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Donna Lionarda.

(1893.)

 

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Drei Wegstunden südlich von Parma, an den sanften Abhang des Apennin angelehnt, liegt in großer Einsamkeit ein unscheinbarer Flecken, der vor Zeiten ein blühendes Städtchen gewesen sein mag, heut aber, obwohl noch etliche zweistöckige Häuser ihre verwitterten Dächer über die armseligen Hütten emporheben, zu einem weltvergessenen Paese herabgesunken ist. Der einzige begüterte Mann des Orts, der die Würde des Podestà bekleidet, hat es nicht durchzusetzen vermocht, daß der Schienenweg, der von Parma aus ins Gebirge gelegt wurde, die Richtung über sein Gebiet nahm, statt über das wenige Stunden entfernte Collecchio. Seitdem haben sich die Insassen der kleinen grauen Häuser, die schon in besseren Zeiten nie durch sonderliche Betriebsamkeit sich hervorgethan hatten, mit stumpfsinniger Gelassenheit in ihr Schicksal ergeben, wie zum Tode Verurtheilte ihre letzten Tage zuweilen in einer Art dumpfen Behagens verbringen. Solange der Ertrag der Olivenernte reicht, der einzigen Cultur, der sie noch obliegen, da die Halden hinter ihren Häusern viele Meilen weit mit einem der Gemeinde gehörenden uralten Oelwalde bedeckt sind, erfreuen sie sich eines bescheidenen Wohllebens, gehen pünktlich in die Messe, heirathen und lassen taufen, um dann den magern Rest des Jahres an ihren kalten Feuerstätten zu verträumen, auf die schlechten Zeiten und ihren Podestà zu schimpfen und in die öde Ebene hinauszustarren, wo aus Mangel an Vieh und Geräth ihre Felder unangebaut verwahrlosen.

In ihrer üblen Gewohnheit, sich nicht zu rühren, sondern die Dinge gehn zu lassen, wie es Gott nun einmal zu gefallen scheint, machte diese trägen Familienväter auch das gute Beispiel nicht irre, das sie ganz in der Nähe gehabt hätten, wenn sie die Augen nur darauf hätten hinlenken wollen. Denn keine hundert Schritt von der letzten zerfallenden Steinhütte des Orts entfernt liegt ein Landhaus, vor dem sich wohlbestellte Mais- und Hirsefelder ausbreiten, dazwischen sogar Rebenpflanzungen, die doch sorgsamer Pflege bedürfen, weiter hinaus, bis hinab zu dem Flüßchen Baganza, das freilich im Hochsommer völlig versiegt, Wiesengebreite, auf denen über Tag, wenn sie nicht im Pfluge gehen oder beladene Wagen einzufahren haben, zwei starke Ochsen weiden und eine große gelbliche Kuh mit weitgeschwungenen Hörnern. Das Haus selbst, bis zu welchem an der Südseite der Oelwald hinabsteigt, ist ein leidlich erhaltenes Gebäude, über dessen Erdgeschoß sich ein luftiges oberes Stockwerk erhebt. Eine Loggia auf zierlichen alten Steinsäulen schaut nach Norden in den kleinen Garten hinab, wo neben Rosenbüschen allerlei Küchengewächse, Artischocken, Blumenkohl, Finocchio und hochrankende Bohnen gedeihen, während zwischen den Säulen der Loggia Granatbäumchen und Oleandersträuche ihre glühendrothen Blüten im Winde hin und her schwanken lassen.

Seit zwölf Jahren wohnte in diesem Hause die Wittwe eines piemontesischen Generals, der noch in späten Jahren ein schönes blutjunges Mädchen geheirathet und dieses Landgut bald nach der Hochzeit erworben hatte, um seiner angebeteten jungen Frau, die ihn vermutlich lange überleben würde, einen anständigen Wittwensitz zu sichern. Eifersucht, da sie von großer Schönheit war, mochte dazu mitgewirkt haben, daß er, um sein spätes eheliches Glück nicht in den vielfach wechselnden Garnisonen allerlei Gefahren auszusetzen, bei Zeiten seinen Abschied genommen und sich in diesen ungeselligen Weltwinkel zurückgezogen hatte. Hier ließ er es sich angelegen sein, das sehr heruntergekommene Besitzthum wieder in die Höhe zu bringen. Das Haus wurde gereinigt und anständig möblirt, soweit es nach italienischen Begriffen nothwendig schien, die Felder und die Oliveta hinter dem Hause einem Pächter übergeben, der in einem niederen Wirthschaftsgebäude nahebei mit Kindern und Knechten seine Wohnung fand, und mit der Pflege des Gartens füllte der alte Soldat selbst seine Mußestunden aus, öfters an berühmte antike Heerführer erinnernd, die in ihren letzten Jahren nur noch den Ehrgeiz gehegt hatten, den besten Kohl zu bauen.

Ob die junge Frau doch noch andere Wünsche nährte, als den Ruhm einer musterhaften Landwirthin und treuen Gattin zu ernten, wurde nie bekannt. Sie zeigte wenigstens stets ein zufriedenes Gesicht, das ein sonniger Strahl von Glück verklärte, wenn sie auf der Loggia sitzend ihre beiden Kinder mit dem Babbo unten im Garten hin und her laufen und beim Begießen der Beete und Jäten des Unkrauts ihm an die Hand gehen sah. Sie selbst war trotz ihrer schlanken Jugend keine Freundin einer rührigen Thätigkeit, sondern liebte es, von ihrem bequemen Sessel aus droben im luftigen Oleanderschatten ihr kleines Reich zu regieren, wobei ihr die alte Magd, die sie aus dem Elternhause mitgebracht hatte, getreulich zur Seite stand. Nur manchmal, an schönen Sommerabenden, wenn der Tag sich verkühlte und ihr Gatte die Kleinen zu einem Spaziergang mit in den Oelwald hinaufgenommen hatte, und ringsumher tiefe Stille war, bis auf den scharfen eintönigen Ruf der Cicaden, fand die alte Caterina ihre Herrin droben auf der Loggia in tiefe, schwermüthige Träumerei versunken, mit halb geschlossenen feuchten Augen gegen den leeren, silbergrauen Himmel starrend, den rothen jungen Mund wie dürstend nach einer beseligenden Erfrischung geöffnet, während der Busen in heimlichem Kampf mit ungestillter Sehnsucht sich aufbäumte. Dann schlich die Alte auf den Zehen wieder hinab, für sich seufzend und den Kopf schüttelnd, da sie ihrer sehr geliebten Herrin wohl ein besseres Loos gewünscht hätte, als ihre schönsten Jahre in dieser Abgeschiedenheit an der Seite eines grauhaarigen Invaliden zu vertrauern.

Diesem entsagungsvollen Leben schien endlich ein Ziel gesetzt, als der General einem Schlaganfall erlag, mitten unter den Pflanzungen seines Gartens, da er eben in der Juliglut die Beete bewässerte. Der Knabe Marcello war vor kurzem neun Jahr alt geworden, sein Schwesterchen Bice um drei Jahr jünger. Daß die schöne Mutter, die das siebenundzwanzigste Jahr noch nicht überschritten hatte, sogleich nach absolvirtem Trauerjahr das einsame Landhaus verlassen und sich in einer der größeren Städte niederlassen würde, bezweifelte keiner der Nachbarn in dem geschwätzigen Nest, wo man sich viel mit Donna Lionarda's Thun und Treiben beschäftigte; immer im Guten, da man ihren seltenen Liebreiz sowie ihre Tugenden bewunderte. Auch hätte vom Podestà und Pfarrer bis zum ärmsten Taglöhner herab Niemand etwas Befremdliches dabei gefunden, wenn sie, noch ehe Marcello das zehnte Jahr erreicht, zu einer neuen Ehe geschritten wäre.

Desto größer war das Staunen, als Jahr um Jahr verging, ohne daß die Wittwe die geringste Lust zu einer Veränderung ihrer Lage bezeigte. Gleich nach dem Tode ihres Gemahls, der ihr allen Einblick in seine Vermögensverwaltung fern gehalten, hatte sie in Gemeinschaft mit dem Pächter einen Ueberschlag über ihre Einkünfte gemacht und erkannt, daß der Ertrag des Gutes nebst den Zinsen ihres eigenen kleinen Vermögens gerade nur hinreichte, ihren Kindern eine gute Erziehung, der Tochter eine bescheidene Ausstattung zu geben, vorausgesetzt, daß sie in dieser anspruchslosen Ländlichkeit ihr Leben fortführte und dem lockenden Traum ein für allemal entsagte, das Licht ihrer reizenden Jugend nicht länger unter den Scheffel zu stellen.

Ob dieser tapfere Entschluß ihr nicht in manch einsamer Nacht sehr verzeihliche Thränen gekostet habe, gestand sie nicht einmal ihrer vertrauten alten Dienerin. Nur als sie ihren Liebling und ihr Ebenbild, den Knaben Marcello, umarmte, ehe sie ihn in Parma dem Professor des Gymnasiums übergab, bei dem er wohnen sollte, übermannte sie ein so fassungsloser Schmerz, daß der Knabe, der leidenschaftlich an ihr hing, selbst ganz in Thränen aufgelös't war und nur schwer sich von ihrem Halse losreißen ließ.

Seitdem besuchte er sie nur zweimal im Jahr in den Ferien, während sie keinen Fuß in die Stadt setzte, vollauf beschäftigt mit der Bewirthschaftung des Gutes, die sie dem Pächter entzogen und unter Beistand eines Verwalters selbst in die Hand genommen hatte.

Daneben blieb ihr jedoch noch Zeit, die kleine Bice zu unterrichten in dem Wenigen, was man sie selbst hatte lernen lassen: Lesen und Schreiben, ein nothdürftiges Französisch und Gesang zur Guitarre. Das Kind, das äußerlich dem Vater nachartete, war ein zartes, schmächtiges Pflänzchen ohne andern Reiz als ein Paar großer, sinniger grauer Augen und einem Mündchen, das beständig von heiterer Güte belebt schien. Es war ein schweigsames kleines Geschöpf, machte sich gern in Haus und Garten zu thun, spielte mit dem Hündchen und den Hühnern, die über dem Stall des Verwalters ihr Nest hatten, und wenn es in einem sauberen bunten Kleide, ein rothes Band auf dem Strohhut, Sonntags mit der schönen Mutter in die Kirche ging, strahlte es alle Menschen, die ihm begegneten, so unschuldig in seinem Gott vergnügt an, als finde es sich selbst beneidenswerth und könne nicht genug darauf denken, wie es sich für all seine Freuden dankbar beweisen möchte.

Die Mutter blickte ernst vor sich hin und erwiderte den Gruß der Nachbarn nur mit einem zerstreuten Neigen des Kopfes. Sie verkehrte mit Niemand, hatte zwar den Besuch der Frau des Podestà erwidert, eine spätere Einladung jedoch abgeschlagen und den jungen Arzt, der sich zu einer förmlichen Werbung verstieg, mit einem höflichen Korbe heimgeschickt.

Zweimal in der Woche wanderte der siebzigjährige Pfarrer nach der Villa, um dem Töchterchen der Donna Lionarda Unterricht in der Religion zu geben. Er blieb dann zuweilen zum Nachtessen bei der Mutter, woran sich hin und wieder sogar eine Partie Briscola oder Tresette schloß. Um Neun aber war er regelmäßig wieder zu Hause.

Hieran änderte sich auch nichts, als Marcello die Schule hinter sich hatte und, da er dem väterlichen Beruf folgen sollte, in das Regiment eingetreten war, das in Parma in Garnison lag. Nur daß die Mutter, um ihren Sohn unter seinen Kameraden keine zu kümmerliche Figur machen zu lassen, sich selbst und ihre Tochter noch mehr als früher in Kost und Kleidern auf das Nothwendigste beschränkte und die Zügel des Haushalts straffer anzog, als es selbst ihrer treuen Dienerin zweckmäßig erschien. Daß sie dadurch bei den Leuten im Ort, die von der Hand in den Mund lebten, in den Verdacht des Geizes gerieth, bekümmerte sie wenig. Wenn ihr schöner junger Sohn in seiner schmucken Lieutenantsuniform auf Urlaub bei ihr zu Besuch war, wurde in Küche und Keller nichts gespart, und den Pferden, die der Jüngling ritt, durfte an Sattel und Zaumzeug nichts abgebrochen werden, um etwa der kleinen Bice ein besseres Kleid oder der Mutter einen neuen Mantel zu schaffen.

Marcello, der einen feinen Verstand und ein zärtliches Herz hatte, erkannte die mütterliche Entsagung zu seinen Gunsten in ihrem vollem Werth, ließ sie sich aber, da er sich bewußt war, von dieser Güte keinen Mißbrauch zu machen, sorglos gefallen, zumal er Mutter und Schwester stets mit heiteren Gesichtern ihm entgegenkommen sah, als ob ihnen auf der Welt nichts zu wünschen bliebe, als immer auf ihn stolz sein zu dürfen und seines Anblicks nur etwas länger froh zu werden. Kehrte er dann zu seinen Kameraden zurück, so folgte ihm die Erinnerung an die beiden theuersten Menschen, die er besaß, so beharrlich, daß ihn das Leben in der Garnison mit seinen wilden Vergnügungen gegen die bescheidenen ländlichen Freuden sehr unerquicklich dünkte, bis die tägliche Gewohnheit wieder ihre Macht übte. Doch blieb ihm eine gewisse keusche Zurückhaltung eigen, die ihm unter der flotten Kameradschaft den Beinamen la Zitella, das Jüngferchen, eintrug. Ein paar flüchtige Liebschaften abgerechnet, die mehr sein Herz als seine Sinne berührten, hielt er sich den Weibern fern, nicht aus grundsätzlicher Tugendhaftigkeit, sondern weil er, so oft eine Versuchung an ihn herantrat, neben das betreffende weibliche Wesen die Gestalt seiner Mutter stellte, die ihm der Inbegriff aller leiblichen und seelenhaften Reize war, so daß die lachenden Augen und feurigen Blicke der schönen Parmeserinnen, die ihm unzweideutige Zeichen ihrer Gunst gaben, an dem sonderbaren jungen Krieger ihre Liebesmühe verloren geben mußten.

Dies bewahrte ihn auch vor allerlei Aufwand, der mit seinen mäßigen Mitteln nicht zu bestreiten gewesen wäre, und nur der Ehrgeiz, das schönste und feurigste Pferd zu reiten, brachte ihn manchmal dahin, von der Mutter einen Zuschuß zu erbitten, den sie nur mit einem stillen Seufzer aufzubringen vermochte, doch nie verweigerte. In dem Brief, mit dem sie das Geld begleitete, ließ sie dann höchstens eine Klage über den geringen Ausfall der heurigen Ernte einfließen, oder erwähnte, daß am Hause des Fattore eine ansehnliche Reparatur nöthig geworden sei. Der Sohn verstand ihre leise Mahnung wohl und machte sich Vorwürfe, die Sorgen dieser vergötterten Frau noch vermehrt zu haben. Er sparte sich dann von seinem Solde so viel ab, um der Mutter bei seinem nächsten Besuch einen kleinen Schmuck und dem Schwesterchen etwas zu ihrem Putz mitbringen zu können, was in der Stadt gerade Mode war.

Dies hatte er wieder einmal gethan, als er in einer Frühlingsnacht sich anschickte, den Urlaub von etlichen Tagen, den er sich erwirkt, zu einem Besuch bei den Seinigen zu benutzen. Seit dem October des vergangenen Jahres war es zu keinem Wiedersehen gekommen, da um Neujahr, wo er sonst im Hause der Mutter nie gefehlt, ein leichtes Unwohlsein und später der Dienst ihn zurückgehalten hatte. Jetzt, gegen Ende des April, war eine so schwüle Witterung hereingebrochen, daß er sich aus seinem dumpfen Kasernenzimmer unwiderstehlich in die kühlere Region seines ländlichen Mutterhauses hinaussehnte. Zudem hatte man ihn über den Winter mit Briefen etwas kürzer gehalten, als sonst. In den Worten der Mutter glaubte er eine geringere Zärtlichkeit zu spüren, auch nicht die gewohnte Sehnsucht nach einem baldigen Besuch, und Bice vollends hatte ihn fast gänzlich vernachlässigt. Ja es schien ihm aus ihren spärlichen Zettelchen hervorzugehen, daß ihr siebzehnjähriges Herz jetzt wichtigere Angelegenheiten habe, als sich um den entfernten Bruder zu bekümmern. Da mußte er doch einmal nach dem Rechten sehen.

*

Es war spät geworden, als er sein Pferd bestieg und den kleinen Mantelsack, der die Geschenke barg, hinten auf den Sattel schnallen ließ. Das Benefiz einer jungen Schauspielerin, der die ganze Garnison zu Füßen lag, hatte ihn beinah bis an die Mitternacht festgehalten. Da sich aber die Straße, die ihn in die Heimath führte, durch schattenlose Gegenden hinzog, war es ihm gerade recht, die zwei Stunden in der kühlen Mondnacht zurückzulegen. Während er in der zauberischen Helle, die sich wie ein silberner Schleier über das weite Firmament breitete, auf seinem edlen Thier dahin trabte, eine Cigarre zwischen den Zähnen, ringsum kein Laut, als das Klappern seiner Säbelscheide gegen den Steigbügel und das leise Schnauben aus den Nüstern des Pferdes, war sein Herz voll fröhlicher Gedanken. Er stellte sich die Ueberraschung vor, mit der am Morgen – denn er hatte sich nicht angekündigt, und den Schlaf der Mutter heut noch zu stören fiel ihm nicht ein – die schöne, geliebte Frau ihn begrüßen würde und die großen Augen der Bicetta, wenn er ihr das seidene Kapuzenmäntelchen für Regentage, das er ihr mitbrachte, um die schlanken Schultern hüllen würde. In Gedanken durchlebte er rasch all die letzten Jahre, in denen ihm die liebevollste aller Mütter tausend Beweise der unermüdlichsten, selbstlosesten Güte gegeben hatte, und sein Herz schwoll bis zum Ueberfließen von ehrfürchtiger Dankbarkeit, daß ihm die Augen feucht wurden und er eine Weile in tiefe Träumerei versank. Erst als sein Pferd sich die selbstvergessene Stimmung seines Reiters zu Nutze machte und auf der steinigen Chaussee in ein nachlässiges Schlendern verfiel, besann er sich, daß er ein weites Ziel vor sich hatte, und trieb das Thier zu scharfem Ausgreifen an.

Es schlug zwei Uhr auf dem alten Thurm des Kirchleins, als er, um eine Krümmung der Straße biegend, das weite Thal, darin er geboren worden war, im Mondenglanz vor sich liegen sah. Nirgends regte sich ein Lebendiges, nur die Wellen des Flüßchens, die zwischen dem Geröll des seichten Bettes geräuschlos dahinsickerten, warfen spielende Lichter gegen das graue Ufergestein. Die Gegend schien durch einen Zauber in so tiefen Schlaf versenkt, daß nicht einmal ein Hund in einem der niederen Häuschen sich rührte, als der klappernde Hufschlag auf der breiten Straße mitten durch den Ort erklang. An dem stattlichen Hause des Podestà auf der Piazza waren alle Fenster geöffnet, die Nachtkühle hereinzulassen, doch auch hier schienen alle Gemächer ausgestorben. Schier unheimlich sahen den einsamen Reiter die Wohnstätten all der Menschen an, mit denen er von der Knabenzeit her vertraut gewesen war. Er eilte, aus ihrem Bereich herauszukommen. Und drüben an den laubreichen Abhängen glänzte ihm das weiße Haus entgegen, das Alles umfaßte, was seinem Herzen theuer war.

Die Straße lief an dem vorderen, nach Norden gelegenen Portal des Gartens vorbei, das durch ein altes Eisengitter zwischen zwei hohen steinernen Pfeilern geschlossen und von schildhaltenden Wappenlöwen bekrönt war. Hier hielt der Reiter einen Augenblick an und sah über den Garten hinweg nach der Loggia im ersten Stock, zu der ein Steintreppchen außen an der Mauer hinaufführte. In dem Eckzimmer zur Linken schlief die liebe Frau, die er am liebsten sofort angerufen und an sein Herz gedrückt hätte. Ihr Fenster war nur angelehnt, seine Stimme hätte sie gewiß erreicht. Er bezwang aber sein Herz und ritt weiter, nach dem Gehöft, das sich auf der Ostseite an den Garten anschloß. Hier empfing ihn der Hofhund Lampo, dessen freudiges Gebell er mit einiger Mühe beschwichtigte. Es war ihm lieb, daß keiner der Knechte oder der Verwalter selbst durch den Lärm des Hundes aufgestört wurde. Sachte stieg er vom Pferd, führte das schweißbedeckte Thier ein Weilchen im Hof herum und rieb es mit einer Decke ab, die er auf einem Karren fand. Dann öffnete er leise den Riegel an der Stallthüre und sorgte drinnen, nachdem er das Pferd zu den Rindern gestellt und eine Rampe mit Futter gefüllt hatte, daß es auch eines Trunkes nicht entbehrte. Erst als dies Alles beschickt war, verließ er das Gehöft, um nun auch seinerseits noch einige Stunden Schlaf zu genießen.

Er betrat jetzt den schmalen Weg, der im Olivenschatten längs der alten Gartenmauer hinlief. In dieser öffnete sich eine kleine Pforte, durch die man vom Garten aus in den sanft ansteigenden Oelwald gelangte. Sie pflegte bei Nacht verschlossen zu sein. Wer aber den Vortheil kannte, durfte nur die Hand durch das Holzgitter stecken, um den schweren Riegel auch von außen zurückzuschieben, wenn er sich nicht über eine der niedrigeren Stellen der mannshohen Umfriedung schwingen wollte, wo die unregelmäßigen Feldsteine aus den Fugen gewichen waren. Als Knabe, wenn der Sohn des Hauses sich bei seinen Streifereien verspätet hatte, pflegte er diesen Weg vorzuziehen. Heute, vom Ritt ermüdet, schritt er auf das Pförtchen zu. Aber das Geräusch hastiger Schritte, die drinnen im Garten sich der Mauer näherten, machte ihn plötzlich erstarren. Wer konnte zu dieser unheimlichen Stunde in dem friedlichen Bezirk, der bisher nie einen Dieb gelockt hatte, sich zu schaffen gemacht haben? Mit klopfendem Herzen wich er lautlos zurück und schmiegte sich hinter einen dichten Strauch, der bis zum Gesims der Mauer seine Zweige verschlungen hatte. Er fühlte nach dem Revolver in seiner Tasche. Wenn ein Räuber eingedrungen wäre? – Aber schon wurde das Pförtchen sacht geöffnet, und eine hohe Männergestalt trat heraus, die Thüre hinter sich wieder ins Schloß drückend.

Nein, ein Landstreicher, der die nur von Frauen bewohnte Villa zu plündern unternommen hätte, war dieser nächtliche Eindringling nicht. In dem Mondenzwielicht, das durch die Latten der Thür ihm nachdrang, ließ sich der Hut und der Anzug des Mannes erkennen, die auf einen modisch gekleideten Spaziergänger deuteten. Auch beeilte er sich nicht, eine Beute, die er etwa gemacht, in Sicherheit zu bringen. Vielmehr blieb er auf dem schattigen Wege gelassen stehen, zog ein silbernes Büchschen mit Cigarretten aus der Tasche und machte sich daran, eine derselben anzuzünden. In dem Augenblick, da die aufblitzende Flamme des Wachskerzchens das Gesicht des Fremden roth anglühte, fuhr Marcello zusammen. Unwillkürlich trat er einen Schritt vor, blieb aber, sich gewaltsam bezwingend, regungslos stehen. Der Andre hatte nach der Stelle geblickt, von der das kurze Geräusch herkam. Als er im Schatten des Gesträuchs nichts Verdächtiges wahrnahm, wandte er sich wieder ab, setzte die Cigarrette vollends in Brand und schlug dann geradeaus den schmalen Pfad ein, der durch die Oliveta über den Hügel hinweg nach dem im Mondlicht ruhenden Flecken führte.

Mit einem tiefen Athemzug versuchte Marcello die Last abzuwälzen, die auf seine Brust gefallen war. Dieser Mensch – zu dieser Stunde – an diesem Ort! Was hatte er gewollt? Was konnte er wollen, als nur das Eine, was er in hundert nächtlichen Abenteuern gesucht und gefunden hatte? Kannte ihn der Jüngling nicht? Hatte er ihn nicht an manchem Abend bei gemeinsamem Wachtdienst von den Listen und Wagnissen prahlen hören, mit denen der verwegene Frauenheld sich in Häuser eingeschlichen hatte, die weit besser bewacht waren, als das abgelegene Landhaus dieser Frau, die für ihr unschuldiges junges Kind keinerlei Gefahr befürchtete?

Wie aber hatte er in den Frieden eines solchen Hauses sich einschleichen können, dieser Sandro Marchetti, dessen Ruf Frau Lionarda nur allzu gut bekannt war, da sein eigener Vater, der Podestà des Orts, oft genug über den verlorenen Sohn sich bitter beklagt hatte? Etwa fünf Jahre älter als Marcello, war er diesem schon in der Knabenzeit als abschreckendes Beispiel vorgehalten worden, da er mit seinen wilden Streichen sich berüchtigt machte, allerlei Schabernack trieb und Unfug anstellte und früh genug auch den jungen Dirnen nachging, die ihm wehrlos ins Netz fielen. Denn er war von ungewöhnlich einnehmender Gestalt, mit einem Gesicht, das trotz einiger Blatternarben einen eigenen Reiz hatte durch die sorglose Keckheit, mit der die schwarzen Augen umherblickten, und den siegesgewissen Hohn, der den lachenden Mund umspielte. Dazu kleidete er sich mit nachlässiger Zierlichkeit, und da sein Vater ihn verzog, fehlte es ihm nicht an Geld, mit dem er sich unter der Dorfjugend einen zu allen übermüthigen Streichen verbündeten Anhang warb. Es hatte nichts geholfen, daß der Vater, als ihm über das schlimme Früchtchen die Augen aufgingen, den Sechzehnjährigen zu einem Handelsfreunde in Livorno in die Lehre gab, der ihn streng zu behüten und zur Arbeit anzuhalten versprach. Nur ein Jahr war er dort geblieben und der verhaßten Zucht alsdann entlaufen. Wo er sich die nächste Zeit herumgetrieben, da der Vater die Hand von ihm abgezogen hatte, war nie bekannt geworden. Erst als die Verpflichtung zum Militärdienst an ihn herantrat, hatte er sich in seinem Geburtsort wieder eingefunden, in heruntergekommenem Aufzuge, doch mit ungebeugtem Trotz gegen Alles, was guten Bürgern heilig ist. Die letzte Hoffnung des Vaters war, daß die harte Schule des Soldatenlebens den sittenlosen Jüngling bessern werde. Und in der That schien es dahin kommen zu sollen. Sandro hielt sich während der ersten Jahre, da ihm das Waffenhandwerk gefiel und er auf rasche Beförderung zählte, musterhaft, so weit das Auge seiner Vorgesetzten reichte. Kaum aber war er zum Offizier vorgerückt, so schien er keinen höheren Ehrgeiz zu haben, als es in allen freien und frechen Künsten seinen Kameraden zuvorzuthun.

Damals war es, als Marcello seinem Landsmann wieder begegnete, nicht zu seiner sonderlichen Freude. Auch Sandro schien es nicht erwünscht, diesem Zeugen seiner Knabenstreiche wieder in die Augen sehen zu müssen. Er behandelte ihn mit ausgesuchter Geringschätzung, und den Spitznamen des »Jüngferchens« brachte er ihm auf. Da auch Marcello, trotz seiner gelassenen Gemüthsart, den tiefen Widerwillen nicht verhehlte, den ihm der hochmüthige Waffengefährte einflößte, so wäre es über kurz oder lang zwischen Beiden zu einem blutigen Austrag ihrer verhaltenen Feindschaft gekommen, wenn Sandro in Folge eines dreisten Liebeshandels mit der Frau seines Obersten und einiger Unregelmäßigkeiten im Dienst sich nicht gezwungen gesehen hätte, seinen Abschied zu nehmen, mit genauer Noth wenigstens der schimpflichen Cassation entgangen.

Er blieb hierauf allen seinen Bekannten längere Zeit verschollen. Im vorigen Sommer war er dann in den Bädern von Lucca aufgetaucht, wo er durch waghalsiges Hazardspiel und die Gunst einer reichen Amerikanerin Aufsehen erregt hatte. Es hieß, er sei ihr über den Ocean gefolgt. Und doch war sein verhaßtes Gesicht, noch immer so ruchlos verführerisch wie früher, in diesem nächtlichen Schatten vor dem Jüngling aufgeleuchtet, der ihn viele hundert Meilen entfernt geglaubt hatte?

Wie kam er hierher? Seit wann machte er seine heimathliche Gegend wieder unsicher? Niemals hatte Frau Lionarda in den Briefen an ihren Sohn seinen Namen genannt. Und das Schwesterchen, das sonst so gern von den kleinen Neuigkeiten ihres einförmigen Lebens plauderte, – aber hatte nicht gerade ihre Einsilbigkeit dem Bruder zu denken gegeben, einen losen, leichten Verdacht – der sich nun so furchtbar bestätigte? Sandro und seine süße kleine Bicetta – die Taube in den Fängen des Habichts – Marcello überlief ein eisiger Schauer, als er alle Umstände zusammenhielt und nichts fand, was seinen Argwohn entkräften konnte.

Er empfand es als eine tiefe Beschämung, als er von der ersten Betäubung zu sich kam und sich fragte, warum er dem sorglos Davonschlendernden nicht nachgestürzt sei und ihn zur Rechenschaft gezogen habe. Dann, als er schon einige hastige Schritte den Abhang hinauf gethan, kehrte er wieder um und sagte sich, daß er jede Uebereilung, die eine geheime Schmach vielleicht ans Licht ziehen würde, zu vermeiden habe. Er ließ den Revolver in seine Brusttasche zurückgleiten und ging langsam mit wankenden Schritten auf das Mauerpförtchen zu, öffnete es und näherte sich durch den taghellen Garten der dunklen Hinterseite des Hauses. Den Schlüssel zu der Hausthüre hatte er von dem Ring niemals abgelös't, an dem die übrigen befestigt waren. So schloß er auf und trat in den dunklen Hausflur.

Kein Strahl des Mondes drang hier herein. Er bedurfte aber keines Lichtes, um sich zurechtzufinden. Links neben dem Eingang lag die Küche, daneben die Kammer der alten Dienerin. Doch hätte sie den Räuber, wenn er die Treppe heruntergeschlichen und hier vorbei gekommen wäre, nicht gehört, obwohl die Thüre offen stand. Denn mit den Jahren hatte die wackere Haushüterin sich immer wehrloser ihrer einzigen Leidenschaft, außer der Liebe zu ihrer Herrschaft, ergeben und, wenn sie die Hausthür geschlossen, sich mit einem vollen Kruge des rothen Weins, der an der Halde wuchs, an den Herd gesetzt, bis ihr die Sinne taumelten und sie eben noch den Weg in ihre Kammer fand. Auch heute klangen ihre tiefen, röchelnden Athemzüge durch das stille Haus, zur Gesellschaft der alten Uhr, die im Dunkeln ihren Pendel rasselnd hin und her schwang und jetzt aussetzte, um drei harte, klirrende Schläge zu thun.

Marcello fuhr zusammen, als ob eine lebendige Stimme ihn angerufen hätte: warum er erst komme, da es zu spät und die Ehre dieses Hauses schon verloren sei? Er tappte sich dann nach rechts zu einer Thüre hin, die in das Zimmer führte, in welchem er zu hausen pflegte, wenn er zum Besuch kam. Vor Zeiten hatte es seinem Vater zum Arbeitszimmer gedient und war bis auf eine eiserne Bettstatt noch mit den alten Möbeln versehen, dem kleinen Bücherbord, dem Schreibtisch und der Waffensammlung des alten Herrn. Da Niemand es betrat, wenn der Sohn fern war, schlug Marcello eine dumpfe Moderluft entgegen, als er über die Schwelle schritt. Er riß das Fenster auf, das nach Osten ging und aus dem man in der Ferne den Campanile des Kirchleins aufragen sah. Dann sank er auf den Sessel daneben, riß die Uniform auf, die ihm Brust und Hals einschnürte, und überließ sich, ohne einen festen Gedanken zu fassen, dem wilden Sturm seiner Schmerzen.

Was sollte er beginnen? Wohin er blickte, war's das gleiche hoffnungslose Elend. Wenn er den Ehrlosen zwang, dem unseligen betrogenen Mädchen seine Hand zu reichen, war ihr Leben nicht ebenso verloren, an einen Gatten, der nur Schande über das Haus bringen konnte? Und wenn er die Schuld und Schmach seiner Schwester mit dem Blut des Verführers sühnte, konnte dadurch, was geschehen war, aus der Welt geschafft, die geknickte junge Blüte wieder aufgerichtet werden?

So saß er, Thränen der Wuth und Scham in den überwachten Augen, am offnen Fenster, bis die Hähne drüben im Gehöft zu krähen anfingen. Dann warf er sich in den Kleidern, wie er war, auf das Bette und schloß erst die schmerzenden Augen, als das Frühroth sich ins Zimmer stahl.

*

Spät fuhr er aus einem wilden Traum in die Höhe und blickte verstört um sich. Es war heller Tag im Zimmer, vor seinem Lager stand ein zartes, schlank aufgeschossenes Mädchen in einem leichten Morgenkleid, die blonden Haare fielen ihr tief über die Schultern herab. Sie lachte über das ganze Gesicht, während sie sich zu ihm hinabbeugte und seinen Kopf zwischen die kühlen, feinen Hände nehmend ihn auf die Stirn küßte.

Marcello! rief sie mit einem hellen Stimmchen, das weich und zärtlich klang, bist du's wirklich? Hast dich eingeschlichen wie ein Dieb in der Nacht und ohne eine Erquickung nach dem Ritt dich schlafen gelegt, armer Bruder? Und ich wäre so leicht zu wecken gewesen, ich schlafe ja über dir und hatte auch das Fenster offen; nur meinen Namen hättest du rufen sollen, so hätt' ich dich gehört und wäre zu dir hinuntergekommen, und wir hätten noch ein Weilchen geplaudert. Die Mamma hätten wir ruhig schlafen lassen. O Marcello, ich bin nicht mehr so ein schlafseliges Ding, wie sonst. Zumal wenn der Mond scheint, liege ich oft stundenlang wach und denke – denke – so hübsche Sachen, Bruder, wie du dir gar nicht vorstellen kannst. Denn du weißt ja noch nicht – aber was hast du? Du siehst mich ja gar nicht so lustig an, wie sonst, deine Augen sind ganz trübe – Herrgott, du bist ja noch in den Kleidern – bist du krank, Marcello? Soll ich die Mamma rufen oder zum Arzt schicken?

Sie war vor ihn hingekniet und sah ihm ängstlich forschend von unten auf in das Gesicht, das er auf die Brust hatte sinken lassen. War es denn möglich? Dies liebe Wesen, das so unschuldig wie ein junger Vogel ihm den Morgengruß vorzwitscherte – und die nächtliche Begegnung – wie konnte er's zusammenreimen? Wenn es doch eine Sinnestäuschung, ein Spuk der Phantasie gewesen wäre?

Er betrachtete sie, wie sie so vor ihm kniete, indem er ihr sacht mit der Hand das Haar aus der etwas zu hohen Stirne strich. Bice, sagte er mit heiserer Stimme, sorge dich nicht um mich. Es ist wahr, ich bin nicht ganz so lustig, wie sonst. Allerlei Aerger im Dienst, dem ich entrinnen wollte, – und dann habe ich nach dem hastigen Ritt nicht recht einschlafen können. Es wird bald wieder besser werden – wenn ich nur hier Alles finde wie sonst – die Mamma – und dich, meine Bicetta. Was du groß geworden bist in diesem langen Winter – ein fertiges Fräulein – und hast mich doch noch lieb wie sonst – lieber als alle Menschen – nicht, Schwesterchen?

Sie stand rasch auf, ihr Gesicht war plötzlich von dunkler Röthe übergossen. Solche Gewissensfragen, Bruder –! sagte sie, sich halb abwendend. Natürlich bist du immer mein einziger, lieber, herziger Marcello – aber es könnte sich doch allerlei ereignen – wart', ich will erst für dein Frühstück sorgen. Du trinkst doch immer erst deine Chokolade, Bruder?

Laß das Frühstück! sagte er rauh und haschte ihre Hand, um sie neben sich auf das Bett zu ziehen. Wir haben erst mit einander abzurechnen. Wenn ich wirklich noch dein einziger, lieber Marcello bin, warum hast du mir's diese sieben langen Monate kaum ein- oder zweimal gesagt und auch sonst mich nicht erfahren lassen, was du thust und treibst? Darauf antworte mir, Bice, hörst du? so aufrichtig, wie du mir früher Alles gesagt hast. Oder ist nicht mehr Alles, wie es war?

Seine Stimme zitterte, er preßte ihre kleine Hand so heftig, daß sie sich mit einem leisen Schmerzenslaut von ihm frei machte.

Du bist recht unhold, Bruder, sagte sie und lachte doch gleich wieder. Aber es ist doch lieb von dir, daß du meine Briefe vermißt hast und fürchtest, deine Bicetta möchte dir untreu geworden sein. Wenn du versprechen willst, der Mamma nichts zu sagen, will ich dir nun auch vertrauen, was ich zu schreiben nicht den Muth hatte. Ich bin verliebt, Marcello – o so sehr – aber noch ganz heimlich – ich selbst weiß es erst seit ein paar Monaten – vorher, da war's nur so eine Ahnung, ein Traum – ich gestand mir's noch selbst nicht ein – aber jetzt, o jetzt –!

Sie schloß die Augen und lächelte selig vor sich hin.

Jetzt? drang er in sie und bohrte seine glühenden Augen in ihr verzücktes Gesichtchen. Jetzt, Bicetta? Und wer – wer –?

Du bist so ungestüm, Bruder! Dann habe ich nicht den Muth, weiter zu beichten. Auch fürcht' ich, es möchte dir nicht recht sein – du hast etwas gegen ihn – ich weiß, du hast früher schlecht von ihm gesprochen – aber wenn du ihn besser kennen lernst –

Er fuhr zusammen und stieß ihre Hand mit einer rauhen Bewegung von sich. So war es also doch wahr!

Siehst du wohl, Marcello, fuhr sie schüchterner fort, ich hatte Recht, dir nichts davon zu schreiben. Wenn du kommst, dacht' ich, ist noch Zeit genug, und ich kann ihn besser mündlich vertheidigen. Sandro ist es, unser alter Bekannter und Nachbar, aber ein ganz Anderer, als wir ihn sonst gekannt haben. Im November vorigen Jahrs ist er auf einmal zu seinem Vater zurückgekehrt und hat sich mit ihm ausgesöhnt, und der alte Sor Filippo hat ihn selbst zu uns gebracht und die Mamma gebeten, gegen den Wildfang, der jetzt gelobt habe ein solider und ruhiger Mensch zu werden, sich gütig zu bezeigen und ihn in seinen guten Vorsätzen zu bestärken. Die Mamma hatte erst wenig Freude daran, daß sie, wie sie sagte, die Erziehung eines so großen Menschen übernehmen sollte. Er war aber sehr demüthig und zahm, und so meinte die Mamma, man müsse ihm seine Jugendthorheiten nachsehen und dazu helfen, daß er nicht wieder darein verfiele. Wir hörten auch, daß er sich der Geschäfte des Vaters annahm und ordentlich etwas that, und der Pfarrer sagte, es sei mehr Freude im Himmel über Einen Sünder, der sich bekehre, als über neunundneunzig Gerechte. So kam er öfters mit dem guten Don Sisto zu uns und wußte immer was zu erzählen, und als er sah, daß wir ihn nicht mehr als einen Missethäter behandelten, verlor er auch seine Befangenheit und konnte lachen und Spaß treiben, daß wir Alle ganz vergnügt waren, wenn er kam. In der ersten Zeit fürchtete ich mich doch noch vor ihm, auch dachte ich an dich, Bruder, was du dazu sagen würdest, wenn du von seinem Verkehr mit uns hörtest, und Mammina meinte auch, es sei besser, dir nichts davon zu schreiben. Nach und nach verlor sich meine Scheu vor ihm, er war so freundlich zu mir, wie zu einem Kinde, was mich doch heimlich verdroß, aber ich begriff es wohl, daß ich ihm sehr unbedeutend vorkam. Ich aber bewunderte ihn mehr und mehr – ich dachte immer an ihn, wenn ich allein war, – und die Tage, wo er nicht kam – denn nur zweimal in der Woche erlaubten es ihm seine Arbeiten – o wie mir die Tage lang wurden! Und endlich – endlich wußte ich's ganz klar: ich liebte ihn, und wenn ich mir auch keine Hoffnung machen konnte – Andere schienen es anders anzusehen; ich hörte einmal die Knechte im Stall davon reden, es werde nun wohl bald eine Hochzeit hier im Hause geben, – o Marcello, wie mir da das Herz klopfte, ich dachte, ich müßte umsinken vor Wonne und Seligkeit, bei dem bloßen Gedanken nur – – –

Und – ist es bei dem bloßen Gedanken geblieben, Bice? brachte der Bruder mühsam hervor.

Sie sah ruhig zu ihm auf und hielt seinen angstvoll gespannten Blick mit stillem Lächeln aus.

Bis jetzt leider hat er nicht verrathen, wie er selbst darüber denkt. Aber wenn du ihn sehen wirst – manchmal läßt er seine Blicke auf mir ruhen mit einem so eigenen Ausdruck, und wenn er mich allein im Garten trifft, spricht er wohl zehn Minuten oder länger mit mir, gar nicht wie mit einem Kinde, sondern wie wenn es ihm wichtig wäre, was ich über dies und das denke. O Bruder, vielleicht ist's nur, daß er besorgt, du möchtest dagegen sein, und wenn er sieht, daß du dein altes Vorurtheil gegen ihn fahren lassest und nichts dawider hättest, ihn zum Schwager zu haben, – ich scheine dir wohl recht eitel, daß ich mir einbilde, ein solcher Mensch, den die Frauen so verwöhnt haben, könnte was an mir finden. Aber ich weiß, daß ich ihn glücklich machen würde, daß Keine ihn mehr lieben könnte, als ich, und wenn es der Wille des Himmels ist und die Madonna meine Gebete erhört –

Die Thür ging auf, die alte Caterina schlurfte auf ihren Pantoffeln herein, den jungen Herrn zu bewillkommnen und sich mit einer Flut drolliger Scheltworte anzuklagen, daß sie Nachts sein Kommen überhört und das Haus so schlecht bewacht habe. Erst die Signorina habe ihn entdecken müssen, da sie bei dem offenen Fenster vorbeigegangen sei. Was die Mamma nun für Augen machen werde! – Sie brachte ihm frisches Wasser und zog das Mädchen hinaus, um den jungen Herrn bei der Toilette allein zu lassen.

Kaum hatte sich die Thür hinter der Schwester geschlossen, so sank Marcello auf das Lager zurück, drückte das Gesicht gegen das Kissen und versuchte mit dem furchtbaren Gedanken, der ihn bestürmte, ins Reine zu kommen.

Jedes Wort, das Bice gesagt, hatte Zeugniß abgelegt für ihr reines Gewissen, ihr unberührtes junges Leben. Wenn sie es aber nicht war, der der Nachtbesuch des Verhaßten gegolten hatte, wer sonst in diesem Hause konnte ihn hergelockt haben? War es zu denken, daß die Eine, die freilich einem gewissenlosen Lüstling als ein begehrenswerthes Ziel frevelhafter Wünsche erscheinen konnte, daß die edle Frau, die nur für ihre Kinder gelebt hatte –

Er zürnte mit sich selbst, daß nur die Möglichkeit einer solchen Verirrung sich ihm aufdrängen konnte. Hier lag ein Räthsel, ein seltsames Geheimniß, das gerade die Mutter – vielleicht mit einem einzigen Wort – ihm lösen konnte. Und die Ungewißheit war ihm so qualvoll, daß er aufsprang und, ohne nur das Gesicht in das frische Wasser zu tauchen oder sein wirres Haar zu glätten, aus dem Zimmer eilte, an der Küche vorbei, wo Bice für sein Frühstück sorgte und die steinerne Treppe hinauf ihm nachrief, die Mutter schlafe vielleicht noch, er möge leise anklopfen, um sie nicht zu erschrecken.

*

Das große Zimmer oben, das sich auf die Loggia öffnete und in welchem Donna Lionarda sonst schon früh mit einer Handarbeit zu sitzen pflegte, – an diesem späten Morgen war es noch leer, die Thür nach der Loggia verschlossen, der Raum von einem flauen Cigarrettenduft erfüllt, der dem Jüngling wunderlich beklemmend auf die Brust fiel. Er wußte, daß die Mutter früher nie geraucht hatte, schon um die Ausgabe zu sparen. Also war Sandro in der letzten Nacht hier oben gewesen – dort stand auch noch die strohumflochtene Weinflasche und zwei Gläser auf dem Tischchen neben dem alten Ledersopha, weggeworfene Cigarrettenstummel und zerstreuter Tabak auf der Matte, die den Steinboden bedeckte. Es war kein Zweifel möglich, hier hatte er bei der Mutter gesessen, vielleicht hatte ein Gespräch gerade über Bice und gewisse Zukunftspläne die Beiden so lange wach gehalten, und jener sich aufbäumende schmähliche Verdacht war völlig unbegründet.

Marcello stieß die Glasthür auf und trat auf die Loggia hinaus. Die Gegend, die so lieblich im Morgenlicht vor ihm lag, konnte ihn nicht fesseln. Er entschloß sich, obwohl er den Schlaf seiner Mutter sonst nie zu stören gewagt hätte, an die Thür des Nebenzimmers zu klopfen, das auch nach dem Tode ihres Mannes der Wittwe als Schlafgemach diente.

Doch antwortete sie nicht sogleich. Der Schlaf, den sie erst spät gefunden, war so tief, daß er sein Klopfen dreimal wiederholen mußte, bis die wohlbekannte Stimme sich vernehmen ließ: wer da sei?

Marcello! antwortete der Jüngling. Verzeih, daß ich dich geweckt habe, Mamma. Ich dachte, du seiest schon wach und nur bei der Toilette. Soll ich wieder gehen? Willst du weiterschlafen?

Marcello, du? klang es aus dem Gemach heraus. Welche Ueberraschung! Gleich bin ich bei dir!

Er setzte sich auf das Sopha und wartete. Aber seine brennende Unruhe trieb ihn wieder auf, so ermattet er war. Er betrachtete die grottesken Figuren, die ein flotter Pinsel zu Anfang des Jahrhunderts auf die weißen Wände des Zimmers gemalt hatte, Maskengesellschaften, fast in Lebensgröße, die unter hohen Bäumen allerlei Kurzweil trieben. Diese Herren und Damen, die ihm alte Bekannte waren, schienen ihm heut eine andere Miene zu machen, mit frivolem Lächeln ihn anzublicken, als wären sie Mitwisser eines bedenklichen Geheimnisses. Wieder starrte er auf das bauchige Fiasco, das zur Hälfte geleert war. Mein Gott! seufzte er vor sich hin, wenn es doch wahr wäre!

Da öffnete sich die Thür, und Frau Lionarda trat rasch herein. Sie ging auf den Jüngling zu mit ausgebreiteten Armen, ein seltsames, befangenes Lächeln auf den Lippen. Marcello! Welche Ueberraschung! wiederholte sie, indem sie ihn an sich zog und auf die Wange küßte. Mutter! stammelte er, den Kuß nicht erwidernd, da bin ich! – und konnte nichts hinzufügen, und auch sie schwieg, faßte seine Hand und führte ihn nach dem niederen Divan, auf dem sie sich neben ihm niederließ.

Er betrachtete sie scheu von der Seite. Zum erstenmal sah der Sohn in der angebeteten Mutter das Weib, da sie ihm bisher nur wie ein Heiligenbild von einem unnahbaren Sockel oder aus einem Altargemälde entgegengeleuchtet hatte. Er mußte sich sagen, daß diese Frau, trotzdem sie nahe an vierzig war, noch allen jugendlichen Reiz hatte, der sie berechtigte, auch für sich selbst ein Glück zu fordern, nicht nur für die großen Kinder. Sie hatte sich nicht Zeit genommen, sich vollständig anzukleiden, die nackten Füße in die Pantoffeln gesteckt, einen Rock umgeworfen und um den schönen vollen Hals ein großes gelbes Tuch geknüpft. Das tiefschwarze Haar hing ihr, in einen einfachen Knoten geschlungen, auf den Nacken herab, und einzelne Strähnchen flogen ihr um die Schläfen. Die graublauen Augen sahen ein wenig müde und verträumt unter den schwarzen Brauen hervor, doch mit einem feuchten Glanz, während die weichgeschwellten Lippen beständig zu lächeln suchten.

Sie hielt die Hand des Sohnes in ihren beiden zitternden Händchen und streichelte sie, fast mit der Geberde einer Bittenden, die einen Unmuthigen zu begütigen sucht.

Ich habe mich verschlafen, sagte sie endlich mit einer tiefen, warmen Stimme, die aber ein wenig schüchtern klang. Ich bin spät zu Bett gegangen, und wie konnte ich ahnen, daß du kommen würdest!

Du hattest Gesellschaft, Mammina? fragte er so verloren und wagte nicht, sie dabei anzusehen.

Nein, Kind, ich war allein. Wer hätte bei mir sein sollen? Bice wird zeitig müde. Ich lese dann noch, ich habe darüber die Zeit vergessen.

Das Herz krampfte sich ihm zusammen, als er aus diesem Munde die Lüge hörte. Sein Heiligenbild war ihm plötzlich entweiht. Und dennoch bemühte er sich, das Aergste noch nicht zu denken.

Es war hier ein starker Geruch von griechischem Tabak. Seit wann rauchst du Cigarretten, Mamma?

O, sagte sie rasch, nur zuweilen, wenn ich Migräne habe. Gestern Nacht litt ich so stark daran. Es beruhigt mir dann die Nerven. Willst du meine Cigarretten versuchen, Kind?

Er hielt sie sanft zurück, da sie aufstehen wollte. Jetzt nicht, Mamma. Ich habe noch nicht gefrühstückt. Mich verlangte so sehr, dich zu sehen.

Sie schwiegen eine Weile. Die Frau heftete einen prüfenden Blick auf das bleiche Gesicht des Sohnes und sagte endlich: Du bist so anders als sonst, mein geliebter Sohn. Bist du krank? Oder ist dir irgend etwas Unliebsames begegnet, das dich zu der treuen Mutter hergetrieben hat? Hast du gespielt und verloren? Oder ist eine unglückliche Liebe –

Nein, Mammina, unterbrach er sie. Nichts als das Heimweh hat mich hergetrieben. Aber hier – ich muß gleich davon anfangen, da es mir schwer auf dem Herzen liegt – hier im Haus fand ich nicht Alles, wie es sein sollte.

Die Frau erhob sich unwillkürlich und machte sich, von ihm abgewendet, an dem Sims des Kamins zu schaffen. Ich begreife nicht – sagte sie hastig – ich müßte doch auch darum wissen –

Gewiß, Mamma, das müßtest du, aber es scheint, du bist blind gewesen. Bice hat mir gesagt, daß sie es nie übers Herz gebracht habe, dir zu beichten.

Bice?

Ja, Mammina. Sie liebt Sandro Marchetti und glaubt, er liebe sie wieder und wolle nächstens um sie anhalten.

Ein tiefe Stille trat ein. Man hörte drunten in der Küche die alte Caterina mit Pfannen und Tiegeln rasseln und dazwischen die helle Stimme des jungen Mädchens, die ein Ritornell sang.

Das hat Bice dir gesagt? fragte jetzt die Mutter. Ihre elfenbeinfarbenen Wangen waren von einer plötzlichen Glut überhaucht.

Ja, Mutter, und ich erschrak, als ich das hörte. Sandro – dieser Sandro, der nie unsere Schwelle hätte überschreiten dürfen! Wie hast du es nur zugeben können, da du weißt, was für ein Mensch er ist! Und warum habe ich nichts davon erfahren, den ganzen Winter hindurch? Du hast freilich dir sagen müssen, daß ich nie meine Zustimmung dazu gegeben hätte. Verzeih, daß ich so rede, Mamma, obwohl ich immer dein gehorsamer Sohn war. Aber in diesem Falle – mein Vater ist todt, er kann für die Ehre des Hauses und das Glück seiner Tochter nicht mehr einstehen. Da ist es meine natürliche Pflicht, Mutter, mein heiliges Recht, und ich bin aufs Tiefste gekränkt und verwundet, daß so etwas hinter meinem Rücken –

Das Wort versagte ihm, Thränen der Scham und Qual traten ihm in die Augen, er sprang auf und trat auf die Loggia hinaus. Er konnte es der Mutter nicht anthun, sie anzusehen, während er ihren Ankläger machte.

Du mußt es nicht so schwer nehmen, Marcello, hörte er jetzt die Frau erwidern, die regungslos am Kamin stand. Du hast Recht, es war unbesonnen von mir, und jedenfalls hätte ich dir darüber schreiben sollen. Aber es kam so nach und nach – wir lernten ihn von einer viel besseren Seite kennen, und ich gewann die feste Ueberzeugung, daß er ein andrer Mensch geworden ist. Wie hätte ich dich aus der Ferne zu demselben Glauben bringen können? Ich dachte auch, ich selbst könnte dazu mitwirken, daß er sich nun in ein ruhiges und thätiges Leben hineingewöhnte. Aber wenn du meinst, Marcello – obwohl – du glaubst nicht, wie drückend manchmal dies einförmige Leben auf mir liegt, – ich habe auf Manches verzichten lernen, aber ich bin ja noch keine alte Frau, und du, mein Liebling, lebst fern von mir – zuweilen mit Jemand zu sprechen, der die Welt gesehen hat, etwas Andres zu hören, als die elenden Alltäglichkeiten aus der nächsten Nähe, – es verlockte mich – und doch, wenn du es wünschest, wenn du darauf bestehst, Marcello, soll er nicht mehr kommen. Willst du einen Schwur von mir, daß ich ihn nicht mehr sehen will? Alles kann ich ertragen, nur nicht, daß mein einziger Sohn mit so bösem Gesicht sich von mir abwendet und seiner armen Mutter bittere Vorwürfe macht.

Sie war ihm während dieser Worte nachgegangen auf die Loggia hinaus und wollte wieder seine Hand haschen. Er blieb aber starr und finster und trat von ihr zurück.

Es ist zu spät, Mutter. Er ist schlau und gefährlich und hat sich schon zu tief in ihr Herz eingenistet, Gott weiß, in welcher Absicht. Denn wie ich ihn kenne, ist sie nicht von der Art, wie er sich eine Geliebte wünscht. Sie aber – es ist ihre erste Liebe, sie wird daran festhalten, was auch geschehen mag, ihr die Augen zu öffnen. Wenn noch eine Rettung möglich ist, so muß sie fort von hier, und du, Mamma, mußt mit ihr gehen, irgend wohin, wo er euch nicht nachkommen kann oder ihr besser beschützt seid. Wenn ihr zu mir nach Parma kämt – da kann er sich nicht mehr blicken lassen – oder nach Genua zu der Tante – die Stadt ist größer, und das arme Kind hat dort mehr Zerstreuung, und vielleicht findet sich dort eine passende Partie – du mußt doch einsehen, Mutter, hier bliebe sie ewig unbeachtet und fände keinen Mann. Was sagst du zu meinem Vorschlag, Mamma?

Die Röthe auf ihren Wangen war einer tiefen Blässe gewichen.

Wir müssen es überlegen, Kind, stammelte sie. Daß sie fort muß, sehe ich ein. Ich aber – wie ich hier das Haus und die Wirthschaft verlassen soll –

Er fühlte einen Stich im Herzen bei diesen Worten.

Ja, Mutter, sagte er dumpf, auch du, gerade du darfst nicht hier bleiben. Die Mutter gehört zu ihrem Kinde. Was liegt an den paar hundert Lire, die dabei draufgehen können? O Mutter, hier steht mehr auf dem Spiel, unser ganzes Glück, ihre und deine Zukunft, und ich wäre ein schlechter Sohn, ein gewissenloser Bruder, wenn ich nicht Alles daransetzte, lieber den Dienst quittirte und als Schreiber eines Advocaten ein armseliges Stück Brot verdiente, als dies länger mitanzusehen.

Er trat an die Brüstung der Loggia und that einen tiefen Athemzug. Wie er zu den Häusern des Orts hinübersah, aus deren Schornsteinen die dünnen Rauchwölkchen kerzengerade in die Höhe stiegen, kam ihm plötzlich ein Gedanke, der seinen Sinn änderte.

Nein! sagte er laut, doch wie wenn er nur zu sich selber spräche, warum sollen wir weichen? Er muß fort! Er soll den Triumph nicht genießen, wehrlose Menschen um ihre Heimath gebracht zu haben. Ich müßte mich ewig dieser Feigheit schämen, wenn ich ihm das Feld gelassen hätte.

Er wandte sich kurz um und wollte das Freitreppchen hinab, durch den Garten wieder in sein Zimmer. Marcello, rief die Frau, mit ängstlicher Hast seinen Arm ergreifend, was willst du thun?

Ich will versuchen, ob man einem Menschen ins Gewissen reden kann, dessen Gewissen versteinert ist. Ihm vorhalten will ich, was er an dieser unschuldigen Seele gesündigt hat, Mutter, und daß er ihr aus den Augen gehen müsse, wenn noch irgend ein Mensch ihm begegnen soll, ohne vor ihm auszuspucken. Erst wenn er gegangen ist, können wir weiter überlegen, wohin Bice am besten zu bringen wäre, damit die Wunde heilt. Sei ohne Furcht, Mutter. Ich werde so zu ihm sprechen, daß selbst dieser freche Mund verstummen muß.

Er nickte der Mutter zu und verließ die Loggia.

Unten wollte Bice ihn nicht fortlassen, eh' er gefrühstückt hätte. Er stürzte aber nur ein Glas Wasser hinunter, steckte ein Brödchen zu sich und hing sich eine leichte Jagdflinte um, die im Gewehrschrank des Vaters für ihn bereit stand, so oft er kam. Er wolle Wachteln schießen zur Colazione, sagte er dem Schwesterchen, indem er ihr mit mühsamem Lächeln über die Wange strich. Das Frühstück möge sie statt seiner nehmen, er sei über den Hunger gekommen.

*

So ging er zu der hinteren Gartenpforte hinaus und schlug den Pfad durch den Oelwald ein, da auf der Landstraße schon die heiße Sonne lag.

Hier in dem leichten Blätterschatten der alten, wunderlich gekrümmten und zerrissenen Stämme war es kühl, und die Halde stieg so sacht hinan, daß ein Spaziergang zu dieser Morgenstunde das Blut erfrischen und alle Sinne erquicken mußte. Der Jüngling aber schritt so schwer und matt dahin, als trüge er eine Centnerlast. Wie wenn die Sonne plötzlich ausgelöscht und die Welt umher in ewiges Dunkel gesunken wäre, so furchtbar empfand er die Gewißheit, die ihm eben geworden, daß die Frau, zu der er wie zu einem höheren Wesen aufgeblickt hatte, ein schwaches Weib war wie andere. Ein Ekel vor dem Leben, das so bodenlose Abgründe verbarg, überkam ihn, er mußte eine Weile in seinem schwankenden Gang innehalten und neue Kraft sammeln. So oft er überlegte, was er dem Verderber all seines Glückes sagen wollte, wirbelten ihm die Gedanken in so toller Flucht vorbei, daß er keinen festzuhalten vermochte. Er stellte sich das verwegene Gesicht des Verführers vor, sein üppiges Lächeln unter dem keck aufgedrehten schwarzen Bärtchen, die dreisten Augen, vor denen jedes reine Weib die ihren senken mußte, wenn dieser Dämon den Blick über ihre Gestalt gleiten ließ, und stellte in Gedanken das Bild seiner vergötterten Mutter ihm gegenüber und zergrübelte sich in wildem Schmerz, wie es möglich gewesen, daß diese Heilige den Teufel nicht bei dem ersten versuchenden Blick und Wort aus ihrer Nähe gebannt hatte. Und doch – er durfte sich seinem tätlichen Hasse nicht blindlings hingeben. Er war verantwortlich für die Ehre seiner Mutter und das Lebensglück seiner Schwester, die beide unheilbar verwundet worden wären, wenn er den Todfeind einfach über den Haufen geschossen hätte.

So riß er sich aus seiner brütenden Trägheit auf und ging langsam weiter, den Weg, zu dem er sonst eine Viertelstunde gebraucht, in der dreifachen Zeit zurücklegend.

Als er den Ort erreicht und sich durch verwahrlos'te, menschenleere Gäßchen zu dem Hause des Podestà hingefunden hatte, mußte er wieder eine Weile rasten, bis seine keuchende Brust sich beruhigt hatte. Das Hausthor stand offen, Niemand begegnete ihm auf der Treppe des geräumigen Flurs, aus der ersten Thür, an die er aufs Gerathewohl anpochte, hörte er ein lautes: Herein! und über die Schwelle tretend, ohne die Mütze abzunehmen, sah er sich dem Verhaßten gegenüber, der lang ausgestreckt auf einem Divan lag, eine Cigarre im Munde, in der Hand ein zerlesenes Buch, das durch den gelben Umschlag sich als einen französischen Roman ankündigte.

Ciao! La Zitella! Welcher gute Wind führt dich in unsre Olivenwüste? rief der Liegende dem Jüngling entgegen, indem er das Buch fallen ließ und ihm mit der Hand einen Gruß zuwinkte.

Marcello blieb stumm. Er stand mitten im Zimmer und ließ seine Augen an den Wänden herumgehen, an denen unter ein paar schlechten Lithographieen von Victor Emanuel und Garibaldi allerlei liederliche Ausschnitte aus dem Journal amusant, Photographieen von Tänzerinnen und die colorirten Bilder zweier englischer Rennpferde hingen. Die geringen Möbel, mit denen das kahle Gemach ausgestattet war, starrten von Schmutz und Staub, in dem Fenster, das auf die Gasse hinausging, waren zwei Scheiben zerbrochen.

Erst als sein Blick den Andern wieder streifte, schien Marcello sich darauf zu besinnen, wo er war. Er nahm die Mütze ab, sah wieder von ihm weg und sagte, seine Erregung mühsam niederzwingend:

Ich bin gekommen, um mit dir zu reden.

Der Andere erhob sich langsam und dehnte sich in seinen langen, schlanken Gliedern, wobei er ein leichtes Gähnen mit der Hand verdeckte. Er war fast einen Kopf größer als Marcello, die Gestalt in den weiten Hosen und der leichten seidenen Jacke zeigte das schönste Ebenmaß, und das Gesicht, obwohl es die Spuren niedriger Leidenschaften trug, hatte jenen Ausdruck sorgloser Kühnheit und übermüthiger Jugendkraft, der ihm zu seinen vielen Siegen über Frauenherzen verholfen hatte.

Mit mir reden willst du, Brüderchen? sagte er lachend. Natürlich! Wozu sonst hättest du dich herbemüht? Du mußt mir viel erzählen, wie es bei den Kameraden steht, ob Nino noch in den Fesseln der Cafétierswittwe schmachtet, wie sich Bernardo aufführt, seit die Mariani abgereis't ist, vor Allem, welche Fortschritte du selbst, theure Zitelluccia, in deiner Bildung inzwischen gemacht hast, oder ob du noch immer der blöde Schäfer von ehemals bist. Aber das können wir doch auch im Sitzen besprechen, dächt' ich. Ich habe schlecht geschlafen und werde mich, wenn du erlaubst, wieder aufs Sopha strecken. Nimm Platz, stell deine Flinte in die Ecke, und dort sind Cigarren. Soll ich dir ein Glas Wein bringen lassen?

Der Jüngling sah starr vor sich hin, als höre er von all den Worten nur den Schall. Auch regte er sich nicht, als der Andre sich wieder auf das Lotterbette warf.

Kommen wir gleich zur Sache, sagte er dumpf. Ich habe gestern erst erfahren, daß du Zutritt in meinem elterlichen Hause erlangt hast. Ich bin nur hier, um dich zu bitten, von jetzt an dieses Haus nicht mehr zu betreten.

Sandro hatte sich bequem zurückgelehnt und blies mit vollkommener Ruhe eine leichte Rauchwolke gegen die Decke.

Eine curiose Bitte, sagte er. Wolltest du nicht die Güte haben, mir zu sagen, was dich zu diesem Ansinnen veranlaßt?

Es sollte dir von selbst einleuchten. Aber wenn du dich unwissend stellst: ich habe, wie du weißt, eine Schwester, deren Ruf mir nicht gleichgültig ist, zumal ich auch Vaterstelle bei ihr zu vertreten habe. Deine häufigen Besuche in der Villa werden so gedeutet, als ob du ernste Absichten auf Bice's Hand hättest. Ich weiß zwar – seine Stimme wurde nachdrücklicher, und sein Gesicht röthete sich – nicht im Traum fällt es dir ein, Ernst zu machen. Das Mädchen aber könnte sich's am Ende einbilden, und ich will nicht, daß ihr argloses Herz eine bittere Enttäuschung erlebt.

Eine Weile schwiegen die beiden jungen Leute. Keiner sah den Andern an. Dann lachte Sandro gezwungen auf.

Steht es so, Brüderchen? Du kommst als kluger Vormund und möchtest die Sache zwischen mir und deinem Mündel richtig machen? Ich kann dir das nicht verdenken. Doch obwohl ich die Sache allerdings noch nicht in diesem Lichte betrachtet habe – daß mir's nie im Traum eingefallen wäre, Fräulein Bice Hand und Herz anzubieten, kann ich nicht behaupten. Sie ist ein liebes, wohlerzogenes, frommes Kind, das ihren Gatten niemals mit einem häßlichen Kopfschmuck beschenken wird. Unsre Vermögensverhältnisse sind einander so ziemlich gleich, heirathen muß ich doch einmal, wenn ich in dieser Einöde als guter Ackerbürger nicht ganz des Teufels werden soll, also könnte sich's wohl ereignen, daß ich nächster Tage einmal mich in Gala würfe, um bei deiner Frau Mutter feierlich um die Ehre anzuhalten, ihr Schwiegersohn zu werden.

Das wirst du nicht thun! erwiderte Marcello und seine Augen flammten auf. Das Gewehr glitt ihm von der Achsel und stieß hart gegen die nackten Fliesen des Estrichs auf.

Nicht? Das werd' ich nicht thun? Sonderbares Kind von einer Zitella! Und wer wollte mich daran hindern?

Ich, der Bruder. Niemals würde ich es zugeben, daß diese unschuldige Seele ihr Wohl und Weh an dich knüpfte.

Und warum, wenn ich fragen darf? Wenn sie nun den schlechten Geschmack hätte, mich liebenswürdig zu finden? Daß sie die Erste nicht wäre, die sich auf dieser verzeihlichen Schwäche hat betreffen lassen, könnte das ein Hinderniß sein? Oder wartest du für dein Schwesterchen auf einen Bräutigam, der ebenso glänzend die Tugendprobe bestehen könnte, wie ihr jungfräulicher Herr Bruder?

Spare deinen Hohn! fuhr Marcello auf und sah ihm jetzt voll ins Gesicht. Es wäre besser für dich und mich, du nöthigtest mich nicht, nur ein Wort noch hinzuzusetzen, sondern fügtest dich auch meinem weiteren Begehren, diese Gegend wieder zu verlassen und womöglich die nächsten Jahre nicht hieher zurückzukehren. Ich höre, daß du jetzt beschlossen hast, nicht mehr müßig in den Tag hinein zu leben. Wenn das so ist, wirst du draußen eine lohnendere Thätigkeit finden können, als in diesen beschränkten Verhältnissen. Ich rathe dir im Guten, Sandro. Ueberlege dir's, und laß uns friedlich auseinandergehen.

Der Andre erhob sich von seinem Lager, warf die Cigarre weg und trat dicht vor den Jüngling hin, in dessen Gesicht kein Muskel zuckte.

Erlaube mir zu bemerken, theurer Knabe, daß ich dein Betragen ein wenig unverschämt finde. Du überfällst mich am hellen Tage, um mir anzukündigen, daß es dir darum zu thun sei, mich schleunigst dir aus den Augen zu schaffen, bringst ein Gewehr mit, wahrscheinlich, um mich damit einzuschüchtern, wenn ich nicht sofort Ordre parire, und bist gnädig genug, mir noch eine kleine Bedenkzeit zu gewähren. Weißt du, mein Junge, daß nur unsre alte Waffenbrüderschaft mich abhält, dich exemplarisch zu züchtigen, oder wenigstens dir eilig aus diesem Zimmer zu helfen?

Ich verachte deine Drohungen, erwiderte der Jüngling, den feindseligen Blick des Andern ruhig aushaltend. Ein einziges Wort wird genügen, dich darüber aufzuklären, daß ich mit gutem Recht diese Forderung an dich gestellt habe: ich weiß, wer gestern Nacht gegen drei Uhr unsre Villa verlassen und durch die hintere Gartenthür den Weg in die Oliveta eingeschlagen hat.

Wieder trat eine Stille ein. Sandro hatte sich achselzuckend abgewendet und beschäftigte sich jetzt damit, am Tische stehend eine Cigarrette zu drehen.

Hast du dich zum Spion erniedrigt? warf er über die Achsel weg dem regungslos Verharrenden hin. Nun siehst du, bei diesem Geschäft kommt man selten auf die Kosten. Erlaube mir aber die Frage, was es dich angeht, wohin ich meine nächtlichen Spaziergänge richte?

Wenn der Ruf einer Person dabei auf dem Spiele steht, die mir über Alles theuer ist, werde ich mir erlauben, dir den Weg zu verlegen und diese Spaziergänge dir zu verbieten. Ja, zu verbieten! rief er, plötzlich die Stimme erhebend. Hörst du, Sandro? Wenn ich dich noch ein einziges Mal auf diesem Wege beträfe –

Er erhob unwillkürlich das Gewehr und schüttelte es gegen den Feind, der phlegmatisch fortfuhr, sich mit seiner Cigarrette zu beschäftigen.

Ich fange an zu glauben, mein Sohn, daß es nicht ganz richtig unter deiner Stirn aussieht. Wenn mit jener dir so überaus theuren Person deine Mutter gemeint sein sollte –

Nenne ihren Namen nicht! Ich verbiete dir –

In meinem Hause, Kind, hat mir Niemand etwas zu verbieten, herrschte Sandro ihn nieder. In deinem – bist du padrone, so weit dein Zimmer reicht. In allen übrigen Räumen hat, dächt' ich, die Herrin des Hauses zu entscheiden, was sie thun oder lassen will. Seit wann ist der Sohn der Vormund seiner Mutter, einer Mutter zumal, die sich so musterhaft beträgt, wie Donna Lionarda? Ich finde deßhalb dieses ganze Gespräch höchst überflüssig und möchte dich ersuchen, mich von deiner werthen Gegenwart zu befreien.

Elender! knirschte der Jüngling. Du weißt, daß es mir am Herzen liegen muß, einen öffentlichen Scandal zu vermeiden. Darum hältst du dich für sicher in der ehernen Maske deiner frechen Verlogenheit. Aber bei Gott und allen Heiligen, es soll dir nichts helfen. Wenn du nicht so viel Ehrgefühl in dir hegst, um zu begreifen, daß ich lieber sterben würde, als es so fortgehen zu lassen, wenn es dir keinen Augenblick aufs Herz fällt, Glück und Ehre zweier wehrlosen Wesen zu zerstören, so sollst du noch erleben, daß es für so ruchlose Verbrecher eine strafende Gerechtigkeit giebt, die Alles daran setzt, dem Verderben Einhalt zu thun und die Schmach zu sühnen.

Durch einen Schrotschuß aus einer Vogelflinte?

Durch einen ehrlichen Kampf Mann gegen Mann.

Der doch wohl auch einigen unerwünschten Lärm machen und dem Ruf theurer Personen nachtheilig sein würde.

Mög' es drum sein! Doch wie der Ausfall auch wäre, wer von uns auch unterliegen müßte – es wäre Blut geflossen, und wenn es das meine wäre – mein Schatten würde die Gartenthüre bewachen, daß kein Ehrenräuber sich wieder einschleichen könnte. Du hast mich verstanden, Sandro?

Vollkommen. Doch verstehst du auch mich vielleicht, wenn ich dir erkläre, daß ich eben aus diesem Grunde mich nicht mit dir schießen würde. Sei kein Kind, Marcello, und höre mich einmal ruhig an. Wozu die gewundenen Worte? Warum soll ich mit dir nicht offen davon reden, daß ich deine Mutter liebe, bis zur Tollheit, wie ich nie ein Weib geliebt habe? Und wenn sie mich wieder liebt, wo ist da das Ungeheuerliche, das dich zu so wahnsinnigen Declamationen treibt? Eine liebenswürdige Frau in der Blüte ihrer Schönheit, einsam und ohne alle Lebensfreude, nicht einmal genöthigt, einen Gemahl zu betrügen, um sich ihren Theil von irdischem Glück anzueignen, – und ein junger Mann, der ihr ganz ergeben ist, der sich eher viertheilen, als auf ihren Ruf einen Makel kommen ließe, – bist du denn wirklich in der lybischen Wüste aufgewachsen, daß du über ein so natürliches Verhältniß dich geberdest, wie wenn du in den Pfuhl der Hölle blicken müßtest? Ich habe ihr vorgeschlagen, sie zu heirathen. Sie hat sich entschieden geweigert, deinethalb, gutes Kind. Du sollst keinen jungen Stiefpapa durch sie erhalten, deine Einkünfte, dein späteres Erbtheil sollen dir nicht geschmälert werden. Du siehst also, daß du nichts dabei verlierst, wenn du ihr gönnst, worauf sie doch längst Anspruch gehabt hätte. Also nimm Vernunft an, sei artig und respectvoll gegen sie, und wenn dir hier doch nicht so recht wohl wird, sattle deinen Gaul und kehre in deine Kaserne zurück. Ich stehe dir gut dafür, daß sich hinter deinem Rücken nichts ereignen soll, was dir gegen die Ehre geht.

Er hatte das Alles in einem zutraulichen, fast herzlichen Ton gesagt und zündete jetzt die Cigarrette an, dem Jüngling eine andre darbietend. Komm, laß uns die Friedenspfeife rauchen. Die Sache ist wirklich nicht ein so hitziges Gerede werth.

Und wenn ich wiederhole, daß ich lieber sterben, als dies länger dulden werde? sagte Marcello mit kalter Ruhe, indem er das Gewehr wieder auf die Achsel nahm.

Narr! Und wie wolltest du's hindern?

Ich weiß es noch nicht, aber hindern werd' ich's. Ob ich dich züchtigen werde auf offenem Markt und so dich zum Duell zwingen –

Bemühe dich nicht. Ich gehe vor Nacht nicht aus dem Hause.

Memme! So wird vielleicht nichts übrig bleiben, als dich niederzuschießen wie einen tollen Hund, wo ich dir auf den Wegen um die Villa begegne. Also sei gewarnt. Und jetzt – hätte ich dir nichts mehr zu sagen, als daß ich dich im tiefsten Herzen verachte.

Er wandte sich und schritt langsam aus dem Zimmer. Eine Hohnlache schallte ihm nach.

*

Es war Mittag geworden, als der Sohn das Haus seiner Mutter wieder erreichte.

Auf dem Heimweg hatte er lange auf einem Felsstück im Olivenschatten gerastet und Alles noch einmal überdacht. Sein Entschluß war unerschüttert geblieben. Wenn ein Anderer sich des Herzens und der Person der Mutter bemächtigt hätte, auch dann wäre es ihm ein qualvoller Gedanke gewesen, diese so heiß geliebte Frau nicht mehr hoch über ihrem Geschlecht erhaben sehen zu müssen. Doch war sie Herrin ihrer Handlungen und ihres Schicksals. Er hätte ihren Widerstand gegen eine vielleicht ungleiche zweite Ehe zu überwinden gesucht, selbst um den Preis, verstohlene Wünsche seiner Schwester damit zu vernichten. Dieser verlorene Mensch aber, der Entehrung brachte, wohin er den Fuß setzte, nein – der durfte die Schwelle seines Mutterhauses nicht mehr überschreiten, und wenn die bethörte Frau ihm offen vor aller Welt die Thore geöffnet hätte.

So war er endlich beruhigter geworden und hatte es sogar über sich gewonnen, den Frauen mit einem gleichmüthigen Gesicht entgegenzutreten. Der angstvolle Blick, mit dem die Mutter ihn begrüßte, verrieth ihm, in welcher Pein sie auf seine Rückkehr gewartet hatte. Daß er von dem Erfolge seines Ausgangs kein Wort zu ihr sagte, befremdete sie nicht, da Bice zugegen war. Sie glaubte aus seiner scheinbaren Munterkeit schließen zu dürfen, daß die jungen Leute so oder so sich verständigt hätten. Das Mädchen, das nicht ahnte, wo der Bruder gewesen, neckte ihn damit, daß er von der morgendlichen Jagd nicht eine Feder mitgebracht habe. Sie war in der glücklichsten Laune. Nun, dachte sie, würde Alles sich bald nach ihren Herzenswünschen entscheiden.

Als sie unter gleichgültigen Gesprächen die Colazione beendet hatten, schützte Marcello Müdigkeit vor, um sich in sein Zimmer zurückzuziehen. Er fiel auch wirklich in einen tiefen, traumlosen Schlaf und wachte erst wieder auf, als gegen Sieben die alte Caterina bei ihm eintrat, um nachzusehen, ob der junge Herr nicht zum Essen kommen wolle.

Auch diese Stunde verlief, ohne daß er seine Stimmung verrathen hätte. Nur zuweilen, wenn sein Auge auf dem schönen, blassen Gesicht der Mutter haftete, wurde er still und zerstreut und seufzte heimlich, da sie den Blick nicht ertrug und die schwermüthigen Augen senkte. Sie gingen dann nach Tische zusammen durch die Besitzung, der Verwalter gesellte sich dazu und sprach von den Verbesserungen, die Donna Lionarda angeordnet hatte, und rühmte ihre kluge Umsicht in allen Dingen. Dann saßen sie, als die Sonne hinunter war, auf der Loggia beisammen, Bice sang in die stille, klare Luft hinaus einige Lieder, die ihr Sandro gebracht hatte, doch ohne daß sein Name genannt worden wäre. Als es zehn Uhr vom Campanile herüber schlug, gingen sie auseinander, Marcello küßte sein Schwesterchen, berührte aber nur leise die Hand der Mutter mit seinen Lippen. Sie sah ihn schmerzlich an, auch Bice wunderte sich, daß er so kühl war, da er die Mutter sonst stürmisch zu liebkosen pflegte, dachte aber nur, er sei nach dem nächtlichen Ritt noch nicht wieder ganz der Alte. So trennten sie sich.

Sobald der Jüngling in seinem Zimmer allein war, verriegelte er die Thür und trat an den Gewehrschrank. Er betrachtete wie im Traum die veralteten Waffen, die des Vaters Liebhaberei hier aufbewahrt hatte, die Büchsen mit den Feuersteinschlössern, die rostigen Säbel und Sattelpistolen. Was er suchte, fand er erst zuletzt in einem schwarzen, an den Ecken abgestoßenen Lederkästchen ganz unten im Schrank: ein Paar ganz neuer Pistolen englischer Fabrik mit damascirten, gezogenen Läufen. Langsam nahm er sie aus ihrem Behälter, prüfte die Hähne und ließ sie spielen und lud beide Waffen endlich mit der Munition, die in einem ledernen Beutelchen daneben lag.

Dann verschloß er den Schrank wieder, wickelte die Pistolen in ein Tuch, das der Vater, wie er sich noch wohl entsann, an rauhen Tagen um den Hals getragen hatte, und setzte sich, das kleine Packet vor sich auf dem Schooß haltend, an das offene Fenster.

Eine kalte Ruhe hatte ihn überkommen. Was er an diesem Tage erlebt hatte, stand vor ihm wie die Kapitel eines aufregenden Romans, den er gelesen, an den er aber jetzt ohne sonderliche Bewegung zurückdachte. Nur wenn er sich wieder bewußt wurde, daß es an ihm sei, der traurigen Geschichte den Schluß hinzuzufügen, furchte sich seine Stirn, und seine jungen Züge bekamen den Ausdruck finsterer Entschlossenheit.

Einmal, als ein neuer Gedanke ihm durch den Sinn fuhr, griff er in die Brusttasche seiner enganschließenden Uniformjacke, wo er seine Uhr zu tragen pflegte. Daneben steckte in einer feinen Lederscheide ein kleines Stilet, das ihm vor Jahren seine Mutter geschenkt hatte, da er gern auf einsamen Hügelpfaden umher strich und man nicht wissen konnte, was dem Knaben einmal Gefährliches begegnen mochte. Er zog es heraus und betrachtete im Schein des Mondlichts die doppelschneidige, schmale Klinge, in die er seinen Namen »Marcello« eingeritzt hatte. Sie war sehr wenig und nur zu ganz friedlichen Diensten gebraucht worden, nur die eine Seite etwas schartig geworden. Gedankenlos wetzte er sie ein paarmal an dem Fenstersims und steckte sie dann wieder an ihren Ort.

Da schlug es endlich Elf. Im Hause regte sich nichts mehr. Als er die Thür öffnete, hörte er wieder die schnarchenden Laute aus der Kammer der Alten und den harten Pendelschlag im Flur. Auf den Zehen stahl er sich aus dem Hause und merkte erst draußen, daß er barhaupt war. Doch hielt er sich nicht damit auf, die Mütze zu holen. Leise öffnete er die Mauerpforte und stieg auf dem schmalen Pfad den Oelwald hinan, das Tuch mit den Waffen unterm Arm.

Der Himmel war von leichten Wolkenstreifen übergittert, die den Mondglanz dämpften. Doch lag die Landschaft zwischen dem Ort und der Villa klar genug, daß Jeder, der auf ihr gegangen wäre, erkannt werden mußte. So war es überflüssig, auf dieser Seite auszuspähen. Wer sich unbemerkt in das Landhaus einschleichen wollte, mußte durch die Oliveta kommen.

Auf der Höhe des Hügelstrichs war eine kleine Lichtung. Eine alte Steineiche hatte hier hoch über die niedere silbergraue Pflanzung ihren Wipfel erhoben, bis ein Gewitter im vergangenen Jahr sie zu Falle brachte. Der Stamm war noch nicht abgesägt und fortgeschafft worden und lag wie ein Verhau, den jeder Spaziergänger überklettern mußte, quer über den Weg. Marcello, den der kurze Anstieg ermattet hatte, setzte sich rittlings auf die rauhe Rinde und legte die Waffen vor sich hin. Da das lose geknüpfte Tuch aufgegangen war, nahm er eine nach der andern wieder in die Hand, besah sie prüfend und legte sie offen neben sich. Eine bleierne Schwere lastete auf seinem Gehirn, eine Müdigkeit wie zum Sterben, gegen die er gewaltsam ankämpfte. Sein Puls aber schlug nicht rascher als sonst, nur ein leichtes Frösteln überschauerte ihn zuweilen trotz der lauen Luft, die in den Blättern der alten Oelbäume spielte.

Er wird nicht kommen! sagte er laut vor sich hin, heute nicht, vielleicht auch morgen nicht, erst wenn er denkt, daß ich fort bin. Aber er soll mich finden!

Zwanzig Schritte weit konnte er die Lichtung überschauen. Da drüben, wo der wunderliche alte Stamm, der nur noch eine zerklüftete Rinde war, sich phantastisch vornüberbog, eine Art Bogenthor über dem Waldpfade bildend, – da mußte er heraustreten, wenn er kam. Aber er würde nicht kommen, heute, es wäre Wahnsinn gewesen, dem Wächter geradezu in die Arme zu laufen. Doch, wenn er listig genug wäre, ihn zu umgehen, unten am Rande der Oliveta, wo kein Weg war, entlang zu schleichen, um so die Mauerpforte zu gewinnen –

Bei diesem plötzlichen Gedanken fuhr der Jüngling auf. Es war eine Thorheit gewesen, den Feind hier zu erwarten. Unten an der Gartenthüre war sein Platz. In diesem Augenblick, da er die Waffen eben wieder an sich nehmen wollte, schlug es Zwölf aus weiter Ferne, und in demselben Moment trat der Erwartete aus dem Dunkel der Waldung hervor. Doch stutzte er und blieb auf der Lichtung stehen, denn nur zehn Schritte von ihm entfernt sah er den Gegner sich gegenüber.

Er stand aber schweigend nur einen Augenblick. Dann sagte er, lachend, in seinem gewohnten leichtfertigen Ton: Cospetto, du hier, Zitella, statt in deinem Bette tugendhafte Träume zu träumen? Und was hast du dir da für ein blankes Spielzeug mitgebracht? Willst du Räuber spielen und einen friedlichen Nachtwandler überfallen? Am Ende hast du gehört, daß unser Landsmann, der berühmte Missirilli, der zehn langweilige Jahre auf der Galeere abgesessen hat, wieder freigekommen ist. Wahrscheinlich macht er uns nächstens einen Besuch, um mit gewissen guten Freunden abzurechnen, deren unbedachter Eifer ihn damals in die Eisen gebracht hat. Möchtest du dich von diesem Galantuomo anwerben lassen? Es wäre nicht so übel. Denn unter einem so kühnen Condottiere zu fechten muß ein bischen lustiger sein, als der einförmige Garnisonsdienst.

Der Jüngling sah ihm in mühsam verhaltener Wuth ins Gesicht.

Du weißt, warum ich hier bin, sagte er. Du weißt auch, was die Waffen da zu bedeuten haben. Nur Einer von uns Beiden verläßt lebend diesen Platz.

Sandro lachte laut auf. Gutes Kind, sagte er, und wenn ich dieser Eine wäre – du weißt ja, daß ich wenig davon hätte. Ich würde dann als dein Mörder vogelfrei werden, und mit diesen angenehmen Spaziergängen in der kühlen Nacht wär's vorbei. Nein, Kind, sieh doch endlich die Sachen, wie sie sind. Da es dir unlieb ist, daß ich meine Besuche da unten fortsetze, solange du im Hause bist, hätte ich dir gern den Gefallen gethan, zu warten, bis dein Urlaub abgelaufen wäre. Ich hab' es aber einer Dame, die ich verehre, versprochen, heute wiederzukommen. Was sollte sie von mir denken, wenn ich mein Wort nicht hielte, mich einschüchtern ließe durch die Drohungen eines Jüngferchens, das ebenfalls keine sonderliche Meinung von meiner Herzhaftigkeit bekommen hätte? Also gieb mir den Weg frei und laß die Possen, Marcello!

Er that ein paar Schritte vorwärts, so nah an den Jüngling heran, daß dieser den Cigarrettenduft in Sandro's Haar und Bart spürte. Er rührte sich aber nicht.

Zum letzten Mal, Sandro – willst du es mit mir ausmachen in einem ehrlichen Kampf? Wir messen zwölf Schritte Distanz ab, du als der Geforderte hast den ersten Schuß; was geschieht, wenn ich nicht mehr bin, sei dem Himmel anheimgestellt.

Ich habe keinen Beruf zum Mörder, erwiderte der Andere kalt. Du weißt, daß ich im Casino von sieben Malen fünfmal das Coeur-Aß auf dreißig Schritte herausschoß mit der Pistole. Dein zartes junges Herzchen würde ich gewiß nicht fehlen, mein Sohn, aber es wäre schade um eine so schmucke Jungfer. Also –

Er hob den Arm, Marcello beiseite zu drängen. In demselben Augenblick stieß er einen dumpfen Schrei aus; der Jüngling hatte in die Brusttasche gegriffen und mit dem Ausruf: So gnade dir Gott! den scharfen Stahl blitzschnell in die Brust des Feindes gesenkt.

Accidente! knirschte der tödtlich Getroffene, taumelte ein paar Schritte zurück, focht mit den Händen durch die Luft und stürzte dann vornüber in das dürre Gras, mit dem die Waldblöße bedeckt war.

*

Ohne ein Glied zu rühren, stand der Rächer da, den Blick starr auf sein Opfer gerichtet, das zuckend vor ihm am Boden lag, während ein dunkler Fleck unter seiner Brust hervor sich mehr und mehr auf dem Rasen ausbreitete. Erst als der Kampf des scheidenden Lebens ausgezittert hatte, wachte der Jüngling aus seiner Betäubung auf. Von dem Dolch, der ihm nach dem heftigen Stoß in der Hand geblieben war, so fest hatten die bebenden Finger den Griff umkrampft, sickerten noch ein paar feine Tropfen herab. Marcello erfaßte ein unbezwinglicher Ekel vor diesem Blut, und ohne sich zu besinnen, schleuderte er die Waffe weit von sich. Dann trat er zu dem Todten und bückte sich zu ihm hinab, zu horchen, ob noch ein Lebenshauch von ihm ausging. Er selbst hielt den Athem an, die Waldung umher war todtenstill. Mit einem kurzen Ruck brachte er den leblosen Körper auf den Rücken zu liegen und überzeugte sich, daß die Augen gebrochen waren. Das verzerrte Gesicht entsetzte ihn aber nicht. Er empfand nicht die geringste Regung von Reue; was er gethan, war ihm eine heilige Pflicht gewesen. Er hatte die Welt von diesem Elenden befreien müssen wie von einem gefährlichen Raubthier. Nur seinen Haß hatte der Anblick des Todes ausgelöscht.

Mit einer Kaltblütigkeit, die über seine hitzige Jugend fast hinausging, überlegte er, daß es nothwendig sei, den Verdacht, er könne für dieses Blut verantwortlich sein, abzulenken. Er griff in die Tasche des starr Daliegenden und zog das Geldtäschchen heraus, das er seines Inhalts entleerte, um glauben zu machen, es sei bei der That auf eine Beraubung abgesehen gewesen. Die paar Goldstücke, die er fand, und einiges Papiergeld steckte er zu sich, das lederne Täschchen ließ er neben der Leiche auf den Boden fallen. Jetzt erst kam ihm der Gedanke, daß er den Dolch fortgeworfen hatte. Wenn man ihn fände und seinen Namen darauf läse –!

Er machte sich eilig daran, die kleine Waffe zu suchen, der Schweiß trat ihm auf die Stirn, aber soviel er sich bückte und mit den Händen auf dem dürren Boden herumtastete, so hell der Mond aus den Dunststreifen trat, ihm die Leuchte dabei zu halten, – nirgend eine Spur, auch die rothen Tropfen in der Nähe führten ihn nicht an die rechte Stelle. Zuletzt ließ er von der vergeblichen Mühe ab. Er mußte das Messerchen so weit im Bogen weggeschleudert haben, daß es irgendwo im Dickicht fern von der Lichtung zur Erde gesunken war, wo schwerlich ein Andrer es suchen würde.

So kehrte er nach dem Eichenstamm zurück, warf noch einen letzten Blick nach dem Todten, nahm die beiden Pistolen, in das Tuch gewickelt, wieder unter den Arm und schritt langsam die Oliveta hinab, seinem Hause zu.

*

Von keinem Auge gesehen, durch kein Geräusch im Hause erschreckt, gelangte er in sein Zimmer. Hier entkleidete er sich, nachdem er die Pistolen wieder in ihr Gehäuse zurückgelegt hatte, und musterte sorgfältig seine Uniform, ob sie keine Spur der blutigen That an sich trage. Nur an seinen Händen entdeckte er ein paar dunkle Flecken, die wusch er eilig ab und schüttete das leicht gefärbte Wasser auf das Resedabeet unter seinem niedrigen Fenster. Dann schloß er den Laden und legte sich, tief aufathmend, zu Bett. Obwohl es ganz ruhig in seinem Innern blieb, konnte er lange den Schlaf nicht finden. Endlich fielen ihm doch die Augen zu, vor denen beständig das bleiche, mondbeschienene Todtengesicht gestanden hatte.

Am frühsten Morgen wurde er durch laute Stimmen im Hausflur geweckt. Er fuhr rasch in die Kleider und trat hinaus. Die Knechte des Verwalters und einige Leute aus dem Ort standen um die alte Magd herum und horchten dem Bericht eines Burschen, der droben im Wäldchen den Todten gefunden hatte. Der Jüngling, ohne ein Wort dazuzugeben, ließ sich Alles wiederholen, sagte, er werde sogleich selbst hinaufgehen, man möge nur eilig den Vater des Unglücklichen und den Pfarrer benachrichtigen; vor Allem schärfte er der Alten ein, der Herrin und Bice die Schreckensnachricht gelinde beizubringen.

Es selbst zu thun, was wohl seine Pflicht gewesen wäre, traute er sich die Kraft nicht zu.

Als er zu der Lichtung hinaufkam, wo im ersten Morgenschein der Leichnam lag, wie er ihn verlassen hatte, fand er um den laut jammernden und sich die Haare zerraufenden Podestà schon die halbe Einwohnerschaft des Orts versammelt. Da seht! rief der Vater, indem er mit thränenerstickter Stimme Marcello's Hand ergriff und ihn zu dem Todten zog, seht, was ein gottvergessener Schurke an meinem armen, herrlichen Sohn gethan hat. Ihr seid sein Freund gewesen, Sor Tenente! Er hat mir noch erzählt, wie Ihr Euch gefreut habt, ihn wiederzusehen, so zu seinem Vortheil verändert, wie auch Eure edle Mutter ihm bezeugen mußte. Nun hat ein verfluchter Räuber sein Blut vergossen und mich der Stütze meines Alters beraubt! Die Rache des Himmels über sein Mörderhaupt! Sandro, mein edler, geliebter Sohn! Nur einen Blick noch auf deinen unglücklichen Vater! einen Laut von deinen blassen Lippen, der uns auf die Spur brächte, welcher Höllenhund sich auf dich warf, dich zu zerfleischen! Hätte der ruchlose Stahl sich doch auch in mein Blut getaucht! Wozu soll ich das Licht der Sonne noch schauen, wenn deine Augen sich im dunklen Grabe –

Er warf sich über den erkalteten Leib des Sohnes hin und schluchzte so heftig, daß die Umstehenden gleichfalls in Weinen und Wehklagen ausbrachen.

Nur Marcello vergoß keine Thräne. Die Rhetorik, in welcher der Alte, der sich gern reden hörte, auch bei diesem erschütternden Anlaß sich zu gefallen schien, hatte ihn vollends erkältet. Mit finsterem Gesicht fragte er die Leute, ob man einen Argwohn habe, wer die That begangen haben möchte. Es sei jedenfalls ein Fremder gewesen, war die Antwort. Keiner aus dem Ort habe zu Nacht sein Haus verlassen. Der arme junge Herr habe es geliebt, wenn er die heißen Tage in seinem Zimmer gearbeitet, sich durch einen Gang in der Nachtkühle zu erfrischen. Einen Feind habe er nicht gehabt, denn gewisse Jugendsünden seien ihm längst verziehen worden. Der Name Missirilli wurde genannt, und bald waren Alle darüber einig, dieser Auswurf der Menschheit müsse auch die jüngste ungeheure Frevelthat auf sein Gewissen geladen haben.

Der Pfarrer kam dazu, man hob den Leichnam auf, und vier kräftige Burschen trugen ihn auf einer schnell herbeigeschafften Bahre, der der Vater wehklagend folgte, nach dem Ort zurück.

Das leere Geldtäschchen, das sogleich gefunden worden war, hatte die letzten Zweifel zerstreut, daß ein andrer Antrieb, als die Habsucht, zu der Blutthat geführt haben könne.

Marcello blieb allein zurück. Er sagte, seine nächste Pflicht sei, die Seinigen zu beruhigen, denen der Todte werth gewesen sei. Als er ganz ohne Zeugen war, stellte er noch einmal eine genaue Umschau nach der verlorenen Waffe an. Wieder ohne Erfolg.

Das Herz pochte ihm beklommen, als er die Villa wieder betrat. Wie würde er es ertragen, die Augen der beiden Frauen auf sich gerichtet zu fühlen. Das Schwerste aber blieb ihm erspart. Bice hatte die Schreckensnachricht erfahren, als sie, durch den Tumult im Hause geweckt, ans offene Fenster gesprungen war und hinausgehorcht hatte. Einer der Knechte im Garten drunten, den sie angerufen, hatte ihr, ohne sich zu bedenken, gesagt, daß man den Sohn des Podestà in der Oliveta droben todt in seinem Blute gefunden habe. Als die Caterina dann zitternd sich hereinschlich, lag das junge Mädchen zusammengebrochen ohne Bewußtsein auf dem Boden am Fenster. Die Alte hatte sie kaum auf Ihr Bett getragen, da trat die Mutter herein. Die erloschenen Augen in ihrem versteinerten Gesicht bekundeten, daß auch sie das Furchtbare schon gehört hatte. Die Magd schluchzte und schwatzte dazwischen ohne Aufhören. Donna Lionarda blickte stumm auf ihr bleiches Kind.

So fand sie der Sohn. Kein Blick und kein Wort wurde zwischen ihnen getauscht. Marcello stand, düster die Stirn gesenkt, dabei, während die Frauen sich bemühten, die Bewußtlose wieder zu sich zu bringen. Die Ohnmacht wich endlich von ihr, aber ihre Sinne blieben getrübt. Als der Arzt geholt worden war, erklärte er, ein hitziges Fieber sei ausgebrochen.

So blieb es diesen und den folgenden Tag, während deren die Mutter nicht von der Seite ihres phantasirenden Kindes sich trennte. Noch immer hatte sie kein Wort mit dem Jüngling gesprochen, der von Zeit zu Zeit über die Schwelle trat, eine stumme Frage auf den Lippen, eine Weile zum Fenster hinausstarrte und sich dann mit verbissenem Gram auf den Zehen schleichend zurückzog.

Am dritten Tage fand das Begräbniß statt. Dicht hinter dem Sarge schwankte der trauernde Vater einher, neben ihm der Pfarrer, der leise Trostsprüche an ihn hinredete. Dann folgte, den man für den Freund des Todten hielt, Marcello. Aus seinem Gesicht war alle Jugendfarbe verschwunden, eine tiefe Furche stand zwischen den düster gespannten Brauen, die Lippen waren hart aufeinander gepreßt. Die Leute zeigten sich ihn mit scheuem Mitleiden. Nächst dem Vater müsse dieses Unglück ihn am schwersten getroffen haben, da der Todte heimlich verlobt gewesen sei mit der Schwester dieses Jünglings. Daß das Leben des jungen Mädchens in hoher Gefahr schwebte, wußte man auch. So drängten sich Alle, nachdem der Sarg hinabgesenkt und alle Gebräuche vollzogen waren, nächst dem Vater an Marcello heran, ihm mit Beileidsmienen die Hand zu drücken. Er hatte, während der Priester sein Latein hersagte, keinen Schauer des Gewissens empfunden. Es ist abgethan! klang es in seiner starren Seele. Das Unheil ist von der Erde geschwunden, das Gericht hat entschieden. – Jetzt aber überlief es ihn doch unheimlich, als all diese arglosen Menschen die Hand voll Theilnahme drückten, die den Beweinten unter die Erde gebracht hatte. Er entzog sich der Menge und schloß sich dem Pfarrer an, der die kirchlichen Geräthe wieder in die Sacristei brachte. Nehmt, Don Sisto, sagte er, ihm ein Papier überreichend, in das er drei Goldstücke, den Rest seiner kleinen Habe, eingewickelt hatte. Das schickt Euch meine Mutter, daß Ihr Seelenmessen für den Todten lesen mögt. Und hier – er griff in die Tasche, in die er das Geld aus Sandro's Beutel gesteckt hatte – es ist Alles, was ich gerade bei mir habe. Vertheilt es unter die Armen. Sie sollen für ihn beten. Er ist unbußfertig gestorben und wird die Gnade Gottes nöthig haben.

Er wandte sich rasch ab, als der Geistliche danken und auch ihm Trost spenden wollte, und schritt auf der Landstraße, die in der Nachmittagssonne glänzte, der Villa zu. Den Weg durch die Oliveta zu betreten, hätte er nicht über sich gewonnen.

Als er das Zimmer der Schwester betrat, fand er nur die Caterina an ihrem Bette, mit Eis die Stirn des Mädchens kühlend. Sie raunte ihm zu, daß die Kranke seit einer Stunde in Schlaf gesunken sei, was der Arzt als Symptom der überstandenen Gefahr bezeichnet hatte. Die Frau sei in ihr Zimmer gegangen, zum ersten Mal nach drei Tagen sich ein wenig hinzulegen und zu versuchen, ob auch sie schlummern könne.

Da ging der Jüngling sacht wieder hinaus, nachdem er einen schmerzlichen Blick auf das ruhig athmende junge Gesicht geworfen hatte. Auch ihm lös'te sich die furchtbare Spannung, die seit jener Nacht ihn beherrscht hatte. Sie wird leben und es überwinden! sagte er sich.

An die Mutter zu denken, hatte er sich gewaltsam versagt.

Nun saß er unten mitten im Zimmer und brütete vor sich hin. Da öffnete sich leise die Thür, und Frau Lionarda trat ein.

Sie trug noch immer das weiße Morgenkleid, in welchem die Kunde von der grauenhaften That sie überrascht hatte. Nur einen großen schwarzen Schleier hatte sie über den Kopf gehüllt; das entfärbte Gesicht sah wie eine marmorne Larve unter den dunklen Spitzen hervor.

Du, Mutter! hauchte der Sohn und fuhr von seinem Sitz in die Höhe. Was – führt dich – zu mir?

Sie schloß die Thür hinter sich und trat langsam näher. Ihr Blick vermied den seinen, der sich in bitterem Schmerz auf die entstellten Züge des einst so geliebten Gesichts heftete. Sie näherte sich dem Fenster und schloß beide Flügel. Dann, gegen den Sims gelehnt, obwohl ein Stuhl daneben stand und ihre Kniee zitterten, sagte sie mit tonloser Stimme:

Ich habe, da Bice eingeschlafen war, mich aus dem Hause gewagt. Ich bin den Hügel hinaufgegangen – es zog mich, so sehr mir graute, zu der Stelle, wo er – verschieden war. Als ich den dunklen Fleck im Grase sah, verließ mich die Kraft, und ich brach zusammen. Aber die Sinne schwanden mir nicht. Ich wollte beten – für ihn und Den, der es gethan – ich fand aber keine Worte. Wie ich dann in meinem Jammer um mich blicke – da, unter dem Eichenstamm ganz versteckt – fand ich das!

Sie griff mit der bebenden schneeweißen Hand in die Falten ihres Kleides und zog das kleine Dolchmesser hervor. Die Klinge trug eingetrocknete dunkelrothe Flecken. Als ihr Auge darauf fiel, vermochte sie nicht länger sich aufrecht zu erhalten. Sie sank auf den Sessel nieder, und die Waffe fiel klirrend auf den Estrich.

Es ist mein Dolch, Mutter, sagte er finster. Ich habe damit einen Todfeind von der Schwelle dieses Hauses abgewehrt. Vor dem Gericht Gottes will ich es verantworten. Wenn du es zum Zeugniß gegen mich vor einem irdischen Richter brauchen willst, so thu's. Ich werde nicht leugnen.

Marcello! schrie die unglückliche Frau. Das ist zu viel! Das hab' ich nicht verdient, so tief verachtet zu werden von dem eigenen Kinde. Oh! Oh! – und sie schlug die Hände vor das Gesicht und brach in fassungsloses Schluchzen aus.

Im Nu war er zu ihr hingestürzt und auf die Kniee neben ihr hingesunken.

Mutter! rief er mit erstickter Stimme, vergieb! Ich weiß nicht, was ich rede. O Mutter, wenn du in mein Herz blicken könntest, du hättest Mitleid mit deinem armen Sohn, der nie mehr froh werden kann. Und doch, Mutter, glaube nicht, daß ich schwach genug sei, zu bereuen, was ich that. Ich würd' es noch einmal thun, wenn er wieder vor mich hin träte. Aber daß ich es thun mußte – mit eigner Hand all mein Glück, meinen Frieden, meine Hoffnungen zertrümmern –

Die Frau hörte plötzlich zu schluchzen auf. Mit weit offenen Augen starrte sie zu der Zimmerdecke empor.

Ja, sagte sie dann, und ihre Stimme klang hart und dunkel – all unser Glück, all unsre Hoffnungen! Ich wußte es von der ersten Stunde an, du hattest es gethan, hattest es thun müssen. Aber das Blut, das du vergossen – wie ein breiter Strom, über den keine Brücke führt, rauscht es zwischen mir und dir. Drüben steht ein Sohn, der seine Mutter verachtet, und hier ein armes Weib, das die Hand des geliebtesten Kindes nie mehr ohne Grauen berühren kann. Wir sind einander verloren, schlimmer als Wildfremde, und selbst in der Ewigkeit werden wir uns mit scheuen, traurigen Augen grüßen, wenn es wahr ist, daß man dort sein Erdenleben nicht vergessen kann.

Er hatte sein Gesicht in die Falten ihres Kleides vergraben. Ihre Hand wagte er nicht zu fassen.

Was sprichst du, Mutter! stammelte er. Denke, daß die Zeit so Vieles heilt, daß wir noch jung sind, – denn auch du bist jung, Mutter. Wie hättest du sonst –

Er vollendete die Rede nicht. Sie aber nahm sie auf. Ja wohl, daß ich noch jung war, trotz meiner großen Kinder, das war mein Verderben. Oder nein, nur ein Funke ungenossener Jugend glomm noch unter der Asche. Den hat der Athem der Leidenschaft über Nacht zur Flamme angeschürt, und mir überm Kopf ist der Brand zusammengeschlagen. Wenn du ahntest, mein Sohn, was es heißt, nie jung gewesen zu sein, nie so recht von Herzen das schöne Leben an seine Brust gedrückt zu haben, – o Marcello, du dächtest milder über die Verirrung deiner armen Mutter und schaudertest nicht vor ihr zurück, wenn sie danach schmachtet, nur einmal noch ihr Gesicht an deine Schulter zu lehnen.

Da sprang er von den Knieen auf und hob auch sie empor, sie mit beiden Armen an sich reißend. Mutter, rief er, ja, wir müssen uns trennen, bis diese Wunden vernarbt sind. Doch kein anklagender Gedanke wird in mir aufsteigen, wenn ich deinen Namen nenne. Ich weiß, welche Macht der Unselige über arglose Herzen hatte, und wie selbst eine Heilige in dieser freudlosen Oede der Versuchung erliegen mußte. Ja, Mutter, es ist furchtbar, was wir zu tragen haben. Aber es soll uns nicht trennen, nicht für immer, wenn es auch besser ist, wir gehen für einige Zeit Jedes seinen Weg allein. Mein Urlaub ist morgen zu Ende. Ich hatte um Verlängerung bitten wollen. Nun, da Bice der Genesung entgegengeht, habe ich nichts mehr, was mich hier fesselte. Und so lebe wohl, Mutter! Ich gehe noch heut, noch in dieser Stunde.

Er wollte sie an sich ziehen, sie auf den bleichen Mund zu küssen. Aber sie entzog sich ihm. Ich bin es nicht werth, hauchte sie, und ihre Augen wurden wieder feucht. Ich danke dir, mein theures Kind, für jedes gute Wort, das du mir gesagt hast. Doch daran glauben kann ich nicht. Es ward zu viel gesündigt, hüben und drüben, das löscht kein guter Wille, alle Gnade und Barmherzigkeit Gottes nicht mehr aus. Und darum sei's genug. Bete für deine arme Mutter. Du bist der Schuldlosere von uns Beiden, was du bittest, wird eher Erhörung finden.

Sie lös'te sich sanft aber fest aus seinen Armen und schritt gesenkten Hauptes hinaus, ihn in tiefster Bewegung zurücklassend.

*

Die Kameraden in der Garnison empfingen Marcello am andern Tage mit aufgeregter Neugier. Die Zeitungen hatten abenteuerliche Berichte über die dunkle That verbreitet, man wollte das Genauere von dem Heimgekehrten erfahren und machte sich Gedanken darüber, daß auch er behauptete, die Spur des Thäters sei noch nicht gefunden. Seine Erklärung, Sandro habe sich redlich bemüht, einen neuen Menschen anzuziehn, begegnete ungläubigem Achselzucken. Auch daß er eine Annäherung dieses übelberüchtigten Gesellen an seine Schwester habe dulden können, wie die Fama ebenfalls verkündet hatte, wurde ihm heimlich verdacht. Immerhin fand man es erklärlich, daß eine schreckenvolle That, wie diese, zumal auf das Gemüth dieses jungfräulichen Zwanzigjährigen, einen düsteren Schatten geworfen hatte. Und bald genug wurde das Gerede hierüber von anderem Tageslärm verschlungen.

Aus seiner Heimath kamen nur seltene, immer ganz kurze Briefe der Mutter. Sie sprachen von nichts, als von der fortschreitenden Genesung Bice's. Seit diese wieder selbst die Feder führen konnte, blieben die mütterlichen Briefe ganz aus. Dagegen that es dem trauernden Mädchen sichtbar wohl, ihre Klagen gegen den Bruder auszuströmen, da, wie sie schrieb, die Mamma den Namen des Todten nie mehr wolle nennen hören. Sie sei überhaupt völlig verwandelt, kümmere sich kaum noch um Haus und Hof und liege halbe Tage lang müßig auf der Loggia, gegen den Himmel starrend, so tief in sich versunken, daß sie nichts höre, bis man sie geradezu anrede.

Auch sei ihre Gesundheit erschüttert, und der Arzt mache ein bedenkliches Gesicht.

Das Jahr seit jenem Ereigniß war noch nicht voll abgelaufen, da erreichte den Sohn, der kein einziges Mal um Urlaub zu einem Besuch in die Heimath gebeten hatte, die telegraphische Botschaft, daß seine Mutter durch einen Herzschlag plötzlich hingerafft worden sei.

Er sah das theure Antlitz nur noch auf der Bahre, wo es unter Frühlingsblumen wie eine griechische Maske der tragischen Muse ruhte. Eine ganze Nacht brachte er neben ihr zu, seine Thränen versiegten kaum in all den langen Stunden, er wußte, daß er nie einen Menschen heißer lieben würde, als diese Todte, der er selbst den Schmerz hatte bereiten müssen, den sie nicht lange zu überleben vermocht hatte.

Die Schwester nahm er, nachdem er das Gut dem Verwalter verpachtet hatte, nach Parma mit. Ihre süße, noch immer schwermüthig verschleierte Jugend gewann ihr, da der Bruder sie im Hause eines würdigen Ehepaars in Pflege gegeben, alle Herzen, und als es bekannt wurde, daß Marcello ihr das Haus und die Felder, die sie gemeinsam geerbt, zum Alleinbesitz überlassen habe, fand sich bald ein oder der andere Bewerber um ihre Hand.

Das Trauerjahr um die Mutter war noch nicht ganz verflossen, als Bice einem trefflichen Kameraden ihres Bruders, einem ernsteren, nicht mehr ganz jungen Manne, ihre Jawort gab.

Gleich nach der Hochzeit nahm Marcello Abschied. Er schien irgend ein Leiden zu haben, für das die Aerzte, die keinen Namen dafür wußten, Luftveränderung anriethen. Er war abgemagert, und die Augen lagen ihm tief in den Höhlen. Niemand hatte ihn wieder lachen hören.

Als nach etlichen Jahren die Nachricht aus Afrika herüberkam, er habe als Hauptmann in der französischen Fremdenlegion bei einem Recognoscirungsritt den Tod durch die Kugel eines Eingeborenen gefunden, betrauerten ihn die alten Bekannten aufrichtig. Doch mehr als Einer setzte hinzu: Er hat nicht viel am Leben verloren. Der seltsame Träumer hat Alles zu tragisch genommen.

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