Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Denselben Abend wanderte ich noch drei oder vier Meilen weit, schlief irgendwo in einer verlassenen Blockhütte und kam des andern Tages spät nach der Stadt. Ich besuchte natürlich keinen Menschen und ging immer erst des Abends aus. Nach einer Woche war ich mit all meinen Zurüstungen so weit, daß ich die Reise um die Welt mit leichtem Koffer und schwerem Herzen antreten konnte.

Nun, von dieser Reise wissen Sie genug, haben vielleicht mehr, als Ihnen lieb war, davon hören müssen. Denn unser Freund, der rothe Wenzel, das ewige Fragezeichen, konnte mich ja nicht fünf Minuten hinter meinem Schoppen sitzen sehen, ohne die Rede auf meine Weltumseglung zu bringen. Apropos, was ist denn aus ihm geworden? Sagt er noch immer zu Allem, was man ihm erzählt: »Merkwürdig! höchst merkwürdig!« und seufzt dabei über seine frühe Heirath, die seinen Horizont so eng begrenzt habe? Todt? Unser kleiner Wenzel todt! Nun, so wird er ja endlich einen Horizont gefunden haben, der seinem Wissensdrang entspricht, wenn anders unser Herrgott im Antworten so geduldig ist, wie ich es war. Aber so gern ich ihm auf alle geographischen, ethnographischen und naturwissenschaftlichen Fragen nach Kräften Bescheid gab, in Einem Punkt, entsinnen Sie sich wohl!, mußte ich seine Forschbegierde unbefriedigt lassen. Ueber die Frauenzimmer, braune und gelbe, weiße und rothhäutige, zeigte ich mich schlecht unterrichtet, was unserm Freunde von allem »höchst Merkwürdigen« das Merkwürdigste schien. – Ich suchte diese offenbare Lücke in meiner Bildung durch eine ziemlich fadenscheinige Weiberfeindschaft im Allgemeinen zu bemänteln und vertheidigte, wie Sie vielleicht noch wissen, mit Vorliebe den Satz, daß keine Thiergattung weniger Varietäten unter allen Himmelsstrichen aufzuweisen habe und für eine naturhistorische Betrachtung unergiebiger sei, als das Weibchen von homo sapiens, Linné. Kenne man Ein Exemplar, so kenne man alle, bis auf kleine Schattirungen in der Farbe, die nicht tiefer als bis zur Haut gingen. So mannigfach die Männer organisirt seien – ich war damals noch ein Anhänger der Racentheorie – so einförmig die Weiber, und darum hätte ich auf meiner Weltfahrt überall etwas Wichtigeres zu thun gefunden, als mich mit Weibern abzugeben.

Ich glaube, ich spielte meine sarkastische und cynische Rolle so täuschend, daß ihr Alle daran glaubtet und Keiner ahnte, welch ein sentimentaler Esel sich in dieser Löwenhaut vermummte. Dieser Ausdruck ist nicht zu stark für meinen Zustand, denn ich versichere Sie, man braucht kein Versmacher zu sein, um die Heine'sche süße blöde Jugendeselei an seiner armen Seele zu erfahren, halbe Nächte zu Land und Meer wie im Fieber zu verwachen und manchmal zu flennen wie ein altes Weib, weil man sich in sein Schicksal noch nicht schicken kann. Sie werden das unter uns lassen, ich erwähne es nur, weil es doch einmal dazu gehört und Ihnen auch beweist, was an dem Mädchen war; denn eine Erste Beste hätte mir's nimmermehr bis zu solchem Grade angetan, daß mir die niedlichsten Malayinnen, Japanesinnen, Spanierinnen und Creolinnen wie Zuckerwasser nach echtem Johannisberger vorkamen. Nun, jetzt kann man davon reden, es ist viel Wasser seitdem den Berg hinab gelaufen und der alte Johannisberger steigt nicht mehr zu Kopf, er wärmt nur noch den alten Magen.

Also, wo war ich stehen geblieben? Richtig, dabei, daß Alles beim Alten blieb und das alte Sprichwort sich wieder einmal bewährte: den Himmel ändert man, nicht das Herz, wenn man übers Meer geht. Zwei Jahre dauerte die große Expedition. Dann trieb ich mich noch erst ein volles drittes in Europa herum, eh' ich mir ein Herz faßte, auch einmal wieder in diese Gegend zu kommen, wohl verstanden, nur in die Stadt. Denn an eine Wanderung ins Gebirge hinaus und an ein Vorsprechen in der Schneidemühle dachte ich gar nicht, da ich mein gegebenes Wort noch wohl in der Erinnerung hatte und es für Beide am Besten war, die Todten todt und begraben sein zu lassen.

Aber es sollte durchaus nicht so glatt abgehen.

Im Bären nämlich, wo ich abstieg, kam mir gleich beim Eintritt in die Wirthsstube ein Gesicht entgegen, das mich wie ein Gespenst erschreckte, obwohl es rothe Backen, ein paar lustige Augen im Kopf und gar keine Grabesstimme hatte. In dem Sommer, den ich hier draußen zugebracht, hatte eine arme junge Base der Leidener's ebenfalls hier gehaust, theils um etwas von der Wirtschaft zu lernen, theils auch weil die Frau immer schwerfälliger wurde und die Afra nicht wohl Alles allein beschicken konnte. Das gute Kind, etwa siebzehn Jahre alt, war für alle Wohlthat, die ihm im Hause und zumal von der ältesten Tochter zu Theil wurde, so dankbar, daß ich sie oft sagen hörte, nie gehe sie fort, so lange man sie noch irgend brauchen könne, und wenn sie darüber alt und grau und eine alte Jungfer werden müßte. Denn besser könne sie's nirgends finden. Und dasselbe hatte sie auch nach dem jähen Tode der Eheleute wiederholt betheuert.

Daß ich sie nun dennoch schon nach drei Jahren hier in der Stadt antraf, war mir auffallend, zu allem Schrecken, den ich davon hatte, überhaupt einem Menschenkinde zu begegnen, das von der Schneidemühle kam und um die Dinge draußen Bescheid wußte. Nie hatte ich danach fragen wollen und gehofft, gewisse Namen nie wieder aussprechen zu hören, und nun sollte die erste Stunde in der Stadt meine schönsten Kartenhäuser von Entsagung und Standhaftigkeit über den Haufen werfen.

Was ich zu hören bekam, hätte freilich einen Jeden erschüttert, der nicht gerade von einem hyrkanischen Tiger und einem Jaguarweibchen abstammte. Denken Sie sich: das Mädchen, ich meine das Bäschen, hatte es in der Mühle nicht länger aushalten können, weil es ihr das Herz abdrückte, mitanzusehen, wie der junge Hausherr seine Frau schlecht behandelte und die Ehe von Woche zu Woche unglücklicher wurde, obwohl, je wüster er es trieb, die Afra desto mehr sich wie eine Heilige benahm, wenn es, wie das Mädchen sagte, überhaupt lutherische Heilige giebt. Sie hatte sich, da nur wenige Gäste zu bedienen waren, zu mir gesetzt, der ich mich in eine dicke Rauchwolke hüllte, damit die Kleine nicht merkte, was ich zu ihren Neuigkeiten für ein Gesicht machte. Nun kriegte ich die ganze Historie der drei Jahre zu hören.

Im Anfang sei es nicht übel gegangen, der Aloys ganz wie sich's gehört hinter dem Geschäft her, das er wieder recht ordentlich in Schwung brachte, die Kinder gut gehalten und die Afra, wenn auch noch immer ernst, wie natürlich, da sie trotz dem Hochzeitjubel den Tod der Eltern nicht so rasch verwunden hatte, so doch nicht unzufrieden und gegen ihren Mann immer gleichmüthig und freundlich. Und dem Aloys habe man es nie angemerkt, daß er geglaubt hätte, ihr eine besondere Ehr' oder Gnade anzuthun, da er sie geheiratet, obwohl sie Nichts mehr hatte, sondern im Gegenteil, er habe sie sehr respectirt und sich in Allem nach ihrem Rath und Willen gerichtet. Das sei so angegangen bis zum ersten Kindbett. Da habe es zuerst Verdruß gesetzt, weil es ein Mädchen gewesen, statt eines Buben, auf den der junge Vater stark gerechnet. Und da die Mutter nur mehr für das Kind gelebt, auch länger als andere Frauen bleich und elend herumgeschlichen sei, habe sich die große Liebe und Verehrung des Aloys nach und nach ins Gegentheil verkehrt, er habe es ihr zu verstehen gegeben, daß er doch wohl einen dummen Streich begangen, sie zu heirathen mit dem Rudel Geschwister und jetzt dem Fratzen in der Wiege, für den sie allein noch auf der Welt zu sein scheine, und überhaupt merke er, daß sie nicht bloß um den Vater so still und trübselig sei, sondern überhaupt eine Duckmäuserin, wie es ja die meisten Lutherischen sein sollten, vielleicht weil sie wissen, daß sie jenseits verdammt sein werden und darum auch diesseits kein so recht fideles Gemüth haben könnten, wie ein guter katholischer Christ, dem droben im Himmel sein Bettchen schon gemacht ist.

Auf all solche Reden, mit denen er sogar vor den Kindern und Dienstboten nicht zurückhielt, habe die Afra nie ein böses Wort erwiedert, sondern nur gesagt, sie sei noch schwach vom Wochenbett, und viel zu lachen oder zu schäkern sei nie ihre Art gewesen, er müsse das ja selber wissen. Aber ihre Sanftmuth brachte ihn nur immer mehr auf, so daß sie selber froh war, wenn er nur das Haus verließ und draußen seinen Geschäften nachging. Sie sorgte nach wie vor, daß es ihm an nichts fehlte, daß er über nichts mit Grund zu klagen hatte. Aber es war einmal verschüttet. Nun that sie dazu, daß ihre Halbgeschwister gut untergebracht wurden, bei Verwandten, denen sie die Kost bezahlte, die Buben in Schulen, nur das jüngste Mädchen von zwölf Jahren blieb noch im Haus, und die Aelteste verheirathete sich. Er durfte also nicht mehr klagen, daß er sich in seinem eigenen Hause nicht rühren könne, so viel Sippschaft habe er mit in die Ehe überkommen. Und doch, je mehr sie that, was ihm lieb sein mußte, oft gegen ihr Herz, je unguter ward er zu ihr.

Da sei es einmal zu einem Ausbruche gekommen, einer heftigen Scene – um was es sich gehandelt, wußte das Mädchen nicht zu sagen. Mit Niemand habe die Frau davon gesprochen. Aber von dem Tage an sei die Hölle im Hause gewesen, der Aloys nicht wiederzuerkennen, all seine guten Manieren, sein Fleiß und seine Billigkeit gegen Jedermann plötzlich wie weggeweht, dafür nur ein um so trotzigerer Bauernstolz und Eigensinn, und Niemand habe mehr Gewalt über ihn gehabt, als höchstens ein einziger Mühlenknecht, den er sich gemiethet, weil er sich nebenbei gut auf Pferde verstanden. Der habe ihn zu allerlei schlimmen Dingen angeleitet, ihn in die Wirthshäuser rings in der Nachbarschaft zum Kegeln und Trinken gebracht, ja auch an schlimmere Orte. Es sei da eine halbe Stunde von der Mühle auf einem Gehöft eine Wittfrau noch bei jungen Jahren, ein verrufenes Weib, mit der habe der Aloys angebändelt, daß alle Leute davon gesprochen hätten. Die Afra hatte es natürlich zuerst erfahren. Aber kein Wort darüber, nicht eine Miene oder einen bösen Blick. Es sei übermenschlich, was sie für eine Macht hatte, sich nichts anmerken zu lassen, gerade wenn es ihr am wehesten ums Herz sei. Sie aber – das Bäschen – sei anders, bei ihr müsse es immer gleich über die Lippen springen, was sie auf dem Herzen hätte. Und da habe sie kein Blatt vor den Mund genommen und gerad' 'rausgesagt, wie schändlich die Frau gehalten werde, und daß es dem Aloys noch einmal bös bekommen müsse, und so Reden mehr. Als aber die Afra davon gehört – denn jener Knecht machte im Hause den Horcher und Angeber – da habe sie ihr gekündigt. Sie könne keine Leute im Hause brauchen, die über den Herrn raisonnirten. Nun, und ihr selber sei es am Ende recht gewesen. Denn, wie gesagt, das Herz wäre ihr gesprungen, wenn sie das Märtyrerthum noch länger hätte mit ansehen und dazu stillschweigen sollen.

Ich hatte mir dies Alles berichten lassen und keine Silbe dazu gesagt. Denn eine ganz wahnsinnige Zornwuth tobte in mir und schnürte mir die Kehle zusammen, zugleich ein Gefühl der schnödesten Selbstverachtung, daß ich einem solchen Menschen mein Mädchen überlassen und mich mit ein paar armseligen Vernunftgründen hatte abspeisen lassen. Mir war also das Stöhnen und Schnauben näher als das Sprechen und ich zerbiß meine Pfeife, um nur nichts von Dem auszurasen, was in mir kochte.

So konnte es nicht fortgehen, das stand fest. Gleich am andern Tag mußte ich hinaus und mit eigenen Augen sehen und überlegen, was noch zu retten war, und ob sie nicht jetzt ihren alten Freund, den Pfadfinder, brauchen konnte, der in noch viel verworreneren Sackgassen in den Urwäldern Amerika's gelernt hatte, sich den Weg mit der Axt zu hauen.

Damals gab es noch keine Eisenbahn zwischen der Stadt und den Bergen, und die Postschnecke, die einen ganzen Tag, und keinen von den kürzesten, brauchte, um hier herauszukriechen, hatte ich schon in meinen langmüthigsten Tagen hundertmal verwünscht und verschworen; wie hätte ich's erst mit dem Fieber, das jetzt in mir brannte, in ihr ausgehalten! Zu Fuß zu gehen wäre mir am dienlichsten gewesen, um eben jenes Fieber verdampfen zu lassen. Aber ich fühlte mich, nachdem ich drei Jahre versäumt hatte, moralisch verpflichtet, nun keine Stunde länger als durchaus nöthig, fernzubleiben, wo man meiner so sehr bedurfte. Am liebsten wäre ich noch in der Nacht aufgebrochen. Da ich aber beschlossen hatte, ein Pferd zu besteigen – die beste Art zu reisen, wenn man auf Abenteuer in Wildnissen ausgeht – so mußte ich bis morgen warten, indem für einen nächtlichen Ritt nirgendwo ein zuverlässiges Thier aufzutreiben war.

So verbrachte ich eine böse Nacht, vielleicht die peinlichste und verworrenste meines Lebens. Denn ich war nicht klarer darüber, wie ich es draußen finden würde, als über das, was geschehen sollte. Ich hatte mein Recht auf das Mädchen aus der Hand gegeben. Unter welchem Titel kam ich jetzt, mich in ihre zerrüttete Ehe zu mischen? Wenn der Mann mich einfach aus der Thür schob und hinter mir zuriegelte, war er nicht in seinem Recht? Auf eine scharfe Standrede über den Text, er solle Respect vor seinem Weibe haben und sie nicht unglücklich machen, hörte ich schon die Antwort, nicht gerade im gehobeltsten Stil, und wenn ich etwa Händel mit ihm suchen und ihn herausfordern wollte, – war er noch Polytechniker oder Forstakademiker genug, um als Familienvater mit einem hergelaufenen alten Liebhaber seiner Frau ein paar Kugeln zu wechseln?

Die Sache nahm sich immer hoffnungsloser aus, je länger ich sie beim Lichte einer schlaflosen Nacht in mir herumwälzte. Und doch, hinaus mußte ich, es mochte kommen, was da wollte, und das Gelübde, das ich ihr gethan, todt für sie zu sein, war das Letzte, was mich zurückhielt. Wozu sind Revenants erfunden, als um Denen über den Weg zu spuken, die verlassene Schätze nicht wohl zu hüten wissen, oder gewissenlos vergeuden? Ich lebe und bin noch stärker als alle Todten sind! rief ich und ballte die Faust gegen den Räuber meines Glücks, der selbst nichts damit anzufangen gewußt hatte. Und über solchen Nachtgedanken wurde es endlich Tag.

Ein kalter, grauer Herbsttag; so daß ich die langen Stunden auf meinem Klepper, der kein hitziger Traber war, mehr als billig gefroren hätte, wäre nicht das Fieber meiner Gedanken gewesen, das mir alle Pulse wärmte. Aber so schnell sie klopften, mein Thier kümmerte sich nichts darum. Mehr als einmal mußte ich eine lange Rast machen, füttern und noch die besten Worte geben, bis man sich zur Weiterreise entschloß. Und so kam ich erst am späten Abend unten im Posthause des Dorfes an.

Sie erkannten mich dort und wollten mich mit aller Gewalt festhalten, die eine Nacht wenigstens. Ich ließ ihnen aber nur meine schlechtere Hälfte, den Gaul, indem ich vorschützte, meine Freunde in der Schneidemühle wüßten schon, daß ich unterwegs sei und würden mir's sehr übel nehmen, wenn ich eine halbe Stunde weit von ihnen Quartier machte. Ich merkte an den Gesichtern des Postmeisters und seiner Frau, daß es seine Richtigkeit mit Allem hatte, was ich von der kleinen Kellnerin im Bären hatte hören müssen. Aber ich that nicht dergleichen, ich hätte keinen Nachbarklatsch über die Afra mehr ertragen, ehe ich sie selbst wiedergesehen, es war, als wiese Alles mit Fingern auf mich: »Du bist Schuld daran! Warum warst du zu feige, sie auf Tod und Leben dir zu erobern und dem Glück abzutrotzen!« – und so sagte ich mit abgewendetem Gesicht Gutenacht und trat das letzte, schwerste Stück meiner Tagereise an, in einer Aufregung, die sich nicht beschreiben läßt. Ich weiß nur, daß mir die Zunge hart und dürr, wie eine Papageienzunge, im Munde klebte, daß ich mehrmals still stehen mußte, um zu horchen, wer denn da neben mir rede, und dann merkte, daß ich selbst vor mich hin gewüthet hatte – wie man im Dunkeln pfeift, um sich die Gänsehaut zu vertreiben. Vor wem fürchtete ich mich? Wahrlich nicht vor ihm. Ich brannte vielmehr darauf, mich mit ihm zu messen, gleichviel auf welche Waffen, Wort oder Faust. Aber ihr vors Gesicht zu treten, ihre Leiden auf ihren verblaßten Wangen, in ihren matten Augen zu lesen und meine Augen niederschlagen zu müssen in dem Gefühl: wenn du damals ein rechter Kerl gewesen wärst und dir was zugetraut hättest, es wäre anders gekommen. Aber sie kannte dich, und darum traute sie selbst dir nichts zu. Und das ist nun das Ende!

Es fror mich zum ersten Mal am ganzen Tage; ich bereute jetzt, daß ich die Einladung der Posthalterin, erst etwas Warmes zu genießen, ausschlagen hatte. Dabei war die Luft stiller geworden, der feine, fröstelnde Regen hatte aufgehört, über dem Fluß, der stark angeschwollen war, blitzte sogar ein schwaches Mondlicht, wenn die Wolken einen Augenblick zerrissen. Das schien mir so unheimlich, und ich fürchtete überdies, von irgend einem bekannten Menschen eingeholt und in meiner ganz unmenschlichen Verfassung zum Reden genöthigt zu werden, daß ich einen einsamen Richtweg einschlug, den ich damals oft genug gewandelt war. Und doch, und obwohl ich seitdem mein Pfadfinderorgan noch erheblich entwickelt hatte, in jener Nacht verirrte ich mich wie ein wildfremder Neuling. Möglich auch, daß meine Furcht mir den Streich spielte, mich noch eine Weile im Kreise herumzuführen, ehe ich wirklich an der wohlbekannten Schwelle anlangte. Ich sah mehr als einmal das Haus und drüben das Dach der Mühle aus den Gärten auftauchen. Noch dreißig Schritte, so hatte ich's erreicht. Dann fand ich mich unversehens wieder im stichdunklen Forst und hörte ganz aus der Ferne das Wasser durch die stille Nacht brausen.

Plötzlich aber – ich muß geradezu wie ein Blinder herumgetappt sein – plötzlich sehe ich dicht vor mir den Gartenzaun hinter ihrem Hause, und wie ich die Hand ausstrecke, halte ich den Griff an dem Pförtchen, das da drüben ins freie Wiesenland hinausführt. Nun war's geschehen, nun konnte ich die letzte Frist nach Minuten zählen. Und ich war auch entschlossen, sie nicht zu verlängern, das Herumirren in der öden Finsterniß mit dem feigen Diebeszittern in allen Gliedern war unerträglicher als jeder gewaltsame Schlag.

Also klinkte ich die Thür auf und trat in den dunklen Baumgarten. Das Haus dahinter sah ich nur als eine dunkle Masse, Alles schien zu schlafen, aus keinem Fenster auch nur der leiseste Lichtschimmer.

Aber ich hatte noch keine fünf Schritte gethan, da bewegte sich was unter dem Pflaumenbaum, der in der Mitte steht, wo die Bank ist, auf der wir in guten Tagen so manchmal gesessen hatten, schwatzend, oder mit einem leichten Geschäft, zu Zweien oder zu Vieren. Es schien Jemand dort gesessen zu haben und aufgeschreckt zu sein, als die Thür in ihren Haspen knarrte. – Der Schrecken versteinerte mich, daß ich nicht vorwärts konnte. Wenn Er es wäre, dachte ich – gleich jetzt, hier in der einsamen Nacht, machst du deine Rechnung mit ihm richtig.

Ich faßte unwillkürlich meinen Stock fester in die Faust – eine andere Waffe hatte ich nicht. Wer ist da? rief ich. Aber das Wort war noch nicht ganz aus der Kehle, da hör' ich schon einen halb erstickten Aufschrei, und im nächsten Augenblick stürzt eine zitternde, schluchzende, sich fest anklammernde Gestalt an meinen Hals, daß ich alle Kraft aufbieten mußte, nicht zu Boden gerissen zu werden.

Wir mögen wohl eine gute Weile so gestanden haben, denn es dauerte lange, bis ich nur überhaupt zu Athem kam, so heftig hatte sie im Krampf ihres Schmerzes sich an mich angeschmiedet, in einer fassungslosen Leidenschaft, wie ich sie ihr niemals zugetraut hatte. Denn auch damals, als wir Abschied nahmen, war etwas Maßvolles, ein Rest von Ueberlegenheit über ihr Schicksal in ihrem Betragen, so bitterlich weinend sie mir am Halse hing. Aber ich merkte wohl, wie Vieles seitdem an ihrer Kraft genagt hatte, daß sie mir nun so jammervoll zerbrochen, förmlich aus allen Fugen gerissen, in den Armen lag und keinen andern Halt mehr zu haben schien, als mich.

So empfangen zu werden hatte ich nicht erwartet. Aber es that mir unsäglich wohl. Alle Zwiespältigkeit meiner Armensünderstimmung war auf Einen Schlag von mir gewichen, ich fühlte mich als den natürlichen Rächer und Retter dieses mißhandelten, geliebten Lebens, und wahrhaftig, wie ich sie so an meiner Brust hielt und das Zucken ihrer armen Glieder empfand, – mehr als ein Bruder redete ich ihr zu, denn als ein Mensch, der eine verzehrende Sehnsucht nach diesem Weibe über Land und Meer mit sich getragen und endlich es erreicht hatte, das versagte Glück ans Herz zu drücken.

Sie ließ mich lange reden, ohne nur ein Wort zu erwiedern. Aber endlich schien der Krampf des Schluchzens sich zu stillen und ihre Arme lösten sich von meinem Halse. Sie trat einen Schritt zurück, als wenn sie jetzt erst Zweifel empfände, ob ich es denn auch wirklich sei. Es war nicht hell genug unter den Bäumen, daß Eins des Andern Züge deutlich hätte erkennen können. Ich sah nur das Weiße in ihren Augen schimmern und ihre schönen Zähne, als sie jetzt die Lippen öffnete, um das erste Wort zu sprechen.

Bist du's denn wirklich? sagte sie ganz leise. Nun glaube ich Alles, was man von Wundern und Ahnungen erzählt. Denke, vor einer halben Stunde – drin im Hause – es war der bitterste Augenblick meines Lebens, und ich dachte, ich könnte ihn nicht überleben – ich müsse mir ein Leids anthun – und schon suchte ich mit den Augen im Zimmer herum, wo ich ein Messer fände oder sonst etwas Spitzes, mir's ins Herz zu bohren, daß der Jammer darin nur einmal stille würde – da ist mir's, als hörte ich deutlich draußen vorm Garten meinen Namen rufen – dreimal – genau mit Deiner Stimme, wie sonst – wenn Du nach Hause kamst und mich etwa eben an einem Fenster gesehen hattest. Und bei dem ersten Ruf wird es ganz ruhig in mir, beim zweiten überläuft es mich wie eine Flamme, daß ich meine, es ist mein Tod, beim dritten, der fast wie von der Schwelle her klang, stürz' ich aus der Thür und denke, Du stehst dahinter. Aber da war nichts als die todtenstille, schaurige Nacht, und ich suche unter den Bäumen auf und ab, bis ich auf die Bank hinsank, nun doppelt elend, denn ich hatte Dich wieder nahe geglaubt und es war nur ein Spuk gewesen. Jetzt, dacht' ich, ist er Dir wirklich gestorben – Du hast nichts gehört als seinen letzten Seufzer – und da war es mir, als müsse ich nur noch ein wenig warten, so werde es auch mit mir vorbei sein. Und wie ich eben recht ruhig in mir wurde, so wie zum Sterben, da ging die Gitterthür auf – Du riefst – und ich war an Deinem Halse!

Ich weiß nicht mehr, was ich darauf sagte, ich war wie im Traum und vergaß Alles, was geschehen war und was mich hergeführt hatte, nur daß ich wieder ihre Stimme hörte, die ganz eigne einfache Art, wie sie sich ausdrückte, und daß sie so mein geblieben war – das empfand ich, und das Glück darüber überwand in dem Augenblick alle anderen Gefühle.

Ich setzte mich auf die Bank und zog sie neben mich. Wir hielten uns fest aneinandergedrückt wie zwei Kinder, die vor einem Gewitter unter ein Dach geflüchtet sind und bei jedem Blitz dichter zusammenrücken. Ihre beiden Hände hatte sie in meine gelegt, ich streichelte sie ihr, da sie zitterten, sonst aber stand uns Beiden nicht der Sinn nach Liebkosen und Tändeln.

Ich weiß schon Alles, sagte ich endlich. Die Eva hat es mir gesagt, gestern Abend im Bären. Erzähl' mir nichts mehr. Laß uns lieber von zukünftigen Dingen sprechen.

Alles weißt Du? sagte sie da mit einem dumpfen Ton, der mir durch die Seele ging. Ja wohl, Alles, was die Leute wissen! Das wäre immerhin schon genug, Einem die Hölle auf Erden zu schaffen. Aber es ist noch nicht das Halbe, was ich auszustehen habe.

Ich will nicht sagen, daß Er allein Schuld ist. Ich hätte wohl noch anders sein können, und anders thun. Aber Gott ist mein Zeuge: nach der ersten Stunde, daß ich ihn genommen habe ohne Liebe, habe ich Tag und Nacht darauf gesonnen, wie ich's nun doch noch richten könnte, daß wir Zwei ein rechtes Leben miteinander führten. Er wußte es ja auch, vernarrt bin ich nie in ihn gewesen und hätte lieber ledig gelebt, als ihn zu heirathen, wäre das Unglück nicht gekommen und wir plötzlich Alle verwaist gewesen. Er dacht' aber, wenn er mich nur erst hätte, das Glück und die Ehre, seine Frau zu sein, würde mir endlich schon einleuchten. Hätte doch Manche den kleinen Finger sich abgebissen, wenn sie damit den Verwalterssohn zum Mann bekommen hätte. Aber daß ich anders war als Andere, das lockte ihn gerade so lange, als er noch keine Gewalt über mich hatte. Sobald ich sein war, sollte ich gerade so sein, wie die Andern. Und am Ende wär' ich's auch geworden – hätte ich ein freies Herz gehabt. Aber das wußte er nicht, das merkte er nur an meinem Thun und Lassen, da ich gar nicht wieder munter wurde. Er neckte mich erst damit: so hätt' er sich's doch nicht vorgestellt, eine Lutherische zur Frau zu haben, und was so seine Reden mehr waren. Aber ich sah wohl ein, ich mochte thun, was ich wollte, immer war ich ihm noch nicht munter genug, so was man »lebfrisch« nennt, eine, mit der man sich zankt und verträgt, lacht und brummt, und gleich ist wieder gut Wetter, weil ihr nichts tief geht. Ich war das nicht gewohnt von meinem Vater her, ich sagt's ihm, er müsse Geduld haben, er versprach's auch manchmal, aber es ging ihm gegen die Natur.

Und einmal, eben da er mich heftig gescholten hatte, weil ich über ein paar von seinen wilden Kameraden und ihre unsauberen Reden nicht mitgelacht hatte, und er war aus der Thür gegangen, und ich dachte, ich wäre eine Weile allein – da hole ich mein Gesangbuch aus dem Kasten, wo ich Dein Bild drin aufbewahrte, Du weißt wohl, den schwarzen Schattenriß, den Du mir geschenkt hast, und sitze so in meine Erinnerung verloren über das Buch gebückt und die Thränen fließen mir ganz wohltätig auf das kleine Blatt, daß mir aller Kummer vom Herzen schmilzt und ich meine, ich sei weit, weit weg, bei Dir, auf Deinem Schiff oder im Urwald, von dem Du mir erzählt hast – plötzlich greift eine Faust mir über die Schulter ins Buch und packt das Bild, und wie ich entsetzt aufstarre, steht Er hinter mir, mit Augen und einer Miene – ich dachte, ich versänke in den Boden. Er war hereingekommen, da es ihm doch leid that, mich so hart angefahren zu haben, zumal in meinen Umständen, und hatte sich hinter mich geschlichen, zu sehen, was ich da läse. Wie er aber das Bild sah –

Ich will Dir nichts weiter davon erzählen. Er ist ein ganz Anderer in der Wuth – er weiß nichts von sich, wie ein Mensch, der zu viel Wein im Kopf hat; – aber als er ausgetobt hatte, und aus dem Zimmer gestürmt war, lag Dein Bild, in tausend Stücke zerfetzt, auf der Erde.

Seitdem, fuhr sie fort, sei es von Tag zu Tage trauriger geworden, denn auf sein heftiges Insiedringen: sie solle es nur gestehen, der Doctor, der alberne Gelehrte stecke ihr noch im Kopf, und darum könne sie nicht lachen und gehe herum mit einem Leichenbittergesicht – es sei vielleicht nicht recht oder doch nicht klug gewesen, aber sie habe es nicht übers Herz gebracht, mich zu verleugnen. Es sei wahr, habe sie gesagt, ich sei ihre erste Liebe gewesen, und sie brauche sich darum nicht zu schämen. Denn es habe sie nicht von ihrer Pflicht abwendig gemacht, und sie wolle ihm eine gute und treue Frau sein, wenn er nur auch sich besinnen und nichts von ihr verlangen wolle, was gegen ihre Natur sei. Aber es war nicht mehr in Güte mit ihm zu reden. Seitdem stak ihm der Nagel der Eifersucht im Kopf und machte ihn immer blinder und toller. Und als das Kind zur Welt kam – stellen Sie sich vor, er glaubte im Ernst oder redete sich doch vor, es zu glauben – das unschuldige Ding sei gar nicht sein Kind; der rechte Vater, von dem es hieß, er segle seit Jahr und Tag auf fernen Meeren herum, habe das Gerücht nur ausgesprengt, um desto sicherer irgendwo in der Nähe im Hinterhalt zu liegen und heimtückisch seinem alten Nebenbuhler Ehre und Hausfrieden zu stehlen.

Das war ihm nicht auszureden, denn er wollte einen Anlaß haben, seine Frau als die Schuldige vor sich selber hinzustellen, da er es nicht mehr ertrug, zu ihr hinaufzusehen und sich zu sagen, daß er ihrer nicht werth sei. Von da an begann das ganze wüste Wesen im Haus, die Gewalt, die der schlechte Gesell, der Mühlengehülfe, über ihn gewann, indem er den Zuträger und Horcher und bald auch den Kuppler machte, die Bekanntschaft mit der verrufenen Person auf dem Einödhof, all das, was die kleine Base aus dem Haus getrieben hatte. Und heute Abend, sagte die Afra, eine Stunde nach dem Nachtessen – er war wieder nicht zu Hause gewesen, sondern auf einer Hochzeit drunten in Fischbach, wo er mit seiner Freundin zusammengekommen war – und ich sitze allein bei unserm Kinde und denke tausend Sachen – da wird plötzlich die Thür aufgerissen und er taumelt mir über die Schwelle. So hab' ich ihn doch noch nie gesehen, so hat mir nie vor ihm gegraust. Er fällt auf die Bank hin und lallt, daß ich ihm Bier und Rum bringen soll; nach dem Kind zu sehen, fiel ihm auch in besseren Tagen nicht ein. Und während ich ihn bediene, ohne ein Wort zu sagen, und er wieder mir mein lutherisches Gesicht und mein heuchlerisches Kopfhängen vorwirft, sagt er plötzlich: Das muß anders werden, oder mein junges Leben wird mir verleidet, daß ich den ganzen Bettel hinter mich werfe, wie einen ausgetretenen Schuh. Richt das Gastzimmer her, morgen kriegen wir Besuch. Die Einodbäuerin – eben Die, mit der er es hielt – hat mir versprochen, ein paar Tage zu uns zu kommen. Sie hat so viel von dir gehört, sie möcht' deine Bekanntschaft machen. – Aloys, sagt' ich, du bist Herr im Haus; aber wo es die Hausehre gilt, hab ich auch ein Wort zu sagen. Wenn die Person zur Vorderthür hereingeht, – mein heiliges Wort darauf, Aloys, deine Frau geht zur Hinterthür hinaus. – Das sagt' ich, ganz nachdrücklich, aber ohne Heftigkeit. Er dauerte mich viel zu sehr in seinem armseligen Zustand, wo er sich selbst nicht mehr kannte. Aber es machte keinen Eindruck auf ihn. Oho, sagte er, das wollen wir erst noch sehen. Und wer dem Haus mehr Ehre macht von euch Beiden, fragt sich noch sehr. Ihr wenigstens kann Niemand nachsagen, daß sie's bei Lebzeiten ihres Mannes mit einem Andern gehalten hätte. – Ich will darüber nicht streiten, Aloys, sagt' ich, aber es bleibt dabei, unter Einem Dach mit Dieser soll kein Mensch mich halten. Und dabei wollte ich aus dem Zimmer gehen, um Streit zu vermeiden. Aber er war aufgesprungen und hielt mich, und sein ganzes Gesicht glühte und er schrie: Wenn du so eine Heilige sein willst, so schwöre mir, daß du mit keinem Gedanken mehr an den Doctor denken willst – willst du oder nicht? – Wie soll ich etwas schwören, sagt' ich, das nicht in meiner Macht steht? Gedanken sind zollfrei, und wenn es nur keine sündhaften Gedanken sind – – Schwöre, oder du stirbst! rief er und hob die Hand, als wollte er mich niederschmettern. Ich war eiskalt geworden vor Abscheu, sah ihn nur fest an und sagte: Geh schlafen, Aloys. Du weißt nicht, was du sprichst! – Dabei trat ich einen Schritt seitwärts, um ihn vorbeizulassen, daß er sich nebenan zu Bette legte. Aber er war allzusehr von seiner Hitze verwirrt, er wollte noch etwas sagen, als aber die Zunge es nicht mehr herausbrachte, da übermannte ihn der Zorn und – er schlug nach mir! – –

Er traf mich nicht hart, nur an der linken Schulter – ich hatte es kommen sehen und mich noch in die Ecke drücken können – und er verlor dabei das Gleichgewicht und taumelte zu Boden. Von dem Gepolter wurden die Leute in der Küche aufmerksam. Die alte Kathrin' und jener schändliche Bursch, der Mühlengehülfe, kamen hereingestürzt – der Herr ist hingefallen, sagt' ich. Tragt ihn in die Kammer und legt ihn auf sein Bette. – Dann ging ich aus dem Zimmer und setzte mich in die dunkle Kammer, wo mein Vater seine Modelle und Zeichnungen verwahrt hatte, und da erst brach der Jammer aus und ich weinte, als müßte ich meine Seele aus den Augen gießen, und dachte, ich würde sterben. Und da war's, daß ich dich rufen hörte, und jetzt danke ich Gott, daß ich noch am Leben bin, denn jetzt ist Alles gut!

Sie stand auf, als habe sie plötzlich ein verdächtiges Geräusch gehört. Gleichviel! sagte sie, nachdem sie eine Weile gelauscht hatte, mag es doch hören, wer es will, wen habe ich noch zu scheuen? Mein Mann lädt sich seine guten Freundinnen ein, warum soll ich meinen einzigen Freund aus dem Hause weisen? Was hab' ich davon gehabt, brav zu sein und mein Herz mit Füßen zu treten, weil es nicht gleich hat still schweigen und seine Liebe begraben wollen? Mein Kopfhängen hat man mir vorgeworfen, mein lutherisches Duckmäusern, und hat mir doch nicht getraut. Jetzt will ich sein, wie sie mich haben wollen, lustig und verliebt, und fünf gerade sein lassen, und wenn man mich schlägt, will ich's hinnehmen wie andere kluge Weiber, die schon wissen, wie sie sich dafür bezahlt machen. Alles hat seine Art und Manier, und man ist nur Einmal jung, und wenn ich das Glück, das mir der Himmel schickt nach all dem Kummer, selber von mir stoße, bin ich eine Närrin und verdiene, daß man mit Fingern auf mich zeigt. – Hörtest du nicht was vorbeischleichen? – Es werden die Katzen sein. – Es schläft ja auch Alles im Haus, bis auf die alte Kathrin' – und die hält zu mir, die hat es mir längst verdacht, daß ich mir Alles gefallen ließ und dazu schwieg. Es war auch dumm, man muß nicht besser sein wollen, als die Anderen, wenn man durch die Welt kommen will. O Wendelin, rief sie und schloß mich mit einem fieberhaften Ungestüm in die Arme, ich danke Gott für diesen Schlag; der hat meine Kette zerbrochen. Aber geh nun ins Haus! laß dir von der Kathrin' in dein Zimmer hinaufleuchten, du findest es noch, wie du es verlassen. Wendelin, drei Jahre hab' ich dich entbehren müssen, nun gehör' ich dir, und wenn die Welt darüber zu Grunde gehen sollte!

Sie preßte mich noch einmal heftig an sich, dann ließ sie mich los und flüsterte: Geh, geh, du sollst nicht lange auf mich warten. So trieb sie mich von sich weg, dem Hause zu.

Ich trat ein, ohne zu wissen, wie ich den Weg und die Thür gefunden. Es taumelte Alles um mich her, mein Mund brannte von ihrem letzten Kuß, ihre Worte summten mir in den Ohren. Als ich die Alte in der Küche sitzen sah, neben dem Herd, auf dem nur noch ein paar Kohlen glimmten, brachte ich kaum ihren Namen über die Lippen. Aber es schien, als ahne der getreue Hausgeist, was vorgefallen sei, und was mich hergeführt. Jesusmaria! rief sie mit halblauter Stimme, Sie sind's, Herr Doctor? Haben Sie denn nicht im Garten –

Ich nickte und legte den Finger auf den Mund. Bleibt nur ruhig, sagt' ich. Ich finde schon selber hinauf. – Damit tappte ich nach der Treppe, ich fand mich noch zurecht, wie wenn ich erst gestern das Haus verlassen hätte, und schlich so sacht die Stiege hinauf, daß keine Stufe knarrte. Und eben so behutsam öffnete ich die Thür und trat in das dunkle Zimmer.

Aber das Herz klopfte mir wunderlich, ich war solche Diebeswege nicht oft gewandelt, und nie in einem Hause, wo ich als Gastfreund aus- und eingegangen war. Und doch, ich will mich nicht besser machen, als ich bin: in meinem Gewissen rührte sich nichts. Ich fand es ganz in der Ordnung, daß ich mir zueignete, was von Gottes- und Rechtswegen mir gehörte. Wenn der Andere inzwischen ein Recht darauf erworben hatte, hatte er's nicht selber verscherzt? Freilich, über diese Nacht hinauszudenken, fiel mir nicht ein. Wenige an meiner Stelle hätten so viel Besinnung gehabt, während sie mit Herzklopfen auf den Schritt ihrer Liebsten draußen auf der Treppe warteten.

So schlichen die Minuten. Ich stand endlich leise von dem Bett auf, auf das ich mich gleich beim Eintreten gesetzt hatte, und stahl mich auf den Zehen nach einem der Fenster hin, um frische Luft hineinzulassen, da das Zimmer lange nicht gelüftet worden war. Nun stand ich an dem offenen Fenster und horchte in das Rauschen der Wipfel hinaus und erfrischte meine schwülen Sinne an der Nachtkühle draußen. Immer ungeduldiger pochte mir das Blut in den Adern, ich riß ein Blatt von dem Birnenspalier ab, das sich draußen zwischen den Kreuzstöcken hinzweigt, und schlürfte die Regentropfen gierig ein, die daran hängen geblieben waren. Nie hatte ich die Qual des Wartens so peinlich empfunden, und endlich schien es mir, ich könne es nicht länger ertragen, ohne zu ersticken. Ich war eben im Begriff, wieder nach der Thür zu schleichen, um hinunterzugehen und zu fragen, ob sie mich vergessen; da öffnete sich – ich hatte in der Aufregung den Schritt auf der Treppe überhört – mit einem Lichtschimmer die Thür, und Afra trat herein, eine Kerze in der Hand, die mich jetzt erst ihre Züge deutlich wiedererkennen ließ.

Sie war bleicher geworden in diesen drei Jahren, aber es stand ihr gut, die Augen erschienen um so dunkler, ihre Stirn gegen das braune Haar freier und vornehmer. Ihre Figur hatte mehr Fülle bekommen, ihre Hand, mit der sie den Leuchter hielt, schien mir weißer als vordem. Aber was mir seltsam auffiel: sie hatte eine Art Mantel um die Schulter gehängt und ein braunes Tuch um den Kopf gebunden. Und vorhin im Garten – ich wußte es nur zu gut, ich hatte ihr bloßes Haar zwischen den Händen gefühlt – da wäre ein Kopftuch doch nötiger gewesen gegen den rauhen Nachtwind.

Du kommst spät, flüsterte ich, indem ich hastig zu ihr hintrat. Ich habe schon gedacht, es sei ein Unglück geschehen, oder – was das schlimmste Unglück gewesen wäre – du hättest dir's anders überlegt. Nun, Gottlob, daß du da bist. Komm, ich will dir das Licht abnehmen – (dabei zitterte ich, daß ich dachte, ich würde den Leuchter fallen lassen) – und nun leg den Mantel ab, und warum hast du den Kopf so verbunden? Komm, ich muß es dir hier bequem machen.

Sie war ganz bewegungslos nicht weit von der Thür stehen geblieben und sah ernsthaft vor sich hin. Laß es nur sein, Wendelin, sagte sie. Ich muß doch bald wieder gehen.

Morgen vor Thau und Tage, raunte ich ihr ins Ohr und schlang den Arm um sie. Bis dahin aber –

Sie wehrte mir ab und trat einen Schritt zurück. O Wendelin, sagte sie, ich bin ein armseliges Weib. Mache du mir's nicht noch schwerer, was ich thun muß und ohnehin kaum überstehen kann.

Bist du bei Sinnen? rief ich. Hast du vergessen, was du mir vor keiner halben Stunde gesagt und versprochen hast? Ist's etwa anders seitdem geworden? Oder hast du dir's überlegt, daß ich dir wirklich inzwischen gestorben bin und daß man einem Gespenst nichts mehr schuldig ist? Sag's, wenn dein Herz kalt genug dazu ist, und ich – ich will mich nicht lange bitten lassen, dem Spuk ein Ende zu machen und in die Nacht hinauszugehen, so weit meine Füße mich tragen.

Ich war vor sie hingetreten und hatte das Licht ergriffen, als müsse ich ganz genau ihre Züge betrachten, um klar darüber zu werden, wie sie es meine. Da sah sie mich mit einem ihrer Blicke an, die ich nur allzu gut kannte. Wenn sie einen ganz festen Entschluß gefaßt hatte und mit ihrem Willen im Reinen war, dann sah sie einen so an, und dann konnte man nichts mehr über sie gewinnen.

O Wendelin, sagte sie, ich dächte, du hättest es empfunden, drunten im Garten, daß du mir lebst, wie sonst nichts auf der Welt, und daß, wenn mein Herz auch ganz kalt wäre, nur ein Blick von dir es wieder hell darin aufbrennen ließe. Und wenn du allein für mich lebtest, nicht noch etwas Anderes, ich thäte Alles für dich, ich opferte dir Alles, meine Pflicht, meine Ruhe, mein Gewissen. Aber siehst du, wie ich schon auf dem Wege war zu dir und gehe nur noch in das große Zimmer unten, ein Licht anzuzünden, und mir schauert, weil ich aus der Kammer nebenan meinen Mann aus dem Traum reden höre, wilde, gottvergessene Worte – da hör' ich plötzlich noch Etwas im Zimmer selbst, dicht neben mir – ein Stimmchen, Wendelin, das ganz hell an mein Ohr schlägt, und da ich mit zitternden Händen Licht gemacht hab', seh' ich die Wiege meines Kindes noch am Fenster neben der Bank stehen. Die Kathrin' hatte vergessen, sie, wie sonst, in die Kammer zu tragen, vielleicht auch gedacht, ich wollt' bei dem wüsten Mann die Nacht nicht bleiben, lieber hier draußen. Und da war das Kind, das Durst hatte, aufgewacht und sah mich mit seinen großen Augen an – o Wendelin, der Blick! Und geschwinde stellte ich das Licht aus der Hand, um ihm die Flasche zu geben und es wieder einzuwiegen. Aber wie ich's so auf dem Schooß hatte – immer noch sah es mich an unter dem Trinken, ich hab' nie einen solchen Ausdruck auf dem kleinen Gesicht gesehen. Und erst nach und nach, da ich ihm leise zusprach, schloß es wieder die Augen, und dann that es einen tiefen Athemzug, ordentlich wie ein Erwachsenes, dem es wieder leicht ums Herz wird, als ob es verstanden hätte, was ich leise ihm besprach. Und dann legte ich es in seine Kissen zurück und horchte eine Weile – und dann war es wieder eingeschlafen.

Und was hast du ihm versprochen, Afra? stammelte ich, nachdem ich lange umsonst mich bemüht hatte, meiner Bewegung Meister zu werden.

Daß es sich seiner Mutter nicht soll zu schämen haben, Wendelin, daß seine Mutter, wenn sie auch ein unglückliches Weib ist, doch nimmer ein schlechtes werden will. O, mein Liebster, mache mir kein böses Gesicht und sieh nicht so finster von mir weg, wenn ich jetzt zum zweiten Mal dir Hoffnungen gemacht habe und sie dann nicht erfüllt. Siehst du, ich habe es mir ganz klar überlegt, ich muß nun aushalten. Wenn er wüst zu mir ist und mich schlecht behandelt, hab' ich's nicht selbst verschuldet? Das Herz war nicht dabei, als ich ihm meine Hand verlobt hab'. Wie soll nun sein Herz nie an mir irre werden? Mach' ich ihn etwa so glücklich, wie ich's ihm doch vor Gott zugeschworen hab'? Und wenn ich ihn jetzt betrügen kann, geb' ich ihm dann nicht Recht, daß er es überhaupt je mir hat zutrauen können? Mit welchem Gesicht soll ich ihm wieder vor die Augen treten? Wie soll ich mein Kind wieder ansehen, wenn es so unschuldig mich anlacht und größer wird und von seiner Mutter wissen will, was Gut und Böse ist?

Still! unterbrach ich sie plötzlich. Hast du nicht ein Scharren oder Knistern gehört, da oben über dem Ofen, als ob Jemand auf dem Speicher herumschliche?

Wir lauschten eine Weile. Es ist nichts, sagte sie, oder höchstens die Kathrine, die vielleicht noch Kindswäsche herunterholt.

Nein, nein, sagt' ich, es hantiert Jemand da am Kamin. Du weißt, daß oben an dem Loch im Schlot jedes Wort zu hören ist, wenn die Ofenklappe nicht zu ist. Laß sie mich erst schließen, oder sprich wenigstens leiser.

Und sie, mit einem Blick voll Trauer und Vorwurf: Warum sollen wir leiser sprechen? Ist das etwas Heimliches, was wir miteinander haben? Jeder kann es hören, daß mein Kind mich von einem großen Unglück gerettet hat: zu allem Kummer noch eine Sünde auf mich zu laden. Ich weiß aber auch, daß ich Fleisch und Blut habe und daß die Nacht lang ist und der Versucher wacht, ob er nicht doch eine Seele zu Fall bringe. Darum will ich das Haus verlassen, Wendelin. Meine Halbschwester ist eine Stunde von hier verheirathet und gerade im Kindbett. Sie hat einen braven Mann, aber eben nichts übrig, und ich dachte ihr morgen einen Korb mit allerlei Leinenzeug und etwas zur Stärkung zu bringen. Das will ich heute noch thun.

Heute noch? rief ich. In dieser finstern Nacht? Ich lasse dich nicht fort – es könnte dir irgend etwas zustoßen unterwegs –

Da lächelte sie zum ersten Mal wieder, aber nur einen Augenblick und sehr schmerzlich. Sei ganz ruhig, sagte sie, ich finde meinen Weg, und Schlimmeres kann mir draußen nicht zustoßen als hier. Hast du mich ja sonst deine Pfadfinderin genannt! Also gute Nacht, lieber Freund, und nun wieder Lebewohl für immer. Du darfst nie wieder kommen, du magst nun von mir hören, was du willst, es sei denn, ich schriebe dir selbst und bäte dich zu kommen. Aber so schlimm wird es ja nie werden. Und siehst du, wenn ich jetzt gehe, und mein Mann besinnt sich morgen, warum ich wohl gegangen bin, obwohl du zu Nacht hier warst – er hat kein schlechtes Herz, es ist nur verwildert und verirrt – vielleicht findet auch er sich wieder auf den rechten Weg zurück und schämt sich, daß er mich so verkannt hat. Hab gute Nacht! Nein – du darfst mich nicht umarmen – nur die Hand wollen wir uns geben – so! und nun behüt' dich Gott, Wendelin! Er wird's wohl machen.

Damit nahm sie meine Hand, die ich unschlüssig ihr hinreichte. Afra! rief ich – nur noch ein Wort – nur noch eine Bitte –

Sie schüttelte aber den Kopf, wandte sich von mir ab und ging mit festen leisen Schritten aus der Thür, mich in einer Betäubung zurücklassend, in der ich zuerst kein Glied rühren konnte. Ich hörte sie, immer mit demselben gleichmäßigen Schritt, die Treppe hinuntergehen, drunten noch ein paar Augenblicke ins Zimmer treten, wahrscheinlich um noch einmal nach dem Kinde zu sehen, und dann die vordere Hausthür aufklinken, die auf die Landstraße führt. Da erst fuhr ich zusammen, als sprängen hundert Fesseln von meinen Gliedern. Sie ging, ging wirklich in die kalte, schaurige Nacht hinaus, es war das letzte Mal, daß ich ihre Stimme gehört und ihr ins Auge gesehen hatte – und jetzt ließ ich sie das Haus verlassen und sollte mich ins Bett legen und die Decke über den Kopf ziehen, während dieser Engel –

Nein, ich konnt' es nicht übers Herz bringen, ich mußte hinuntereilen, ihr nach, sie zurückhalten – ihr sagen – ich wußte nicht was – aber nur noch ein einziges Mal ihre Hand fassen.

Und so stürze ich nach der Thür, reiße sie auf und will nach der Treppe. Da seh' ich im Flur draußen – die Kerze im Zimmer gab gerade Licht genug, daß ich ihn gleich erkennen konnte – ihren Mann, den Aloys, stehen, die Füße in Pantoffeln, sonst noch in den Kleidern, wie er von der Hochzeit gekommen war. Nur ein Jagdgewehr, eine Doppelbüchse, hatte er über die rechte Schulter gehängt, und die Haare, wie nach einem wüsten Schlaf im Rausch, starrten ihm wild um die Schläfen.

Er war todtenblaß, die Augen geröthet, die Lippen verzerrt und von dem schmucken Burschen, den ich ehemals gekannt, wenig mehr an ihm zu entdecken.

Er war es also gewesen, den ich über uns auf dem Speicher neben dem Ofenkamin gehört hatte. Das war mir auf der Stelle klar, und er wußte also, was ich mit der Afra geredet hatte. Erst später habe ich erfahren, wie es damit zugegangen war. Der Mühlenknecht, sein Verbündeter, hatte aus seiner Dachkammer gesehen, wie ich in den Garten gekommen und von der Frau empfangen worden war. Als sie dann zu mir hinauf ging, war er zu dem schlafenden Mann geschlichen und hatte ihm ins Ohr geschrieen: Steht auf, Meister! Der Doctor ist im Haus, und die Frau ist bei ihm. Das hatte den Schwerumnebelten plötzlich ernüchtert wie ein eisiges Sturzbad.

Er hatte die Büchse von der Wand gerissen und war auf den Zehen nachgeschlichen, die Bodentreppe hinauf an den Lauscherposten. Hören wollte er, wie weit das schamlose Weib sich vergessen würde, und dann im rechten Augenblick, wenn kein Zweifel an ihrer Schuld und keine Beschönigung mehr möglich wäre, wollte er wie ein Blitz vom Himmel hineinwettern und sie und mich ohne viel Redensarten über den Haufen schießen.

Nun war der schöne Plan ihm zu Schanden geworden. Ich sah, daß Beschämung und Haß gegen mich in ihm kämpften. Und freilich hatte ich selbst nicht die beste Sache und das glatteste Gewissen ihm gegenüber. Aber ich war doch mehr Herr meiner selbst, als er, und konnte zuerst zu Worte kommen.

Ihr seid es, Aloys? sagt' ich. Was sucht Ihr hier? Eure Frau? Die hat schon das Haus verlassen, und wenn sie nie wiederkommt, so wißt Ihr, wer die Schuld hat. Wollt Ihr Jagd auf sie machen, daß Ihr die Büchse mitgenommen habt? Thut's nur! Es ist am Ende besser, Ihr wendet eine Kugel daran und helft ihr auf einmal aus der Welt, als daß Ihr fortfahrt, wie ein unsinniger Wütherich ihr das Leben zu verbittern. Und dann zeigt Ihr Euch wenigstens vor allen Leuten mit Eurem wahren Gesicht, und es wird Euch zu Theil, was Ihr längst verdient habt, statt daß Ihr jetzt all Eure Gräuel ungestraft verübt, da das fromme Weib, der Märtyrerengel, sich lieber die Zunge abbisse, als Euch verklagte.

So fuhr ich noch eine Weile fort, und bei jedem Wort, das ich sagte, schien er mehr in sich zusammenzubrechen, und seine Zähne knirschten hörbar, wie bei einem Menschen, den ein Reuefrost schüttelt. Aber er nahm sich noch einmal zusammen, vielleicht weil er unten im Hause die Schritte seines Spießgesellen, des Mühlenknechts, hörte und sich schämte, daß er, als Herr im Hause, sich so den Text lesen ließ.

Heiliges Gewitter! rief er plötzlich und reckte sich in den Gliedern, indem er zugleich das Gewehr gegen den Boden stieß – bin ich denn noch der Aloys und Ihr – kenn' ich Euch nicht und weiß nicht, was Euch hieher geführt hat? Und Ihr wollt mir mores machen, Ihr mir predigen, was ich thun und lassen soll mit meinem Weibe? Ist sie etwa nicht mein, ein Anderer Herr über sie, als ich? Was an ihr ist, wer weiß das besser als ich, und wer braucht mir's zu sagen? Aber was an Euch ist, und was Ihr hier zu suchen gehabt, darum brauch' ich auch nicht erst die sieben Weisen Griechenlands zu befragen, das kann ich mit Händen greifen, und mag ich gegen meine Frau Schuld haben oder nicht, mit Euch, mein Lieber, will ich reine Rechnung machen und wenn Ihr jetzt nicht auf der Stelle mein Haus räumt und Euch je wieder hier blicken laßt –

Er hob die Büchse, als wollte er mir mit dem Schaft die Wege weisen. Das machte mich wild.

Armseliger Wicht, fuhr ich ihn an, geh' in dich und danke Gott, wenn noch ein honetter Mensch sich in deinem Hause blicken läßt. Heute Nacht geh' ich freilich; unter Einem Dache mit einem Rasenden zu bleiben, der, wenn's ihm einfällt, einen Wehrlosen im Schlaf überfällt und erwürgt, dazu ist mir mein Leben noch zu lieb. Aber das Wiederkommen verschwör' ich nicht. Denn wenn es kein Gericht und keine Behörde giebt, bei der man einen Mann verklagen kann, der seiner Frau das Leben verleidet, nun so muß ein alter Freund sich ihrer annehmen. Und darum verlaßt Euch darauf, Aloys: was Ihr von jetzt an ihr zu Leide thut, jedes schnöde Wort und jeder böse Blick, womit Ihr sie peinigt, wird mir gemeldet werden, und wenn Ihr Euch je wieder so weit vergäßet, die Hand gegen diesen Engel aufzuheben und die heilige Dulderin, der ihr nicht werth seid die Schuhriemen aufzulösen, mit der Faust fühlen zu lassen, an welch einen rohen Tölpel sie sich weggeworfen hat –

Ihr lügt! rief er wie außer sich dazwischen. Oder sie hat Euch belogen. Wer kann sagen daß ich sie jemals – nein, nein – es ist eine niederträchtige Lüge!

Es ist wahr, Aloys, so wahr wie Alles, was jemals von den Lippen dieser Frau gekommen ist. Wenn Ihr selbst es jetzt nicht glauben wollt, nun, so macht es Euch Ehre, daß Ihr wenigstens nüchtern verabscheut, was Ihr im Rausch gethan habt. Aber wer steht mir dafür, daß dieser Rausch der letzte war und daß Ihr in Eurem nächsten nicht noch bestialischer um Euch wüthet? Sagt selbst, Aloys –

Aber ich merkte, daß er mich nicht mehr hörte. Der Gedanke, sie geschlagen zu haben, und daß sie trotzdem ihr Herz bezwungen und die Ehre des Hauses nicht preisgegeben hatte, schien mit einer furchtbaren Gewalt ihn niederzuschmettern. Das Gewehr glitt ihm aus den Händen, er fuhr, wie wenn ihm schwindlig würde, mit den Armen nach seinem Haupt und taumelte ein paar Schritte zurück nach der Bodentreppe zu. Da, halbbewußtlos, ließ er sich auf die Stufen nieder, als brächen ihm plötzlich die Kniee. Und so saß er, die Stirn in beide Hände gestützt, mühsam athmend und Worte zwischen den Zähnen murmelnd, die ich nicht verstand.

Ich muß gestehen, er dauerte mich, so feindselig noch eben meine Stimmung gewesen war. Ich sah aus allen Zeichen, wie er noch immer an der Frau hing und wie Alles, was vorgefallen war, seine bessere Natur in der Tiefe aufrüttelte.

Ich will jetzt gehen, Aloys, sagte ich nach einer Weile. Schlaft Euren Rausch vollends aus, und morgen, wenn Ihr bei klarem Verstande seid und Alles überlegen könnt, was diese Frau für Euch gethan hat, und was so manche andere an ihrer Stelle gethan haben würde, so geht in Euch und fangt ein neues Leben an und bedenkt, was Ihr einer solchen Frau schuldig seid. Daß ich sie Euch nicht gönne, das kann und will ich nicht leugnen. Der beste Mann wäre gerade gut genug für sie, und wir Beide, besonders aber Ihr, lassen viel zu wünschen übrig. Ich aber hätte wenigstens mein Leben daran gesetzt, sie glücklich zu machen, so gut ich gekonnt hätte, und daß ich nun sehen muß, wie Ihr statt dessen –

Er machte eine Bewegung, als wollte er mich bitten, nicht weiter zu reden. Ein dumpfes Stöhnen wie von einem Schwerkranken kam von seinem dunklen Winkel her.

Nun, ich will sehen, was Ihr thut, sagt' ich. Ihr seid einmal ihr Mann und habt selbst gehört, wie ernst es ihr damit ist, Eure Frau zu sein. Wenn Ihr von heut an thut, was in Euren Kräften steht, – es bleibt dabei, daß ich ein Auge auf Euch habe – so will ich's Euch vergeben, was Ihr bisher an ihr gefrevelt habt – und wir können noch einmal gute Freunde werden. Gute Nacht, Aloys! Und gute Besserung!

Damit schritt ich an ihm vorbei und stieg die Treppe hinab. Die Alte sah ich unten durch die halboffene Küchenthür. Sie saß am Herd und trocknete ihre Augen mit der Schürze, und überhörte mein Weggehen. Von dem Mühlenknecht war nichts zu hören und zu sehen.

*

Ich übernachtete im Dorf unten, in der Post. – In der Mühle, sagt' ich, hätte Alles geschlafen und ich hätte Niemand mehr herausklopfen mögen. Auch hätte ich nicht ungegessen zu Bett gehen wollen.

Doch hatte ich Noth, mich nicht selber Lügen zu strafen, da ich kaum einen Bissen hinunterbrachte. Zum Glück war ein Hund in der Gaststube, der meine Portion heimlich aus dem Wege räumte. Dann ließ ich mir ein Zimmer aufschließen und ging gleich zu Bett.

Meine Glieder waren so ziemlich gerädert, aber ich konnte erst lange nach Mitternacht Schlaf finden, und beim ersten Hahnenschrei fuhr ich aus den ängstlichsten Träumen auf und war gleich wieder in den Kleidern.

Es hatte sich über Nacht ausgestürmt, und obgleich die Sonne noch nicht herauf war, konnte man an dem silbergrauen Duft über den Wäldern und der Stille der Luft doch schon merken, daß ein heiterer Tag anbrechen würde. Auch lag ein zarter Reif über den Wiesen, und eine scharfe Kühle wehte mich an, als ich den Kopf zum Fenster hinaussteckte, meine heißen Augen mit einem Luftbade zu erfrischen. Mein Fenster ging auf die Landstraße, die ich wohl eine Viertelstunde aufwärts übersehen konnte. Noch war sie ganz öde; nur die Spatzen fingen an, sich um ihr Frühstück zu bekümmern. Um so mehr verwunderte ich mich, auf einem kleinen Wagen, der von der Gegend der Schneidemühle munter heranrollte, neben dem Mann, der das Pferd lenkte, etwas Weißes sich bewegen zu sehen, das, je näher es kam, immer unverkennbarer einem ganz jungen Kinde glich, sorgsam in Tücher eingewickelt, aber doch wohl besser in seinem Bettchen verwahrt, als in dieser Morgenfrische auf dem Sitz eines halboffenen Wagens. Wie ich mir aber jetzt den Mann daneben genauer ansah, reimte ich mir im Augenblick Alles zusammen. Er sah ein wenig anders aus, als gestern Nacht, wo wir uns bei einer zweifelhaften Kerze zwischen Thür und Angel begrüßt hatten. Sehr sauber gewaschen und gebürstet schien er und Alles, was er an sich hatte, und auf seinem Gesicht, so nachdenklich er vor sich hinsah, war keine Spur von Rausch mehr zu finden. Manchmal sogar, wenn er sich zu dem Kinde wandte, das die Aermchen spielend nach oben streckte und nach der Peitschenschnur griff, konnte er ganz an den Aloys von vor drei Jahren erinnern, den ich für einen sehr gefährlichen Nebenbuhler gehalten hatte. Aber er war nicht mehr so eitel auf sein Gesicht, wie damals. Er verließ sich nicht mehr allein darauf, sondern hatte sich ein anderes Gesicht zum Bundesgenossen ersehen, von dem er wußte, daß man ihm nichts abschlagen konnte. Und immer, wenn ihm selbst bange werden wollte, ob er den Zweck seiner Fahrt auch erreichen und das schwer gekränkte Herz sich wieder versöhnen würde, sah er nur das kleine Gesicht neben sich an und knallte dann von Neuem ermuthigt mit der Peitsche.

Gerade unter meinem Fenster fuhren sie vorbei. Ich hätte ganz leicht einen guten Morgen und einen Gruß an die Afra hinunterrufen können. – Aber es wollte mir doch nicht von den Lippen. Als Vater und Kind mir aus den Augen waren, ging ich in den Stall hinunter, sattelte meinen Gaul und ritt langsam den Weg nach der Stadt zurück.

*


 << zurück weiter >>