Paul Heyse
Das Mädchen von Treppi
Paul Heyse

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Das Dorf Treppi sah nicht lebendiger aus, als gewöhnlich. Nur einige Kindergesichter fuhren neugierig an die offnen Fenster, und einige Weiber traten unter die Türen, als Fenice mit ihrer Begleitung vorüberging. Sie sprach mit niemand, sondern näherte sich, den Nachbarn ihren Gruß mit kurzem Händewinken erwidernd, ihrem Hause. Hier stand eine Gruppe von Männern im Gespräch vor der Tür, Knechte waren mit bepackten Pferden beschäftigt, und Contrabbandieri gingen ab und zu. Als man die Fremden kommen sah, wurde es still unter den Leuten. Sie traten beiseit und ließen die Gesellschaft vorüber. Fenice wechselte einige Worte mit Nina in dem großen Gemach und öffnete dann die Tür ihrer Kammer.

Man sah drin in der Dämmerung den Verwundeten auf dem Bett ausgestreckt, neben ihm auf der Erde hockend ein uraltes Weib aus Treppi.

»Wie steht's, Chiaruccia?« fragte Fenice.

»Nicht schlecht, die Madonna sei gepriesen!« antwortete die Alte und musterte mit raschen Blicken die Herren, die hinter dem Mädchen eintraten.

Filippo fuhr aus einem Halbschlaf auf und sein blasses Gesicht glühte plötzlich. »Du bist's!« sagte er.

»Ja, ich bringe den Herrn, mit dem Ihr den Kampf vorhattet, damit er selbst sehe, daß Ihr nicht kommen konntet. Und da ist auch ein Wundarzt.«

Das matte Auge des Liegenden glitt langsam über die vier fremden Gesichter. »Er ist nicht darunter«, sagte er. »Ich kenne keinen von diesen Herren.«

Als er das gesprochen und schon wieder das Auge schließen wollte, trat der Sprecher unter den dreien vor und sagte: »Es genügt, daß man Euch kennt, Signor Filippo Mannini. Wir hatten Befehl, Euch zu erwarten und zu verhaften. Es sind Briefe von Euch aufgefangen, aus denen hervorgeht, daß Ihr nicht allein um das Duell auszumachen Toskana wieder betreten habt, sondern um gewisse Verbindungen wieder anzuknüpfen, die Eurer Partei in Bologna Vorschub leisten sollen. Ihr seht den Kommissär der Polizei vor Euch und hier meine Instruktion.«

Er zog ein Blatt aus der Tasche und hielt es Filippo vors Gesicht. Der aber starrte darauf, als habe er von allem nichts verstanden, und fiel wieder in seine schlafähnliche Betäubung zurück.

»Untersucht die Wunden, Herr Dottore«, wandte sich nun der Kommissär an den Arzt. »Wenn der Zustand es irgend erlaubt, müssen wir diesen Herrn unverzüglich hinunterschaffen. Ich habe draußen Pferde gesehn. Wir tun zwei gesetzliche Taten auf einmal, wenn wir uns derselben bemächtigen, denn sie sind mit Schleichwaren beladen. Es ist gut, daß man weiß, welches Volk dies Treppi besucht, wenn man es einmal wissen will

Während er dies sagte und der Arzt sich Filippo näherte, war Fenice aus der Kammer verschwunden. Die alte Chiaruccia blieb ruhig sitzen und murmelte vor sich hin. Man hörte Stimmen draußen und eine seltsame Unruhe von Kommenden und Gehenden, und zu dem Mauerloch sahen Gesichter herein, die rasch wieder verschwanden. – »Es ist möglich«, sagte jetzt der Wundarzt, »daß wir ihn hinunterschaffen, wenn er fest und doppelt verbunden ist. Schneller würde er freilich wieder aufkommen, ließe man ihn hier in der Ruhe, und in der Pflege dieser alten Hexe, deren Wundkräuter den besten gelernten Arzt zuschanden machen. Es kann das Wundfieber unterwegs ihm ans Leben treten, und eine Verantwortung übernehme ich keinesfalls, Signor Commissario.«

»Unnötig, unnötig«, erwiderte der andere. » Wie man ihn los wird, kann nicht in Betracht kommen. Legt ihm Euern Verband an, so fest Ihr vermögt, damit nichts versäumt werde, und dann vorwärts. Wir haben Mondschein und nehmen einen Burschen mit. Geht indessen hinaus, Molza, und versichert Euch der Pferde.«

Der eine der Sbirren, dem dieser Befehl galt, öffnete rasch die Kammertür und wollte hinaus, als ein unerwarteter Anblick ihn versteinerte. Das Gemach nebenan war mit einer Schar von Dorfleuten besetzt, an deren Spitze zwei Contrabbandieri standen. Fenice hatte noch mit ihnen gesprochen, als die Tür sich öffnete. Nun trat sie an die Schwelle der Kammer und sagte mit großem Nachdruck:

»Ihr verlaßt diese Kammer unverzüglich, Signori, und ohne den Verwundeten, oder ihr seht Pistoja nicht wieder. In diesem Hause ist noch kein Blut geflossen, solange Fenice Cattaneo seine Herrin ist, und die Madonna verhüte solchen Greuel in alle Zukunft. Versucht auch nicht wiederzukommen, etwa mit mehreren. Ihr habt die Stelle noch im Sinn, wo man einzeln die Felstreppe zwischen den Wänden hinaufklimmt. Ein Kind kann diesen Paß verteidigen, wenn es die Steine den Abhang herabrollt, die droben wie gesät liegen. Wir werden dort eine Wache stellen, bis dieser Herr in Sicherheit ist. Nun geht und rühmt euch der Heldentat, daß ihr ein Mädchen betrogen habt und einen verwundeten Mann ermorden wolltet.«

Die Gesichter der Sbirren entfärbten sich mehr und mehr und es entstand eine Pause nach den letzten Worten. Dann zogen alle drei wie auf Kommando bisher verborgene Pistolen aus der Tasche, und der Kommissär sagte kaltblütig: »Wir kommen im Namen des Gesetzes. Wenn ihr selbst es nicht respektiert, wollt ihr auch noch andere hindern, es zu vollziehn? Es kann sechsen von euch das Leben kosten, wenn ihr uns zwingt, dem Gesetz mit Gewalt Achtung zu verschaffen.«

Ein Murren durchlief die Schar der andern. »Still, Freunde!« rief das entschlossene Mädchen. »Sie wagen es nicht. Sie wissen, daß jeder, den sie erschießen, dem Mörder einen sechsfachen Tod einbringt. Ihr redet wie ein Tor«, wandte sie sich wieder an den Kommissär. »Die Furcht, die auf euern Stirnen sitzt, redet wenigstens klüger. Tut, was sie euch anrät. Der Weg ist offen, Signori!«

Sie trat zurück und wies mit der Linken nach der Tür des Hauses. Die in der Kammer flüsterten wenige Worte zusammen, dann schritten sie mit leidlicher Haltung durch die aufgeregte Schar, die ihnen immer lautere und lautere Verwünschungen mit auf den Weg gab. Der Wundarzt war unschlüssig, ob er folgen dürfe; aber auf einen gebieterischen Wink des Mädchens schloß er sich seinen Begleitern eilfertig an.

Diese ganze Szene hatte der Kranke in der Kammer halb aufgerichtet mit großen Augen mitangesehn. Jetzt trat die Alte wieder zu ihm und rückte ihm das Kissen. »Still liegen, mein Sohn!« sagte sie. »Es ist keine Gefahr. Schlafen, schlafen, armer Sohn! die alte Chiaruccia wacht, und daß Ihr sicher seid, dafür sorgt unsre Fenice, das benedeite Kind! Schlaft, schlaft!«

Sie summte ihn dann mit eintönigen Liedern ein wie ein Kind. Er aber nahm den Namen Fenice mit in seine Träume.

 

Filippo war zehn Tage droben im Gebirg und in der Pflege der Alten, schlief viel in den Nächten und genoß am Tage, vor der Tür sitzend, die reine Luft und die Einsamkeit. Sobald er wieder schreiben konnte, schickte er einen Boten mit einem Brief nach Bologna und erhielt am andern Tage Antwort, ob erwünscht oder unerwünscht, war auf seinem blassen Gesicht nicht zu lesen. Außer mit seiner Pflegerin und den Kindern von Treppi sprach er mit niemand, und Fenice sah er nur des Abends, wenn sie am Herde schaltete. Denn sie verließ das Haus mit Sonnenaufgang und blieb über Tag im Gebirg. Das war sonst anders gewesen, wie er aus zufälligen Äußerungen entnahm. Aber auch wenn sie zu Hause war, fand sich nie eine Gelegenheit, mit ihr zu sprechen. Sie tat überhaupt, als merke sie seine Anwesenheit gar nicht, und schien das Leben wie früher zu tragen. Doch war ihr Gesicht wie steinern geworden und ihre Augen wie erstorben.

Als Filippo eines Tages, von dem herrlichen Wetter gelockt, weiter als sonst sich vom Hause entfernte und zum erstenmal wieder im Gefühl neuer Kraft eine sanfte Höhe hinabstieg, erschrak er, als er um einen Felsen bog und unerwartet Fenice im Moos neben einer Quelle sitzen sah. Sie hatte Wocken und Spindel in Händen und schien während des Spinnens sehr in sich vertieft. Bei Filippos Schritten sah sie auf, sprach aber kein Wort, noch veränderte sich der Ausdruck ihres Gesichts, und rasch erhob sie sich samt ihrem Gerät. Dann ging sie, ohne auf seinen Ruf zu achten, davon und war ihm bald aus den Augen.

Am Morgen nach dieser Begegnung war er eben aufgestanden und seine ersten Gedanken gingen wieder zu ihr, als die Tür seiner Kammer geöffnet wurde und das Mädchen ruhig zu ihm eintrat. Sie blieb an der Schwelle stehen und winkte ihm gebieterisch mit der Hand, als er vom Fenster ihr näher eilen wollte.

»Ihr seid wieder geheilt«, sagte sie kalt. »Ich habe mit der Alten gesprochen. Sie meint, Ihr hättet wieder die Kraft zu reisen, in kleinen Tagereisen und zu Pferde. Ihr werdet morgen früh Treppi verlassen und nie dahin zurückkehren. Dies Versprechen fordre ich von Euch.«

»Ich verspreche es, Fenice, unter einer Bedingung.«

Sie schwieg.

»Daß du mit mir gehst, Fenice!« sprach er in großer, unverhaltener Bewegung.

Ein dunkler Zorn überflog ihre Brauen. Doch hielt sie an sich und sagte, den Türgriff fassend: »Womit habe ich Spott verdient? Ihr verspreche es ohne Bedingung, von Eurer Ehre erwarte ich's, Signor.«

»Willst du mich so verstoßen, nachdem du mir den Liebestrank bis ins innerste Mark geflößt und mich für immer dir zu eigen gemacht hast, Fenice?«

Sie schüttelte ruhig das Haupt. »Es ist hinfort kein Zauber mehr zwischen uns«, sagte sie dumpf. »Ihr habt Blut verloren, ehe der Trank gewirkt hatte, der Bann ist gelöst. Und es ist gut so, denn ich habe unrecht getan. Laßt uns nicht mehr davon reden und sagt nur, daß Ihr gehen werdet. Ein Pferd wird bereit sein und ein Führer, wohin Ihr wollt.«

»Wenn es denn dieser Zauber nicht mehr sein kann, der mich an dich bindet, so muß es wohl ein anderer sein, für den du nicht kannst, Mädchen. So wahr mir Gott gnade –«

»Still!« unterbrach sie ihn und schürzte finster die Lippe. »Ich bin taub für solche Worte, wie Ihr sie sagen wollt. Wenn Ihr meint, mir etwas schuldig zu sein, und Euch mein erbarmen möchtet – so geht, und die Rechnung ist damit ausgeglichen. Ihr sollt nicht denken, daß dieser mein armer Kopf nichts lernen kann. Ich weiß jetzt, daß man einen Menschen nicht erkaufen kann, sowenig mit armseligen Diensten, die sich von selbst verstehen, als mit sieben Jahren des Wartens – die sich auch von selbst verstehen vor Gott. Ihr sollt nicht denken, daß Ihr mich elend gemacht habt Ihr habt mich geheilt! Geht! und nehmt meinen Dank mit Euch!«

»Antworte mir vor Gott!« rief er außer sich und trat ihr näher, »habe ich dich auch geheilt von deiner Liebe

»Nein«, sagte sie fest. »Was fragt Ihr danach? Sie ist mein, Ihr habt kein Recht und keine Macht über sie. Geht!«

Damit trat sie zurück und über die Schwelle. Im nächsten Augenblick lag er hingestürzt auf den Steinen zu ihren Füßen und umfaßte ihre Kniee.

»Wenn es wahr ist, was du sagst«, rief er im höchsten Schmerz, »so rette mich, so nimm mich an, nimm mich auf zu dir, oder dieser Kopf, den ein Wunder in seinen Fugen erhalten hat, wird in Scherben gehen samt diesem Herzen, das du verstoßen willst. Meine Welt ist leer, mein Leben eine Beute des Hasses, meine alte und meine neue Heimat verbannt mich, was soll ich noch leben, wenn ich auch dich verlieren muß!«

Da sah er auf zu ihr und sah aus den geschlossenen Augen helle Ströme brechen. Noch war ihr Antlitz regungslos, dann atmete sie tief auf, ihre Augen öffneten sich, ihre Lippen bewegten sich, noch ohne Worte; das Leben blühte wie auf einen Schlag in ihr auf. Sie beugte sich herab zu ihm, ihre kräftigen Arme hoben ihn auf – »du bist mein!« sagte sie bebend. »So will ich dein sein!« - -

 

Als die Sonne des andern Tages aufging, sah sie das Paar auf dem Wege nach Genua, wohin Filippo vor den Nachstellungen seiner Feinde sich zurückzuziehen beschlossen hatte. Der hohe blasse Mann ritt auf einem sicheren Pferde, das seine Braut am Zügel führte. Zu beiden Seiten zogen sich Höhen und Gründe des schönen Apennin in der Klarheit des Herbstes, die Adler kreisten über den Schluchten und fern blitzte das Meer. Und still und leuchtend wie dort das Meer, lag vor den Wanderern die Zukunft.


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