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F. V. R. I. A.

(1885.)

 

Die Gaststube im »Blauen Hecht« war überfüllt. Als ich eintrat, sah ich mich vergebens nach einem leeren Platz an einem der sechs bis sieben Tische um, ohne daß man irgendwo Miene gemacht hätte, zusammenzurücken. Endlich bemerkte der junge Wirth, der, wie eine Schwalbe vor dem Gewitter, aufgeregt zwischen seinen Gästen hin und her schoß, meine Verlegenheit, kam, den Arm voll leerer Schoppenflaschen, auf mich zu, und indem er den unwirthlichen Empfang mit dem Getümmel des Viehmarktes entschuldigte, der alljährlich um diese Zeit die Gutsbesitzer der ganzen Umgegend in diesem kleinen niederrheinischen Städtchen versammelte, winkte er mir geheimnißvoll, ihm zu folgen.

Er führte mich durch einen schmalen helldunklen Gang, an der Küche vorbei, in welcher seine hübsche junge Frau mit hochrothen Wangen und blanken schwarzen Augen hinter ihren Töpfen und Pfannen hantierte, rief ihr ein Wörtchen zu, das auf mein Abendessen Bezug hatte, und übergab die Flaschen einem flinken Burschen mit der Weisung, sie von Neuem zu füllen. Dann öffnete er eine Thür, die in ein Hinterstübchen führte. und ließ mir mit höflicher Verbeugung den Vortritt.

In dem niedrigen, doch ziemlich geräumigen Gemache stand nur ein einzelner Tisch, dicht vor die offene Glasthür gerückt, durch die man in ein Blumengärtchen und darüber hinaus in den Weinberg sah, der sich in sanftem Abhange bis an den Fluß hinunterzog. Die Nacht war schon hereingebrochen, man sah drüben am linken Ufer die Lichter in den Häusern funkeln, und ein sanfter Mondschimmer floß über die Georginen des Gärtchens und die reichgesegneten Rebstöcke herab. Auf dem Tisch aber brannte nur ein einziges Licht, und zwar zu meiner Verwunderung ein Talglicht, in einem altmodischen Messingleuchter, und die drei Männer, die an dem Tische saßen, hatten ebenso altmodische Gesichter und mochten zusammen nahe an zweihundertundvierzig Jahre zählen.

Ich gestehe, daß ich beim ersten Anblick dieses uralten Stammtisches mich versucht fühlte, unter irgend einem Vorwande den Rückzug anzutreten. Auch verharrten die ehrwürdigen Herren, die aus kurzen Pfeifen einen scharfen Taback rauchten, in einem wenig verbindlichen Schweigen, als der Wirth um die Erlaubniß bat, einen vor Kurzem mit dem Dampfschiff angekommenen Gast ihnen vorzustellen. Nur als er meinen Namen nannte, erhob sich der Unheimlichste von den Dreien, ein langer Mann in grauem Anzuge, mit einem verwitterten gelblichen Gesicht, in welchem zwei unstete kleine Lichter flackerten, während ein Büschel struppiger grauer Haare über die hohe Stirn fast bis zu den buschigen Augenbrauen herabhing.

Er sagte, es freue ihn außerordentlich, meine Bekanntschaft zu machen – in einem Ton und mit einer Miene, wie ein Oger einen verirrten Reisenden in seiner Hütte begrüßt, den er noch in derselben Nacht zu verspeisen gedenkt. Ich sei doch wohl der Sohn des Mannes, der eine so herrliche Sammlung alter deutscher Bücher, erster Drucke und fliegender Blätter besessen. Er selbst sei gleichfalls ein Bücherwurm, habe vor Zeiten ein großes Antiquariat besessen, und mir, als dem Sohne meines Vaters, werde der Name Peter Frettgen nicht ganz unbekannt sein.

Ich verneigte mich, ohne mich hierüber deutlicher auszulassen, und betrachtete nun, während der Wirth seinem Geschäfte nachging, die beiden anderen seltsamen Käuze, die mir als Pfarrer Block von St. Aegidien, seit zehn Jahren in Ruhestand getreten, und Gutsbesitzer N. N. – der Name ist mir wieder entfallen von Herrn Peter Frettgen vorgestellt wurden. An Letzterem war nichts Sonderliches, als daß er alle zehn Minuten das Licht zu schnäuzen Anstalten machte, was ihm jedesmal mißlang, so daß der kleine Herr Pfarrer ihm die Lichtscheere aus der Hand nehmen mußte. Dieser gefiel mir von dem Kleeblatt am besten. Sein feines Gesichtchen, mit den wenigen silbernen Härchen bekrönt, trug den Ausdruck des tiefsten Seelenfriedens und der heitersten Güte, während der Gutsbesitzer beständig seufzte und mit seinem breiten, lederharten Gesicht, dem kahlen Schädel und den welken Ohren sich wie eine Mumie ausnahm, die darüber verdrossen ist, daß man sie aus ihren Binden und Leinwandhüllen herausgeschält hat.

Dieser alte Herr sprach auch kein einziges Wort, während der kleine Geistliche sein dünnes Stimmchen, das wie das Zirpen einer Grille klang, von Zeit zu Zeit vernehmen ließ, freilich nur um vom Wetter und den Aussichten auf den heurigen Herbst zu reden, da sein eingeschrumpftes Gehirnchen keinen höheren Gedanken mehr zu fassen im Stande war.

Desto lebhafter kreuzten sich die Ideenverbindungen im Kopfe des alten Antiquars. Zwar war ich bedenklich in seiner Hochschätzung gesunken, da ich gestand, daß ich von dem väterlichen »Bücherschatz« nur eine sehr oberflächliche Kenntniß besessen und den historischen Sinn und Sammlergeist, der in unsrer Familie sich zu vererben gepflegt, leider nicht überkommen hätte. Doch brachte ich diesen Verlust auf andere Weise wieder herein. Denn als der alte Herr erzählt hatte, daß er sich vom Geschäft gänzlich zurückgezogen und nur noch eine auserlesene kleine Bücherei zu seiner eigensten Freude und Erbauung zurückgehalten habe, an diesen Schätzen aber beständig zu thun finde, da er abgerissene Blätter oder fehlende Titel mit kalligraphischer Kunst ergänze, gewann ich mir sein Herz durch die Mittheilung, in dergleichen Künsten sei auch ich als junger Mensch ziemlich erfahren gewesen, um die Schäden auszubessern, welche achtlose Hände oder der Zahn bildungsfeindlicher Würmer und Mäuse gerade den kostbarsten alten Bänden zuzufügen pflegten. Das finstere Gesicht des alten Bücherwurms verklärte sich, und es entspann sich nun ein Gespräch über die technischen Mittel und Behelfe unserer Kunst, das den beiden anderen Greisen höchst uninteressant sein mußte. Sie gaben aber kein Zeichen von Unmuth oder Ungeduld. Der Pfarrer lächelte sanftmüthig in sein Glas hinein, die braune Gutsbesitzer-Mumie fuhr fort, das Licht zu schnäuzen, der flinke Wirth sah ab und zu herein, ob wir frischen Getränkes bedürften, und draußen wurde der Mondschein immer herrlicher und herrschgewaltiger, daß ich mehr und mehr in eine träumerische Stimmung gerieth und zuweilen mich darauf ertappte, von den sachkundigen Erörterungen meines Nachbars über die verschiedenen Arten von Tinte und Tusche und von der Unzuträglichkeit der Stahlfedern zu dem kalligraphischen Ergänzungswerk nur noch einen undeutlichen Schall vor meinen Ohren zu vernehmen.

Seit dreißig Jahren – erfuhr ich nebenher – seien sie jeden Samstag in diesem Stübchen zusammengekommen, einst eine viel stattlichere Schaar, nunmehr durch Tod und Schicksal aller Art auf dieses Kleeblatt zusammengeschmolzen. Sie hätten aber ihre Erinnerung an die Anderen zugleich mit dem alten Leuchter, der aus einer bescheideneren Zeit stamme, der Fidibusbüchse und den alten Römern getreulich beibehalten und tränken jedes Jahr an einem gewissen Tage etliche Flaschen eines gewissen Weines, der nur für sie allein noch im Keller lagere. Zu diesem Berichte des Herrn Peter Frettgen nickten die zwei Besitzer ernst und gemessen, wie wenn sie sich bewußt wären, die Großsiegelbewahrer der merkwürdigsten Geheimnisse zu sein. Doch konnte ich mich des stillen Verdachtes nicht erwehren, daß es in ihren Köpfen nicht viel anders aussah, als in den drei Tabakskästen auf dem Tische, die nach und nach geleert worden waren und nur noch einen kümmerlichen Bodensatz verstaubter dürrer Blätter bewahrten.

Als der Mond zu höchst am Himmel stand und die Uhr auf dem Kirchthurm elf langsame Schläge erschallen ließ, erhob sich der kleine Pfarrer, klopfte die Pfeife aus, legte sie in den Tischkasten und griff nach seinem Hut. Wir Anderen folgten, der Wirth war dienstfertig auf den Schlag der bestimmten Stunde erschienen, uns mit der historischen Talgkerze durch den finsteren Gang hinauszuleuchten, im Gastzimmer hatte sich der Lärm gelegt, da nur noch wenige Nachzügler schweigsam und tiefsinnig über dem letzten Schoppen brüteten, und auf der Straße draußen trieb der Mond allein sein nachtwandlerisches Wesen.

Mir war die Stirn aber so heiß von dem jungen Wein, den ich genossen, daß ich mich von den drei alten Herren an der Hausthür verabschiedete, nicht um in mein Zimmer hinaufzugehen, sondern noch eine Weile die von der Sommernacht verzauberte kleine Stadt zu durchstreifen. Als ich diesen Entschluß ankündigte, ergriff Herr Peter Frettgen sofort meinen Arm, ohne auf mein Abwehren zu achten. Die beiden Anderen schüttelten mir mit ihren welken Fingern ziemlich gleichgültig die Hand und schlenderten neben einander links um die nächste Ecke. Wir aber schlugen den Weg durch die Hauptgasse ein, zunächst ebenfalls Jeder in seinen Gedanken, bis plötzlich mein Begleiter stehen blieb und, feierlich die ingrimmigen alten Augen nach dem Mondhimmel richtend, in die Worte ausbrach: Ich danke meinem Schöpfer, daß ich mein Haupt nun an die 79 Jahre Nacht für Nacht auf ein Junggesellenkissen niedergelegt habe!

Dieses Bekenntniß eines uralten Weiberhassers, das durch kein Wort unserer früheren Gespräche hervorgerufen war, überraschte mich aufs Höchste, so daß ich, da ich nicht aufgelegt war, mit dem wunderlichen Einsiedler Händel anzufangen, mich resolvirte, von der herausfordernden Aeußerung so wenig Notiz zu nehmen, wie von dem Bruchstück eines Monologes, das ich zufällig belauscht hätte.

Mein alter Herr aber ließ mich nicht so leichten Kaufes davonkommen.

Er stand mitten auf der Straße still und blickte nach einem Häuschen, das harmlos genug mit seinen Nelken- und Geranientöpfen vor den blanken Scheiben im Mondlichte stand. Dann hob er langsam seine rechte, zu einer Faust geballte knochige Hand, wiegte sie ein paar Mal drohend gegen die Fenster des Erdgeschosses und nickte dabei vor sich hin. Es war, als wollte sich eine böse Rede über seine Lippen schleichen. Doch preßte er sie nur fester zusammen, faßte wieder meinen Arm und ging mit seinen langen, aber langsamen Schritten die breite Gasse vollends hinab.

Dann fing er wieder ganz gleichmüthig an, von einem Exemplar des Weißkunigs zu reden, das in sehr desolatem Zustande in seine Hände gekommen war und an dem er jetzt seine Samariterpflichten übte. Ich merkte, daß ein altes Buch ihm um so werthvoller war, je mehr es seiner kalligraphischen Liebesdienste bedurfte.

Wir waren über den Platz vor der Hauptkirche gekommen, wo ein paar Budenreihen aufgeschlagen waren, ein kleiner Krammarkt, der sich bescheiden neben der großen Pferde- und Rindermesse angesiedelt hatte. Die letztere wurde auf der großen Wiese am unteren Ende des Städtchens abgehalten, und wir bekamen nichts von ihr zu sehen. Denn nachdem wir die zwei oder drei Wächter begrüßt hatten, die mit ihren Laternchen im blanken Mondschein sich sehr überflüssig ausnahmen, bogen wir in eine Seitengasse ein und durchschritten den ältesten Theil der Stadt, wo lauter einstöckige, hochgiebelige Häuschen aus Fachwerk mit schiefgesunkenen Thürschwellen und verbogenen Wasserrinnen standen. Nicht fünfzig Schritte mehr, so hielten wir vor einem Hause, das in derselben Reihe stand, aber seine Nachbarn um ein Geschoß überragte. Es war auch sonst mit etwas größerem Aufwande gebaut, die Fenster mit Sandstein umrahmt, ein verwittertes altes Drachenbild, in Stein gehauen, über dem Thürsturz, eine breite Steinbank unter den drei Fenstern des Erdgeschosses. Was aber das Beste daran war: es stand an einem viereckigen Platz, rechts und links die Seitenfronten zweier niedriger Häuser und die Mäuerchen der kleinen Gärten, die sich daran schlossen, von den Zweigen der Obstbäume überhangen, gegenüber die Wand einer alten Capelle, in deren spitzbogigen schmalen Fenstern der Mondschein flimmerte, und gerade in der Mitte derselben, zwischen etlichen eingemauerten Grabsteinen angeheftet, ein großes hölzernes Kreuz, das ein uraltes, aus dunklem Holz geschnitztes Christusbild trug, fast in Lebensgröße, von einem alten Birnbaum umzweigt, der über dem Haupte mit der Dornenkrone ein dichtes Schattendach gebreitet hatte, so daß die Züge des auf die Brust gesenkten Antlitzes zu dieser Stunde nicht zu erkennen waren.

Herr Peter Frettgen hatte sich auf die Steinbank geworfen, seinen alten grauen Cylinderhut neben sich gestellt, den Stock mit dem silbernen Knopf gegen den Boden gestemmt und das welke Kinn darauf gestützt. Ich ließ mich neben ihm nieder und warf ein Wort hin von dem Reiz dieser Nachtstille und des alterthümlichen Gewinkels, durch das er mich geführt hatte.

Er nickte nur schweigend vor sich hin.

Dann sah er nach einiger Zeit plötzlich auf und fragte: Sind Sie Katholik?

Ich verneinte.

Hm, machte er, ja, dann ist es kein Wunder. Ihr Herren Lutheraner oder Heiden, was ihr nun sein mögt, ihr schaut in unsere mittelalterliche Welt hinein wie in ein Paradies, aus dem ihr verbannt worden, seit ihr die Kinderschuhe ausgetreten. Wenn ihr drin geblieben wäret, würde der Zauber auch an euch seine Kraft verloren haben, wie an uns Anderen. Und zumal Der da drüben – er wies mit dem Stockknopf nach dem Crucifix – –

Ich sah den alten Mann in höchstem Erstaunen von der Seite an. Wie hatte er sich bei solchen Gesinnungen dreißig Jahre lang mit dem kleinen Pfarrer vertragen können?

Ja, ja, fuhr er fort, Ihnen scheint das eine Blasphemie, und wenn wir noch in der guten alten Zeit der heiligen Inquisition und der Ketzergerichte lebten, und Sie gingen zum Bischof und denuncirten mich, müßt' ich brennen. Heute wird mir kein Haar deßhalb gekrümmt, ich darf's nur nicht gerade in die Zeitung setzen lassen. Und wenn ich's vor meinen Nachbarn laut werden lasse, die ganz fromme Christen sind, zucken sie höchstens die Achseln. Aber weil sie wissen, daß ich die langen Jahre hier gehaus't habe und Den da drüben besser kenne, als mir lieb ist – –

Sie wohnen in diesem Hause? unterbrach ich ihn und stand unwillkürlich auf, um daraufhin den alten Bau noch einmal zu betrachten.

Seit mehr als vierzig Jahren, versetzte er gelassen, und die letzten zehn Jahre, da meine alte Haushälterin mit Tode abgegangen, mutterseelenallein. Und es gruselt mir gar nicht. Der alte Kasten ist geräumiger, als man ihm ansieht, und ich kann meine Bücher trefflich darin unterbringen. Jeden Morgen aber, wenn ich die Läden öffne, fällt mein erster Blick auf Den da drüben. Sie begreifen – eine so alte und intime Bekanntschaft – da kommen einem curiose Gedanken.

Ich hatte ein Wort vom Kammerdienerverstande auf der Zunge, hütete mich aber wohl, es auszusprechen.

Wieder schwiegen wir eine Weile. Und wieder fuhr er mit einem Ruck in die Höhe, wobei der graue Haarbüschel über seiner Stirn sich seltsam sträubte:

Glauben Sie an einen Teufel? fragte er.

Lieber Herr, erwiderte ich –

Schon gut! Sie glauben natürlich an keinen, der mit Hörnern und Pferdefuß herumhinkt und auf arme Seelen Jagd macht, um die kein Sklavenhändler oder Seelenverkäufer sich kümmern würde. Ich glaube auch nicht daran, ist auch keiner vonnöthen, seine Geschäfte auf dieser gottlosen Welt werden schon anderweitig besorgt.

Ich hatte mich wieder neben ihn gesetzt. Durch all seine schwarzgalligen, bitterbösen Reden klang der Ton eines alten, nie verschmerzten Grams, der mich zu dem wunderlichen Lästerer hinzog.

Er hatte die kleinen Augen fest zugedrückt und die borstigen Brauen zusammengezogen, daß sie fast wie eine Dornenhecke über den Augenhöhlen starrten. Nach einiger Zeit, da er keine Anstalten machte zu weiteren Mittheilungen, warf ich so verloren die Frage hin: Wer hat denn vor Ihnen das Haus bewohnt?

Er schien die Frage überhört zu haben oder überhören zu wollen.

Eine Fledermaus, die unter dem vorspringenden Dach der Capelle drüben ihr Nest haben mochte, schoß plötzlich hervor, schwirrte kreuz und quer über den öden Platz und flatterte um den Giebel des Hauses, vor dem wir saßen. Der Ort fing an mir unheimlich zu werden. Ich wollte eben Gute Nacht! sagen und mich verabschieden, da öffnete mein Nachbar die zusammengekniffenen Lippen und sagte mit einem dumpfen Ton:

Wer früher hier gehaus't hat? Nun eben Einer, der es hat büßen müssen, daß er auf Den da drüben zu große Stücke gehalten hat und der hernach mit dem sogenannten Teufel nur allzu gut bekannt geworden ist. Dieser Mann aber war mein Freund, der einzige, den ich Zeitlebens besessen habe, und daß er mir vor die Hunde gegangen ist, will sagen, ein so elendigliches Ende genommen hat, das kann ich dem angebeteten Herrn da drüben nie verzeihen, und darum öffne ich nie meinen Fensterladen, ohne im Stillen bei mir zu denken: Gott vergebe ihm – denn er weiß nicht, was er thut!

Er hob den Kopf ein wenig und starrte unter dem grauen Dorngebüsch nach dem Bilde des Heilands hinüber, das in seiner stummen Hilflosigkeit den hitzigen greisen Hasser zu beschämen schien.

Werthester Herr, faßte ich mir jetzt ein Herz zu sagen, Sie können es mir nicht verdenken, wenn Ihre geheimnißvollen Reden meine Neugier wecken. Ich habe kein Recht auf Ihr Vertrauen; wir kennen uns erst seit wenigen Stunden. Aber Sie halten mich hoffentlich nicht für einen zudringlichen Reisenden, der überall nach verborgenen Scandal-Historien herumspürt, sondern für einen nachdenklichen Beobachter der Welt- und Menschengeschicke, der dankbar ist, wenn er sich hie und da in der Seelenkunde ein wenig vervollkommnet. Wenn es Ihnen also nicht gegen die Natur wäre, mir von Ihrem Freunde mehr zu erzählen – es ist eine so schöne stille Nacht, und an Schlaf könnt' ich ohnehin nicht denken –

Der alte Herr grub mit der Spitze seines Stockes die Grashalme heraus, die zwischen den Pflastersteinen hervorsproßten. Dabei sah er nachdenklich vor sich hin, und ich glaubte schon, eine Fehlbitte gethan zu haben.

Plötzlich sagte er: Warum sollten Sie diese Geschichte nicht erfahren, die doch zu ihrer Zeit Rhein ab, Rhein auf in aller Leute Mäulern war? Jetzt ist freilich Gras darüber gewachsen. Aber vor vierzig Jahren war kein Schulknabe im ganzen Städtchen, der Ihnen nicht vom Crucifix des Teufels hätte erzählen können. Freilich, so genau Bescheid um Alles, wie es zusammenhing, wußte auch damals Keiner, wie ich.

Denn Der, den es zunächst betraf, war schon, als wir noch den Bücherranzen zur Schule trugen, mein liebster und vertrautester Geselle gewesen, obwohl er um gute fünf Jahr jünger war als ich. Aber er war ein so schmucker, und von innen und außen wohlgeschaffner Mensch, daß ich mich wie zu einem Frauensbilde zu ihm hingezogen fühlte und auf ihn eifersüchtig war, wie auf eine Liebschaft. Auch er hing an mir, doch nicht ganz mit der gleichen, schier lächerlichen Ueberschwänglichkeit. Er war ein ernsthafter Knabe, aus einem stockkatholischen Hause, von den reinsten Sitten und einem wahrhaftigen Kinderherzen, das er sich auch bewahrte, als er längst erwachsen war. Und das war nichts Kleines, denn die Weiber stellten ihm überall nach; alte und junge waren wie versessen auf ihn, und sogar ich als sein Specialfreund stieg in der Achtung der Mütter und Tanten, die den braven, schönen und dazu wohlhabenden Menschen gern für eines ihrer jungen Affengesichter eingefangen hätten. Ich hatte meinen Spaß daran, that sehr wichtig und diplomatisch, sagte meinem Lukas selber aber nie ein Wort von solcher Kabale und Liebe. Auch hätte es nicht verfangen. Er lebte und glühte nur für Zweierlei: seine Religion und seine Kunst. Denn er hatte ein großes Genie zur Bildhauerei, wanderte, nachdem er ein paar Lehrjahre bei einem mittelmäßigen Meister in Köln durchgemacht hatte, über die Alpen in das gelobte Land der Kunst und kehrte von dort nach ganzen vier Jahren als ein fertiger Mann und Meister zurück, übrigens noch so jungfräulich an Leib und Seele, daß ich armer Sünder, der ich neben meiner Bücherpassion noch etlichen anderen nachzuhängen pflegte, mich nicht genug verwundern konnte.

Ob denn gar keine von den großäugigen, stolznackigen Römerinnen oder Neapolitanerinnen, denen die Lavaflammen aus den Augen schlagen, es ihm angethan habe?

Er lächelte – was ihm ganz besonders reizend stand, da er für gewöhnlich so ernsthaft aussah.

Nein, Peter, sagte er, bis dato bin ich noch gegen alle Weiberliebe gefeit geblieben, obwohl ich, wie du weißt, gar nicht gesonnen bin, ohne Weib und Kind mein Leben zu beschließen. Ich hatte aber alle Augen voll zu thun, um die gemalten und gemeißelten Schönheiten da unten in dem gesegneten Italien zu studiren, und was ich so von den Kameraden sah, mußte mich wohl warnen, daß nichts zeitraubender sei als Liebeshändel. Darum bin ich, noch ehe ich ein gebranntes Kind war, aller Feuersgefahr beizeiten ausgewichen und denke mich auch hier in der kühleren Zone noch eine gute Weile nur an meinem eigenen Feuer zu erwärmen.

Damals war er 27 Jahre alt. Und ganze fünf Jahre hat er auch Wort gehalten.

Er machte nun die schönsten Sachen, aber Alles aus der heiligen Geschichte, für Kirchen und Klöster, ohne irgend ein Kopfhänger oder Betbruder zu sein. Dies Haus hatte er gleich nach seiner Heimkehr, da es gerade leer stand, gemiethet und auf dem Hofe eine geräumige Werkstatt gebaut. Mit der Zeit, da seine Arbeiten immer mehr begehrt und höher bezahlt wurden, mußte er immer mehr Schüler und Gesellen annehmen, mehr als ein halbes Dutzend; die wohnten theils in den Kammern über der Werkstatt, theils im obern Stock des Vorderhauses, und sie hingen Alle sehr an dem Meister, der eine gute, freundliche und treuherzige Art hatte, einen Jeden zu nehmen und aus Jedem das Beste zu machen. Ein großes Kunstgenie war aber nicht darunter, und sie brachten es selten weiter, als nach den Modellen ihres Meisters mit Fleiß und Handfertigkeit zu arbeiten.

Sie werden Manches von diesen Sachen schon gesehen haben, ohne zu wissen, daß es von Lucas war. Besonders in Crucifixen hatte er ein eigenes Geschick, Stein oder Holz, das galt ihm gleich, aber die aus Holz verstand er ganz vorzüglich zu färben, nicht mit so schnöder greller Tünche, wie es meistens geschieht, sondern nur ganz bescheiden, nur ein Hauch von Lebensfarbe, womit die Besteller freilich nicht so ganz zufrieden waren, als wenn er sie hübsch bauernmäßig angestrichen hätte, doch sagten sie nichts, weil er schon Ruhm genug hatte, um ihnen aufzudrängen, was er selbst für gut und schön fand.

So konnte es nicht fehlen, daß er im Ort einer der angesehensten Bürger wurde, schon um seines vielen Geldes willen, das ihm wie ein ununterbrochener silberner Bach in den Kasten floß. Umsomehr wunderte man sich, daß er ledig blieb. Er aber, wenn ihn Einer darauf anredete, lachte: er sei noch nicht alt genug, sich zur Ruhe zu setzen.

Ja wohl, Ruhe und ein Weib! Aber, wie gesagt, er war wie ein Kind und kannte sie nicht.

Da hatte er einmal nach Köln reisen müssen, dort eine Altargruppe abzuliefern, und weil er gerade da war, gab es Mancherlei zu repariren und für neue Arbeiten flugs ein paar Skizzchen zu machen, so daß er einen ganzen Sommer lang wegblieb. Eine solche Zeit ohne meinen guten Gesellen wurde mir sonst immer gewaltig lang, diesmal aber war dafür gesorgt, daß ich eine Unterhaltung hatte.

Es tauchte nämlich eines Tages am Fenster eines Hauses in der Hauptgasse ein fremdes Gesicht auf, wie sich seit Jahren keines in unserem Weichbilde hatte blicken lassen. Ich kann es Ihnen nicht beschreiben, lieber Herr. Ich bin kein Maler und kein Dichter, und das Anzüglichste an diesem Weiberkopf war auch das, was sich weder mit Linien noch mit Farben ausdrücken ließ. Mietje wurde die Hexe genannt, war aus Gent herübergekommen zum Besuche einer Tante, die ihr Töchterchen verloren hatte, und sollte, wie es hieß, der einsamen Frau in ihrem Kummer zu Trost und Stütze dienen. Daß sie diesem Geschäft sehr gewissenhaft oblag, mußte Jedem zweifelhaft scheinen, der sie den lieben langen Tag am Fenster sitzen sah hinter den Nelken und Geranien und mit ihren gleichgültigen schwarzen Augen, die in einem feuchten Glanz schwammen, auf die Gasse hinausträumen, wo es allerdings lustiger zuging, als in dem Trauerhause. Denn sie wurde, seitdem das vlämische Fräulein dort eingezogen, den ganzen Tag nicht leer von jungen Laffen, die da nicht Mehr zu thun hatten, als ein Schwarm von Motten an einer Fensterscheibe, hinter der ein Licht brennt.

Ich gesteh' Ihnen, daß auch ich darunter war, aber nicht lange. Denn ich liebte die kurzen Processe, und als ein geriebener Frauenjäger folgte ich der sichersten Fährte, indem ich geradenwegs ins Haus ging, unter dem Vorwand einer weitläufigen Vetternschaft, die mir das Recht und die Pflicht gab, die arme Verwais'te meines Beileids zu versichern. Auf den ersten Blick hatt' ich es weg, daß der fremde Vogel gar kein so scheuer Nestling sei, wie man allgemein glaubte. Sie wußte sehr gut, welche Macht in ihren gleichmüthigen Blicken und dem halbgeöffneten, etwas dummlich scheinenden Kindermunde lag, und daß es selbst einen Kenner verblüffen mußte, wenn sie so plötzlich vor ihn hintrat, die Arme an dem schlanken Leibe wie hülflos herabhängend, den kleinen Kopf langsam auf dem herrlichen Hälschen hin und her bewegend. Auch ihre Stimme, die ein wenig umschleiert war, half zu der Behexung mit, und ihr halb vlämisches Deutsch klang wie ein unschuldiges Kinderlallen. Gleichwohl blieb ich fest gegen all diese Teufelei. Ich mußte mir ja sagen, daß zu einem ordinären Liebeshandel hier keine Aussicht war, wenn es mich auch gewaltig lockte, dem üppigen Ding, das mit seinen Blicken so kühl herumtriumphirte, den Meister zu zeigen. Aber da ich trotz meines lockeren Wandels rechtschaffen genug war. der Frau Base keine Schande ins Haus zu bringen, konnte ich's nur mit ernsten Absichten verantworten, dem vlämischen Bäschen den Kopf zu verdrehen. Und davon war ich himmelweit entfernt.

Denn hätte ich's je übers Herz gebracht, meine Freiheit dahinzugeben und mein Junggesellen-Credo zu verleugnen, diese Mietje wäre die Letzte gewesen, mir den Kappzaum über den Kopf zu werfen. Ich sah sie nämlich gleich für das an, was sie auch war, für ein köstliches Gefäß, mit einem süßen und berauschenden Trank angefüllt, in welchen aber allerlei giftige Essenzen gemischt waren. Und so, obwohl sie meinem Blute nicht wenig zu schaffen machte – denn mein Lebtag hatte ich kein wärmeres und seidenweicheres Händchen gedrückt und keine weißeren Zähne hinter einem erdbeerrothen Munde blitzen sehen – gleich bei meiner zweiten Visite gab ich zu erkennen, daß ich mich durchaus nicht in das Narren-Regiment einzureihen gedachte, über welches sie das Commando führte, sondern ich sagte ihr einige kühle Artigkeiten, richtete das Wort fast nur an die arme alte Frau und empfahl mich nach einem kurzen Viertelstündchen.

Ich fühlte, daß ich sie bis ins Herz hinein beleidigt hatte, und das war mir eben recht. Denn, seltsam zu sagen, ich haßte sie fast noch mehr, als ich sie begehrte; es war, als ahnte mir schon etwas von dem Unheil, das von diesem jungen Weibe ausgehen sollte. Sie aber gab mir den Haß redlich zurück. Als sie erst alle Hoffnung, mich noch zu bezaubern, hatte fahren lassen und mich nicht öfter, als meine Geschäfte erheischten, an ihrem Fenster vorbeigehen sah, den Hut so nachlässig ziehend, wie vor der ersten besten Honoratioren-Matrone, sah ich wohl, daß sie mir einen Blick des Ingrimms zuschoß, der mich, wenn ich nicht feuerfest gewesen wäre, geradezu in Asche verwandelt hätte. Ich hatte aber zum Glück gerade damals ein paar Incunabeln auf den Strich, an deren Eroberung mir weit mehr gelegen war, als an dem süßesten Weiberfleisch. Sic me servavit Apollo.

Meinem Lucas aber schrieb ich scherzweise nach Köln, er möchte sich nur ja mit irgend einem Knöchelchen von einer der elftausend heiligen Jungfrauen bewaffnen, hier sei der Leibhaftige in Weibsgestalt eingezogen und warte nur darauf, auch ihn in die Hölle zu locken.

Antwort kam nicht; er war nie ein sonderlicher Schreiber. Statt dessen aber, eines Tages, da ich eben mich anschickte, nach Mainz zu reisen, um einer Auction beizuwohnen, trat er selbst in meine Klause.

Unser Wiedersehen war so herzlich wie sonst; doch entging mir nicht, nachdem die ersten Fragen herüber und hinüber ausgetauscht waren, daß er sich in einer gedämpften, zerstreuten Stimmung befand. Auch war er schon den zweiten Tag zurück und hatte so lange gewartet, mich aufzusuchen. Ich neckte ihn: ob ihm irgend eine der elftausend kölnischen Jungfrauen ein Tränkchen gebraut habe, wenn auch keine von den heiligen. Oder ob gar die Hexe von Gent –

Da wurde er feuerroth, und in seiner redlichen Art gestand er sofort, er habe Mietje allerdings gesehen, und sie sei das schönste Geschöpf, das ihm je vor Augen gekommen.

Oho! sagte ich, die Italienerinnen werden's wohl noch mit dieser vlämischen Brünette aufnehmen. Aber du bist wie der Mann, der lange keinen Tropfen Wein mehr gekostet hat, und dem nun ein erster bester Haustrunk zu Kopf steigt.

Dies »erster bester« wollte er nicht gelten lassen und redete von ihren verschiedenen Qualitäten so sachverständig mit allerlei Kunstausdrücken, daß ich mich geschlagen geben mußte und den Disput auf das Feld des Moralischen hinüberspielte.

Auch hier hielt er mir heftig Stand. O Lucas, sagte ich, armer Junge, du bist ja schon bis über die Schultern in den Höllenkessel getaucht und empfindest das Gebratenwerden einstweilen noch als ein besonderes Vergnügen. Aber da siehe –! und ich nahm einen Brief aus der Mappe, den ich erst vor Kurzem erhalten hatte, aus der Vaterstadt der schönen Mietje. Dortselbst wohnte mir ein Geschäftsfreund, auch ein Buchhändler und Antiquar, dem ich gelegentlich geschrieben hatte, wir hätten jetzt eine seiner Landsmänninnen in unseren Mauern, die den Genterinnen Ehre mache als ein ausbündig schönes Wesen, uns aber von etwas gefährlicher Complexion dünke. Hierauf hatte mein Mann erwidert: wenn ich eine gewisse Mietje Vanderhooven meine – die sei freilich keine ganz gefahrlose Nachbarschaft. Sie habe erst neulich einen bösen Handel gestiftet, einen Ehrenmann in sehr reifen Jahren dermaßen bethört, daß er fest entschlossen gewesen, sich von seiner schönen und trefflichen Gattin scheiden zu lassen, seinen erwachsenen Töchtern zum größten Aergerniß, bloß um diese Mietje zu heirathen, wozu er sogar seine Confession hätte wechseln müssen. Auch wäre es am Ende so weit gekommen, wenn den Biedermann nicht zur rechten Zeit ein Schlagfluß gelähmt hätte. Die Anstifterin des Scandals aber habe sich nicht mehr in der Stadt sehen lassen dürfen, und daher sei die Einladung ihrer rheinischen Base ihr just gelegen gekommen.

Dieser sehr moralische Roman machte auf meinen armen Freund nicht den geringsten Eindruck. Was könne sie dafür, wenn ein alter Narr sich zum Sterben in sie verliebe? Und daß einem so ausgesucht reizenden Geschöpf, wie sie, aus Neid oder gekränkter Eigenliebe allerlei Böses nachgeredet werde, sei natürlich.

Ich sah ihn erschrocken an. Du hast doch nicht etwa im Sinne – sagte ich und faßte seine Hand.

Er lächelte mit den schönen, ernsthaften Augen und erwiderte: Sei unbesorgt, Peter. Du weißt, ich habe keine Zeit, glücklich zu sein. Sie haben mir in Köln so viel Arbeit aufgehals't, daß ich zehn Jahre daran zu schleppen habe. Und übrigens – ich bilde mir nicht ein, daß ich gerade der Erkorene sein könnte.

Er bildete sich nicht ein! Der Kindskopf! Ein Mensch, wie es keinen zweiten gab, so bildschön, im ersten Mannesalter, alle Taschen voll Geld, alle Gedanken voll schöner Kunstwerke, und der noch nie mit einem Weibe zu thun gehabt hatte!

Das machte mich ganz schwermüthig, und ich sputete mich auf meiner Geschäftsreise, so viel ich konnte. Schon nach vier Tagen war ich zurück; aber diese vier Tage hatten gerade ausgereicht, daß der Teufel das Spiel gewinnen konnte. Als ich meinen Herzbruder wiedersah, strahlte er übers ganze Gesicht wie ein Mensch, dem es eben erlaubt worden ist, durchs Schlüsselloch ins Paradies hineinzublicken.

Er hatte sich gestern Abend mit Mietje verlobt.

Niemals hatte er mir einen Kummer gemacht, bis auf diesen. Der aber war um so bitterer. Ich nahm gar kein Blatt vor den Mund, und in meinem Grimm und Gram sagte ich Alles heraus, was ich gegen die Vlamländerin auf dem Herzen hatte, und schalt ihn selbst einen tausendfachen Dummkopf von einem guten jungen Hansnarren, daß er sich so eilig und jämmerlich hatte übertölpeln lassen.

Er aber, der sonst Alles von mir hinnahm und sich vor meiner Welt und Lebensweisheit beugte – diesmal verstand er keinen Spaß. Wir geriethen aufs Hitzigste aneinander, und da wir uns Beide sehr lieb hatten und merkten, daß es auf Tod und Leben ging, ließen wir unser Herzeleid über den unvermeidlichen Bruch einander selbst entgelten, und Jeder schien dem Andern wie ein hassenswerther Feind, da er Schuld daran war, daß man sich fernerhin nicht mehr lieben sollte.

Basta. Ich verließ ihn, den Tod im Herzen – ich hatte nie ein lebendes Wesen außer ihm geliebt – und wenn mir in jener Stunde die vlämische Hexe in den Wurf gekommen wäre, ich zweifle nicht, daß ich mich über sie hergemacht und sie erwürgt und in den Rhein geworfen hätte.

*

Der alte Herr stieß, da er dies sagte, seinen Stock so heftig gegen die Steine, daß Funken davonsprühten. Dann fuhr er sich mit einem großen seidenen Schnupftuch über die Stirn, auf welcher helle Tropfen standen, seufzte tief auf und schüttelte sich, als ob ihn ein Frösteln überlaufe. Die Luft war aber noch warm und windstill, wie am hellen Tage.

Sehen Sie, murrte er zwischen den Zähnen, noch jetzt greift mich's an, wenn ich an diese unglückselige Stunde denke, und manchmal wüthe ich noch immer gegen mich selbst, daß ich damals nicht so viel Courage und Menschenverstand gehabt habe, die Sache mit Gewalt zu hintertreiben, mochte daraus werden, was wollte. Aber die guten Gedanken kommen immer zu spät.

Damals begann eine schlimme Zeit. Sie werden sich vorstellen, daß ich mich aus dem Staube machte und an allen Fröuden und Hôchgezîten, die nun folgten (er sprach die Worte ganz richtig mittelhochdeutsch), nicht den geringsten Antheil nahm. Damit die Leute sich nicht wunderten, schützte ich eine Geschäftsreise nach England vor. Als ich davon zurückkehrte, war mein Lucas bereits zwei Monate lang glücklicher Gatte der Jungfrau Mietje geworden, und sie lebten in ihrer Honigwonne ganz zurückgezogen, so daß es nicht auffiel, wenn auch ich dieses Schauspiel für Götter nicht in Augenschein nahm.

Aber auch er kam nicht zu mir. Ja, wenn ich ihm einmal unversehens begegnete, merkte ich, daß er, sobald er von fern meiner ansichtig wurde, in eine Seitengasse einbog, wobei ich jedesmal einen scharfen Stich unter der linken Brust verspürte. Das fremde Geschöpf hatte ihn mir entfremdet – für ewige Zeiten, dacht' ich. Und daß ich sie darum nur noch bitterer haßte, werden Sie mir nicht verdenken. Ja selbst, daß sie ihn glücklich zu machen schien, wie Einige sagten, die in den jungen Ehestand einen Blick gethan hatten, konnte mich nicht mit ihr aussöhnen.

Nun können Sie sich mein Erstaunen vorstellen, als eines Samstags nach Feierabend an meine Thür geklopft wird und kein Geringerer als mein alter verlorener Freund und Geselle, der Lucas, bei mir eintrat. Anderthalb Jahre hatten wir weder Wort noch Blick mit einander getauscht.

Mir starb das Wort auf der Zunge. Er aber, mit seinen großen glänzenden Augen und einem verlegenen Lächeln auf den Lippen, tritt auf mich zu, bietet mir die Hand und sagt: Wie geht dir's, Peter? Wie hast du's getrieben all die Zeit? Man sieht einander ja gar nicht und meine Frau schickt mich, zu fragen, ob du nicht morgen Mittag eine Suppe bei uns essen willst.

Deine Frau? stamml' ich und fasse seine Hand und drücke sie noch etwas zaghaft. Hätt' mir nicht träumen lassen, daß ich bei ihr in Gnaden stünde.

Und er, immer mit seinem treuherzigen Lächeln: Ja, Peter, man ist manchmal sein eigener Feind und verdirbt sich das bischen Leben mit Grillen. Auch sie hat sich eingeredet, bei dir in Ungnaden zu sein. Wie wär's, wenn du kämst, und der ganze alte Spuk verschwände beim ersten »Guten Tag!«, das ihr euch bötet. Ich habe großes Verlangen, dich den Wein kosten zu lassen, den ich vorm Jahr in meinem eigenen Weinberg gekeltert hab'.

Das Letztere lehnt' ich nun freilich ab; der Bissen, den ich am Tische dieses Weibes genossen hätte, wäre mir im Munde gequollen. Zu kommen aber versprach ich und that es denn auch, denselbigen nächsten Sonntag so um die Schummerstunde. Denn ich schämte mich ordentlich, am helllichten Tag, als wäre nichts gewesen, wieder über die Schwelle zu treten, die ich so lange mit gutem Grund gemieden.

Ich fand das Paar auf der Bank vorm Hause, der nämlichen, auf der wir jetzt sitzen. Frau Mietje empfing mich mit aller Höflichkeit wie einen werthen Gast, den sie früher nie mit Augen gesehen. Und das mußt' ich ihr lassen: sie hatte die Zeit trefflich benutzt, noch schöner zu werden, und wie sich ihre schlanke, schmiegsame Gestalt erhob, mich zu begrüßen, und ihre dunklen Augen mir entgegenschimmerten, konnte ich wohl begreifen, daß der Teufel, wenn er mit solchem Köder fischt, das Netz nicht leer herauszieht, außer wenn ein so eingeteufelter alter Hecht, wie meine Wenigkeit, vorbeischwimmt.

Wir saßen ein Stündlein so in der Abendkühle beisammen und schwatzten von gleichgültigen Sachen. Aber obwohl sie die bescheidene und züchtige Hausfrau ganz meisterlich spielte, entging mir doch nicht eine verhaltene Unruhe und Unzufriedenheit in ihrer Stimme und Geberde, und auf meine Frage, wie es ihr in diesem Hause gefalle, antwortete sie: Nicht schlecht! Nur daß es hier sehr einsam ist.

»Nicht schlecht!« und »einsam« an der Seite eines solchen Menschen wie mein Lucas!

Als hätte sie meine Gedanken errathen. setzte sie hinzu: Mein Mann schafft den ganzen Tag in der Werkstatt, und da wir kein Kind haben, sitz' ich oft mit den Händen im Schooß. Ich bin ihm angelegen, ein Häuschen unten am Rhein zu kaufen, wo es lustiger wäre und man die Schiffe vorübersegeln sähe. Aber seit er mich hat, hab' ich keine Gewalt mehr über ihn.

Der gute Mensch sah sie mit einem Blicke an, der einen Stein hätte schmelzen können, faßte eine ihrer Hände und sagte: Du weißt, Kind, daß ich an mein Geschäft gebunden bin, sonst thät ich dir ja gern den Gefallen. Und gehst du nicht fast täglich zu deiner Base und nimmst dort die Fensterparade ab, die dir von den schmachtenden Jünglingen des ganzen Städtchens dargebracht wird? Ein Glück, Peter, daß ich keine Ader vom Othello in mir habe.

Wer ist Othello? fragte sie, denn sie hatte nie etwas gelesen, außer schlechten französischen Romanen.

Aber ehe sie noch die Antwort abgewartet hatte, wendete sie sich zu mir.

Finden Sie nicht auch, Herr Peter Frettgen, sagte sie, daß ich aus meinem Fenster hier eine traurige Aussicht habe? Immer das Crucifix drüben vor Augen, und ein solches noch dazu, ein braunes, dürres Gerippe, wie von jahrhundertlangem Fasten abgezehrt, die Farben vom Regen verwaschen und die Dornenkrone schief übers linke Ohr hinabgerutscht. Wenn Lucas wenigstens eines seiner schönen Crucifixe dorthin pflanzte, daß man eine Augenweide hätte.

Sie streichelte ihm dabei die Wange, wie ein verzogenes Kind, das gewohnt ist, sich jeden Wunsch durch eine kleine Caresse zu erschmeicheln. Er aber wurde ganz ernsthaft.

Liebchen, sagte er, du redest recht unvernünftig, ja beinahe gottlos. Zur Augenweide hängt unser Heiland da nicht am Kreuze, sondern zur Seelenweide, und daß ich es nicht über mein künstlerisches Gewissen bringen kann, ihn so dürftig darzustellen, darüber macht mir mein christliches Gewissen oft genug Vorwürfe. Aber meine kleine Frau, setzte er lächelnd hinzu, ist überhaupt eine kleine Ketzerin, und nun ist gar noch der Peter da, der sich an all seinen heidnischen Folianten um die ewige Seligkeit gelesen hat, und wird mir meine Hausfrau vollends zu einem Freigeist machen.

Ich schwieg, denn mir war bei dem bösen Blick, den das junge Weib nach dem Gekreuzigten warf, nicht eben scherzhaft zu Muthe. Weiber sollen Respect haben vor jedem Unglück, ob es nun einen Gott oder einen armen Teufel betroffen hat. Sie aber betrachtete den Dornengekrönten nur wie Einen, der vor Schmerzen nicht dazu komme, ihrer Schönheit zu huldigen, was sie für ein unverzeihliches Verbrechen hielt.

Ihr Mann sprach noch eine Weile fort über den Eindruck, den dies Bild durch allen Wechsel der Zeiten hindurch auf jedes weichgeschaffene Gemüth machen müsse, und wie es keinen erhabneren Trost für die arme Menschheit geben könne, als mit Augen zu sehen, daß auch der Schöpfer Himmels und der Erden von dem unerbittlichen Gesetz, das alles Lebendige zum Leiden zwinge, nicht ausgenommen sei. Da warf ihm das üppige junge Weib einen flammenden Blick zu.

Ich dachte, sagte sie, du wüßtest nichts vom Leiden und glaubtest im Paradiese zu sein.

Er erröthete wie ein Schulknabe. So hab' ich freilich oft genug gewähnt, sagte er. Aber ich zittere über meine Vermessenheit. Alles Menschliche ist vergänglich. Der Trost, der uns von da drüben ansieht, überdauert gute und böse Tage.

Indem bemerkten wir einen jungen Menschen, anständig gekleidet und eine schwarze Mappe unter dem Arm, wie sie Studenten tragen, der die Straße daherkam, dann aber quer über den kleinen Platz auf das Kreuzesbild zu ging und aus das Bänkchen davor niederkniete. Es war dies ungewöhnlich, da sonst nur alte Weiblein und ganz kleine Kinder hier ihre Andacht zu verrichten pflegten. Mir schoß der Gedanke durch den Kopf, ob dieser fromme Jüngling vielleicht ein ganz anderes Gnadenbild im Herzen trüge, dem er leider, da es auf der Bank gegenüber zwischen zwei wachsamen Männern saß, den Rücken zukehren mußte. Es war aber ein falscher Verdacht.

Auch Frau Mietje sah ganz gleichmüthig auf den Knieenden.

Lucas aber sagte: Es muß doch eine eigene Bewandtniß haben mit diesem Beter. Es ist schon das dritte Mal, daß ich ihn um diese Stunde da drüben Station machen sehe, und immer blickt er trübsinnig, wenn er kommt, und hebt den Kopf, wenn er geht. Das würde mein schönstes Marmor-Heilandsbild nicht zuwegebringen. Ich will ihn einmal anreden.

Als der Jüngling sich erhob und, ohne nur nach uns hin zu schielen, seinen Weg fortsetzen wollte, trat Lucas an ihn heran, und sie sprachen eine Weile mit einander. Während dessen sagte die junge Frau zu mir: Er hat Recht, ich bin ungläubig, und der gekreuzigte Heiland hat mich immer kalt gelassen. Wenn er ein Gott gewesen wäre, hätte er seine Feinde wohl zwingen und das Himmelreich auf Erden gründen können. Aber mit Lucas ist darüber nicht zu reden.

Sie setzte noch Einiges hinzu, was auf eine große Herzenskälte und einen nicht geringen Verstand schließen ließ. Mir aber mißfiel auch das Kluge, was sie sagte. Ich hatte nun einmal die Antipathie gegen sie.

Doch ihr zu antworten wurde ich durch die Rückkehr meines Freundes überhoben, der den jungen Betbruder mit einem freundlichen Händedruck verabschiedete und uns dann Bericht erstattete. Es war ein armer Bursche, der Sohn einer Wittwe, die ihn nothdürftig so weit gebracht hatte, um bei einem Notar einen Schreiberdienst zu versehen. Die Mutter hatte sich mit Handarbeit und allerlei Aushülfediensten durchgebracht, war nun aber erkrankt. Und da sie, seit ihr Mann gestorben, täglich vor diesem Christusbilde ein Vaterunser und einen englischen Gruß für seine Seele gebetet hatte und sich nun darüber kränkte, diesen frommen Brauch lassen zu müssen, habe der Sohn sich erboten, statt ihrer täglich hier sein Knie zu beugen. Darauf hatte Lucas ihn gefragt, ob er mit seinem Beruf zufrieden sei, und zur Antwort erhalten, er habe ihn nur aus Noth erwählt, um der Mutter beizustehen. Eigentlich hätte er nur Zeichnen und Malen im Kopf gehabt. und wäre für sein Leben gern nach Düsseldorf auf die Akademie gezogen.

Darauf habe ihn Lucas gefragt, ob er es nicht einmal mit der Bildhauerei versuchen möchte. Er könne zu ihm in die Werkstatt kommen, und wenn wirklich das Zeug zu einem Künstler in ihm sei, es bald weiter bringen mit dem Meißel oder Schnitzeisen, als wenn er die vielen Klassen der Kunstschule durchmachen müsse. Er wolle ihm für den Anfang gern so viel geben, wie er mit dem armseligen Schreiberdienst erwerbe.

Da hätten dem guten Jungen die Augen geleuchtet, und mit Mühe hätte er's abgewehrt, daß er ihm die Hände geküßt. Er sei spornstreichs zur Mutter gelaufen, und morgen früh werde er seine neue Lehrzeit beginnen.

Siehst du nun, Mietje, schloß der treffliche Mensch, der selbst, wie wenn ihm ein hohes Glück beschert worden wäre, vor Freude strahlte – das alte Crucifix hat doch wieder ein Wunder gewirkt. Ich habe nie eine reinere Seele aus zwei blauen Augen blicken sehen, wie bei diesem Jungen. Der soll seine Hoffnung nicht umsonst auf den Himmel gestellt haben.

Ich weiß nicht, warum mir diese ganze rührende Geschichte nicht gefiel. Ich sah Mietje an, um deren Mund spielte ein kleines höhnisches Lächeln, sie sagte aber kein Wort. Und da ich für einen ersten Versöhnungsbesuch schon ziemlich lange geblieben war, brach ich nun eilig auf, und ließ mich weder durch Lucas' freundliches Bitten, noch seines Weibes kätzchenhafte Holdseligkeiten zum Nachtessen halten.

Als ich nach einer Woche wieder vorsprach – denn es lag mir daran, dahinterzukommen, ob ich der Frau nicht doch Unrecht gethan, ob sie nicht doch mit all ihren kleinen Falschheiten eine ehrliche Liebe zu ihrem Manne gefaßt habe, durch welche sie mit der Zeit vielleicht innerlich umgewandelt werden möchte – kurz, da ich auch das Meinige thun wollte, vielleicht einen Einfluß auf sie zu gewinnen, gewöhnte ich mir's an, jeden Sonntag, bevor es Nacht wurde, zu ihnen zu gehen und ein paar Stunden hier auf der Bank zu verplaudern. Ich merkte bald, daß der Wurm der Langenweile am Herzen des verwöhnten jungen Weibes nagte. Sie hatte nur ihren Spiegel und die klaren treuen Augen ihres Mannes, die ihr etwas Angenehmes über ihre Schönheit sagten; aber das reichte nicht aus, ihr die Zeit zu vertreiben und ihr wähliges Gemüth zu beschäftigen. Ich schlug etlichemale vor, daß wir eine Fahrt machen sollten, zu Wagen oder zu Schiff, und Lucas war zu Allem bereit, was seine Frau Liebste vergnügen konnte. Auch das aber fruchtete nicht viel; es war nur eine Birne für den Durst.

In der ersten Zeit merkte ich, daß sie nicht übel Lust gehabt hätte, ein bischen mit mir zu spielen, nur weil eben kein besseres Spielzeug vorhanden war. Es wäre ihr ein doppelter Triumph gewesen, mir den Kopf zu verdrehen, da ich mich so feindselig gegen sie gestellt hatte, und auch um ihren Mann zu beschämen, der so felsenfest auf meine Freundschaft baute. Aber trotz mancher gefährlichen Gelegenheiten, wo sie all ihre Waffen gegen mich brauchte, hielt ich wacker Stand, und ich kann schwören, daß ich nie auch nur ihre kleine Hand an die Lippen gedrückt, geschweige ihre bräunliche glatte Wange berührt, die oft genug der meinen nahe kam, wenn ich ihr etwa die Bilder in einem seltenen Buche zeigte, während Lucas noch in der Werkstatt nachzusehen hatte. Ich fühlte, daß sie mir von Herzen gram wurde. Sie aber that mir fast leid. Was kann eine arme Seejungfer oder sonst ein Spukgeist dafür, wenn er kein warmes Menschenblut hat, das sein Herz für alles Holde und Trauliche im Menschenleben schlagen macht?

Das Mitleid wich aber bald wieder dem Unmuth, denn es entging mir nicht, daß ihr selbst der neu angenommene Schüler ihres Mannes nicht zu schlecht war, um ihn ins Netz zu locken. Es war das in der That ein guter junger Mensch von zwanzig Jahren, so recht ein Wittwenkind, das es sich zeitlebens hatte sauer werden lassen, scheu aufblickend, wenn Jemand das Wort an ihn richtete, zu jeder Arbeit willig und voll Dank für die geringste Güte und Gabe. Schön war er nicht, ein stämmiger Wuchs, aber durch sein dürftiges Leben verkümmert, die Geberden verlegen und unbeholfen, nur die blauen Augen hatten etwas mädchenhaft Liebliches, und das dichte braune Haar, das ihm tief über die Stirne hereinhing, gab ihm etwas von einem gezähmten jungen Löwen. Er hatte, wie Lucas mit Stolz berichtete, ein ungewöhnliches Talent an den Tag gelegt und versprach seinem Meister Ehre zu machen, dabei war er der Stillste und Eifrigste in der Werkstatt, versäumte nie, sobald die Arbeitszeit verstrichen, vor dem Crucifix seine Andacht zu halten und dann sogleich seine Mutter aufzusuchen, die durch das Glück, das ihrem Liebling zu Theil geworden, – beinahe genesen war und an Lucas die überschwänglichsten Dankesbriefe schrieb.

Höre, sagt' ich zu meinem Freunde, dein frommer Knecht, von dem du so viel Rühmens machst, gefällt mir nicht. Junge Leute sollen nicht den Blick zu Boden schlagen, als ob sie nicht werth wären, sich in der schönen, bunten Gotteswelt umzuschauen. Dieses duckmäuserige Gethue ist entweder ungesund von Haus aus, oder eine Maske, hinter der ein begehrliches und verschlagenes Gemüth sich versteckt. Auch habe ich wohl bemerkt, daß er, wenn er sich unbewacht glaubt, einen raschen und funkensprühenden Blitz nach der Herrin seines Herrn schleudert. Vorsicht ist die Mutter der Porcelankasten, sagt der Holländer. Du thätest gut, das Bürschchen mit guter Manier abzuschütteln.

Da lachte Lucas. Um den Knaben sei er unbesorgt, der habe einen getreuen und strengen Pädagogen, den stillen braunen Mann da drüben am Kreuz. Wenn er sich in dessen Zucht noch ein wenig ungeschickt stelle und allzu gewissenhaft sein eigenes Fleisch kreuzige und die Welt verachte, so werde sich dieser fromme Eifer schon mäßigen, wenn sein junges Blut zu spuken anfange. Davon sei aber noch nicht die Rede, und die Bewunderung, mit der er Frau Mietje betrachte, mache nur seinem Kunstgenie Ehre. Wenn es anders wäre, würde er ein wahres Ungeheuer von Undank sein, da er ja wisse, daß seine Mutter nur durch die heimlichen Wohlthaten der Frau Meisterin sich aus ihrer armseligen Lage herausgerungen und er selbst alles Glück seiner Zukunft nur dem Gatten dieser Frau zu danken habe.

Was konnte man darauf sagen? Ich schwieg also, war aber nichts weniger als beruhigt, denn ich hatte hin und wieder auch Frau Mietje's Augen dabei ertappt, wie sie mit einem ganz besonderen, starren und leise glimmenden Blick auf dem Jungen ruhten, als ob sie fragen wollten: Kannst du denn wirklich noch schlafen, du Narr, und siehst nicht, was für Sterne dir hier entgegenfunkeln?

Auch dies nichtsnutzige Spiel mit dem Feuer – wer konnt' es ihr verdenken? Müßiggang ist aller Buhlschaft Anfang, lieber Herr. Und da ihr Mann sie wie eine Prinzessin hielt, daß sie auch in der kleinen Wirthschaft Alles der Magd überlassen konnte, mußt' es eben kommen, wie es kam.

Gewarnt wurde er genug. Aber es galt von ihm: sie haben Augen und sehen nicht, und haben Ohren und hören nicht.

Eines Abends hatten wir einen Spaziergang den Rhein entlang gemacht, an einem Feiertag, da alle Gesellen vom Hause fort waren. Frau Mietje hatte Kopfweh vorgeschützt, um zu Hause zu bleiben. Sie war von träger Natur und marschirte nicht gerne, mochte auch ihre feine Haut nicht von der Herbstsonne rösten lassen. Als wir so in der Dämmerung heimkamen, traten wir leise ins Haus. Denn ich wette, hatte er lächelnd gesagt, sie ist über irgend einem Eugen Sue oder Dumas eingenickt. Aber im Vorderhause war sie nicht. Nun schritten wir behutsam durch den Gang, der in den Hof führte, Lucas voran. Aber er hatte die Thür, die halb offen stand, kaum erreicht, so blieb er stehen und hielt auch mich zurück. Schau, sagte er und wies mit der Hand in den Hof hinaus, kann Rafael etwas Reizenderes erfinden oder irgend ein Meißel etwas Vollkommneres von Menschengestalt in Marmor bilden?

Es war allerdings was ganz Apartes, was wir da zu sehen bekamen. Mitten in dem geräumigen Hofe, der sauber gefegt war und auf welchem die Steinblöcke und Hölzer, die man in der Werkstatt brauchte, ringsum zu einem kleinen Wall aufgeschichtet waren, stand ein Obstbäumchen, das gerade jetzt über und über mit Früchten behangen war, die herrlichsten goldgrünen Reineclaudes, die man nur wünschen konnte. Der junge Stamm war nicht viel über mannshoch und breitete seine zwei untersten Aeste wie ein Paar Kreuzesarme aus. An diesem Bäumchen stand in einem leichten weißen Gewande, das lose gegürtet war, die schöne junge Frau, den Rücken nach dem Stamme gekehrt, mit der linken Hand den einen Seitenast umfassend, während sie mit der Rechten in dem dunklen Laube herumgriff und die Früchte befühlte, welche die reifsten und schwellendsten wären. Dabei war ihr Gesicht nach oben gewendet, daß man das Kinn und das Näschen von unten sah, und den bräunlichen Hals, der wie aus altem Elfenbein gedrechselt erschien, und dann die schlanke und doch schwellende Gestalt, die sich auf den Zehen erhob, daß die Falten des Kleides sich weich um ihre Hüften schmiegten. Wenn sie eine recht saftige Frucht gefunden hatte, steckte sie dieselbe in den Mund, und all ihre Zähne blitzten dabei, und nichts war niedlicher, als wie sie mit einer vornehm verächtlichen Manier den Kern ausspuckte. Dabei liefen ihr die wankenden Schatten des Laubes über Gesicht und Brust, da der Abendwind über den Hof stöberte, und die Aermel, die von ihren Ellbogen niederhingen, ließen die schönsten Arme sehen, und am Knöchel der linken Hand blitzte ein breiter Goldreif, das erste Geschenk ihres verliebten Bräutigams.

Nun? flüsterte dieser, nachdem er eine Weile wie verzückt das heimliche Schauspiel genossen. Wäre diese Frau nicht der Sünde werth, daß ein ehrlicher Kerl den Verstand um sie verliert? Und doch habe ich meine fünf Sinne noch so leidlich beisammen.

Hum! machte ich. Du vielleicht. Aber sieh doch einmal nach links in das Erdgeschoßfenster der Werkstatt. Ich fürchte, da geht ein anderer, nicht ganz so tactfester Menschenverstand in die Brüche.

An jenem Fenster nämlich hatte ich den jungen Burschen, den frommen Fridolin entdeckt, der mit weit offenem Munde und Augen in dem helldunklen Winkel saß und das schöne Evasbild mit brennender Andacht verschlang.

Lucas runzelte ein wenig die Stirn, sagte aber ganz gelassen: Der arme Junge hat sich noch einen Extraverdienst machen und seine Schnitzarbeit trotz des Feiertages vollenden wollen. Soll er blind sein für das, was unseren Augen wohlgefällt? Sie aber ahnt gar nicht, daß er in der Nähe ist.

Er stieß die Thür vollends auf und trat zu dem Fruchtbäumchen heran mit einer heiteren Neckerei über die Gelüstigkeit seiner Hausfrau, die uns unverlegen Guten Abend! bot. Dann trat er in die Werkstatt, und ich hörte, wie er den Jungen über seinen unmäßigen Eifer zugleich lobte und schalt und ihn dann fortschickte, seiner Mutter eine Tasche voll der süßen Früchte zu bringen.

Du hättest das schon längst thun sollen, Mietje, wendete er sich an seine Frau.

Ich wußte gar nicht, daß er noch bei der Arbeit hockte, erwiderte sie, ohne zu erröthen. Du weißt, ich mag ihn nicht, er ist nicht lustig. Sein brauner Herrgott da drüben ist ihm zur Gesellschaft lieber als Seinesgleichen.

Lucas warf mir einen Blick zu, als wollte er sagen: wer hat nun Recht gehabt? Ich aber dachte mir das Meine.

*

Der alte Herr seufzte, als er so weit gekommen war. Er fuhr sich mit der Hand über die Stirn, sah dann nach der Uhr und sagte: Ich verkürze Ihnen unverantwortlich die Nachtruhe, Herr Doctor. Aber ich bin einmal so ins Auskramen gekommen, nun müssen Sie bis zu Ende Geduld haben. Auch währt es nicht mehr lange, und das Absonderlichste kommt noch.

Denn das ist freilich eine alte Geschichte und nicht der Rede werth, daß ein schlimmes Weib einen redlichen Mann übertölpelt, und in unserm Falle nur das kaum zu verstehen – außer wenn man die reine Lust am Bösen erwägt, die für das Schlangengeschlecht den allermächtigsten Reiz hat – daß ihr die Wahl nicht weh that zwischen einem solchen Menschen wie Lucas, der jeden Thron der Welt geziert haben würde, und einem gleißnerischen, nichtsnutzigen …

Aber halt! Ich will nicht ins Schimpfen gerathen. Hab' mich auch schon hinlänglich in den langen Jahren, seitdem das Unglück geschah, laut und leise ausgeschimpft gegen das saubere Paar.

Damals, wie gesagt, sagt' ich kein Wort mehr. Es hätte ja doch nichts gefruchtet. Aber ich dachte, ich Thor, ich könnte am Ende das Aergste verhüten, wenn ich als ein biederer Hausfreund fleißig dort nach dem Rechten sähe. Ich brachte manchmal ein hübsches Buch mit, um ihr die verdammten »Mystères de Paris« und Consorten zu verleiden, und redete mir ein, mit der Zeit könne man vielleicht diese verlorene Seele noch retten. Wär's mir nicht um den alten Freund gewesen, hätt' ich die Schwelle dieses Hauses am liebsten ganz gemieden.

So war der Herbst vergangen, und das Reineclaudes-Bäumchen hatte seine letzte Frucht und sein letztes Blatt hergegeben. Gegen Ende October mußte Lucas rheinauf reisen, um eine Kirche zu besichtigen, für die er irgend ein Altarwerk zu machen hatte. Da die Gelegenheit günstig war, etliche Kloster-Bibliotheken zu inspiciren, schloß ich mich ihm an, und wir verlebten ein paar gute Tage mit einander – die leider die letzten bleiben sollten. Auf der Heimfahrt sah ich wieder einmal so recht, wie er an diesem Weibe hing. Er sprach alle Augenblicke von ihr, und ich merkte es ihm an, wie er sich Zwang anthun mußte, um mir nicht von ihrer Schönheit allerlei Heimlichkeiten zu verrathen, die nur für den glücklichen Besitzer vorhanden sein durften. Dazu pries er sie, wie sich ihr Temperament in der letzten Zeit immer williger der häuslichen Pflicht gefügt habe. Du sollst sehen, sagte er, dieses stille Wasser, das du für so untief gehalten, thut noch einmal seine verborgenen Quellen auf und wird zu einem starken und ruhigen Strom, der mein Lebensschiff sicher und freudig dahinträgt.

Ich erwiderte nichts. Es konnte ja sein, daß ein so guter und reiner Mensch, wie er, die Macht hatte, den Bösen zu zwingen und aus einer schönen Teufelin eine Menschin zu machen, neben der gut hausen sei.

Ja, wie ich ihn, nachdem wir so um die zehnte Abendstunde gelandet, mit hocherhobenem Haupte und ungeduldigen Schritten seinem Hause zueilen sah, beschlich mich ordentlich ein leiser Neid auf den glücklichen Hausvater, der nun einen warmen Herd und zwei junge Arme zu seinem Empfange bereit fände. Indessen tröstete ich mich bald beim Eintritt in mein Junggesellen-Quartier, da ich auch einen Schatz in den Armen hielt, ein kleines Paket rarer, alter Drucke, die ich unterwegs aufgetrieben.

Ich wollte mich ihrer noch diesen Abend erfreuen, zündete die Lampe an und setzte mich im Mantel, da der Ofen kalt war, an meinen Tisch, die Beute vor mir ausgebreitet, die ich nun nach Herzenslust hin und her wendete.

Noch aber hatt' ich keine halbe Stunde so gesessen, da reißt es an meiner Hausglocke, als ob mir das Dach überm Kopf in Feuer stände.

Ich stecke hastig den Kopf zum Fenster hinaus – Lucas steht vorm Hause.

Was giebt's noch so spät? ruf' ich und bringe die paar Worte kaum aus der Kehle, denn mir schwante gleich das Allerärgste.

Statt aller Antwort schlug er mit der Faust gegen die Thür. Nur ein Laut wie von einem angeschossenen Eber brach ihm aus der Brust.

Als ich öffnete und ihm die Lampe ins Gesicht hielt, hätt' ich sie bald auf die Steintreppe fallen lassen.

Seine Farbe war kreidebleich, seine Augen wie die eines Trunkenen, die blassen Lippen zitterten, konnten aber kein verständliches Wort zusammenbringen.

Ich zog ihn hastig ins Haus; er fiel wie ein besinnungsloses Stück Holz auf den ersten besten Stuhl, dann, da ich in ihn drang, mich aus der furchtbaren Angst und Ungewißheit zu reißen, öffnete er mit sichtbarer Mühe die rechte Hand, die er fest zusammengeballt hatte, und hielt mir das zerknüllte Papier hin, das er darin verborgen gehabt. Ich hatte erst meine liebe Noth, den Fetzen zu glätten und die halbverwischte Schrift zu enträthseln. Ohne meine alte diplomatische Uebung an verblichener Mönchsschrift wäre mir's auch schwerlich geglückt.

Lieber Lucas, so ungefähr stand da geschrieben, ich gehe auf eine Weile fort, ich langweile mich so sehr und habe Heimweh. Dir werde ich nicht sehr fehlen, du hast ja deine Kunst und deinen Glauben. Forsche mir nicht nach, es wäre umsonst. Vielleicht gehe ich nach Hause zu meinen Leuten, vielleicht anderswohin. Etwas Geld habe ich mitgenommen. Die Schlüssel liegen auf dem alten Schrank in der Wohnstube. Lebe wohl!

Unterzeichnet: Deine Mietje.

Mir fiel das Blatt aus der Hand und, wie ich glaube, ein Fluch von den Lippen, wie ich ihn mein Lebtag noch nicht ausgestoßen hatte. Dann saßen wir wohl eine halbe Stunde einander gegenüber, und Keiner sprach ein Wort.

Was sollten wir uns auch sagen? Mir war im Grunde nichts Ueberraschendes dabei, und meine Gedanken schweiften auf der Spur der Landläuferin sogar mit einer gewissen Befriedigung, wenn ich dachte, daß sie nun andere Menschen als meinen arglosen Freund betrügen und bethören würde. Wenn ich freilich auf diesen sah, wie er als ein gebrochener Mann vor mir saß und die rasende Glut des Schmerzes, des Ingrimms und der Verzweiflung an seinem Marke zehren ließ, dann hätte ich viel darum gegeben, daß die alte Binde des Wahns seine hoffnungslosen Augen noch umschnürt gehalten hätte. Denn ich merkte jetzt erst, wie lieb ich ihn hatte; mein eigenes Herz empfand all die wüthenden Stiche, die sich jetzt in seines bohrten.

Auf einmal wurde die Hausglocke von Neuem gezogen, aber von einer schwachen und schüchternen Hand. Ich erhob mich leise, als sollte ich noch eine Hiobspost vernehmen, mit der ich den zerschmetterten Freund gerne verschont hätte, und schlich vor die Pforte hinaus. Da stand, in ein altes dunkles Tuch vermummt, ein zitterndes ältliches Frauenzimmer, das aus einem todtbleichen Gesichtchen zwei verweinte blaue Augen auf mich heftete. Ob der Herr Lucas etwa bei mir sei? – Was sie von ihm wolle? fragte ich entgegen. Da brach sie in einen Strom von Thränen aus. Sie sei die Näherin, deren Sohn der Meister als Lehrling angenommen. Heute früh sei er von ihr gegangen wie alle Tage, aber auf die Nacht nicht wieder heimgekommen. Wie sie endlich nachgefragt, wo er geblieben, ob vielleicht eine eilige Nachtarbeit ihn aufgehalten, hätten ihr die Gesellen gesagt, der Meister sei freilich zurück, aber ihr Sohn habe sich den ganzen Tag in der Werkstatt nicht blicken lassen. Darauf habe sie die Meisterin zu sprechen verlangt, aber auch die sei seit gestern Abend nicht mehr zum Vorschein gekommen, möge wohl unpaß sein und das Bett hüten. Und da es das erste Mal sei, daß ihr frommer Sohn eine Nacht vom Hause wegbleibe, und sie eine arme Wittfrau sei, die nur diesen einzigen habe – und hierauf stürzte ihr wieder das helle Wasser aus den Augen, sie schluchzte und lamentirte aufs Kläglichste, ich hatte meine liebe Noth, sie einstweilen mit ein paar mühsamen Ausflüchten zu beschwichtigen und mit dem Troste wegzuschicken, ihr lieber Sohn sei gewiß nicht aus der Welt und werde vielleicht mit einem Auftrage des Meisters über Land geschickt worden sein, wo ihn dann die Nacht überrascht haben möge. Der Meister aber sei nicht in meinem Hause.

Immer noch wimmernd und stöhnend wankte das arme Weibchen endlich seines Weges, und ich stand auf der finstern Gasse und murmelte eine Verwünschung gegen den sauberen Patron, der in der Schule der Frau Meisterin so rasch ausgelernt hatte. Ich beschloß, dem Lucas für heute nichts davon zu sagen. Ich wußte ja, wie er an dem jungen Duckmäuser gehangen, fast wie an einem Sohn, und daß ihm diese Entdeckung einen neuen Feuerbrand ins Herz stoßen würde. Als ich mich aber umwendete, wieder ins Haus zu gehen, stand der Aermste im dunklen Hausflur hinter mir, regungslos wie eine Säule. Er hatte jedes Wort gehört.

Ich erschrak heftig, doch war nun nichts mehr zu machen. Ich tappte nach seiner Hand, ihn sänftlich wieder in die Stube zu führen, aber er entzog sich mir mit einer entschiedenen Geberde und drängte an mir vorbei in die Nacht hinaus. Lucas, sagte ich, du wirst mir den Gefallen thun, heute bei mir zu übernachten. Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei, wenn er eben seinen Gott verloren hat. Wir wollen morgen vernünftig zu Rathe gehen, wie du dich zu verhalten habest, und am Ende ist mit ein wenig Klugheit das Aergste noch abzuwenden.

Er war aber nicht zu halten. Daß er keine Silbe sprach, ängstigte mich am meisten, und während ich neben ihm herging, redete ich ihm zu, sein Schweigen doch um Gotteswillen zu brechen, sich Luft zu machen in Wüthen und Toben, damit der Starrkrampf seines Gemüths ihn nicht innerlich ganz entseele. Aber es war, als redete ich in einen wandelnden Leichnam hinein. Meine Hauptsorge war, er möchte sich ein Leids anthun, man hörte in der Todtenstille den Mühlbach, der in den Rhein hinabfloß, an der Schleuse rauschen. Der Ton konnte ihn locken. Doch war meine Angst umsonst. Auch dagegen waren seine Sinne verschlossen. Und so kamen wir ohne Abenteuer wieder an sein Haus.

Hier stand er einen Augenblick, wendete das Gesicht nach der Kapelle da drüben, und ich sah, wie seine stieren Augen mit einem unbeschreiblichen Ausdruck nach dem Kreuzesbilde wanderten und dort hängen blieben. Ein Frösteln lief ihm über den Leib. Er brach auf der Bank hier zusammen und that einen dumpfen Schrei. Als ich aber in furchtbarer Erschütterung mich neben ihn setzte und, in der Meinung, die Herzader sei ihm gesprungen, mich um ihn bemühte, schnellte er plötzlich wie eine Stahlfeder in die Höhe, hob beide Fäuste gegen den Himmel, und ich sah, daß seine Gesichtszüge sich zu einem höhnischen Grinsen verzerrten, daß mir die Haut schauderte. Ehe ich mich von dem Schrecken erholen konnte, hatte er die Hausthür aufgestoßen und war im Innern verschwunden, den Schlüssel zweimal hinter sich umdrehend.

*

Sie können sich vorstellen, in welcher erbärmlichen Stimmung ich vor der verschlossenen Pforte stand. Doch sah ich alsbald ein, daß sie heute Nacht sich mir nicht wieder öffnen würde, und die Gefahr, daß der Unglückliche drinnen Hand an sich legen möchte, schien mir nach der streitbaren Geberde, in der er sich zuletzt gezeigt, nicht mehr zu drohen. Also trollte ich mich seufzend heim, und daß ich keine halbe Stunde Schlaf fand, bis der Morgen herandämmerte, brauche ich nicht zu versichern.

Ich hatte mich in den Kleidern aufs Bett geworfen und horchte beständig hinaus, immer darauf gefaßt, es möchte noch eine Schreckensbotschaft kommen. Wenn man mir gemeldet hätte, der arme Geistesverstörte habe sein Haus an den vier Ecken angezündet, hätte mich's kaum überrascht.

Doch blieb Alles ganz ruhig. Als ich aus einem verspäteten Morgenschlummer auffuhr, brauchte ich eine Weile, mich zu besinnen, diese ganze Schauermär habe sich wirklich zugetragen. Ungewaschen und ohne gefrühstückt zu haben, so wie ich war, lief ich nach dem Unheilshause und wunderte mich fast, daß es so ganz still und unschuldig wie immer dastand und Der da drüben an seinem Kreuze so geduldig vor sich hin sah, als ob er vor der Niedertracht der Welt, die er zu erlösen gekommen, nicht wieder ein artiges Pröbchen miterlebt hätte.

Auf mein stürmisches Pochen und Läuten wurde mir aber erst spät geöffnet, und zwar nur von einem kleinen, etwa zehnjährigen Knaben, den Lucas zu allerhand Botendiensten und Handlangergeschäften in der Werkstatt hielt. Der Meister habe heute ganz früh sämmtliche Gesellen geweckt, jedem seinen Lohn, und zwar dreifach, ausgezahlt, sie aber geheißen, sofort ihr Bündel zu schnüren und das Haus zu verlassen. Dann habe er sich in dem zweiten Gemach hinter der großen gemeinsamen Werkstatt eingeschlossen, wo er seine Entwürfe und Modelle zu machen pflegte, und ihm, dem Knaben, auf Strengste befohlen, keine lebendige Seele zu ihm zu lassen, was ohnehin nicht möglich wäre, da er auch die Thür des großen Ateliers sorgsam verriegelt habe. Was der Meister da drinnen treibe, wisse er nicht.

Ich begehrte es auch vorläufig nicht zu wissen.

Wer so etwas erlebt, der mag zunächst anfangen, was er will, es dient im besten Falle nur dazu, sein Herz durch mechanische Bewegungen vor dem Versteinern zu bewahren. Auch hatte ich den Gedanken, daß irgend Etwas geschehen müsse, um der Flüchtlinge habhaft zu werden, bei hellem Tageslicht besehen wieder weggeworfen. Das Erwünschteste konnte doch nur sein, sie kämen nie wieder zum Vorschein, und auch der Schimpf und das Aergerniß vor den Leuten ward um so rascher und gründlicher erstickt, je mehr das Andenken an das saubere Paar ein für allemal wie in den Rhein versunken blieb.

Also konnt' ich einstweilen nichts thun, als zu der Mutter des scheinheiligen Schlingels gehen und ihr unter allerlei Vorspiegelungen das Wort abnehmen, sich ruhig zu verhalten und ihren Jammer nicht bei allen Nachbarinnen herumzuschreien. Da ich ihr versprach, sie solle auch ohne das mißrathene Söhnchen keine Noth leiden, ergab sie sich endlich in ihr Schicksal, und ich verließ sie beruhigt, nachdem sie mir von den Tugenden und Trefflichkeiten ihres Taugenichts eine lange Litanei vorgesungen und immer von neuem betheuert hatte, seine Unschuld werde noch einmal an den Tag kommen.

Ich verlebte die nächste Zeit in schwerer Bekümmerniß. All meine Versuche, bei dem armen Freunde einzudringen, waren fruchtlos geblieben. Der Knabe berichtete, der Meister verlasse über Tag seine Werkstatt nie. Das bischen Essen, dessen er bedürfe, müsse er ihm aus der Garküche holen und durch ein Schiebfenster hineinreichen. Nur in der Nacht habe er ihn einmal im Hofe gesehen, wie er um den kahlen Baum im Kreise herumgeschritten sei, rasch und lautlos, mit so heftigen Schritten, als würde er von einem Wirbelwind umgetrieben. Ueber Tag aber höre man ihn arbeiten; er schnitze irgend ein Bildwerk, und manchmal summe er dabei eine Melodie, aber die Worte könne man nicht verstehen.

Diese Nachricht beruhigte mich einigermaßen. Er arbeitet, dacht' ich. Das ist die einzige Arzenei gegen Seelenwunden und hirnverzehrendes Fieber. Er wird für die treulose Geliebte Trost bei seiner ersten Flamme, der Kunst, suchen, die noch keinen ihrer redlichen Anbeter betrogen hat. Und eines Tages hat er ein schönes Werk vollendet und taucht damit aus den Nebeln, die ihn jetzt umspinnen, geheilt und verjüngt empor, und der ganze Spuk fällt von ihm ab für ewige Zeiten.

So glaubt man, was man wünscht. Darin aber fand ich meine Hoffnung bestätigt: der Lärm, der sich über das Verschwinden der schönen Mietje und ihres grünen Spießgesellen erhob, legte sich in der That schneller, als unter anderen Umständen zu erwarten gewesen, da die zunächst Betheiligten unsichtbar blieben und auch aus der Ferne kein Laut in das Städtchen drang, der von den Schicksalen des entflohenen Paares Kunde gebracht hätte.

Das währte nun so vier, fünf Wochen. Ich überlegte endlich bei mir, ob es nicht doch gerathen sei, mit irgend einer Kriegslist oder einem Gewaltstreich in die Höhle des kranken Löwen einzudringen und nachzusehen, wie weit die Heilung seiner Wunde vorgeschritten sei. Auch hatte ich mir einen ganz ingeniösen Plan zurechtgelegt, den ich andern Tags in der Frühe ausführen wollte. Da kam das Finale dieses seltsamen Trauerspiels dazwischen.

Wir waren im Anfange des December, die Witterung aber noch milde geblieben. Ueber Nacht fiel ein erster Schnee, der nur eine zarte Decke über den Boden breitete und am Tage durch die Sonne aufgesogen wurde. In der nächsten Nacht schlief ich unruhig, ich hatte den Kopf voll von meinem geplanten Ueberfall in der Werkstatt des Freundes. So gegen sechs Uhr werde ich durch ein summendes Geräusch auf der Straße geweckt, springe auf und erblicke eine Menge Menschen, zum Theil, wie bei jäher Feuersgefahr, in zufällig zusammengerafften Costümen, Weiber in der Nachtjacke am Fenster, die Meisten hastig vorbeieilend – in der Richtung nach dem Hause meines Freundes.

Im Nu war ich in den Kleidern und auf der Gasse, konnte aber von den aufgeregten Leuten nichts Sicheres erfahren. Irgend ein unerhörter Frevel, etwas unaussprechlich Gottloses hatte sich zugetragen – ich vernehme dunkle Reden von einem Crucifix, einem Werk des Satans, einem Scheuel und Gräuel, von dessen Anblick man die Weiber und Kinder zurückhalten müsse. Und so unter Reden und Raunen und eifrigem Kreuzschlagen liefen die Menschen die Straße hinunter und ich mit ihnen in einer Beklemmung des Herzens, die mich alle Augenblicke stillzustehen zwang.

Wie ich aber dort um die Ecke bog und mir den Platz überschaute, bot sich mir ein Anblick, der all meine wilden phantastischen Erwartungen übertraf.

Stellen Sie sich vor: gegenüber dem alten Crucifix dort an der Kapellenwand, mitten auf dem Platz, war ein anderes Kreuz in den Boden gepflanzt, mit so unregelmäßig ausgereckten Armen, daß ich sofort das kahle Fruchtbäumchen von dem Hofe meines Freundes erkannte. Es hatte seine Rinde behalten und die Aeste, die nach oben den Stamm fortsetzten, starrten in ihrem unregelmäßigen Wuchse wie ein kleiner Wipfel in die Höhe. Wie er es zu Stande gebracht hatte, den Baum aus der winterlich harten Erde über Nacht auszugraben und hieher zu verpflanzen, konnte ich mir nur mit den übermenschlichen Kräften des Irrsinns erklären. Das Wundersamste aber war das Menschenbildniß, das dem gekreuzigten Gottessohne zu Trutz und Hohn gegenübergestellt und der schaudernden Betrachtung so vieler frommer Christenseelen preisgegeben war.

Denn ganz, wie wir sie an jenem Abend unter dem Bäumchen im Hofe belauscht hatten, stand hier das Abbild der Frau Mietje, in Lebensgröße aus weichem Holze geschnitzt, nur ihres weißen Kleides beraubt und statt dessen die üppigen jungen Glieder mit einem leichten Anflug von Farbe bedeckt, so daß ich selbst heftig erschrak, da ich im ersten Augenblick glaubte, sie sei es selbst in Fleisch und Bein. Erst als ich näher hinzutrat, überzeugte ich mich, daß es ein Werk ihres Gatten war, und so sehr ihm vor Wuth und Haß die Hand dabei gebebt haben mochte, niemals hatte er etwas Herrlicheres geschaffen, als den unverhüllten Leib dieses jungen Weibes, das, an den Stamm zurück gelehnt, den linken Arm leicht um den ausladenden Zweig geschlungen, mit der rechten Hand eine angebissene Frucht haltend, das Haupt ein wenig zurückgelehnt und aus den schmachtend halbgeschlossenen Augen gerade vor sich hinblickend, den armen Gekreuzigten drüben zu verhöhnen schien.

Das Werk war so überwältigend schön, daß mir wenigstens die Frechheit des ganzen Gebildes nicht sogleich zum Bewußtsein kam und ein leises Grauen mich anwandelte, wenn ich das verführerische Lächeln auf den leicht gerötheten Lippen betrachtete und für Augenblicke die Gestalt bis zu den kleinen Füßen hinab sich zu beleben und im Begriff zu sein schien, von dem Baume hinwegzutreten und sich irgend ein Opfer unter der betäubten Menschenmenge zu wählen.

Erst nachdem ich den ersten Eindruck überwunden, konnte ich ein Täfelchen gewahren, das über dem Haupt des Weibes zwischen den Wipfelästen angebracht war, und auf welchem, offenbar als eine Gegenparole gegen das I. N. R. I. über dem Crucifix des Heilands, die Buchstaben F. V. R. I. A. deutlich zu lesen standen.

Nun war es merkwürdig, die Volksmenge zu beobachten, die das Hohnbild umstand. Man sah deutlich auf den zitternden Lippen und gefurchten Stirnen dieser einfachen Menschen die verhaltene Empörung über einen so ungeheuren Frevel; einzelne verbissene Worte zischten hie und da aus der stummen Corona auf, ein Murren und Knirschen, wie vor einer heftigen Explosion des beleidigten christlichen Gefühls, zugleich aber wurde der Ausbruch zurückgedämmt durch den märchenhaften Zauber, der von der schleierlosen Schönheit ausging, und daß sie so urplötzlich sich mitten unter ihren ehemaligen Mitbürgern offenbarte, grenzte so sehr an ein Wunder, daß die strengsten und eifrigsten katholischen Gemüther eine Weile unter ihrem Banne verharrten.

Ich war wohl der Einzige unter Allen, der sofort daran dachte, wessen Hände dies dämonische Werk hervorgebracht, und wie es in dem armen Haupt und Herzen des Verfertigers jetzt aussehen möge. Aber ehe ich noch Zeit hatte, dies weiter zu erforschen, wurde es lebendig in der dichtgedrängten Menge, und eine schwarze Gestalt wandelte mit hastigen Schritten durch die schmale Gasse heran, die sich zwischen den auseinanderweichenden Gaffern gebildet hatte.

Ich erschrak, denn ich erkannte sofort den Stadtpfarrer, einen zelotischen, sehr beschränkten Pfaffen, dem ich immer aus dem Wege zu gehen pflegte, da schon sein hartes, stets von geistlichem Zorn geröthetes Gesicht mir die Galle erregte, daß ich mich kaum enthalten konnte, mit ihm anzubinden. Er trat mit allen Zeichen des Entsetzens dicht vor das Gegen-Crucifix, schlug mit großem Nachdruck drei ausgiebige Kreuze über sich und betrachtete dann mit weit offenem Munde den Gräuel so gründlich von Kopf bis Fuß, daß man nicht zweifeln konnte, so weit es sich um ein Werk der Kunst und das Conterfei eines schönen Weibes handelte, leuchte das Höllengespenst ihm selbst nicht wenig ein.

Ringsum war eine athemlose Stille geworden. Alle hingen an dem Gesicht des geistlichen Hirten, das immer dunkler anlief, so daß man die grauen Augen wie zwei kleine Achate in einer Porphyrbüste blinken sah.

Der Stein aber belebte sich plötzlich, und mit seiner gewaltigsten Kanzelstimme begann der Eiferer, der diese nächtliche Kreuzerhöhung als eine persönliche Beleidigung und Verhöhnung seiner Würde betrachtete, über das unerhörte Teufelswerk zu zetern, daß ihm unmerklich die Rede zu einer Straf- und Bußpredigt zwischen den zwei Crucifixen anschwoll, wobei er jedoch dem ältern und heiligen beständig den Rücken kehrte, immer die Arme wie beschwörend gegen das stumme Weib erhebend, das mit unwiderstehlich lächelndem Munde und listig verführerischem Blick seine Bannflüche über sich ergehen ließ. Erst als er ganz außer Athem war, hielt er inne, warf einen drohenden Blick auf die zagende stumme Volksmenge und fragte: Wer hat dies Werk der Finsterniß vollbracht? Oder wer vermag Kunde von seinem Urheber zu geben, daß wir ihn dem Arm der zeitlichen Gerechtigkeit zugleich wie den ewigen Flammenqualen überantworten?

Auf diese Frage blieb Alles stumm, obwohl kaum Einer der Umstehenden daran zweifeln mochte, daß nur ein Einziger das Bild hier aufgerichtet haben könne.

Plötzlich aber drängte sich eine jugendliche Gestalt durch den lebendigen Wall, der den wüthenden Mann Gottes umstand, und fiel vor ihm nieder, beide Hände aufhebend, wie ein zum Tode geängsteter armer Sünder, der um sein Leben fleht. Es war der Knabe, den Lucas zu seiner Bedienung bei sich behalten, nachdem er allen anderen Hausgenossen den Laufpaß gegeben.

Er hatte zwar keine sonderlichen Geständnisse zu machen, wußte aber so viel, daß der Meister ihn um Mitternacht geweckt und ihm befohlen hatte, ihm beim Ausgraben des Bäumchens im Hofe und beim Wiedereinpflanzen auf dem Capellenplatz an die Hand zu gehen. Dann habe er ihn wieder zu Bett geschickt, und was weiter geschehen, habe er verschlafen, bis er durch das Getümmel draußen geweckt worden sei.

Der zornmüthige Pfarrer sagte ihm gleichwohl kein rauhes Wort, er hatte es zu eilig, den eigentlichen Sünder ins Gebet zu nehmen. So warf er noch einen letzten Blick auf den Höllengräuel, bekreuzte sich abermals und schritt hastig auf das Häuschen zu, das mit geschlossenen Läden in der Morgensonne stand, als ob es gar keinen großen Frevler und Gotteslästerer beherberge.

Die Menge schloß sich ihm an, ich hielt mich dicht hinter ihm – Sie können denken, mit welchen Gefühlen. Das zitternde Jüngelchen hatte der Pfaff am Aermel gefaßt und schob es vor sich her, ihm zum Führer zu dienen. Doch brauchten wir nicht lange zu suchen. Gleich im Erdgeschoß zur Linken, in das nur ein schwacher Morgenschimmer durch die Fensterspalten drang, hörten wir ein leises, ruhiges Athmen, und als die Läden aufgestoßen waren, sahen wir meinen armen Freund friedlich hingestreckt auf das große alte Ruhebett, in seinen Kleidern, wie er Nachts sein arges Werk vollbracht hatte, offenbar nach der schweren Arbeit vom Schlaf hier überwältigt. Sein Gesicht war völlig heiter, er lag da wie ein Sieger, der eine heiße Schlacht gewonnen und sich auf seinen frischen Lorbeeren den Schlaf wohl gönnen mag.

Auch störte ihn das Geräusch der herandringenden Schritte nicht. Erst als der Pfarrer ihn heftig am Arme faßte und schüttelte, schlug er die Augen langsam auf, ließ seine verwunderten Blicke über das Gewimmel gleiten und wollte, da er mich gewahr wurde, mir die Hand reichen. Der geistliche Herr aber trat dazwischen, befahl ihm barsch, sich aufzusetzen, und begann auf der Stelle ein scharfes Verhör.

Obwohl der Unglückliche aber noch von seinen Träumen umsponnen schien, auch einen wunderlich irren Ausdruck im Gesicht und ein beständiges Lächeln auf den Lippen trug, gab er doch auf alle Fragen deutlich und ohne Zögern Antwort.

Ob er um das blasphemische Bildwerk wisse, das draußen auf dem Platz über Nacht errichtet worden sei?

Gewiß. Er selbst habe es verfertigt und dort aufgestellt.

Was er sich bei einem so ungeheuren Frevel, einer so himmelschreienden Versündigung an allem Heiligsten gedacht habe?

Er habe es machen müssen im Auftrage eines Andern.

Welches Andern?

Den Namen könne er nicht sagen, doch vermuthe er wohl, daß es der Fürst der Finsterniß gewesen sei. Er habe sich des Nachts bei ihm eingestellt und ihm aufgetragen, dieses Werk zu schaffen, ihm auch genau beschrieben, wie es sein solle.

Ob er sich nicht dagegen gewehrt, eine solche Todsünde zu begehen, umsomehr, wenn ihm doch geahnt habe, von wem ihm der Auftrag zu Theil werde?

Nein. Daran habe er nicht gedacht. Es sei ihm vielmehr sehr vernünftig erschienen, daß auch der Teufel sein Crucifix zu haben wünsche, da der Herr Christus so viele Jahrhunderte hindurch das seine überall aufgepflanzt sähe. Da sei es nur in der Ordnung, daß der Antichrist nun auch einmal der Welt zeige, wer denn eigentlich über die Seelen herrsche. Und darum habe er das Werk vollführt genau nach den Angaben des unsichtbaren Bestellers.

Ob derselbe sich ihm mehr als einmal offenbart habe?

Freilich. Fast jede Nacht sei er gekommen, und wenn er sich einer Form oder Linie nicht genau genug habe entsinnen können, so habe er ihm in einem Traumgesicht die leibhaftige Gestalt wieder gezeigt.

Ob er auch am Tage solche Heimsuchung erfahren?

Niemals. Am Tage sei er von früh bis spät an der Arbeit gewesen.

Ob er dabei keine Furcht und Beklemmung empfunden, auch nie einen Schwefelgeruch gespürt habe?

Ihm sei beständig sehr leicht ums Herz gewesen, so lange er den Meißel in der Hand gehabt. Auch glaube er ohne Ruhmredigkeit behaupten zu können, daß dieses Werk das Beste sei, was je aus seinen Händen hervorgegangen.

Dabei suchten seine armen überwachten Augen die meinigen, wie er wohl sonst zu thun pflegte, wenn er mir eine neue Arbeit gezeigt hatte und nun erwartete, daß ich ihn loben sollte.

Die heitere Ruhe, mit der dieser arme Sünder sein Verhör bestand, verblüffte sichtlich seinen Inquirenten, zumal er gegen den Unglücklichen früher die wohlwollendste Gesinnung gehegt und sich zu diesem andächtigen Beichtkinde nichts weniger versehen hatte, als daß er ihn einmal in solcher Teufelsgemeinschaft betreffen würde. Also schwieg er eine Weile und betrachtete den Besessenen, wofür er ihn hielt, mit Abscheu und Erbarmen, da selbst in sein zelotisches, von mittelalterlichen Vorstellungen verdunkeltes Gehirn die Ahnung hineindämmerte: hier sei ein großes Unglück, aber keine zurechnungsfähige Versündigung zu beklagen.

Nachdem er sich ein wenig die Stirn gerieben und aus einer großen silbernen Dose eine Prise genommen, hob er von neuem an, eine Menge unwichtiger Fragen zu thun: aus welchem Holz das Bild geschnitzt sei, ob er eine Zeichnung dazu gemacht, während der Wochen, die es gedauert, gebetet habe, ob er Wein getrunken, und solche Possen mehr. Zuletzt aber fiel ihm noch etwas Wichtigeres ein: was die Inschrift über dem Haupte des Weibes besage: F. V. R. I. A?

Die bedeute: Femina Vniversi Regina In Aeternum.

Ob er die aus sich selbst geschöpft, oder ob sie ihm von dem Unsichtbaren dictirt worden sei?

Das Letztere. Gleich in der ersten Nacht, als der Besteller ihm alle Anweisung gegeben, habe er ihn auch geheißen, das Täfelchen mit der Inschrift nicht zu vergessen. Es möge immerhin mit Recht heißen: Jesus Nazarenus Rex Judaeorum. Die Welt aber beherrsche dieses Zeichen nicht, oder höchstens die schwächlichen und bettelhaften Seelen, an denen der Hölle selbst nichts gelegen sei. Die kraftvollen, sowohl guten als bösen, die weisen wie die thörichten sollten nach wie vor, wie es schon in der Schrift heiße, Vater und Mutter, ja noch mehr: Gott selbst und ihr ewiges Heil im Stiche lassen und am Weibe hängen. Und darum sei das Weib das wahre Symbol seiner – des Höllenfürsten – Macht und Herrlichkeit, sein Geschöpf und seine Verbündete, und bis er einmal offenkundig den Thron der Welt besteigen und Alles, was athme, unter sein Scepter beugen werde, müsse es heißen: femina universi regina in aeternum.

Diese Worte wiederholte er nun beständig, ohne auf eine weitere Frage zu achten, und lächelte dabei heimlich vor sich hin wie Jemand, der eine sehr lustige Entdeckung gemacht hat und sich darauf freut, was die Leute dazu sagen werden, wenn er sie erst ausplaudert. Mir standen die Augen voll Wasser, ich konnte den Blick von dem theuren Gesicht nicht abwenden, das nun einen so fremden, wehmüthigen Ausdruck bekommen hatte und vom Lichte der Vernunft nur noch einen unsicheren Schimmer bewahrte.

Der Inquisitor aber hatte jetzt seine ganze geistliche Hartherzigkeit wiedergewonnen; dieser letzte Trumpf, den der Gottseibeiuns ausgespielt, war ihm denn doch zu stark. Er hätte sich ohne Zweifel zu einer gewaltsamen Maßregel hinreißen lassen, wenn nicht zum Glück gerade in diesem Augenblick unser alter Freund, der Pfarrer von St. Aegidien, ins Zimmer getreten wäre, dessen gutes menschliches Gesicht mir tröstlich entgegenleuchtete.

Er zog seinen Amtsbruder in einen Winkel des Zimmers, ließ sich ausführlich von ihm berichten und redete dann eifrig in ihn hinein, Alles halblaut, daß ich nur aus ihren Geberden entnehmen konnte, wie sie sich um die arme Seele meines Freundes zankten. Ich hatte mich indessen neben ihn auf das Sofa gesetzt und versucht, ihn aus seiner Geistesabwesenheit auf das Nächste und Wirkliche zurückzulenken. Das war aber vergebene Mühe. Mit welchem Kummer betrachtete ich die Verheerung, welche diese wenigen Wochen in seinem schönen Gesicht und seiner ganzen Haltung angerichtet hatten! Seine Haare, schon angegraut, waren offenbar nicht gekämmt, der Arbeitsstaub von seiner Haut nicht weggewaschen worden, und sein Rock zeigte die Spuren des mühsamen Werkes, das er zu Nacht verrichtet. Doch kannte er mich, nickte mir zu und ergriff auch einmal meine Hand, die er aber bald wieder losließ.

Nun kehrten die beiden geistlichen Herren zu ihm zurück, und ich stand von der Anklagebank auf, wo der Unglückliche ohne jede Spur von Erregung sitzen blieb. Der Stadtpfarrer eröffnete ihm, er werde nicht sofort vor den hochwürdigen Herrn Bischof geführt, sondern, da er offenbar von einem hitzigen Fieber befallen sei, bis zu seiner leiblichen Genesung hier bewacht und gepflegt werden. Es stünde zu hoffen, daß mit der Wiederkehr der Gesundheit auch die entsetzliche Verwilderung seines Gemüths von ihm weichen und er sich besinnen würde, ob dies Alles in der That die unmittelbare Eingebung des Teufels, oder nur eine Frucht seiner kranken Einbildung gewesen sei. Das blasphemische Bildwerk jedoch solle keine Stunde länger den Platz, auf dem es stehe, entweihen, sondern sofort durch Feuer hinweggerafft und seine Asche in den Rhein gestreut werden.

Dies Alles vernahm der Unglückliche, wie wenn es in einer fremden Sprache an ihn hingeredet würde. Die Menge jedoch eilte sofort hinaus, um an dem Zerstörungswerk, das ihnen als ein verdienstliches, Gott wohlgefälliges Thun erschien, sich zu betheiligen, und während unser kleiner geistlicher Freund nebst mir bei dem Kranken zurückblieb, sahen wir, wie der Baumstamm aus der Erde gegraben, das Bild mit Stricken darauf befestigt und das Ganze von einem Ackergaul, den man herbeigeholt, die Straße hinunter geschleift wurde, der Festwiese zu, die nun auch einmal zu einem Autodafé dienen mußte.

Mir schnitt es in die Seele, das herrliche Bildwerk der Vernichtung preisgegeben zu sehen. Doch begriff ich wohl, daß man der geistlichen Gerechtigkeit nicht in den Arm fallen durfte, zumal es hoffnungslos gewesen wäre, die Heilung des armen Irren zu erwarten, so lange das sichtbare Gebilde seines Wahns ihm noch vor Augen blieb. Aus diesem Grunde protestirte ich auch nicht dagegen, als der eifrige Stadtpfarrer darauf bestand, Lucas mit hinauszuführen und ihn dem Untergange des Teufelskreuzes beiwohnen zu lassen. Ich faßte ihn selbst unter den Arm und merkte wohl, daß er in den Knieen schwankte und während des Weges mehr als einmal umzusinken drohte. Doch auf ein leises, freundliches Wort raffte er sich immer wieder auf, und wir langten endlich auf der Wiese an.

*

Da hatten sie schon alte Bretter und Reisigbündel zusammengeschichtet und das Stämmchen mit der Figur, die in ihrer schiefen Lage doppelt lebendig schien, darauf gebettet. Als die Flammen in die Höhe züngelten, beobachtete ich das Gesicht meines Freundes. Er starrte erst tiefsinnig auf das schöne Haupt. und der winkende Arm mit der Frucht schien sich gerade nach ihm hinzubewegen. Dann umloderte die Glut den Kopf und die Brust und entzog uns den Anblick. Da stürzten plötzlich heftige Thränen aus den Augen des armen Irren, und mit den Armen in der Luft herumfahrend, wie wenn er eine entfliehende Gestalt zurückhalten wolle, that er einen Schritt vorwärts, strauchelte und fiel längelangs nieder, bis wir hinzusprangen, ihn aufzuheben und sorgsam nach Hause zu tragen.

*

Herr Peter Frettgen verstummte und saß, in seine Erinnerungen verloren, das Kinn tief in die Rockfalte vergraben, wohl zehn Minuten lang unbeweglich neben mir. Ich hatte Muße, den Platz, auf dem sich das Seltsame zugetragen, und den stillen Zeugen drüben an der Capellenwand zu betrachten, der all diese Anfechtungen und Auflehnungen gegen sein geweihtes Haupt so unerschütterlich überdauert hatte.

Wer weiß, wie lange wir dort noch gesessen hätten und ob der alte Herr nicht am Ende über seinen melancholischen Rückblicken eingenickt wäre. Aber ein Gewitterwind machte sich auf, und die Wolkenwand, die vom andern Ufer zu uns herüberwanderte, wuchs plötzlich über den Mond hinweg; das jähe Schwinden der Helle weckte den alten Träumer.

Kommen Sie, sagte er, indem er aufstand. Ich habe Sie unverantwortlich lange hier aufgehalten. Sie müssen nach Hause, wenn Sie nicht noch ein Sturzbad genießen wollen. Auch ist die Geschichte ja zu Ende.

Ihr armer Freund hat es nicht überlebt? fragte ich.

O doch. Wenn das ein Leben heißt, was er noch mehr als sechs Jahre so fortgefristet hat. Hier in seinem Hause. Ich hatte mir's ausgewirkt, zu ihm zu ziehen und ihn zu pflegen und zu bewachen. Das geistliche Gericht schien sich zuerst den merkwürdigen Casus nicht gern entgehen zu lassen, und etliche Teufelsbeschwörer zeigten nicht übel Lust, ihre Talente an dem Aermsten zu probiren. Aber da er so ganz unschädlich sie anlächelte und auf keine verfängliche Frage mehr antwortete, ließ man ihn endlich von Clerus wegen in Ruhe. Nach und nach verlor er die Sprache ganz, auch mir antwortete er nur noch mit Zeichen und Geberden, war aber stets erfreut, mich um sich zu haben, und legte manchmal seine schmale, kühle Hand liebkosend auf meinen Arm. Den ganzen Tag aber war er fleißig, immer beschäftigt, jenes große Teufelscrucifix in kleinerem Maßstabe von Neuem zu schnitzen, unglaublich erfinderisch in den reizendsten Variationen der weiblichen Gestalt. Wenn er dann wieder so ein Figürchen fertig hatte und ein Stämmchen dahinter geleimt, stellte er es ein paar Stunden lang auf eine Kommode in seinem Zimmer und ein paar brennende Kerzen daneben.

Waren die tief herabgebrannt, so trug er das Schnitzwerk sammt den Lichtstümpfchen in den Hof, wo er ein Scheiterhäufchen zusammenschichtete. Darauf legte er das kleine Crucifix und wohnte der Verbrennung andächtig mit gefalteten Händen bei.

Und am nächsten Morgen begann er ein neues.

Sie können wohl denken, daß ich mir die unsäglichste Mühe gab, ihm diese Arbeiten aus den Händen zu stehlen; es war Jammerschade um soviel herrliche Kunst. Aber so arglos er sonst war, in diesem Punkte war er nicht zu überlisten. Er nahm die angefangene Arbeit mit in sein Bett und, wie gesagt, die fertige vernichtete er sofort. Nur daß ich ihm zuschaute, erlaubte er, und wenn ich ihn lobte, schien er große Freude daran zu haben.

Eines Morgens aber, als er später als sonst nichts von sich hören ließ und ich endlich an sein Bette trat, ihn zu ermuntern, lag er im letzten Schlaf ausgestreckt mit verklärtem Antlitz, die Augen weit offen vor sich hinstarrend, in den gefalteten Händen seine letzte Arbeit, ganz wie ein gottseliger Christ beim Verscheiden sich an sein Crucifix anklammert.

Dies eine hab' ich ihm aus den Händen winden können; es wäre ein neues Aergerniß gewesen, wenn ich ihn so hätte in den Sarg legen wollen. Warten Sie, das sollen Sie noch zu sehen bekommen.

Er ging rasch ins Haus, und nach einer kurzen Weile öffnete er das Fenster im Erdgeschoß, vor welchem wir gesessen hatten, und reichte mir das wundersame Schnitzwerk hinaus. Ich habe nie ein Werk der Renaissancezeit aus ihrer edelsten Blüte in Händen gehalten, das mit feinerem Kunstverstande und glücklicherer Naturauffassung den Körper einer schönen Frau dargestellt hätte. Auch der Ausdruck des Köpfchens, das nur wie eine Wallnuß groß war, hatte den bezaubernden Reiz, von dem der alte Herr gesprochen: die Lippen schienen zu athmen, die halbzugedrückten Augen einen bethörenden Blick des Schmachtens und Triumphirens zugleich zu entsenden. Ueber den ausgestreckten Armen des kleinen Fruchtbaumes aber war selbst in diesem Miniatur-Format das Täfelchen nicht vergessen, mit weißer Farbe bestrichen und mit rothen zierlichen Pinselstrichen daraufgemalt die bedeutsamen Lettern:

F. V. R. I. A.

 

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