Paul Heyse
Das Mädchen von Treppi
Paul Heyse

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Paul Heyse

Das Mädchen von Treppi

Novelle

(1855)

Auf der Höhe des Apennin, wo er sich zwischen Toskana und dem nördlichen Teil des Kirchenstaats hinzieht, liegt ein einsames Hirtendorf, Treppi genannt. Die Pfade, die hinaufführen, sind für Wagen unzugänglich. Viele Stunden weiter nach Süden in großem Umweg überschreitet die Straße der Posten und Vetturine das Gebirge. Treppi vorüber ziehen nur Bauern, die mit den Hirten zu handeln haben, selten ein Maler oder ein landstraßenscheuer Fußwanderer, und in den Nächten die Schmuggler mit ihren Saumtieren, die das öde Dorf, wo sie kurze Rast machen, auf noch viel rauheren Felswegen zu erreichen wissen, als alle andern.

Es war erst gegen die Mitte Oktobers, eine Zeit, wo die Nächte in dieser Höhe noch von großer Klarheit zu sein pflegen. Heute aber hatte sich nach dem sonnenheißen Tage ein feiner Nebel aus den Schluchten heraufgewälzt und breitete sich langsam über die edelgeformten nackten Felszüge des Hochlandes. Es mochte gegen neun Uhr abends sein. In den zerstreuten niedrigen Steinhütten, die über Tag nur von den ältesten Weibern und jüngsten Kindern bewacht werden, glommen nur noch schwache Feuerscheine. Um die Herde, über denen die großen Kessel wankten, lagen die Hirten mit ihren Familien und schliefen; die Hunde hatten sich in die Asche gestreckt; eine schlaflose Großmutter saß wohl noch auf einem Haufen Felle und bewegte mechanisch die Spindel hin und her, Gebete murmelnd, oder ein unruhig schlafendes Kind im Korbe schaukelnd. Die Nachtluft zog feucht und herbstlich durch die handgroßen Lücken in der Mauer, und der Rauch der ruhig ausbrennenden Herdflamme, der jetzt vom Nebel gedrängt wurde, schlug schwerfällig zurück und floß an der Decke der Hütte hin, ohne daß es der Alten beschwerlich ward. Hernach schlief auch sie mit offenen Augen, soviel sie konnte.

Nur in einem Hause war noch Bewegung. Es hatte auch nur ein Stockwerk wie die andern; aber die Steine waren besser gefugt, die Tür breiter und höher, und an das weite Viereck, das die eigentliche Wohnung ausmachte, lehnten sich mancherlei Schuppen, angebaute Kammern, Ställe und ein gut gemauerter Backofen. Vor der Haustür stand ein Trupp beladener Pferde, denen ein Bursch eben die geleerten Krippen wegriß, während sechs bis sieben bewaffnete Männer aus dem Hause traten, in den Nebel hinaus, und eilig ihre Tiere rüsteten. Ein uralter Hund, der neben der Tür lag, bewegte nur leicht den Schweif, als sie aufbrachen. Dann erhob er sich müde von der Erde und ging langsam in das Innere der Hütte, wo das Feuer noch hell brannte. Am Herde stand seine Herrin, dem Feuer zugewendet, die stattliche Gestalt regungslos, die Arme an den Hüften herabhangend. Als der Hund mit der Schnauze sanft gegen ihre Hand rührte, wandte sie sich, als schrecke sie aus Träumen auf. »Fuoco«, sagte sie, »mein armes Tier, geh schlafen, du bist krank!« – Der Hund winselte und bewegte den Schweif dankbar. Dann kroch er auf ein altes Fell neben dem Herd und streckte sich hustend und winselnd nieder.

Indessen waren auch einige Knechte hereingekommen und hatten sich um den großen Tisch an die Schüssel gesetzt, welche die abziehenden Schmuggler soeben verlassen hatten. Eine alte Magd füllte sie aus dem großen Kessel von neuem mit Polenta, und setzte sich nun ebenfalls mit ihrem Löffel zu den andern. Während sie aßen, wurde kein Wort laut; die Flamme knisterte, der Hund stöhnte heiser aus dem Schlaf, das ernsthafte Mädchen saß auf den Steinplatten des Herdes, ließ das Schüsselchen mit der Polenta, das ihr die Magd besonders hingestellt hatte, unberührt und sah in der Halle umher, ohne Gedanken in sich versunken. Vor der Tür stand der Nebel jetzt schon wie eine weiße Wand. Aber zugleich ging der halbe Mond eben hinter dem Rand des Felsens in die Höhe.

Da kam es wie Hufschlag und Menschentritte die Straße herauf. – »Pietro!« rief die junge Hausherrin mit ruhig erinnerndem Ton. Ein langer Bursch stand augenblicklich vom Tisch auf und verschwand im Nebel.

Man hörte jetzt die Schritte und Stimmen näher, endlich hielt das Pferd am Hause. Noch eine Weile, dann erschienen drei Männer unter der Tür und traten mit kurzem Gruß ein. Pietro näherte sich dem Mädchen, das teilnahmlos in die Flamme sah. »Es sind zwei von Porretta«, sagte er ihr, »Ohne Waren; sie führen einen Signore über die Berge, der seine Pässe nicht in Ordnung hat.«

»Nina!« rief das Mädchen. Die alte Magd stand auf und kam an den Herd.

»Das ist's nicht allein, daß sie essen wollen, Padrona«, fuhr der Bursch fort. »Ob der Herr ein Lager haben kann für die Nacht. Er will nicht weiter vor Tagesanbruch.«

»Mach ihm eine Streu in der Kammer.« Pietro nickte und ging wieder an den Tisch.

Die drei hatten Platz genommen, ohne daß die Knechte sie einer besondern Aufmerksamkeit würdigten. Es waren zwei Contrabbandieri, wohlbewaffnet, die Jacken leicht übergeworfen, die Hüte tief über die Stirn gedrückt. Sie nickten den andern zu wie guten Bekannten, und nachdem sie ihrem Begleiter einen guten Platz eingeräumt hatten, schlugen sie das Kreuz und aßen.

Der Signore, der mit ihnen gekommen, aß nicht. Er nahm den Hut von der hohen Stirn, strich mit der Hand durchs Haar und ließ die Augen über den Ort und die Gesellschaft schweifen. An den Wänden las er die mit Kohle gemalten, frommen Sprüche, sah im Winkel das Madonnenbild mit dem Lämpchen, daneben die Hühner, die auf der Stange schliefen, dann die Maiskolben, die, auf Schnüre gereiht, an der Decke hingen, ein Brett mit Krügen und Korbflaschen, übereinandergeschichtete Felle und Körbe. Das Mädchen am Herd fesselte endlich seine unruhigen Augen. Das dunkle Profil zeichnete sich streng und schön gegen das flackernde Rot des Herdfeuers, ein großes Nest schwarzer Flechten lag tief auf dem Nacken, die Hände hatte sie ineinanderverschränkt auf das eine Knie gelegt, während der andere Fuß auf dem Felsboden des Gemachs ruhte. Wie alt sie sein mochte, konnte er nicht erraten. Doch sah er an ihrem Gebaren, daß sie die Wirtin des Hauses war.

»Habt Ihr Wein im Hause, Padrona?« fragte er endlich. Er hatte diese Worte kaum gesagt, als das Mädchen wie vom Blitz gestreift emporfuhr und aufrecht neben dem Herde stand, mit beiden Armen sich auf die Platten stützend. In demselben Augenblick fuhr der Hund aus dem Schlafe auf. Ein wildes Murren brach aus seiner keuchenden Brust vor. Der Fremde sah plötzlich vier funkelnde Augen auf sich gerichtet.

»Darf man nicht fragen, ob Ihr Wein im Hause habt, Padrona?« wiederholte er jetzt. Noch aber hatte er das letzte Wort nicht geendet, als der Hund in unerklärlicher Wut laut heulend auf ihn zusprang, ihm den Mantel mit den Zähnen von der Schulter riß und von neuem gegen ihn losgesprungen wäre, wenn nicht ein scharfer Ruf seiner Herrin ihn gebändigt hätte.

»Zurück, Fuoco, zurück! Friede, Friede!« – Der Hund stand mitten im Zimmer, heftig mit dem Schweife schlagend, den Fremden unverwandt im Auge. – »Schließ ihn in den Stall, Pietro!« sagte das Mädchen halblaut. Sie stand noch immer wie erstarrt am Herde und wiederholte den Befehl, als Pietro zauderte. Denn seit langen Jahren war der nächtliche Platz des alten Tiers neben dem Herde gewesen. Die Knechte flüsterten untereinander, der Hund folgte widerwillig, und sein Heulen und Winseln drang schauerlich von draußen herein, bis es vor Erschöpfung nachzulassen schien.

Indessen hatte die Magd auf einen Wink der Wirtin Wein gebracht. Der Fremde trank, reichte den Becher seinen Begleitern und sann im stillen über den wunderlichen Aufruhr nach, den er unwissentlich angestiftet. Ein Knecht nach dem andern legte den Löffel nieder und ging mit einem »Gute Nacht, Padrona!« hinaus. Zuletzt waren die drei mit der Wirtin und der alten Magd allein.

»Die Sonne geht um vier Uhr auf«, sagte der eine Schmuggler halblaut zu dem Fremden. »Eccellenza braucht nicht früher aufzubrechen, um bei guter Zeit in Pistoja zu sein. Es ist auch wegen des Pferdes, das seine sechs Stunden stehen muß.«

»Es ist gut, meine Freunde. Geht und schlaft!«

»Wir werden Euch wecken, Eccellenza.«

»Auf alle Fälle«, erwiderte der Fremde. »Obwohl die Madonna weiß, daß ich nicht oft sechs Stunden in einem Strich schlafe. Gute Nacht, Carlone; gute Nacht, Meister Giuseppe!«

Die Leute rückten ehrerbietig die Hüte und standen auf. Der eine ging nach dem Herd und sagte: »Ich habe einen Gruß, Padrona, vom Costanzo aus Bologna, und ob es bei Euch war, wo er sein Messer hat liegen lassen letzten Samstag.«

»Nein«, sagte sie kurz und ungeduldig.

»Ihr hättet's ihm wohl wieder mitgeschickt«, sagte ich ihm, »wenn's hier gewesen wäre. Und dann –«

»Nina«, unterbrach sie ihn, »zeige ihnen den Weg in die Kammer, wenn sie ihn vergessen haben.«

Die Magd stand auf. »Ich wollte nur noch sagen, Padrona«, fuhr der Mann mit großer Ruhe und leisem Zwinkern der Augen fort, »daß dieser Herr dort das Geld nicht ansähe, wenn Ihr ihm ein sanfteres Bett machtet, als unsereinem. Das wollt' ich Euch sagen, Padrona, und nun schenk' Euch die Madonna eine gute Nacht, Signora Fenice!«

Damit wandte er sich zu seinem Gesellen, neigte sich, wie dieser, vor dem Bilde in der Ecke, kreuzte sich und beide verließen mit der Magd das Gemach. »Gute Nacht, Nina!« rief das Mädchen. Die Alte wandte sich noch auf der Schwelle und machte ein fragendes Zeichen, zog dann aber rasch und gehorsam die Tür hinter sich zu.


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