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Lucile

(1904.)

 

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Ich war spät am Abend in H. angekommen, und da ich von der langen Fahrt ermüdet war und der Morgenzug vor Thau und Tage weiterging, beschloß ich auszuschlafen und den folgenden Tag mich in der alten Stadt umzusehen, in der, wie ich wußte, noch mancherlei Reste mittelalterlicher Baukunst sich erhalten hatten.

Sie waren denn auch vorhanden, doch unter gemüthlosen Neubauten dermaßen eingeklemmt, daß sie eher eine wehmüthige als eine erfreuliche künstlerische Stimmung erzeugten, und ich früher, als ich gedacht, meinen Rundgang beendet hatte. Die Pietät einer späten Nachwelt beschränkt sich ja gewöhnlich darauf, dergleichen ehrwürdige Erbstücke der Urväterzeit einzeln wie in einem Raritätenkasten zur Schau zu stellen, statt durch eine Umgebung verwandten Stils etwas von ihrem alten Zauber lebendig zu erhalten.

Nach einer Spazierfahrt in der anmuthigen Umgegend, die leider durch Fabrikgebäude vielfach entstellt worden ist, war ich auch mit meinem Nachmittag allzu früh fertig und überlegte eben, ob ich nicht mit dem Abendzug weiterfahren sollte, als mir noch einfiel, daß ein guter Freund von mir aus den Anfängen meiner Münchener Zeit in der Stadt lebte, ein Architekt, den ich kennen gelernt hatte, als er auf dem Polytechnikum studierte und schon damals zu der Hoffnung berechtigte, sich zu einem trefflichen Meister seiner Kunst auszuwachsen.

Ich hatte dann später nur von ihm gehört, daß diese Hoffnung in vollem Maße in Erfüllung gegangen war. Die Zeitungen hatten gemeldet, er sei in verschiedenen Wettbewerben um große Bauten als Sieger hervorgegangen. Direct von ihm hatte ich nichts weiter vernommen, als daß er mir vor längerer Zeit ein Heft mit seinen Entwürfen zu Privathäusern zugeschickt hatte, und vor etwa zehn Jahren die Anzeige seiner Vermählung mit einer jungen Engländerin.

Bei meinem Dank für beides und der Gegengabe eines meiner Bücher war es geblieben. Doch stand mir sein feines, geistvolles Gesicht mit den leuchtenden Künstleraugen so warm in der Erinnerung, daß, als der Name mir plötzlich wieder einfiel, ich es als ein richtiges Herzensbedürfniß empfand, den alten, so lang abgerissenen Faden wieder anzuknüpfen.

Im Hôtel, wo ich nach ihm fragte, erfuhr ich, daß er zu den Notabilitäten der Stadt gerechnet wurde und die Ehre gehabt hatte, bei einem Besuch des Kaisers und der Kaiserin als Führer der Herrschaften durch die zwei alten Kirchen und das städtische Museum besonders ausgezeichnet zu werden. Er bewohne ein reizendes Haus nahe vor der Stadt, sei auf dem Wege, ein reicher Mann zu werden, mache aber keinen sonderlichen Aufwand und nehme auch selten an der Geselligkeit der Honoratioren Theil, da er mit Aufträgen überhäuft und ein leidenschaftlicher Arbeiter sei.

Es war Abend geworden, als ich bei dem Hause, das man mir bezeichnet hatte, anlangte. Das lag in einem Garten, über dessen Wipfel eben eine zarte Mondsichel heraufkam. Während ich an dem verschlossenen Gitter wartete, daß es mir auf mein Anläuten geöffnet würde, hatte ich Zeit, die schöne Schmiedearbeit zu studieren, die in feinen Ornamenten die schlanken Eisenstäbe verzierte. Dann kam ein Diener, mich einzulassen. Der Herr Baurath sei noch abwesend, aber wenn ich einstweilen der gnädigen Frau meine Aufwartung machen wolle – –

Natürlich wollte ich es. So folgte ich dem Diener und näherte mich dem Hause, das hinter einem offenen, mit Blumenanlagen reich ausgestatteten Rasenplatz lag, in dessen Mitte ein Springbrünnchen fast geräuschlos seinen Strahl in ein schöngebildetes Becken niederfallen ließ. Das Haus selbst, nur ein Stockwerk über einem hohen Erdgeschoß, über der Eingangspforte durch eine Loggia zwischen zwei Säulen nach vorn geöffnet, durch ein ziemlich stark vortretendes Gesims abgeschlossen, erinnerte ein wenig an das Haus, das Palladio in Vicenza für sich selbst erbaut hat, nicht sowohl durch die Raumvertheilung der Fassade, die hier völlig anders war, als durch den feinen Sinn und Takt, mit dem das Wohnhaus eines einfachen Privatmannes künstlerisch geadelt war, ohne doch an die anspruchsvolle Architektur eines Palazzo zu erinnern.

Derselbe vornehme und doch schlichte Geschmack zeigte sich auch im Innern, so viel ich nach dem Vestibül und dem Wohnzimmer urtheilen konnte, in das der Diener, ein grauköpfiger Alter in sauberem Hausanzug, mich eintreten ließ. Er werde der gnädigen Frau, die eben in der Kinderstube sei, wo sie die Schularbeiten der Knaben beaufsichtige, sofort meine Karte bringen.

Ehe er ging, hatte er noch auf den Knopf gedrückt, der die elektrischen Flämmchen aufglühen ließ, die durch rosige Glocken sanft gedämpft waren. So konnte ich die schönen Verhältnisse des Gemachs, die reiche, aber nicht überladene Ausstattung mit Möbeln, die alle von der feinen Künstlerhand des Hausherrn gezeichnet zu sein schienen, und die Bilder an den Wänden, zumeist Photographieen nach italienischen Meistern, mit Muße betrachten.

Ich war so in diese Umschau vertieft, daß ich das Aufgehen der Thür und das Eintreten der Hausfrau überhörte und mich erst umwandte, als ich meinen Namen aussprechen hörte, mit einer sanften, etwas verschleierten Stimme, die mit der gedämpften Stimmung dieses Raumes im Einklang war.

So auch die Gestalt, die mich mit einem leichten Neigen des wundervollen Kopfes begrüßte. Und dieser Kopf – wenn der Ausdruck »Cameengesicht« so oft mißbraucht wird, hier war er völlig an seinem Platz, und ich kann mich des thörichten Bemühens, den klassischen Zug dieses Profils zeichnen zu wollen, enthalten, indem ich an die viel verbreiteten sicilischen Münzen erinnere, denen, von zwei Fischen umspielt, der Kopf der Arethusa aufgeprägt ist.

Und dieser Kopf saß auf einem schlanken, weißen Halse, zu dem ein paar freie Locken des in einem einfachen Knoten aufgesteckten, herrlichen blonden Haares herabfielen. Gekleidet war die schöne, noch jugendliche Figur in ein helles Hausgewand, unter der schlanken Büste durch den rothseidenen schmalen Streifen eines indischen Shawls gegürtet, ohne jeden Schmuck, als eine dünne venetianische Kette um den Hals, an dem sie eine Lorgnette von Schildpatt trug.

Der Eindruck der ganzen Erscheinung war so wundersam, daß ich zunächst mich in das Anschauen verlor und, mich verneigend, kein Wort hervorbrachte. Ein solches Verstummen pflegt eine schöne Frau niemals als eine Kränkung aufzunehmen, und das leichte Roth, das ihre Wangen nur noch lieblicher machte, war nichts weniger als eine Röthe des Unwillens.

Als sie meiner Verlegenheit aber zu Hülfe kam, ihren Mann entschuldigte, der noch auf seinem Bureau verweile, und mich zum Sitzen einlud, sah ich, daß auch ihr Betragen auf denselben harmonischen Ton gestimmt war, der ihr Äußeres so anziehend machte. Nur eine gewisse Befangenheit sprach sich darin aus, wie von einem jungen Mädchen, vor dem das Leben noch wie ein verschleiertes Geheimniß liegt, dessen Schleier zu lüften ihr eine engklösterliche Erziehung als einen Frevel vorgestellt hat. Und doch war sie seit zehn Jahren verheirathet und hatte ihrem Manne drei Kinder geboren.

Als sie von diesen sprach, belebten sich freilich ihre stillen Züge, und ein Lächeln erschien an dem schönen Munde, das ihn vollends reizend machte. Sie fragte, ob ich die Kleinen sehen wolle, und erhob sich, sie zu holen. Als sie dann mit ihnen zurückkehrte, war's, als wäre nun erst in das schöne Bild volles Leben gekommen.

Es waren zwei Knaben von etwa neun Jahren, Zwillinge, neben ihnen ein kleines, ganz in Weiß gekleidetes, reizendes Ding von Mädchen, wie ich etwas Holdseligeres nie gesehen hatte.

Das Gesichtchen war nicht so regelmäßig wie die ihrer Brüder, die ganz der Mutter glichen. Aber in den lebhaften, blauen Augen leuchtete etwas, das mich sogleich an den Vater erinnerte, und um das fein geschwellte Mündchen, das sich nie ganz schloß, lag ein Zug von Schelmerei, der, wenn das kleine Geschöpf eine Frage that oder über etwas nachsann, einem seltsamen Ausdruck von ernster Wißbegierde wich, bis dann plötzlich der frühere übermüthige oder witzige Zug wieder hervortrat.

Die Knaben veränderten keine Miene, während die Mutter mir ihre Namen nannte. Sie verbeugten sich wie wohlerzogene junge Herrlein, und ich bekam kaum ihre Stimmen zu hören. Alles an ihnen war englische Correctheit und frühzeitiger guter Ton. Das fünfjährige Mägdlein dagegen trat mit großen, forschenden Augen vor mich hin, streckte mir mit einer lieblichen Vertraulichkeit beide Händchen entgegen und that allerlei naive Fragen, die sich alle auf meine Bekanntschaft mit ihrem »Pa« bezogen. Die Mutter hatte ihr gesagt, ein Jugendfreund ihres Vaters sei gekommen, sie zu besuchen. Nun verlangte sie zu wissen, wie der Papa damals ausgesehen, ob er schon einen Bart gehabt habe, ob er lustig gewesen und gern gespielt habe. Aber das sei eine dumme Frage, warf sie sich selber ein. Ihr Pa habe ja damals schon studiert. Es sei so schlimm, daß er jetzt so wenig Zeit habe, sich mit ihr abzugeben, sie möge das so schrecklich gern, wenn er ihr was erzähle, sie lerne von ihm viel lieber als von ihrer Gouvernante, denn kein Mensch wisse so viel wie er und könne so schön zeichnen – und so fort in diesem Stil, während sie zwischen meinen Knieen stand und ich mit der einen Hand ihr dichtes, braunes Haar streichelte, das ihr ziemlich wild um den runden Kopf hing.

Die beiden jungen Adonisse standen indessen sichtbar gelangweilt neben der schönen Mutter, die auf dem Divan mir gegenüber saß. Du wirst dem Onkel lästig mit deinen vielen Fragen, Lucy, sagte die Frau. Das junge Gesichtchen sah mich ernsthaft an.

Nein, sagte ich, ich höre dir gern zu. Du erinnerst mich sehr an deinen Papa. Ganz so schüttelte er das Haar aus der Stirn, und du hast auch seine Augen.

Sie wurde roth vor Vergnügen, als sie das hörte. Oh! sagte sie und lachte, Pa's Augen sind die klügsten, die es geben kann, und ich bin noch ein dummes Ding. Aber warten Sie nur, bis ich größer werde – aber da kommt er – er ist schon draußen im Flur.

Und im Nu war sie mir entschlüpft und zur Thür hinausgesprungen, um dann gleich zurückzukehren und ihren Papa an der Hand hereinzuziehen mit dem Ausruf: Da ist dein Jugendfreund, Pa, und denk, er sagt, ich hätte deine Augen!

Gerade an diesen Augen aber würde ich den alten Freund schwerlich wiedererkannt haben, wenn er mir unversehens auf der Straße begegnet wäre.

Zwar leuchtete ein warmer Blick in ihnen auf, als ich ihm die Hand bot und ihn mit seinem Vornamen begrüßte, und an dem kräftigen Druck, mit dem er sie lange in der seinen hielt, fühlte ich, daß die herzliche Gesinnung, die uns verbunden hatte, in der langen stummen Zeit nicht erloschen war. Auch sein Äußeres war wenig verändert, sein buschiges Haar kaum oben an der Stirn ein wenig gelichtet, da er doch über die Mitte der Vierzig hinaus war, nur der Bart angegraut. Obwohl er kein Cameenprofil hatte, konnte er immer noch für eine vornehme Erscheinung gelten und den Frauen gefährlich werden. Aber eine seltsame Müdigkeit lag über all seinen Bewegungen, manchmal schloß er mitten im Gespräch die Augen, wie wenn ihn plötzlich eine Traumstimmung überkäme, und nur als sein kleines Mädchen sich auf die Zehen stellte und die Ärmchen ihm um den Hals warf, daß er sie küssen sollte, schlug wieder die alte, mir so wohlbekannte Flamme aus seinen hellen Augen, und ein Lächeln erschien an dem energischen Munde, wie zu der Zeit seiner fröhlichen, jungen Studien, Kämpfe und Hoffnungen.

Er hatte, nachdem wir die ersten sich überstürzenden Fragen und Antworten gewechselt hatten, sich zu seiner Frau gewendet, wie wenn er ihre Anwesenheit jetzt erst gewahr würde, und sie leicht auf die Stirn geküßt, dann auch den Knaben über die wohlgebürsteten Köpfe gestrichen, als ob er die glatten Haare zu verwirren wünschte. Dann sagte er: Sie sehen, was für ein geplagtes Arbeitsthier aus mir geworden ist. Ich muß immer gegen den bittersten Neid ankämpfen, wenn ich lese, daß den Herren Socialdemokraten ein achtstündiger Normalarbeitstag als das gute Recht jedes Erdenbürgers vorschwebt. Unter zwölf bis dreizehn Stunden thu' ich es nur selten, und manchmal kommen noch Überstunden dazu. Ein Glück nur, daß ich eine Arbeit habe, die mir nicht von außen dictiert, sondern von Mutter Natur anbefohlen ist. Heute aber – wenn ich geahnt hätte, wer hier auf mich warte – und Sie wollen wirklich morgen früh schon weiter? Nicht einen einzigen Tag können Sie mir schenken? Ich würde mir dann einen Feiertag machen.

Ich erklärte ihm, warum es mir mit dem besten Willen unmöglich sei, zumal ich schon diesen einen Tag zugegeben hätte.

Nun dann, sagte er, wollen wir uns wenigstens den Rest dieses Tages zu Nutze machen, auch wenn Sie Ihren Schlaf morgen auf der Fahrt nachholen müssen. Schick nur erst die Kinder zu Bett, Harriett – ja, Maus, auch du mußt schlafen gehn, so gern ich dir's gönnte, mit dem neuen Onkel noch ein bischen bekannter zu werden, aber Kinder sollen mit den Hühnern zu Bett gehn und mit der Sonne aufstehn, und da kommt auch schon euer Fräulein.

Die Gouvernante erschien und nahm Lucy bei der Hand. Dem lieben Kinde standen die Thränen in den Augen, die sie bittend zu ihrem Vater aufgeschlagen hatte. Der aber wiegte ernst das Haupt.

Gieb dem Onkel noch einen Kuß, sagte er, und bitte ihn, bald wiederzukommen, du würdest ihn auch recht lieb haben.

Ich habe ihn schon jetzt recht lieb, sagte das holde Geschöpf und lächelte schon wieder, weil er dich lieb hat, und nicht wahr, Sie kommen bald wieder?

Ich hob sie zu mir hinauf, sie auf das rothe Mündchen zu küssen. Die Knaben reichten mir die Hand, und die drei gehorsamen kleinen Leute verließen mit der Gouvernante das Zimmer.

Ich machte eine Bemerkung, wie wohlerzogen sie seien.

Das ist das Verdienst ihrer Mutter, versetzte er, der Frau zunickend. Ich selbst – ob ich ein guter Pädagoge wäre, weiß ich nicht. Ich habe leider nicht die Zeit, die Probe zu machen. Mit den Buben war's wohl kein großes Kunststück, die sind von Hause aus zahm, das Mädel aber schlachtet mir nach, und Sie wissen, daß ich ein ziemlicher Wildfang war, ehe das Leben auch mich gezähmt hat. Meine Lucy hat zum Glück neben ihrem lebhaften Temperament viel natürlichen Verstand und ein weiches Herz, da hat sie bald eingesehen, daß es das Gescheidteste ist, sich artig aufzuführen. Nun aber, Frau, sollten wir wohl zu Tische gehen. Unser Freund wird vorlieb nehmen müssen, da wir auf einen späten Gast nicht gefaßt waren. Wollen Sie meiner Frau den Arm geben, lieber Freund, und sie in unser Theezimmer führen?

Die schöne Hausfrau hatte seit dem Eintritt ihres Herrn und Gemahls kaum ein Wort gesprochen, nur mit einem sanften Lächeln ihn angeblickt, aus dem zu erkennen war, daß ihr Schweigen durchaus nicht eine Folge von Einschüchterung war, sondern daß es ihr nur als etwas Selbstverständliches erschien, daß jetzt dem Hausvater das Wort gebührte.

Doch auch während des Abendessens nahm sie an der Unterhaltung kaum Theil, was ich bedauerte, da mir ihre Stimme und der leise Anhauch eines englischen Accents in ihrem übrigens flüssigen Deutsch sehr angenehm klang. Sie gab nur zu den alten Münchner Erinnerungen, in denen ihr Mann sich erging, ein dankbares Publikum ab und schien erfreut, daß seine Stimmung, die sonst wohl nach einem langen Arbeitstag nicht die munterste war, durch meine Gegenwart erheitert wurde. Dabei machte sie die liebenswürdigste Wirthin und leitete mit einem leisen Augenwink oder einem halben Wort den alten Diener, der von ihr ganz so musterhaft erzogen worden zu sein schien, wie ihre Kinder.

Als die Standuhr auf dem Kamin Zehn schlug, wandte sich mein Freund, der bisher kaum einmal das Wort an seine Frau gerichtet hatte, mit einem freundlichen Blick zu ihr und sagte:

Geniere dich nicht, Darling, wenn du dich zurückziehen möchtest, da der Doctor dir frühes Zubettgehen anempfohlen hat. Unsern Freund behalte ich noch eine Weile, und es kann Mitternacht werden, ehe ich ihm Urlaub gebe. Schick uns nur noch eine Flasche von dem bewußten, den ich mir nur an Festen und hohen Tagen gönne. Und Fritz kann dann auch zu Bett gehen. Ich bringe ohnehin unseren Freund selbst nach seinem Hôtel zurück.

Wir standen auf, ich küßte der Frau, die erröthend sich dem Wunsch ihres Mannes gefügt hatte, die Hand, der Gatte nickte ihr freundlich zu, dann verließ sie uns, mit dem schwebenden Gang der schlanken Gestalt meine Augen noch erfreuend, als sie über die Schwelle schritt.

*

Kommen Sie nun in mein Arbeitszimmer, das diesen Namen hat, weil ich nie darin arbeite, sagte er lächelnd. Es ist kein Tisch darin, auf dem nur das kleinste meiner Reißbretter Platz hätte. Aber eben darum wird mir wohl, so oft ich es betrete, weil es ein paar bequeme Polstermöbel hat, auf denen sich gut träumen läßt. Und weil uns Gott die besten Gedanken und Einfälle im Schlaf schickt, führt es doch wieder den Namen Arbeitszimmer nicht ganz mit Unrecht.

Es war nun wirklich unter all den schönen Räumen, die ich schon gesehen, der reizvollste, mit so ausgesucht feinem Geschmack vieleckig angelegt und durch Vertäfelung und eine mattgoldene japanische Tapete, auf der die Bilder sich trefflich ausnahmen, zu einem wahren Kleinod an Behaglichkeit und künstlerischer Wirkung gestaltet, daß ich erst eine Weile an den Wänden herumgehen und alle kleinen Kunstwerke, die daran angebracht waren, betrachten mußte, ehe ich den bequemen Sessel einnehmen konnte, den der alte Diener mir hingestellt hatte. Gegenüber hatte sich mein Freund niedergelassen, ein Tischchen mit Rauchapparat und einer Flasche Wein stand zwischen uns. Der Diener war gegangen, sein Herr hatte die beiden feingeschliffenen Gläser vollgeschenkt und mir eine Cigarre geboten. Ich selbst habe mir das Rauchen abgewöhnt, sagte er. Es würde mir bei der Arbeit hinderlich sein.

Wir stießen mit den Gläsern an, aus denen eine herrliche Blume mir entgegenduftete. Unsere Jugend soll leben, die alte, die heute wieder aufgelebt ist! sagte er.

Und die neue, die neben uns heranblüht, fügte ich hinzu. Ich kann nicht sagen, wie glücklich es mich macht, Sie hier nach so langer Pause wiedergefunden zu haben, im Besitz aller köstlichsten Erdengüter, eines Wirkungs- und Schaffenskreises, der Ihrer innersten Natur entspricht, und einer lieben und lieblichen Familie. Wie schön und liebenswürdig ist Ihre Frau, wie viel Freude müssen Sie an Ihren Kindern haben! Und das alles in einem Hause, das ganz dazu geeignet ist, den Rahmen um dies harmonische Lebensbild abzugeben. Man sieht es ihm an, daß Sie es in der Bräutigamsstimmung ersonnen und ausgeführt haben, um dem Gesicht und der Gestalt der künftigen Hausfrau einen Hintergrund zu schaffen, der ihrer würdig wäre.

Er schwieg eine Weile und sah mit einem eigenthümlich sinnenden Ausdruck vor sich hin.

Sie irren, lieber Freund, sagte er dann. Als ich das Haus baute, dachte ich nicht im Traum daran, daß Harriett es einst bewohnen würde. Es verlangte mich nur, einmal meinen Ideen, wie das Wohnhaus eines gut bürgerlichen, aber kunstsinnigen Menschen beschaffen sein müßte, Ausdruck zu geben, und da man mir dies Grundstück zu einem sehr mäßigen Preise antrug, griff ich zu und baute so recht con amore, aber ohne andere Liebe als die zur Kunst, in der Hoffnung, wenn es fertig wäre, würde sich auch ein Liebhaber dazu finden, der es zu besitzen wünschte.

Die jetzige Herrin dieses Hauses kannte ich freilich auch damals schon.

Ein Jahr, bevor ich zu bauen anfing, hatte ich auf einer Reise in England die Bekanntschaft ihrer Eltern gemacht. Ein Freund in London hatte mir eine Empfehlung an sie gegeben und mich dringend ermahnt, an ihrem Landsitz nicht vorbeizureisen. Ich war ihm auch sehr dankbar für diese Gelegenheit, das Leben eines wohlhabenden Landedelmannes etwas näher kennen zu lernen, und blieb drei Tage bei diesen liebenswürdigen Leuten.

Besonders die Mutter machte schon in der ersten Stunde meine Eroberung. Wenn Sie meine Frau ins Matronenhafte übersetzen, doch noch in der Herbstblüte einer vollkommenen Schönheit, dazu den Anstand einer Dame der großen Welt, da sie aus einer gräflichen Familie stammte, so haben Sie die Frau, die mich drei Tage lang alles Behagen einer englischen Gastfreundschaft genießen ließ.

Der Herr des Hauses war ein Gentleman bis in die Fingerspitzen, ohne sonderliche Bildung, mit allen Gewohnheiten eines Landedelmannes, der ein eifriger Jäger, Fischer, Segler und – Clarettrinker ist, übrigens von einer schlichten Herzensgüte, die sich auf all seine Untergebenen erstreckte.

Die Tochter, damals erst siebzehn Jahre alt und in ihrer stillen, mädchenhaften Anmuth sehr reizend, doch neben der lebhaften, gern scherzenden und lachenden Mama wie ein Dornröschen, das im Traum herumwandelt und auf den Ritter wartet, der es aufwecken soll.

Daß ich dazu berufen sein sollte, diese Rolle zu spielen, fiel mir nicht im Traum ein. Im Parlour, wo wir des Abends gemüthlich plaudernd beisammen saßen, das Töchterchen stumm über eine Stickerei gebückt, hing das Porträt einer Großmutter Harriett's, einer schönen, stolzen Lady, von Gainsborough gemalt. Wenn man mir die Wahl gelassen hätte zwischen diesem Bilde und der lebendigen Enkelin in all ihrem süßen Jugendreiz, hätte ich, ohne mich zu besinnen, das Kunstwerk dem Meisterstück der Mutter Natur vorgezogen.

Und doch – hier sah ich ja mit Augen, was Ihre liebe Frau im Scherz mein architektonisches Ideal vom ewig Weiblichen genannt hatte. Sie erinnern sich, daß sie auf dies Ideal gar nicht gut zu sprechen war. Da sie mir wohlwollte, hätte sie mir ein rechtes Herzensglück an der Seite einer lieben Frau gewünscht und hatte auch schon das, was mir dazu verhelfen sollte, in Bereitschaft, sogar in mehreren Exemplaren. Als sie aber einsah, daß keines dieser liebenswürdigen Fräuleins eine wärmere Anerkennung vor meinen verwöhnten und anspruchsvollen Augen fand, hielt sie mir einen allerliebsten kleinen Vortrag über meinen »idealen Hochmuth«. Sie werden noch einmal nach Athen reisen und sich in eine Karyatide verlieben, spottete sie. Ich wünsche Ihnen Glück zu dem Haushalt, den Sie mit dieser marmornen Schönheit führen werden.

Nun, sagte ich lachend, die Prophezeihung ist ja eingetroffen. Phidias hätte sich Ihrer Hausfrau nicht zu schämen, und allzu hart kann der Marmor nicht gewesen sein, da diese Karyatide Ihnen drei Kinder geschenkt hat.

Er trank sein Glas langsam aus, füllte die Gläser von Neuem und fuhr sich dann mit der Hand über die Stirn. Ein leiser Seufzer kam ihm von den Lippen.

Ja, sagte er nach einer Pause, wie wenn er zu sich selbst spräche, wenn wir frevelhafte Wünsche hegen, werden wir durch ihre Erfüllung gestraft.

Damals, wie gesagt, wünschte ich überhaupt nichts von dem Glück, das uns Weiber bereiten können. Ich war nur in meine Kunst verliebt, um so heftiger, je spröder sie sich gegen mich zeigte, je unerreichbarer mir ihr Besitz vorschwebte.

Auch war ich mittellos und hätte einer Frau nichts von dem zu bieten gehabt, was sie in der Ehe mit einem Künstler, der Tag und Nacht seinen hohen Aufgaben nachstrebt, für das getheilte Herz hätte entschädigen können. So war's ein Glück, daß ich mich nicht verliebte.

Ich hatte mich hier in meiner Vaterstadt niedergelassen, wo vor fünfzehn Jahren nur eine sehr kümmerliche Architektur betrieben wurde und ein junger Baumeister keine gefährliche Concurrenz zu bestehen hatte. Da glückte es mir ohne große Mühe, rasch emporzukommen, und nachdem ich mein erstes öffentliches Gebäude, das große Bankhaus, ausgeführt hatte, brauchte mir um ehrenvolle und gewinnbringende Aufträge nicht bange zu sein.

Sie kamen sogar in solcher Menge, daß ich sie nur bewältigen konnte, wenn ich von früh bis spät in meinem Bureau saß. Das war nicht zum Vortheil meiner Bildung, sowohl der literarischen, da ich kaum eine halbe Stunde vorm Einschlafen ein Buch in die Hand nahm – auch von Ihren Sachen, zu meiner Schande sei's gesagt, habe ich nichts mehr gelesen, seit ich München verließ – noch auch in Bezug auf meinen Welt- und Menschenverkehr. Denn ich war für die Geselligkeit kaum einmal an einem Feiertag zu haben und vernachlässigte meine liebsten Freunde und Bekannten.

*

So war's eine seltene Ausnahme, daß ich die Einladung zu einer Abendgesellschaft im Hause eines meiner Collegen annahm.

Er hatte eine sehr liebenswürdige junge Frau und ein paar Kinder, bei denen ich eine Onkelrolle spielte, freilich nicht so häufig, wie ich selbst gewünscht hätte. Denn Kinder, wie Sie sich aus Ihrer eigenen Kinderstube entsinnen werden, waren immer mein liebster Umgang gewesen.

Ich hatte mich auch an jenem Abend nur spät von meiner Arbeit losgemacht und kam erst, da die kleine Gesellschaft eben im Begriff war, zu Tisch zu gehen. Die Hausfrau empfing mich mit freundschaftlichen Vorwürfen.

Sie haben wohl geahnt, daß wir Musik machen, daß ich selbst singen würde, das haben Sie sich schenken wollen und kommen erst nach den zweifelhaften Kunstgenüssen! Zur Strafe sollen Sie nun mich zu Tische führen, nicht eine meiner schönen jungen Freundinnen.

Ich war mit dieser Strafe sehr zufrieden, da mir an der Unterhaltung mit jungen Mädchen nichts gelegen war, und ihre »Schönheit« mir noch zweifelhafter schien als ihre musikalischen Talente. Nach dem ersten heiteren Geplauder aber mit meiner witzigen Nachbarin wurde meine Aufmerksamkeit von einer mir unbekannten weiblichen Erscheinung gefesselt, die mir gerade gegenüber saß.

Ein Gesicht von auffallender Häßlichkeit, lang und schmal, ein Profil, das an einen Pferdekopf erinnerte, dichte schwarze Brauen unter einer hohen Stirn, über die eine in der Mitte gescheitelte dunkelbraune Masse glanzlosen Haares herabhing. Dazu ein großer Mund mit kräftigen Lippen, die durch einen zarten dunklen Flaum verschattet waren. Aber wenn sie sich öffneten, beim Sprechen oder Lächeln, ließen sie blendend weiße Zähne sehen, und unter den schwarzen Brauen glänzten zwei nicht eben große, aber edel geschnittene Augen, deren Ausdruck so voll Geist und Seele war, daß sie die Mißbildung des Gesichts und die übermäßige Schwere des Kopfes auf den schmalen Schultern fast ganz vergessen ließen.

Obwohl es Hochsommer war und die Damen in den leichtesten Kleidern, die den Hals frei ließen, trug diese Fremde einen dunklen Anzug von einfachstem Schnitt, bis zum Hals hinauf geschlossen, keinen Schmuck als eine goldene Kette von alterthümlicher Arbeit und einen Siegelring mit einem rothen Carneol an der Hand, die nicht klein, aber sehr schön gebildet war, und mit feinen, leichten Geberden ihre Worte, wenn sie sprach, begleitete.

Sie war nicht sehr redselig, wie es schien, sondern horchte ein wenig zerstreut auf die Unterhaltung ihres Nachbarn, eines Kapellmeisters, der ihr seine Theorieen über die moderne Bewegung in der Musik auseinandersetzte. Offenbar war sie ihm geistig überlegen; ich hörte aber, wie sie nur zuweilen mit einer gutmüthigen und bescheidenen Manier eine Einwendung gegen allzu überschwängliche Behauptungen machte, die ihm sichtbar unbequem waren. Ihr Lächeln hatte dabei nichts Höhnisches, und sie schien dem Bestürzten immer selbst wieder aus der Verlegenheit zu helfen.

Ich war so in das Studium dieser reizvollen Häßlichkeit versunken, daß ich die Pflicht, meine Tischnachbarin zu unterhalten, allmählich vergaß. Da sagte sie plötzlich:

Ich habe wohl gewußt, daß Sie neben mir nur noch Augen für Ihr vis-à-vis haben würden. Denn das Gesicht da drüben könnte ein Kapitel aus einer Ästhetik der Häßlichkeit so glänzend illustrieren, daß es interessanter würde als eine Abhandlung über die Venus von Milo. Aber lernen Sie meine Freundin erst näher kennen, und Sie werden ganz vergessen, daß sie, wie sie selbst sich nachsagt, aus Versehen dazu verurtheilt worden ist, einen Pferdekopf auf den Schultern zu tragen.

Hat Ihre Freundin so viel Humor und bis zu diesem Grade den Muth ihrer Häßlichkeit, daß sie sich nicht scheut, sich selbst zu verspotten?

Oh, sie ist klug genug, um sich lieber gleich selbst nachzusagen, was die Anderen hinter ihrem Rücken sagen würden, denen damit die Lust, zu spotten und zu übertreiben, benommen wird. Und noch viel andere liebe und seltene Eigenschaften hat sie, über denen man ihr Äußeres mit der Zeit ganz vergißt. Ihre Mutter war eine Französin, der Vater ein deutscher Kaufmann, der sie in Marseille kennen lernte und durch die reiche Mitgift über die Häßlichkeit seiner Braut getröstet wurde. Nun sind beide Eltern seit einigen Jahren todt, und die Tochter benutzt ihre Freiheit zu größeren Reisen. Ich lernte sie im Seebade kennen und befreundete mich rasch mit ihr. Jetzt hat sie ihr Versprechen, mich hier zu besuchen, eingelöst, und da ihr die Stadt gefällt und sie sich auch in meinem Hause wohl fühlt, gedenkt sie über den Sommer hier zu bleiben. Sie hat sich in einer eleganten Pension eingemiethet, wir sehen uns aber fast jeden dritten Tag. Auch mein Mann ist unter dem Charme, und wie ich merke, werden auch Sie dem Schicksal nicht entgehen, sich von diesem Ausbund von Häßlichkeit bezaubern zu lassen.

Während dies gesprochen wurde, hatte das Fräulein einmal ihrer Freundin einen raschen Blick zugeworfen und leise mit dem Finger gedroht. Sie schien zu empfinden, daß von ihr die Rede war, nicht in unfreundlichem Sinne. Auch mich hatte der Blick gestreift, doch nur gleichgültig, und ich selbst war noch von dem befremdlichen Äußeren so abgestoßen, daß mich nach einer näheren Bekanntschaft kaum verlangte.

Doch konnte ich, als wir vom Tisch aufgestanden waren, es nicht vermeiden, mich ihr vorstellen zu lassen.

Sie sind mir kein Unbekannter mehr, sagte die Fremde. Ich habe Alles gesehen, was Ihnen die Stadt an schönen Bauwerken verdankt. Erst heute Nachmittag habe ich wieder wohl eine halbe Stunde vor der Villa des Bankdirectors gestanden und sie sehr eingehend studiert. Seit ich in Italien war, ist mein Sinn und Verständniß für die Architektur sehr lebhaft geworden, und ich habe ja auch in Deutschland überall Gelegenheit, meine paar Kenntnisse und meinen Geschmack zu bereichern.

Und nun sprach sie von meinen Bauten mit so feinem Urtheil, daß mancher College durch sie beschämt worden wäre.

Sie scheine selbst Künstlerin zu sein, sagte ich, nach ihrem Interesse an der Kunst zu schließen.

O nein. Sie habe einen viel zu großen Respect vor wahrer Künstlerschaft, um sich einzubilden, aus dem bischen Pfuschwerk, das sie in der Jugend betrieben, hätte sich auch bei größerem Ernst etwas entwickeln lassen, das den Namen Kunst verdiene. Nur ein bischen Sehen und Verstehen habe sie gelernt – auch hören, setzte die Hausfrau hinzu, die zu uns getreten war und den Arm um die Taille der Sprecherin gelegt hatte. Lucile hat einen Schatz von Musik in sich, der manchen Virtuosen reich machen könnte, aber sie verbraucht ihn nur zu ihrem eigenen Vergnügen – oder gelegentlich zu ihrem Mißvergnügen, da ihr Ohr sehr empfindlich ist und mit Dilettantenkünsten nicht gern vorlieb nimmt.

Ich hatte schweigend dabei gestanden und das seltsame Wesen so gründlich studiert, daß mir kein Fältchen in dem geistvollen Gesicht entging. Was mich besonders anzog, war eine vornehme Unbekümmertheit, sich zu geben, ohne den geringsten Versuch, in ihrer Unterhaltung zu glänzen und den Mangel an körperlichem Reiz durch geistige Vorzüge aufzuwiegen. Denn nur ganz zufällig entschlüpfte ihr ein bedeutendes oder witziges Wort, immer war es ihr nur um die Sache zu thun, nicht um ihre Person. Und Sie wissen, gerade die Häßlichen verlegen sich auf kleine, ohnmächtige Künste der Koketterie, gleichsam pour corriger la fortune.

Was aber an diesem »Ausbund von Häßlichkeit« außer ihrem hellen Blick und Lächeln in der That »bezaubern« konnte, war die Stimme, mit der sie all ihre schlichten und klugen Worte aussprach, ein weicher, biegsamer Alt, der, wenn ein Thema sie besonders innerlich erregte, in eine leise, dunkle Tiefe hinabging. Nur bei Frauen romanischer Abstammung hab' ich solche Stimmen gefunden, und sie haben immer einen besonderen Reiz für mich gehabt.

Noch jetzt, indem ich Ihnen davon spreche, ist mir, als klänge mir diese Stimme im Ohr, und wenn ich die Augen schließe, steht auch das Gesicht leibhaft wieder vor mir, nur daß ich es nicht mehr »abschreckend häßlich« finde.

*

Er hatte das mit einem Seufzer gesagt, den er vergebens zu unterdrücken suchte. Eine Weile saß er, die Augen geschlossen, den Kopf in die Hand gestützt, ganz seinen Erinnerungen hingegeben. Dann blickte er wieder auf.

Sie müssen mir verzeihen, wenn ich geschwätzig werde, sagte er. Wie bin ich überhaupt dazu gekommen, von diesen alten Erlebnissen zu sprechen? Ach ja, weil Sie glaubten, ich hätte dies Haus für eine Hausfrau gebaut, deren äußere Erscheinung so recht da hineinpaßte. Nein, lieber Freund, als ich jenen Sommer hindurch die innere Ausstattung betrieb, schwebte mir ein ganz anderes Gesicht vor, das ich darin zu sehen gewünscht hätte. Sie wissen nun, welches.

Denn meine Tischnachbarin sollte mit ihrer Drohung, ich würde dem »Charme« anheimfallen, nur allzu Recht behalten.

An jenem Abend hatte ich das Fräulein nach Hause begleitet und beim Abschied um die Erlaubniß gebeten, sie besuchen zu dürfen. Davon machte ich schon am nächsten Tage Gebrauch – gegen meine menschenscheue Gewohnheit. Ich fand sie in ein paar Zimmern, denen sie, so gut es gehen wollte, den schnöden Zuschnitt einer Pensionswohnung gemildert hatte durch allerlei Bilder und Kunstwerke, die an den geschmacklos tapezierten Wänden angebracht waren. Zwischen den Blumen, die in hohen Vasen blühten, stand ein großer Vogelkäfich, in dem ein halb Dutzend seltener Vögel lustig hin und her flogen. Unter den buntbefiederten der munterste war ein häßlicher grauer Spatz in einem ruppigen Federkleid. Sie sah, daß mich dieser gemeine Geselle unter dem aristokratischen Schwarm verwunderte.

Sie habe ihn einmal halb todt am Wege gefunden und sein gebrochenes Beinchen mühsam geheilt. Dafür sei er ihr so anhänglich geworden, daß er nicht wieder ins Freie zurückgewollt habe. Er sei zwar ungemein häßlich, aber es müsse auch solche Käuze geben, und wenn sie ein gutes Gemüth hätten, dürften sie das Recht, unter ihren glänzenden Kameraden bescheiden mitzuzwitschern, wohl in Anspruch nehmen.

Sie lächelte dabei so eigen, als wolle sie die Nutzanwendung auf ihr eigenes Schicksal mir überlassen. Ich hatte mich aber inzwischen weiter im Zimmer umgesehen und an der Wand über ihrem Schreibtisch ein kleines Relief in grauem, gebranntem Thon entdeckt, das einen Frauenkopf im Profil darstellte, Zug für Zug der Bewohnerin dieses Zimmers ähnlich, nur daß die Züge noch schärfer erschienen und ein schmales Spitzenstreischen über die dichten Haarflechten geschlungen war.

Das ist meine Mutter, sagte sie. Ich habe sie zwei Jahre vor ihrem Tode porträtiert, und das Bild ist mir nun unschätzbar. Obwohl, wenn ich mir nur die Züge zurückrufen wollte, ein Blick in den Spiegel genügte, denn ich bin meiner lieben Alten genaues Ebenbild, nur noch ein bischen häßlicher, da ich jünger bin und wenigstens auf die beauté du diable Anspruch hätte. Und gewisse feine Züge, die ich dem Leben abgelauscht, finde ich doch in meinem Gesicht nicht wieder, und gerade die habe ich so lieb gehabt.

Ich äußerte ihr meine Bewunderung über die Vortrefflichkeit dieses kleinen Bildwerkes. Das sei mehr als dilettantisches Pfuschwerk, wie sie ihre Versuche genannt hatte.

Mag sein, sagte sie ruhig. Aber glauben Sie mir, das scharfe Auge für Gesichtsformen ist das Einzige, was vielleicht wirklich eine künstlerische Gabe an mir ist. Und die habe ich mehr meiner steten Beobachtung als einer angeborenen Fähigkeit zu danken. Ich wußte schon sehr früh, welch eine abschreckende Physiognomie, ein wahres Mittel gegen die Liebe, meine liebe Mutter auf mich vererbt hatte, sonst gar nichts Hübsches als ihren Namen, und da studierte ich mit einer gewissen leidenschaftlichen Neugier alle Menschengesichter, die mir vorkamen, ob ich nicht eines fände, das noch garstiger wäre. Ich fand verschiedene, die gemeiner, brutaler, affen- oder fuchsmäßig waren und mit denen ich nicht getauscht hätte. Und fing, gleichsam zu meinem Troste, heimlich an, sie nachzuzeichnen und mein Talent für Karikatur daran zu bilden. Dann versuchte ich's auch mit schönen Gesichtern. Ich kann Ihnen eine ganze Gallerie von solchen zeigen. Aber glauben Sie ja nicht, daß ich diese bevorzugten Geschöpfe mit Blicken des Neides betrachte. Darüber bin ich hinaus, seitdem ich alle Ansprüche auf ein zärtliches Glück, das einem Stiefkinde der Natur versagt ist, aufgegeben habe. Es hat auch seinen Reiz, bloß Publikum zu sein bei der Lebenskomödie, gar keine Rolle zu spielen und daher auch von Rollenneid nie befallen zu werden. Mein guter Spatz dort in dem Käfich denkt gewiß auch wie seine Herrin. Er fliegt, so oft ich ihm das Thürchen öffne, im Zimmer herum, besieht sich alles und denkt sich sein Teil dabei und kehrt dann ganz gelassen wieder zu seinen bunten Hausgenossen zurück.

In ihrer Stimme war kein Hauch von Bitterkeit oder nur wehmüthiger Entsagung. Ich wußte ihr nichts zu erwidern, was nicht doch als ein Trost geklungen hätte, der sie nur beleidigen konnte. Ich sprach dann wieder von meinen Bauten, an denen ihr nicht alles gefallen hatte, aber es war mir eine besondere Genugthuung, daß sie sagte, so viel Anlehnung an große Meister auch darin zu finden, was ja in aller Architektur unvermeidlich sei – in allem sei doch eine persönliche Note erkennbar, zumal in dem Wohnhause, das eben seiner Vollendung entgegenging.

Ich würde sie bitten, es auch im Innern zu besichtigen, doch erst, wenn der letzte Nagel darin eingeschlagen wäre. Wenn sie mir aber die Freude machen wolle, mich auf meinem Bureau zu besuchen, möchte ich ihr die Pläne zeigen, die eben noch im Werden seien, um über Manches, was mir noch nicht ganz klar geworden, ihre Ansicht zu hören.

Dazu sei sie nicht berufen und fürchte, mit ihrem Laienurtheil mich nur irre zu machen. Doch wolle sie gern kommen.

Sie ließ einige Tage vergehen, ehe sie ihr Versprechen hielt. Ich hatte dann eine sehr anregende und genußreiche Stunde, während ich ihr meine Entwürfe zeigte. Nur selten erlaubte sie sich eine bescheidene Bemerkung, die aber fast immer den Nagel auf den Kopf traf.

Als sie gegangen war, sagte mein erster Zeichner, der unser Gespräch zum Theil mit angehört hatte:

Das Fräulein würde uns bei mancher Concurrenz gefährlich werden, wenn sie als Mann auf die Welt gekommen wäre. Nach ihrem Bärtchen zu schließen, scheint die Natur es auch in der Absicht gehabt zu haben und ist dann wieder davon abgekommen. Es ist aber kurios, wenn sie spricht, denkt man nicht mehr daran, wie häßlich sie ist; man möchte ihr stundenlang zuhören.

Der gute Mensch war eben auch schon unter dem Charme.

*

Wie es dann mit mir weiterging – davon Rechenschaft zu geben, werden Sie mir wohl erlassen.

Genug, es kam bald so weit, daß ich den Tag für verloren ansah, an dem ich nicht wenigstens eine Stunde lang mit ihr zusammen gewesen war, in ihrer Wohnung oder bei der gemeinsamen Freundin. Diese hatte meinen Zustand bald durchschaut und that nach der Sitte guter Frauen, die glückliche Gattinnen sind, Alles, was in ihren Kräften stand, um das Netz über meinem armen ledigen Haupte immer fester zuzuziehen. Ich war auch viel zu wehrlos, um ihr gegenüber ein Hehl daraus zu machen, wie vollständig ich dem Zauber erlegen war. Ich spottete gar nicht mehr meiner Ketten, die ich als eine gerechte Strafe für meinen früheren Schönheitsfanatismus hinnahm. Gar zu gern aber hätte ich gewußt, ob ich auf Gnade zu hoffen hätte. Aber meine Beichtmutter versicherte ehrlich, davon nicht mehr zu wissen, als daß auch die Freundin an meinem Umgange Gefallen finde. Irgend eine wärmere Confession habe sie ihr nicht gemacht.

Nun müssen Sie nicht glauben, daß wir immer nur über Architektur und andere bildende Kunst plauderten. Sie hatte viel gelesen und war in drei neueren Literaturen und dem Bedeutendsten der älteren Zeit zu Hause. Sie schalt mich, daß ich nur selten ein Buch in die Hand nahm, und ich, der ich mich vor ihr schämte, fand nun auch wirklich trotz meiner Arbeitslast ein paar Stunden des Tages, die unerlaubtesten Lücken meiner Bildung auszufüllen.

Es war gar zu anziehend, mich über das Gelesene mit ihr zu unterhalten. Zumal wenn wir verschiedener Meinung waren, wo es dann oft zu Erörterungen der tiefsten geistigen und sittlichen Probleme kam, und bei gewissen socialen Fragen, die das Elend der Welt berührten, die ganze leidenschaftliche Güte, der Grimm und Gram ihrer Seele sich äußerte. In solchen Augenblicken verklärte ein Adel, eine Hoheit des Gemüths ihre Züge so sehr, daß niemand sie für häßlich gehalten hätte.

Es blieb aber nicht bei dieser täglich wachsenden Verehrung und Bewunderung ihrer inneren Gaben und Tugenden, ihres Geistes und Herzens. Was ich Anfangs nie für möglich gehalten hätte, – auch von dem Weibe in ihr fühlte ich mich mehr und mehr angezogen, so daß ich mir bald nicht verhehlen konnte, ich sei ganz regelrecht in sie verliebt und würde alle Qualen der Eifersucht leiden, wenn sie das Weib eines Anderen würde. Wenn sie mir beim Kommen und Gehen ihre schöne warme Hand reichte, durchzuckte mich ein elektrischer Schlag bis ans Herz hinan, und ich betrachtete ihren großen Mund mit der stillen Begierde, einmal meine Lippen darauf zu drücken, den weichen Flaum zu fühlen, der mir gar nicht mehr als etwas Mannweibliches erschien, sondern nur als das Zeugniß eines leidenschaftlich sinnlichen Temperaments.

Ob sie ein solches hatte, war aus ihrem Betragen, ihren Äußerungen über geschlechtliche Verhältnisse, die gelegentlich der Lectüre oder des gesellschaftlichen Lebens um uns her zur Sprache kamen, nicht zu erkennen. So weit sie von aller Prüderie entfernt war, so wenig sie einen derben Ausdruck für eine grobe Sache scheute, so züchtig hielt sie sich in Blick und Geberden, weiblich im besten Sinne, so daß, wo sie sich befand, kein Mann ein frivoles oder cynisches Wort gewagt haben würde.

*

Ende September war mein Haus fertig geworden bis auf den letzten Winkel der inneren Einrichtung. Nur die Küche mit etwas Luxusgeräth auszustatten, sollte der künftigen Hausfrau vorbehalten bleiben.

Ich hatte Lucile eingeladen, am ersten Sonntag, den ich unter dem neuen Dache erlebte, das Haus zu besichtigen. Es war ein goldener Herbsttag, an dem ich sie durch alle Räume führte, die sich in dem milden Sonnenschein so vortheilhaft wie möglich ausnahmen. Sie ließ ihre Augen überall aufmerksam herumgehen, sparte das Lob nicht und traf nach Gewohnheit, wo sie etwas auszusetzen fand, mit meiner eigenen Empfindung überein.

Als wir dann wieder in das Wohnzimmer traten, wo ich auf einem Tischchen eine Schale mit schönen Früchten und einem Fläschchen mit italienischem Wein hatte aufstellen lassen, sagte sie mit sehr heiterem Gesicht:

Lassen Sie sich Glück wünschen, lieber Freund. Es ist doch eine seltene Freude, etwas zustande gebracht zu haben, womit wir ganz und gar zufrieden sein können, da wir einmal ohne jeden Rest ausgesprochen haben, was uns eine innere Herzenssache war. Eins aber fehlt nun noch in diesem Musterheim, freilich das Beste, was erst »die Krönung des Werkes« sein wird, daß Sie hier eine liebe Frau einführen. Sie muß sich freilich zusammennehmen, daß sie mit dieser ausgesucht feinen Umgebung zusammenstimmt. Aber was ihr dazu etwa fehlt, wird ja das verschönernde Auge der Liebe hinzuthun.

Sie sprechen gerade meine innerste Meinung aus, theure Freundin, versetzte ich und hatte Mühe, meine Bewegung nicht zu verrathen. Jenes Letzte und Beste aber, was Sie mir wünschen, ist schon gefunden, und wenn die Götter mir gnädig sind, wird die Krönung des Gebäudes nicht lange mehr anstehen.

Sie hatte sich auf einen Sessel niedergelassen und sah mit einem raschen, fragenden Blick zu mir auf.

Wirklich? sagte sie. Und davon sagen Sie mir erst jetzt? Und nennen mich Ihre theure Freundin? Für so heimtückisch hätte ich Sie nie gehalten. Aber trotzdem – mein zweiter Glückwunsch ist nicht minder herzlich, als der erste war, nur verrathen Sie mir auf der Stelle, was Sie mir so lange verheimlicht haben. Kenn' ich Ihre Zukünftige? Lebt sie hier in der Stadt? Rasch, rasch den Namen!

Ich bin nie darüber ins Klare gekommen, ob dies Alles nur gespielt war, um ihr über die eigene Erregung hinwegzuhelfen. Denn über die Wahrheit konnte sie doch nicht im Zweifel sein.

Ich fühlte, daß mir die Glut ins Gesicht stieg, und hatte Mühe, während ich wie ein rechter Neuling in Liebessachen den Kopf nicht zu heben wagte, meine Worte ohne merkbares Zittern herauszubringen.

Nun, liebe Freundin, sagte ich endlich, der Name ist Ihnen nicht ganz unbekannt, und in der Stadt haben Sie nicht weit herumzusuchen. Die Zukünftige ist Gottlob eine sehr Gegenwärtige.

Sie blieb in ihrer Stellung, ohne ein Zeichen einer besonderen Bewegung zu geben. Nur ihre bräunlichen Wangen waren seltsam erblaßt.

Ich lasse mir, wie Sie wissen, gern einen Scherz auf meine Kosten gefallen, sagte sie ruhig. Dieser aber geht über das erlaubte Maaß hinaus. Ich will annehmen, Sie hätten es nur so gemeint wie die Spanier, die bei allem, was man ihnen lobt, sofort äußern: À la disoisicion de Usted. Daß ich von Ihrem gütigen Anerbieten, mich als Herrin dieses Hauses zu betrachten, Gebrauch machen möchte, werden Sie mir nicht im Ernst zugetraut haben.

Damit erhob sie sich, auf ihrer Stirn erschien die Falte, die sich immer zeigte, wenn sie unwillig war. Ich rührte mich aber nicht vom Fleck.

Können Sie mir zutrau'n, sagt' ich, daß ich in einer so ernsten, mir so heiligen Sache mir einen leichtfertigen Scherz erlaubt hätte? Haben Sie mich während dieser vier Monate nicht hinlänglich kennen gelernt, um zu fühlen, daß ich in diesem Augenblick nur ausspreche, was mir hundertmal auf den Lippen schwebte?

Und nun sagte ich Alles besinnungslos heraus, was ich so lange auf dem Herzen gehabt hatte. Ich war nie einer von denen, deren Mund von dem überfließt, weß ihr Herz voll ist. Hier aber ging mir's auf Sein oder Nichtsein, und jedenfalls ließ ich keinen Zweifel darüber, wie ernst und ehrlich ich's meinte.

Sie war wieder auf den Sessel zurückgesunken und hatte mich ruhig ausreden lassen. Die Augen hatte sie zugedrückt, und ein Ausdruck einer seligen Empfindung lag auf ihrem Gesicht, wie beim Anhören einer lieblichen Musik.

Als ich dann schwieg, blieb sie noch ein paar Augenblicke in derselben Stellung, ihre Züge wurden ernster, und als sie die Augen öffnete, traf mich ein warmer, aber fester Blick, wie wenn sie einen Kampf durchgekämpft hätte und mit einem schweren Entschluß ins Reine gekommen wäre.

Ich bitte Ihnen den Verdacht ab, lieber Freund, sagte sie, als hätten Sie nur gescherzt. Doch wenn Sie es im Ernst meinten, ist's um so schlimmer. Denn Ihr Wunsch kann nicht erfüllt werden. Wie er in Ihnen überhaupt sich regen konnte, ist mir nicht begreiflich, aber sei's wie es sei, ich danke Ihnen, Sie haben mir eine glückliche Stunde gemacht, nie hatte ich geglaubt, daß ein Mann, dem es nicht um mein Vermögen zu thun wäre, mir Herz und Hand anbieten würde. Aber nein, nein, das kann mich nicht darüber hinauslocken, daß ich mir gelobt habe, einsam zu bleiben, auf Weibesglück zu verzichten. Ob ein Anderer, der kein Künstler wäre, etwa ein Gelehrter, der keine Augen im Kopf hätte, mich meinem Gelübde abtrünnig zu machen im Stande wäre, will ich nicht beschwören. In unserm Fall aber, lieber Freund, kann davon nicht die Rede sein. Wenn Sie so thöricht sind, es für möglich zu halten, muß ich Vernunft für uns Beide haben.

Ich hatte ihr sehr schmerzlich bewegt zugehört. Doch gab ich meine Sache noch nicht verloren.

Wenn Sie von Vernunft reden, habe ich freilich Nichts zu hoffen. Liebe ist bekanntlich höher als alle Vernunft, doch ich erkenne aus Ihren Worten, daß Sie für mich nur eine kühle Freundschaft empfinden, während ich zum ersten Male in meinem Leben von einem Weibe erfahren habe, was Liebe ist.

Sie erröthete bis unter die Stirn.

Wenn Sie in mein geheimstes Inneres eindringen wollen, sagte sie, nun wohl, auch ich liebe Sie. Ich habe das dunkel von jenem ersten Abend an gefühlt, als ich Ihnen gegenübersaß, und im Lauf der Zeit hat dies Gefühl sich nur verstärkt und befestigt. Aber darum ist es nicht weniger, ja desto mehr hoffnungslos, denn ich denke nun vor Allem auch an Ihr Glück und sage mir mit Schmerzen, daß ich nicht die Macht hätte, oder doch behalten würde, Sie glücklich zu machen. Ich weiß zu gut, daß man als ein guter Mensch über die Schwächen einer Lebensgefährtin ein Auge zudrücken lernt, aber beide Augen, ist zu viel verlangt, und Künstleraugen vollends lassen sich nicht dazu gewöhnen. Wenn die erste Illusion vorüber, der erste Rausch – der in unserem Falle kaum recht begreiflich wäre – verflogen ist, werden Sie es selbst nicht mehr verstehen, daß Sie sich so weit verirren konnten. Und dann die höheren Jahre, in denen andere häßliche Frauen zuletzt ganz leidlich anzusehen sind, da jeder Anspruch auf sinnlichen Reiz aufgehört hat – mir würde dieser Vortheil des Alterns nicht zu Theil werden. Ich würde vielleicht mit dünnem Haar und gelben Zähnen und einem richtigen grauen Husarenschnurrbärtchen meinem geliebten Mann so grauenhaft garstig erscheinen, daß all seine Liebe und Treue dagegen nicht Stand hielte. Können Sie, da ich Ihnen theuer bin, mich der Gefahr aussetzen wollen, als ein lächerliches oder mitleidswürdiges Gespenst an Ihrer Seite hinzugehen und mich darein zu finden, daß Jüngere und Schönere mir Ihr Herz abwendig machen?

Das Alles klingt, wie gesagt, sehr vernünftig, sagt' ich. Ich kann es aber mit einem einzigen Wort widerlegen: Haben Sie mir nicht erzählt, daß Ihre Eltern bis an den Tod in friedlichster und freundlichster Ehe mit einander vereint geblieben sind?

O, sagte sie, mein guter Papa war ein Kaufmann, und Sie sind ein Künstler, dem das Schönste gerade schön genug ist, und dem ein häßliches Bild durch den reichsten Goldrahmen an Werth nicht gewinnen kann. Nein, verbannen Sie jeden Gedanken an eine nähere Verbindung mit mir. Ich müßte mich sonst ganz von Ihnen zurückziehen, und Sie wissen ja, wie Viel Sie mir sind, wie mir Ihr Freundesumgang nachgerade zum Bedürfniß geworden ist. Das Bessere wäre auch diesmal des Guten Feind. Lassen wir's beim Guten bewenden!

*

Sie brach dann hastig auf, um mir jede Erwiderung abzuschneiden.

Erst als ich draußen am Gitter von ihr Abschied nahm, fragte ich: Werden Sie Ihr Versprechen halten, bei der Anlage des Gartens mir Ihren Rath zu geben?

Wenn Sie brav sein wollen und auf das nie mehr zurückkommen, was unabänderlich ist.

Ich nickte nur und drückte ihr die Hand, sie nahm es als ein Versprechen, wie es nicht gemeint war. Ich hätt' es auch nicht halten können.

Denn in meinem Herzen hatte ich durchaus nicht darauf verzichtet, ihren Widerstand doch noch zu besiegen. Hatte sie mir nicht gestanden, daß sie mich liebe? Ein solches Geständniß aus diesem Munde, aus dem kein unwahres Wort kam, wog mir Alles auf, was sie an sogenannter Vernunft vorgebracht hatte, um meine leidenschaftlichen Wünsche zurückzuweisen. Ich vertraute fest darauf, daß die Zeit mir zu Hülfe kommen würde, und ein wenig auch auf den Beistand unserer gemeinsamen Freundin, die ganz auf meiner Seite sein würde.

Als ich aber noch am nämlichen Tage die kluge Frau dringend ins Vertrauen zog, fand ich sie nicht so bereit, mir zu helfen, wie ich gehofft hatte.

Lucie sei eine sehr selbständige, klare und entschiedene Natur und wisse genau, was sie wolle und könne. Daß sie einen jeden Mann glücklich machen würde, der über ihr Äußeres hinwegsähe, sei unzweifelhaft. Wenn sie selbst aber nicht daran glaube, daß ich ein ganzes Leben lang die Binde über den Augen tragen würde, die mich heute gegen ihre mangelnden Reize blind mache, so habe sie meine Natur vielleicht richtiger durchschaut, als irgend ein Anderer. Sie könne nur versprechen, meine Fürsprecherin zu sein, wenn die Freundin selbst darauf zu reden komme.

Das schien aber nicht der Fall zu sein. Wenigstens zuckte meine Verbündete, so oft ich darauf hindeutete, die Achseln und vertröstete mich zur Geduld.

Die wurde mir schwer genug. Seit der großen Aussprache ließ Lucile trotz ihrer Zusage wegen des Gartens sich nicht wieder bei mir blicken, ich wurde auch nicht vorgelassen, wenn ich sie in ihrer Wohnung aufsuchte, und begegnete ihr nur in dem befreundeten Hause, wo sie so unbefangen sich mir gegenüber benahm, als wäre ich ihr nichts mehr als ein guter Bekannter, an dessen Unterhaltung sie Vergnügen fände.

Eine Einladung aber zu der kleinen Einweihungsfeier des neuen Hauses, an der außer dem befreundeten Ehepaar nur sie Theil nehmen sollte, nahm sie mit freundlichem Lächeln an.

Das war etwa vierzehn Tage, nachdem sie mir den Korb gegeben. Ich weiß nicht, warum ich auf diesen festlichen Abend besondere Hoffnungen setzte, genug, ich traf alle Vorbereitungen in so froher Stimmung, als ob es sich um eine richtige Verlobungsfeier handelte. Meiner Köchin hatte ich auf die Seele gebunden, das ausgesuchteste kleine Souper zu besorgen, mein Diener mußte den edelsten Sekt schon ein paar Stunden vorher in Eis stellen, auf dem runden Tisch im Eßzimmer standen in zierlichen Vasen die schönsten Blumen, die aufzutreiben waren, und mit klopfendem Herzen ging ich, als die Stunde herannahte, von einem Zimmer ins andere, rückte an den Möbeln und zog die Jalousieen auf, um die Luft, die über dem noch ungeordneten Garten wehte, breit hereinzulassen.

Denn eine seltsame Schwüle lag nicht nur über meinem Herzen, sondern auch draußen unter dem grauen Himmel, an dem schon seit einigen Stunden ein Gewitter stand, das in der windstillen Luft sich nicht entladen wollte. Wir waren im October, aber der Tag erinnerte an den Hochsommer, und die späten Rosen dufteten so stark wie im Juli.

Mein Diener brachte mir ein Billet, das ich zitternd in die Hand nahm, da ich eine Absage Lucile's darin zu finden fürchtete. Es enthielt aber die Nachricht, das Ehepaar müsse zu seinem größten Bedauern auf die Freude verzichten, den Abend bei mir zuzubringen, das älteste Kind sei plötzlich schwer am Croup erkrankt, der Arzt mache eine bedenkliche Miene, sie kämen vom Bett der Kleinen nicht weg und erwarteten in großer Sorge die Wirkung der angewendeten Mittel.

Ich hatte die aufregende Botschaft kaum zu Ende gelesen, als die Hausglocke erklang. Gleich darauf öffnete sich die Thür, und Lucile trat ein.

Sie grüßte mich mit ihrem heitersten Lächeln, das sogleich wieder verschwand, als ich ihr das Billet zu lesen gab.

Wie schrecklich! rief sie. Die arme Bettine! Ich will gleich hin, zu sehen, ob ich etwas helfen kann.

Bleiben Sie, bat ich dringend. Zu helfen ist ja im Augenblicke nichts, und man würde Sie der Ansteckung wegen nicht einmal in das Krankenzimmer lassen. Ich werde meinen Gärtner hinschicken, er soll uns in einer Stunde Nachricht bringen, wie es inzwischen geht. Unser kleiner Festabend ist nun freilich verstört. Aber wenn Sie sich nicht scheuen, unter vier Augen mit mir am Tisch zu sitzen –

Sie antwortete nicht gleich. Sie schien zu überlegen, ob es nicht allzu unfreundlich wäre, davonzugehen und mich an meinem so hübsch gedeckten Tisch allein zu lassen. Dann sah sie ruhig zu mir auf.

Geben Sie mir Ihren Arm und führen Sie mich an meinen Platz, sagte sie. Sie müssen nun freilich sehr mit mir vorlieb nehmen, denn ich werde keine muntere Tischgenossin sein. Aber das ist ja nicht meine Schuld. Schade! Ich hatte mir vorgenommen, heut' Abend recht vergnügt zu sein. In so intimer Gesellschaft ist mir immer am wohlsten. Aber man muß aus der Noth eine Tugend machen.

*

Trotz der Mühe, die sie sich gab, ihrer Stimmung Herr zu werden, blieb sie in der ersten halben Stunde einsilbig und überließ es mir, das stockende Gespräch fortzuschleppen. Auch draußen war's unheimlich geworden. Das Wetter zog langsam herauf, ein paar scharfe Windstöße fuhren zu den offenen Fenstern herein und drohten die Lampen auszulöschen, so daß ich die Fenster schließen mußte. Doch schien das Ungewitter fern am Horizont sich entladen zu wollen, denn der Donner grollte nur dumpf herüber, und nur selten zuckte ein schwaches Leuchten durch die geschlossenen Vorhänge zu uns herein.

Sie war offenbar bemüht, mich, so gut sie konnte, für den vereitelten fröhlichen Abend zu entschädigen. Sie lobte die Gerichte und den rothen Wein – den Sekt hatte sie verbeten, da die Freunde in Sorge schwebten –, fragte mit hausfräulichem Interesse nach allerlei Einrichtungen meiner Junggesellenwirthschaft und nickte meinem Andreas freundlich zu, wenn er ihr Glas von Neuem füllte. Auch dieser gute Mensch war ihr sehr ergeben.

Ein wenig hatte sie auch auf ihre Toilette verwendet, ein hübscheres Kleid angezogen, das ihren schönen blassen Hals etwas freier ließ als gewöhnlich, und ihr dickes Haar sorgfältig frisiert. Dazu stand es ihr reizend, wenn sie sich zu lächeln bemühte, während ihre Augen noch immer schwermüthig blickten.

Erst als nach einer Stunde die Nachricht kam, es gehe besser mit dem Kinde, der Arzt habe erklärt, daß die Gefahr so gut wie vorüber sei, klärten sich ihre Züge auf und strahlten von der liebenswürdigsten Freude.

Sie litt es nun auch, daß ich den Champagner kommen ließ, auf die Genesung der kleinen Kranken mit ihr anzustoßen. Uns Beiden war ein Alp von der Seele gefallen, und wir wurden auf einmal gesprächig, scherzten und lachten, sie wie mit einem guten Kameraden, ich wie mit der Frau, mit der ich mein ganzes Leben zu theilen hoffte.

Da flammte plötzlich ein starker Blitz zu uns herein, dem sogleich ein knatternder Donnerschlag folgte. In demselben Augenblick brach auch die schwere Wolkendecke, und unter dem Heulen der Windsbraut prasselte eine Regenflut herab mit so betäubendem Lärm, daß wir Mühe hatten, unser eigenes Wort zu verstehen.

Mein Gott, rief sie und stand auf, wenn ich geahnt hätte, daß uns eine solche Gewitternacht bevorstünde – ich wäre wohl auch zu Hause geblieben, so sehr es mich betrübt hätte, Ihnen nun auch untreu zu werden. Aber hoffentlich geht es so rasch vorüber, wie es gekommen ist, und Ihr guter Andreas holt mir dann einen Wagen.

Ich suchte sie zu beruhigen, und wir setzten uns wieder. Die schöne Pfirsich aber, die ich ihr auf den Teller gelegt hatte, blieb unberührt, und nur zuweilen nippte sie zerstreut an ihrem Glase.

Ich hatte nun die Kosten der Unterhaltung wieder fast allein zu bestreiten. Denn mehr als auf meine Worte horchte sie in das Rauschen und Toben des Unwetters draußen, das sich nicht mäßigte, auch nachdem Blitz und Donner sich kaum noch über uns entluden.

Eine Stunde war so vergangen. Da stand sie wieder auf.

Ich muß mich nun doch entschließen, den Heimweg anzutreten. Es geht schon auf Elf. Schlimmeres kann mir ja nicht begegnen, als bis auf die Haut naß zu werden, und wenn ich abwarten wollte, bis das Ärgste vorüber ist, könnte es morgen werden. Sie geben mir wohl einen Schirm und Ihren Diener mit?

Ich erklärte, daß ich sie um keinen Preis in die Sturmnacht hinauslassen würde. Auf dem Wege bis zu ihrem Haus, wozu sie eine halbe Stunde brauchte, könne sie sich auf den Tod erkälten, und alle Straßen seien zu Bächen geworden. Sie müsse sich schon entschließen, in meinem Fremdenzimmer zu übernachten. Die Köchin werde ihr Kammerjungferdienste leisten.

Sie schüttelte erst entschieden den Kopf. Nachdem sie aber auf die Veranda getreten war und sich einen Augenblick mit unbedecktem Haupt in das Toben der Elemente hinausgewagt hatte, kam sie mit triefendem Gesicht ins Zimmer zurück und sagte: Ich muß wohl der Gewalt weichen. Es scheint, an diesem Abend soll nichts in der Ordnung geschehen. Dann aber lassen Sie uns gleich auseinandergehen und schicken Sie mir Ihre Köchin. Ich brauche sonst nichts als ein Ruhebett und ein Glas frisches Wasser. Der Wein hat mich heiß gemacht.

Sie finden das Bett im Fremdenzimmer schon bereit, versetzte ich. In einigen Tagen erwarte ich einen Freund, der bei mir wohnen soll. So trifft sich's ja noch günstig, daß Sie sich gleich niederlegen können und hoffentlich eine ruhige Nacht haben.

Ich klingelte nach dem Mädchen und befahl ihr, das Fräulein hinauszubegleiten und ihr behülflich zu sein. Dann reichte sie mir die Hand und ließ mich mit meinen wunderlich aufgeregten Gedanken allein.

*

So war dies geliebte Wesen, das nichts davon wissen wollte, als Herrin und Gebieterin in diesem Hause zu wohnen, nun doch gezwungen, die Nacht hier zuzubringen. Wie sehr sie dazu geeignet war, als Hausfrau hier zu schalten und mir jede Stunde des Beisammenseins erquicklich zu machen, hatte ich an diesem Abend trotz aller erschwerenden Umstände so recht klar erkannt. Es war mir unmöglicher als je, der Hoffnung zu entsagen, daß ich doch endlich ihr Widerstreben entwaffnen würde.

Darüber grübelte ich noch eine halbe Stunde nach, während das Rauschen und Tosen draußen ohne Pause weiterging. Endlich schickte ich meinen Diener zu Bett, löschte selbst die Lichter in allen Zimmern und leuchtete mir mit einer Kerze die Treppe hinauf zu meinem Schlafzimmer.

Das liegt, wie Sie heute selbst gesehen haben, am Ende des Ganges, der an den Kinderzimmern vorbeiführt; das Fremdenzimmer, wo ich Sie leider nicht beherbergen soll, am anderen Ende. Damals war's noch nicht so behaglich in meinem Schlafzimmer wie heute, da wenig mehr als mein Bett darin stand. Doch hatte ich noch jede Nacht nach dem arbeitsamen Tagewerk vortrefflich darin geschlafen.

In jener Nacht warf ich mich eine volle Stunde lang auf meinem weichen Lager hin und her, ohne Schlaf finden zu können.

Daß morgen, wenn ich aufwachte, diese Nacht vergangen sein sollte, ohne in meinem Schicksal irgend etwas geändert zu haben, war ein unerträglicher Gedanke. Ich würde mir dann als ein feiger, armseliger Geselle erscheinen, wenn ich die Gunst der Gelegenheit, die der Himmel mir so augenscheinlich bereitet, unbenutzt ließe und nicht um jeden Preis mir das ersehnte Glück eroberte. Heimlich raunte mir irgend ein Kobold zu, daß auch sie jetzt wohl schlaflos liege und nicht begreifen könne, daß ich mich fernhielte, da ich doch wußte, wie es um ihr eigenes Herz stand. Die gepriesene »Vernunft«, die am hellen Tage sich Respect erzwungen, würde im Dunkel der Nacht wohl den Kürzeren ziehen, wenn die Leidenschaft sie bestürmte. Und was auch das Ende sein mochte, ein Versuch mußte gemacht werden, wenn ich nicht lebenslang mich schämen und grämen sollte, das gewagte Spiel kleinmüthig aufgegeben zu haben.

So sprang ich plötzlich aus dem Bett, zog mich, ohne Licht zu machen, vollständig wieder an, nur daß ich nicht in die Stiefel fuhr, sondern in weichen Hausschuhen meinen frevelhaften Gang antrat.

Ich horchte im Corridor draußen ins Haus hinab. Nichts war zu hören als immer noch das Geräusch des Unwetters, das nicht zur Ruhe kam. So schlich ich behutsam an den dunklen Wänden hin, und erreichte endlich tastend die Thür des Fremdenzimmers.

Hier stand ich eine Weile mit heftigem Herzschlag, bis ich den Muth faßte, leise anzuklopfen.

Drinnen blieb alles still.

Neues Klopfen nach ein paar Minuten, dazu die leisen Worte: Ich bin's, Lucile. Ich bitte, geben Sie mir nur noch ein paar Augenblicke Gehör. Ich hätte Ihnen etwas Wichtiges zu sagen, was mich nicht schlafen läßt.

Keine Antwort.

O liebe Freundin, fing ich wieder an, wollen Sie mir doch nicht weismachen, daß Sie mich nicht hören. Ich weiß, Sie sind hell wach. Wenn Sie mir nicht öffnen wollen, ist es nur, weil Sie es unschicklich finden, daß ich Sie in dieser tiefen Nacht noch besuchen will. Aber ich gelobe Ihnen feierlich, ich werde Ihre Güte nicht mißbrauchen, mich gehorsam zurückziehen, sobald Sie es von mir verlangen. Nur sehen muß ich Sie noch, oder wenn Sie das in Verlegenheit setzte, nur sprechen, etwas, das mir das Herz abdrückt. Hören Sie mich, Lucile? Können Sie eine so bescheidene Bitte Ihrem Freunde abschlagen?

Es blieb drinnen stumm und still wie im Grabe.

Ich pochte von Neuem, lauter und dringender. Ich hoffte, sie würde nun doch öffnen, aus Furcht, es möchte im Hause gehört werden und die Dienerschaft zu schlimmen Vermuthungen führen. Die Thür aber blieb eigensinnig geschlossen. Alles, was ich an Bitten und Gelöbnissen durch das taube Holz hineinrief, blieb unerwidert. Nach einer fruchtlos verschwendeten Viertelstunde mußte ich mich in der jämmerlichsten Stimmung von der Welt entschließen, in mein Zimmer zurückzuschleichen.

*

Wie ich den Rest der Nacht zubrachte, schlaflos und mit bitteren Selbstvorwürfen, können Sie sich denken.

Spät am Morgen wachte ich aus einem kurzen Halbschlummer auf. Da wurde mir ein Brief gebracht, den ich lange nicht zu öffnen wagte. Ich durfte mir ja keine Hoffnung machen auf Begnadigung oder gar Versöhnung. Den schnöden Versuch, sie unter meinem gastfreundlichen Dach zu überrumpeln, konnte sie mir nicht verzeihen.

Aber Sie sollen den Brief selbst lesen. Sie werden die Natur dieses herrlichen Weibes besser daraus erkennen, als aus Allem, was ich von ihr gesagt habe.

Er stand auf und nahm aus einem Fach seines Schreibtisches eine kleine Mappe, in der verschiedene Briefe aufbewahrt waren. Einen zog er heraus, zwei kleine Bogen, die mit einer festen, weiblichen Hand beschrieben waren. Nur gegen den Schluß wurden die Schriftzüge unsicher, die Unterschrift »Lucile« war fast verwischt.

Der Brief lautete so:

 

»Sind Sie mir noch böse, lieber Freund, daß ich Nachts taub geblieben? Oder haben Sie am hellen Tage eingesehen, daß Sie mir nur Dank dafür schulden? Sie müssen es, wenn Sie mit ruhigem Sinne sich vorstellen, mit welchen Augen wir uns ansehen würden, wenn es anders gekommen wäre, und wir uns nun wieder begegneten. Glauben Sie mir, der Kampf, den ich zu bestehen hatte, war schwerer, als Sie ahnen können. Ich habe Ihnen gestanden, daß ich Ihre Liebe erwidere; wie unsinnig ich Sie liebe, kam mir erst zum Bewußtsein, als ich gegen die Versuchung, die an meine Thür pochte, mich waffnen mußte, ach, nicht mit Taubheit, denn ich hörte ja jedes Ihrer Worte, Ihre Bitten und Versprechungen, von denen ich wußte, daß Sie nichts von Allem halten würden. Daß ich nicht antworten durfte: Ich komme, ich komme! und aus dem Bett springen, Ihnen meine Thür und meine Arme zu öffnen – es sprengte mir fast die Brust. Ich drückte das Gesicht in die Kissen und biß mir die Lippe blutig. Und als ich dann hörte, wie Sie mir Gute Nacht! zuriefen und Ihr Schritt sich von meiner Schwelle entfernte, brach ich in so fassungslose Thränen aus, wie ich nie im Leben geweint hatte. Noch einen solchen Sieg, und ich hätte ihn mit meinem Leben bezahlt.

Nein, lieber Freund, es war kein Sieg der sogenannten Tugend. Sie wissen aus vielen unserer Gespräche über leidenschaftliche Romane und Schauspiele, wie weit entfernt ich davon bin, das Wort Sünde auszusprechen, wenn der Sturm der Sinne zwei Menschen, die sich fürs Leben aneinander geknüpft fühlen, zu einer vollen Hingabe fortreißt, ehe ihr Bund vor dem Standesamt beglaubigt ist. Mit uns aber stand es anders.

Ich hatte eingesehen, daß ich nie Ihre Frau werden konnte. Der Grund dafür machte mir's unmöglich, Ihre Geliebte zu werden. Es wäre mir schmachvoll erschienen, im Dunkel der Nacht mir ein Glück zu erschleichen, auf das ich beim Licht der Sonne keinen Anspruch haben kann. Und Sie, armer Freund, mit Ihrem feinen Sinne, der nur durch die Gewitterschwüle jener Stunde getrübt war – die Hand aufs Herz –: wie würde Reue und Scham Sie heute verfolgen, wenn Sie an jene Verirrung Ihrer Sinne zurückdächten!

Wir haben ja niedere Sinne neben unseren höheren. Nur wo beide sich innig vereinigen, ist Alles heilig, was Liebe verlangt und Liebe gewährt. Sonst entwürdigt uns das, was die arme Menschlichkeit an die Gottheit heranreichen läßt.

Nun habe ich gesagt, was ich Ihnen zu beichten schuldig war, damit Sie nicht besser und nicht geringer von mir denken, als ich verdiene. Ob wir Beide die Kraft hätten, nach diesem Erlebniß in einem beruhigten Freundschaftsverhältniß miteinander fortzuleben, weiß ich nicht. Vielleicht in späterer Zeit, wenn auch mein Blut kühler durch meine Glieder strömt. Jetzt aber bleibt nichts als eine Trennung, die mir wahrlich schwerer fallen wird als Ihnen, da Sie weniger verlieren und zum Ersatz Ihre Arbeit, Ihre Kunst haben, während ich beruflos und heimathlos durch die Welt fahre.

So wünsche ich Ihnen alles Gute, Beste und Beseligendste, was ein so reich begabter Mensch vom Schicksal nur immer verlangen kann. Versprechen Sie mir, keinen Versuch zu machen, mich noch zu sehen, mir auch nicht zu schreiben, auch wenn wir uns auf der Straße begegnen sollten, da ich vor acht Tagen mich nicht hier losmachen kann, mit stummem Gruß an mir vorüberzugehen. Ich bin schwächer, als Sie glauben. Ich stehe nicht dafür, daß ich nicht auf offener Straße in Thränen ausbrechen würde.

Nun noch Dank – Dank – tausendmal Dank! Sie wissen nicht, was Sie mir gegeben haben.

Leben Sie wohl! Parting is such sweet sorrow – O, warum mußte es sein! –

Lucile.«

*

Ich hatte den Brief in tiefer Bewegung zu Ende gelesen und gab ihn schweigend dem Freunde zurück. Eine Weile blieben wir stumm einander gegenüber.

Dann sagte er: Sie hatte Recht wie immer, es war das Beste, uns jetzt nicht Auge in Auge zu sehn – und doch wieder hatte sie Unrecht – aber das zeigte sich erst viel später.

Am dritten Tage nach meinem verhängnißvollen Einweihungsfest wurde ich durch den Besuch meines englischen Gastfreundes überrascht. Der liebe Herr, den ich als einen flotten Jäger und Reiter verlassen hatte, war in den drei Jahren zu einem gebückten alten Manne geworden. Vor einem halben Jahr hatte er seine geliebte Frau verloren, und der Gram hatte seine Kraft vor der Zeit gebrochen.

Er besuchte mich in meinem Bureau, um nur einen Herzenswunsch vorzutragen, die Bitte, für das Mausoleum, das er der Todten in seinem Park errichten wollte, die Pläne zu zeichnen und die Ausführung an Ort und Stelle zu leiten. Da ich die theure Frau gekannt und verehrt hätte, würde ich mehr als ein fremder Architekt imstande sein, etwas zu schaffen, was ihr Andenken in würdiger Weise verewige.

Er sagte mir auch, der Gedanke, mir die Arbeit anzuvertrauen, sei von seiner Tochter ausgegangen, die auch darauf bestanden habe, die Sache nicht schriftlich abzumachen, sondern selbst herüberzukommen, da ich sonst vielleicht wegen allzu großer Beschäftigung den Antrag ablehnen würde.

Ich war im ersten Augenblick wenig geneigt, ihn anzunehmen. Eine Reise nach England kam mir sehr ungelegen. Aber der Bitte des lieben Mädchens, das bei meinem Anblick und den theilnehmenden Worten, die ich an sie richtete, in Thränen ausbrach, konnte ich nicht widerstehen.

Sie war inzwischen voll herangereift, über neunzehn Jahre alt, ihre Schönheit auf dem dunklen Hintergrunde der Trauerkleidung nur noch strahlender. Doch ließ sie mich eben so kühl wie früher, nur ein tiefes Mitleid fesselte mich an die rührende Gestalt, die neben dem alten Vater wie eine Antigone stand, nur bemüht, ihn aufzurichten und an das Leben zurückzugewöhnen.

So machte ich denn rasch eine Skizze des Grabdenkmals, die den Beifall Beider fand, und versprach, sobald die Pläne ausgezeichnet seien, damit hinüberzukommen, den Platz, wo der Bau stehen sollte, selbst auszusuchen und alles Weitere mit einem dortigen Architekten zu besprechen.

Während all der Zeit war mir der Gedanke an meine Freundin nicht aus dem Sinn gekommen, ich hatte aber ihre Bitte, fern zu bleiben, treu befolgt, freilich mit dem geheimen Entschluß, sie nicht abreisen zu lassen ohne einen letzten Händedruck.

Auf der Straße war ich ihr nie begegnet. Nur eines Nachmittags, als ich mit dem englischen Paar hinausging, ihnen mein Haus zu zeigen, war mir's, als sähe ich eine verschleierte Gestalt, die Lucile an Wuchs und Haltung glich, uns entgegenkommen, einen Augenblick stutzen und dann rasch in eine Seitenstraße einbiegen.

Am folgenden Morgen erhielt ich diesen Brief von ihr.

Er zog ihn aus der Mappe hervor, öffnete ihn, behielt ihn aber in der Hand und las ihn mir vor.

Lieber Freund!

Ich sage Ihnen mein letztes Lebewohl. Ich bin Ihnen heute begegnet in Gesellschaft eines Mädchens, wie ich mir Ihre künftige Frau immer vorgestellt habe. Was ich von ihrem Charakter erforscht habe – ich habe mich nicht geschämt, ihre Kammerjungfer ins Verhör zu nehmen – verbürgt mir, daß sie eine ebenso musterhafte Gattin werden wird, wie sie ihren Eltern eine Tochter gewesen. Das hat meinen Entschluß, abzureisen, zur Reife gebracht. So innig mir Ihr Glück am Herzen liegt, so ist das Weib in mir doch schwach genug, sich vor den Qualen der Eifersucht zu fürchten, die mir nicht erspart bleiben würden, wenn ich dies holdselige Geschöpf öfter sehen müßte. Darum nehme ich eilig die Flucht. Wenn Sie diese Zeilen lesen, ist die Schreiberin schon fern von Ihnen – irgendwo in der weiten, weiten Welt.

Das Andenken, das sie Ihnen hier hinterläßt, soll dazu dienen, jedes Bedauern über den raschen Abschied in Ihnen zu ersticken.

Lucile.«

Ich habe Ihnen den Brief nicht zu lesen gegeben, sagte er mit einem wehmüthigen Lächeln, weil sie auf der letzten Seite ihr eigenes Profil gezeichnet hat, eine so grausame Karikatur, in der alles Anziehende des lebenden Gesichts verleugnet oder verzerrt ist, daß Sie eine ganz falsche Vorstellung von ihrer Erscheinung bekommen würden. Zum Überfluß hat sie ihrem Bilde gegenüber den Kopf Harriett's gezeichnet, zum Erstaunen getroffen, trotz des flüchtigen Begegnens, nur ein wenig idealisiert. Der Contrast war vollends vernichtend für meine arme Freundin.

*

Das war das Letzte, was ich von ihr erfuhr. Auch die Frau meines Collegen hat nie mehr ein Lebenszeichen von ihr erhalten.

Ich aber – nun, mit mir kam es, wie es kommen mußte. Als ich gegen Weihnachten nach England kam, kränkelte der alte Herr und bat mich, auch seinem Sarge in dem Grabdenkmal einen Platz zu bestimmen.

Im nächsten Frühjahr haben wir ihn dort neben seiner Frau zur Ruhe gebettet, in einem einfachen marmornen Sarkophag, dessen Zeichnung er noch selbst begutachtet hatte. Die Tochter stand allein in der Welt. Ihre Trauer, ihre Hülflosigkeit und die stille starke Neigung, die sie zu mir trug, ohne sie anders als durch einen schüchternen Blick mich erkennen zu lassen, überredeten mich, daß es meine Pflicht sei, sie zu meinem Weibe zu machen.

Was die Andere mir gewesen, konnte sie mir freilich nicht sein. Aber etwas mehr als eine Karyatide, die mein Haus schmückt, ist sie denn doch für mich geworden. Und hat nicht ein weiser Mann gesagt: Wer nicht bekommt, was er liebt, muß zu lieben suchen, was er bekommt? Nur daß zuweilen das Gespenst unerfüllter Wünsche und Hoffnungen vor mir aufsteigt in der Gestalt jener geliebten Verlorenen und mich vorwurfsvoll ansieht: Du hättest doch nicht verzichten sollen! Dann brauch' ich mein Hausmittel, indem ich mein kleines Mädel auf meinen Schooß hebe und mir von ihr vorplaudern lasse, was durch ihr junges Köpfchen geht. Mir wird dann manchmal zu Muth, als hört' ich die Stimme Lucile's, nur mit einer helleren Klangfarbe und aus einem Mündchen, das dem ihrer schönen Mutter gleicht.

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