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Er hatte sich indessen an dem Ofen zu schaffen gemacht und sorgfältig nachgesehen, ob die Klappe und das Heizthürchen geschlossen seien. Ich begriff erst nachher, was es damit auf sich hatte. Dann lehnte er seinen breiten Rücken gegen die dunkelgrüne Kachelwand, und da die einzige Kerze neben meinem Bette stand, war es drüben in seiner Ecke so dunkel, daß ich nur den Blick seiner Augen glänzen und, wenn er einen Zug that, die Glut der Cigarre aufglimmen sah. So aber schien ihm wohl zu sein. Wenigstens fing er, ohne sich noch einmal bitten zu lassen, an, seine Geschichte zu erzählen.

Ich weiß nicht, sagte er, ob es Euch aufgefallen ist, glaube es aber kaum, da Ihr Federvolk immer nur auf das sogenannte »Poetische« in der Natur achtet, wobei Unsereins sich nichts Rechtes denken kann, – aber selbst ein rein literarischer Spaziergänger mit »Kleistens Frühling in der Tasche« sollte beim Einbiegen in dieses Thal merken, daß ihn plötzlich eine ganz andere Luft anweht. Als ich vor zwanzig Jahren desselben Weges kam, den ich heute gemacht habe, auf der Schneide der Vorberge hin, summten und schwirrten in meinem Kopf allerlei Probleme, denen ich hier am Besten auf die Spur zu kommen hoffte. Ich habe immer einen besondern Trieb gefühlt, Grenzgebiete zu untersuchen. Denn aus den Uebergangsformen erkennt ein klares Auge am Besten, was die Form überhaupt zu bedeuten hat; es ist ordentlich wie vor Zeiten bei anderen Grenzstationen, wo Jeder, der hinüberwollte, seinen Paß vorzeigen mußte. Was z. B. an einer Blumenart das Charakteristische ist, offenbart sich am deutlichsten, wo dieselbe Species aus der Form des Tieflandes in den Alpen-Charakter übergeht und so fort. – Sie werden das in Ihrem Metier in gleicher Weise erleben. Den Menschen studirt man am gründlichsten – ich meine den Umfang seiner Kräfte, Schwächen und, mit Einem Wort, seiner Menschlichkeiten – wo er ans Ueber- oder Untermenschliche, an den Engel oder Teufel streift. Aber Das beiläufig. Ich wollte nur sagen, warum es mich gelüstete, gerade hier mich einige Wochen vor Anker zu legen und in Fauna und Flora recht nach Herzenslust herumzustöbern.

Schon damals stand das Haus hier ganz wie heute, nur daß es auch noch eine Art Wirthshaus war, wo außer unserm Enzian Bier und Wein verschenkt wurde und ein paar Gäste übernachten konnten. Mein Gevatter hat diesen Brauch einschlafen lassen, seiner Frau zu Liebe, der es nicht nach dem Sinn war, den Ersten Besten ums Geld beherbergen und bewirthen zu müssen, und freilich oft nicht eben die feinsten Leute. Dann hat noch die Mühle drüben ein neues Dach bekommen, höher und spitzer, sonst ist Alles beim Alten. Aber es gehörte noch nicht den Leuten, die Ihr heute kennen gelernt, sondern einem gewissen Jacob Leidener, einem ehemaligen Ingenieur und Mechanikus aus Franken, der nur um eine Reparatur an dem Mühlenwerk zu machen aus der Stadt herübergekommen und dann hier hängen geblieben war. Der damalige Mühlenbesitzer, dessen Geschlecht seit unvordenklichen Seiten hier gesessen und Bretter gefügt hatte, war ein wohlhäbiger Mann und hatte nur ein einziges Kind, eine Tochter, damals eben in erster Mädchenblüte, und obwohl weder sehr gescheit, noch mit überflüssiger Schulbildung ausgestattet, dennoch wegen ihres weichen Charakters und ihrer harten Kronenthaler keine üble Partie. Nun vergaffte sie sich obendrein in den stillen, städtisch gekleideten, sehr wackern Mechanikus und ließ es ihn so deutlich merken, daß auch er die Sache bald in Erwägung zu ziehen begann, und endlich, obwohl ohne jedes »Langen und Bangen in schwebender Pein«, bei seinen unsicheren Umständen es für sehr wünschenswerth erkannte, die schöne Müllerstochter zu ehelichen. Er hatte dann sorgenfreie Zeit genug, sich mit seinen mathematischen und mechanischen Liebhabereien abzugeben, die er neben der praktischen Thätigkeit bisher nur verstohlen hatte pflegen können.

Auch der Brautvater war mit der Partie ganz wohl einverstanden und froh, einen Sachverständigen in der Familie zu haben, statt immer, wenn an dem Werk etwas zu ändern war, in die Stadt zu schicken und darüber Zeit versäumen zu müssen. – Nur Einen Haken schien die Sache zu haben, den der Freiwerber sofort dem Mädchen selbst eingestand: er war ein Wittwer und hatte von seiner ersten Frau, mit der er nur ein paar Jahre gelebt, ein Töchterchen, das damals schon fünf Jahre alt war. Indessen war das gute Müllerskind zu verliebt, um daran Anstoß zu nehmen, und zu gutherzig, um auch späterhin, als nun eigne Kinder kamen, einen Unterschied zu machen. Also ging Alles aufs Beste. Die kleine Afra, schon damals ein besonderes Kind, klug und in sich gekehrt, von wenig Worten, wie der Vater, dessen Art sie überhaupt geerbt hatte, fühlte sich sehr viel wohler hier in dem schönen Flußthal, als bei der alten Muhme, die sie bisher erzogen hatte, und machte sich auch beim Großvater und der neuen Mutter bald beliebt. Die Letztere freilich war von zu träger und unergiebiger Complexion, um mit dem Kinde in ein näheres Verhältniß zu treten. Sie hatte ein solches – so weit ihre Natur es hergab – überhaupt nur mit ihrem Manne, ob ihr in lichten Augenblicken auch wohl die Sorge kam, sie genüge ihm nicht, und er lebe eigentlich bei aller guten Eintracht ziemlich fremd neben ihr hin. Auch diese Anwandlungen nebst den Anstalten, die sie zur Abstellung des Uebels machte, verloren sich mit der Zeit. Sie wurde nach jedem Kindbett dicker und schläfriger, und war zuletzt eine von den vielen Weibern auf dem Lande, die, außer einmal einer Ausfahrt auf einen nahen Markt, sich nur noch Sonntags in Bewegung setzen, um ihrem Herrgott die übliche Staatsvisite zu machen.

Auf Letzteres hielt sie um so mehr, als ihr Mann ein Lutherischer war, der freilich mit Religionsgesprächen sie völlig verschonte, auch ihre gemeinschaftlichen Kinder – nur die Afra war protestantisch getauft – ohne Widerspruch vom Dorfpfarrer taufen und firmeln ließ. Man ist zwar gut katholisch hier herum, und die kleine Afra, wie sie heranwuchs und sich in manchen Dingen sehr merklich von ihren Altersgenossinnen unterschied, mußte sich oft genug »die Lutherische« schelten lassen. Aber da Jacob Leidener im Uebrigen ruhig seinen Weg ging, so vergab man es ihm mit der Zeit, daß der landfremde Ketzer sich in die rechtgläubige Schneidemühle hineingesetzt und die reiche Erbtochter weggefischt hatte. Er führte nach dem Tode des Schwiegervaters das Geschäft rüstig fort, und wenn er auch mehr und mehr auf seiner Stube blieb und Allerlei spintistrte und probirte, was nicht gerade einträglich war, so hatte doch Niemand darüber den Kopf zu schütteln, da es der Frau recht war und sie überdies Geld genug hatten, um sich auch einmal brodlose Künste vergönnen zu dürfen.

So war das Leben hier im Hause ganz friedlich etwa vierzehn bis fünfzehn Jahre fortgegangen, als ich zum ersten Mal über diese Schwelle trat. Ich war damals ungefähr in Ihrem Alter, wo sonst, wenn man nicht schon blasirt ist, oder ganz auf die niederen Gebilde der Schöpfung versessen, »der Mensch dem Menschen noch immer das Interessanteste ist.« Aber wie Sie mich kennen, werden Sie sich nicht wundern, daß ich, da ich einmal in diesem Zimmer einquartiert und unumschränkter Besitzer des Schrankes war, mich die ersten Tage nicht eben viel um meine Wirthsleute und Kind und Kegel kümmerte, sondern vom Morgen bis in die Nacht in Wäldern, Wiesen und Sümpfen steckte, und wenn ich Abends sehr gorillamäßig nach Hause kam, ganz mit Beute beladen, mehr zum Essen als zum Schwatzen aufgelegt war. Mein Wirth hatte mir überdies bald vertraut, daß er dem Perpetuum mobile auf der Spur sei und auch an einer sehr hoffnungsvollen Flugmaschine arbeite. Das hatte mich von vorn herein mit einem heiligen Schrecken erfüllt, so daß ich ihm aus dem Wege ging. Seine Frau saß still und unförmlich den ganzen Tag entweder in der Küche oder in der Gaststube am Ofen. Die Kinder waren in der Schule oder tobten im Garten und am Fluß herum. Es ging da freilich auch ein schlankes, braunhaariges Ding mit ernsthaften Augen und einem lieblichen Lächeln durchs Haus und schien die Seele von Allem zu sein. Wenigstens hörte man bei Allem, was geschah oder geschehen sollte, »Afra« rufen. Ich lebte aber, als ein rechter Unmensch und Waldteufel wie ich war, schon acht Tage im Haus und hatte noch keine acht Worte mit dieser stillen Erscheinung gewechselt.

Nicht daß ich ein Weiberfeind, oder etwa blöde in Mädchen-Gesellschaft gewesen wäre. Nur daß mich eben gar nichts anziehen konnte, an dem nicht etwas herumzuräthseln war; und die Weiber dachte ich gründlich genug aus diesen und jenen Geschichten, die guten Freunden passirt waren, zu kennen, war darauf gefaßt, so gut wie Andere eines schönen Tages an die Reihe, d. h. unter den Pantoffel zu kommen, und trachtete nur danach, dies Unvermeidliche so lange als möglich hinauszuschieben, da Alexander von Humboldt es auch nur so weit gebracht hatte, weil er keine Zeit mit Hausvatersorgen zu verschwenden brauchte.

Desto zärtlicher bekümmerte ich mich um das niedere Thierreich, das in jener Zeit meine Hauptleidenschaft war. Alles, was ich von Bottichen, Zubern, Töpfen und Schüsseln auftreiben konnte, wurde nach und nach zu Aquarien umgewandelt, die damals noch nicht salonfähig waren und freilich auch in der Form, wie ich sie hier anlegte, für keine besondere Zimmerdecoration gelten konnten. Die Sümpfe in der Umgegend lieferten ein unerschöpfliches Material für mein Mikroskop, und da ich die Mühe nicht scheute, ganze Fischtrommeln voll Sumpfwasser nach Hause zu schleppen, konnte ich es meinen Gästen so behaglich machen, daß sie sich ganz in ihrem Elemente fühlten und auch in der Gefangenschaft ihr altes Leben fortführten. In dem Schrank hatte ich sehr sorgfältig Wespennester, Puppen, Larven und anderes Gezücht und Geziefer einquartiert, deren Lebensarten und -Unarten ich studirte, so daß ich an ungünstigen Tagen – und es war gerade ein rauher Frühling, in dem es noch zuweilen Schnee gab – meine häusliche Menagerie nicht zu verlassen brauchte, um doch tausendfältigen Stoff zum Nachdenken und Lernen zu haben.

Vor meinen Hausleuten verhehlte ich natürlich aufs Sorgfältigste, was ich da oben trieb. Ich wußte, daß die Leute auf dem Lande vor allem Gethier, das nicht dem Metzger oder der Köchin entgegengemästet wird, einen starken Widerwillen haben und es als Ungeziefer mit Gift und Besenstiel verfolgen. Was hätten sie erst für Gesichter gemacht über einen Gast, der in ihrem besten Zimmer einträchtig mit einer Molchfamilie und unzählbaren kleineren Sumpfbewohnern Haus hielt und Wespen, Hummeln und andere Gartendiebe in einem Schrank unterbrachte, wo man sonst nur den wertvollsten Hausrath aufbewahrt hatte!

Ich ging also nie aus, ohne meine Thür sorgfältig abzuschließen, verbat mir auch das Ausfegen, Bettmachen und Wasserbringen, das ich, wie ich vorgab, am liebsten selbst besorgte, da ich allerlei Schreibereien auf meinem Tische liegen hätte, über die mir Niemand kommen dürfe. Da mein Wirth, der Schneidemüller, auch so ein Stück Gelehrter war und ebenfalls eine Art Laboratorium hatte, das Niemand betreten durfte, so ergab man sich endlich in meine seltsamen Sitten, und ich konnte ungestört und unbeschrieen mein Wesen treiben.

Eines Nachmittags aber – ich war eben aus dem Walde heimgekommen, hatte noch den Hut auf dem Kopf und war darüber her, eine ganz unbekannte Species Wasserspinnen zu studiren, die ich in Ermangelung eines andern Behälters in mein Waschbecken gesetzt hatte – da klopft es an meine Thür, und über dem Feuereifer, mit dem ich meinen Fund untersuchte, vergesse ich die gewohnte Vorsicht und rufe »Herein!« statt wie sonst hinauszugehen und zu sehen, was es gebe. So öffnet sich denn die Thür, und herein tritt Jungfer Afra, einen Brief in der Hand, den die Botenfrau für mich abgegeben hatte. Ich war viel zu vertieft, um darauf zu achten. Legen Sie ihn nur immer auf den Tisch, sagt' ich. Es wird wohl nichts Eiliges sein. – Als sie sich aber immer nicht rührte, sah ich auf und merkte jetzt erst, daß ihr Zaudern allerdings seinen guten Grund hatte. Denn mein ganzer Tisch war von einem Rudel junger Wasserschlangen in Beschlag genommen, die aus der geöffneten Botanisirbüchse herausgekrochen waren und über die Gesellschaft einiger zahmer Eidechsen eben so mißvergnügt schienen, wie diese über die neuen Ankömmlinge.

Das Mädchen stand mitten im Zimmer, den Brief rathlos in der Hand, mit den erstaunten Augen bald mich, bald mein unheimliches Hausgesinde betrachtend.

Ich fing hell an zu lachen.

Liebe Afra, sagt' ich, Sie finden hier eine wunderliche Gesellschaft, aber fürchten Sie sich nur nicht, es geschieht Ihnen nichts zu Leide. Alle diese Ungeheuer werden sehr mit Unrecht als bösartig oder giftig verschrieen. Sie leben zwar unter einander nicht im besten Frieden und fressen sich sogar gegenseitig, wenn sie den Appetit und die Kraft dazu haben. Aber das thun ja die lieben Nebenmenschen auch, und zwar nicht immer aus Noth, sondern oft aus reiner Bosheit, was man diesen unvernünftigen Geschöpfen nicht nachsagen kann. Und sie sind auch gar nicht so häßlich, wie die Meisten finden, die sich nie die Mühe gegeben haben, sie genauer anzusehen. Betrachten Sie nur einmal die Schlange dort, wie artig sie ihren Kopf trägt und um die kleine braune Eidechse ordentlich verliebt sich herumwindet. Oder wollen Sie einmal durch mein Glas schauen? Ich habe da eine kleine Spinne, die sich im Wasser ganz unscheinbar ausnimmt und hier in der Vergrößerung – kein Hirsch kann seine Schenkel flinker und zierlicher bewegen!

Sie erwiederte nichts, trat aber sogleich an das Waschtischchen heran und sah mit einem Ernst und Eifer in das Mikroskop, wie ein Mädchen sonst nur in ein Schmuckkästchen schaut. So etwas habe ich mir gar nie vorgestellt! sagte sie dann, ließ aber doch wieder einen zweifelhaften Blick auf die Schlangen und zu dem offnen Schrank hinübergleiten.

Nun merkte ich wohl, daß, da das Geheimniß doch einmal verrathen war, mir Alles daran liegen müßte, das gute Mädchen zu meiner Bundesgenossin zu machen. Ich fing also an, ordentlich wie ein Professor, der eine Vorlesung in seinem Naturaliencabinet hält, sie im ganzen Zimmer von einem Aquarium zum andern herumzuführen und ihr in jenem populären Stil, der erst Jahrzehnte später Mode geworden ist, Alles zu erklären. Ich erzählte ihr, so viel ich von den merkwürdigsten Erscheinungen in diesem Naturreich wußte und worauf es mir bei meinen Beobachtungen vor Allem ankam, zeigte ihr die Schätze des Schrankes und führte sie in das Familienleben der Wespen ein, mit denen ich mich damals besonders ausführlich beschäftigt hatte. Ich sah, daß sie einen geheimen Abscheu gegen Manches zu bekämpfen hatte, ihn aber mit einer merkwürdigen Willensstärke überwand. Zuletzt war sie tapfer genug, eine kleine Schlange in die Hand zu nehmen und sie während meiner ganzen Vorlesung über diese Species zwischen ihren braunen Fingerchen zu halten.

Hätte man nicht unten nach ihr gerufen, wir Beide wären nicht so bald dieses ersten Cursus in der Zoologie müde geworden. So aber besann sie sich plötzlich, daß sie schon zu lange ihre Arbeit versäumt habe, und lief eilig aus der Thür. Ich konnte ihr nur noch oben an der Treppe das Versprechen abnehmen, keiner Seele im Hause das Geheimniß meiner Menagerie zu verrathen.

Es hätte das nicht gebraucht. Denn eine Schwätzerin war sie von Hause aus nicht, kannte auch ihre Leute und wußte, daß es dann bald mit den Lectionen vorbei gewesen wäre, die ihr doch so viel Vergnügen machten. Denn Sie können denken, daß es bei dieser ersten nicht blieb – freilich immer nur in verflogenen Minuten, damit es im Hause nicht auffiele; aber sobald sie erst einmal die Elemente weg hatte, vertraute ich ihr auch den Zimmerschlüssel, während ich draußen herumstrich, damit sie auf ihre eigene Hand weiterstudiren könnte. Ich kann Ihnen sagen, daß sie mich oft ganz verdutzt machte durch Fragen und Beobachtungen, auf die mein geschultes Auge bisher nicht gekommen war. Wenn ich späterhin keine Luft gehabt habe, täglich auf ein Katheder zu steigen und einer Handvoll Hefteschmierer meine Weisheit in die Feder zu dictiren, so kam es mit daher, daß ich's einmal gekostet hatte, was für ein Vergnügen es ist, einen wirklich talentvollen Schüler zu haben.

Sie lächeln. Sie glauben, daß der Schüler eine Schürze getragen und braune Zöpfe, habe wohl zu dieser günstigen Meinung mitgewirkt. Ich kann es Ihnen nicht verdenken, obwohl es mir wahrlich Anfangs nicht einmal einfiel, daß dieses Mädchen außer ihrem erstaunlichen Beruf für Naturwissenschaften auch noch andere Gaben besaß, um einen Naturforscher glücklich zu machen. Unser stilles Einverständniß blieb ganz unverfänglich. Nur daß ich mich von Tag zu Tag mehr dazu freute, von meinen Beutezügen wieder heimzukommen, und nichts Rares fing oder fischte, ohne dabei zu denken, was ich meinem heimlichen Amanuensis darüber sagen wollte.

Aber ein solcher Waldmensch war ich nicht, noch sie ein so kümmerlicher Brodstudent, daß das lange so fortgegangen wäre. Nach drei Wochen ertappte ich mich mitten im Walde, an einem kleinen Weiher, der mein Hauptjagdgebiet war, auf einer ganz unwissenschaftlichen sentimentalen Stimmung, in der es mir vorkam, als sähe ich hinter einem Glasdeckel mein eigenes dreißigjähriges Herz, das lange genug im Puppenzustande faul und harthäutig dagelegen hatte und plötzlich Anstalten machte, einen schönen Falter ausschlüpfen zu lassen.

Je länger ich dieser Metamorphose zusah, desto trübseliger ließ ich den Kopf hängen. Was sollte daraus werden? Ich war ein armer Teufel und war es mein Lebtag gewesen, ohne mir je darüber Sorge zu machen. Was ich von den Eltern her hatte, reichte gerade hin mich durchzubringen selbst ohne Amt und Lehrstuhl, wenn meine noblen Passionen nie kostspieliger wurden, als bis dato, und ich um mein eignes Futter mich nicht viel kümmerte, sobald ich meine kreuchende und fleuchende Sippschaft nicht Hunger leiden sah. Und jetzt hatte ich mich in ein Mädchen verschossen, das, wenn es nur vom Vater ausgestattet wurde, nicht viel ins Haus brachte, mich also genötigt hätte, eine Anstellung zu erbetteln und systematischen Kram zu dociren, da ich noch an allen Ecken und Enden ein Ignorant war und fremde Einbildungen nicht so kaltblütig als baare Münze in Curs bringen mochte, wie Andere. War sie aber eine reiche Partie, wie ihre Halbschwestern, so kriegte sie natürlich jeder Bauernsohn eher, als ein hergelaufener Rattenfänger und Schlangenbändiger.

Also faßte ich den weisen Entschluß, mir dies stille Mädchen mit der sanften Stirn und dem klugen Lächeln in jedem Fall aus dem Sinn zu schlagen. Das sicherste Mittel dazu wäre gewesen, eiligst abzureisen. Das konnte ich aber der Wissenschaft gegenüber nicht verantworten. So mitten aus hundert angesponnenen Beobachtungen wegzulaufen, den Faden der subtilsten Untersuchungen ritschratsch durchzureißen – nein, lieber noch eine Weile das Opfer bringen, dieses Mädchen täglich zu sehen und mir zu sagen, daß es nicht meinetwegen sich die Mühe gebe, auf der Welt zu sein. Mein ausgekrochnes Herz mochte immerhin wie der Schmetterling hinter der Glasscheibe sich verzappeln, bis nur noch ein graues Netzgewebe, ohne Glanz und Farbe, übrig war – ich konnte ihm einmal nicht helfen, und es war auch das erste nicht.

Mit dieser Philosophie kam ich freilich nicht weit, da das Zappeln doch immer weh thut. Aber ich biß tapfer die Zähne zusammen, daß ich's wenigstens gegen sie selbst nicht laut werden ließ. Auch glaubte ich zu bemerken, oder redete mir wenigstens vor, daß sie überhaupt kein warmes Blut hätte, wenigstens nicht für mich, daß sie in mich so wenig verliebt sei oder es je werden könne, wie ein Fuchs in seinen Professor. Sie langweilt sich hier draußen, sagt' ich mir. Sie muß die Magd für Alle sein und wäre gern ihre eigene Herrin, da sie geistige Bedürfnisse hat. So bin ich gerade gut genug.

Auch wußte ich, daß sie vorm Jahr einmal zum Besuch bei jener alten Muhme mit dem Vater in der Stadt gewesen war und seitdem immer ein Heimweh danach hatte. Natürlich, dacht' ich, schiene es ihr ganz annehmlich, durch meine Wenigkeit wieder hinzukommen, vielleicht für immer. Aber jeder Andere wäre ihr gerade so recht als Mittel zum Zweck.

Und nun mußte ich noch obenein erleben, daß gerade um die Zeit, wo ich am hitzigsten vernarrt war, ein ganz anderer Bewerber sich einfand, der mir in jedem Stück überlegen war, sowohl in Eltern- als in Töchteraugen. Es war der Sohn des herrschaftlichen Verwalters unten im Schloß, ein schmucker, ziemlich wohlerzogner junger Bursch, der ein paar Jahre abwesend gewesen war, ich weiß nicht ob auf einer Forstakademie oder landwirthschaftlichen Schule, jedenfalls aber, als er wieder heimkam, für ein Meerwunder galt an Ordnung und guten Manieren, da er doch im Grunde nur sehr oberflächlich von der Cultur beleckt und nicht viel gescheiter war, als um den Gescheiten zu spielen, Notabene vor Bauern und Jägern. Auch hieß es, er sei ein jähzorniger Geselle, habe schon einmal einen Messerstich ausgetheilt, den sein Vater nur mit einem großen Pflaster aus Zehnguldenscheinen geheilt habe, und laufe lieber den Dirnen nach, als seinen Geschäften.

Letzteres war nun allerdings in der Nähe nicht zu bemerken, obwohl man ihm die Wege weit und breit ebnete. Aber vielleicht gerade das langweilte den verwöhnten jungen Herrn, oder die Landmädchen verstanden es überhaupt nicht, ihn zu fesseln. Eine Einzige, die sich überhaupt gar nicht um ihn kümmerte und nicht einmal zu wissen schien, was für ein Vogel Phönix sich plötzlich unter den Hühnern und Gänsen hatte blicken lassen, brachte es endlich dahin, daß er aus seiner hoffährtigen Gleichgiltigkeit herausging und bald in allem Ernst in einem Netz gefangen war, das die Eigentümerin überhaupt noch nach Niemand ausgeworfen hatte.

Er kam bald alle Tage, die Gott werden ließ, in die Gaststube hier unten, ließ sich Anfangs nicht herab, an die Afra auch nur ein Wort zu richten, sondern plauderte mit dem Vater Jacob, von dem er sich in seine Phantastereien einweihen ließ, unter dem Vorgeben, die Mathematik sei seine Hauptliebhaberei und er bedaure nur, auf der Akademie nicht weiter als bis zum pythagoräischen Lehrsatz (exclusive) gekommen zu sein. Der alte Leidener, dem ich dummer Weise viel zu wenig Ehre angethan hatte, verlangte sich nichts Besseres, als ein so dankbares Publicum für seine Schrullen zu haben. Auch die dicke Frau Mutter war ganz auf seiner Seite, in bester Meinung, sie könne ihr Stiefkind nicht glänzender für all seine Gutthaten und Bravheit belohnen, als indem sie ihr einen solchen Mann gönne, der, wenn er noch sechs Jahre warten wollte, ihr auch für ihre eigne älteste Tochter tausendmal recht gewesen wäre.

Also schien Allen Alles im besten Gange zu sein, bis auf die Afra selbst, die es, in ihrer einfachen Art, den glänzenden Vogel bald empfinden ließ: er solle sich keine vergebene Mühe machen, sie wisse doch, daß seine bunten Federn nicht echt seien und im ersten Regen ausgehen würden. Darauf war der junge Fremdling nicht gefaßt. Er hatte bisher eine zu gute Meinung von seiner eigenen Vortrefflichkeit und Unwiderstehlichkeit gehabt, um überhaupt an irgend Jemandes Ueberlegenheit zu glauben. Nun mußte ihm so ein stilles Mädchen, dem er doch eine Ehre anzuthun dachte, den Meister zeigen. So eine Lutherische! die weder übermäßig schön, noch eine von den reichen Erbtöchtern war, und um die er sich nur bemühte, weil sie für stolz galt, was Apartes hatte, und weil er ebenfalls den Stolz hatte, nur etwas Apartes zu begehren!

Er hat ohne Zweifel Anstalten gemacht, die Unverschämte, der er nicht gut genug war, durch stille Verachtung zu strafen. Wenigstens ließ er sich einmal eine ganze Woche unten nicht sehen. Dann aber siegte seine bessere Natur, oder die Macht des wundersamen Kindes, der Keiner so leicht trotzte, und er beschloß, redlich das Seine zu thun, um diesen absonderlichen Schatz sich zu verdienen.

Erst da fing ich an, ernstliche Besorgnisse zu hegen und »mit Eifer zu suchen, was Leiden schafft«. Denn es hatte wirklich etwas Rührendes, den Burschen zu sehen, wie er nach und nach all seine Narrheiten ablegte und sich bemühte, so menschlich als möglich zu werden, damit sie ihm nur ein bischen gut würde. Und weil er nebenbei wirklich ein sauberer Mensch war, neben dem ich mir vorkam wie ein rostiger Wetterhahn gegen einen lebendigen Puter, der seinen rothen Kamm wie eine Siegesfahne hochträgt – da er ferner meine paar hundert Thaler jährlicher Zinsen an einem Markttage für ein Reitpferd hingeben konnte, ohne es zu spüren, und überdies so viel städtischen Schliff weg hatte, um auch einem feinern Landkinde auf die Länge einzuleuchten, so wurde mir immer übler und banger zu Muth, und ich verlor endlich Appetit und Schlaf und schlich Tage lang still und wild durch Wälder und Sümpfe, ohne Kraft und Hoffnung, meine Leidenschaft zu bezwingen, oder ihr wenigstens so weit zu entfliehen, als mich die Füße nur tragen wollten. Die Wissenschaft litt darunter natürlich nicht weniger als wenn ich meine ganze Menagerie aus dem Fenster geworfen und eiligst nachgesprungen wäre.

Aber der Mensch ist von allen Amphibien die eigensinnigste und abgeschmackteste. Er könnte so hübsch im Trocknen sitzen, auf dem festen Lande der gesunden Vernunft, und kann's doch nicht lassen, sich ins Meer der Leidenschaft zu stürzen, bis ihm in der Brandung der Athem vergeht oder er sich an den scharfen Muscheln die Füße wund reißt. So jammerwürdig ich mir selber in meinem fruchtlosen Hinzaudern vorkam – richtig ließ ich den ganzen Sommer darüber vergehen, eh' ich mich zu einem mannhaften Entschluß aufraffen konnte.

Endlich aber – vielleicht hatte der arme Falter sich so verzappelt, daß er ohnmächtig die Flügel zusammenklappte und auf den Rücken fiel – endlich schien es mir denn doch glücken zu sollen, daß ich wieder zu mir selbst kam. Ich hatte in der Zeitung von einer Expedition behufs einer Weltumseglung gelesen, bei der noch für einen Zoologen eine Stelle frei war. Das schien mir ein Schicksalswink, daß ich mich jetzt oder nie losreißen sollte. Wenn sich das Herz unter der gemäßigten Zone nicht auszappeln wollte, mußte man sehen, ob der Aequator oder der Nordpol nicht besser anschlagen würde. Ueberdies war gerade eine treffliche Gelegenheit, sich auf Französisch zu empfehlen.

In einem zwei Stunden entfernten Dorf nämlich war Kirchweih, und weil die Leidener's dort Verwandte hatten, von der Mutterseite, hatte der Vater schon am Morgen seinen Braunen vor das Chaischen gespannt, seine zwei Centner schwere Hälfte hineingeschrotet, das älteste Kind, die Afra, daneben gesetzt, und dann selbst den Bock bestiegen, um hinüber zu kutschieren. Mich hatten sie mitnehmen wollen. Es war mir aber nicht darum zu thun, meine geliebte Studentin dort an den Nebenbuhler abzutreten, der ein flotter Tänzer war, während ich im Winkel gestanden und Spinnen observirt hätte. Auch kam mir der Tag allzu gelegen, endlich meine Kette durchzufeilen. Ich that mir noch alle Gewalt an, beim Abschiede mir nichts merken zu lassen, reichte den drei guten Menschen ohne besondere Feierlichkeit und zerdrückte Thränen die Hand und gab selbst dem Braunen einen muntern Schlag mit auf die Reise; dann freilich hatte ich noch eine volle Stunde auf meinem einsamen Zimmer nöthig, ehe ich mit Ernst an meine Auflösung und die Einsargung meiner Siebensachen gehen konnte.

Ich packte das Werthvollste meiner Sammlungen in ein Kistchen, schnürte mein Ränzel, fegte den Schrank säuberlich aus und gab den gefangenen, halb oder gar nicht gezähmten lebendigen Insassen der verschiedenen Fächer und Zellen die Freiheit. Dafür legte ich allerlei kleine Geschenke, die ich für sämmtliche Hausgenossen eingekauft hatte, ordentlich mit Zetteln versehen in die leere Schublade, und nur für die Hauptperson hatte ich noch nichts, da mir in dem nächsten Städtchen nichts gut genug erschienen war. Ich schrieb ihr dafür einen kleinen Brief, der mir sauer genug wurde, da ich gar nichts von meinen Gefühlen darin laut werden ließ, sondern nur wie ein guter Bekannter Abschied nahm und versprach, ihr von unterwegs ein Andenken zu schicken. Sie möchte mir den Gefallen thun, so glücklich als möglich zu werden und manchmal an einen alten Freund zu denken. Weshalb ich überhaupt abreiste, beschönigte ich ganz wahrscheinlich durch meinen Wunsch, mir die Erde auch einmal von der Kehrseite anzusehen.

Nachdem ich dies Heldenstück vollbracht und dem Knecht gesagt hatte, auf den Nachmittag möchte er mir ein Bauernwäglein rüsten, da ich meine Kiste nicht auf dem Rücken fortschleppen könne, beschloß ich einen letzten Spaziergang zu machen, um nicht zu Hause zu essen, wo ich mit den Kindern und anderen Leuten von meinem Vorhaben nicht hätte schweigen können. Also ging ich noch einmal quer durch den Wald, that mir auf all den Zwang ein bene, indem ich in der Einsamkeit recht von Herzen unglücklich war, aß ein paar Bissen in einer kleinen Dorfschenke und trat, als es gegen vier Uhr ging, den Heimweg an, um ja noch fortzukommen, ehe meine Leute von der Kirchweih zurück sein könnten.

Wie ich aber unten ins Haus trete, merke ich gleich, daß ich mich doch verspätet haben mußte. Es war ein Unterschied wie Tag und Nacht, ob die Afra über Land war oder daheim. Wenn sie den Rücken wendete, lief Alles meisterlos durcheinander, die Kinder und das Gesinde, und gleich fand Jedes seinen rechten Ort, sobald es wußte, daß die ruhigen Augen über ihm waren, die doch niemals herrisch oder heftig blickten, nur wie verwundert, wenn Eins seine Schuldigkeit nicht that. Jenen Nachmittag dachte ich die Kinder – drei Mädchen und zwei Buben – durch Garten und Wiese tobend zu finden und die Dienstleute auf den Bänken im Gastzimmer herumlungernd. Statt dessen saßen die Kleinsten, mit vergnügten Gesichtern und einige faustgroße Kirchweihnudeln vertilgend unter dem Zwetschgenbaum und hörten der Aeltesten, der Liesi, zu, einem vierzehnjährigen Ding, das ihnen aus einem Geschichtenbuch vorlas, während der dreizehnjährige Bub für die Schule morgen eine Rechnung auf seine Tafel kritzelte. Das war für einen Kirchweihsonntag unerhört, außer durch das Walten einer höheren Macht. Und richtig kam mir das Jüngste von sieben Jahren entgegengelaufen und erzählte mir, die Afra sei eben zurückgekommen, ohne die Eltern, und hinaufgegangen in meine Stube.

Es sollte also nicht auf Französisch geschieden sein. Aber während ich sacht die Treppe hinaufschlich, hatte ich Mühe, mich auf mein bischen Deutsch zu besinnen, so brannte mir der Kopf.

Zum Glück habe ich ein so schnurriges Gesicht, daß sich jede Verlegenheit darauf als eine ironische Ueberlegenheit ausnimmt und man mich für viel hartgesottener hält, als ich – leider oder Gottlob – bin. Darauf verließ ich mich und ging stracks in mein Zimmer.

Das Mädchen stand – noch in seinem Kirchweihstaat, den es aber auch auf eine aparte Weise sich angepaßt hatte – zwei Schritte vor dem offenen Schrank, als getraue es sich nicht die Verwandlung, die mit demselben vorgegangen, mit Händen zu greifen. Als ich hereintrat, sah es sich langsam um. Ich hatte das liebe Gesicht nie so bleich gesehen. Aber als ein geriebener Diplomat, wie ich war, that ich nicht dergleichen, sondern log tapfer darauf los.

Es wäre mir außerordentlich lieb, sagte ich, sie doch noch zu sehen. Ich hätte Hals über Kopf abreisen müssen, und nach so guter Freundschaft, die wir mitsammen gehabt, möchte man sich doch noch eine Hand zum Lebewohl geben. Zwar hätt' ich schriftlich Abschied genommen – da liege das Briefchen – aber besser sei besser. Und dann sei mir auch noch eingefallen, ihr ein Bild von mir zu hinterlassen, zwar nur einen Schattenriß aus meiner Burschenzeit, aber die grobe Nase und der struppige Bart seien sehr ähnlich und die schwarzrothgoldnen Streifchen machten sich sauber. (Von Photographien wußte man damals noch nichts.) Also möge sie's nehmen und in ihre Lade legen. Wenn sie's aber nicht möge –

So sagte ich, da sie sich gar nicht rührte und keine Hand danach ausstreckte. Ich hatte sie während dieser ganz lustig herausgestotterten Rede auch nicht weiter angesehen, aber jetzt, wie ich die Augen aufhob, erschrak ich. Denn ihre Farbe war wie todtenhaft geworden, der Mund zuckte ihr, und die Augenlider hatte sie zugedrückt, als wollte sie sie auf ewig schließen. Um Gotteswillen, Afra, was ist Ihnen? rief ich und machte Miene, sie zu halten, daß sie mir nicht umfiele. Aber mit der großen Willenskraft, die sie besaß, wehrte sie ab, schüttelte den Kopf und versuchte zu lächeln.

Es ist nichts! sagte sie. Nur weil ich so viel getanzt hab', gleich nach dem Essen; das macht mir immer Schwindel. Mein Kopf ist nicht so sturmfest, wie ein richtiges Landkind ihn hat. Geben Sie mir nur das Bild. Aber ist's denn wahr? Sie wollen fort?

Sie hatte sich unterdessen mit mühsamen Schritten bis an den Stuhl vorm Bette hingeschlichen und setzte sich nun, ganz aufrecht, aber noch immer sterbensblaß. – Ja wohl, sagt' ich, ich müsse fort; ich wolle zu Schiff und die Welt umsegeln, das hätte ich mir lange gewünscht. Ich sei nun einmal ein heimatloser Mensch, meine Freunde hätten mich nicht umsonst den Pfadfinder genannt. Und weil ich so oft Abschied zu nehmen hatte, betriebe ich dies fatale Geschäft recht nach der Kunst, indem ich mich immer hinterm Rücken der guten Menschen, die mir wohlgewollt, wegschliche. Hier unter ihrem Dache sei mir wohler geworden, als lange, und darum werde mir auch das Scheiden saurer. Aber es müsse doch einmal sein, und so wollten wir's uns nicht ohne Noth erschweren. Nur noch eine Hand – dann ginge ich aus der Thür, und meine Sachen möchte sie mit dem Knecht mir nachschicken.

Aber ich bekam keine Hand. Statt dessen sah ich, wie ihre Augen immer schwerer wurden von großen Tropfen, die endlich überflossen. Das mochte ein Anderer mitansehen und dabei still schweigen wie ein gemalter Türke. Doch war ich noch besonnen genug, nicht zu viel zu sagen.

Ich wisse wohl, sagt' ich, sie habe ein gutes Herz und es thue ihr leid, daß ich fortginge. Aber sie werde sich bald trösten. Ich hätte sie zu lieb, um nicht zu merken, was vorginge, und daß es zwischen ihr und dem Verwalters-Aloys so gut wie richtig wäre. Nun, wenn sie ihr Glück dabei finde, müsse es mir schon recht sein. Ich – was hätte ich überhaupt für ein Recht, in Glück oder Unglück irgend eines guten Mädchens mich einzumischen? »Frau Pfadfinderin« sei kein Titel, der den Ehrgeiz eines hübschen und lieben Frauenzimmers reizen könnte, und auch »Madame Lederstrumpf« möchte Keine gern heißen. Dazu sei ich ein Mensch ohne Habe und Hof, liegende Gründe oder sonstigen Unterbau, auf dem ein solides Hauswesen zu erbauen sei, während der Aloys –

Aber zum zweiten Mal ließ sie mich mein Sprüchlein über diesen bevorzugten Sterblichen nicht zu Ende bringen.

Es ist gar nichts daran, sagte sie rasch, weder ganz noch halb, und Sie sollten mir das wohl zutrauen, daß ich nicht nach Geld sehe, oder danach, ob Einer aus Lieb' um mich sich wie ein Narr geberdet. Wissen Sie wohl, daß ich nur darum so früh von der Kirchweih weg bin, weil er mir nicht von der Seite wollte und absolut meinte, heute müsse es richtig werden, oder nie? Lieber das Letztere, dacht' ich, und suchte schon seit zwei Stunden nach einer Gelegenheit, heimzufahren, ohne die Eltern zu incommodiren. Siedigheiß überlief's mich bei seinem Gerede und Gethue, obwohl er nicht wüst that und auch wenig trank und ich wohl weiß, wenn ich ihn nähme, ich könnte ihm noch Manches abgewöhnen. Aber einen Mann haben, aus dem ich erst was Rechtes machen müßte, statt daß er mich in die Lehr' nähm', das ist nicht mein' Sach'. Ich habe es ihm gerade heraus gesagt, und es wundert mich noch, daß er's mir nicht übel genommen. Aber er ist halt blind und vernarrt, Gott weiß warum. Plötzlich war mir's, als hört' ich eine Stimme rufen: ich müsse heim, es koste sonst mein Leben! und ich dachte mir: am Ende ist Feuer ausgekommen, oder das Liesi in den Fluß gestürzt, und ich könnte mich nie wieder zufrieden geben, daß ich's versäumt hätte, um auf der Kirchweih zu tanzen. Ich sagt's den Eltern, mir wäre so unstet und angst, ich wolle heim, und sie konnten mir's auch nicht ausreden; ich bat den Braumeister vom Kloster drunten, der ohnedies heim wollte, er möchte über die Mühle fahren und mich mitnehmen. Und nun komm' ich und Alles steht wie es stand, nichts verbrannt und verunglückt – aber Sie – Sie wollen fort! Es hat mich doch recht gewarnt – ich wußte – es war was, das mir ans Leben geht! –

Sie hätten hören sollen, wie sie das sagte, mit ihrer gedämpften Glockenstimme, ganz ohne Seufzen und Mauzen, aber wie wenn Jemand sein eignes Todesurtheil sich vorläse. Und ich dabei, dem es wie Begnadigung und Erlösung klang! Denn obwohl ich wußte, ich war ihr werth – eine so feste und starke Liebe hatte ich mir nicht eingebildet.

Nun, ich will Ihnen, was nun folgt, ersparen; es nimmt sich so was curios aus, wenn man's weiter erzählt. Aber daß ich in dieser Stunde Alles vergaß, meine Armuth, das Weltumsegeln, Alexander von Humboldt und alle meine Studien über die Entwickelungsgeschichte der niederen Thiere – und nichts dachte und wußte, als daß dies herrliche Mädchen für mich auf der Welt sei und Niemand sonst gehören wolle, das werden Sie begreiflich finden. –

Als wir erst ein wenig zu uns gekommen waren und die Augen ausgerieben hatten, gingen wir, die Arme Eins um den Nacken des Andern gelegt, wohl eine Stunde hier auf und ab und wurden nicht müde, uns von den letzten Monaten zu unterhalten, wie es Jedem zu Muth gewesen sei, woran er's zuerst gemerkt, was ihm Muth gemacht und ihn wieder niedergeschlagen habe. Dann erzählte sie mir auch bald, da sie doch einmal die praktischere von uns Beiden war, sie habe ein kleines Vermögen von ihrer Mutter her, und es reiche gerade fürs Erste, um eine Haushaltung anzufangen, zumal so eine landstreichende, wie sie mir bequem und für meine Wissenschaft nöthig sei. Die Eltern würden sie ungern weggeben, aber sie denke im Hause nicht zu sehr zu fehlen, da die Kinder doch aus dem Gröbsten heraus seien, und wenn es mit dem Aloys richtig geworden wäre, hätte sie ihnen doch auch gefehlt. Und ich sollte keine Sorge haben, als ob sie mich hindern würde, sie wolle es schon machen, daß sie immer nur dann für mich da sei, wenn ich sie gebrauchen könne, selbst zu Schiff wolle sie mir folgen, bis ans Ende der Welt – und so fort, die lieblichsten Sachen, daß ich immer mich halten mußte, es nicht dem Aloys nachzumachen und mich vor Liebe und Wonne wie ein Narr zu geberden.

Das war eine Stunde wie im Himmel. Aber es ist dafür gesorgt, daß der Himmel nicht auf die Erde herabkommt oder die Bäume nicht hineinwachsen.

Denn nachdem wir ein wenig ruhiger geworden waren und wieder an Anderes denken konnten, sagte sie, sie wolle nur einmal einen Sprung hinunter thun, nach den Kindern zu sehen und das Essen für die Nacht zu richten, sie komme dann schon wieder herauf. So blieb ich allein, setzte mich aufs Bett, da mir alle Glieder bebten von dem Freudengewitter, das ich ausgehalten, und sann in der Dämmerung seelensfroh über Alles nach, was nun kommen sollte, und wiederholte mir jedes holde und kluge Wort, das sie mir gesagt hatte. Auf einmal höre ich drunten auf der Straße einen Wagen heranreisen, aber nicht im Trabe, und achte es erst nicht, bis ich laute und jammervolle Stimmen vernehme und Wehgeschrei, wie es Bauernkehlen ausstoßen, wenn ein plötzliches Unglück hereinbricht. Die Stimme meines Mädchens war aber nicht darunter. Also ließ ich mir Zeit, aufzustehen und ans Fenster zu treten.

Da sah ich denn freilich, was mich heftig erschreckte. In dem Chaischen, mit dem sie am Morgen ausgefahren, kamen meine guten Hauswirte zurück, der Mann aber hielt nicht die Zügel, sondern saß starr und still zurückgelehnt neben seinem Weibe, dem der Kopf auf die Brust gefallen war. Ein fremder Bursche war vom Bock gesprungen und berichtete den jammernd Herzugelaufenen, wie er das Paar gefunden, unten in einem Hohlwege liegend neben dem umgestürzten Wäglein, die Frau leblos, den Mann noch atmend, die Zügel in der geballten Faust, aber ohne Sprache und Besinnung. Auch das Pferd sei zu Fall gekommen und habe sich eben wieder aufgemacht und mit Schaum und Blut bedeckt zitternd still gestanden. Wahrscheinlich hätten sie in dem Zwielicht, und da der Herr Leidener den Wein verspürt, die abschüssige Stelle nicht beachtet, und statt zu hemmen und Schritt zu fahren, sei das Pferd über den Rand der Straße gestürzt und habe den Wagen nachgerissen.

Als ich hinunterkam, wie betäubt von dem jähen Wechsel von Freude und Jammer, waren die Dienstleute eben beschäftigt, die beiden schwerfälligen regungslosen Gestalten durch den dunklen Hausgang in ihre Kammer zu tragen. Die Afra stützte den Kopf ihres Vaters mit ihrer Schulter. Sie sah mich, wie ich mit meinem Kummergesicht an der Treppe stehen blieb, im Vorbeigehen mit einem seltsam entgeisterten Blick an, der mir durch Mark und Bein ging. Aber sie hatte keine Thräne vergossen, weinte auch den ganzen Abend nicht; dazu blieb ihr keine Zeit, da sie, während die Anderen den Kopf verloren und auch ich nicht viel nutz war, allein für Alles zu sorgen, nach dem Bader zu schicken, Umschläge und Einreibungen zu verordnen, endlich die Kinder zu Bett zu bringen hatte, die theils in Schluchzen, theils mit großen Augen wie ein Nest voll Fledermäuse in der dunklen Küche beisammen hockten. Man hörte dann und wann die leise Stimme des Mädchens und ihr Ermahnen, das Heulen und Schreien zu lassen, es sei vielleicht noch Hoffnung. Mit mir sprach sie kein Wort; aber dann und wann streifte mich ein ganz hoffnungsloser Blick.

Der Bader, der erst nach einer Stunde kam, schlug dem Vater Leidener noch eine Ader, worauf er einen Augenblick zu sich zu kommen, ja die Afra zu erkennen schien. Dann aber verließ ihn das Bewußtsein für immer. Die Mutter, obwohl sich noch ein Federchen an ihrem Munde bewegte, war doch von Anfang an wie todt. Es müsse im Innern durch den Fall eines der Gefäße gesprungen sein und das Blut sich ins Gehirn oder die Lungen ergossen haben, erklärte der Dorfdoctor. Als er um Mitternacht ging, beherbergte das Haus zwei Leichen.

Ich war bis dahin der Afra nicht von der Seite gewichen, und wenn sie mir nicht schon über Alles theuer gewesen wäre, hätte meine Bewunderung über ihre tiefe Seelenstärke und die Wahrheit ihrer Empfindungen mich ihr ganz und gar gewonnen. Keinen Laut der Klage hörte man, kein müßiges Schwatzen, mit dem sich schwache Menschen Luft machen oder trösten wollen. Sie that, was die bittere Noth des Augenblickes erforderte, ohne Säumen und Seufzen, und doch war Keinem im Hause das Herz schwerer, als ihr. Denn sie hatte den Vater mit aller Kraft ihres jungen Herzens geliebt, und ich merkte es ihr wohl an, daß sie es sich als eine Art Schuld anrechnete, die seligste Stunde ihres Lebens genossen zu haben, während dieses theure Haupt hülflos und verlassen am wilden Wege lag und vielleicht mit dem letzten Hauch des Bewußtseins den Namen seines Kindes lallte.

So blieb sie auch die erste Nacht, nachdem Alles vorbei und keine Hülfe mehr zu bringen war, mit den Todten allein; nur eine alte Magd durfte im Nebenzimmer schlafen. Ich hatte mich erboten, mit ihr zu wachen, aber sie gab mir kopfschüttelnd die Hand und drängte mich sanft aus dem Zimmer. Ich meinte, irgend ein Zeichen würde ich doch erhalten, daß sie sich nun doppelt die Meine fühle, da sie ganz verwaist war. Aber es war, als sei dieser jähe Tod auch zwischen uns getreten, und sie gehöre sich nun wieder selbst an und es sei nichts unter uns vorgefallen. Nur die erste Erschütterung verwunden, dacht' ich, so wird sie sich wieder besinnen und zu mir zurückfinden. Und so sagte ich' ihr Gutenacht und ging auf mein Zimmer.

Den andern Tag aber schien es noch nicht so weit zu sein, und so auch den folgenden nicht. Sie war gut und still wie immer, aber doch wie wenn wir von vorn mit einander anfingen. In den langen Stunden, so oft sie im obern Stock oder auf dem Speicher etwas zu hantieren hatte, kein einziges Mal trat sie bei mir ein, oder stand, wenn ich ihr in den Weg trat, bei mir still, daß ich sie hätte in den Arm nehmen und ein paar trauliche Worte ihr zuflüstern können. Statt dessen schien ihr Blick, wenn er mich einmal streifte, nur trauriger zu werden.

Ich ertrug es endlich nicht, sondern stellte sie geradezu und fragte, was ihr sei und ob sie etwas gegen mich habe? – Nichts in der Welt, sagte sie. – Ob es denn anders sei als gestern und es sie gereue, was sie mir versprochen und daß sie mir gehören wolle? – Da war es, als stiege eine große Angst in ihr auf; sie athmete schwer und sah mich mit bittenden Augen an. Jetzt solle ich nichts weiter von ihr erfragen, flehte sie. Die Eltern seien noch nicht unter der Erde. Sie hätte aber mit mir zu reden, hernach. – Ob sie mich noch gern habe, nur das wollte ich wissen. – Immer und ewig, sagte sie mit ihrem innigsten Ton. Aber einen Kuß konnte ich nicht erhalten, und so entwand sie sich mir ohne rechten Trost, da ich nicht begriff, wie man in einem Athem geben und versagen könne.

Am dritten Tage endlich, als wir den Eltern die letzte Ehre erwiesen hatten, und vom Kirchhof unten im Dorf den Weg zurückgingen in unser ödes Haus – eine Menge guter Bekannter mit uns, die Kinder zu trösten und so etwas wie einen Leichenschmaus oben in der Mühle witternd – da nahm sie einen Augenblick wahr, während ich eben an ihrer Seite ging, und raunte mir zu, ich solle Nachmittags auf meinem Zimmer bleiben, wenn der Zulauf vorüber sei, wolle sie kommen mir etwas zu sagen.

Sie können denken, mit welchem Herzen ich Stunde auf Stunde hinunterhorchte, ob es noch kein Ende nehme mit der Condolenz. Aber es waren Verwandte von fern her gekommen, denen aufgewartet werden mußte, und erst da es schon dämmrig wurde, rollte das letzte Wägelchen vom Hause weg. Gleich darauf hörte ich ihren Schritt auf der Stiege, es kam mir aber vor, als gehe sie langsamer als sonst, wie Jemand, der eine Last treppauf trägt.

Als sie dann hereintrat, wollte ich sie umarmen, aber sie wehrte mir mit einer traurigen Geberde ab und saß auf dem Bett nieder, in großer Erschöpfung. So blaß sie war und die Augen geröthet vom Weinen, war sie mir doch nie so schön vorgekommen, und das Herz brannte mir immer ungestümer. Ich meinte, es müsse ihr selbst wohl thun, sich an eine treue Brust zu lehnen und wie ein krankes Kind ein wenig hätscheln zu lassen. Aber ich hatte so viel Respect vor ihrer ganzen Art, daß ich ihr nichts abdringen wollte.

Sie schwieg eine Weile, mehr wie um Athem zu schöpfen und eine wunde Brust ausruhen zu lassen, als wie wenn ihr die Worte gefehlt hätten. Denn als sie endlich zu reden anfing, merkte ich wohl, daß sie genau Alles erwogen und sich besonnen hatte, was sie thun wollte und sollte.

Lieber Wendelin, sagte sie, wir haben es uns so schön ausgedacht, aber es ist nicht Gottes Wille, wir Zwei sollen nicht zusammenkommen. Sehen Sie, als die Eltern so unglücklich nach Haus gebracht wurden, da meinte ich, das sei die härteste Strafe meines Lebens. Und nun muß ich erfahren, daß es noch etwas Härteres giebt, als um einen Todten sich härmen, der plötzlich Einem weggerissen wird mitten aus dem besten Leben: nämlich, wenn ein Lebender von Einem abgetrennt wird, daß man ihn für todt ansehen muß und doch weiß, er athmet noch, und man wird ihn weder vergessen noch wiedersehen. Auf derselben Stelle hier, wo ich vor wenigen Tagen den Himmel offen sah, ist mir's nun wie in mein eigenes Grab zu schauen. Aber ich weiß, wenn Sie mich zu Ende gehört haben, werden Sie mir Recht geben. Es hat sich nämlich gefunden, daß wir Kinder keine reichen Eltern mehr gehabt haben. Sie waren kaum auf der Bahre, da wurde mir schon das Haus eingelaufen von Menschen, die besser wußten, wie es um unser Vermögen stand, als ich selbst, und mit Gewalt die Ersten sein wollten, die sich bezahlt machten. Allerlei Unglücksfälle, bankerotte Schuldner, Rückgang im Geschäft und dann – hier stockte das gute Mädchen – Sie wissen, daß der Vater die letzten Jahre mehr in seine Experimente gesteckt, als gut war, und die Mühle manchmal darüber vernachlässigt hat. Es war seine Freude, und die Gaben und Kenntnisse, die er hatte, trieben ihn dazu. Aber nun steht es so, daß wir nicht viel besser als Bettler sind, und wenn mein Mütterliches und was an Holz- und Brettervorräthen da ist, versilbert wird, reicht es eben hin, uns schuldenfrei zu machen. Aber dann sitzen wir im kahlen Nest und müssen tagelöhnern oder von Neuem borgen, damit die sechs Mäuler nicht von der Luft leben.

Wie sie so weit gekommen war, schwieg sie wieder, denn das Schwerste war noch zu sagen, und sie wollte mir wohl Zeit lassen, es mir einstweilen selbst zu denken. Ich aber dachte an nichts Anderes, als daß sie mich nun erst recht nöthig hätte, und der Gedanke, einen jungen Hausstand mit fünf mehr oder minder unmündigen Schwägerinnen und Schwägern anzufangen, erschreckte mich keinen Augenblick. Das sagte ich ihr auch und war noch eher froh als betrübt, daß wir nun so einträchtig zusammen auf der nackten Erde säßen, als eine in ihrem Gott vergnügte Proletarierfamilie. Aber sie schüttelte ruhig den Kopf, nachdem sie mich hatte ausreden lassen, und sagte dann, sie danke mir's tausendmal, daß ich sie in der Noth nur um so lieber nähme, und wenn sie es allein wäre und hätte nichts, als ihre jungen Kräfte und was sie auf dem Leibe trüge – gewiß, sie würde nicht kleinmüthig sein und sich nicht schämen, mir eine Last zu werden. Aber sie müsse für ihre Geschwister sorgen, um so mehr, da es nur Halbgeschwister seien, und was es heiße, eine so große Familie durchzubringen, davon hätte ich mit all meiner Gelehrsamkeit und gerade ihretwegen keine Vorstellung, und Latein helfe da nichts, sondern Vernunft, und daß man sein Herz in die Hände nähme und mehr an Andere dächte, als an sich. Ich sollte doch nur rechnen, was es austrüge, auch wenn ich die schönste Anstellung bekäme, und wie es mir sein würde, wenn ich das Haus so voll hätte, daß für meine Thiere und Pflanzen kein Winkel frei bliebe, und wie ihr selbst zu Muthe sein müßte, mich in all meinen Plänen und Arbeiten gehemmt zu sehen, und für eigene Kinder, wenn wir welche bekämen, nichts übrig zu haben. Das würde uns alles Glück verbittern und ich die Stunde verwünschen, wo ich zuerst den Fuß über ihre Schwelle gesetzt hätte.

Ich wollte immer noch Allerlei einwenden, da sah sie mich aber mit einem Blick an, dem nicht zu widerstehen war. Machen Sie es mir nicht noch schwerer, sagte sie leise. Es darf ja doch einmal nicht sein, und jetzt – ist es auch zu spät. Ich habe mein Wort schon gegeben!

Himmel! da ging mir erst ein Licht auf.

Du nimmst den Aloys? rief ich, und es war, als hätte der Blitz neben mir eingeschlagen. Ich fiel auf einen Stuhl wie ein Unsinniger, und jetzt erst glaubte ich zu wissen, wie sehr ich das Mädchen geliebt hatte.

Sie ließ mich meinen ersten Grimm und Gram austoben, dann erst fing sie wieder an. Es müsse sein, sie sei es der Ehre ihres Vaters und der Liebe schuldig, die sie von ihrer zweiten Mutter erfahren. Wie schwer es ihr werde, das wisse nur Gott; aber sie vertraue, es werde doch nicht über ihre Kräfte gehen. Wie sie über den Aloys denke, das habe sie mir selber gestanden, und auch wenn er noch ganz ein Anderer wäre: sie habe kein so leichtes Herz, daß es sich mit jedem Winde von Einem zum Andern drehen könne. Auch bilde sich der Aloys nicht ein, daß sie über Nacht sich ganz gegen ihn geändert hätte. Aber er sei im Grunde der Seele ein guter Mensch, und wie er sich eben jetzt betragen, da er gehört, es stehe übel um ihre Umstände, und daß er sie dennoch gewollt, obwohl er sie mit einem verarmten Hause und fünf Geschwistern übernehmen müsse, das sei doch auch ein Zeichen von einer festen und redlichen Gesinnung, und sie hoffe, mit der Zeit werde es recht ordentlich gehen. Ein Trauerjahr habe sie sich ausbedungen, sie habe es nöthig, um die Todten und einen Lebenden so weit zu verschmerzen, daß sie keine zu unholde Miene dazu mache, wenn sie nun Wort halten solle. Aber damit es mir möglich ist, lieber Wendelin, müssen Sie mir versprechen, erstens, nicht ein feindseliges Herz von hier wegzutragen, und dann – nicht wiederzukommen, daß ich mir wirklich vorstellen kann, auch meinen besten Freund hätte ich heut zu Grabe getragen, und lebte das kommende Jahr wie eine Wittwe, die hernach der Kinder wegen eine zweite Ehe eingeht. Wollen Sie mir das zu Liebe thun? Sie werden es können, wenn Sie denken, daß ich das schwerere Theil zu tragen habe!

Damit stand sie auf und trat vor mich hin. Aber ich war noch nicht so weit mit meiner Vernunft oder Unvernunft wie sie, und es lebte noch Alles zu frisch in mir, um mich so nach einem Händedruck zu den Todten werfen zu lassen. Das merkte sie mir wohl an.

Und glaube doch nicht, sagte sie – das »Du« that Wunder – glaube nicht, Wendelin, daß ich mir das Alles so kaltblütig überlegt habe, so der Reihe nach wie ein Rechenexempel, wenn ich's auch jetzt, wo es fertig ist, und ich die Summe richtig gefunden, so vor dich hinstelle, als könne es nicht anders sein. Tausendmal und immer wieder habe ich mit Jammer und Angst mich gefragt, ob es denn wirklich nicht anders sein kann, und wie lieb ich dich habe, wie du mir ins innerste Herz hineingewachsen bist, das habe ich so heftig gespürt, daß ich gemeint hab', ich komme nicht darüber hinaus, es sprengt mir geradezu Leib und Seele auseinander, wenn ich dich nicht haben kann. Aber siehst du, gerade weil du mir lieber bist, als mein Leben, muß es so sein, ich darf dein Leben nicht verderben, wie ich thät', wenn du eine ehr- und gewissenlose Frau nähmst, die ihrer Pflicht weggelaufen wär' in deine Arme hinein. Das wär' eine schöne »Frau Pfadfinderin«, die so in die Irre gegangen wäre. Mein lieber, liebster Wendelin, glaub doch nur Das nicht, daß ich die Kraft dazu gefunden hätt' aus Lieblosigkeit. Herrgott – wenn du mir ins Herz sehen könntest –

Da verließ sie wirklich ihre Standhaftigkeit, und mit hell ausbrechenden Thränen fiel sie mir um den Hals, und hing so jämmerlich schluchzend in meinen Armen, daß ich meinte, sie vergehe mir unter den Händen.

Das half mir aus meiner Versunkenheit besser als die besten Worte. Ich merkte, es gehe nicht an, daß ich sie Alles allein durchkämpfen ließe, ich müsse zeigen, daß ich ihrer werth gewesen. Und so richtete ich mich auf, nahm das einzige Mädchen noch einmal an mein Herz, und hielt es so, wie man sich zum Abschied auf Tod und Leben aneinanderschließt. Dann ließ ich sie behutsam auf einen Stuhl nieder, küßte ihr noch ein letztes Lebewohl auf die Stirn und riß mich dann von ihr weg, zur Thür hinaus, die Stiege hinunter, ohne Umsehen die Straße nach dem Dorf hinab, bis ich auch das hinter mir hatte. – –

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