der Schattenseite haltend, der hell vom Mond beschienenen Villa zu.

Als ich sie erreicht hatte, stand ich keuchend still, trotz des scharfen Frostes in Schweiß gebadet. Ueber die Straße hinweg betrachtete ich das Haus, das drüben so still und weiß über die schneeglänzenden Büsche des Gartens herübersah. Aus diesem Hause sollte ich seinen theuersten Schatz, sein edelstes Kleinod entwenden, nachdem ich so lange Gastfreundschaft darin genossen. Es wollte mir einen Augenblick als ein ruchloses Verbrechen, ein niedriges Bubenstück erscheinen. Aber diese Regung wurde sofort unterdrückt durch den Gedanken, daß dies Haus genau seinen Bewohnern glich: vornehm-eisig [174] aber freundlich nach außen, während Heuchelei und tyrannische Vergewaltigung des liebenswerthesten jungen Menschenherzens im Innern geübt wurden. Nein, ich konnte und durfte nicht zurück. Das Unheil durfte nicht seinen Gang gehen!

Da hallten vom nahen Kirchthurm zwölf langsame, schwerfällige Schläge durch die todtenstille Luft. In demselben Augenblick sah ich es drüben auf dem Gartenwege hinter dem Gitterthor sich regen, ich that einige Schritte aus meinem Schattenwinkel heraus, um über die Straße zu eilen, das Thor öffnete sich, und heraus trat, in den dicken Pelz gehüllt, die Jagdmütze schief auf dem Kopf – mein Nebenbuhler, der Baron!

*

Daß ich nicht auf der Stelle zur Salzsäule erstarrte, wundert mich heute noch. Wenigstens stockte mir im ersten tödtlichen Schrecken jeder Blutstropfen in den Adern.

Ich stand mitten auf der taghellen Straße: unmöglich zu entfliehen. Aber was nun beginnen?

Ich hatte keine Zeit, das zu überlegen, denn natürlich hatte er mich sofort erkannt und schritt mit der unbefangensten Miene über den knirschenden Schnee gerade auf mich zu.

Guten Abend, junger Freund! sagte er ganz heiter. Treff ich Sie hier noch lustwandelnd? Sie [175] scheinen auch ein Freund von Mondscheinpromenaden, wie ich. Verdammt kaltes Vergnügen übrigens! Man muß sich wenigstens die Nase wärmen. Kann ich Ihnen eine Cigarre anbieten? So erlauben Sie wohl, daß ich mir eine anstecke.

Er that es in aller Ruhe und Gemächlichkeit. Dabei sah der impertinente Mensch mich nicht einmal an, sondern, nachdem er seine Havanah in Brand gesetzt, zu den Sternen hinauf und sagte:

Wir werden noch schönen Frost kriegen. Prächtiges Jagdwetter! Wenn wir jetzt in Rußland wären, würde ich Sie einladen, morgen auf Bären mit mir zu pirschen. Oder betrachten Sie die Natur im Winter wie im Sommer nur mit Maleraugen?

Ich murmelte etwas, dessen Sinn ich selber nicht verstand. Er achtete aber nicht darauf, sondern fuhr fort, indem er mich neben sich gehen ließ, allerlei Gleichgültiges zu plaudern. Seine Kaltblütigkeit machte mich rasend.

Verzeihen Sie, Herr Baron, fuhr ich endlich heraus, ich muß auf das Vergnügen Ihrer Gesellschaft verzichten. Es ist spät, und ich will ins Wirthshaus zurück, ehe dort Alles zu Bette geht. Gute Nacht!

Ich zog den Hut und wollte mich entfernen. Da hörte ich, wie er meinen Namen rief.

Noch auf ein Wort, Herr Ludwig R., sagte er, indem er die Asche der Cigarre ruhig mit seinem kleinen [176] Finger abstrich. Ich sehe da hinten an der Ecke der nächsten Straße einen Schlitten stehen, der offenbar auf Ihre Befehle wartet. Ohne mich weiter in Ihre Dispositionen mischen zu wollen, möchte ich Ihnen nur freundschaftlich rathen, die Pferde nicht einfrieren zu lassen, sondern sie entweder wieder in den Stall zu schicken, oder den Schlitten zur Rückkehr in die Stadt zu benutzen. Ich habe zufällig erfahren, daß Sie noch eine kleine Schlittenpartie in Damengesellschaft geplant haben. Aber Sie werden zugeben, daß die Temperatur dazu nicht die günstigste ist, und verschieben das wohl besser auf ein andermal. Ich rathe Ihnen das ganz wohlmeinend, mein junger Freund.

Er sah mich dabei scharf an, und um seinen Mund zuckte ein ironisches Lächeln.

So war also Alles entdeckt, unser verwegener Plan vereitelt; es galt nur noch, sich mit möglichst guter Manier aus der Verlegenheit zu ziehen.

Sie werden verzeihen, Herr Baron, erwiederte ich, indem ich seinen Blick herausfordernd aushielt, daß ich Ihren guten Rath in meinen persönlichen Angelegenheiten ablehne. Was ich zu thun oder zu lassen gedenke, ist durchaus meine Sache. Und somit habe ich die Ehre –

Ich verbeugte mich und wollte wieder gehen; aber seine rasche Antwort bannte mich fest.

Durchaus nur Ihre Sache? Glauben Sie das [177] wirklich, mein werther Herr? Sollte es nur Ihre persönliche Angelegenheit sein, ob Sie sich wie ein kopfloser Thor und gewissenloser Leichtfuß betragen, während Sie in Ihre dreisten Knabenstreiche die Tochter eines edlen Hauses verwickeln, dem Sie den Dank für so viel unverdiente Güte auf diese sonderbare Art abzutragen wünschen? Da Sie französisch nicht zu verstehen scheinen, muß ich wohl deutsch mit Ihnen reden: ich habe Ihnen in höherem Auftrage mitzutheilen, daß Sie ein für allemal auf die wahnsinnigen Hoffnungen zu verzichten haben, die man leider durch übergroße Liebe und Nachsicht in Ihnen genährt hat. Nicht nur in dieser Nacht wird die Gartenpforte dort für Sie geschlossen bleiben, sondern auch an allen künftigen Tagen und Abenden. Ist Ihnen das schmerzlich, so will ich Ihnen den Trost mit auf den Weg geben, daß die edlen Menschen, die Sie so schwer zu kränken im Begriff waren, um Ihrer Jugend willen Ihnen vergeben und Ihnen für Ihr künftiges Leben alles Gute wünschen. Und somit wären wir, wie ich denke, fertig mit einander. Gute Nacht, mein werther, noch sehr junger Herr!

Er griff mit schnöder Höflichkeit an die Mütze und wollte mich stehen lassen. So aber sollte er mir nicht entkommen. Erst wollte ich ihm Alles ins Gesicht schleudern, was ich an Gift und Galle gegen ihn im Herzen aufgespeichert hatte.

Das that ich denn auch redlich. Ich war zu stolz, [178] um noch etwas zu leugnen oder auch nur zu beschönigen, vielmehr drehte ich in meiner desperaten Verranntheit den Spieß um, und statt mit einer Armsündermiene mich schuldig zu bekennen, warf ich mich als Ankläger in die Brust und sprudelte Alles heraus, was ein verliebter junger Fant seinem verhaßten Rivalen zu Gemüthe führen möchte. Ich erklärte ihm, daß ich sehr niedrig von einem Freier dächte, der sich hinter die Eltern verschanzen müsse, da die Tochter ihm ihre unüberwindliche Abneigung zu erkennen gegeben. Meine Hoffnungen möchten thöricht sein und für meinen Mangel an Lebenserfahrung zeugen. Die seinigen bewiesen eine unedle Gesinnung, und ich begriffe nicht, wie ein Mann, der sich selbst achte –

In diesem Stil wüthete ich eine gute Weile fort, je länger, je zufriedener mit mir selbst, daß ich es ihm so gründlich zu sagen wagte. Es that mir nur leid, daß meine Geliebte und ihre Eltern nicht zugegen waren. Wie männlich und erhaben wäre ich vor ihnen dagestanden!

Nur machte mich's ein wenig betroffen, daß mein einziger Zuhörer sich so ganz ruhig dabei verhielt und mich gar nicht zu unterbrechen suchte, zumal sein Gesicht keinerlei Zerknirschung und Gewissensrührung verrieth. Als ich endlich, da mir der Athem ausging, mit einem letzten Trumpf geschlossen hatte, fragte er ganz gelassen:

[179] Sind Sie nun fertig, werther Herr? Das ist mir lieb, denn hier im Schnee zu stehen und Ihre Beredsamkeit erdulden zu müssen, ist nicht gerade ein Vergnügen. Lassen Sie sich nun sagen, daß Sie mir aufrichtig leid thun. Ich sehe, Sie sind ernstlich in die junge Dame verliebt, was ich sehr begreiflich finde, da sie wirklich ein seltenes Mädchen ist, wenn auch noch etwas unreif und überspannt, aber ein Edelstein, der nur erst geschliffen und gefaßt werden muß. Ob ich der rechte Mann dazu bin, muß die Zeit lehren. Daß Sie es vorläufig nicht sind, beweist Ihre – verzeihen Sie – sehr kindliche Philippica und das kleine Romankapitel, das Sie heut Nacht in Scene gesetzt hätten, wenn Ihrer vermeintlichen Complice, der Kammerjungfer, nicht in der elften Stunde das Gewissen geschlagen hätte. Sagen Sie selbst, Sie junger Tollkopf, hätten Sie es verantworten können, wenn Fräulein Dorette sich durch diese Escapade unheilbar compromittirt, diese romantische Liaison mit einem jungen Rafael von der Akademie sie zum Gespräch der ganzen Stadt gemacht hätte? Wie hätten Sie ihr Ersatz bieten wollen für das, was sie unwiederbringlich Ihnen geopfert, noch dazu mit dem Stempel der Lächerlichkeit bezeichnet? Sie haben mir so schöne Epitheta gegeben, mir einen so erbarmungslosen Charakter-Steckbrief geschrieben. Erlauben Sie mir nun, Sie selbst zu fragen, wofür Sie einen Menschen halten, der Alles von einem Weibe annimmt, ohne ihr das Ge [180]ringste dagegen geben zu können. Sie sind noch sehr jung, sonst wäre die Antwort hierauf vernichtend. Und Sie sind so fieberhaft aufgeregt, daß man auf geminderte Zurechnungsfähigkeit plädiren muß, selbst wenn man mit Ihrer ganz speciellen Feindschaft beehrt wird. Also folgen Sie gutem Rath, wickeln Sie sich fest in Ihren Mantel und lassen Sie sich zu Ihrer Frau Mutter heimtransportiren. Sie soll Ihnen eine Tasse Thee geben und Sie ins warme Bett bringen. Morgen früh wachen Sie dann hoffentlich mit gesunden Sinnen auf und gestehen sich selbst, daß der fatale Landjunker, der Ihnen den Weg vertreten hat, ehe Sie den dümmsten und schlimmsten Streich Ihres Lebens machen konnten, doch nicht ein solches Monstrum von Unritterlichkeit und Selbstsucht sein möchte, wie Sie ihn mit Ihrer malerischen Phantasie sich abconterfeit hatten. – –

Ich könnte Ihnen nicht schildern, in welcher Beschämung und tiefen Demüthigung ich diese Worte mit anhörte. Und doch, werden Sie es glauben? anstatt meinen unverantwortlichen Fehler durch offenes Eingeständniß in etwas wenigstens wieder gut zu machen, glaubte ich, es mir schuldig zu sein, noch den Beleidigten zu spielen und nun erst recht den Kopf hochzutragen.

Ich verlangte seine hochmüthige Nachsicht durchaus nicht, erwiderte ich. Ich sähe wohl, man suche mich mit erheuchelter Milde aus dem Wege zu räumen, um dann nur desto leichteres Spiel und freiere Hand zu [181] haben, meiner Verlobten Alles abzuringen, was man von ihr wünsche. Dazu wolle und dürfe ich nicht die Hand bieten. Ich stünde ihm hier nicht als ein ertappter Verbrecher gegenüber, sondern von Macht zu Macht, Mann gegen Mann. Wenn er ein Cavalier und Ehrenmann sei und sich nicht feige hinter einen vermeintlichen Rangunterschied verstecken wolle, so möge er sich mit mir schießen. Ich selbst führte eine Waffe bei mir; doch habe Jost ein paar bessere Pistolen; unverzüglich könnten wir das Schicksal entscheiden lassen, wer von uns sich ferner um das Mädchen bewerben solle, dem dann noch immer die Freiheit der Wahl bliebe.

Damit zog ich meinen Revolver hervor und hielt ihn meinem Gegner hin.

Da fühlte ich mich plötzlich am Arm ergriffen und heftig geschüttelt und erschrak, da ich in das völlig verwandelte, von Zorn und Verachtung glühende Gesicht mir gegenüber blickte.

Sind Sie denn wirklich nicht bloß fieberkrank oder wahnsinnig, sondern ein böser, alberner Knabe, dem ich bisher zu viel Ehre angethan habe, da ich ihm Vernunft redete? Muß man Sie einsperren und Ihnen die Zwangsjacke anlegen, wie einem bösartigen Gesellen, der friedlichen Menschen mit seinen wilden Narrheiten zu schaden droht? Schießen soll ich mich mit Ihnen, Sie Knabe, Ihrer unschuldigen Mutter ihren Sohn rauben, oder für alle Güte und Langmuth, die ich an Ihnen [182] geübt, mir von Ihnen eine Kugel durch den Schädel jagen lassen? Aber sind Sie denn ganz des Teufels, von Großmannssucht und Eitelkeit ins Mark hinein angefressen, daß Sie mir ein solches Ansinnen stellen und meinen Muth zu verdächtigen wagen, wenn ich nicht darauf einginge? Wissen Sie, daß ich mir jetzt große Gewalt anthun muß, um Ihnen nicht den Willen zu thun und Ihnen einen verdienten Denkzettel zu geben? Denn daß ich Ihnen, wenn Sie auch in allen anderen freien Künsten mein Meister sein könnten, in dieser einen überlegen bin, werden Sie mir wohl glauben. Aber ich verzeihe Ihnen auch das und selbst den schnöden Vorwurf, ich würde Zwangsmittel nicht verschmähen, um eine Hand zu erobern, die das Herz nicht freiwillig mir gewährte. Am Ende traue ich mir noch zu, über eine Backfischphantasie den Sieg davonzutragen, wenn ich es ernstlich darauf anlege. Mit Ihnen aber, junger Mensch, bin ich fertig. Ich hoffte, wir würden uns mit gegenseitiger Hochachtung gute Nacht sagen. Jetzt kann ich es zu meinem Bedauern nur mit dem guten Rathe thun, daß Sie älter werden und vielleicht mit der Zeit die Hochachtung von Ehrenmännern verdienen möchten.

Er schlug den Pelzkragen in die Höhe, warf die Cigarre mit einer verächtlichen Geberde in den Schnee und schritt langsam nach dem Thor der Villa zurück, von dem wir uns eine gute Strecke weit entfernt hatten.

*

[183] Die Lection war hart gewesen, aber Sie werden sich im Stillen sagen, daß sie wohlverdient war. Wie sie auf mich wirkte – ich will nicht versuchen, mir das zurückzurufen. Von allen Erinnerungen sind die Augenblicke, in denen wir eine tiefe Beschämung erfahren haben, die unauslöschlichsten. Aber ich habe auf Ihre geduldige Freundschaft hin überhaupt schon zu viel gesündigt. Was noch zu sagen ist, kann ich desto kürzer fassen.

Einer seltsamen psychologischen Thatsache muß ich noch erwähnen, die Ihnen jedoch schwerlich ein Räthsel sein wird: jenes heilsame Sturzbad, das mich erst betäubte und fast zerschmetterte, dann aber mich zur Einsicht meines Unwerths brachte, hatte noch die Folge, auch die leidenschaftlichen Gefühle, die mich so lange willenlos beherrscht hatten, auf einen Schlag zu bändigen. Als ich am andern Morgen erwachte und mir den gestrigen Tag zurückrief, war mir's, als sähe ich die Gestalt des geliebten Mädchens nur wie durch einen Nebel in weite, unerreichbare Ferne gerückt, ja, ohne das Bildchen da hätte ich manchmal Mühe gehabt, mir ihr Gesicht deutlich vorzustellen. Während ich sonst keine beglückendere Beschäftigung in meinen einsamen Stunden kannte, als an sie zu denken, mir ihre Stimme, ihre Blicke und Geberden zurückzurufen, wehrte ich mich jetzt gegen Alles, was ihr Andenken erneuern konnte. Zugleich mit ihrem Bilde trat ja auch die Erinnerung an [184] das über mich ergangene Strafgericht vor mich hin; die mußte ich mir fern halten, wenn ich wieder Muth zum Leben und einiges Selbstvertrauen gewinnen wollte.

Auch geschah von ihrer Seite nichts, was mich hierin hätte stören können. Ich sagte mir, daß ihr Vater wahrscheinlich in demselben Sinn ihr von mir gesprochen haben würde, wie mein Zuchtmeister zu mir, daß sie mich nun ebenso verachten müsse, wie ich es that. Mein Gegner behauptete unbestritten das Feld, und ich konnte mir nicht verhehlen, daß er trotz seines geschorenen Kopfes und spitzen Bartes jetzt in ihren Augen ein annehmbarerer Freier sein müsse, als der grüne junge Bursch, der in jener Nacht seine Berechtigung, den Ritter eines verliebten Fräuleins zu machen, so schlecht bewiesen hatte.

Ich hörte und sah also vierzehn Tage lang nichts mehr aus der Villa. Zwischen mir und meiner Mutter bestand ein stillschweigendes Einverständniß, die Abenteuer der Weihnachtsnacht mit keiner Silbe zu berühren. Erst viel später habe ich ihr eine vollständige Beichte abgelegt. Jost begegnete mir nicht, unsere Wege kreuzten sich fast nie. Durch einen Zufall erfuhr ich, daß die freiherrliche Familie das Landhaus verlassen habe und in ihre Heimath zurückgekehrt sei. Tags zuvor war eine Kiste bei mir abgegeben worden, die meine Weihnachtsgeschenke enthielt. Ich öffnete sie nicht, sondern stellte sie in eine Kammer, in der wir allerlei ausgedientes [185] Hausgeräth aufbewahrten. Eine Last fiel mir vom Herzen, als ich die Nachricht von der Abreise erhielt. Nur den Siegelring, mit dem sie sich mir verlobt, irgend wohin zu vergraben, konnte ich mich nicht entschließen. Ich trug ihn in einem Beutelchen beständig bei mir, hütete mich aber wohl, ihn hervorzuholen, sondern ließ ihn die Rolle eines verborgenen Talismans spielen, der mich in meinen guten Vorsätzen bestärken sollte.

Sie wissen, wie es mir nun weiter erging, daß ich erst zwei Jahre auf der Akademie gearbeitet hatte, als jener Freund meines Vaters nach Berlin kam, der reich und kinderlos war und seiner spät erwachten Liebe zur Kunst in Italien zu leben gedachte. Die Mutter willigte mit einem lachenden und einem weinenden Auge ein, mich ihm mitzugeben. Ich selbst begriff, daß ich auf dem langsamen Wege der Schule mich nicht entwickeln könne, wie es meiner innersten Natur entsprach. Auch hatte sich meine künstlerische Neigung mehr und mehr der Landschaft zugewendet, und – Ihren Thiergarten und die Havelufer in Ehren – was hatte mir die märkische Ebene mit ihren Sand- und Kiefernmotiven zu geben?

Drei Jahre verlebte ich an der Seite meines trefflichen Gönners in Rom und wurde dort, was ich eben werden konnte. Aber so offene Augen ich hatte für Alles, was Kunst und Natur einer begeisterten jungen Seele dort offenbaren – römische Elegieen zu erleben, [186] fehlte mir's an Neigung und Talent. Nicht als ob das gebrannte Herz das Feuer gescheut hätte: es war eben rein erloschen, und kein noch so feuriger Blick aus schwarzen Weiberaugen konnte in der Asche auch nur einen Funken wecken.

Zuweilen nur, gerade in Scirocconächten, tauchte jene böse Winternacht des ersten Weihnachtstages wieder vor mir auf, wie aus einem Nordlandsmärchen, das ich irgendwo gelesen hätte. Und als ich den heiligen Abend in Rom mit guten Bekannten gefeiert hatte, wie man es dort zu thun pflegt, vor einem mit Orangen geschmückten hohen Lorbeerbaum und einer dampfenden Bowle, und dann einsam nach Hause schlenderte, war mir's einen Augenblick, als hörte ich meinen Namen rufen von einer Stimme, deren Klang ich nun drei Jahre lang nicht mehr vernommen hatte.

Drei Jahre! Was hatte ich ihr versprochen? Wollte ich nicht nach drei Jahren, wenn ich bis dahin etwas Rechtes geworden wäre, mich wieder bei ihr einfinden und fragen, ob sie mir ihre Liebe und Treue noch bewahrt hätte?

Aber war ich denn etwas Rechtes geworden? Konnte ich, wenn mein Gönner mich nicht stützte, auf eigenen Füßen stehen und den Anspruch machen, daß man mir das Schicksal einer verwöhnten, vornehmen jungen Dame anvertraute?

Ich wußte freilich, daß sie noch unvermählt war und [187] wirklich sich bequemt hatte, die Stelle eines Hoffräuleins bei der alten Fürstin anzunehmen. Aber wie sie zu mir gesinnt war, davon hatte ich kein Zeichen erhalten. Und wie hätte ich's übers Herz gebracht, sie darum zu befragen?

Ich schlief diese Nacht wenig und ging auch die nächsten Tage in einem dumpfen Trübsinn herum. Mein prophetisches Gemüth hatte Recht gehabt. Am ersten Neujahrstage erhielt ich die lithographirte Anzeige, daß das Freifräulein Dorette die Braut des Baron von Z. geworden sei. Die Aufschrift war von Jost's Hand.

Ich erwiderte die Botschaft durch eine Visitenkarte, auf die ich ein p. f. mit Bleistift gekritzelt hatte. Die Acten über diesen Jugendroman schienen geschlossen.

*

Dann habe ich noch ein Jahr lang das südliche Italien und Sicilien durchstreift, meist an der Seite meines theuren Mäcens, für den ich eine Reihe großer italienischer Landschaften zur Ausschmückung seines Hauses in Kiel auszuführen hatte. Ich ließ mich später hier in München nieder – Berlin war mir verleidet – lernte meine liebe Frau kennen und gründete meinen eigenen Herd, der hinlänglich Wärme ausstrahlt, um alle winterlichen Gespenster aus der Jugendzeit fernzuhalten. Weder von Jost noch von irgend einem andern Mitglied jener Familie erhielt ich mehr ein Lebenszeichen. Ich wußte nur, daß die junge Baronin von Z. bestän [188]dig auf dem Gut ihres Gatten lebte, ihm ein paar Knaben geboren hatte und in ihrem Kreise sehr geliebt und gefeiert wurde.

Und nun vor ein paar Stunden –

Er hielt inne und stand auf. Ich sah, wie er nach dem Schränkchen ging und eine flache, längliche Schachtel aus einem der Fächer nahm.

Da! sagte er, dieses Christgeschenk hat mir die Morgenpost ins Haus gebracht; nach elf Jahren des tiefsten Verschollen- und Begrabenseins steigen die Geister der alten Tage wieder herauf. Sie begreifen nun, daß Sie mich in einer weichmüthigen Stimmung treffen mußten und daß ich das Bedürfniß fühlte, den Feiertag zu heiligen, indem ich mir die langverschwundenen Leiden und Freuden jener Tage zurückrief.

Er nahm aus der Schachtel einen in Seidenpapier gewickelten Ring, einen einfachen Goldreif mit einem kleinen Türkis, legte ihn aber sofort wieder in seine Hülle zurück. Dann entfaltete er zwei Briefe, einen kurzen, mit Bleistift geschrieben, in großen, unsicheren Zügen, einen längern mit einem Trauerrand, von einer kräftigen Männerhand.

Dies Blatt zuerst! sagte er. Es war das Letzte, was diese Hand schreiben sollte. Aber so viele Zeit dazwischen vergangen, seit ich die Handschrift zum erstenmale sah in einem kleinen Billet, das sie mir im Auftrag der Mutter schrieb – beim ersten Anblick wußte ich, von wem [189] es kam und daß es einen Abschied enthielt, noch ehe ich den Ring entdeckt und den andern Brief gelesen hatte.

Er ging ins Nebenzimmer, um mich beim Lesen allein zu lassen und die Thränen, die ihm aus den Augen stürzten, zu verbergen.

Der Brief lautete:

»Ich hatte gehofft, lieber Ludwig, Sie noch einmal zu sehen. Ich hätte Ihnen gern gesagt, daß ich immer mit guten Gedanken mich Ihrer erinnert und es Ihnen nicht nachgetragen habe, daß Sie mich vergessen konnten. Es war besser so. Sie schuldeten Ihr Leben Ihrer Mutter und Ihrer Kunst. Ich freilich – ich habe die drei Jahre still auf Sie gewartet, so hoffnungslos es mir selbst erschien. Als Sie nicht kamen, habe ich dem Manne meine Hand gereicht, der trotz meiner thörichten Jugend an mir nicht irre geworden war. Er hat mich so glücklich gemacht, daß es mir ein bitterer Gedanke ist, ihn jetzt verlassen zu müssen, ihn und meine beiden lieben Knaben, deren jüngerer Ihren Namen trägt. Ich kann nicht weiter, Sie sehen, wie das Fieber meine Hand schüttelt. Leben Sie wohl! Ich höre, Sie sind glücklich verheirathet. Gott schütze Ihre liebe Frau und Ihre Kinder, die Sie von mir grüßen sollen! Ihren Ring, den ich am Finger trug, bis ich den Trauring daran steckte, wird mein Mann Ihnen zurückschicken. Er möge Sie manchmal erinnern an Ihre treue Freundin

Dorette.«

[190] Die letzten Zeilen waren mit offenbar ermattender Hand hingemalt und schwer zu entziffern.

In tiefer Rührung legte ich das Blatt aus der Hand und entfaltete den andern Brief. Von jenem ersten hat sich mir jedes Wort eingeprägt, den, andern kann ich nur seinem wesentlichen Inhalt nach aus dem Gedächtniß wieder zusammenbringen. So ungefähr lautete die Zuschrift des trauernden Wittwers:

»Ich habe erst heut mich dazu aufraffen können, werther Herr, das Vermächtniß meiner geliebten Todten an Sie abzuschicken. Ich muß einige aufklärende Worte hinzufügen. Wenn sie schlecht stilisirt sein sollten, halten Sie es der Erschütterung zu gut, über die ich noch nicht Herr werden kann.

Denn es ist erst eine Woche her, seit sie von uns geschieden ist. Sie hat sich die tödtliche Krankheit, eine Lungenentzündung, zugezogen, da sie ihrer alten Passion für den Eislauf nicht entsagen wollte, obwohl sie sich schon etwas unwohl fühlte. Unser ältester Junge hat diese Leidenschaft von ihr geerbt und quälte sie so lange, bis sie ihm seine Bitte gewährte und ihn auf die Eisbahn begleitete, die der Fluß, der unser Gebiet durchströmt, gerade jetzt so verlockend darbietet. Gleich an demselben Abend mußte sie sich niederlegen; nach drei Tagen bereitete der Arzt mich auf das Entsetzliche vor, und ihr selbst stand es vom ersten Augenblick an fest, daß sie nicht wieder genesen könne.

[191] Am Tag vor ihrem Ende verlangte sie Papier und Bleistift, um an Sie zu schreiben. Was dies mühsam zu Stande gekommene Blatt nicht enthält, sollte ich ergänzen. Sie band mir das auf die Seele.

Ich bin heute noch unfähig, diesen ihren letzten Willen ausführlich zu vollstrecken. Aber einen Punkt muß ich gleich jetzt berühren.

Es lag ihr immer schwer auf dem Herzen, daß sie Ihnen einmal gesagt, sie könne ihre Mutter nicht achten. Zumal seit ihrer Verheirathung sprach sie öfter davon, sie müsse Ihnen eine Aufklärung geben, die jeden Verdacht gegen die Mutter bei Ihnen zerstreute. Am besten wäre dies mündlich geschehen. Es sollte aber nicht dazu kommen. So muß ich es nun thun.

Ein Jahr, nachdem die Familie Berlin verlassen hatte, wagte ich es, mich Dorette wieder zu nähern. Ich wußte, daß sie in ihrer Hofstellung nicht glücklich war, obwohl man sie auf Händen trug, wegen ihrer Anmuth, ihres eigenartigen Geistes sie mit Huldigungen umgab und die alte Hoheit zumal sie wie eine eigene Tochter liebte. Aber Sie wissen, wie jeder Zwang, der ihrer Wahrhaftigkeit auferlegt wurde, sie im Innersten empörte, und ganz sich darzustellen, wie man ist, verstößt gegen die Hofsitte. Daß sie mich nicht mehr haßte wegen der Einmischung in ihr romantisches Vorhaben in jener Weihnachtsmitternacht, wußte ich. Sie hatte es ihrem Vater gestanden, sie sei mir Dank schuldig, daß ich sie [192] vor jenem unbesonnenen Schritt bewahrt hatte. Als ich sie aber fragte, ob sie es noch immer als ein Unglück betrachte, meine Frau zu werden, gestand sie mir, ohne sich zu besinnen, sie habe es ihrem Jugendgeliebten gelobt, drei Jahre auf ihn zu warten. Ehe die nicht abgelaufen, könne sie überhaupt nicht über sich verfügen.

Ich ergab mich in die Wartezeit, so schwer es mir wurde.

Und als die Frist abgelaufen war – ich hatte inzwischen jede Gelegenheit wahrgenommen, ihr Beweise von dem Ernst und der Unerschütterlichkeit meiner Neigung zu geben – trat ich wieder vor sie hin. Ich wußte, ihr Herz hatte sich im Stillen mir zugewendet. Was war es, das sie doch noch zögern machte, da sie nicht mehr erwarten konnte, Sie würden sie an ihr Mädchengelübde erinnern?

Sie sagte mir's selbst, da ich sie darum befragte, oder vielmehr, sie ließ es mich errathen, mit einer so lieblichen Scheu und Befangenheit, daß sie mir womöglich noch tausendmal liebenswürdiger erschien.

Sie haben an sich selbst erfahren, daß meine gute Schwiegermutter die Schwäche hatte, sich von jüngeren Leuten den Hof machen zu lassen. Als sie selbst noch eine reizende junge Frau war, stand sie nicht mit Unrecht im Ruf einer etwas bedenklichen Koketterie. Etwas Schlimmeres konnte man ihr jedoch nicht nachsagen.

[193] Nun, so lernte ich sie kennen, da ich selbst aus der Pension nach Hause kam, ungefähr in Ihrem Alter. Ich gestehe, daß sie einen großen Eindruck auf mich machte und mein unerfahrenes Herz stark beschäftigte. Zum Glück aber war ich kein sittenloser, frühverdorbener Jüngling, wenn auch etwas kecker und übermüthiger als der Sohn Ihrer Mutter, und wenn sie nicht doch immer mich in Schranken gehalten hätte, wie es ihr bei ihrem kühlen Temperament nicht schwer wurde – ich schaudere, mir vorzustellen, wohin ich mich hätte verirren können. So aber blieb es bei einem chevaleresken Getändel, an dem auch ihr trefflicher Gatte keinen Anstoß nahm. Desto mehr die kleine, sechsjährige Tochter, die mich immer mit so finsteren Augen maß, daß ich schon damals ein tieferes Interesse für das seltsame Kind empfand. Und nun kam eine Stunde, in der dies Kind einen förmlichen Haß gegen mich faßte.

Ich hatte mich in einer Gesellschaft junger adeliger Taugenichtse zum Spiel verleiten lassen und eine Summe verloren, die weit über meine noch beschränkten Mittel hinausging. Als ich zu meiner Freundin kam, merkte sie an meiner Niedergeschlagenheit, daß ich eine Dummheit begangen haben müsse, und drang in mich, eine offene Beichte abzulegen. Ich gestand ihr Alles, auch was ich thun wolle, um zu dem Gelde zu kommen. Es war eine neue frevelhafte Thorheit. Sie benahm sich wahrhaft mütterlich, bestand darauf, daß ich den [194] Fehler wieder gut machen müsse, indem ich meinem Vater die volle Wahrheit sagte, und nachdem sie mir eine scharfe Strafpredigt gehalten und mir mein Wort abgefordert hatte, nie wieder mich zum Spiel verleiten zu lassen, nahm sie meinen Kopf zwischen die Hände und küßte mich auf die Stirn.

In diesem Augenblick trat ihre junge Tochter ins Zimmer. Sie hat diese Scene nie wieder vergessen können.

Wie verklärte sich aber ihr liebes, ernstes Gesicht, als sie mich an diese alte Geschichte erinnerte und ich ihr redlich bei meiner Ehre versichern konnte, wenn nichts Anderes meinem heißesten Wunsch im Wege stehe, so sei ich der glücklichste aller Menschen.

Ich bin es geworden in einem Maße, wie ich selbst es mir nicht hatte träumen lassen. Aber alles Glück, das man auf Erden genießt, muß man bezahlen. Der Preis, den meines mich nachträglich kostet, ist so hoch, daß ich aus dem Bankerott mich schwerlich je wieder aufraffen werde.

Ihnen, werther Herr, der Sie dies edle Herz gekannt und geliebt haben, wird dies nicht wie eine leere Phrase klingen.

Leben Sie wohl!«

Endvignette

[195]


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