Paul Heyse
Das Mädchen von Treppi
Paul Heyse

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Unter diesen Gesprächen merkte der Advokat nicht, wie die Sonne stieg und noch immer kein Blick in die toskanische Flur sich auftat. Auch dachte er mit keinem Gedanken an das bevorstehende Ende dieses Tages. Es war so erquickend, funfzig Schritt über dem Gießbach auf dem ganz überbuschten Wege hinzugehn, zuweilen den Staub des Sturzes heraufwehen zu fühlen, die Eidechsen über die Steine schlüpfen und die behenden Schmetterlinge den verstohlenen Sonnenlichtern nachjagen zu sehn, daß er nicht einmal inne wurde, wie sie dem Bach entgegenwanderten, und noch immer nicht westlich einlenkten. Es war eine Magie in der Stimme seiner Begleiterin, die ihn alles vergessen machte, was gestern in Gesellschaft der Contrabbandieri ihn unaufhörlich beschäftigt hatte. Als sie nun aber aus der Schlucht heraustreten und jetzt ein unabsehbares wildfremdes Bergland mit neuen Höhen und Klüften wüst und versengt vor ihnen lag, erwachte er auf einmal aus dem Zauberschlaf, blieb stehen und blickte gen Himmel. Er erkannte klar, daß sie in der völlig entgegengesetzten Richtung gewandert und wohl zwei Stunden von seinem Ziele ferner waren, als da sie ausgingen.

»Halt!« sagte Filippo. »Ich sehe es noch beizeiten, daß du mich dennoch betrügst. Ist das der Weg nach Pistoja, du Heimtückische?«

»Nein«, sagte sie furchtlos, aber den Blick zu Boden gesenkt.

»Nun denn, bei allen Mächten der Hölle, so können die Teufel bei dir in die Schule gehn und Heucheln von dir lernen. Fluch über meine Verblendung!«

»Man kann alles, man ist mächtiger als Teufel und Engel, wenn man liebt«, sagte sie mit tiefem, traurigem Ton.

»Nein!« schrie er in hellem Jähzorn, »noch frohlocke nicht, Übermütige, noch nicht! den Willen eines Mannes kann das nicht brechen, was eine verrückte Dirne Liebe nennt. Kehre um mit mir, auf der Stelle und weise mir die kürzesten Wege – oder ich erdroßle dich mit diesen Händen, – du Törin, die nicht einsieht, daß ich die hassen muß, die mich vor der Welt zu einem Nichtswürdigen machen will.«

Er trat mit geballten Fäusten dicht vor sie hin, er kannte sich nicht mehr. »Erwürge mich nur!« sprach sie mit zitternder, lauter Stimme, »tu's nur, Filippo. Aber wenn du es getan hast, wirst du dich über meinen Leichnam werfen und Blut aus deinen Augen weinen, daß du mich nicht wieder lebendig machen kannst. Dein Lager wird hier neben mir sein, mit den Geiern wirst du kämpfen, die mich zerfleischen wollen, die Sonne des Tags wird dich dörren, der Tau der Nacht dich feuchten, bis du hinfällst gleich mir – denn von mir lassen kannst du nun nicht mehr. Meinst du, das arme, törichte Ding, das auf den Bergen aufgewachsen ist, werde sieben Jahre wegwerfen wie einen Tag? Ich weiß, was sie mich gekostet haben, wie teuer sie waren, und daß ich einen ehrlichen Preis zahle, wenn ich dich mit ihnen kaufen will. Dich in den Tod lassen? Es wäre zum Lachen. Wende dich nur weg von mir, du wirst es schon innewerden, daß ich dich zu mir zurückzwinge auf ewig. Denn in den Wein, den du heute getrunken, war ein Liebeszauber gemischt, dem noch kein Mensch unter der Sonne widerstanden hat!«

Sie sah königlich aus, als sie diese Worte rief, den Arm nach ihm ausgestreckt, als hielte ihre Hand ein Szepter über einem, der ihr verfallen sei. Er aber lachte trotzig auf und rief: »Dein Liebeszauber leistet dir schlechte Dienste, denn ich habe dich nie mehr gehaßt, als in diesem Augenblick. Aber ich bin ein Narr, eine Närrin zu hassen. Möge es dich, wie von dem Wahn, so auch von der Liebe heilen, wenn du mich nicht wieder siehst. Ich brauche deine Führung nicht. Ich sehe da drüben am Abhang eine Hirtenhütte und die Herde umher. Ein Feuer blinkt herauf. Man wird mich dort wohl zurechtweisen. Lebe wohl, arme Schlange, lebe wohl!«

Sie antwortete nichts, als er ging, und setzte sich ruhig in den Schatten eines Felsens neben der Schlucht, in das dunkle Grün der Tannen, die unten am Bach wurzelten, ihre großen Augen versenkend.

 

Er war noch nicht lange von ihr gegangen, als er sich pfadlos zwischen Klippen und Gebüsch befand; denn wie sehr er sich's verleugnen mochte, hatten doch die Worte des wunderbaren Mädchens eine beunruhigende Wirkung auf sein Herz ausgeübt, die all seine Gedanken nach innen kehrte. Indessen sah er gegenüber auf der Matte noch immer das Hirtenfeuer und arbeitete sich rüstig durch, damit er nur erst die Tiefe erreichte. Er rechnete nach dem Stande der Sonne, daß es gegen die zehnte Stunde sein mußte. Wie er aber die Bergsteile hinabgeklettert war, fand er unten einen sonnenlosen Weg und bald auch einen Steg über einen neuen Wildbach, der auf der andern Seite hinaufzuführen und endlich an der Matte auszumünden versprach. Er verfolgte ihn, und der Weg lief anfangs steil hinan, dann aber in großer Windung eben am Berge hin. Er sah wohl, daß er ihn nicht zunächst zu seinem Ziele bringen würde; aber in geraderer Richtung hingen unüberwindlich jähe Felsstücke vor, und wollte er nicht zurück, mußte er sich schon seinem Wege vertrauen. Nun schritt er rasch und anfangs wie aus Banden erlöst dahin, und spähte zuweilen nach der Hütte aus, die sich immer noch zurückzog. Nach und nach, wie sein Blut gelinder floß, fielen ihm alle Einzelheiten des eben erlebten Auftrittes wieder ein. Das schöne Mädchenbild sah er leibhaftig vor sich, und nicht wie zuvor durch den Nebel seines Jähzorns. Er konnte sich eines tiefen Mitleidens nicht erwehren. »Nun sitzt sie droben«, sagte er vor sich hin, »die arme Irre, und baut auf ihre Zauberkünste. Darum also verließ sie in Nacht und Mondschein gestern die Hütte, um wer weiß welch ein harmloses Kraut zu pflücken. Jawohl; wiesen mir nicht auch meine braven Contrabbandieri die sonderbaren weißen Blüten zwischen den Felsen und sagten, das sei mächtig für Gegenliebe? Unschuldiges Gewächs, was sie dir nachsagen! – Und darum zerschellte sie den Krug, und darum war mir der Wein so bitter auf der Zunge. Wird doch das Kindische je älter desto stärker und ehrwürdiger. – Wie eine Sibylle stand sie vor mir, so wahrheitsgewiß, wie schwerlich jene römische, die ihre Bücher ins Feuer warf. Armes Weiberherz, wie schön und elend macht dich dein Wahn!«

Je weiter er ging, um so stärker fühlte er die rührende Herrlichkeit ihrer Liebe und die Gewalt ihrer Schönheit, die ihm die Trennung nur noch verklärte. »Ich hätte es sie nicht entgelten lassen sollen, daß sie mich im besten Glauben, mich zu retten, von meinen unabwendbaren Pflichten losmachen will. Ich hätte ihr die Hand geben sollen und sagen: Ich habe dich lieb, Fenice, und wenn ich leben bleibe, komme ich zu dir zurück und hole dich heim. Wie blind war ich, daß mir diese Auskunft nicht einfiel! eine Schande für den Advokaten! Ich hätte mit Küssen wie ein Bräutigam Abschied nehmen sollen, so hätte sie kein Arg gehabt, daß ich sie täuschte. Statt dessen hab ich gerade durch gewollt mit dem Trotzkopf und alles verschlimmert.«

Nun vertiefte er sich in das Bild eines solchen Abschiedes und meinte ihren Atem zu fühlen und den Druck der frischen Lippen auf den seinen. Es war ihm, als höre er seinen Namen rufen. »Fenice!« antwortete er inbrünstig und stand mit heftig klopfendem Herzen still. Der Bach rauschte unter ihm, die Zweige der Tannen hingen ohne Bewegung, weit und breit schattige Wildnis.

Schon war ihm der Name wieder auf den Lippen, als ihm noch zur rechten Zeit die Scham den Mund versiegelte. Scham und ein Grauen zugleich. Er schlug sich vor die Stirn. »Ist es schon so weit mit mir, daß ich im Wachen von ihr träume?« rief er. »Soll sie recht behalten, daß diesem Zauber kein Mensch unter der Sonne widerstehen kann? So wäre ich nichts Besseres, als sie aus mir zu machen gedachte, wert, ein Weiberknecht zu heißen mein Leben lang. Nein, in die Hölle mit dir, schöne betrogene Teufelin!«

Er hatte für den Augenblick seine Fassung wieder, aber er sah nun auch, daß er von dem Wege völlig in der Irre herumgeführt war. Zurück konnte er nicht, wenn er der Gefahr nicht in die Arme laufen wollte. So beschloß er, jetzt um jeden Preis wieder eine Höhe zu erreichen, von der er sich nach der verlornen Hirtenstelle umschauen könnte. Das eine Ufer des tief unten rauschenden Bachs, an dem er ging, war allzu jäh. Also schlang er den Mantel über den Nacken, wählte eine sichere Stelle und war mit einem Sprung an der andern Seite der Kluft, deren Wände hier dicht zusammentraten. Mit besserem Mut erklomm er den Abhang drüben, und erreichte bald die Sonne.

Sie sengte schwer sein Haupt, und die Zunge lechzte ihm, als er sich mit großer Anstrengung emporarbeitete. Jetzt überfiel ihn auf einmal die Angst, daß er dennoch mit allen Mühen das Ziel nicht mehr erreichen möchte. Das Blut stieg ihm mehr und mehr zu Kopf, er schalt auf den Teufelswein, den er am Morgen hinuntergestürzt, und wieder mußte er an die weißen Blüten denken, die man ihm gestern unterwegs gezeigt. Hier wuchsen sie wieder – ihm schauderte die Haut. Wenn es doch wahr wäre, dachte er, wenn es Kräfte gäbe, die unser Herz und unsre Sinne bemeistern und einen Manneswillen unter die Laune eines Mädchens beugen könnten – lieber das Äußerste als diesen Schimpf! lieber Tod als Knechtschaft! Aber nein, nein, nur den bezwingt die Lüge, der an sie glaubt. Sei ein Mann, Filippo, vorwärts, da ist die Höhe vor dir; noch eine kurze Frist – und dies maledeite Gebirge mit seinem Spuk liegt für immer hinter dir!

Und dennoch konnte er das Fieber in seinem Blut nicht besänftigen. Jeder Stein, jede schlüpfrige Stelle, jeder vor ihm hängende starre Tannenzweig war ihm ein Widerstand, den er mit unverhältnismäßigem Aufbieten des Willens gewaltsam besiegte. Als er endlich oben, sich an den letzten Büschen haltend, ankam und mit einem Schwung die Höhe gewann, konnte er erst nicht um sich sehen, so war ihm das Blut in die Augen geschossen, und so plötzlich blendete ihn die Sonne von den gelben Felsen ringsum. Wütend rieb er sich die Stirn und fuhr sich durch das verworrene Haar, den Hut lüftend. Da aber hörte er wahrlich wieder seinen Namen und starrte entsetzt nach der Stelle, von wo man rief. Und wenige Schritte ihm gegenüber, am Felsen, wie er sie verlassen, saß Fenice und sah ihn mit stillen, glücklichen Augen an.

»Kommst du endlich, Filippo!« sagte sie innig. »Ich habe dich schon früher erwartet.«

»Gespenst der Hölle«, schrie er außer sich, während Grausen und alle Leidenschaften der Sehnsucht sich in ihm bekämpften, »höhnst du mich noch, da ich mit Qualen in der Irre laufe und die Sonne mir alles Hirn schmilzt? Triumphierst du, daß ich dich noch einmal sehen muß, um dich noch einmal zu verfluchen? Wenn ich dich gefunden habe, beim allmächtigen Gott, so hab ich dich doch nicht gesucht, und du sollst mich dennoch verlieren.«

Sie schüttelte seltsam lächelnd den Kopf. »Es zieht dich ohne daß du's weißt«, sagte sie. »Du fändest mich, wenn alle Berge der Welt zwischen uns wären, denn ich mischte sieben Tropfen von dem Herzblut des Hundes in deinen Wein. Armer Fuoco! Er liebte mich und haßte dich. So wirst du den Filippo hassen, der du früher warst, als du mich verstießest, und nur ruhig sein in dir, wenn du mich liebst. Filippo, siehst du nun, daß ich endlich dich erobert habe? Komm, nun will ich dir wieder die Wege zeigen, nach Genua zu, mein Geliebter, mein Mann, mein Holder!«

Damit stand sie auf und wollte mit beiden Armen ihn umfangen, als sie plötzlich vor seinem Gesicht erschrak. Er war wie mit einem Schlage totenblaß geworden, nur das Weiße in seinen Augen rot, seine Lippen bewegten sich lautlos, der Hut war vom Haupt gefallen, mit den Händen wehrte er heftig jede Annäherung ab.

»Ein Hund! ein Hund!« waren die ersten mühsam vorbrechenden Worte. »Nein, nein, nein! du sollst nicht siegen – Dämon! Besser ein toter Mann, als ein lebendiger Hund!« – Darauf erscholl ein furchtbares Lachen von seinen Lippen, und langsam, wie wenn er sich gewaltsam jeden Schritt erkämpfte, die Augen stier auf das Mädchen geheftet, wich er taumelnd zurück und stürzte rücklings in die Schlucht hinab, die er eben verlassen hatte. -


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