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Das war ein großes niedriges Zimmer, dessen drei Fenster auf die Landstraße, den Fluß und die Mühle sahen, nur weißgetüncht, aber mit allerlei Geräth und Zierrath ausgestattet, dem man ansah, daß es zu verschiedenen Zeiten als etwas besonders Seltenes und Wertvolles gegolten hatte. Auch mancherlei Bilder, gemalte Lithographien der vier Jahreszeiten und ein vom Schulmeister künstlich gestricheltes Tableau, das Vaterunser in verschiedenen Schriftarten, mit kalligraphisch geschnörkelten Engelsköpfen eingefaßt, dann die Bilder des Königspaares hingen hoch oben an den Wänden. Das beste Stück aber war ein großer, geschnitzter Schrank mit eingelegter Arbeit, der, als ich ihn öffnete, eine kleine Welt von Fächern und Schublädchen erschloß, sämmtlich leer und sauber ausgewaschen.

Ist das nicht ein Prachtstück? sagte mein Freund, der inzwischen dem Kinde das Licht abgenommen und an den Wänden herumgeleuchtet hatte, wie um zu sehen, ob noch Alles auf dem alten Flecke stehe. – Es sind auch der Gevatterin von Tändlern und Juden, die auf solche Altertümer Jagd machen, schon bis hundert Gulden dafür geboten worden, aber sie giebt ihn nicht her, obwohl ich selbst, seit der Zeit, wo ich ihn von oben bis unten vollpfropfte mit all' dem Zeug, das ich täglich zusammenschleppte, nicht viel mehr hineingethan habe, als ein Paar frischgewaschene Hemden und allenfalls, statt systematischer Botanik, einen frischen Strauß, mit dem ich mein Pathenkind am Geburtstag überraschen wollte. Doch soll ich das alte Möbel nicht vermissen, wenn ich wiederkomme, und es ist wahr, es würde mir fehlen. Dies Zimmer, wie Sie es hier sehen, hat Manches mit erlebt, was man ihm nicht anmerkt, und der alte Ofen da, obwohl er ein Verräther ist, wenn man seine schwache Seite kennt – aber Sie werden schlafen wollen. Stört es Sie, wenn ich erst noch ein Stündchen auf und ab gehe und meine Cigarre rauche? Es ist das so eine schlechte Junggesellen-Gewohnheit von mir, und heute wird's vielleicht noch länger werden, bis ich ins Bett komme. Denn es spukt hier in diesen vier Wänden.

Ich sah ihn lächelnd an. Auch für einen Naturforscher? sagt' ich.

Nur für Den, erwiederte er ernsthaft. Für Sie nicht, und auch sonst nur für zwei Menschen, die etwa hereinkämen und sich die Zeit nähmen Gespenster zu sehen. Ein Naturforscher, mein Bester, ist auch ein Mensch, war's wenigstens vor Zeiten einmal. Aber wie gesagt, lassen Sie sich dadurch nicht stören; ich benehme mich ganz still und vernünftig, wenn mir auch etwas Menschliches begegnen und ich bis Mitternacht hier in alten Erinnerungen kramen sollte.

Er war an das äußerste Fenster neben seinem Bett getreten und zündete sich mit aller Gemüthsruhe, wie es schien, seine Cigarre wieder an. Ich merkte aber wohl, daß er für sein Leben gern sich allerlei vom Herzen geredet hätte, was drauf lastete, und daß er nur drauf wartete, ausgefragt zu werden.

Auch ich bin noch gar nicht schlafsüchtig, sagte ich. Ein Tagemarsch, wie der heutige, zittert in meinem Gehirn eine Weile nach, und das Blut klopft ganz laut an den Schläfen. Ueberdies haben Sie mich da zu Menschen gebracht, wie sie mir im Gebirg noch nicht vorgekommen sind. Es ist Ihre Schuld, wenn jetzt meine Neugierde Ihnen lästig wird. Sie wissen selbst, daß sonst in dieser Gegend nicht viel von Dem zu spüren ist, was man Familienleben nennt. Sie essen zwar Alle aus Einer Schüssel, sind sich aber meist fremder, als wenn jedes für sich in einem aparten Hause wohnte. Und freilich, wie sollen sich Menschen so recht innerlich mit einander einleben, die selbst nur äußerlich vom Tag in den Tag hinleben? Man kann einem Andern doch nur näher kommen, wenn man einen Ueberschuß in sich hat, von dem man ihm abgeben kann, oder eigene Bedürfnisse, die er einem befriedigen hilft. Auf dem Lande aber – bei der groben Anlage und dürftigen Bildung der Meisten, wo Alles auf Besitz und Erwerb hinausläuft und die Religion nicht viel mehr ist als das Kissen, das dem Zugstier unters Joch geschoben wird, – wie wollen Sie, daß da freie Menschen mit zarten Empfindungen gedeihen sollen? Und doch hat mir Alles, was ich in diesem Hause gesehen, den Eindruck gemacht, als ob hier ein ganz besonderer Hausgeist regierte, etwas Sachtes, Zartes und doch Mächtiges, wie es selbst unter den sogenannten Gebildeten in dem Maße selten ist.

Haben Sie das bemerkt? sagte er und wandte sich nach mir um. Nun, sehen Sie, so wird es Sie nicht gereuen, den Deidesheimer für den Enzian daran gegeben zu haben, obwohl Ihnen dieser Hausgeist mehr als billig die Kehle verbrannt hat. Ja freilich, so auf die Schablone der gewöhnlichen, frisch abgerahmten Dorfgeschichten, die vom Landleben nur das Fette auftischen und den säuerlich dünnen Schlipper in der Schüssel lassen, paßt das Alles nicht, was unter diesem Dach sich zugetragen hat. Und freilich, die Hauptperson ist auch kein Landkind.

Die Hauptperson? Sie meinen die Frau.

Wen sonst? Natürlich nicht, als ob sie den Herrn im Hause spielte. Das thun auch andere gute und kluge Frauen nicht, die klar darüber geworden sind, daß ihre Männer nicht ganz so gut und so klug sind, wie sie selbst. Wenn Sie noch ein paar Tage hier bleiben, werden Sie es bald inne werden, daß meine Gevatterin gerade darum in Allem Numero Eins ist, weil sie sich immer neben und hinter ihren Mann stellt.

Ich kann leider nicht bleiben. Aber das Wiederkommen verschwöre ich nicht. Freilich darf ich dann nicht daran denken, hier beherbergt zu werden. Denn ein Wirthshaus ist es doch nicht, und ohne Ihre Einführung –

Narrheiten! brummte er in den Bart. Sind Sie heute nicht mit mir gekommen? Mehr braucht's nicht, daß Sie ein für alle Mal eingeführt sind. Ich – aber gehen Sie zu Bett. Ich vergesse immer, daß Sie nicht so ein Nachtvogel sind, wie ich.

Verehrtester Lederstrumpf, sagte ich, Sie vergessen noch etwas Anderes, daß Sie mir nämlich zum Ersatz für Forellen Menschen versprochen haben. Von diesem letztern Gericht aber haben Sie mich kaum naschen lassen, gerade nur so viel, um meinen Appetit zu reizen. Ich will nicht hungrig zu Bette gehen und hoffe, Sie denken zu menschenfreundlich, um Alles für sich allein zu behalten.

Er war, dicke Wolken vor sich hin dampfend, durch das Zimmer geschritten und blieb jetzt vor mir stehen, indem er mich mit seinen scharfen Augen so genau betrachtete, wie etwa eine Pflanze, deren Staubfäden er zählen wollte, oder sonst ein fragwürdiges Naturobject.

Sie sind ein Fuchs, sagte er mit seinem gutmüthigsten Lachen. Sie haben mir's längst abgemerkt, daß ich wie ein zu voller Topf bin, dem es selbst lieb ist, wenn man ihn mit dem Finger antupft, damit er überlaufen kann. Ja wohl, diese alte Geschichte ist freilich der Mühe werth, sie erlebt zu haben, und vielleicht auch, sie sich erzählen zu lassen. Aber so gern ich aller Welt zu wissen thäte, was für ein seltenes Wesen eine gewisse Hauptperson ist, – ob sie selbst damit einverstanden wäre, daß alle Welt es erführe, ist noch die Frage. Und Euch Schreibern ist nicht über den Weg zu trauen. Ihr hängt Alles an die große Glocke, und eh' man sich's versieht, findet man sich eines Tages zwischen den Blättern eines Buchs, das man eben aufgeschnitten hat, wie eine getrocknete Pflanze und noch mit allerlei erlogenen Farben aufgemuntert, da beim Pressen der beste Saft verloren geht. Seid Ihr etwa besser als Eure Herren Brüder in Apoll? Nun seht Ihr, Ihr lacht, und wer lacht, gesteht ein, daß er nicht für sich stehen kann. Und da wir hier in einem Hause sind, wo das Lesen nicht für Luxus gilt, – was würde eine gewisse Person für ein Gesicht machen, wenn sie eines Tages dahinter käme, das Ihr über Eurem Eierkuchen hinweg sie habt Modell sitzen lassen?

Macht Euch darüber keine Gedanken, beschwichtigte ich ihn. Wir »Schreiber« sind wie gelernte Diebe, die, wenn sie Kirchensilber stehlen, es auch erst in den Schmelztiegel werfen, eh' sie es wieder in den Handel bringen, damit die Façon sie nicht verräth. Und es ist ja überhaupt noch die Frage, ob mir bei Eurer Geschichte der Diebsfinger zucken wird. Erzählt sie nur erst, dann wollen wir sehen!

Damit hatte ich ihn, wohin ich ihn haben wollte.

Höre nur einer den vornehmen Herrn! rief er in drolligem Zorn. Ich kann Euch sagen, obwohl ich kein Aesthetikus bin, sondern nur so als Naturpfuscher mir die Welt und die Menschen betrachte, daß ich zwölf Dutzend von Euren gewöhnlichen Dorfgeschichten – Aber stille! Ich vergesse, daß ich selber mitspiele. Nun, meine Rolle dabei ist freilich nicht die glänzendste, und die Eigenliebe kann mich schwerlich verblenden. Wißt Ihr was? – Legt Euch zu Bette und ruht Eure lahmen Glieder aus, und wenn Ihr, trotz der sieben Meilen und meiner schlechten Art, zu erzählen, nicht dabei einschlaft, wie es mir über mancher berühmten Dorfgeschichte begegnet ist, so sollt Ihr mir morgen abbitten, was Ihr da über Schlechtes Kirchensilber, das vielleicht nicht der Sünde werth wäre, geäußert habt.

Darauf wollen wir's ankommen lassen, sagt' ich und ging zu Bette.

*


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