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Rita

(1907)

 

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Eine Stunde ostwärts von der Stadt L. entfernt liegt das kleine Dorf Birkenheide, in einer lachenden, baumreichen Gegend, die sich aus der kahlen und reizlosen Umgebung der Stadt als eine grüne Oase hervorhebt.

Das Dorf, das eine eigene Kirche entbehrt, da die Bewohner in der nächsten Ortschaft eingepfarrt sind, besteht nur aus sieben oder acht Gehöften; niedere, schindelgedeckte Häuser, von Bauerngärtchen umgeben, zwischen denen sich saftgrüne Wiesen erstrecken. Denn den Getreidebau haben die Insassen seit Jahren eingehn lassen und sich auf die einträglichere und minder beschwerliche Viehzucht verlegt, so daß auf den früheren Feldern nach und nach nur noch Gras und Heu geerntet wurde und eine stattliche Rinder- und Pferdezucht darauf gedieh, eine sehr glückliche Staffage für die heitere, mannichfach gegliederte Landschaft. Ein ansehnlicher Fluß in sanftem Gefäll unter schattigen Erlengebüschen und Uferweiden durchzieht sie, hier noch völlig klar und ungetrübt, da er erst weiter unten mit seiner Flut in die Stadt eintritt.

Das Anmuthigste aber in diesem idyllischen Weltwinkel ist ein kleiner dicht begraster Hügel, der ein mit jungen Eichen durchsetztes Birkenwäldchen trägt, ein bescheidenes deutsches Gegenbild des berühmten Hains der Egeria. Andere Gruppen schöner Bäume sind durch den ganzen Bezirk verstreut, überall aber leuchten auch da die silbernen Birkenstämmchen daraus hervor, so daß es erklärlich ist, warum das Dorf nach ihnen benannt werden konnte.

In dieser freundlichen Gegend hatte sich vor mehr als zwanzig Jahren ein wohlhabender Bürger der Stadt ein schönes Landhaus erbaut, von dem Dorf nur einen Steinwurf entfernt, nah am Flusse gelegen. Ein weitgestrecktes einstöckiges Gebäude mit einem hohen Erdgeschoß und etlichen Dachkammern, auf der Rückseite ein Hof mit einem Stall für zwei Pferde und einem Wagenschuppen, vorn ein ansehnlicher Garten, dessen Bäume dem Wohnhaus bald übers Dach heraufwuchsen.

Hier dachte der wackere Mann mit seiner zahlreichen Familie seinen Lebensabend friedlich zu genießen. Doch nach wenigen Jahren lichtete sich der Kreis der Kinder und Enkel, der ihm die Gesellschaft der Stadt ersetzt hatte, die Söhne zogen fort, ihren verschiedenen Berufen nach, die Töchter verheiratheten sich, und als der Tod ihm auch seine treue Lebensgefährtin von der Seite nahm, trauerte der einsame alte Mann noch eine Weile so hin, bis auch er sein geräumiges Haus mit einer engen Schlafkammer vertauschte.

Das schöne Besitzthum ging nach kurzer Zeit in die Hände eines unternehmenden Menschen über, der das Haus zu Sommerwohnungen für die Stadtleute ausschrieb, auch Pensionsgäste aufnahm. Da er aber das Geschäft nicht verstand und für viel Geld nur unzulängliche Bewirthung bot, kam er bald in Verruf, und es fanden sich im Sommer nur gelegentliche Gäste ein, unter den schattigen Buchen und Platanen des verfallenen Gartens den Kaffee zu trinken.

Im Winter hatte »das Eichhorn«, wie er das Gasthaus getauft hatte, überhaupt keinen Zuspruch. Auch von den Dorfleuten, auf die der Wirth gerechnet hatte, stellte sich keiner bei ihm ein, da sie es in dem elenden Krug, den einer ihresgleichen aufgethan hatte, mehr nach ihrem Sinne fanden.

In dieser gott- und weltverlassenen winterlichen Ode fing der Bedauernswerthe an, von den Vorräthen seines eigenen Kellers zu zehren und völlig unthätig vom Morgen bis in die Nacht erst seine Weine, dann die verschiedenen Spirituosen sich zu Gemüthe zu führen. Bis seine alte Magd, die Einzige, die es bei ihm ausgehalten, eines Morgens ihren Herrn in einem tiefen Schlaf am Boden liegend fand, aus dem er nicht mehr erwachte.

*

Es sollte aber nicht lange dauern, bis das Haus, obwohl es in einem unheimlichen Rufe stand, einen neuen Besitzer gewann.

Wenige Wochen vor dem plötzlichen Tode des Eichhornwirths war in einem Hôtel der Stadt ein weit vornehmerer Gast ebenfalls sehr unerwartet aus dem Leben geschieden, ein römischer Fürst, der sich auf einer Kunstreise durch Europa befand und auch das Museum der Stadt L. auf seiner Liste stehen hatte. Obwohl er so viel reichere und glänzendere Galerieen gesehen hatte, schien die Sammlung älterer deutscher Meister, die hier in einem hübschen Gebäude sorgfältig geordnet hing, sein Interesse lebhaft zu erregen, wozu die hübsche Wirthin des Hauses das Ihrige beigetragen haben soll.

Nun waren es heiße Sommertage, und den jungen Herrn wandelte, nachdem er sein pranzo eingenommen, die Lust an, sich durch ein Bad im Flusse zu erfrischen.

Die Folgen waren verhängnißvoll. Ein Herzschlag machte seinem Leben ein frühes Ende.

In seinem Gefolge befand sich außer dem Courier und dem Kammerdiener auch noch ein Koch. Denn eine so gute Meinung der hohe Reisende von der deutschen Kunst, besonders von Alberto Durero und später von den Meistern der Villa Bartholdi hatte, die deutsche Küche fand er ungenießbar, wie er auch vor der englischen nach der Beschreibung ein tiefes Grauen empfand und höchstens die französische gelten ließ.

Da er nun erst über Deutschland und England nach Paris gelangen sollte, hatte er seinen römischen Koch bewogen, mit ihm zu reisen, um sich überall seine heimathlichen Gerichte bereiten zu lassen.

Es war nicht ganz leicht gewesen, den dicken, behäbigen Mann, der ein Künstler in seinem Fache war, von seinem Rom, wo er eine Frau und eine schöne junge Tochter hatte, wegzulocken, in fremde Länder, in denen der brave Sor Carlino – sein richtiger Name war Carlo Pandolfi – nach dem Vorurtheil der Südländer zu erfrieren fürchtete. Sein Herr hatte jedoch seinen Widerstand durch ein sehr ansehnliches Legat zu überwinden gewußt, das er vor seiner Abreise in dem Testament, das er zurückließ, dem treuen Diener und Reisebegleiter aussetzte.

Dies Vermächtniß war nun so unverhofft schon jetzt verfallen. Aber er beeilte sich nicht, es in Rom in Empfang zu nehmen. Dieses nordische Land hatte er weit besser gefunden, als seinen Ruf, und als der Kammerdiener und Courier den Sarg nach dem Erbbegräbniß in Rom zurückgeleiteten, blieb er selbst in L. zurück und gedachte, sich noch ein wenig weiter im deutschen Reich umzuschauen.

Er kam aber nicht weiter, als nach dem Dörfchen Birkenheide, von dem so eben, da der Wirth dort gestorben, in der Stadt viel die Rede war, und das ihm wegen seiner reizenden Lage gerühmt wurde.

Mit der Bahn, die von der Stadt nach Osten lief, erreichte man in zwölf Minuten das Dorf, das für alle außer den Schnellzügen die erste Haltestelle war. Hier stieg eines schönen Nachmittags Herr Carlo Pandolfi aus einem Wagen dritter Klasse, da er die Erbschaft noch nicht ausbezahlt erhalten hatte und darauf angewiesen war, was von seinem letzten Lohn noch übrig geblieben, zu Rathe zu halten.

Übrigens nahm er sich in dem weißen Flanellanzug, der von der Reisegarderobe seines abgeschiedenen Herrn auf sein Theil gekommen war, sehr elegant und fast stutzerhaft aus. Ein Schneider hatte ihm die Sachen nach seiner untersetzten Statur zurechtmachen und um den linken Ärmel einen breiten schwarzen Florstreifen befestigen müssen. Über die viereckige Stirn des kleinen Kopfes fiel eine schwarze Locke herein, die er sorgfältig zu einer sogenannten Napoleonslocke erzogen hatte, wie er überhaupt auf seine Ähnlichkeit mit dem Kaiser eitel war. Auch erinnerte die gelbliche Haut und die scharfe Nase in der That an den großen Corsen, und die etwas fetten Wangen waren glatt rasiert. Doch hatten die kleinen schwarzen Augen durchaus nichts Heldenhaftes, und wie er jetzt auf das Dorf zuwandelte, in der linken Hand ein Strohhütchen, von dem ein breites schwarzes Florband niederhing, in der rechten einen weißleinenen Sonnenschirm, ebenfalls mit einer schwarzen Schleife geschmückt, machte er einen durchaus friedlichen, biedermännischen Eindruck.

Auch er, da er auf der Fahrt durch Deutschland den deutschen Wald bereits hatte schätzen lernen, fand das idyllisch zwischen Wiesen und Baumgruppen hingelagerte Dorf sehr reizend. Er ging langsam auf dem glatten Wege an den Gehöften entlang, entdeckte aber nicht die Ähnlichkeit des Birkenwäldchens mit dem Hain der Egeria, da er niemals weit aus den Thoren der ewigen Stadt herausgekommen war. Das Eichhorn-Gasthaus, von dem er gehört hatte, entzog sich seinen Blicken, da es draußen am anderen Ende lag, und doch hätte er es gern gesehen seines unheimlichen Rufes wegen.

Als er daher vor einem Bauernhause, das etwas stattlicher war, als die übrigen, zwei junge Leute an einem Tische sitzen sah, näherte er sich unverlegen, um sich von ihnen Auskunft zu erbitten. Der Eine hatte die langen Beine unter den rohgezimmerten Tisch gestreckt, eine Tasse Kaffee vor sich, wozu er träumerisch den Rauch seiner Cigarre in die klare Luft hinaufblies. Der Andere war beschäftigt, in ein großes Blockbuch das heitere Bildchen zu malen, das ihm gegenüber auf einem Grasanger stand, einen alten Ziehbrunnen, hoch überwachsen von einem Holunderbusch, auf dessen verwittertem Steinrande ein weißes Kätzchen schlief. Eine braune Stute mit ihrem Fohlen schlenderte langsam grasend hin und her.

Herr Carlino war oft genug in Rom deutschen Kunstjüngern begegnet, und die Beiden hier machten ihn zutraulich, als wären's alte Bekannte. Auch wußte er, daß die Meisten dort seine Sprache lernten, und da er selbst außer den Vocabeln, die er bei seinen Einkäufen für die Küche brauchte, kein Wort deutsch verstand, war er hocherfreut, für sein Italienisch hier auf ein geneigtes Ohr hoffen zu dürfen.

Wirklich erwiederte der Malende, als er von dem Fremden höflich angeredet wurde, in derselben Sprache, da er schon ein Jahr im Süden zugebracht hatte. Auch sein Kamerad fuhr schläfrig aus seiner Siesta auf und betrachtete den weißen Ankömmling mit verwunderten Augen. Er selbst sprach nur Deutsch, aber der Andere dolmetschte ihm so viel er brauchte, um der Conversation zu folgen.

Ein Blick, den Sor Carlino auf das angefangene Aquarell geworfen, und das sachverständige Lob, das er ihm ertheilt hatte, gewann ihm rasch das Interesse der beiden Jünglinge. Es kam zu einem ausführlichen Austausch der beiderseitigen Verhältnisse. Daß er seine Kennerschaft im Gefolge des kunstschwärmenden Prinzen erworben und jetzt ohne Beruf in der Welt dastehe, theilte er in der ersten Minute mit. Dagegen erfuhr er, die jungen Herren seien Eleven der städtischen Kunstschule, die erst vor zehn Jahren gegründet worden, nun aber munter aufblühe. Für die Aktklasse habe man einen tüchtigen Meister engagiert, der aber leider halbblind sei. Componieren thue Jeder auf eigene Hand, das Malen lehre ein geschickter Praktiker, der nichts Eigenes zu Stande bringe, das Wichtigste aber sei die Landschaftsklasse, die auch sehr besucht sei, da die Gegend um Birkenheide an malerischen Motiven die Fülle habe.

In den großen Sommerferien schlügen denn auch hier draußen die Malschüler ihre Werkstatt auf, und der Professor komme jeden Sonnabend heraus, um zu corrigieren. Das geschehe aber nicht vor Juli. Sie Beide hätten sich schon jetzt herausgemacht, um ein paar Frühlingsstudien zu machen.

Wo sie denn wohnten? Oder ob sie Abends wieder in die Stadt führen?

Sie hätten hier in diesem Hause Quartier gefunden, schlecht und recht, und würden auch von den Bauern verköstigt, natürlich mit der Familie und den Knechten an Einem Tisch.

Aber es solle ja hier sich ein großes Albergo finden, das – Eik-orne, brachte er mühsam heraus.

Da hätte man freilich bequemer wohnen und besser essen können, aber die Preise seien zu hoch und für angehende Künstler unerschwinglich gewesen. So habe man bei den Bauern unterkriechen müssen. Jetzt, da den früheren Wirth der Schlag gerührt, stehe zu hoffen, daß das Haus in bessere Hände komme und auch Gästen mit schmalem Beutel zugänglich sein werde. Nur habe man ein dummes abergläubisches Grauen vor dem Ort, wo seit Jahren nichts als Unglück sich ereignet habe. Aber eben darum sei es billig zu haben, und ein kluger Mann brauche nur zuzugreifen, um dort sein Glück zu machen.

Sor Carlino schwieg eine Weile. Hinter seiner gelblichen Napoleonstirn schienen allerlei Gedanken zu brodeln. Nun fragte er, ob er das Haus nicht in Augenschein nehmen könne, und erfuhr, nichts stehe im Wege, es sei zwar verschlossen, aber eben ihr Wirth, der Schulze, bewahre den Schlüssel auf und werde ihn gern ausliefern.

So machten die Drei sich auf und traten bald durch das Pförtchen im Zaun, der den Eichhorngarten umgab, in das Innere des stattlichen Besitzthums. Zunächst bewunderte der Römer die mächtigen Bäume, durch deren Wipfel das schönste Sonnenlicht auf die verwahrlosten Wege und Beete herniederfloß. Auch das Haus erinnerte ein wenig an die Villen in seiner Heimath, nach deren Muster es gebaut zu sein schien. Drinnen sah es freilich düster und unwirthlich aus. Als aber die Läden geöffnet waren, überraschte die Menge hoher und lustiger Zimmer, obwohl die alten Möbel den Eindruck größter Vernachlässigung machten.

Ohne ein Wort zu sprechen stiegen die drei Herren zum oberen Stockwerk hinauf, wo an einem breiten Corridor zehn Zimmer lagen, nach Osten und Westen blickend. Auch die Dachkammern wurden besucht. Am längsten aber verweilte der Fremde in der Küche unten, einem sehr weiten, nach Norden gelegenen Raum, aus dem man in eine große Vorrathskammer und hinunter in den Keller gelangte. Noch war der breite eiserne Herd in gutem Zustande und vom Kupfergeschirr und der anderen Kücheneinrichtung nichts fortgekommen. Als Sor Carlino endlich aus der Küchenthür in den Hof hinaustrat, stand er wohl fünf Minuten, die Augen zugedrückt, vor der Schwelle und sagte dann, einen erleichterten Seufzer ausstoßend: Così sia!

Dann verabschiedete er sich von seinen freundlichen Begleitern, ging allein, immer in tiefen Gedanken, nach dem Bahnhöfchen und fuhr mit dem nächsten Zuge nach der Stadt zurück.

*

Vier Wochen später war Herr Carlo Pandolfi glücklicher Besitzer des Gasthofs zum Eichhorn.

Er hatte von seinem Legat eine stattliche Anzahlung machen können, da der Preis des Grundstücks aus den bekannten Ursachen weit unter dem eigentlichen Werth geblieben war. Einen Rest behielt er zurück zur ersten Einrichtung. An eine Renovierung des Hauses und Ausbesserung der Zimmer dachte er nicht. Von seiner Heimath her war er an keinen sonderlichen Luxus des Mobiliars gewöhnt, denn auch der Palast seines Prinzen hatte das alte staubige und kahle Ansehen gehabt, wie die meisten herrschaftlichen Wohnungen der alten Römer.

Der einzige Kummer in seinem neuen Zustande war ihm der Name des Hauses. Da aber die Gäste eben so wenig die römische Übersetzung scioiattolo auszusprechen vermocht hatten, wie er den deutschen Namen, fand er sich endlich darein, zumal sein Unternehmen sich bald als sehr vortheilhaft und hoffnungsvoll erwies.

Nach der ersten Ankündigung in der Zeitung, daß der Chef des verstorbenen Prinzen N. N. im »Eichhorn« eine Gastwirthschaft eröffnet habe und den hohen Herrschaften und der hochgeehrten Garnison ( inclita guarnigione) sein Haus zur Sommerfrische nebst echt italienischer Küche zur Verfügung stelle, fanden sich zunächst die beiden Kunstjünger draußen ein, die mit dem Wirth sich ja schon angefreundet hatten.

Sie wurden aufs Beste empfangen und fanden die Nationalgerichte, mit denen Sor Carlino, immer in schneeweißer Kochtoilette, sie bewirthete, so vortrefflich, daß sie schüchtern fragten, wie hoch er ihnen die volle Pension berechnen würde. Als sie hörten, daß sie nur um ein Geringes theurer bei ihm gehalten werden sollten, als bei ihrem Bauern, bestellten sie sogleich Quartier für den Juli und führten ihm auch etliche ihrer Kameraden zu, denen sie die Herrlichkeiten dieses gänzlich verwandelten Sommerasyls gerühmt hatten.

Der verschlagene Römer konnte ihnen wohl so entgegenkommen, da er den Tisch sehr einfach hielt, nicht täglich Fleisch gab, sondern mit einem schönen Risotto oder einer großen Schüssel Maccheroni den Hunger der anspruchslosen Malerjünglinge sättigte und es an Käse und Früchten und herrlichem Salat nie fehlen ließ. Auch hatte er seine besondere Freude an dem munteren Völkchen, das sich bei ihm in allerlei tollen Humoren gehen ließ. Seinen Hauptverdienst aber fand er nicht bei diesen bescheidenen Hausgenossen, sondern durch die Leute aus der Stadt, die sehr bald sich angewöhnten, zur Veränderung auch einmal all' Italiana zu speisen und das »Eichhorn« zum Ziel ihrer Ausflüge zu machen, sogar häufig im Winter, wenn sie in schellenklingelnden Schlitten vor dem verschneiten Garten vorfuhren.

*

Dieser lebhafte Betrieb seiner Gastwirthschaft wuchs dem guten Manne aber bald dermaßen über den Kopf, daß er sich außer der Küchenmagd, dem jungen Kellner und einem rüstigen Hausknecht nach einer Hülfe umsehn mußte.

In Rom hatte er, wie gesagt, seine Frau und eine siebzehnjährige Tochter zurückgelassen. Zumal das junge Mädchen, das ohne besonderen Unterricht ein wenig Deutsch gelernt hatte, konnte ihm in seinem Verkehr mit Geschäftsleuten und Gästen von Nutzen sein. So schrieb er ihnen, indem er ihnen das Reisegeld schickte, sie möchten sich unverzüglich aufmachen und dem babbo in seinem neuen Geschäft an die Hand gehen.

Die Frau, Sora Cecilia, war in ihrer Jugend wegen ihrer Schönheit hochberühmt gewesen, besonders bei den Künstlern, die sich um die Gunst rissen, ihren klassisch edlen Kopf nachbilden zu dürfen, in Marmor oder auf der Leinwand. Nur das erlaubte ihre wachsame Mutter, die ihr in den Ateliers, wo sie als Modell erschien, nie von der Seite ging. Unzählige Male erschien das schöne Gesicht des Mädchens auf den Ausstellungen, bald im Kostüm einer Ciociare, bald in dem der Mädchen von Albano, oder auch als Medea oder Iphigenie in weißem griechischem Gewande. Alle Versuche, ihr die verhüllenden Falten abzuschmeicheln, oder gar eine Liebschaft mit ihr anzuspinnen, scheiterten an der Unerbittlichkeit ihrer Tugendhüterin, und auch die Tochter schien für alle feurigen Blicke und zärtlichen Huldigungen unempfindlich zu sein und nicht einmal eitel auf ihre Schönheit, die ihr nur lieb war als ein leichtes Mittel, ihren Unterhalt zu erwerben.

Nun gesellte sich aber zu den Vielen, die ihr heimlich nachschmachteten, ein neuer Bewerber, der jedes Mittel aufbot, das Ziel, das Alle für hoffnungslos hielten, zu erreichen: ein junger Nobile aus einer der ältesten päbstlich gesinnten Familien, selbst ein Kämmerer und besonderer Günstling Sr. Heiligkeit. Er galt ebenso für den schönsten jungen Mann in Rom – die Damen, deren keine ihm widerstand, nannten ihn den Apollino – wie Cecilia unter den Mädchen den Preis der Schönheit davontrug.

Ein so von der Natur für einander bestimmtes Paar mußte sich endlich finden. Die kühle, stolze Cecilia verliebte sich so leidenschaftlich in die schlanke Gestalt und das übermüthige Lächeln des jungen Verführers, daß sie, nachdem er sie zweimal in der Kirche angeredet hatte, gegen sein schmeichlerisches Dringen wehrlos war.

Das überschwängliche Glück war aber von kurzer Dauer. Als der Sieger sich nach wenigen Wochen kaltherzig zurückzog, übermannte sein Opfer eine so tiefe Verzweiflung, daß es der Mutter, die sich ebenfalls von dem glänzenden Liebhaber hatte bethören lassen, nur mit Mühe gelang, ihr Kind von einem Sprung in den Tiber zurückzuhalten.

Bald darauf erkannte die Unselige den ganzen Umfang ihres Unglücks. Als sie aber eben überlegten, wie die Schande zu verbergen wäre, fand sich ein Retter in der Noth.

Der prinzliche Koch war einer von denen gewesen, die sich mit ernsten Heirathsabsichten dem schönen Mädchen genähert hatten, doch ohne Gnade vor ihren Augen zu finden. Die Mutter zumal wollte mit ihrer Tochter höher hinaus und dachte, der Herr des Sor Carlino sei für ihr Kleinod gerade gut genug.

Der ehrliche Biedermann mit der Napoleonslocke war aber zu tief von dem Pfeil der schwarzen Augen getroffen worden, wie er sich in einem Sonett ausdrückte, um auf sein Glück so rasch zu verzichten. Als er sich nun von Neuem als Bewerber einstellte, wurde er zu seinem frohen Erstaunen nicht wieder fortgeschickt.

Das trauernde Mädchen aber war zu stolz und gewissenhaft, um dem Freier nicht unter bitteren Thränen zu gestehen, daß sie schon einem Anderen angehört habe, auch zu ihm, der sie heimführen wolle, wohl nie eine rechte Liebe zu fassen vermöge, da ihr Herz durch das Unglück zu sehr erstarrt und versteinert sei, um einem weichen Gefühl Eingang zu gewähren. Wenn er sie also trotz dieser Beichte haben wolle –

Gewiß wollte er sie haben. Er vergötterte sie dermaßen, daß er es für ein Himmelsglück hielt, wenn er sie auch nur aus zweiter Hand zu der Seinen machen konnte. Vorausgesetzt, daß er in Zukunft ihrer Treue versichert sein könne. Das versprach sie ihm, gerührt durch seine Güte, und hielt es auch in ihrem ganzen späteren Leben.

Die Hochzeit fand in aller Eile statt, und als, etwas zu früh, ein Mägdlein geboren wurde, empfing es der junge Ehemann mit solcher Freude, daß er von allen Bekannten als das Muster eines zärtlichen Vaters betrachtet wurde.

Daß das kleine Wesen, das nach der Königin von Italien Margherita getauft und dann Rita gerufen wurde, nicht einen Zug von seinem Papa im Gesicht trug und schon mit vierzehn Jahren ihm über den Kopf gewachsen war, legte man ihm als Klugheit aus, da es wohl daran gethan, lieber der schönen Mutter nachzuschlachten. Ganz so junonisch war ihre Gestalt freilich nicht gerathen, auch waren die Züge des reizenden Gesichts minder klassisch und monumental, immerhin aber von so edlem Schnitt, daß man an gewisse griechische Gemmen erinnert wurde. Und besonders reizvoll waren die strahlenden grauen Augen, die sie von keinem der Eltern hatte. Doch Niemand dachte daran, daß ein gewisser päbstlicher Kämmerling aus denselben Augen sah.

Das Mädchen wurde nach römischer Sitte gut erzogen, das heißt, es lernte nothdürftig lesen und schreiben und so viel Religion, als unerläßlich war, um täglich in die Messe zu gehen und von der Mutter Maria und den Heiligen ein wenig Bescheid zu wissen. Es hatte aber einen aufgeweckten Kopf, und da eine deutsche Familie, die im Nachbarhause Wohnung gefunden, das holde Geschöpf bald bemerkt und in ihren Kreis gezogen hatte, hatte sie auch den gebildeten Töchtern dies und das abgesehen, wie man sich zu betragen, was zu lernen habe, um unter weltläufigen Menschen nicht eine gar zu blöde Rolle zu spielen.

Sie war eben daran, zu ihrem bischen Deutsch auch etwas Französisch sich anzueignen, als der Brief ihres Vaters kam, der sie aus ihren Studien abrief.

*

Gehorsam packte Frau Cecilia ihre Habe an Kleidern und Wäsche zusammen, nahm von allen Freundinnen und Gevatterinnen Abschied und setzte sich breit und mit der Miene einer kühnen Heldin, die auf ein großes Abenteuer ausgeht, in einen Wagen zweiter Klasse, wie ihr Mann es ihr geboten hatte, da er als Hausbesitzer etwas auf die Ehre der Familie halten mußte. Rita stieg nach ihr ein, eine große Tasche mit ihren kleinen Mädchenschätzen in der rechten Hand, auf dem linken Arm eine schöne schwarze Angorakatze, Micio oder Micetto genannt – was völlig dem deutschen Miez und Miezchen entspricht – und die Blicke der Mitreisenden ruhig aushaltend, da sie schon gewohnt war, wegen ihrer Schönheit bewundert zu werden.

Ohne weitere Fährlichkeiten, da der Vater ihnen die Reiseroute deutlich vorgeschrieben hatte und Rita's Deutsch ihnen aus kleinen Verlegenheiten half, langten die beiden Reisenden eines Septemberabends in L. an, wo Sor Carlino sie in Empfang nahm und sogleich nach Birkenheide weiterbrachte.

Die jungen Maler, die von der sommerlichen Colonie im Eichhorn noch zurückgeblieben waren, um Herbststudien zu machen, sahen mit großem Erstaunen ihren Wirth mit den beiden Damen daherkommen und brachten kein Wort hervor, als sie ihnen vorgestellt wurden. Die Ältere, die ihren Gemahl um Haupteslänge überragte, war noch eine imposante Erscheinung mit dem echten römischen Nacken und der stolzen Büste. Auch hatte das Gesicht, obwohl es etwas verwittert war, den Adelszug der Rasse noch bewahrt, und das graue Haar über der bleichen Stirn ließ sie als eine Matrone erscheinen, die auf Ehrerbietung rechnen konnte.

Völlig bezaubert aber wurden die jungen Leute durch die Tochter, die nicht so groß und majestätisch wie die Mutter war, aber doch auch sofort bei der ersten Begrüßung eine Miene in dem jungen Antlitz zeigte, die alle Vertraulichkeit entfernte.

Wie eine Prinzessin neigte sie nur leicht den reizenden Kopf ohne ein Lächeln an dem strenggeschürzten Munde und schritt an den sie Bestaunenden vorbei, als nähme sie einen ihr schuldigen Tribut gnädig in Empfang.

Cospetto! rief der Eine, der in Italien gewesen war, die hat einmal eine Manier, als ob sie die Capitolinische Venus in eigner Person wäre. Aber nur pazienza! Am Ende, wenn man's nur richtig anfängt, entpuppt sich in dem Götterbild doch auch ein »süßes Mädel«.

Er mochte es doch wohl nicht richtig anzufangen verstehn.

Denn am andern Morgen – er hatte seine Arbeitsstunde hinausgeschoben, um Rita zu begegnen, die spät aufstand – fand er sie eben so unnahbar, wie gestern, obwohl er sein bestes Italienisch und allerlei schmeichelnde Worte aufbot, mit denen er bei Mädchen in Rom Gehör gefunden hatte.

Sie antwortete deutsch, als ob sie seine Sprache nicht verstände oder verstehen wollte, und so einsilbig, daß er sich bald empfahl und sich zu seiner Arbeit entfernte, wüthend, daß er um das hochmüthige Ding die schöne Zeit verloren hatte.

Auch das Mädchen war nicht in bester Laune.

Alles, was sie hier vorfand, hatte ihr mißfallen, das Haus, das die hohen Bäume verdüsterten, das gelbe Laub, durch das sie förmlich waten mußte, da der Knecht den Garten verwahrloste, vor Allem ihre Kammer unter dem Dach, die in einen schmutzigen Hof und auf einen verfallenen Pferdestall hinabsah. Sie hatte auch in Rom nicht viel eleganter gewohnt, aber von der Terrasse des Hauses weit über die Nachbardächer und bis zur Kuppel des Petersdoms geblickt. Und dann war's ihr Rom und die Freundinnen und die schönen Laute ihrer Muttersprache, während hier eine plumpe Magd und ein naseweiser Kellner sie auf Schritt und Tritt neugierig verfolgten.

Nicht viel erfreulicher hatte Frau Cecilia ihre neue Heimath gefunden. Aber sie war mit den Jahren so phlegmatisch geworden und hatte auf irgend Frohes in ihrem einförmigen Leben so ganz verzichtet, daß sie sich geduldig von ihrem Mann in seinem Besitzthum herumführen ließ, ohne an irgend etwas eine unfreundliche Kritik zu üben.

Am meisten mit den neuen Verhältnissen zufrieden zeigte sich der Kater Micetto, da das alte Haus eine wahre Brutstätte für Ratten und Mäuse gewesen war und der flinke Italiener Gelegenheit hatte, hier nach Herzenslust der hohen und niederen Jagd obzuliegen.

*

Seine junge Herrin aber hatte nicht lange Zeit, ihren Heimwehgedanken nachzuhängen.

Denn wenn ihr Vater geglaubt hatte, seine Frau werde ihm in seinem neuen Geschäft eine Stütze sein, erkannte er bald, daß davon nicht die Rede sein konnte.

Frau Cecilia war nie eine gute Hausfrau gewesen, was in Rom überhaupt nicht erforderlich zu sein pflegt. Da sie es nun nicht dahin brachte, auch nur so viel Deutsch zu lernen, um sich mit den Dienstboten zu verständigen, hielt sie sich ihnen gänzlich fern, saß während der warmen Herbsttage stundenlang in einer Laube des Gartens, ihren Rocken zwischen den Knieen, an dem sie gemächlich spann, ein graues Tuch über den Kopf geschlagen, unter dem die schwarzen Augen unheimlich vorblickten, so daß, wer vorüberging, an den Blick einer Eule erinnert wurde, einer der Maler aber sie heimlich skizzierte, um sie zum Modell einer Norne zu verwenden.

Da mußte die Tochter an ihre Stelle treten und die Zügel des Hausregiments in die Hand nehmen. Sie hatte einen praktischen Geist und sah sofort, daß es an allen Ecken und Enden fehlte. Zunächst entließ sie den nichtsnutzigen Kellner und die Magd und sah sich nach besseren Leuten um. Dann fuhr sie in die Stadt, wo ihr Erscheinen Aufsehen machte, und kaufte das Nöthige ein, um die Wäsche und das Geschirr, die beide große Lücken zeigten, wieder in gehörige Ordnung zu bringen. Der Hausknecht mußte den verwilderten Garten aufräumen, sogar die Zimmer setzte sie in einen sauberen und wohnlichen Stand, wie sie es in Rom bei ihren deutschen Freundinnen gesehen hatte. Den Papa, der sie trotz ihres Ursprungs väterlich liebte und für einen Ausbund aller Gaben und Tugenden hielt, verwies sie ganz auf seine Küche, was er sich dankbar gefallen ließ.

Die Gäste aus der Stadt, die das Gerücht von dem neuen Wesen, das im Eichhorn herrschte, herauslockte, waren höchlich erstaunt, die große Veränderung und die schöne junge Wirthin vorzufinden, die mit vollkommener Haltung ihr Amt versah. Nur wenn der Zuspruch der Besucher gar zu groß war, daß der eine Kellner für die Bedienung nicht ausreichte, ließ sie sich herab, ihm zu helfen. Sonst stand sie ruhig an der Thür des Eßzimmers und dirigierte die Bewirthung mit einem Augenwink oder einem leisen Wort.

Gegen alle Bemühungen, eine nähere Bekanntschaft mit ihr anzuknüpfen, verhielt sie sich herb und spröde, und wenn einer der jungen Herren sich herausnahm, ihr den Hof machen zu wollen, genügte ein Rümpfen der vollen Lippe und ein Zurückwerfen des Kopfes, als ob das schwere Nest blauschwarzer Haare ihn in den Nacken zöge, den Zudringlichen ohne Wort zurückzuweisen.

Auch die Maler, die im Hause wohnten, wußte sie mit so gelassener Manier zu behandeln, daß sie bald jeden Gedanken, ihr etwas abzugewinnen, aufgaben. Auch im nächsten Sommer, als die landschafternden Kunstjünger alle zehn Zimmer besetzt hatten, herrschte bei aller munteren Ungebundenheit ein so anständiger Ton in der kleinen Colonie, daß Rita nicht mehr in den Fall kam, ihre Würde ausdrücklich wahren zu müssen.

Dies blieb auch so, als Frau Cecilia, da wieder die Blätter zu fallen anfingen, die kleine Welt, in der ihr nicht wohl geworden war, verließ. Das rauhe Klima und ein nagendes Heimweh hatten ihre Kraft untergraben.

Die Maler bereiteten ihr ein stattliches Leichenbegängniß, decorierten das Grab auf dem städtischen Friedhof aufs Feierlichste und wohnten der Einsegnung durch einen Priester ihrer Confession vollzählig bei. Desgleichen fanden sich auch von den Stammgästen des Eichhorns nicht Wenige ein, so daß Sor Carlino, der den Verlust nicht ertragen zu können glaubte, einen großen Trost in der ihm erwiesenen Ehre fand und sogleich ein Grabmal, das der geliebten Todten würdig war, bei dem theuersten Marmorarbeiter bestellte.

Das Leben im Hause ging dann aber ungestört seinen alten Gang, da Frau Cecilia nie daran Theil genommen hatte. Auch ein Ereigniß, das im nächsten Sommer vorfiel, ließ äußerlich Alles wie es vorher gewesen.

Einer der älteren Maler hatte endlich erlangt, wonach die Anderen vergebens gestrebt, das schöne Mädchen zu bewegen, daß sie ihm sitzen sollte. Er war der Reichste und Vornehmste der ganzen Schaar, und da er sich während der Arbeit sterblich in sein schweigsames Modell verliebte und endlich sie fragte, ob sie seine Frau werden wolle, hatte sie ohne langes Bedenken eingewilligt, obwohl sie keine tiefere Neigung zu ihm fühlte. Doch als ein praktischer Charakter, wie sie war, leuchteten ihr die Vortheile dieser Heirath ein, zumal der Bräutigam versprach, sein Atelier in Zukunft ganz in ihrem Hause aufzuschlagen, so daß sie fortfahren konnte, ihrem babbo die Wirthschaft zu führen.

Dies übereilte Verlöbniß wurde aber nur allzuschnell wieder gelöst. Der verliebte Bräutigam konnte sich nicht in die strenge Sitte junger Römerinnen finden, ihrem Verlobten keine zärtliche Gunst zu gewähren, da sie ihrem eigenen raschen Blut nicht trauen, wenn sie die Zügel locker lassen. So kam es erst zu leidenschaftlichem Streit und nach wiederholten Versöhnungen endlich zur Aufhebung des Verhältnisses.

Darüber vergingen dann noch zwei Jahre, Rita war ins einundzwanzigste getreten und ihre Schönheit zu herrlicher Blüte gediehen. Was sie aber erlebt, hatte den ernsten Zug des jungen Gesichts noch verschärft, und obwohl ihr Herz dem abgedankten Freier nicht sonderlich nachtrauerte, hatte sich doch eine männerfeindliche Gesinnung in ihr festgesetzt, so daß sie auch seinen unschuldigen Kameraden nur mit tiefer Gleichgültigkeit begegnete.

*

Nun saßen am Abend eines heißen Julitages, der sich durch ein leichtes Gewitter abgekühlt hatte, sämmtliche Bewohner des Eichhorns in der lustigen Veranda beisammen, die an das Eßzimmer sich anschließend in den Garten hineingebaut war. Nur der Wirth, Sor Carlino, wandelte, nachdem auch die Abendmahlzeit vorüber war, durch die schattigen Gänge, in seiner weißen Tracht die Hände auf den Rücken gelegt, einen rothen Feß auf dem Hinterkopf, unter dem die schwarze Locke hervorkam. Er rauchte eine große schwarze Cigarre und träumte so vor sich hin, von seinem immer mehr aufblühenden Geschäft, dem bestellten Faß Olivenöl, das auf sich warten ließ, dazwischen wohl auch von der Frau, die nun schon drei Jahre unter der Erde ruhte.

In der Veranda selbst ging es sehr stille zu, nur hin und wieder drang ein geflüstertes Wort in die Nacht hinaus durch die schlanken Pfeiler, die das hölzerne Dach trugen. Ein schmaler, an den Ecken abgerundeter Tisch nahm die ganze Länge des Sommerhauses ein, von zwei Lampen erleuchtet, die von der Decke herabhingen und ihr Licht eine Strecke weit auf den runden Grasplatz hinaussandten, in dessen Mitte ein Springbrünnchen leise plätschernd seinen glitzernden Strahl in die Höhe steigen ließ.

Drinnen am Tisch, von dem Schüsseln und Teller abgeräumt und nur Bierflaschen übrig geblieben waren, saß eine bunte Künstlergemeinde, am oberen Ende drei ziemlich nachlässig gekleidete Jünglinge in ein Kartenspiel vertieft und heftig aus kleinen Pfeifen rauchend. Dann kam Einer, dessen Gesicht man nicht sah, da er die Arme auf den Tisch und den Kopf auf die Hände gestützt hatte und von der Hitze des Tages in leichtem Schlummer ausruhte. Neben diesem ein seltsames Paar, ein nicht mehr ganz junger Mann, ziemlich beleibt, den runden geistreichen Kopf mit seidenweichem schwarzem Haar an die Bretterwand zurückgelehnt, während er eine Cigarrette nach der anderen rauchte und unverwandt zur Hängelampe hinaufschaute. Sein Nachbar zur Linken, ein dünner zwanzigjähriger Blondin, redete beständig halblaut in ihn hinein, was der Andere dann und wann mit Achselzucken oder einem kurzen Auflachen erwiderte.

Der Nächste in der Reihe war ein stämmiger junger Mann mit einem häßlichen aber sehr anziehenden Gesicht und einer hohen Stirn unter kurz gehaltenem röthlichem Haar. Er hatte vor sich auf dem Tisch ein Zeichenbuch liegen und war eifrig daran, eine angefangene Skizze zu vollenden.

Den Beschluß der Tafelrunde, die freilich nur die eine Seite einnahm, da Alle gern in den Garten hinaussahen, bildeten zwei Malweibchen, bei denen die Tochter des Hauses saß, die ihnen Unterricht im Italienischen gab, da die Künstlerinnen darauf hofften, über kurz oder lang das gelobte Land zu betreten. Sie sagten ihre Lection auf, die in einzelnen Sätzen der Umgangssprache bestand, wie Rita sie ihnen aus einem kleinen Lehrbuch aus Deutsch vorsagte. Ihr Deutsch klang reiner und richtiger, als die Übersetzungen der beiden Fräulein. Sie hatte ohne viel Unterricht sich der fremden Sprache vollkommen bemächtigt, nur gegen das Sie im Plural bei der Anrede hegte sie eine unbezwingliche Abneigung und beharrte bei dem heimathlichen Ihr, mit dem sie sich auch am liebsten selbst anreden hörte.

Sie saß auf einem niederen Gartenstuhl, in einer alten Jacke von roher Seide, schief über der vollen Brust zugeknöpft, da die Gesellschaft ihr nicht wichtig genug war, auf ihren Anzug besondere Sorgfalt zu verwenden. Das reiche, glänzende Haar war im Nacken in einen dicken Knoten zusammengenommen, den ein silberner Pfeil festhielt. Der schöne starke Hals, von der Farbe des alten Elfenbeins, hob sich frei auf den reizend gewölbten Schultern, und in den bräunlichen Wangen schimmerte ein leichtes Roth. In der einen Hand, die nicht klein, aber von edler Bildung war, hielt sie das Büchlein, mit der anderen strich sie leise das dichte Fell ihres Micetto, der spinnend in ihrem Schooße lag.

Ein größerer Gegensatz war kaum zu denken, als zwischen dieser königlichen Prachtgestalt und den beiden deutschen Malerinnen ihr gegenüber.

Die Eine zwar hatte einen runden blühenden Kopf mit ein paar feurigen braunen Augen und einem rothen Mund unter dem herausfordernden Stumpfnäschen. Dazu gab ihr der krause schwarze Tituskopf, nach dem ihr die Collegen den Spitznamen »der Pudel« angehängt hatten, den Anstrich eines kecken Jungen, der aus Versehen Mädchenkleider angezogen hätte. Ihre Figur war nur leider auch wenig weiblich gerathen, wenn auch nicht ganz so dürftig, wie die ihrer Freundin. Die war ein blasses, blutarmes Wesen mit zierlichem Kindergesicht, doch ohne jugendliche Frische. Das blonde Haar trug sie frei bis auf die schmächtigen Schultern herabfallend, oben an der Stirn gescheitelt. Die Maler nannten sie das Madönnchen, doch ohne sonderlich andächtige Verehrung.

Ihre bürgerlichen Vornamen waren Lorchen und Lucinde.

Schon eine Stunde hatte die kleine Gesellschaft in der gleichen Verfassung verharrt, da erklangen auf dem Kiesweg, der zu der Veranda führte, rasche männliche Schritte und das Geräusch eines Rades, und in den Lichtkreis, der von den beiden Lampen hinausgeworfen wurde, trat eine hohe, schlanke Gestalt in grauem Reiseanzug, von einem Bahndiener gefolgt, der auf einer Schiebkarre einen Koffer und verschiedene Sachen, die zur Ausrüstung eines Malers gehören, dem Herren nachgefahren hatte.

Dieser blieb vor den Stufen der Veranda einen Augenblick wie geblendet stehen. Dann nahm er das Strohhütchen ab, schwenkte es nach innen und rief: Guten Abend, Wilm! Kann man hier noch unterkommen?

Auf den plötzlichen Anruf fuhr der junge Mann, der an der Skizze gezeichnet hatte, in die Höhe, breitete beide Arme aus und rief: Ist er es wirklich? Gerhard, altes Haus, also hast du meinen Brief doch erhalten und warst nur zu faul, wenigstens ein Telegramm an mich zu wenden! Nu Gott sei Dank, daß du die Ermahnungen deines alten Socius doch nicht in den Wind geschlagen hast. Hier, meine Herrschaften, habe ich die Ehre, Ihnen meinen Freund und Dresdener Akademiegenossen vorzustellen, Herrn Gerhard Lürsen, famosen Thiermaler und holsteinischen Koller, den ich beredet habe, sich einmal den Birkenheider Viehstand anzuprobieren. Du sollst hier Augen machen, mein Sohn! Und auch was den Menschenschlag betrifft, können wir uns hier sehen lassen.

Er warf einen blinzelnden Blick nach Rita, die ruhig zu dem Fremden aufgeblickt hatte. Auch die Anderen hatten sämmtlich seine Erscheinung mit scharfen Maleraugen gemustert und die stille Bewunderung seiner Gestalt und des schönen Kopfes mit dem reichen blonden Haar und den leuchtenden blauen Augen war allgemein.

Das Anziehendste an dem zartgefärbten Gesicht war ein zuweilen hervortretender schwermüthiger Zug, der das sonst offene jugendliche Gesicht plötzlich ohne erkennbaren Grund verdüsterte, so daß man zu der Vermuthung kam, irgend ein Schicksal habe den jungen Mann älter gemacht, als seine Jahre.

Wilm war zu ihm hingesprungen und hatte ihn herzlich umarmt.

Wie ist es, Fräulein Rita? fragte er. Habt Ihr für meinen Freund noch ein Zimmer, oder sind die beiden leeren schon anderweitig bestellt?

Das Mädchen war aufgestanden, hatte den Kater sanft von ihrem Schooß abgeschüttelt und erwiderte mit ihrer klangvoll dunklen Stimme: Nummer 9 ist noch frei. Ich werde es sogleich bereit machen lassen. Wenn der Herr vorher noch etwas zu speisen wünscht –

Er habe schon in der Stadt gegessen, bitte nur um ein Glas Bier.

Sie neigte leicht den Kopf und verschwand im Hause.

Gleich darauf kam der Kellner und stellte Flasche und Glas auf den Tisch, einen Stuhl heranrückend. Der neue Gast aber blieb stehen, und Wilm beeilte sich, ihn mit den übrigen Collegen und Colleginnen bekannt zu machen. Er gab dabei gleich sein ganzes curriculum vitae zum Besten, wie er als Sohn eines Gutsbesitzers in der Marsch ausgewachsen sei, dort seinen Thiersinn entdeckt und nach Husum gekommen sei, neben der Schule Zeichenunterricht zu nehmen. Auch ein famoser Landschafter stecke in ihm, und hier, wo für Beides gesorgt sei –

Gerhard legte ihm die Hand auf den Mund und verbat sich alle freundschaftliche Überschätzung. Er hoffe hier von den Herrn Collegen zu lernen, da er sich ganz ruiniert haben würde, wenn er länger auf der pedantischen Akademie geblieben wäre.

Damit traf er es bei den jungen Herren, die sich gegen jeden Schulzwang sträubten. Man trank ihm zu und war von seinem bescheidenen Auftreten sehr freundlich berührt, zumal man wußte, daß Wilm eher zu streng als zu milde zu urtheilen pflegte.

Dann kam auch der Wirth aus dem Garten herein und begrüßte in seinem wunderlichen Deutsch den Fremden. Und nach einer halben Stunde erschien Rita wieder und meldete, daß das Zimmer bereit sei. Wenn etwas fehle, möge er es der Magd mittheilen.

*

Wilm begleitete den Freund hinauf. Schon auf der Treppe konnte er sich nicht enthalten, zu fragen, ob er wohl gesehen habe, welch famoses Exemplar der italienischen Rasse sie an ihrer jungen Wirthin besäßen. Er möge sich aber nur hüten, sich in sie zu verlieben. Bei all ihrer Schönheit sei sie ein »Bild ohne Gnade« und trage unter der hochgewölbten Brust einen Stein statt des Herzens. Freilich – sie habe eine üble Erfahrung mit deutschen Malern gemacht – (er erzählte die Geschichte von der gelösten Verlobung) – und man könne es ihr nicht verdenken, wenn sie sich an allen Mannsbildern durch verächtliche Kälte dafür räche. Aber selbst die geringste Vertraulichkeit strafe sie wie ein Verbrechen. Siehst du, sagte er, da sie eben in Nummer 9 eintraten, gerade in diesem Zimmer hat einer unserer anständigsten Kameraden gewohnt, nur als er einmal etwas zu viel Asti spumante getrunken hatte –, die Perle unseres Kellers – und auf der dunklen Treppe der Rita begegnete, ließ er sich's einfallen, sie zu umfassen und auf den Hals zu küssen. Noch denselben Abend mußte er, obwohl er kniefällig um Verzeihung bat, das Haus verlassen.

Sei ganz unbesorgt, versetzte der Andere. Das Mädchen ist allerdings eine Schönheit, doch nicht mein Geschmack, und überdies werde ich nicht in Versuchung kommen, da ich verlobt bin.

Verlobt? Und davon hast du mir nichts gesagt?

Ich dachte wirklich nicht, daß dich's interessieren würde. Übrigens ist's eine alte Geschichte!

Die dir hoffentlich nicht das Herz entzwei bricht. Denn ehrlich gesagt –

Du brauchst mir nicht die üblichen Vorstellungen zu machen über das Unheil zu früher Verlobungen junger Künstler. Ich bin so sicher, wie meines Daseins, daß diese Verbindung mein Glück sein wird. Ich habe Lottchen schon als kleines Mädel gekannt, sie war die Tochter unseres Pfarrers, und als der Vater starb, zog sie mit der Mutter nach Husum. Da, während meiner Schulzeit, hab' ich die Bekanntschaft fortgesetzt, bis wir dann beide einsahen, daß wir fürs Leben zusammengehörten. Natürlich haben wir noch drei, vier Jahre zu warten. Ich muß erst meine Studienzeit gründlich durchmachen.

Hm! brummte der Andere, also eine Pfarrerstochter! Unter uns Pfarrerstöchtern pflegt in der Regel nicht viel Kunstsinn zu herrschen. Hoffentlich aber interessiert sich die Deine nicht bloß für dein angenehmes Äußere, sondern auch für deine Malerei.

Oh, versetzte Gerhard eifrig, darüber kannst du ganz ruhig sein. Wenn du gesehen hättest, wie sie schon als ganz kleines Ding mir nicht von der Seite wich, wenn ich ein Schaf oder eine Ziege zeichnete! Das eigentliche Kunst verständniß freilich, das kann ich noch nicht von ihr verlangen, das wird erst in der Ehe nachkommen. Und sie hat Augen, die das Schönste erwarten lassen. Willst du sie sehen?

Er zog eine kleine Photographie aus der Tasche.

Das ist die letzte Aufnahme, vom vorigen Jahr. Ich gestehe, daß sie mich etwas fremd anschaut, ich habe sie, seit ich auf die Akademie kam, nicht wiedergesehen, aber ich höre, sie ist seitdem noch schöner geworden. Wie gefällt sie dir?

Wilm betrachtete mit einer Miene, aus der nicht klug zu werden war, das ziemlich alltägliche zwanzigjährige Mädchengesicht in einer unvortheilhaften Kleidung, mit hellen großen Augen, die einen etwas verhimmelten Ausdruck hatten.

Sie ist recht hübsch, sagte er, indem er das Kärtchen zurückgab.

Die Mutter schrieb, alle Bekannte fänden, daß das Bild unvortheilhaft sei. Ich würde mich selbst bald davon überzeugen, da sie gesonnen sei, mit Lottchen mich zu besuchen.

Hier?

Ja, hier, da ich ihr nach deiner Beschreibung Birkenheide wie ein kleines Paradies geschildert habe.

Nun, dann wünsche ich viel Vergnügen. Jetzt aber – es ist nachtschlafende Zeit, ich möchte dich morgen früh abholen, da gewisse Lichteffecte gerade in der Frühe sehr interessant sind. Gute Nacht, mein Sohn! Schlaf wohl. Fräulein Rita hat dir ein blütenweißes Bett zurecht gemacht.

So ging er aus dem Zimmer.

*

Er war drei Jahre älter als der Freund und hatte, da er mit der Akademie fertig war, es in Dresden nur noch ausgehalten, weil er dem Zauber dieser schlanken Siegfriedgestalt und der Unschuld seines Wesens bei dem größten Talent nicht widerstehen konnte.

So hatte er eine Art mütterlicher Autorität über den Jüngeren ausgeübt, der dieser sich willig unterwarf. Jetzt in seinem Zimmer bei einer einzelnen Kerze zurückgeblieben, beschlich den neuen Ankömmling eine seltsame Verstimmung. Was der Freund über seine Verlobung gesagt oder zu sagen sich gehütet hatte, klang unerfreulich in ihm nach. Zum ersten Mal ertappte er sich auch darauf, das Bild seiner Braut »unvortheilhaft« zu finden. Er steckte es hastig in die Brieftasche zurück und wollte daran gehn, seinen Koffer auszupacken und das Bündel der zerlegbaren Staffelei und des Feldstühlchens aufzuschnüren. Mitten in diesem Geschäft ließ er wieder davon ab, kühlte sich noch im Waschbecken Gesicht und Hände und legte sich nieder, ohne doch das Licht schon auszulöschen.

Er ließ seine Augen in dem Zimmer herumgehn, das geräumiger und durch die einfachen hellen Möbel und weißen Vorhänge freundlicher war, als sein Stübchen in Dresden. Gleichwohl war ihm nicht heimlich darin zu Muthe, er wußte nicht recht warum. Er konnte sich nicht darüber beklagen, wie er im Hause empfangen worden war, auch die neuen Bekannten hatten ihm gute Gesichter gezeigt. Nur das schweigsame junge Mädchen war unnahbar geblieben, fast als wär' es ihr unlieb, den neuen Gast herbergen zu müssen. Doch was ging sie ihn an? Daß er sich bemühen würde, sie sich geneigter zu machen, sollte sie nicht denken. Und daß ihre Schönheit ihm gefährlich werden könnte? Ein lächerlicher Gedanke.

Gleichwohl mußte er sie sich immer vorstellen, wenn auch mit wachsender Abneigung. Er suchte sie durch das Bild seiner deutschen Liebe zu verscheuchen; es gelang ihm nicht. So lag er aufgeregt und horchte in die Nacht hinaus. Er hatte das Fenster geöffnet und vernahm allerlei unheimliche Stimmen und Geräusche draußen. Nachtvögel schwirrten vorbei, eine Fledermaus huschte ins Zimmer vom Lichtschein verblendet und schoß gleich wieder hinaus, im Stall unten – sein Zimmer lag nach dem Hof hinaus – rührte sich ein Pferd, er mußte endlich aufstehn, das Fenster zu schließen, löschte das Licht und legte sich wieder zu Bett. Sein letzter wacher Gedanke war, daß er es bereute, hiehergekommen zu sein.

Als er aber am andern Morgen erwachte, fühlte er sich frisch und ruhig und in Erwartung der Dinge, die er hier erleben werde. Er fuhr rasch in die Kleider und trat ans Fenster. Da sah er unten im Hof den Knecht damit beschäftigt, ein schönes junges Pferd zu waschen und zu striegeln, das sich, obwohl es an einen Ring angehalftert war, in hitzigem Aufspringen und Mähneschütteln gegen das Bad sträubte. Es hatte ein ganz reines, silbergraues Fell, an Stirn und Brust einen weißen Fleck, ein Prachtgeschöpf, das den kundigen Beschauer oben zu einem lauten Ausruf der Bewunderung hinriß.

Hast du dich schon in Orlando verliebt? hörte er Wilm lachend sagen. Nicht wahr, der lohnt allein schon die Wallfahrt nach Birkenheide.

Gerhard hatte sein Eintreten überhört. Er gab ihm jetzt die Hand und sagte: Ist das die landläufige Rasse hier in der Gegend?

Wo denkst du hin! Orlando ist ein Unicum, die Krone seines Geschlechts. Ein fremder Pferdehändler brachte ihn eines Tages nach dem Eichhorn, den Bauern, die einen schwereren Schlag vorziehen, hatte er ihn umsonst zum Kauf angeboten. Signorina Rita aber – ihn sehen und den Arm um seinen Hals schlingen und dem Alten zurufen: Der muß mein sein! war Eins. Der Wirth hatte ohnehin ein Pferd kaufen wollen, da in der Remise eine alte Kalesche seit Jahren unbenützt stand, und so kaufte er das schöne Thier um schweres Geld, denn der Händler machte sich die Passion des Fräuleins zu Nutze. Für den Wagen taugte er nicht, er schlug unbändig gegen die Deichsel, so oft man ihn einschirren wollte. Aber Rita war das ganz recht. Er war nun wirklich für sie allein da und sie auch die einzige Person, die ihn zu zügeln wußte. Gleich am ersten Tage fing sie an, ihn ihre Herrschaft fühlen zu lassen, schwang sich rittlings in den Sattel und sprengte mit ihm davon. Der Papa war außer sich vor Angst und Schrecken, als aber die tolle Amazone nach einer Stunde wieder in den Hof einritt und sich von dem schaumbedeckten Pferde herabschwang, war er nur Freude und Bewunderung für sein Kind, und seitdem vergeht kaum ein Tag, wo sie nicht ihren Orlando sattelt und ins Weite jagt. Du wirst sehen, wie sie sich dabei ausnimmt. Man muß sein Herz festhalten, um nicht ein Narr zu werden. Aber nun komm, es ist spät, und wir müssen noch erst frühstücken.

*

Das geschah in der Veranda unten, wo der Kellner, ein stiller, etwas ältlicher Mensch, sie bediente. Die anderen Collegen waren schon ausgeschwärmt, wie Bienen, sagte Wilm, die auf den Wiesen draußen ihren Kunsthonig einsammeln. Wir leben sehr verträglich, wirst du sehen. Ein bischen Motivneid natürlich, aber an dem Recht des primi occupantis wird nicht gerührt. Alle Sonntag beim Nachmittagskaffee ist große Ausstellung im Speisesaal. Da hängt Jeder an die Wand, was er in der Woche gesündigt hat, und es wird offnes Gericht darüber gehalten. Jeder sagt seinen Spruch, und Niemand nimmt es übel, da man doch immer am meisten von den Mitstrebenden lernt. Sor Carlino, der ein ganz guter Kenner ist, noch von seinem Prinzen her, giebt seine Meinung nur ab, wenn er gefragt wird. Es fragt ihn aber Jeder. Auch Fräulein Rita besichtigt die Ausstellung, sagt nie ein Wort, aber an ihrem leisen Achselzucken und Naserümpfen erkennt man, was sie denkt. Bricht einmal unwillkürlich ein Oh bello! bravo! aus ihrem schönen Munde, so ist das für den Betroffenen wie eine Medaille erster Klasse.

Indem gingen an der Veranda zwei Verspätete vorbei, der Dicke mit seiner Cigarrette und sein blonder junger Gefährte. Sie grüßten die Freunde höflich und verschwanden auf dem Gartenweg, der ins Freie führte.

Da siehst du, sagte Wilm, unsern Haupthahn, den Einzigen unter uns, der schon ein fertiger Meister ist. Er lebt nur im Sommer in L., das heißt im Eichhorn, im Winter in Paris, wo er sehr geschätzt wird. Auch ist er selbst ein halber Franzose, von der Mutterseite, der Vater war ein jüdischer Banquier, Abraham Solms, der falliirte und den Sohn ziemlich mittellos zurückließ. Das kümmert den wenig. Die Kunsthändler reißen sich um seine Sachen, und er verkauft Alles von der Staffelei weg. Der Blonde, der sich immer an ihn hängt, ist nicht ohne Talent. Aber vor lauter »Richtungen«, für die er sich interessiert, hat er verlernt, seiner eigenen Nase nachzugehen, die den guten Menschen in seinem dunklen Drange in gerader Richtung zur Natur zu führen pflegt. Solms hat Mitleid mit ihm und duldet sein doctrinäres Geschwätz, hält ihn aber bei seinen Studien zu redlichem Nachmachen dessen an, was ihm vor der Nase liegt.

Aber nun trink aus und laß uns gehen!

Rita hatte sich nicht blicken lassen. Nur Sor Carlino war einen Augenblick erschienen, um zu fragen, wie sein neuer Gast geschlafen habe. Dann gingen die Beiden hinaus, und Wilm machte den Cicerone bei allen Sehenswürdigkeiten der sommergoldenen Landschaft.

Er freute sich, daß Gerhard mit feinem Sinn aller Schönheiten inne wurde, an denen sie vorüberkamen. Nicht zum Wenigsten fand er an der Rinderheerde Gefallen, die auf einem schon abgeernteten breiten Grasanger weidete, in malerischen Gruppen bei einander liegend oder schwerfällig herumwandelnd. Es war ein ganz anderer Schlag als in seiner Heimath, leichter gebaut und kleinhörniger, und zwischen den rothgescheckten standen einzelne ganz schwarze, die ein wenig an Büffel erinnerten. Hier wird es Arbeit geben, sagte Gerhard. Und die lieblichen landschaftlichen Hintergründe! Ich danke dir, daß du mich hergelockt hast.

Wilm's kluges Gesicht überflog ein glückliches Lächeln. Ja, mein Sohn, sagte er, greif nur hinein ins volle Rind- und Pferdeleben. Du wirst in Einem Sommer nicht fertig werden. Sieh, da sitzen auch unsere Schwestern in Öl- und Wasserfarben. Den guten Mädeln, die sehr wenig Geld und nicht allzu viel Talent haben, wird hier wohl, wie Vögeln im Hanfsamen. Sie wohnen in Einem Zimmer und bezahlen nur die halbe Pension, da sie bei den Bauern ein Abonnement auf saure Milch und Schwarzbrod haben und die cena entbehren können. Die Schwarze da, unser »Pudel«, schickt dann und wann einen Kitsch nach irgend einer Ausstellung, der seiner Billigkeit wegen leicht einen Liebhaber findet. Auch ist sie übrigens ganz geschickt, nur daß sie eine Schwäche hat für Sonnenuntergänge und Gewitterstimmungen, für die ihre Kraft nicht ausreicht. Ihre Freundin, das »Madönnchen«, ist von Haus aus Blumenmalerin, und die Lucinde führt sie zum ersten Mal ins Landschaftern ein, wofür sie vielleicht mehr Talent hat, als für Rosen und Vergißmeinnicht.

Sprich nun auch endlich einmal von dir, sagte Gerhard. Hast du hier schon viel fertig gebracht?

O ich – rief der Andere – von mir laß mich lieber schweigen! Mich hat der Herrgott in seinem Zorn zum Maler werden lassen. Ja, wenn ich ohne Hände geboren wäre, wäre ich der größte Landschafter aller Zeiten und Völker geworden. Siehst du, mein Sohn, wenn ich mich hierhersetze und dies reizende Stück Wiese am Fluß und drüben den jungen Eichenhain mit der weißen Wolke drüber sehe, gerathe ich vor Entzücken außer mir, fange geschwind eine Studie danach an und nehme mich höllisch zusammen, alles auf den Karton zu bringen so wie ich's sehe. Dann, hab' ich's nach Hause gebracht, merk' ich, daß Alles kalt und todt und höchstens mit etwas Chic und Schmiß wiedergegeben ist, aber kein Hauch vom eigentlichen Zauber der Natur. Und dann fahr' ich mit einem Pinsel voll Roth drüber hin, was meine Beschämung symbolisch ausdrücken soll, aber durch Schaden wird man nicht klug, am andern Morgen roll' ich wieder das Sisyphusrad den Berg hinauf. Da lob' ich mir meine Karikaturen für Witzblätter und Zeichnungen für illustrierte Zeitungen, die keine künstlerischen Ansprüche machen, deren brauch' ich mich nicht zu schämen, und sie schützen mich doch vor dem Verhungern.

*

Zum Mittagessen, um zwölf Uhr, fand sich die ganze Colonie in der Veranda wieder zusammen.

Gerhard saß neben Wilm, dem Garten den Rücken zukehrend, den beiden Malweibchen gegenüber, von denen der »Pudel« ihm beständig bewundernde Blicke zuwarf. Auch fing sie eine Unterhaltung mit ihm an, die er nur aus Höflichkeit fortsetzte. Das »Madönnchen« schwieg und hielt die Augen beständig auf ihren Teller gesenkt.

Es wurde während des Essens überhaupt nicht viel gesprochen. Alle waren von der Arbeit ermüdet und hungrig. Der Kellner trug die großen Schüsseln herein und setzte sie auf den Tisch, indem er es den Gästen überließ, sie herumzureichen. Es waren einfache, aber vortrefflich zubereitete italienische Gerichte, unter denen auch Fleisch nicht fehlte. Seit das Eichhorn in Flor gekommen war, wandte Sor Carlino etwas mehr auf den Tisch seiner lieben Maler, ohne die Pension zu erhöhen.

Den Beschluß machte ein riesiger Klumpen eines Gorgonzola, den der Wirth aus Italien bezog und niemals fehlen ließ. Auch einige frutti di stagione wurden aufgetragen. Am Wein aber konnte er nicht zu seinem Schaden kommen, da nur Solms einen Schoppen vor sich stehen hatte, alle Übrigen Bier oder Wasser tranken.

Gleich bei der Suppe war auch Rita in der offenen Thür des Eßzimmers erschienen, nicht um dem Kellner an die Hand zu gehn, sondern ein Auge darauf zu haben, daß es an Nichts fehle. So stand sie wie eine Karyatide an der Schwelle und überblickte die Tafel, ohne bei einem der Gäste besonders zu verweilen. Sie war nicht in der nachlässigen Toilette von gestern Abend. Eine Blouse von leichter hellgrüner Seide umschloß ihre Brust und Arme bis an die Ellenbogen, von einem eigenen Schnitt, den sie, da sie ihre Kleider selbst machte, nach ihrem Geschmack sich ausgedacht hatte. Oben um den Hals lag ein ziemlich breiter Kragen von alten Spitzen, mit einer goldenen Nadel zusammengehalten, und große Ringe aus dünnem Gold hingen in den Ohren. Bei ihrem Eintritt richteten sich alle Blicke auf sie.

Donner und Doria! raunte Wilm dem Freunde ins Ohr, schau nur einmal, wie unsere gestrenge Padrona sich herausgeputzt hat! So viel wendet sie an sich sonst nur an hohen Feiertagen. Wenn sie's heut mitten in der Woche gethan hat, so that sie's deinetwegen, damit dir endlich die Augen aufgehn, die bisher blind gewesen sind. Du mußt wenigstens gestehen, daß sie Stil hat.

Gerhard warf einen flüchtigen Blick auf das schöne Geschöpf und zuckte die Achseln. Mein Stil ist es nicht! murrte er vor sich hin.

Nun ja, lachte der Andere, den deinen kennen wir. Er mag auch seine Reize haben, obwohl er nicht so klassisch ist.

Dann sprachen sie von Anderem, und nur Wilm warf zuweilen einen Blick nach der Statue an der Thür.

Als der Kaffee in kleinen Tassen herumgereicht wurde und die Meisten zu rauchen anfingen – auch »der Pudel« zündete eine Cigarrette an, die Solms ihm ritterlich angeboten – erhob sich Gerhard unter dem Vorwand, er wolle einen kühlen Winkel im Garten suchen, um zu schlafen, ging aber auf sein Zimmer hinauf und warf sich mißmuthig aufs Bett, ohne über den Grund seiner Verstimmung ins Klare zu kommen. Er suchte sich dann zu beschäftigen, indem er endlich seine Siebensachen auspackte und in den Schrank that. Als das geschehen, fing er an, einen Brief an sein Lottchen zu schreiben, kam aber nicht weit damit, da er ihr nicht gestehen wollte, so schön er es hier gefunden, sei er doch nicht recht seines Hierseins froh.

Er warf die Mappe in den Koffer zurück, nahm seinen Hut und ging in den Hof hinunter.

Der Hausknecht stand vor dem Stall, Gerhard redete ihn an und bat, ihn zu dem schönen Pferde hineinzulassen, das er vom Fenster aus bewundert habe. Damit gewann er das Herz des Burschen, der auf seinen Zögling stolz war. Sie traten in den Stall, und Gerhard studierte lange und liebevoll alle die einzelnen Schönheiten des jungen Hengstes, der ungeberdig an seiner Halfter zerrte, die rosigen Nüstern blähte und mit dem ungestutzten Schweif sich die feinen Flanken peitschte.

Er ist ungeduldig, weil ihn um die Stunde gewöhnlich das Fräulein ausreitet, sagte der Knecht.

In diesem Augenblick erschien das Gesicht Rita's im Rahmen der Stallthür. Doch da sie Gerhard erkannte, verschwand sie sofort. Er wollte ihr nach, sich zu entschuldigen, wenn er ohne ihre Erlaubniß hier eingedrungen wäre. Als er aber in den Hof hinaustrat, war nichts mehr von ihr zu sehen.

*

Den Rest des Tages verbrachte er damit, in der Gegend am Flusse herumzuschlendern, den Hügel mit dem Birkenwäldchen zu ersteigen und überall nach »Motiven« zu spähen. Wenn er damit Glück haben sollte, mußte er allein sein. Selbst ein so vertrauter Gefährte, wie Wilm, hielt seiner Phantasie alle künstlerischen Eingebungen fern.

Er traf auch seine Wahl für die Stelle, wo er am nächsten Morgen zu arbeiten anfangen wollte. Und da ihm auch die Bauersleute, denen die betreffende Scheune, von Ahorn überschattet, die Wiese davor und die Kühe die daraus weideten, gehörten, sich sehr zuthulich zeigten und ihn baten, nur ganz nach Belieben sich hier niederzulassen, verflog sein Unmuth, und er kehrte mit heiterer Stirn nach dem Eichhorn zurück.

Der Abend verging in der Veranda fast genau so wie gestern, wieder zogen die Drei am oberen Ende, sobald abgetafelt war, die Skatkarten heraus, und am unteren Ende nahm die italienische Lection ihren Fortgang, obwohl Lucinde durch die Gegenwart des blonden neuen Gastes ein wenig zerstreut wurde. Rita aber saß, ohne ihn zu beachten, zwischen den beiden Schülerinnen und corrigierte ihre Fehler und ihre Aussprache. Sie war nicht mehr im Putz wie am Mittag. Die gelbe Jacke hatte wieder herhalten müssen. Nur war sie heute nicht wieder schief über dem Busen zugeknöpft.

Eins jedoch unterschied das Heute vom Gestern. Der junge Nachbar und Zögling, der gestern in Solms halblaut hineingesprochen hatte, schien den Ehrgeiz zu fühlen, seinen Hörerkreis zu erweitern.

Mit sehr vernehmlicher Stimme gab er seine treuesten Kunstanschauungen zum Besten, die er aus allerhand Zeitschriften sich zusammengelesen hatte. Die Doctrin von dem Segen der »Bodenständigkeit«, dem Bedürfniß nach einer »Heimathkunst«, der Andacht zum Unbedeutenden und dem Bestreben, alles akademische Componieren zu verbannen und der »Stimmung« das letzte Wort zu lassen, hatte vor Kurzem sich hervorgethan und rasch begeisterte Anhänger gewonnen, zumal es vielen nur beschränkt Begabten sehr willkommen war, aus der Noth eine Tugend machen zu dürfen.

Solms ließ den sonderbaren Schwärmer nach seiner Gewohnheit ruhig docieren; er wußte, daß diese neueste Richtung vielleicht schon übermorgen in dem jungen Köpfchen von einer allerneusten verdrängt werden würde. Als aber der eifrige Verfechter einer localisierten Kunstübung davon anfing, es wäre schön, wenn sie diese Gegend zu ihrer Heimath erwählten und eine geschlossene Gruppe der Birkenheider vorstellten, wie es vor Kurzem die Worpsweder Collegen gethan, meldete sich Gerhard zum Wort und fing an, in sehr ruhiger aber bestimmter Weise gegen eine solche Verengerung des künstlerischen Horizonts zu protestieren. Er sprach so eindringlich bei aller Schlichtheit und mit einem so warmen Ton, daß der Gegner, nach einigen unglücklichen Versuchen, den Angriff zu parieren, einsah, daß er den Kürzeren gezogen.

Ich bin erst seit gestern hier, schloß Gerhard, und habe in diesem grünen Bezirk bereits eine solche Fülle landschaftlicher Schönheiten gefunden, daß ich wohl begreife, man könne in Jahren nicht damit fertig werden, auch nur die reizvollsten Motive zu verwenden. Und doch, auch wenn die hiesigen Formen und Farben noch charakteristischer wären, – wie könnte man ein Leben daran setzen, während die Welt so unerschöpflich ist an Naturschönheiten aller Art! Ich liebe gewiß meine Heimath. Aber immer nur an ihr zu hängen, würde mir eine Gefangenschaft dünken. Wollen Sie meine Meinung über die Frage in vier Zeilen wissen, so ist sie in folgendem Vers enthalten, den ich neulich gelesen habe und der überschrieben war: »Heimathkunst«, mit einem Fragezeichen:

Soll'n wir uns an die Scholle binden,
Auf die Geburt uns hingestellt?
Ist in der weiten Gotteswelt
Nicht unsre Heimath, wo wir Schönheit finden?

Es blieb eine Weile still in der Tafelrunde, nachdem diese Worte verklungen waren. Aller Augen waren auf den Sprecher gerichtet, der still in sich gekehrt da saß, ohne einen Zug auf seinem hellen Gesichte, der eine eitle Überhebung verrathen hätte. Die italienische Lection war längst ins Stocken gerathen, die Malweibchen hingen an den beredten Lippen des Sprechers, nur Rita saß mit gesenkten Augen, Micetto streichelnd, als ob ihr Geist weit in der Ferne schweifte.

Dann begann Solms zu reden, in seiner feinen Weise Gerhard beistimmend und, da er von seinen französischen Erlebnissen erzählte, das Gespräch aus der theoretischen dürren Heide ins frische Leben hinausführend. Sogar die Skatspieler legten die Karten hin und hörten andächtig zu.

Als man auseinanderging, hatte man das Gefühl, dem neuen Collegen dankbar sein zu müssen, daß man einen Abend nicht in der früheren öden Langenweile hingebracht hatte.

*

Am andern Morgen machte sich Gerhard, noch eh' der Thau von den Wiesen vergangen war, an die Arbeit.

Auf dem Grasanger vor der Scheune hatte er sein Feldstühlchen aufgestellt und, eine große Zeichenmappe auf den Knieen, angefangen, das Vieh, das in den verschiedensten Gruppen herumstand, zu studieren. Mit der Farbe wollte er erst morgen beginnen.

Die Bauersleute hatten ihm erst eine Weile zugeschaut, da sie aber nur Kohlenstriche, keine Farben auf dem weißen Bogen sahen, sich wieder zurückgezogen.

Es war ein klarer Hochsommermorgen, am Himmel kein Wölkchen, doch schön kam die Sonne über dem Birkenhain heraus, und der Maler, der sie im Rücken hatte, bedauerte, seinen Schirm zu Hause gelassen zu haben. Er wollte nur rasch die eben angefangene Zeichnung fertig machen, um sich dann in den Schatten des Hauses zurückzuziehen.

Da sah er auf der thaubeperlten Wiesenflur einen schlanken Schatten herankommen, wandte den Kopf einen Augenblick und erkannte Rita, die, einen Korb am Arm, auf das Haus zuging, wo sie Einkäufe an Butter und Eiern zu machen hatte.

Er nickte ihr zu, als sie herangekommen war, fuhr aber sogleich in seiner Arbeit fort und sah nicht um, als sie hinter ihm ins Haus ging.

Nach einer kleinen Weile hörte er, daß sie wieder herauskam. Sie soll nicht denken, sagte er für sich hin, daß mir was an ihr liegt. Auch als sie sich ihm näherte und hinter ihm stehen blieb, that er, als bemerke er ihre Gegenwart nicht.

Da hörte er sie mit ihrer ruhigen Altstimme sagen: Verzeiht, Herr, ich will Euch nicht stören, ich möchte nur fragen, warum macht Ihr das?

Auch jetzt sah er noch nicht nach ihr um.

Warum ich das mache? sagte er belustigt. Weil ich ein Maler bin und diese Thiere mir gefallen.

Thun sie das wirklich? Ihr habt gestern Abend gesagt, Eure Heimath sei, wo Ihr Schönheit findet. Dann kann Euch doch hier nicht heimlich sein, denn diese Thiere sind doch nicht schön.

Meint Ihr? Ist nicht jedes Geschöpf schön, das die Natur nach ihrem Willen rein und stark geschaffen hat?

Diese dicke rothe Kuh – vielleicht gefällt Euch die Farbe –

Auch der ganze Bau und der schwermüthige Kopf mit dem weißen Hörnerpaar. Und vollends dort das schwarze Bullenkalb – seht nur, wie feurig es herumtollt, und aus den Augen funkelt ihm die Jugendlust.

Es wird auch eine plumpe Maschine werden, wie die anderen. Und überhaupt – warum, auch wenn die Thiere schön wären, – sind Menschen nicht schöner? Warum malt Ihr nicht lieber schöne Menschen? Keiner von den Herren giebt sich mit Kühen und Kälbern ab. Sie malen Landschaften, die sind auch nicht so schön, wie Menschen, aber sie erinnern an Gegenden, in denen man gern spazieren ging. Warum malt Ihr nicht auch lieber unsere Wälder und Wiesen und den klaren Fluß dazwischen?

Er sah nun doch zu ihr auf. Sie trug ein gelbes Tuch um ihren dunklen Kopf, wie die Bäuerinnen hier, wenn sie aufs Feld gingen. Ihr schönes Gesicht darunter war ganz bleich, die bis an den Ellenbogen nackten Arme aber von einem bräunlichen Ton. Seinen Blick hielt sie ganz ruhig aus.

Fräulein Rita, sagte er freundlich, Ihr thut kluge Fragen. Ihr müßt aber wissen, wo ich zuerst zu zeichnen anfing, auf dem Gut meines Vaters, da waren keine schönen Menschen; die Rasse dort ist derb und ohne Anmuth. Da gefielen mir die Thiere viel besser, sie hielten auch still. Freilich, ich hätte lieber die Löwen und Bären gezeichnet, die ich in meinen Bilderbüchern fand. Die kamen mir aber in meiner Heimath nicht zu Gesicht.

Aber Pferde waren doch wohl dort. Ist ein schönes Pferd, wie etwa der Orlando; nicht schöner als ein Ochs?

Ja der Orlando! Den würd' ich gern malen.

Er wird nicht stille stehn. Vorm Jahr hat schon Einer es versucht, er wollte mir das Bild schenken, daß ich doch ein ricordo hätte, wenn er einmal todt wäre. Er kam aber nicht damit zu Stande. Doch auch das schönste Pferd – was ist es gegen einen schönen Menschen? Die großen alten Maler haben sich nie mit Thieren abgegeben. Raffaello zum Beispiel – ich bin einmal in den Vatican hinaufgekommen, ein paar deutsche Damen, meine Freundinnen, nahmen mich mit – welche Wunder sind da an die Wände gemalt, die schönsten Menschen, alt und jung, herrliche Frauen oben an der Decke, auf einem Bild freilich auch Pferde, da es ein Schlachtenbild ist. Aber Kühe und Kälber – dafür war der Raffaello zu gut. Und Ihr – –!

Er lachte etwas verlegen. Ja, Fräulein Rita, erstens bin ich kein Raffaello und dann – wir haben ein Sprichwort: In der Noth frißt der Teufel Fliegen. Wenn ich hier schöne Menschen malen wollte – wo fände ich sie? Nicht mehr als in meiner holsteinischen Heimath. Ihr selbst aber – habe ich nicht gehört, daß Ihr keinem Maler erlaubt, ein Bild von Euch zu machen?

Ein Schatten flog über ihr Gesicht. Von mir ist nicht die Rede. Überhaupt, was geht mich's an, was Ihr schön findet? Verzeiht, daß ich mit meinem Geschwätz Euch gestört habe. Addio!

Sie nickte leicht mit dem Kopf und ging, ohne eine Antwort abzuwarten, mit ihren ruhigen leichten Schritten von ihm weg auf dem Weg, der nach dem Eichhorn führte.

*

Er sah ihr nach, so lange sie noch sichtbar blieb. Freilich, eine solche Gestalt, die war mehr der Mühe werth als da drüben vor der Scheune die wiederkäuende rothe Kuh.

Und was sie sonst noch gesagt hatte, wie einfach und auf sich selbst beruhend dies ganze Mädchen – ohne sonderliche Bildung nach dem herkömmlichen Begriff, doch mit einem sicheren Instinkt für das Rechte und Schöne begabt – –

Er hatte ein Gefühl von Beschämung, das ihm den goldenen Tag in einen grauen Schleier hüllte. Unmöglich, an der begonnenen Zeichnung weiterzuarbeiten oder nur mit den Augen zu studieren. Eine Weile saß er noch vor sich hin brütend, dann klappte er die Mappe-zu, stand auf und wandelte ziellos gegen das Wäldchen hin, das über die sonnigen Wiesen ihm schattig zuwinkte.

Dort streckte er sich ins hohe Gras und versank in eine dumpfe Träumerei. Es verdroß ihn, daß ihn dies fremde Mädchen, das ihn gar nichts anging, in einen Zwiespalt mit seinem künstlerischen Gewissen hatte bringen können, durch ein hingeworfenes Wort, das er durchaus nicht gelten zu lassen brauchte. Sollte er wirklich sich vorwerfen müssen, daß er mit seiner Thiermalerei nur einem bequemen Hang gefolgt sei, eine Specialität auszubilden, in der er's trotz seiner Jugend schon zu einer gewissen Virtuosität gebracht und sogar etwas Ruhm erlangt hatte? Denn seine letzten Bilder hatten schon Käufer gefunden.

Wieder wandelte ihn die Reue an, daß er überhaupt hergekommen war. Und dann sah sein redlicher Sinn in dieser Reue nur ein Zeichen von Schwäche, und er kam aus dem Streit der Gedanken, die sich anklagten und entschuldigten, nicht heraus.

So geschah es auch, daß er beim Mittagstisch in der Veranda verspätet eintraf. Wilm, den danach verlangte, seine erste Studie zu sehn, mußte eine kurze Abweisung hinnehmen; er sei überhaupt dahintergekommen, daß an dem hiesigen Schlag der Rinder wie der Pferde wohl nicht viel für ihn zu holen sei.

Dann verstummte er, und nachdem er hastig gegessen hatte, zog er sich in sein Zimmer zurück.

Nachdem er tiefsinnig rauchend eine Stunde lang hin und her gegangen war, dachte er, daß ihm wohler werden möchte, wenn er den angefangenen Brief an seine Braut zu Ende schriebe. Er zwang sich in eine heitere, ja zärtliche Stimmung hinein und beschrieb, wie er es hier gefunden, die Anmuth der Gegend, die freundliche Gesellschaft des alten Studiengenossen und der übrigen Collegen. Gern hätte er hinzugefügt, daß er trotzdem ihnen Beiden nicht zureden könne, den versprochenen Besuch zu machen. Er fand aber keinen hinlänglichen Grund, der nicht den Verdacht erregt hätte, ihm sei an einem baldigen Wiedersehn nach so langer Zeit nicht viel gelegen.

Als er den Brief geschlossen hatte, nahm er seinen Hut um hinunterzugehn und ihn in den Briefkasten am Bahnhof zu tragen. Da er Niemand, am wenigsten Wilm begegnen wollte, ging er durch die Hinterthür in den Hof, aus dem sich ein Pförtchen auf die Landstraße öffnete. Eben führte der Knecht den Orlando heraus, gesattelt und aufgezäumt. Wollen Sie ausreiten? fragte Gerhard. Nicht ich, das Fräulein. – Gerhard bat ihn, das schöne Thier einen Augenblick zu halten, er möchte sehen, ob es ruhig genug bliebe, ein Bild davon zu machen. Der Knecht lachte. Ruhig ist er nur, wenn er das Fräulein auf dem Rücken hat, sonst unbändig wie der Teufel.

Gerhard hatte nur eben ein paar Minuten lang erleben können, daß allerdings das Pferd sich in beständigem Bäumen und wilden Seitensprüngen austobte, als seine Bändigerin aus dem Hause trat.

Sie trug ein seltsames Reitkostüm, eine rothe Garibaldijacke, mit einem ledernen Gürtel über den schlanken Hüften zusammengehalten, darunter einen getheilten Rock von einem leichten dunkelblauen Wollstoff, auf dem Kopf eine Mütze von derselben Farbe, an den Füßen gelbe Lederschuhe.

Sie nickte Gerhard schweigend zu, nicht ihn vermeidend, wie gestern, da das Eis zwischen ihnen jetzt gebrochen war. Dann trat sie zu dem Pferde, das mit zitternden geblähten Nüstern sie begrüßte, und gab ihm ein paar Stückchen Zucker, die es mit den rosigen Lippen behutsam aus ihrer bräunlichen Hand nahm. Dabei klopfte sie ihm mit der andern Hand den glatten Hals und strich über die schwärzliche Mähne, die sich dunkel von dem silbergrauen Fell abhob.

Gerhard war zu ihr getreten und hatte, da sie sich anschickte, aufzusteigen, seine Hand hingehalten, damit sie den Fuß hineinsetzte. Sie schüttelte leise den Kopf mit einem: Ich danke! setzte den linken Fuß in den Steigbügel und schwang sich, in die Mähne greifend, leicht in den Sattel. Das Kleid hing an beiden Seiten bis an den Knöchel herab. Dann schnalzte sie mit der Zunge, und mit einem munteren Satz sprengte sie aus dem Thor des Hofes davon, das der Knecht ihr geöffnet hatte.

Ein schneidiges Frauenzimmer, unser Fräulein! sagte der Knecht, der ihr bewundernd nachsah. Das getraute sich keine Andere.

Gerhard nickte stumm. Er stand ein paar Minuten auf derselben Stelle, in wunderlicher Stimmung. Es hatte ihn immer als gemein und unweiblich berührt, wenn er eine Magd vor dem hochbeladenen Erntewagen mit gespreizten Beinen auf einem schweren Ackergaul reiten sah, während ihr Rock sich bis an die Kniee hinaufschob und die Knechte ihr allerlei gesalzene Späße zuriefen. Warum fand er hier Alles natürlich und reizend? Freilich saß dieses Mädchen so streng und züchtig auf ihrem feurigen Thier, daß Niemand daran Anstoß nehmen konnte.

Und wie ihr das rothe Hemd und das blaue Mützchen stand! Von dem »Bild ohne Gnade« war auch auf dem jungen Gesicht kein Zug mehr zu finden.

Er ging nachdenklich nach dem Bahnhof. Dort angelangt, drehte er den Brief eine Weile zwischen den Fingern, eh' er sich entschloß, ihn in den Kasten zu werfen.

*

Vier Tage vergingen, ohne daß sich in der Malercolonie etwas Bemerkenswerthes ereignet hätte.

Als es dann Sonntag geworden war und die Wochenausstellung im Speisesälchen stattfand, waren die Collegen sehr erstaunt, daß der Holsteiner drei Studien dazu lieferte, die in den vier Tagen zu Stande gekommen waren, zwei Aquarelllandschaften und eine Ölskizze, die bewußte Scheune mit dem Ahorn, davor weidend das schwarze Stierkälbchen.

Das Letztere, so meisterlich es schon im ersten Hinwurf erschien, hätten sie dem Thiermaler, als der Gerhard ihnen angekündigt war, eher zugetraut, daß er aber auch als Landschafter alle Erwartungen übertraf, verblüffte sie förmlich, zumal dieser Neuling auf ein paar höchst glückliche Motive gekommen war, die den alten Birkenheidern entgangen waren. Sie waren so betroffen und von heimlichem Neide erfüllt, daß sie die Sachen nur stumm betrachteten, doch auch jeder mäkelnden Kritik sich enthielten.

Auch Solms, der nichts ausgestellt, hatte vor den drei großen Blättern eine Cigarrettenlänge schweigend gestanden. Dann drehte er sich zu Gerhard um und sagte, ihm zunickend: Très-bien, mon cher! Sie sind ein ganzer Kerl. Sie sollten nach Paris gehn, da würden Ihre Sachen geschätzt werden, und Sie fänden auch allerlei Anregungen.

Die könnte er wohl brauchen, versetzte Gerhard, über dessen zartes Gesicht eine leichte Röthe flog. Im Übrigen sei er noch nicht so weit, sich neben den fertigen Meistern zeigen zu dürfen.

Da sind Sie im Irrthum, lieber Lürsen, sagte der Andere. Gerade neben den »Fertigen«, die schon Alle ihre specielle Manier haben und so fertig sind, daß sie nicht mehr weiterkommen, gerade neben denen wirkt Einer, wie Sie, der noch ganz naiv sich bemüht, der Natur ihre Reize abzugewinnen, wie ein frisches Glas Wein neben Absinth. Und bei alledem haben Sie schon eine persönliche Note. Wie Sie hier die Natur angeschaut haben, das ist ganz Ihr eigen, da ist keine technische Convention, kein Losarbeiten auf den Effect dabei. Ich wünsche Ihnen nur, daß Sie auch ferner die Kraft haben, mit eigenen Augen zu sehn und sich von modernen Mätzchen nicht irre machen zu lassen.

Er zündete sich eine neue Cigarrette an und ging dann zu den Arbeiten der Anderen, über die er kein Wort vernehmen ließ. Sie hatten Alle seiner Rede begierig gelauscht und, was davon auf sie selbst Bezug hatte, sich gesagt sein lassen. Einige traten jetzt auf Gerhard zu und lobten die Studien. Sie waren doch gute Jungen und trotz allen Concurrenzneides für ein großes Talent empfänglich.

Auch Sor Carlino, der von Solms' Worten nur verstanden hatte, daß er den neuen Gast sehr gelobt hatte, trat jetzt auf diesen zu, legte die Hand salutierend an seinen Feß und sagte: Meine Glückwünsche, Signor!

Gerhard schüttelte ihm freundlich die Hand. Er sah auch Rita hereinkommen und vor seine Blätter treten. Doch war an ihrem Gesicht nicht zu erkennen, welchen Eindruck sie ihr machten. Waren doch auch keine schönen Menschen darauf.

Wilm faßte ihn unter den Arm und zog ihn in den Garten hinaus.

Höre, mein Sohn, sagte er, ich muß dir sagen, daß du zu den schönsten Befürchtungen berechtigst. Du schneist hier in unser Stillleben herein, kommst, siehst und siegst – wenn die Collegen dir das übelnehmen, ist's ihnen nicht zu verdenken. Am Ende sind wir Alle Menschen. Ich für mein armes Theil habe ja resigniert. Aber auch ich muß gestehen, daß ich, so sehr ich dir alles Gute gönne, eine stille Wuth habe, wie du das Alles aus dem Pinsel schüttelst, wonach ich im Schweiß meines Angesichts mich vergebens abarbeite. Wo hast du diese Transparenz der Lüfte her, den Schmelz der Wiesen, die Waldfrische in deinem Eicheninterieur, die man förmlich riecht? So lange du dergleichen Hexenkünste hier treibst, rühr' ich keinen Pinsel mehr an.

Sei unbesorgt, versetzte der Andere, dessen Stirn eine schwermüthige Wolke verschattete, ich werde hier Niemand mehr lange im Wege stehn. Gestern hab' ich einen Brief von Lottchens Mutter erhalten. Sie wollen Ende dieser Woche kommen. Nur diesen Besuch muß ich noch abwarten, dann hält mich nichts mehr, ich trete endlich die Romfahrt an, denn alle guten Worte von Solms und dir helfen mir nicht über das innere Ungenügen hinweg. Hier habe ich auch nicht mehr viel zu suchen, und die Thiermalerei fängt an, mir schal und unerquicklich zu werden. Du solltest mitkommen, Wilm. Ich weiß, was dich zurückhält. Aber wenn du von Freundschaft denselben Begriff hast, wie ich, kann das kein Grund sein.

Er hatte ihm schon in Dresden angeboten, ihn mitzunehmen und völlig frei zu halten.

Du bist ein guter Mensch, erwiederte der Andere, und vielleicht hast du Recht. Aber mag es auch ein dummer Stolz sein, ich hab' ihn nun einmal. Sprechen wir nicht mehr davon!

*

Man war in die Hundstage gekommen. Die brütende Schwüle, die über dem dörflichen Gebiete lag, minderte sich kaum, wenn die Sonne hinunter war, und nur selten brachte ein kurzes Gewitter Erquickung.

Den Malern schienen die Farben auf der Palette einzutrocknen. Manchen Tag, wenn sie in der Frühe ihr Bad im Flusse genommen hatten, konnten sie sich nicht entschließen, zu ihren Arbeitsstätten hinauszuwandern, um auch unter dem dichtesten Schirm vor Glut zu verschmachten. Sie saßen im Garten herum, rauchend und Skat spielend. Sogar Orlando fühlte sich durch die Hitze um seine Munterkeit gebracht und duldete es, daß der Knecht ihn am Halfter hielt, um Gerhard ein möglichst ruhiges Modell zu gewähren.

Rita sah zuweilen in den Hof herein und sagte dem Fleißigen ein freundliches Wort.

Als sie in der Mitte der Woche ein wenig verweilte, da das Bild seiner Vollendung entgegenging, ließ Gerhard, ohne zu ihr aufzublicken, die Worte fallen: Ich bekomme übermorgen Besuch, zwei Damen. Wäre es möglich, ihnen ein Zimmer im Hause zu geben?

Zwei Damen?

Ja, Mutter und Tochter. Es ist möglich, daß sie ein paar Tage bleiben, jedenfalls werden sie wohl hier übernachten. Wenn es möglich wäre, Fräulein Rita –

Gewiß. Nummer 10 ist ja noch frei, neben Eurem Zimmer. Ich kann noch ein Bett hineinstellen lassen. Was sind es für Damen?

Die Mutter ist die Wittwe eines Pfarrers aus meiner Heimath. Die Tochter ist meine Braut.

Eure – Braut?

Er sah ihr Gesicht nicht, nicht den seltsamen Zug an ihrem Munde, als sie die Worte herausstieß, wie etwas, das man kaum glauben könne.

Ja, meine Braut, wiederholte er, ohne den Pinsel ruhen zu lassen. Ich kenne sie aus meiner Knabenzeit, seit drei Jahren sind wir verlobt, sie ist ein sehr liebenswürdiges Geschöpf, nur ein wenig schüchtern, da sie noch nie in die Welt hinausgekommen ist. Ihr werdet mir einen Gefallen thun, Fräulein Rita, wenn Ihr freundlich mit ihr sein wollt. Alles, was sie hier sehen wird, ist ihr fremd. Aber sie hat ein warmes Herz und ist dankbar, wenn man sie gütig behandelt. Versprecht mir das, Fräulein Rita.

Er wartete eine Weile auf Antwort. Als es still blieb hinter seinem Rücken, wandte er sich um. Der Platz war leer.

*

Er fand in den nächsten beiden Tagen keine Gelegenheit, das abgebrochene Gespräch wieder aufzunehmen Das Mädchen wich einer Begegnung mit ihm sichtbar aus. Auch Abends blieb sie stumm und setzte auch die italienische Lection heute nicht fort. Auch er schien nach einer neuen Anknüpfung nicht zu verlangen. Unter den Collegen saß er einsilbig und wie geistesabwesend, und Wilm, der in seinem Herzen las, dachte nicht daran, ihn seinem Brüten zu entreißen. Er konnte sich so gut vorstellen, wie ihm zu Muthe sein würde, wenn er eine solche Braut erwartete.

Am Freitag Nachmittag fuhr Gerhard in die Stadt. Er hatte hinterlassen, daß er die Damen in der Stadt empfangen und in ihrem Hôtel übernachten werde. Sonnabend werde er zu Tisch mit ihnen herauskommen.

Die Nachricht, daß er den Besuch einer Braut erwarte, hatte unter den Collegen keine geringe Aufregung hervorgerufen. Man war in Wilm gedrungen, Näheres von ihr zu erfahren. Der aber sagte nur, er werde sie selbst erst kennen lernen. Als Einige meinten, es werde wohl ein schönes Paar sein, eine hochgewachsene blonde Walküre, die zu diesem Siegfried passe, hatte er nur die Achseln gezuckt und sich in Schweigen gehüllt.

So saß am Sonnabend Mittag die kleine Tafelrunde in gespannter Erwartung beisammen. Es war Zwölf geworden, noch immer kamen die neuen Gäste nicht. So eben ließ der Wirth fragen, ob er nicht endlich anrichten dürfe, da erklangen Schritte auf dem Kiesweg, und an den Stufen der Veranda erschien Gerhard, am Arm eine runde kleine Dame führend, an seiner anderen Seite die Braut.

Es war ein seltsamer Anblick, diese drei ungleichen Gestalten nebeneinander zu sehn, in der Mitte den hochgewachsenen jungen Mann in seiner leuchtenden nordischen Schönheit, den schwarzen Malerhut etwas verwogen auf die dichte Mähne gedrückt, neben ihm die behäbige kleine Pfarrerin in schwarzem Seidenkleide, mit einem veralteten Hütchen, das mit rothen Blumen aufgesteckt war, und auf der anderen Seite das schmächtige Figürchen der Braut, auf die sich alle Augen richteten.

Es war jedoch begreiflich, daß man sie in Husum zu den schönen Mädchen der Stadt zählte. Ihr Gesichtchen trug den landläufigen Gretchentypus, blond und regelmäßig, die blauen Augen schön geschnitten, doch leider ohne jugendlichen Glanz. Auch das Näschen war fein und wohlgebildet, nur etwas dünn, wie auch der allzu kleine Mund von schmalen Lippen gebildet wurde. Alles in Allem ein unbedeutendes blankes Porzellanköpfchen.

So war auch ihr Anzug, eine weiße Blouse, deren glatte Falten nichts weiblich Reizendes zu verbergen hatten, am Halse eine blaue Schleife und eine kleine goldene Kette, an der ein Kreuzchen hing. Vom Strohhut, den sie am Arm trug, hing ein breites blaues Band herab, und ihr lichtblondes Haar hatte sie in einem künstlich geflochtenen Zopf oben über den Scheitel gelegt, wo er sich wie ein Diadem ausnahm.

In ihren Geberden sprach sich bei aller Ungewandtheit das Bewußtsein aus, daß es sich wohl der Mühe lohne, sie anzuschauen.

Meine Schwiegermutter, Frau Pfarrerin Holle – meine Braut!

Die ganze Tischgesellschaft erhob sich. Wilm war eilig nach vorn gekommen, hatte Mutter und Tochter ehrerbietig die Hand gedrückt und sie an ihre Plätze geführt. Man hatte ihnen die Mitte der Tafel eingeräumt, vor den Gedecken des Brautpaars standen zwei hübsche Rosensträußchen, eine Aufmerksamkeit Wilm's, der seinen Platz neben der kleinen Pfarrerin hatte. Der Bräutigam saß wieder zwischen den beiden Damen, auf der linken Seite der Braut kamen die beiden Malweibchen, zuerst Lucinde, die, als das Paar eintrat, dem Madönnchen zugeraunt hatte: Die reine Unschuld vom Lande! Der prächtige Mensch und dies dürftige Confirmationskind! Wo hat er nur seine Augen gehabt!

Das Madönnchen, das sich selbst für eine Schönheit hielt, verzog den Mund zu einem mitleidigen Lächeln. Von den Collegen raunte Keiner seinem Nachbarn ein geringschätziges Wort zu, obwohl sie alle stillschweigend einverstanden waren, daß da wieder einmal Einer einen dummen Streich mache.

Erst als die Suppe aufgetragen war, erschien Rita.

Sie war in ihrem Sonntagsanzug, der grünseidenen Blouse mit dem Spitzenkragen, in dem glänzenden dunklen Haar statt des Pfeils heute ein paar goldene Nadeln und einen Kamm von Schildpatt. Nur einen Blick warf sie auf das Brautpaar, dann beschäftigte sie sich so gleichgültig mit ihren wirthlichen Pflichten wie sonst.

Solms, der ihr zunächst am oberen Ende des Tisches saß, wandte sich zu ihr um und sagte leise: Nun? Was sagt Ihr dazu? – Sie rümpfte nur leicht die volle Lippe und zuckte die Achseln.

Gerhard hatte ihren Eintritt bemerkt und sie mit der Hand begrüßt.

Die Tochter des Hauses, sagte er zu seiner Schwiegermutter, eigentlich die Herrin des Hauses. Ihr müßt nach Tische zu ihr gehn und ihr etwas Freundliches sagen.

Auch Fräulein Lottchen hatte die fremdartig schöne Erscheinung bemerkt, sie aber keines weiteren Interesses gewürdigt. Nur als Gerhard ihr zuflüsterte: Da siehst du eine echte Römerin! hatte sie ziemlich hörbar erwidert: Wenn sie Alle nicht schöner sind, begreif' ich nicht, daß man sie so rühmt.

Auch anderes Römische fand nicht viel mehr Gnade vor der jungen Holsteinerin. Von jedem Gericht, das aufgetragen wurde, nahm sie nur einen Löffel voll, fand den Reis hart, die Hühner, die am Spieß gebraten waren, trocken, da die deutsche Sauce fehlte, und der Gorgonzola vollends mit seinem gründurchwachsenen Geäder machte sie schaudern.

Du wirst das Alles sehr gut finden, sagte Gerhard, der sich während der ganzen Zeit zu einer heiteren Miene zwang, wenn du mit mir auf der Hochzeitsreise die italienische Küche gründlicher kennen lernst.

Ich glaube kaum, war Alles, was sie erwiderte.

Lucinde, die neben ihr saß, fühlte sich verpflichtet, eine Conversation mit ihr anzuknüpfen.

Hat man während des Winters in Husum viel Gelegenheit zu tanzen? fragte sie.

Ich weiß nicht. Ich besuche keine Bälle.

Tanzen Sie nicht gern?

Ich habe es nicht gelernt. Mein Vater fand es nicht schicklich.

Das Madönnchen stieß die Freundin an, die sich aber nichts anmerken ließ.

Ach ja, Pfarrerstöchter! sagte sie. Aber womit amüsieren Sie sich sonst?

Ich habe nicht Zeit, an dergleichen zu denken. Es giebt so viel im Hause zu thun. Nur am Sonntag kommen ein paar Freundinnen zum Kaffee, dann gehn wir spazieren, aber im Winter spiele ich auf dem Klavier, und wir singen dazu.

Doch wohl nicht immer Choräle?

Die »Unschuld vom Lande« empfand nun doch, daß ihre Nachbarin sich lustig über sie machte, und gab keine Antwort, zumal der Bräutigam sich eben wieder zu ihr wandte und leise in sie hinein sprach. Mit der Mutter hatte indessen Wilm sich höflich unterhalten. Sie erzählte ihm, so laut, daß es die Gegenübersitzenden hören konnten, welch einen Schatz ihr Schwiegersohn an ihrer Tochter besitzen werde, rühmte ihre häuslichen Tugenden, und daß nie ein unreiner Gedanke sich in ihrer Seele geregt habe. Auch was sie an der Aussteuer bereits gethan, und wie fleißig Lottchen an der Wäsche mitgenäht habe. Leider bestehe der Bräutigam darauf, noch ein Jahr in Italien zu studieren. Ob es da so besonders schönes Vieh gäbe? Und dann sage man auch, die jungen Maler würden dort von schlechten Weibern verdorben.

Wilm, der geduldig zugehört, nur zuweilen mit Solms einen hülflosen Blick getauscht hatte, suchte sie zu beruhigen. Auch Solms mischte sich ein. Wenn sie einige Zeit hier mit ihnen lebte, würde sie sehen, daß die Maler Leute von strenger Tugend seien, die keinen verführerischen Weibern ins Netz gingen.

Sie könne leider nicht einmal über Nacht bleiben, versetzte die kleine Frau. Es gehe kein Zug morgen so früh in die Stadt, daß sie noch zur Kirche recht kämen. Sie bedaure es sehr, und am Montag müßten sie wieder abreisen.

Auch Wilm bedauerte es, doch mit einem stillen Seufzer der Erlösung. Dann kam zum Nachtisch der Asti, den Gerhard bestellt hatte, um die Gesundheit seiner Braut und ihrer verehrten Mutter zu trinken. Die Beiden nippten nur an dem süßen perlenden Wein und stießen bescheiden an. Die Malweibchen, denen Gerhard ebenfalls einschenkte, tranken herzhafter und leerten, als die Andern aufgestanden waren und man sich gesegnete Mahlzeit gesagt hatte, im stillen unter sich die Flasche.

*

Rita war verschwunden. Seine Damen ihr vorzustellen mußte Gerhard auf später verschieben. Er führte sie in den Garten, wo die Mama sich in die Laube setzte, um ein Mittagsschläfchen zu halten, während Gerhard, Lottchen an der Hand haltend, die Laubgänge durchschritt und ins Freie hinaustrat.

Sie waren Beide eine Weile stumm. Auch war die Schwüle drückend, und erst auf dem Weg am Flusse unter den Erlen und jungen Eichen konnte man leichter athmen.

Ein Bänkchen stand dort, vor einer kleinen Hecke wilder Rosen, die es im Rücken gegen die Wiese abgrenzte und wie zum Ruhesitz für zwei Liebende geschaffen machte. Da ließen sie sich nieder. Gerhard umfaßte das Mädchen, das es ohne Entgegenkommen geschehen ließ und, als er sie küssen wollte, ihm die Wange hinhielt.

Du bist nicht vergnügt, Liebchen, sagte er. Ist dir nicht wohl?

O doch. Ich bin hier nur so fremd.

Du würdest bald heimisch werden, wenn ihr länger bliebt. Es sind alles gute Leute. Haben dir meine Collegen nicht gefallen?

Nein. Sie haben alle so was Verwildertes, Unheimliches. Ich würde mich fürchten, einem allein zu begegnen. Und gleich nach dem Essen haben sie angefangen Karten zu spielen!

Er lachte. Ja, Liebste, das ist nun einmal ihre Schwäche, statt Siesta zu halten. Aber »verwildert«? Und die guten Jungen haben dir zu Ehren ihre besten Anzüge vorgeholt, obwohl es kein Feiertag ist. Und waren die Fräuleins nicht sehr artig zu dir?

Die sind mir noch widerwärtiger. Die neben mir hat mich verspotten wollen, weil ich nicht tanze. Und mit solchen Geschöpfen giebst du dich ab?

Nur so viel die Höflichkeit verlangt. Reizend finde auch ich sie nicht, aber bösgemeint hat es der Pudelkopf gewiß nicht. Schade, daß du die Rita noch nicht gesprochen hast, die hat etwas so Eigenes, Vornehmes, was dir gewiß gefallen würde.

Die? Nein, die wünsche ich überhaupt nicht kennen zu lernen. Sie hat einen Blick, als könnte sie Jemand, den sie haßt, vergiften. Ich begreife nicht, was du an ihr findest. Sie aber – ich hab' es wohl bemerkt, wie sie einmal nach dir hinsah – du gefällst ihr, und sie ist eifersüchtig auf mich, daß ich deine Braut bin. O Gerhard, wenn du mich lieb hast, bleibst du nicht länger hier! Ich weiß zwar, du wirst mir immer treu bleiben. Aber Wenn dies Mädchen es sieht und dir etwas anthut –

Meine arme Liebste, erwiderte er, sie an sich ziehend, was hast du für abenteuerliche Gedanken! Ich und diese Rita – es ist zum Lachen. Sie hat mir sogar offen gesagt, daß sie mich für keinen richtigen Künstler hält, weil ich nur Viehstücke male. Nein, liebes Herz, es ist wirklich keine Gefahr, wenn ich noch eine Woche bleibe, um ein paar angefangene Studien fertigzumachen. Dann reise ich ohnedies in das Land, das nach deinen Begriffen von schönen Giftmischerinnen wimmelt, und du mußt fleißig für mich beten, daß ich heil und gesund zu dir zurückkehre.

Eine Pause trat ein.

Dann sagte das Mädchen, ihre blauen Augen mit einem flehenden Blick zu ihm aufschlagend: Mußt du denn überhaupt fort? Mama sagt auch –

Sein Gesicht verdüsterte sich. Ich bitte dich, Liebste, hiervon nicht wieder zu reden. So genau ich weiß, was ich dir schuldig bin, – auch die Pflichten gegen mich selbst und meine künstlerische Ausbildung kenne ich und werde sie erfüllen. Ich begreife, daß dir das Verständniß dafür fehlt. Doch wenn du mich wirklich liebst, wirst du dich bemühen, mich verstehen zu lernen und an einem Künstlerleben Gefallen zu finden, das wahrlich nicht gottlos und unheimlich ist, wie dir's nach deinem einsamen klösterlichen Leben vorkommen mag. Aber komm nun! Die Mutter wird ausgeschlummert haben und uns vermissen.

*

Sie waren schon um sechs Uhr in die Stadt zurückgefahren, ohne den letzten, den Zehnuhrzug, abzuwarten und vorher am Abendessen theilzunehmen, zu dem Sor Carlino einen vortrefflichen Salat versprochen hatte. Die Mutter wäre gern geblieben. Aber die Tochter schützte Kopfweh vor und ließ sich nicht halten.

So hatten sie auch Rita's Bekanntschaft nicht gemacht, die im Dorf etwas Dringendes zu thun gehabt hatte. Es war Gerhard ganz erwünscht; von einem Begegnen der beiden Mädchen ließ sich nichts Freundliches erwarten.

Er selbst fuhr natürlich mit in die Stadt und blieb dort, so lange sein Besuch sich aufhielt. Erst am Montag Nachmittag kehrte er zurück.

Wilm hatte ihn am Bahnhof erwartet.

Er erschrak, als er die tief verdüsterte Miene sah, mit der der Freund ihn begrüßte. Nun? sagte er, hast du sie glücklich auf den Weg gebracht? Wie war's noch?

Gerhard ging stumm neben ihm her, seine Brust arbeitete schwer, erst nach einer Weile brach es ihm von den Lippen: Es war furchtbar! Frag mich nicht!

Hat es eine Scene gegeben?

O das – das wäre Wohlthat gewesen! Ich hätte mir das Herz entladen, und jetzt – wär's vorbei. Aber diese stillen Duldermienen, diese christliche Güte und Sanftmuth, mit der sie mich behandelten, wie einen Kranken, mit dem man Nachsicht haben muß, nein, wie einen Verbrecher, den Liebe zur Pflicht zurückzuführen sucht – oh! oh! Kein Wort von Birkenheide und der schlechten Gesellschaft hier, kein neuer Versuch, mich von Italien zurückzuhalten, – ich sollte selbst zur Erkenntniß kommen, was für ein Ungeheuer ich wäre, wenn ich mich gegen das Eine, was Noth thut, verstockte und den breiten Weg weiterwandelte, der ins Verderben führt. Erlaß mir alle Einzelheiten. Ich kann dir sagen, wenn es länger gedauert hätte, ich wäre aus der Haut gefahren.

Wieder schwiegen sie während hundert Schritten auf der Straße, die nach dem Eichhorn führte. Dann blieb Wilm stehen.

Du hast Recht, sagte er. Es darf nicht länger dauern. Du siehst ein, daß du sie nicht glücklich machen kannst und selber unglücklich wirst. Also mach ein Ende!

Gerhard stieß seinen Stock heftig gegen den Boden.

Ein Ende machen, einer Sache, die vier Jahre gedauert hat? Es würde ihr das Leben kosten.

Ihr? Dieser dünnblütigen, engbrüstigen, von geistlichem Hochmuth beseelten Schattenpflanze? Glaubst du wirklich, sie trage dich so tief im Herzen, daß es ihr zerspringen müßte, wenn du herausgerissen würdest?

Nein, aber wenn du dir vorstellst, was sie in der kleinen Stadt zu erdulden haben würde, wenn es hieße, der Bräutigam habe sie sitzen lassen, sie sei ihm nicht mehr gut und schön genug gewesen? Gerade weil sie ein enges Herz hat, fände das, was ich ihr sagen könnte, mich zu rechtfertigen, keinen Raum darin. Und da sie immer an der Hoffnung festhalten würde, mit der Hülfe ihres Gottes mich doch noch von meinen Verirrungen zurückzubringen, sähe sie es sogar wie eine heilige Pflicht an, mich nicht loszulassen und mein Wort mir nicht zurückzugeben.

Du bist verstört und aufgeregt, brummte der Andere. Beschlaf es, mein Sohn! Morgen reden wir mehr davon.

*

Sie waren über den Hof ins Haus gelangt, ohne gesehen zu werden. Den Rest des Tages hielt sich Gerhard auf seinem Zimmer. Als er Abends in die Veranda trat, wo die Andern schon beisammen waren, hatte er sich so weit schon wieder in der Gewalt, daß er die Collegen mit gelassener Miene begrüßen konnte.

Solms bot ihm die Hand. Ben tornato, sagte er herzlich. Gerhard nickte und setzte sich an seinen Platz neben Wilm. Es blieb still in der Tafelrunde. Die guten Gesellen, die freilich auch in den letzten Tagen ihre Gedanken über dieß Verlöbniß ausgetauscht, sich aber jedes böslichen Scherzes und Spottes enthalten hatten, waren zartfühlend genug, den Heimgekehrten zu empfangen, als ob nichts vorgefallen wäre. Nur Lucinde, die es ihm heimlich übel nahm, daß er ihr zartes Entgegenkommen völlig übersah, fragte ihn mit dem Ton der Theilnahme, wie das Fräulein Braut sich befinde, ob ihr Kopfweh vergangen sei und es ihr in der Stadt besser gefallen habe, als hier draußen.

Gerhard zog die Brauen zusammen und wandte sich nicht zu ihr, sondern zu Wilm, als er sagte: Ich habe sie ins Museum geführt, heut Vormittag. Ich schämte mich, daß ich nicht besser darin Bescheid wußte, da ich selbst noch nicht hineingekommen war. Es sind wirklich sehr schöne Sachen darin, mehr als ich erwartet hatte.

Und nun fing er an, von einzelnen Bildern zu reden, die ihm besonders eingeleuchtet hatten. Daß es ihm bitter gewesen war, zu bemerken, wie seine »Liebste« an den Bildern vorbeigesehen, die er ihr erklärte, und nicht das geringste Verständniß, selbst nicht den guten Willen dazu gezeigt hatte, davon schwieg er. Aber die Erinnerung daran lebte peinigend wieder in ihm auf.

Rita erschien, als das Essen vorüber war. Gerhard begrüßte sie, und als sie sich, wie jeden Abend, zu ihren Schülerinnen gesetzt hatte, sprach er ihr sein Bedauern aus, daß sie sich umsonst die Mühe gemacht, das Zimmer für die beiden Damen herzurichten.

Oh, niente! machte sie und zog gleichgültig ihr Büchlein hervor. Ich hätte es dem Fräulein am Ende doch nicht recht gemacht. Sie hätte es nicht so gefunden, wie sie's zu Hause gewohnt ist.

Sie hatte gesehen, daß die Braut zu allen Gerichten bei Tische das Näschen gerümpft und kaum davon gekostet hatte. Und sie war ehrgeizig für ihren Vater.

Das Gespräch über die Bilder im Museum dauerte noch eine Weile fort. Dann wurde es Schlafenszeit, und auch Gerhard sagte den drei Mädchen, die noch beisammen blieben, gute Nacht und stieg in sein Zimmer hinauf.

Seine Glieder schleppte er mühsam, wie wenn er von einer schweren Krankheit aufgestanden wäre. Es war auch schwül und dumpf in seinem Gemach, er stieß das Fenster auf und dachte sich durch die Nachtluft zu kühlen. Aber ein schwerer Föhn wehte über den Hof ihm entgegen, der ihm den Athem beklemmte. Über den Himmel flogen leichte schwärzliche Wolkenstreifen, die hin und wieder den Mond verdunkelten. Doch trat er immer wieder strahlend hervor.

Er hatte sein Lager aufgesucht und gehofft, daß ihn der Schlaf von seinen wühlenden Gedanken erlösen würde. Doch nach einer Stunde lag er noch hell wach.

Er sah nach der Uhr. Es war über Zehn. Im Hause schlief Alles, es regte sich kein Laut. Die unheimliche Stille drohte ihn zu ersticken, und die rasende Gedankenflucht in seinem Hirn hörte nicht auf. Endlich erhob er sich, warf sich in die Kleider und ging barhaupt die dunkle Treppe hinab und durch die Hofthür ins Freie.

Nicht lange, so hatte er die Gegend am Flusse erreicht und schritt langsam fort auf dem Wege, den er vorgestern mit seiner Braut gegangen war. Wenn ich jetzt in den Fluß spränge, dachte er, so wäre ich all das Elend los. Aber es wäre feige und thöricht. Ich habe doch noch Manches in freier Luft zu schaffen. Oh und doch, wie soll das noch gut werden!

So kam er endlich zu der Bank, wo er mit ihr gesessen hatte. Es war einer seiner Lieblingsplätze. Gerade hier hatte sich der Fluß durch eine Bodensenkung zu einem kleinen See erweitert, und der Mond stand gerade über der glatten, spiegelnden Fläche, die wie gediegenes Silber glänzte. Drüben am andern Ufer breitete sich eine Wiese aus, über der jetzt ein weißer Nebelduft schwebte, und eine einzelne Eiche stand mitten darin, deren Wipfel gleichfalls vom Monde angeglänzt war. Auch die Erlen und Weiden, die gerade bis zu dem kleinen See am diesseitigen Ufer standen, warfen lichtere Schatten, und der Weg vor ihnen war weit hinaus in eine bleiche Dämmerung getaucht.

Gerhard hatte sich auf der Bank niedergelassen und den Blick träumerisch in das reizende Bild versenkt. Ihm wurde leichter zu Muth, da er sich in eine Traumwelt entrückt fühlte, in die alles irdische Leid nicht hineinreichte. Auch konnte er leichter athmen, und der feuchte Hauch vom See herauf erfrischte sein Blut. So saß er wohl eine Viertelstunde lang, und eben fielen ihm die Lider zu und der Schlaf, den er ersehnte, wollte sich seiner erbarmen, als er von der rechten Seite auf dem Uferweg unter den Erlen den Schall von Pferdehufen vernahm und auffahrend Rita erkannte, die in ruhigem Trabe dahergeritten kam.

Sie trug ihr gewöhnliches Reitkostüm, das rothe Hemd und den blauen Rock; doch das schwarze Haar war unbedeckt. Als sie Gerhard erblickte, der in seinem halben Traum sie erst nicht für eine lebendige Erscheinung hielt, zog sie den Zügel an, daß Orlando plötzlich stehen blieb.

Guten Abend! sagte sie. Auch Ihr habt noch quattro passi machen wollen. Schade, daß Ihr nicht auch ein Pferd habt, so ein Ritt in der Nacht ist erfrischender als ein Spaziergang. Oder habt Ihr Studien zu einer Mondscheinlandschaft gemacht? Es fehlen Euch wohl nur ein paar Kühe, die drüben auf der Wiese lägen.

Fräulein Rita, sagte er, sie anstarrend wie eine Märchenerscheinung, Ihr spottet, aber sehr mit Unrecht. Habt Ihr nicht gesehn, daß ich Euren Wink in Betreff der Thiere beherzigt und die rothe Kuh nicht gemalt habe? Nein, wenn eine Staffage hier am Platz wäre, könnte es höchstens ein schönes Pferd sein. Hättet Ihr etwas dagegen, wenn ich den Konrad bäte, Euern Orlando hier einmal in die Schwemme zu reiten, damit ich meine Augen daran weiden könnte, wie das Mondlicht auf seinem silbernen Fell spielte und die blanke Flut um seine Schenkel aufspritzte?

Sie sah einen Augenblick still vor sich hin. Wenn Euch damit ein Gefallen geschieht, das könnt Ihr näher haben und braucht dem Knecht kein Trinkgeld dafür zu geben. Ich würde mir selbst ein Vergnügen daraus machen.

Sofort hob sie die Füße einen nach dem andern hinauf und streifte mit rascher Hand die weißen Strümpfe und gelben Schuhe ab. Verwahrt mir die, Signor Gherardo! rief sie lachend, und warf sie ihm zu, die nackten Füße dem Pferd mit einem munteren Zuruf in die Flanken setzend, dann ergriff sie die Zügel.

Er glaubte sie nie so schön gesehen zu haben. Es war ein Zug von Übermuth in das sonst so stille Gesicht gekommen, der die Augen leuchtender machte und die Wangen röthete. Die Zähne blitzten, als sie den Mund öffnete und das Pferd anspornte. Rita! rief er, was wollen Sie thun? Sie werden –

Mir die Füße ein bischen naß machen, fiel sie ihm ins Wort. Um so besser! Es ist so schwül, daß man eine Abkühlung brauchen kann. Avanti, Orlando!

Und mit der Gerte ihm einen leichten Schlag auf den Hals gebend, trieb sie den Hengst über den Uferrand in den Fluß, dessen Flut ihm in aufsprühenden Tropfen, ganz wie es Gerhard gewünscht hatte, bis an die Brust spritzte.

Mit den feinen Nüstern schnobernd hielt er still und trank in langen Zügen das klare Wasser, bis er sich gesättigt hatte. Dann folgte er einem Ruck des Zügels und watete tiefer in den Strom hinein, bis er den Grund unter den Füßen verlor und nun in der Mitte des kleinen Sees ruhig zu schwimmen begann.

Sie hatte die Füße vor sich auf den Sattel gezogen und hielt sich mühelos auf dem Rücken des Pferdes im Gleichgewicht. Er betrachtete das anmuthige Bild mit weit offenen Augen. Wenn Ihr sehen könntet, wie schön Ihr Euch ausnehmt! rief er zu ihr hinüber, die sich nicht nach ihm umwandte. Es giebt noch Schöneres! rief sie zurück. Auf einmal schien eine tolle Laune über sie zu kommen. Sie nestelte an der rothen Jacke, und als sie den obersten Knopf nicht sogleich aufmachen konnte, riß sie das dünne Gewand von oben bis unten auf und zog es sich von den Schultern. Fangt es auf! rief sie Gerhard zu und warf es, in ein Bündel zusammengeschnürt, in großem Bogen nach dem Ufer hinüber. Dann, sich auf dem Rücken des geduldig dahinschwimmenden Thiers ein wenig erhebend, band sie auch den Rock auf und schlüpfte wie eine Schlange geschmeidig aus ihm heraus, um ihn dann gleichfalls hinüberzuschleudern. Nun saß sie einen Augenblick im Sattel, richtete sich aber plötzlich in ihrer ganzen Figur auf, daß es ein Wunder war, wie sie mit den nackten Füßen sich halten konnte, ohne hinunter zu gleiten. Ihr weites weißes Hemd, das die schönen bleichen Arme bis an die Achseln frei ließ und unten nur eben über die Kniee reichte, umwallte sie lustig in dem leichten Winde, sie warf das schwere Haar in den Nacken, hob die Arme über ihrem Kopf, und mit einem leichten Satz warf sie sich kopfüber in den hochaufspritzenden Fluß.

Nach fünf Secunden tauchte ihr Kopf wieder auf, der Kamm, der den Knoten ihrer Haare festgehalten, war bei dem heftigen Sprung herausgefallen, und die dichte schwarze Mähne schwamm ihr nach, wie sie mit ruhigen Stößen in dem See umherruderte.

Das Pferd war wie erstaunt über die Kühnheit seiner Herrin auf derselben Stelle geblieben und wandte die schwarzen Augen zu ihr hin, wenn sie in weitem Kreise es umschwimmend wieder in seine Nähe kam. Drei-, viermal hatte sie es gethan, dann, da Orlando sich inzwischen wieder dem Ufer genähert und festen Grund gewonnen hatte, schwamm sie dicht an ihn heran, griff mit der Linken in seine Mähne und schwang sich, mit der anderen Hand den Sattel fassend, wieder auf seinen Rücken. Als sie festsaß, obwohl jetzt nicht mehr rittlings, sondern mit geschlossenen Knieen, lenkte sie das schnaubende Pferd langsam aufs Trockene zurück.

Dem Mann am Ufer, der mit heißen Augen und fieberndem Blut das seltene Schauspiel betrachtet und keinen Zug davon verloren hatte, klopfte das Herz stürmisch, als er sie nun wieder auf ihn zu kommen sah. Die herrliche junge Gestalt zeichnete sich in reinem Umriß unter dem eng anliegenden nassen Hemd, wie griechische Meister die Amazonen bildeten, deren herben schlanken Wuchs das dünne Röckchen nicht verbirgt. Über den Nacken hing das schwere Haar bis auf die Hüften herab, die ganze Gestalt war vom hellen Mondlicht überglänzt, das die kräftige junge Brust, die von der Anstrengung lebhaft athmete, mit zartem Hauch umspielte. Sie hatte den Mund halb geöffnet und sog die linde Wärme nach dem Bade begierig ein.

Orlando blieb nahe bei der Bank stehen, schüttelte sich über das ganze Fell erschauernd und sprühte einen Regen heller Tropfen im Kreise umher, mit dem schweren nassen Schweif seine Flanken schlagend.

La commedia è finita! rief das Mädchen lachend Gerhard zu, der mit bebenden Knieen herantrat.

Rita! rief er. Was habt Ihr an mir gethan! Wie soll ich Euch danken! Nie – nie werde ich diese Nacht und Eure Schönheit vergessen!

Das mögt Ihr halten, wie Ihr wollt, erwiderte sie ganz gelassen. Aber zu danken habt Ihr mir nicht. Es hat mich gelüstet, ein Bad zu nehmen, an Euch hab' ich wahrlich nicht dabei gedacht, und daß Ihr mich so malen möchtet, verbitt' ich mir. Ich bin kein Modell. Und nun macht Euch fort. Ich muß mich ankleiden, dabei seid Ihr überflüssig.

In dem Ton, mit dem sie Alles sprach, klang ein verhaltener höhnischer Triumph. Er aber hörte nichts davon, er starrte nur immer ihre Gestalt an, wie sie, die Faust in die Mähne vergraben, auf dem zitternden Pferde saß und auf ihn herabsah.

Ihr geht augenblicklich, rief sie ihm jetzt in hellem Zorne zu, ich kann ohne Eure Hülfe absteigen. Dort unter den Bäumen wartet Ihr, bis ich fertig bin und Euch rufe, und daß Ihr Euch nicht umseht, sonst ist Alles für immer aus zwischen uns!

Er neigte gehorsam den Kopf, mit Mühe widerstand er der Versuchung, einen ihrer weißen feuchten Füße zu küssen, dann ging er langsam den Weg unter den Erlen entlang, stand wieder still und athmete schwer aus der beklommenen Brust, lehnte dann die Schulter an einen schlanken Stamm und schloß die Augen.

Doch nur eine Minute lang, dann fuhr er auf wie aus einem Traum und sah trotz des Verbotes zurück.

Sie, saß, schon wieder angekleidet, auf der Bank und war bemüht, das Wasser aus ihrem Haar zu schütteln. Da hielt er sich nicht länger und ging mit hastigen Schritten den Weg zurück.

Habt Ihr Euch nicht gedulden können, bis Ihr gerufen wurdet? sagte sie, doch nicht zornig. Zum Glück bin ich gleich fertig.

Auf der Bank neben ihr lag ihr Hemd in einem nassen Klumpen. Es war kein Platz für ihn übrig. Er stand vor ihr und sah auf die schlanken Hände hinab, die in den schweren Strähnen arbeiteten.

Rita, sagte er mit vor Aufregung heiserer Stimme, was soll nun mit mir werden! Du hast mir einen Zauber angethan, wie kann ich je wieder froh und glücklich werden, wenn das Herrliche, was ich gesehen, mir ewig versagt sein soll? Rita, habe Mitleid mit mir!

Sie fuhr ruhig fort, ihr Haar auszuwinden, und sah dabei in ihren Schooß.

Mitleid? Mit Euch? Ich wüßte nicht warum. Wenn Ihr einmal erkannt habt, daß ein Mädchen mit jungen Gliedern doch vielleicht ein hübscherer Gegenstand für die Malerei ist, als die erste beste Kuh, so hab' ich Euch einen Dienst erwiesen, doch auch mein Vergnügen dabei gehabt. Warum wärt Ihr nun zu beklagen?

Er antwortete nicht. Er sah unverwandt auf ihr von der Frische des Stroms belebtes Gesicht und die weißen Zähne zwischen den vollen Lippen. Sein Herz riß ihn hin. Er neigte sich rasch zu ihr hinab und drückte seinen heißen Mund auf ihr nasses Haupt.

Im Augenblick fuhr sie in die Höhe und stieß ihn zurück.

Elender! rief sie. Mißbraucht Ihr so meine harmlose Güte? Seid ihr alle so, ihr Deutschen, daß ihr ein Mädchen, das euch freundlich begegnet, zum Spielzeug für eure rohen Begierden machen möchtet, um es dann schimpflich zu verrathen und zu verlassen? Alles hätt' ich Euch zugetraut, nur das nicht!

Rita, stammelte er außer sich, was denkt Ihr von mir! Ein Spiel? Bei allen Göttern, es ist mir heiliger Ernst, und wenn Ihr mich anhören wolltet –

Ich will nicht, unterbrach sie ihn heftig. Euer Ernst? Es ist zum Lachen! Habt Ihr nicht eine Braut? Geht zu der und erzählt ihr, daß Ihr die Giftmischerin im Bade gesehn habt, und bittet, sie möge Euch verzeihen, daß Ihr sie schön gefunden. Freilich, schöner zu sein, als diese armselige Puppe – es ist kein großer Ruhm. Aber daß ich's nur gestehe: ich wollte mich an der hochmüthigen Deutschen rächen, Euch die Augen darüber öffnen, was Ihr an dem dünnen Gespenstchen habt und was Ihr haben könntet, wenn Ihr nicht blind durch die Welt gerannt wärt. So! Und nun sind wir fertig.

Er stand wie versteinert. Ist es möglich? Ihr wolltet Euch – und was spracht Ihr von einer Giftmischerin?

Sie war wieder ruhig geworden. Sie nahm das nasse Hemd in die Hände und suchte es auszuringen. Hier auf dieser Bank saßt Ihr mit der holden Braut, ich traf Euch, da ich grade ins Dorf ging, Ihr wart aber so in Euer Liebesglück vertieft, daß Ihr mich nicht kommen saht, und um Euch nicht zu stören, wollte ich hinter Euch vorbeigehn. Es fiel mir nicht ein, zu horchen. Eure verliebten Reden interessierten mich nicht. Aber das liebe Fräulein sprach in ihrer Aufregung so laut, daß ich wohl hören mußte, wie sie sagte, sie traue mir zu, Euch zu vergiften, aus Eifersucht, weil auch ich Euch liebte. Die Närrin! Ich liebe Euch nicht und gönne Euch dieser frommen Taube. Daß Ihr mich gegen sie in Schutz nahmt, hörte ich auch noch. Es war hübsch von Euch, und ich danke Euch dafür. Nun aber sind wir geschiedene Leute. Gute Nacht und träumt von Eurer Liebsten!

Ehe er sich's versah, war sie zu ihrem Orlando hingetreten, der geduldig wartend dagestanden, hatte sich hinaufgeschwungen und sprengte, mit einem schnalzenden Laut ihn antreibend, auf der Straße dahin, die nach dem »Eichhorn« führte.

*

Am andern Morgen vor Thau und Tage klopfte es an Wilm's Zimmer. Es dauerte eine Weile, bis er aus seinem festen Schlaf sich ermunterte und Herein! rief.

Erstaunt sah er den Freund eintreten.

Gerhard in vollem Anzug, eine Reisetasche umgehängt, den Hut auf dem wirren Haar, näherte sich langsam dem Bette. Er sah sehr blaß und überwacht ans. Seine Hand, als er sie Wilm entgegenstreckte, zitterte leise.

Adieu, sagte er mit dumpfer Stimme. Ich komme, um Abschied zu nehmen. Ich muß fort.

Der Andere fuhr erschrocken in die Höhe und starrte ihn mit ungläubigen Augen an.

Fort? Du träumst wohl, mein Sohn. Was fällt dir ein, zu dieser Stunde gestiefelt und gespornt mich aus dem besten Schlaf zu wecken, wie ein Nachtwandler?

Er sprang aus dem Bette, lief nach dem Waschtisch und schenkte ein Glas Wasser ein. Da trink und ernüchtere dich, sagte er, und dann geh wieder zu Bette!

Gerhard sah düster vor sich hin. Verzeih, daß ich dich um deinen Morgenschlaf gebracht habe, aber von dir kann ich nicht so fortgehn, wie von allen Andern. Siehst du, ich kann nicht bleiben, es ist unmöglich. Frage mich nicht nach dem Grunde. Es ist etwas in mein Leben gekommen, was mich ganz verstört und mit meiner eigenen Seele entzweit hat. Ich hoffe, es zu überwinden und die Krankheit aus meinem Blut zu bringen, das kann aber nicht hier geschehen unter den alten Verhältnissen, auch du kannst mir nicht dabei helfen, ich brauche eine gründliche Luftveränderung, darum will ich gleich jetzt die italienische Reise antreten. Meine Sachen hab' ich in der Nacht gepackt, ich konnte ohnehin kein Auge zuthun, und lasse den Koffer und das Bündel mit den Malsachen hier, du wirst mir's nachschicken, wenn ich dir von Rom aus oder schon früher meine Adresse schicke. Verzeih, mein Alter, daß ich dich damit bemühe, du aber bist ja der einzige Mensch, der mir noch geblieben ist. Alle Andern –

Und deine – dein Lottchen?

Sie ist nicht meine mehr, sie war's nie! Ihr und mir bin ich's schuldig, es ihr zu sagen. Nur, wann ich den Muth dazu finden werde – ich bin so zerstört in mir – aber geschehen muß es, Und jetzt, lieber Theuerster –

Wilm sah vor sich hin.

Es ist traurig, daß dich's forttreibt. Aber am Ende du mußt wissen, was du thust, und vielleicht thut die Luft im Süden auch an dir ihr berühmtes Wunder. Was ich freilich den Collegen darüber sagen soll –

Was dir einfällt, um mich nicht ganz als einen Verrückten erscheinen zu lassen, etwa, es hätte mir keine Ruhe gelassen, ein Bild im Museum zu copieren – oder ich hätte einen alten Bekannten dort getroffen – gleichviel! Ich bleibe ein paar Tage dort. Vor der Abreise schreibe ich an Sor Carlino und berichtige meine Schuld. O Wilm, wenn ich dir sagen dürfte –! Später einmal, wenn Alles – Und grüß mir auch – nein, du brauchst Niemand zu grüßen. Lebwohl!

Er war aus dem Zimmer gestürzt, ohne Wilm Zeit zu lassen, sich anzukleiden, um ihn bis an den Bahnhof zu begleiten. Draußen graute der Tag. Nur der Hausknecht war schon auf und sah mit Staunen den Herrn über den Hof eilen und auf der Landstraße sich entfernen. Da erst in zwei Stunden ein Zug nach der Stadt ging, konnte Gerhard sie nur zu Fuß erreichen. Das war ihm gerade recht, den Aufruhr in all seinen Sinnen zu beschwichtigen.

Nach zwei Tagen kam ein Brief von ihm an Wilm, er habe sich entschlossen, sogleich die Romfahrt anzutreten, werde sich aber, bis die kühlere Jahreszeit gekommen, im bayrischen Gebirge aufhalten, um Studien der dortigen Landschaft zu machen. Wilm möge die beiliegende Summe dazu verwenden, seine Rechnung im Hause zu begleichen, den ansehnlichen Überschuß den Dienstleuten geben. An den Wirth hatte er einen Abschiedsdank auf einer Karte beigefügt, die Collegen bat er freundlich zu grüßen und seinen abschiedslosen Aufbruch zu entschuldigen.

Dies Alles wurde von dem Freunde gewissenhaft erledigt. Es konnte nicht fehlen, daß die Zurückgebliebenen daran herumräthselten, was den Flüchtling, den sie ungern vermißten, so übereilt fortgetrieben habe. Doch behielten sie ihre Muthmaßungen meist für sich. Nur Lucinde äußerte gegen Wilm, wahrscheinlich wäre Herr Lürsen seiner Braut nachgereist und schäme sich nur, es einzugestehen. Aber das Fräulein sehe ganz danach aus, als ob sie ihren Verlobten schon jetzt unter dem Pantoffel hätte.

Wilm zuckte die Achseln und würdigte sie keiner Antwort.

Rita hatte die Nachricht stumm mitangehört.

*

Dann ging das Leben in der Malerkolonie in alter Weise weiter, etwa noch sechs Wochen. Als es zu herbsteln anfing, verließen die Collegen Einer nach dem Andern das Eichhorn, nur Wilm blieb noch in den October hinein zurück, unter dem Vorwand, ein paar Studien nach vergilbtem Laube zu malen. Im Grunde war's, weil er sich nicht entschließen konnte, Rita's Anblick zu entbehren.

Er gab sich keiner Täuschung darüber hin, daß seine Neigung völlig hoffnungslos sei. Auch wenn er in der Lage gewesen wäre, eine Frau zu nehmen und einen Hausstand zu gründen, daß dieses Mädchen seine Werbung nie erhören würde, ja daß er ihres Besitzes wohl nicht würdig wäre, hatte er sich schonungslos klar gemacht. Denn er fand sich sehr häßlich, und eine traurige Erfahrung, die er in seiner Jugend gemacht, da seine Liebe mit Hohn zurückgewiesen worden war, hatte ihn auf Frauengunst ein für allemal verzichten lassen. Auch brachte er's mit der Zeit dahin, ohne nagenden Schmerz in ihrer Nähe zu sein, glücklich, sie nur betrachten, sich an der stillen Anmuth und ernsten Klarheit ihres Wesens zu erfreuen, wenn auch nur auf kurze Stunden. Denn mit dem Heimflug der Malerschwalben hatte das gastliche Leben im »Eichhorn« nicht aufgehört. Die Stadtleute, die von ihren Bädern und Sommerreisen zurückgekehrt waren, machten sich die milden Herbstwochen fleißig zu Nutze mit Landpartieen und Mittagessen unter den Bäumen, die ihr goldenes Laub auf die gedeckten Tische niedertaumeln ließen, zu den Früchten, die den Nachtisch bildeten. Fast täglich fanden sich größere oder kleinere Karawanen in Birkenheide ein, oft unangemeldet, und erwarteten vom Wirth des »Eichhorns« gespeist und getränkt zu werden.

Wie Carlino es allezeit fertig brachte, war Wilm ein Räthsel. Freilich wäre es ohne die Hülfe seiner Tochter unmöglich gewesen, und Rita durfte es nicht unter ihrer Würde halten, selbst in der Küche mitzuhelfen. Sie that es mit einem fast fieberhaften Eifer, es schien, als ergreife sie begierig jede Thätigkeit, um irgend welchen quälenden Gedanken zu entrinnen.

Waren dann gegen Abend die angeheiterten Gäste unter Lachen und Scherzen fortgefahren und in der Veranda der Tisch säuberlich abgedeckt, dann kam wohl die junge Wirthin mit einem freundlichen Felice notte! herein, wo inzwischen Wilm sich schon eingefunden hatte, um noch ein Stündchen der Gesellschaft des heimlich angebeteten Mädchens froh zu werden. Auch der Vater, eine wärmere Jacke umgehängt, den rothen Feß auf dem Hinterkopf und die schwarze Cigarre im Mundwinkel, gesellte sich dazu mit dem gewohnten: È permesso? und hörte mit lebhaftem Interesse Wilm aus den Promessi Sposi vorlesen. Er hatte Rita gebeten, da ihre Schülerinnen sie verlassen, nun auch ihn im Italienischen zu unterrichten, und da er schon für sich selbst die Grammatik durchgenommen hatte, bestand er darauf, sogleich an die Lectüre dieses berühmten Buches zu gehen. Sie selbst kannte es schon aus ihrer römischen Zeit. Sie saß nun, eine Handarbeit im Schooß, ihm still gegenüber, nur dann und wann ihm eine Vocabel übersetzend, dachte aber über den Roman hinaus an ihr eigenes Schicksal, während ihm, so oft von Renzo's Liebe zu Lucia die Rede war, immer das Bild des schönen Wesens vor die Augen trat, das ihm hier so nahe und doch ewig fern war.

Eines Abends aber – es war November geworden, und man war aus der kalten Veranda in den kleinen Speisesaal übergesiedelt – als Rita zu Wilm eintrat, fand sie ihn in das Lesen eines Briefes vertieft.

Er legte ihn aus der Hand und sagte, ihr freundlich zunickend: Freund Gherardo hat endlich geschrieben, er ist schon seit sechs Wochen in Rom, hat aber so rasend gearbeitet, daß er nicht zum Schreiben kam. Er ist übrigens gesund und wie es scheint guter Dinge, da er ein Bild vor hat, das ihn riesig freut. An Euch hat er mir einen Gruß aufgetragen.

Er hatte sich wieder dem Brief zugewandt und sah nicht, wie ein glühendes Roth ihr Gesicht überflog.

Da ist noch was von ihm, fuhr er fort und zog aus dem großen Couvert ein zusammengefaltetes Blatt Pauspapier, das er vor sich ausbreitete. Seht, Liebe, das ist im Umriß seine neue Arbeit. Es ist wundervoll, ganz was Anderes, als seine frühere Art, eine Amazone, nackt auf einem herrlichen Pferd, mit dem sie, um sich vor einem Verfolger zu retten, einen Fluß durchschwommen hat. Seht nur, wie famos das ausgedrückt ist, daß der Gaul mühsam den steilen Uferhang hinaufklettert mit schnaubenden Nüstern, und das schöne Mädchen ihn mit der Gerte antreibt. Ihr Gesicht ist noch nicht ausgeführt, es kann was Schönes werden, wenn er die Wildheit und Angst und den kriegerischen Muth darin herausbringt. Und der Feind drüben, der eben den Pfeil auf seinen Bogen legt, da er sich nicht in den Fluß getraut – soll's ein Reiter werden oder ein Centaur? Er schreibt, er sei sich noch nicht klar darüber. Die Hauptsache sei die Amazone, er suche noch umsonst nach einem Modell, das ihm ganz genüge – nun, das wird sich ja finden. Die Hauptsache ist, daß er wohl und arbeitsfroh ist – ich hatte schon ernste Sorge um ihn.

Sie hatte die auf dem weißen Tischtuch sehr gut zu erkennende Umrißzeichnung schweigend betrachtet. Laßt es noch so, sagte sie dann, der Vater soll es auch sehen. Und – Ihr sagt, er hat mich grüßen lassen?

Da steht es: »Einen schönen Gruß an Sor Carlino und Rita. Ob sie wohl noch an mich denkt?«

Er hielt ihr die Stelle des Briefes hin, wo ihr Name stand. Sie sah lange darauf, dann sagte sie ruhig: Ich möchte Herrn Gherardo gern wieder grüßen. Wenn Sie so gut sein wollten, mir seine Adresse zu geben?

Das wird ihn freuen. Er wohnt Sant Andrea delle Fratte Nr. 9. Aber Ihr könnt das Briefchen bei mir einlegen, ich schreibe ihm selbst.

Wenn Ihr versprecht, es nicht zu lesen –

Was denkt Ihr, Rita! Wie würde ich das Briefgeheimniß verletzen! Aber Ihr habt Recht, es macht ihm vielleicht mehr Eindruck, wenn er auf dem Couvert von Eurer Hand das All' egregio Signore liest. Doch verzeiht, ich muß noch die Nachschrift lesen.

Sie setzte sich an den Tisch ihm gegenüber, die Augen immer auf die Zeichnung geheftet. Nun gottlob! Hörte sie ihn plötzlich sagen, da hat er ja endlich die Kette gesprengt. Es wird auch Euch interessieren, die Braut hat ja auch vor Euren Augen wenig Gnade gefunden, nun hat er sein Herz in beide Hände genommen und die Verlobung gelöst. Alle Heiligen seien gepriesen!

Rita saß in tiefem Schweigen. Ihre Wangen waren plötzlich erblaßt, sie athmete schwer, es fiel sogar Wilm endlich auf. In diesem Augenblick trat der Vater herein, ging sogleich auf die Zeichnung zu, und das lebhafte Gespräch drehte sich nur um die Amazone.

Als sie nach einer Weile sich nach dem Mädchen umsahn, war der Platz, wo sie gesessen, leer, und sie erschien erst nach langer Pause wieder, jetzt mit ihrer scheinbar gleichmüthigen Fassung. Daß ihre Augen geröthet waren, bemerkte weder der Vater noch der Freund.

*

Am nächsten Abend um dieselbe Zeit, als sie zu ihrem harrenden Schüler trat, hielt sie ein versiegeltes Briefchen in der Hand.

Legt es in Euern Brief ein, sagte sie, doch wenn Ihr nicht bald schreibt, schick' ich es lieber selbst ab.

Seid ohne Sorgen, erwiderte er. Ich habe ihm ohnehin allerlei zu sagen. Ihr werdet ihm wohl zu seiner Entlobung gratuliert haben, jetzt kann man's ja dreist thun.

Was denkt Ihr von mir! rief sie mit ihrer ganzen Hoheit ihn anblitzend. Was geht mich seine Braut an und was er thun oder lassen mag! Ich habe ihm nur etwas Wichtiges zu sagen gehabt, was keinen Aufschub leidet. Gebt mir meinen Brief doch lieber zurück. Man soll sich auf Niemand als auf sich selbst verlassen.

Nun, wie Ihr wollt, sagte er lachend. Was dies Wichtige ist, verlangt mich gar nicht zu wissen. Am Ende handelt sich's nur um ein rothes Band oder einen neuen Kamm für Euer Haar, den er Euch besorgen soll. Auch eine so stolze Romana di Roma, wie Ihr, bleibt doch immer ein Weib.

Sie zuckte die Achseln und gab ihm das Buch, damit er in der Vorlesung fortfahren sollte. Das Briefchen steckte sie sorgfältig in ihren Busen.

Der Inhalt aber war, ins Deutsche übersetzt, folgender:

 

»Hochgeschätzter Herr Gherardo!

Herr Wilm hat mir den Gruß bestellt, den Ihr ihm für mich aufgetragen habt. Ich danke Euch herzlich dafür. Auch das Bild hat er mir gezeigt, an dem Ihr jetzt malt, es wird gewiß sehr schön, nur wollte ich Euch bitten, daß Ihr zu der Amazone ein römisches Modell nehmt, nicht mein Gesicht. Wenn einer Eurer Freunde, die mich in Birkenheide kennen gelernt, das Bild betrachten würde und mich erkennen, würde ich mich zu Tode schämen, als hätt' ich Euch so wie dort auf dem Pferde Modell gesessen, da Ihr doch wißt, ich war so bekleidet, wie die Damen in den Seebädern, die mit Herren zusammen baden, nach dem was ich von einem unserer Maler gehört habe. Also nicht wahr, Ihr erfüllt meine Bitte und ich danke Euch tausendmal dafür und bin mit vielen Grüßen Eure ergebenste

Margherita Pandolfi.

 

Ich muß aber noch von Einem reden, das mir viel Kummer gemacht hat, nämlich daß ich Euch in der letzten Nacht so zornig von mir gestoßen habe, als Ihr mir holde Worte sagtet, das habe ich gleich nachher tief bereut. Und es war auch eine Lüge, wenn ich sagte, ich liebte Euch nicht. Ich habe Euch im Herzen getragen von dem Abend an, wo Ihr zuerst in die Veranda tratet, Ihr aber habt mich nicht beachtet. Das muß ich Euch jetzt beichten, und obwohl es für ein Mädchen sich nicht schickt, darf ich es doch thun, um eine Lüge zu widerrufen, und auch, weil es Euch ja doch gleichgültig sein wird. Denn wenn ich Euch einen Augenblick gefiel und Ihr fandet mich schön, so sind doch in Rom tausend weit Schönere als ich, und Ihr werdet mich längst vergessen haben.

Und so lebt wohl und nehmt es mir nicht übel, daß ich so viel geschwatzt habe. Es ist ja mein erster und letzter Brief an Euch, und ich habe ihn italienisch geschrieben, weil ich das Deutsche wohl sprechen kann, aber nicht richtig schreiben, so daß Ihr über meine Fehler lachen würdet. Ihr aber lebt jetzt in meiner Heimath und hört täglich meine schöne Sprache – ob ich sie je wieder hören werde?

Nochmals Eure

Rita.«

 

Die letzten Zeilen waren etwas verwischt, aber die Schreiberin, als sie ihre Augen trocknete, dachte, es könne nicht schaden, wenn er sähe, wie ihr bei der Abfassung des Briefes zu Muth gewesen.

Sie trug ihn am andern Morgen in aller Frühe nach dem Briefkasten am Bahnhof. Als sie zurückkehrte, hielt sie den Kopf hoch und ihre Augen leuchteten.

*

Sie verloren aber ihren Glanz, als eine Woche verging und keine Antwort kam.

Wilm tröstete sie, er sei so in seine Arbeit vertieft, daß er zum Schreiben keine Zeit finde. Auch sei er von jeher ein schlechter Briefschreiber gewesen. Angekommen sei ihr Brief wie auch seiner gewiß, und wenn sie ihm einen Auftrag gegeben, wolle er vielleicht warten, bis er melden könne, daß er ihn ausgeführt habe.

Sie schüttelte trübe den Kopf. Von einer Putzsache sei nicht die Rede gewesen. Was sie ihn gebeten, hätte er ihr mit einem Wort zusichern können.

Sie kam nicht wieder darauf zurück und verlor auch bald den Einzigen, mit dem sie von dem fernen Schweigsamen hätte reden können. Sie waren tief in den November hineingekommen, die Abende wurden immer länger, die Nächte kälter. Wilm hatte überdies einen Auftrag bekommen, Bilder für eine populäre deutsche Geschichte zu liefern, der ihm die Nähe einer Bibliothek unentbehrlich machte.

So riß er sich von dem theuren Mädchen los, das auch ihn ungern entbehrte. Sobald er etwas aus Rom erfahre, werde er sie's wissen lassen.

Aber Tage und Wochen vergingen, und weder von ihm noch aus Rom kam eine Botschaft, die sie in ihrer Einsamkeit hätte trösten können.

Es war in der That ein Zustand, daß auch ohne einen Herzenskummer ein junges Wesen mehr und mehr in düstere Schwermuth versinken mußte.

Der Winter hatte früh eingesetzt, der Garten des »Eichhorns« war völlig kahl, im Hause schon am Nachmittag ein schauerliches Dunkel. Von Gästen, die eine Zerstreuung gebracht hätten, war keine Rede mehr, der Wirth, wenn er für die paar Hausgenossen das sehr einfache Mahl gekocht hatte, zog sich in einen Winkel der Küche zurück, um noch etwas von der Herdwärme zu genießen, und erfüllte den Raum mit dicken Wolken seiner schlechten Cigarre. An ihm hatte die Tochter keine Gesellschaft. Er litt an Rheumatismen, und von seinen Lippen kam Nichts als Klagen über das schlechte Klima und den langen nordischen Winter.

Rita war sonst die Kälte gewohnt gewesen. Sie hatte es aber doch in ihrer Kammer unterm Dach in diesem Winter nicht ausgehalten, sondern war in den ersten Stock hinuntergeflüchtet, in das Zimmer, das Gerhard bewohnt hatte, und wo, wie sie dem Vater sagte, der Ofen nicht rauchte. Wenn sie in seinem Bette lag, überkam sie ein eigenes Wohlgefühl, als wäre ein Hauch seines Wesens zurückgeblieben. Auf seinem Schreibzeug hatte er eine Feder zurückgelassen und ein paar Bogen Papier. Danach griff sie und schrieb an verschiedenen Tagen lange Briefe an ihn, die sie dann wieder zerriß. Sie hatte ihm nichts Besonderes zu sagen, nur daß sie traurig sei, in den Wind nach ihm gerufen zu haben, und kein Wiederhall sei zurückgekommen. Und dann erzählte sie ihm von ihrem Leben, einmal sogar von dem zurückgegangenen Verlöbniß, und es erleichterte ihr, so lang sie mit ihm redete, das schwere Herz. Wenn sie das Blatt dann aber im Ofen auflodern sah, fiel der Druck ihres Schicksals mit um so härterer Wucht über sie, und sie stieß in ihrem stillen Zimmer zuweilen einen Schrei aus, wie ein verwundetes Thier.

Oder sie saß, Micetto auf dem Schooß haltend, bei einer kleinen dreiarmigen römischen Lampe und las wieder und wieder in dem Roman von den Verlobten. Wilm hatte ihr ein paar andere italienische Bücher geschickt, darunter die Sonette Petrarca's. Die fand sie leer und langweilig. Was ihre Brust erfüllte, klang so viel feuriger und hoffnungsloser, und doch mit einer viel süßeren Melodie.

Ihr Vater merkte endlich doch auch, daß sein Kind magerer und bleicher wurde und fast unheimlich aus den Augen sah. Da sie aber versicherte, ihr sei ganz wohl, gab er sich mit dem Egoismus der Kranken wieder zufrieden.

Den Kellner hatten sie entlassen, nur die Magd und der Hausknecht waren geblieben, doch wahrlich kein Gewinn für einsame Abende. Der Knecht wurde immer mürrischer, er hatte Nichts zu thun, als Orlando zu füttern und zu striegeln und täglich eine Stunde herumzuführen, denn seit jener Nacht hatte Rita sich nicht wieder entschließen können, mit ihm auszureiten, und Niemand, als die Herrin, duldete er auf seinem Rücken. Sie kam wohl einmal in den Stall, streichelte ihm den Kopf und ließ ihn den Zucker aus ihrer Hand nehmen, wobei er sie dann fast wie ein Mensch mit stillem Vorwurf anblickte. Auch das hörte auf, je tiefer es in den December hineinging. Man sah die dunkle Gestalt nur noch zuweilen den Fluß entlang wandeln, bis zu der Bank am See, und die Bauernweiber, die ihr begegneten, erzählten dann, es sei mit dem Fräulein nicht mehr ganz richtig, der Vater sollte sie doch in die Stadt schicken und einen Doctor ihretwegen befragen

An einen Arzt für sein bleiches Kind dachte Sor Carlino nicht von fern. Sich selbst, da er sich sehr krank fühlte, behandelte er mit römischen Hausmitteln und heißen Tüchern, die ihm die Magd am Herde bereiten mußte.

*

So war man tief in den December hineingekommen

Das klare Frostwetter hatte wieder einer weichen Schneeluft Platz gemacht, der Garten war völlig unzugänglich durch die kleinen mit gelben Blättern gefüllten Lachen und von den Bäumen troff der schmelzende Schnee.

In der Stadt sah es nicht freundlicher aus. Aber das Zimmer, in dem Wilm Abends bei seiner Arbeit saß, war durch eine große Hängelampe über dem Zeichentisch traulich erhellt, und im Ofen flackerte ein munteres Feuer. Der Zeichner mußte auch die Abendstunden zu Rathe halten, wenn er zum bestimmten Termin fertig werden wollte.

Ein leises Klopfen machte ihn aufblicken. Auf sein unwirsches Herein!, da ihm jede Störung verhaßt war, öffnete sich die Thür, und eine verhüllte dunkle Gestalt trat über die Schwelle. Sie blieb schüchtern stehen, streifte die Kapuze des dicken braunen Mantels zurück und – Rita! rief er – Ihr, zu dieser Zeit? – was ist geschehen? Der Vater –

Mein Vater ist nicht kränker, als immer, antwortete sie mit ihrer weichen, tiefen Stimme. Ich selbst – wenn es so weitergeht –

Sie stockte und drückte die Augen ein. Er erschrak, wie er jetzt die Verheerung sah, die Kummer und Sehnsucht und trostlose Öde in dem schönen Gesicht angerichtet hatten.

Rita, sagte er und ergriff ihre eiskalte Hand, die schlaff am Körper herabhing, theure Rita, um Gotteswillen, was habt Ihr? Vertraut Euch mir, Eurem besten Freunde, und glaubt, was ich irgend thun kann, Euch zu helfen – aber vor Allem setzt Euch dort auf das Sopha, und nehmt den Mantel ab, der ganz feucht vom Nebel ist, und ich will meine Wirthin rufen, daß sie Euch einen heißen Thee macht.

Sie blieb regungslos auf demselben Fleck.

Ich dank' Euch, sagte sie, aber bemüht Euch nicht, ich bedarf Nichts. Ich bin nur gekommen, eine Frage zu thun, dann will ich gleich wieder gehn, um den nächsten Zug zu nehmen. Sagt mir ehrlich: hat er Euch geschrieben, daß er mir nicht antworten wolle, weil er mich verachtet?

Ihr ganz weißes Gesicht hatte sich bei diesen Worten geröthet. Sie heftete die fieberhaft glänzenden Augen fest auf den Freund, den ein unendliches Mitleid mit dem armen Kinde befiel und es ihm schwer machte, zu antworten.

Rita, sagte er endlich, was denkt Ihr auch? Euch verachten? Wie könnte er das? Wie hätte er ein Recht dazu?

Wenn er in mein Herz sehen könnte, sagte sie dumpf, so hätte er freilich kein Recht, und das hab' ich ihm geschrieben und ihm Alles erklärt. Aber vielleicht war's zu spät, es hat sich in ihm bereits festgesetzt, daß ich zuchtlos bin und eine wilde Thörin, und es müsse nun für immer aus sein zwischen uns. Sagt offen, daß es so ist. Euch wird er kein Geheimniß daraus gemacht haben.

Er schwieg noch eine Weile. Er überlegte, was schonender sei, ihr die Wahrheit zu sagen oder eine Ausflucht zu erfinden, doch fühlte er, daß sie am schwersten an ihrem falschen Verdacht leide, alles Andere sie nicht so tief verwunden könne.

Meine arme Freundin, sagte er, Ihr irrt, wenn Ihr glaubt, er habe gegen mich nicht gut von Euch gesprochen. Ihr müßt wissen, auch ich habe keine Antwort auf meinen Brief von ihm bekommen. Da mich das ängstigte, schrieb ich vor acht Tagen an einen gemeinsamen Bekannten, wie es um Gerhard stehe, ob er Briefe von mir und einer anderen Hand bekommen habe. Vor drei Tagen erhielt ich nun Nachricht. Diese beiden Briefe und viele andere seien allerdings richtig angekommen, aber noch nicht gelesen worden. Denn vor fünf Wochen habe unsern Freund, der sich durch die hitzige Arbeit an seinem Bilde erschöpft, ein schweres Malariafieber überfallen, das ihn ohne die energische Behandlung seines deutschen Arztes, vor allem seine unverbrauchte Jugendkraft aus dem Leben gerissen haben würde. Jetzt sei endlich die Gefahr vorüber, der Kranke bedürfe aber noch der äußersten Schonung, und weder ein Gespräch mit den Freunden, noch das Lesen von Briefen dürfe ihm erlaubt werden.

Das Mädchen stand noch immer regungslos, ihre Augen starrten an ihm vorbei ins Leere. Endlich sagte sie: Krank? Wo liegt er? Haben sie ihn ins Ospedale gebracht?

Sie haben's gewollt, er aber hat sich heftig dagegen gewehrt, so lange er noch bei Besinnung war. Er ist in seiner Wohnung geblieben, seine alte Wirthin pflegt ihn, eine Schneidersfrau. Die Freunde haben in der ersten Zeit abwechselnd Nachts bei ihm gewacht. Jetzt ist das nicht mehr nöthig.

Sie schien noch einen Augenblick über etwas nachzusinnen Dann hob sie den Kopf, wie wenn sie zu einem Entschluß gekommen wäre.

Es ist gut! sagte sie. Ich danke Euch. Addio!

Wo wollt Ihr hin, Rita? Bleibt doch noch und ruht Euch aus, Ihr seht ganz entgeistert aus. Nein, Ihr braucht Euch nicht um ihn zu ängstigen, Ihr hört ja, seine gesunde Natur hat ihn herausgerissen, das Weitere – aber wenn Ihr durchaus schon gehen wollt, ich – Er griff nach seinem Hut.

Wozu mich begleiten? Ich finde allein meinen Weg! sagte sie mit rauher Stimme. Lebt wohl!

So eilte sie aus dem Zimmer.

*

Als sie draußen beim »Eichhorn« wieder anlangte, war's dunkle Nacht, über neun Uhr. Ohne sich zu besinnen, stieg sie tastend die Treppe hinauf, wo nicht mehr eine Lampe brannte, und kam zu der Thür ihres Vaters. Die Magd kauerte im Gange auf einem Schemel und fuhr in die Höhe, als sie Rita's Schritt hörte. Sor Carlino sei schon vor zwei Stunden ins Bett gegangen und habe einen heißen Wein getrunken, um warm zu werden, da die Schmerzen ihn zu sehr geplagt hätten. Nun schlafe er fest.

Rita zauderte einen Augenblick. Dann sagte sie: Weckt den Herrn nicht. Ich muß noch einen Gang machen. Seht nach ihm, daß ihm nichts fehlt, wenn er aufmachen sollte. Gute Nacht!

Dann ging sie in ihr Zimmer hinunter, machte Licht und schrieb, immer in ihren Mantel eingehüllt, auf ein leeres Blatt:

 

»Sei mir nicht böse, liebster babbo, daß ich ohne Abschied von dir gehe. Ich kann aber nicht bleiben, es ruft mich Jemand, der kränker ist, als du, und mich mehr bedarf. Sobald ich zu ihm gekommen bin, schreib' ich dir Alles. Lebewohl

Rita.«

 

Sie legte das Blatt offen hin, daß es am Morgen gleich gefunden werden mußte. Dann warf sie noch einen Blick im Zimmer umher, lief zu einer alten Kommode und schloß hastig ein Schubfach auf. Ihre kleinen Ersparnisse lagen darin in einem Beutelchen, das steckte sie zu sich. Er kann's vielleicht brauchen, sagte sie vor sich hin. Dann löschte sie das Licht und hastete die Treppe hinunter in den Hof.

Die Stallthüre stand offen, der Knecht aber war nicht zu erblicken. Er saß im Kruge mit den Bauern beim Bier. Sie mußte selbst ihren Orlando satteln und aufzäumen. Als sie sich aber aufschwingen wollte, hörte sie einen kläglichen Ton. Micetto war herausgeschlichen und strich um das lange Kleid s einer Herrin mit erhobenem Schweif. Du bist's? sagte sie. Du kannst mitkommen, wenn du willst. Er hat dich schön gefunden.

Sie hob das Thier hinauf, stieg dann selber nach und ritt durch das Gitterthor, das der nachlässige Knecht gleichfalls nicht verschlossen hatte.

Es war eine stille, schaurig feuchte Nacht, die Mondsichel stand schwach glänzend am Himmel, von den Bäumen tropfte der geschmolzene Schnee. Ein Schauer überlief das Mädchen, als es jetzt in die Wiesen hinausritt, ohne einer Straße zu folgen, nur immer nach Süden. Dort, wußte sie, lag Rom. Sie zog den Mantel fester um sich, unter den die Katze sich verkrochen hatte, und sah unverwandt in die dunkle Ferne, nur Einen Gedanken in ihrem armen Kopf: er liegt krank, und ich muß zu ihm, ihn zu pflegen.

Drei Stunden ritt sie so, auf Dorfstraßen, durch Wälder und wieder offenes Land. Das Pferd, an solche Strapazen nicht gewöhnt, fing an zu ermatten, stand oft still und war nur durch einen scharfen Ruck des Zügels zum Weitergehen zu bewegen. Als sie zu einem Einödhof kam, begriff sie, daß sie ein wenig rasten müsse. Es gelang ihr nur mit Mühe, die Bewohner des Gehöfts aus dem Schlaf zu wecken. Sie erschraken vor der nächtlichen schwarzen Reiterin auf dem silbergrauen Pferde. Erst als sie Geld zeigte, ließen sie sich herbei, für Orlando Hafer und für Micetto ein Schüsselchen mit Milch zu bringen.

Rita genoß nichts, als die kurze Ruhe auf der Ofenbank. Nach einer Stunde brach sie wieder auf.

Es war noch völlig dunkel. Erst gegen Morgen kam sie auf die Landstraße nach einer Eisenbahn, und der Bahnwärter, der eben aus seinem Häuschen trat, starrte sie an wie ein Gespenst. Ob von hier aus ein Zug nach Rom gehe? fragte sie. Der Mann schüttelte den Kopf und starrte sie verständnißlos an. Einen Augenblick überlegte sie, ob sie nicht doch lieber die Reise mit der Eisenbahn fortsetzen sollte. Bis zur nächsten Station, wo sie einsteigen konnte, war's nicht mehr weit. Aber was sollte dann aus Orlando werden, wenn sie auch Micetto auf dem Schooß vielleicht mitnehmen dürfte? Sie schlug sich den Gedanken wieder aus dem Sinn. Auch konnte es ja bis Rom nicht allzu weit sein. Hatte sie doch damals mit der Mutter nur ein paar Tage und Nächte gebraucht, bis sie beim Vater ankam. Und ihre fieberhafte Ungeduld war so groß, daß sie nicht lange überlegen mochte, sondern nur fort, nur fort strebte. Zudem ging endlich die Sonne auf, ein trüber, rother Feuerball hinter schwerem grauem Nebel, der kein mildes Reisewetter versprach. Aber sie erkannte nun doch unzweifelhaft, wo Süden war und – Rom. So trieb sie Orlando, der vor einer Stunde wieder ein wenig Futter gehabt hatte, mit dem gewohnten Zuruf an und ritt, den müden Kopf tief auf die Brust gesenkt, wie träumend in die weite fremde Welt hinein

*

Auf den harten aber kurzen Winter war ein ungewöhnlich früher Frühling gefolgt. Die Märzveilchen sproßten auf den Beeten des Eichhorngartens in seltener Fülle; die Bäume fingen voreilig an zu knospen, und in dem Flusse trieben die letzten dünnen Eisschollen dahin.

Eines Morgens hatte Wilm gerade den Vorsatz gefaßt, von der langen Winterarbeit sich ein wenig zu lüften und einen Gang ins Freie zu machen, als seine Thür sich leise öffnete und eine hochgewachsene, etwas gebeugte Gestalt über seine Schwelle trat.

Gerhard! Bist du's oder dein Geist? rief der höchlich Überraschte. Welcher gute Wind hat dich jetzt schon hergeführt? Du wolltest ja erst in vier Wochen kommen.

Vielleicht wär's auch weiser gewesen, erwiderte der Andere. Aber ich hielt's nicht länger aus. Das Herz nimmt eben keine Vernunft an. Nun bin ich da. Laß mich sitzen! Deine drei Treppen – und ich bin die ganze Nacht gefahren, nur in Trient blieb ich vierundzwanzig Stunden liegen.

Er hatte sich auf das Sopha gesetzt, mit einem Seufzer der Erleichterung. Wenn du mir ein Glas Wein geben könntest – Oh, mein Alter; was habe ich ausgestanden!

Es steht dir auf dem Gesicht geschrieben Aber nun wollen wir dich schon wieder auf die Beine bringen, denn natürlich bleibst du jetzt hier.

Versteht sich, wo sollte ich sonst – das heißt – nicht in der Stadt, sondern natürlich draußen im »Eichhorn«.

Wilm zuckte zusammen.

Draußen? Ja, mein Sohn, draußen ist nicht Alles wie es war. Unsern Sor Carlino wirst du sehr verändert finden, ganz zusammengeschnurrt wie ein altes Männchen. Er hat auch einen bösen Winter gehabt und keine Freude mehr am Geschäft, hat vor, das »Eichhorn« zu verkaufen und sich in irgend einen sonnigen Winkel im Süden zurückzuziehn.

Das finde ich ganz vernünftig, versetzte Gerhard, den Wein hinunterstürzend, den Wilm ihm eingeschenkt hatte, wenn er nur Rita nicht mitnehmen will.

Rita!! –

Ja wohl, zu der muß ich gleich hinaus. Sie hat mir einen Brief geschrieben, der darf nicht länger unbeantwortet bleiben. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätt' ich gleich, nachdem ich ihn gelesen, einen Eilzug gemiethet, zu ihr hinzufliegen. Ich wäre freilich todt bei ihr angekommen. Wie geht's ihr denn? Du sprachst von einem bösen Winter. Sie war's doch nicht, die dem babbo Kummer gemacht hat. Na, ich will gleich selber nachsehen –

Er wollte aufstehen, Wilm drückte ihn auf das Sopha zurück. Es hat keine Eile, sagte er, denn Rita – du findest sie nicht draußen.

Der Andere starrte ihn mit Entsetzen an. Was sagst du? Sie hat doch nicht etwa – sich verheirathet?

Sei ganz ruhig, lieber Sohn, brummte Wilm in den Bart. Er hatte sich neben den Freund gesetzt, um an ihm vorbeisehen zu können, während er erzählte. Nein, Liebster,– kein Anderer hätte sie dir weggefischt, als Einer – hm! dem man eben keinen Korb giebt. Willst du mir versprechen, ganz gelassen mich anzuhören? Nun, ich habe ihr, als sie in Angst war, du hättest ihr nicht antworten wollen, weil du gering von ihr dächtest – warum sie das meinte, wollte sie mir nicht sagen – nun, da hab' ich ihr von deiner Krankheit berichten müssen. Das wundersame Mädchen! Wirst du glauben, daß sie sich keinen Augenblick besann, sondern in derselben Nacht fortritt, nach Rom, um dich zu pflegen? Ihr Geist war damals schon getrübt, sonst hätte sie einsehn müssen, daß es Unsinn war, Orlando einen Ritt nach Sant Andrea delle Fratte zuzumuthen. Kannst du dir so was vorstellen? Aber sie war eben ein heroischer Charakter. Und so verschwand sie über Nacht, aus dem Zettel, den sie hinterließ, konnte der Alte nicht klug werden, was sie vorgehabt hatte, erst als er mich befragte, kamen wir ihr auf die Spur. Doch wo wir sie suchen sollten, ahnten wir nicht und auch die Polizei brachte uns nicht auf die richtige Fährte. Erst auf ein Inserat in der Zeitung kam eine Depesche aus Altenburg, vom Pfarrer des kleinen Orts, die Gesuchte sei bei ihm und liege an einer Gehirnentzündung krank. Am dritten Tag nach ihrer Entfernung war sie zusammengebrochen, zum Glück vor der Thür seines Pfarrhauses.

Wir fuhren sofort hin zu ihr, ich konnte den armen Alten nicht allein reisen lassen. Zwar fanden wir sie noch am Leben, aber sie erkannte Keinen von uns. In ihren Phantasieen nannte sie nur immer Rom und deinen Namen. Am fünften Tage verstummte sie für immer.

Er schwieg noch eine Weile und wagte dann scheu, sich nach dem stillen Freunde umzusehn. Der lag, den Kopf zurückgelehnt, ohne ein Lebenszeichen zu geben, im Sopha, mit blicklosen offenen Augen an die Zimmerdecke starrend. –

Als er nach drei Wochen zum erstenmal wieder das Bett des Freundes verließ, wo dieser ihn wie einen Bruder gepflegt hatte, und vor den Spiegel trat, stierte ihm ein ganz fremdes Gesicht entgegen, die Augen tief in den Höhlen liegend, die eingefallenen Wangen von einem wilden Bart umstarrt. Das dichte Haar aber, das ihm auf die Stirne fiel, war grau.

 

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