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Fedja.

(1893.)

 

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Ferrara! sagte mein Freund B***, der Archäolog, als ich ihm von meiner jüngsten Wanderung durch die kleinen Städte Oberitaliens erzählte. – Also hast du endlich diese alte Lücke deiner italienischen Bildung ausgefüllt. Nicht wahr, es verlohnte immerhin der Mühe? Eine solche Verödung, wo einst ein stolzes, buntes Leben geherrscht hat, zwanzigtausend Einwohner in einer Stadt, die für hunderttausend gebaut war, ein Pompeji der Renaissance, das nur aus Versehen nicht verschüttet worden ist, da zufällig kein Vulcan in der Nähe war. Aber was für feingegliederte Palastfaçaden in den todtenstillen, weitgestreckten Straßen, welch zauberhafte Höfe mit luftigen Arcaden, durch deren Eisengitter man in verwilderte immergrüne Gärten blickt, und die Sonne Ariost's und Tasso's über all der verwais'ten Pracht, daß man wie in ein verschollenes Märchen hineinzutreten meint, wenn ein grauer Hausmeister mit dem rostigen Schlüssel einem die Pforte öffnet. Und doch, ich begreife, daß du in vierundzwanzig Stunden genug hattest. Was für ein unheimlicher Mausoleumsduft schwebt über all der grandiosen Herrlichkeit! Selbst ein spukfester Mensch findet es auf die Länge nicht geheuer, seinen einsamen Schritt von dem Pflaster der unabsehlichen Gassen wiederhallen zu hören und höchstens einem mageren Hunde zu begegnen, der seinen längst verstorbenen Herrn zu suchen scheint. Auch ich, als ich vor zwölf Jahren zum erstenmal in Ferrara war, hätte es trotz der wundersamen Fresken im Palazzo Schifanoja und dem schönen leuchtenden Dosso Dossi im Ateneo schwerlich vier ganze Tage dort ausgehalten, ohne eine merkwürdige Bekanntschaft, die ich gleich am ersten Abend in der Stella d'oro machen sollte. Ich muß dir's doch erzählen. Es ist wenigstens eine Charakterstudie für deine Galerie interessanter Frauenköpfe.

Also ich war des Abends, eines dunklen Octoberabends, mit dem Schnellzug von Padua angekommen und hatte in der Stella d'oro, wo auch du natürlich abgestiegen bist, da es das einzige menschenmögliche Hôtel in Ferrara ist, ein niedriges Mansardenzimmerchen bekommen, gerade dem Schlosse gegenüber. Du wirst denselben Eindruck empfangen haben, als du hörtest, dieser arsenalartige Riesenbau aus Backstein, der aus seinem tiefen Wassergraben wie ein bombenfestes Zwing-Ferrara aufsteigt, sei die Wohnung jenes Alfons und seiner schönen Schwester gewesen, die uns in Goethe's Tasso als intime Freunde jeder heiteren Kunst geschildert werden. Genug, die düstere Aussicht aus meinem kleinen Fenster konnte mich nicht lange fesseln. Ich eilte, in den Speisesaal hinunterzukommen, um ein verspätetes Pranzo einzunehmen.

Ob in den zwölf Jahren an der Einrichtung der Sala da Pranzo sich das Geringste geändert hat, möchte ich bezweifeln. Italienische Gastwirthe sind so conservativ. Du wirst noch denselben mit Mull umwickelten Kronleuchter, die halberblindeten Wandspiegel, deren Goldrahmen mit verstaubten, fliegenbeschmutzten Gazeüberzügen verkleidet waren, dieselben verschossenen Prunkmöbel aus der Empirezeit vorgefunden haben, die diesen ehemaligen Salon des alten zum Hôtel herabgesunkenen Palazzo decorirten. Gewiß steht auch jetzt noch die lange Tafel in der Mitte mit den breiten broncenen Armleuchtern, deren Kerzen nie angezündet werden, da für die wenigen Tischgenossen die eine hohe Petroleumlampe in der Mitte vollkommen ausreicht.

Auch an jenem Abend saß nur eine einzelne Dame am Tisch, die mich bei meinem Eintritt mit einem flüchtigen Blick streifte, meinen stummen Gruß kaum merklich erwiderte und gleich zu lesen fortfuhr. Sie mußte ihr Mahl schon lange beendet haben, die Kaffeetasse stand geleert neben dem Teller, auf dem sich ein kleiner Aschenberg ausgerauchter Cigarretten zwischen Pfirsichkernen und Traubenschalen erhob. Ein paar italienische Zeitungen lagen dabei. Jetzt war sie in ein Heft der Revue des deux mondes vertieft, lag in einen Armsessel zurückgelehnt, so daß sie mir das Profil zukehrte, und nichts regte sich an ihr als der kleine Finger ihrer nicht kleinen, aber weißen und gutgeformten Hand, mit dem sie von Zeit zu Zeit die Asche der Cigarrette abstreifte.

Ich hatte, während ich aß, alle Zeit, ihr Gesicht zu studiren. Es war weder schön noch jung, doch anziehender als manche aufblühende oder voll ausgereifte Frauenschönheit. Keine Italienerin, auch wohl keine Deutsche, vielleicht eine Französin, gewiß über vierzig, worauf nicht nur die Fülle ihrer Gestalt, sondern auch die leichten grauen Fäden deuteten, die sich durch ihr einfach aufgestecktes braunes Haar zogen. Was auf den ersten Blick in den charaktervollen Zügen auffiel, war der Ausdruck eines energischen Willens, der in der etwas vorspringenden vollen Unterlippe und der zuweilen leicht sich rümpfenden geraden Nase fast zu verächtlichem Trotz sich steigerte, sobald sie etwas las, was ihren Widerspruch herausforderte. So deutete ich mir wenigstens das leise Mienenspiel des geistreichen Gesichts.

Gekleidet war sie, soviel ich's verstand, mit dem ausgesuchten, aber einfachen Geschmack einer Dame der guten Gesellschaft. Auch trug sie keinerlei Schmuck, nur an dem bewußten kleinen Finger einen breiten goldenen Reif mit einem kleinen Türkis.

Wir hatten etwa eine halbe Stunde so beieinandergesessen, durch die Breite des Tisches geschieden, als neben dem Kellner, der mir das Dessert auftrug, ein auffallend großer blonder junger Mensch ins Zimmer trat, der sich der Dame näherte und in einem ziemlich geläufigen, aber incorrecten Italienisch meldete: das Zimmer der Frau Baronin sei bereit, eine zweite Lampe aber nicht aufzutreiben gewesen.

Vabbene! erwiderte die Dame und fuhr noch eine Weile zu lesen fort, ohne den Menschen, der ihr gegenüber stehen blieb, eines Blickes zu würdigen. Ich konnte ihn nun mit Muße betrachten und war überrascht von der ungewöhnlichen Zartheit seiner Gesichtsfarbe und Regelmäßigkeit seiner Züge. Nur die etwas zu breiten Wangen und der schlaffe Zug an dem feingeschnittenen Munde entstellten ihn ein wenig und gaben ihm trotz des blonden Schnurrbärtchens etwas Weibisches, das an slavischen Typus erinnerte. Trotz seiner Größe aber, neben welcher der Kellner sich knabenhaft ausnahm, war er nicht überschlank, sondern vom schönsten Ebenmaß, die Brust eines Antinous, an den er auch in dem gleichgültig, fast schwermüthig vor sich hin starrenden Blick der dunkelgrauen Augen erinnerte. Er war nicht wie ein Diener gekleidet, sondern trug einen schwarzen leichten Anzug von englischem Schnitt, und nur eine weiße Cravatte erinnerte daran, daß er nicht sein eigener Herr war. Dann wieder befremdete mich's, daß er, während er auf den Aufbruch seiner Herrin wartete, eine weiße Nelke an seine schöne Nase brachte und, nachdem er eine Weile daran gerochen hatte, sie ins Knopfloch steckte, als die Dame sich endlich erhob.

Sie zauderte noch einen Augenblick und schien mich nun erst einer genaueren Prüfung zu würdigen. Dann sagte sie plötzlich auf Deutsch, mit einem entschieden ostpreußischen Accent: Würden Sie wohl die Güte haben, mein Herr, mir diese Lampe zu überlassen und mit den acht Kerzen sich zu begnügen, die mein Diener sogleich anzünden wird? Meine Augen sind nicht die besten, und da ich bis Mitternacht zu lesen pflege, reicht mir das Kerzenlicht nicht aus. Ich führe selbst eine Reiselampe mit mir, sie ist aber aus Versehen in Parma zurückgeblieben.

Ich stellte ihr natürlich die Lampe zur Verfügung, der Diener vollzog ihren Befehl, nahm dann ein großes weiches Juchtenlederkissen, durch das sie ihren Sitz verbessert hatte, ihr silbernes Cigarretten-Etui und das Heft der Revue an sich und folgte ihr, nachdem sie mir herablassend gedankt hatte, zur Thür hinaus, während der Kellner die Lampe vorantrug, so ehrerbietig, als sei er der Fackelträger einer regierenden Fürstin.

Als er mir dann das Fremdenbuch vorlegte, in welchem ich den Namen einer bekannten ostpreußischen Freiherrnfamilie las – »mit Courier« war beigefügt –, erzählte er, die Signora Baronessa sei mit dem Mittagszuge gekommen, habe die drei besten Zimmer im ersten Stock in Beschlag genommen und sonderbarerweise eins davon dem Courier angewiesen, so daß ich mit dem Zimmerchen im obersten Stock hätte vorlieb nehmen müssen, das sonst für die Dienerschaft gut genug zu sein pflege. Er lächelte dabei bedeutungsvoll und zuckte die Achseln. Sie ist eben eine Russin! sagte er.

Ich fand es überflüssig, seinen geographischen Kenntnissen nachzuhelfen.

Draußen war unfreundliches Wetter, ich verzichtete darauf, meine Cigarre im Freien zu rauchen, zumal unter dem schwarzen, regensprühenden Nachthimmel nur wenige hastige Gestalten durch die Straße spukten und selbst das Café drüben an der Ecke verödet schien.

Als ich eine Stunde später in mein Zimmer hinauf wollte, sah ich auf dem dämmrig erleuchteten Flur den blonden Riesen stehen, am Treppengeländer lehnend, vor ihm ein schmiegsames kleines Frauenzimmer, das eifrig in ihn hineinsprach, während er mit nachlässiger Würde eine Cigarrette rauchte, natürlich aus dem silbernen Etui! Ich erkannte die schwarzäugige Marietta, die mir bei meiner Ankunft die Treppe hinaufgeleuchtet hatte, und hütete mich, die santa conversazione zu stören. Dieser anscheinend so phlegmatische Schlingel versteht's, dachte ich, und kennt alle Stationen, bei denen ein reisekundiger Courier anhalten muß.

Diesmal tappte ich unerleuchtet in mein Zimmer, das mir noch dürftiger erschien, wenn ich an das mir vorweggenommene bessere im ersten Stock dachte. Der Wind stieß an die Fensterriegel, daß sie klirrten. Ich hatte Mühe, sie fester zu schließen, und auch Schlüssel und Riegel der Thür versagten ihren Dienst, so daß ich die Klinke erst künstlich mit einem Bindfaden verwahren und meinen Koffer davorschieben mußte, um vor unliebsamen Nachtbesuchen sicher zu sein.

Gleichwohl schlief ich in dem breiten, reinlichen Bette vortrefflich, und da ich vollends beim Erwachen draußen auf den Ziegelmauern des Schlosses eine helle Sonne glänzen sah, war ich des besten Humors und beeilte mich, drüben im Café zu meinem Frühstück zu kommen, um dann meinen Rundgang durch die Paläste und Kirchen der alten Este-Stadt anzutreten.

Ich hatte das eben abgethan, als ich drüben aus der Thür der Stella d'oro die Baronin treten sah, hinter ihr ihren schwarzen Schatten mit einem tadellosen Cylinder auf dem blonden Kopf. Sie schritten quer über die Straße nach dem Brückenthor des Schlosses, ohne mich zu beachten, obwohl ich an einem der Tischchen vor dem Café in der Sonne saß. Sofort beschloß ich, ihnen zu folgen, und holte sie auch richtig ein, als der Courier eben unter dem Thorbogen die Glocke gezogen hatte, um den Custode herbeizuläuten.

Sofort öffnete eine alte Frau mit einem großen Schlüsselbunde, stellte sich als die Custodin vor, und wir begannen, nachdem wir uns ohne besondere Vertraulichkeit begrüßt hatten, den gemeinsamen Weg durch die kahlen Höfe und langen, unwohnlichen Gemächer.

Der Courier ging natürlich mit, immer einen Schritt hinter der Baronin, obwohl er an Allem, was zu sehen war, nicht das geringste Interesse zu haben schien. Ein paarmal, während die Custodin die Fresken an den Decken erklärte, wandte die Dame sich nach ihm um und fragte: Avete capito, Fedja?

Si, Signora, antwortete er regelmäßig, ohne daß er nur einen Blick auf die Bilder geworfen hätte. Von mir nahm die lebhafte Frau, die überall mit klugen Augen herumschaute, durchaus keine Notiz.

Bis dann endlich das Eis zwischen uns gebrochen wurde, als sie eine kunsthistorische Frage an das alte Weibchen that, die dieses nicht zu beantworten wußte. Als ich ganz trocken den gewünschten Bescheid gab, sah sie mich zum erstenmal mit einer herablassenden Verwunderung an, als hätte sie mir bisher Nichts zugetraut.

Sie sind hier bekannt? fragte sie auf Deutsch.

Ich erwiderte, daß ich ebenfalls zum erstenmal in Ferrara sei, aber zum fünftenmal in Italien. Nun ergab sich eine behagliche Plauderei über allerlei Künstlerisches, wobei die Dame sich ebenfalls gut beschlagen zeigte. Sie lebe seit drei Jahren im Süden, sagte sie, und liebe es besonders, die Städte zu besuchen, die abseits von der großen Heerstraße lägen.

Der blonde Riese war während unserer lebhaften Conversation ganz unbeachtet geblieben. Erst als wir in die Keller hinabgestiegen waren und die Custodin uns die Geschichte der unglücklichen Parisina ausführlich erzählte, die da unten mit ihrem Hugo geschmachtet haben soll – du hast diese nüchternen Löcher gewiß so unromantisch gefunden wie ich –, erst da wandte sich die Dame wieder zu ihrem Diener, wieder mit ihrem Avete capito, Fedja? worauf er diesmal mit einem phlegmatischen: No, Signora Baronessa, antwortete.

Als wir das Schloß durchwandert hatten und wieder auf die Brücke hinaustraten, wollte ich mich verabschieden. Die Baronin, während ihr Courier einen der auf dem Platze haltenden Wagen herbeiwinkte, schien sich einen Augenblick zu besinnen. Dann lud sie mich ein, sie bei ihrer Rundfahrt zu begleiten, da ich doch wohl dieselben Dinge aufsuchen würde: den Palazzo de' Diamanti, den Dom, San Francesco, Schifanoja und so weiter.

Mir war ihre Unterhaltung so angenehm gewesen, daß ich sie gern zu Wagen fortsetzte. Und so begannen wir unsern Cursus, Fedja auf dem Bock, die Baronin neben mir, so bequem und unbefangen, als befände sie sich in der Gesellschaft ihres ältesten Hausfreundes. Weltdame und Aristokratin bis in die Fingerspitzen, ganz ohne Koketterie, von der besten Bildung, was Kunst betraf, und in französischer Litteratur erstaunlich bewandert, während sie von der deutschen so gut wie nichts wußte. Alle Augenblicke ließ sie den Wagen halten, um eine merkwürdige Façade, ein Portal, den Durchblick in einen Garten genauer durch ihre scharfe Lorgnette zu betrachten. Denn eigentlich war sie kurzsichtig, was ihr, wenn sie die Augen blinzelnd halb zugedrückt auf einen Gegenstand richtete, einen reizenden Zug von Feinheit und Sinnigkeit gab.

Wir wurden in den drei bis vier Stunden, während wir unser Morgenpensum absolvirten, die besten Freunde, soweit es eine gewisse aristokratische Kühle ihres Temperaments zuließ. Zumal als wir uns in einer entschiedenen Antipathie gegen Garofalo begegneten und über die Fresken von Tura und Francesco Cossa im Palazzo Schifanoja in das gleiche helle Entzücken ausbrachen, war unsere künstlerische Wahlverwandtschaft über jeden Zweifel erhaben. Es war hübsch anzusehen, wie die lebhafte, trotz ihres beginnenden Embonpoints sehr bewegliche Frau die Stufen des hohen Gestells hinaufkletterte, um die verblichenen, reizvollen Wandgemälde in der Nähe zu sehen. Als sie wieder unten anlangte, fragte sie den Schloßverwalter, der uns in den großen, leeren Saal eingelassen hatte, ob ihr erlaubt werden möchte, einige der allegorischen Figürchen zu copiren, da nur ganz ungenügende Photographien dieser herrlichen Dinge vorhanden seien. Der Mann machte sich wichtig, nannte mehrere Namen von Behörden, von denen der Permesso einzuholen sei, ließ sich aber durch das Versprechen einer reichlichen Belohnung bestimmen, selbst die nöthigen Gänge machen zu wollen; den Erfolg werde er gegen Abend im Gasthof mittheilen.

Es sei eine Passion von ihr, erklärte mir die Baronin, als wir wieder im Wagen saßen. Sie lebe eben darum schon so lange in Italien, da sie von Jugend auf eine Leidenschaft für Zeichnen und Malen gehabt habe, die sie aber in ihrer nordischen Heimath auf dem abgelegenen Gute nicht habe befriedigen können. Es falle ihr nicht ein, sich für eine Künstlerin zu halten. Doch habe sie es endlich soweit gebracht, mit ihrem bischen Aquarelliren sich all das aneignen zu können, was ihr besonders lieb geworden sei, und da sie Niemand damit belästige und auch zu Hause von Niemand vermißt werde, könne man ihr diese Schwäche wohl hingehen lassen.

Ich drang in sie, mir ihre Malereien zu zeigen. Sie habe nicht viel bei sich, sagte sie; das Meiste sei in Venedig zurückgeblieben, wo sie den Winter zuzubringen pflege. Uebrigens theile sie mit anderen Dilettanten auch die Schwäche, ihre Pfuschereien gern sehen zu lassen.

Wir hielten dann um Mittag unsere Colazione zusammen in dem ungemüthlichen Speisesaal. Meinen Vorschlag, unten in der Trattorie zu essen, lehnte sie ab. Ich begriff hernach ihren Grund. Als ich hinunterging, drüben im Café Zeitungen zu lesen, und an dem von einigen Ferrareser Stammgästen besuchten Local vorbeikam, sah ich Signor Fedja an einem Tischchen mit seinem Frühstück beschäftigt. Ihm gegenüber auf einem Schemel kauerte die Marietta, die wieder lebhaft mit leiser Stimme in ihn hineinredete, während er gravitätisch ein großes Glas rothen Wein auf einen Zug leerte.

Natürlich wollte die Herrin nicht in demselben Zimmer mit ihrem Courier ihre Mahlzeiten einnehmen.

Nachmittags besuchten wir dann noch das Haus des Ariost. Ich mußte ihr die berühmte lateinische Inschrift, die so köstlich naiv auf dem schmalen Marmorstreifen an der Façade steht, aus dem Stegreif übersetzen und war stolz darauf, daß es mir leidlich gelang:

Klein, doch passend für mich, doch Niemand zinsbar, doch auch kein
Schmutziges Haus, und bezahlt hab' ich's mit eigenem Geld.

Und dann plauderten wir sehr gescheidt von dem liebenswürdigsten aller Dichter der Renaissance, den sie gründlich kannte, selbst seine Dramen und Capitoli, von den Doréschen Illustrationen und vielen anderen Dingen, und sie wurde mir mit jedem Wort, das sie sprach, lieber und respectabler.

Ich klopfte noch denselben Abend vor dem Pranzo bei ihr an, um ihre Malereien zu sehen. Sie schien nicht allein zu sein, wenigstens hörte ich sprechen, und sie ließ mich ein paar Minuten warten, bis sie den Riegel zurückschob. Es war Niemand bei ihr, auch in dem anstoßenden Schlafzimmer nicht, zu dem die Thür offen stand. Sie trug einen Schlafrock von granatrothem Plüsch, einen türkischen Shawl um die Hüften gegürtet, und ihre Frisur, die etwas zerrüttet war, bestätigte ihre Aussage, daß sie vor Tisch ein wenig zu schlafen pflege, wenn sie über Tag viel herumgefahren sei. Nun holte sie eine Mappe und ein großes Skizzenbuch und ließ mich darin blättern, soviel ich Lust hatte. Dabei ging sie, eine Cigarrette nach der andern rauchend, beständig hin und her und gab nur hin und wieder einen kurzen Commentar zu einzelnen Blättern. Es waren keine Meisterwerke, die Hand noch ziemlich unausgeschrieben, doch überall ein Blick für das Wesentliche. Man sah es diesen dilettantischen Nachbildungen von Gemälden, einzelnen Gebäuden oder Gegenden an, daß der Wille, sie nachzuschaffen, stärker gewesen war, als die Kraft. Doch war auch ein Fortschritt nicht zu verkennen.

In der größeren Mappe steckte zwischen zwei Studienblättern aus Orvieto ein kleines flüchtig skizzirtes Blatt mit einem angefangenen Portrait – ihres blonden Reisebegleiters. Ah! sagte ich, Sie portraitiren ja auch ganz talentvoll, Baronin.

Ich merkte, sie wurde einen Augenblick verlegen.

Erkennen Sie das Bild? sagte sie dann. Es entstand an einem trostlos grauen Regentage in Livorno, da ich vor Langerweile verging und kein anderes Modell auftreiben konnte. Ich hab' es in einer einzigen Sitzung gemacht und bin später nicht wieder darangegangen.

Es verdiente aber fertig zu werden, warf ich hin. Ihr Fedja hat einen ungewöhnlich schönen Kopf, leider ohne geistigen Ausdruck.

Er hat den slavischen Typus, versetzte sie. Seine Eltern waren Russen und lebten auf einem Bauerngut, das vier Stunden von meinem elterlichen Landsitz entfernt liegt. Die Mutter war meine Amme gewesen, da ihre Herrin, eine Jugendfreundin meiner Mama, sie ihr zu diesem Zweck geliehen hatte. Denn sie behauptete, deutsche Ammen hätten zu viel Wasser in ihrer Milch. Hernach ist die Lisaweta wieder zurückgegangen und hat geheirathet und noch mehrere Kinder bekommen. Fedja ist der jüngste von ihnen, und als er herangewachsen war, brachte ihn seine Mutter auf unser Gut und bat so sehr, ich möchte ihn in meine Dienste nehmen, daß ich es ihr nicht abschlagen konnte. Er ist ein guter, treuer Mensch und auch nicht so unbegabt, wie er seinem träumerischen Aussehen nach scheinen möchte, eine echte, kindlich reine Natur und mir sehr ergeben. Ich habe ein wenig Mühe gehabt, ihm zu dem Deutsch und Russisch, das er geläufig spricht, auch noch Italienisch beizubringen, da ich ihn als meinen Courier nach Italien mitnehmen wollte. Wenn man seine Heimath aufgegeben hat, ist es eine Wohlthat, fast ein Bedürfniß, Jemand um sich zu haben, mit dem man von zu Hause sprechen kann, und der auch hin und wieder an dem gleichen Heimweh leidet.

Ich hörte das stillschweigend mit an. Ich konnte der guten Frau doch nicht verrathen, daß ihr Fedja trotz seiner kindlich reinen Natur die kleinen schwarzäugigen Hausmittel gegen das Heimweh, die Italien ihm bot, nicht verschmähte.

*

Am folgenden Tage war ich wieder auf mich allein angewiesen.

Noch am Abend hatte der Hausmeister des Palazzo Schifanoja die Erlaubniß zum Copiren gebracht. Wir werden uns erst beim Pranzo wiedersehen, sagte die Baronin zu mir, als wir nach einem langen Nachtischgeplauder uns trennten. Ich muß die hellen Stunden benutzen und werde an meiner Staffelei eine kurze Mittagspause machen. In zwei Tagen hoff' ich fertig zu werden. Sie halten doch so lange hier aus? Ich würde Ihre freundliche Gesellschaft schwer vermissen. Denn es wird mir selten so gut, verstehenden und verständigen Menschen zu begegnen.

Es bedurfte dieser schmeichelhaften Aufforderung kaum, mich noch ein paar Tage festzuhalten. Auch mir war der Umgang mit der ungewöhnlichen Frau schon so zum Bedürfniß geworden, daß mir der Tag, den ich allein verbringen mußte, sehr lang wurde. Ich hielt noch eine Nachlese in ein paar Kirchen, ließ mir im Sant' Anna-Hospital die Zelle zeigen, wo Tasso sieben Jahre lang geschmachtet haben soll, und gestand mir, daß ich mit Ferrara längst fertig gewesen wäre, wenn der Abend nicht versprochen hätte, mich für den langweiligen Tag zu entschädigen.

Es war schon ziemlich dunkel geworden, als ich von meiner Wanderung in den Gasthof zurückkehrte; immerhin noch eine Stunde bis zu unserem Diner. Ich beschloß, die Wartezeit abzukürzen, indem ich der Baronin einige Photographien aus Siena, von denen ich ihr gesprochen hatte, aufs Zimmer brächte.

Ich nahm die Blätter – ein paar Dutzend Sodoma'scher Fresken – aus meinem Koffer und stieg die Treppe hinab. Das Haus war still und leer wie gewöhnlich. Als ich in den dunklen Gang des ersten Stockes trat, auf den die Zimmer der Baronin hinausgingen, sah ich einen schmalen Lichtstreifen aus dem vordersten, ihrem Wohnzimmer, fallen, da auch diese Thür, wie alle im Hause, nicht gut schloß. Ich verstand daher auch deutlich die Worte, die mit erhobener Stimme wie bei einer Vorlesung gesprochen wurden:

Die Stund' ist, wo in Wald und Flur
Das Lied der Nachtigall erklingt;
Die Stund' ist, wo der leise Schwur
Der Liebe sanft zu Herzen dringt –

Byron's Parisina! sagt' ich. Wir sind ja hier auf historischem Boden. Sie wird das Bedürfniß gefühlt haben, sich das Trauerspiel dieses unglücklichen Liebespaars in etwas poetischerer Form, als die alte Custodin es erzählt, wieder vor die Seele zu rufen. So stand ich und horchte. Sie las vortrefflich, trotz ihres ostpreußischen Dialekts, ein wenig eintönig, aber mit vibrirender Leidenschaft, zumal als sie an die Stelle kam:

Und was ist ihnen nun das All
Mit seiner Zeiten Wechselfall?
Für Himmel, Erd' und Leben sind
Ihr Aug' und ihre Seele blind,
Blind wie die Todten für die Dinge,
Nah oder fern, groß oder klein;
Als ob die Welt umher verginge,
Athmen sie nur für sich allein –

und so weiter, daß ich nicht satt werden konnte, ihr zuzuhören.

Endlich aber überlegte ich, es stehe ja nichts im Wege, die Fortsetzung mir drinnen von ihr auszubitten. So klopfte ich leise an; da sie es aber überhörte, die Thür überdies nur angelehnt war, glaubte ich keine Indiscretion zu begehen, wenn ich sacht eintrat und mich bescheiden auf einem der nächsten Sessel niederließ.

Als ich aber die Thür erst halb geöffnet hatte, bot sich mir ein Anblick, der mich geradezu versteinerte.

Auf dem Sopha saß die Baronin in ihrem bequemen Hausgewande, die hohe Lampe vor sich auf dem Tisch, das Buch in der Linken. Die rechte Hand hatte sie auf die Schulter ihres Fedja gelegt, der aufrecht wie ein ägyptisches Götzenbild neben ihr saß, eine Cigarrette rauchend, das Gesicht mit völlig theilnahmlosem Ausdruck vor sich hin gekehrt. Die Hand seiner Herrin aber, an der ich den Ring mit dem Türkis blitzen sah, spielte, während sie las, liebkosend mit dem dichten blonden Haar, das über den weißen Hals des jungen Menschen herabfiel.

Sie war so vertieft in ihr Lesen, daß sie auch meinen Eintritt über die Schwelle überhörte. Als ich mich aber, um ihr die peinliche Begegnung zu ersparen, lautlos zurückziehen und die Thür hinter mir schließen wollte, knarrte das alte Holz in den rostigen Angeln, die Frau wandte den Kopf, und mit einem leisen Ausruf des Schreckens auffahrend, ließ sie das Buch fallen, und unsere Augen begegneten sich.

Nur einen blitzartigen Moment. Im nächsten Augenblick hatte ich in großen Sätzen die Treppe erreicht und, vier Stufen auf einmal nehmend, mich in mein Zimmer zurückgeflüchtet.

*

Du kannst denken, daß die unerwartete Entdeckung mich aufs Höchste erregt hatte. Die liebenswürdige Frau, die mir so werth geworden war, auf einmal auf einer so bedauerlichen Schwäche ertappt zu haben, in einem intimen Verhältniß mit diesem trägen, stumpfsinnigen Burschen, der in meinen Augen nichts war als eine schöne blanke Puppe, ein Automat, gerade gut genug, den Wagenschlag seiner Herrin zu öffnen, ihr das Reisegepäck nachzutragen und am Schalter die Billette zu lösen. Und dem las sie Parisina vor und kraute ihm das Haar?

Ich war empört, ich gönnte das dem Menschen nicht, so wenig ich selbst Ansprüche zu machen hatte, oder gar eine Leidenschaft für die Frau empfand. Aber ich fand ihr ganzes Geschlecht in ihr herabgewürdigt und beklagte meine zerstörte Illusion.

Dann aber lachte ich mich aus wegen meiner sittlichen Entrüstung. Wie kam ich dazu, den Richter zu machen über eine Handlungsweise, die mir freilich unverständlich war, da ich diesen Fedja nicht liebte, aber in ihren Augen vielleicht so berechtigt erschien, wie jede andere Laune einer grande dame! Der Geschmack ist so verschieden, und wem that sie weh, wenn sie sich dem ihrigen schrankenlos überließ? Wir hatten freilich in allem Uebrigen uns so gut verstanden, aber Kunst und Leben sind zweierlei. Man braucht die Sympathie für einen schönen Leibeigenen nicht zu theilen, weil man sich in der Abneigung gegen Garofalo vereint gefunden hat.

Mein Blut floß schon wieder ruhiger, da klopfte es an meine Thür, und – kein Geringerer als der verhaßte blonde Antinous trat ein, mit der ganz gelassenen Meldung: die Frau Baronin lasse mich bitten, wenn meine Zeit es erlaube, sie noch vor Tisch zu besuchen.

Als ich bei ihr eintrat, fand ich sie noch auf demselben Fleck im Sopha sitzend, wo ich sie vorher aufgeschreckt hatte. Auch den Band der Byron-Uebersetzung hatte sie noch in der Hand, die in ihrem Schooß ruhte. Mit der anderen winkte sie mir in ihrer freundlichen Art, näherzutreten.

Kommen Sie, sagte sie, und ihrer Stimme war nicht die geringste Erregung anzuhören, setzen Sie sich zu mir. Ich habe mit Ihnen zu reden. Der Zufall hat sie zum Mitwisser eines Geheimnisses gemacht, das Ihnen in einem ganz falschen Lichte erscheinen muß. Oder hätten Sie in der kurzen Zeit unserer Bekanntschaft doch schon eine bessere Meinung von mir gewonnen, als daß Sie mich einer gemeinen Liebschaft mit einem mir untergebenen Menschen fähig hielten? Sie hätten sehr richtig gesehen. So sehr der Schein gegen mich ist, ich habe mir nichts vorzuwerfen. Fedja ist mein Gatte, und ich bin seine Frau. Dieser Ring hier ist das Symbol unseres unverbrüchlichen Bundes; er besitzt einen gleichen, den er aber nicht an der Hand trägt, sondern an einem goldenen Kettchen um den Hals. Denn freilich sind die Verhältnisse nicht danach, daß wir mit unserer Verbindung öffentlich hervortreten könnten. Ich muß Ihnen das nun auseinandersetzen. Denn es ist mir an Ihrer Achtung gelegen. Im Uebrigen, was die sogenannte Welt darüber reden und raunen mag, ist mir sehr gleichgültig. Ich habe mir die Devise einer anderen Frau erwählt, die auch ihrem Herzen folgte trotz alles Geschreies der heuchlerischen Gesellschaft: honorem meum nemini dabo. Das ist das einzige Latein, das ich verstehe, das aber genügt mir. Sehen Sie, ich war nach dem Tode meiner Eltern, in meinem achtzehnten Jahre, nach einem verrückten Paragraphen eines verschimmelten Familienstatuts auf die Gnade meines einzigen Bruders angewiesen, der das große Gut übernahm und mir eine recht armselige jährliche Rente zu zahlen hatte. Auch das geschah nur unregelmäßig, da er ein schlechter Landwirth und obendrein ein Spieler war und bei Pferderennen in hohen Wetten Unsummen verlor. So lebte ich ein paar Jahre in Königsberg und Berlin, was man so nennt in der großen Welt, die mich aber sehr wenig befriedigte. Meine einzige wirkliche Erquickung war meine Liebe zur Kunst und das bischen eigene Pfuscherei. Das aber genügt doch auch nicht, den Glücksdurst einer jungen, kraftvoll empfindenden Weiberseele zu stillen. Nun, dafür ist ja die Liebe da, die auch nicht lange auf sich warten ließ. Eine glückliche erste Liebe, da sie leidenschaftlich erwidert wurde. Und Alles schien sich zu einem fröhlichen Ende zu vereinigen, bis auf einen einzigen Punkt: ich war ein armes Fräulein und mein Geliebter, auch ein Gutsbesitzer, noch minorenn. Seine Eltern hatten ihm eine reiche Partie ausgesucht, sie mußten die vortheilhafte Verbindung wünschen, da ihr Gut tief verschuldet war; so kam es, wie es kommen mußte, wir wurden auseinandergerissen, und Niemand fragte, ein wie großes Stück unserer Herzen dabei verloren ging. Auch er, das erfuhr ich später, hat es nicht leicht verschmerzt. Er war um vieles tiefer und besser angelegt, als die Meisten aus seinen Kreisen. Aber unter einem Strohdach mit meiner Liebe vorlieb zu nehmen, dazu war er doch nicht der Mann, und ich konnt' es ihm nicht verdenken. Zum Glück fügte sich's, daß ich selbst bald an sehr Anderes zu denken hatte. Mein Bruder starb, da auch er eben Anstalten machte, durch eine reiche Heirath seine Umstände zu verbessern. Nun war ich auf einmal eine unabhängige Person geworden, und es fehlte auch nicht an Bewerbern, die sich gern dazu verstanden hätten, mir bei der Verwaltung meines Besitzes behülflich zu sein, so wenig sorgenlos dies Geschäft war. Denn ich fand das Gut sehr heruntergekommen und alle Geschäfte in gräulicher Unordnung. Von Haus aus bin ich eine thätige Natur, trotz des beschaulichen Hanges zu allem Schönen, und meinen Willen zu üben war mir von jeher eine Lust. So fand ich mich rasch in meine neue Aufgabe, ritt die halben Tage auf meinen Feldern herum, damit die Leute merkten, daß wieder das Auge eines Herrn über ihnen sei, ließ bauen und aufforsten und drainiren und war des Abends so müde, daß ich kaum die zweite Partie Bézique mit meiner Gesellschafterin zu Ende brachte und einschlief, ohne nur mit einem Seufzer an mein verlorenes Liebesglück oder gar an meine Malstudien zurückzudenken.

So dauerte das sieben, acht Jahre. Sie vergingen natürlich nicht ganz einsam. Es konnte nicht fehlen, daß ich Besuche von Gutsnachbarn oder auch von entfernteren Verwandten empfing, und mehr als einmal hatte ich die peinliche Aufgabe, einem achtbaren Mann zu erklären: so sehr ich mich durch seinen Antrag geehrt fühlte – und so weiter, was man in solchen Fällen zu sagen pflegt. Denn mein Herz war seit jenem Frühlingssturm noch wie geknickt und besorgte sein Geschäft, den Blutumlauf zu reguliren, ganz mechanisch, ohne je aus dem Takt zu kommen. Eine Heirath aber zu schließen, ohne das übermächtige Gefühl, ein Lebensbedürfniß damit zu befriedigen, wäre mir als eine Herabwürdigung erschienen.

*

Sie stand nun auf, ging nach der Thür des Nebenzimmers, die offen geblieben war, blickte hinein und drückte dann die Thür ins Schloß, Offenbar sollte Der, den sie ihren Gatten genannt hatte, nicht Zeuge unseres Gespräches sein.

Dann kam sie zu mir zurück und blieb am Tische stehen. Ihr sonst gleichmäßig bleiches Gesicht war leicht geröthet, um ihre Nasenflügel spielte ein leises Zittern. Die Stimme aber klang ganz ruhig.

Ich habe Ihnen gestern gesagt, wie Theodor – das ist ja sein deutscher Name – in mein Haus kam. Er war damals vierundzwanzig Jahre alt, aber scheu und ungewandt wie ein Knabe. Ich bin zehn Jahre älter als er, ich hatte ein mütterliches Gefühl ihm gegenüber, das Gefühl einer zärtlichen Mutter allerdings, denn seine Güte und Liebenswürdigkeit leuchteten ihm aus den Augen. Und dann, er war von einer so bezaubernden Schönheit, Sie sehen es ja noch jetzt, da er zum Mann herangereift ist, und Sie wissen, daß ich eine Kunstnärrin bin. Aber von Verliebtheit anfangs keine Spur. Ich merkte bald, wie seine Erziehung – nein, er hatte überhaupt keine Erziehung genossen, kaum daß er lesen und schreiben konnte und neben seinem Russisch nothdürftig deutsch sprach. Man hatte ihn bei den Pferden aufwachsen lassen und ihn zu allerlei Diensten im Hause gebraucht. Nebenbei war er fleißig in die Kirche gegangen, was seiner träumerischen, etwas trägen Natur entsprach. Es erregte mein tiefstes Mitleiden, daß ein so herrliches Geschöpf Gottes auf einer so niederen Stufe stehen bleiben sollte. So nahm ich mich seiner an, ließ ihm vom Pfarrer Stunden geben und überwachte seine häuslichen Aufgaben. Es rührte mich, wie dankbar er meine Güte anerkannte, wie er sich bemühte, in allen Dingen seine Schuldigkeit zu thun. Ein mißbilligendes Wort von mir, auch nur ein unwilliger Blick brachte ihm die Thränen in die Augen. Nach einem Jahr schon ließ sich ein großer Fortschritt erkennen. Er las gern, allerdings lieber Kalendergeschichten als Weltgeschichte, seine schriftlichen Arbeiten wurden immer fehlerfreier, er gewann Interesse an vielerlei und überraschte mich oft durch kluge Fragen. Aus dem dörflichen Knaben entwickelte sich ein junger Mann, der Lebensart hatte und sich im Leben zurechtzufinden wußte. Ich hatte ihn gleich Anfangs von der übrigen Dienerschaft getrennt und als eine Art Pflegesohn behandelt. Er begleitete mich auf meinen Ritten über Feld, ich schickte ihn mit Aufträgen hierhin und dorthin, Alles besorgte er pünktlich zu meiner vollen Zufriedenheit, und ich war ein wenig stolz auf die sichtbaren Früchte meiner Pädagogik. Seine Mutter, als sie ihn einmal besuchte, erkannte ihn kaum wieder.

So ging es bis gegen Ende des zweiten Jahrs, da wurden mir plötzlich durch einen bedenklichen Traum die Augen darüber geöffnet, daß mein mütterliches Interesse sich längst in ein wärmeres verwandelt hatte. Ich war noch besonnen genug, um mir zu sagen, daß es so nicht fortgehen könne. Nicht daß ich für ihn dasselbe empfunden hätte, wie für den Einen, Ersten und Letzten, den ich geliebt hatte. Aber dieser mein Zögling hatte sich dermaßen meiner Phantasie, ja – gesteh' ich es nur – auch meiner Sinne bemächtigt, wobei natürlich auch ein Stück Herz mit ins Spiel kam, daß ich eine Lücke und Leere empfand, wenn er nicht um mich war, und, war er da, meine Augen nicht von ihm abwenden konnte. Wäre es möglich gewesen, ihn als ein umgekehrter Pygmalion in eine Statue zu verwandeln, so hätte ich auf der Stelle eingewilligt und mir nichts Anderes gewünscht. So aber, da wir Beide in Fleisch und Blut nebeneinander hergingen – nein, ich mußte die Gefahr im Keim ersticken, solange mein Wille noch Kraft genug hatte. Ich nahm all meinen Muth und Stolz zusammen und sagte ihm eines Tages, da er mir mit strahlendem Gesicht einen kleinen Aufsatz brachte, an dem sein Lehrer nur zwei geringe Fehler zu corrigiren gefunden hatte, ich sei sehr zufrieden mit ihm. Seine Erziehung aber sei nun beendet, ich würde ihn über acht Tage in die nächste Kreisstadt schicken, wo ich eine Stelle für ihn bei einem Rechtsanwalt gefunden hätte. Da werde er zunächst Schreiberdienste thun, daneben aber sich weiter fortzubilden Gelegenheit erhalten, um mit der Zeit, wenn auch in einer bescheidenen Stellung, ein selbständiger Mensch zu werden.

Ich hatte es vermieden, während dieser Eröffnung ihn anzusehen. Als ich endlich die Augen auf ihn richtete, erschrak ich. Er sah wirklich so aus, als sei er im Begriff zu einer Statue zu erstarren. Dann aber brach er vor mir in die Kniee zusammen, die Thränen stürzten ihm aus den Augen, er ergriff meine Hände und flehte mich mit von Schluchzen erstickter Stimme an, ihm lieber ein Messer in die Brust zu stoßen, statt ihn von mir zu entfernen. Es werde doch nichts helfen, draußen werde ihn der Schmerz und die Sehnsucht umbringen, und wenn das zu langsam ginge, werde er selbst ein Ende machen. Sie können denken, wie erschüttert ich war. Ich konnte mich kaum so weit fassen, mich von ihm loszumachen, ich versuchte ihn wieder wie einen unartigen, launischen Knaben zu behandeln, der sich vor ernster Arbeit scheue; bald mit Scherzen, bald mit strafenden Worten redete ich auf ihn ein, und da Alles ohne Wirkung blieb, stand ich endlich auf und ging aus dem Zimmer. Als ich nach einer halben Stunde wieder nach ihm sah, lag er noch auf derselben Stelle, den Kopf gegen den Sessel gedrückt. Es blieb mir Nichts übrig, als ihn vorläufig damit zu beruhigen, daß ich mir's noch einmal überlegen wolle. Ich fürchtete in der That, er möchte sich ein Leids anthun.

Drei Tage überlegte ich's dann, und das Ergebniß war, daß ich in dieser ganzen Fügung ein unentrinnbares Schicksal erkannte. Wußte ich doch auch selbst nicht, wie ich in Zukunft mich ohne ihn durch das freudlose Leben schlagen sollte, zumal mit dem Gedanken, daß er mit seiner weichen Natur unter kalten, fremden Menschen unbarmherzig herumgestoßen werden würde, wenn er nicht gar dem Laster in die Arme fiel. Es war ein Fehler gewesen, ihn aus seinem Stande herauszuheben; ich durfte aber ihn nicht dafür büßen lassen.

Als die drei Tage um waren, während deren seine ganz zerstörte Miene mir das Herz bluten machte, rief ich ihn wieder zu mir, fragte ihn noch einmal und erhielt wieder dieselbe Antwort, diesmal noch das schüchterne, stockende Bekenntniß, daß er in alle Ewigkeit Nichts wünsche und hoffe, als für mich leben und sterben zu können. Da sagte ich ihm, auch ich könne und wolle mich nicht von ihm trennen. Eine gesetzliche öffentliche Verbindung sei aber unmöglich, schon deßhalb, weil unser Familienstatut Jeden aus unserem Hause, der eine unebenbürtige Ehe schließen würde, jedes Erbanspruchs verlustig mache. Daß ich es nicht über mich gewann, den Sohn meiner Amme zu heirathen, nicht bloß seines niederen Standes wegen, sondern weil wir einander an Jahren und Bildung so ungleich waren, das behielt ich für mich. So wie er einmal war, hatte er auch keine Ahnung davon. Ich sagte ihm, wir würden eine Gewissensehe schließen. Er müsse mir vor Gott und seinem Gewissen geloben, mir Treue zu halten bis an den Tod, das Gleiche würde ich ihm geloben. Niemand, auch seine Mutter nicht, dürfe davon erfahren, in unserm äußeren Verkehr müsse alles beim Alten bleiben.

Sie schwieg jetzt eine Weile, nahm eine Cigarrette vom Tisch, zündete sie aber nicht an, sondern drehte sie so lange zwischen den Fingern, bis sie sich auflös'te und ihren Inhalt auf den Teppich streute.

Ich weiß nicht, fuhr sie dann fort, wie Ihre sittlichen Anschauungen sich zu einem solchen Fall verhalten. Daß ich keine Emancipirte bin, brauche ich Ihnen wohl nicht zu versichern. Wäre ich's, so hätte ich die Sache wohl anders behandelt. Ich sehe die sociale und sittliche Nothwendigkeit vollkommen ein, die Ehe als eine heilige, durch alle möglichen Sicherheiten geschützte Institution zu betrachten. Selbst mit schweren Opfern der persönlichen Freiheit und Glückseligkeit. Das Interesse der Gesellschaft ist zu wichtig, als daß sie nicht die bürgerliche Ordnung der Familie um jeden Preis aufrecht erhalten müßte. In meinem Fall aber – wem geschah mit dieser Umgehung der Form, während ich es mit der Sache selbst so ernst als möglich nahm, irgend ein Unrecht? Hatte die bürgerliche Gesellschaft, da ich fest entschlossen war, keine der conventionellen Verbindungen einzugehen, einen Nachtheil davon, daß ich nach meiner Façon glücklich werden wollte, sogar ohne jedes öffentliche Aergerniß? Wäre ihr damit gedient gewesen, wenn ich als alte Jungfer in der Stille und Oede meines Gutes verkümmert wäre, statt mich meines vollen Menschen- und Frauenrechtes zu bemächtigen?

Ich weiß, fuhr sie dann mit etwas leiserer Stimme fort, es ist noch etwas Anderes, was rigorose Moralisten mir vorwerfen möchten: eine solche Verbindung, abgesehen vom Fehlen der standesamtlichen und kirchlichen Sanction, sei unsittlich, weil das Weib sich nicht zum Manne herablassen dürfe. Daß der Mann im Weibe nur das Geschlecht sehen mag, geht ihm ohne Weiteres hin. Das Weib aber solle keinen Mann lieben, der nicht über ihm stehe, sie entwürdige sich durch die Hingabe an einen durch Geist und Charakter ihr Unebenbürtigen, und vollends einen Menschen zu heirathen, der ihr Diener gewesen, – nicht wahr, es nimmt sich häßlich aus nach dem hergebrachten Vorurtheil? Nun, ich erlaube mir, das ganze Gerede für heuchlerischen Unsinn zu erklären. Oder hält man sich in den legitimen Ehen immer so genau an diese Vorschrift? Ich wenigstens, soweit meine Beobachtungen reichen, habe unter fünfzig Ehen reichlich die Hälfte gefunden, wo die Frau dem Manne nicht bloß in sittlicher Hinsicht, was beinahe die Regel ist, sondern auch in geistiger überlegen war, und in einem guten Drittheil hätte der Mann, wenn Alles gerecht zugegangen wäre, höchstens Anspruch darauf machen können, als Haushofmeister seiner Frau zu fungiren, oder gar den Platz neben dem Kutscher einzunehmen, wohin seine geringe Bildung ihn verwies. Es ist lächerlich, von einem Naturgesetz zu reden, das in der Ehe den Mann über die Frau stelle. Die Natur weiß nichts von einer Vermählung zweier Intelligenzen, höchstens von der Vereinigung zweier einander bedürfender Seelen neben den Forderungen der Sinne. Nur unsere verlogene Civilisation hat es nach und nach dahin gebracht, daß eine bedeutende Frau sich schämen zu müssen glaubt, wenn sie ihr Herz an einen Mann hängt, der minder belesen oder künstlerisch veranlagt ist, und daß sie Kaste verliert, wenn sie ihren Lebensgefährten nicht aus ihren Kreisen wählt, weil ein Machtgebot der Natur sie unwiderstehlich fortreißt.

Und wenn es nur eine flüchtige Verirrung der Sinne gewesen wäre, fuhr sie nach einer Pause fort, glauben Sie nicht, daß ich Reue gefühlt haben würde, nachdem der erste Taumel verflogen war? Ein einziges Mal – auch das mögen Sie erfahren – wurde ich in der Ueberzeugung, das Rechte erwählt zu haben, einen Augenblick erschüttert. Es war im dritten Jahr unserer heimlichen Ehe. Da las ich in der Zeitung, daß die Frau meines ersten Geliebten gestorben war.

Wir hatten seit unserer Trennung nicht miteinander verkehrt. Auf die kurze, förmliche Beileidskarte, die ich ihm schickte, erhielt ich einen ebenso förmlichen Dank. Nach sechs Trauermonaten kam er selbst. Unangemeldet, eines späten Abends, angeblich da er den kürzesten Weg auf ein benachbartes Gut über das meine nehmen mußte. Auf den ersten Blick aber wußte ich, weßhalb er kam: um zu forschen, ob ich noch die Alte gegen ihn geblieben sei, ob das, was damals unmöglich gewesen war, jetzt zu erringen wäre. Ja, ich gestehe es: im tiefsten Winkel meines Herzens glomm noch immer ein Funken jener alten Jugendleidenschaft. Als ich die Stimme wieder hörte, das Gesicht wieder sah – es war eine schwere Stunde. Aber ich behielt die Herrschaft über mein Herz, daß es nicht zu laut pochte, und begrüßte den Abgott meiner Jugend mit freundlicher Unbefangenheit, als wäre nie ein heißeres Wort zwischen uns getauscht worden. Er war sichtlich betroffen, er hatte sich einen anderen Empfang erwartet. Ueber Nacht blieb er mein Gast. Was da vorgefallen, ob einer meiner Leute geschwatzt hat, da trotz aller Vorsicht ein Gerede über meine Intimität mit Theodor entstehen mußte, – bis heute weiß ich es nicht. Nur daß mein Jugendgeliebter, als wir uns am Frühstückstisch wiedersahen, eine eiskalte Miene zur Schau trug und beim Abschied mit ironischem Lächeln mir wünschte, ich möchte fernerhin mich so glücklich fühlen, wie es zu seiner tiefen Genugthuung gegenwärtig den Anschein habe. Gleichviel! Honorem meum nemini dabo.

Ich merkte freilich bald, daß dieser Besuch verhängnißvoll für meine sociale Stellung gewesen war. Einige meiner Nachbarn, die bisher noch immer die Hoffnung nicht aufgegeben hatten, mich ihren Wünschen geneigt zu machen, zogen sich auffallend von mir zurück. Mir machte das keinen Kummer. Ich war ganz ausgefüllt von dem bescheidenen Glück, das ich mir geschaffen, sah meinen Gemahl in gleicher Weise glücklich und bemüht, sich auch in seiner Bildung mir immer mehr zu nähern, und nur, weil mich nach einer geistigen Luftveränderung verlangte, nach einem Untertauchen in das Meer von Schönheit, das jenseit der Alpen sich ausdehnt, beschloß ich, die Verwaltung meines Gutes auf einige Jahre fremden Händen zu überlassen und auf Reisen zu gehen. Sie wissen, wie wohl ich mich dabei befunden habe. Noch ahne ich nicht, ob ich jemals zurückkehren werde. Ich habe den Geschmack an Schafzucht, Spiritusbrennerei und Rapsbau so gut wie verloren, und die Freiheit, die ich hier im gelobten Lande genieße, außerhalb der Gesellschaft, ist mir so theuer, daß ich sie nicht wieder hingeben möchte gegen die größten äußeren Vortheile. Auch ritzten mir die Nadelspitzen und Pfeile der Medisance, die mir über den Brenner nachgesandt wurden, nicht einmal die Haut. Sie haben gesehen, wie ich lebe. Alles Schöne, was ich genieße, theile ich mit meinem lieben Manne, soweit sein Bedürfniß und Verständniß reicht, und in die widerwärtige Nothwendigkeit, daß er für meinen Diener gelten muß, habe ich mich endlich gefunden, da er selbst nicht darunter leidet. Hier diesen kleinen Ring werde ich einst mit ins Grab nehmen, wie er den seinen nicht um alle Schätze der Welt hergeben würde. Und so denk' ich vor dem himmlischen Standesamt so legitim mit ihm verbunden zu sein, wie es viele der beneidetsten und respectabelsten Gattinnen nicht von sich rühmen können.

*

Die Erregung, in der sie gesprochen, hatte sie merkwürdig verschönt und verjüngt. Ihre Augen leuchteten, ja selbst ihre Gestalt erschien größer, und das Herrschende in ihrem Wesen, das zuweilen etwas Herbes und Herausforderndes hatte, war zu edler weiblicher Hoheit gemildert.

Ich bedachte eben, was ich ihr auf die lange Beichte erwidern sollte, als der Eintritt Fedja's, der zu melden kam, das Diner sei servirt, unser Gespräch unterbrach. Ich hatte den blonden Günstling nie besonders gut leiden mögen. In diesem Augenblick war er mir entschieden widerwärtig. Der Vers aus dem Faust kam mir in den Sinn: »Furchtbare Gunst dem Knaben!« – denn als solcher erschien er mir trotz seiner wohlproportionirten sechs Fuß und dem Schnurrbärtchen über dem ausdruckslosen Munde. Er eines solchen Weibes Gatte – es war trotz alledem ein unfaßbarer Gedanke.

Was ich hatte sagen wollen, kam mir nicht über die Lippen. Sie bemerkte den fatalen Eindruck, den ich empfangen, verabschiedete ihren Theodor mit einem kurzen: Vabbene! und sah mich dann scharf an.

Ich habe Sie nicht überzeugt? sagte sie ruhig.

Wovon, gnädige Frau?

Von meinem guten Recht, gehandelt zu haben, wie ich es gethan.

O, sagte ich, wie könnte ich Ihnen Ihr Naturrecht bestreiten! In sittlicher Hinsicht, wo sich's um das eigne Wohl und Weh handelt, hat Jeder so viel Recht, als er Macht hat, Macht nämlich, die innere Harmonie aufrecht zu erhalten, Herr im eignen Hause, ich meine in seinem Innern, zu bleiben und jede Unruhe des Gewissens niederzuhalten. Ich möchte nicht allen Frauen rathen, das Gleiche zu thun, was Ihnen als recht erschien, denn nicht alle würden es ohne Schaden für ihren inneren und äußeren Frieden durchführen. Nicht alle hätten den Muth ihrer Ausnahmsstellung, und nichts ist unsittlicher als Halbheit. Sie aber sind glücklich, das ist das vollgültigste Zeugniß, daß Sie das Recht hatten, es auf diese Weise zu werden. Nur von einer Seite hätte Ihnen eine ernstliche Gefahr drohen können. Von welcher?

Wenn Sie Kinder bekommen hätten.

O, erwiderte sie hastig, auch dann – zum Glück geschah es nicht – aber ich war darauf gefaßt. Sie glauben doch nicht, daß ich sie verleugnet oder à la Jean Jacques in ein Findelhaus geschickt hätte? Ich hätte sie gewiß geliebt, obwohl ich sie nicht herbeigewünscht habe, hätte meinen Schmuck und anderen persönlichen Besitz zu Gelde gemacht und wäre mit Mann und Kindern nach Amerika ausgewandert. Mein Vermögen hätte gerade ausgereicht, drüben eine kleine Farm zu kaufen und im Schweiße meines Angesichts die Kinder großzuziehen. Es wäre uns nicht allzu hart angekommen, Theodor und ich, wir sind ja beide auch in Deutschland Bauern gewesen. Aber freilich, es ist besser so. Und nun lassen Sie uns zu Tische gehen.

Sie nahm meinen Arm, und ich unterdrückte Alles, was ich gegen so manche ihrer Sophistereien der Leidenschaft auf dem Herzen hatte. Was ging es mich an, wie sie ihr Leben einrichtete? Und vor einer anderen Gefahr sie zu warnen, die im Lauf der Jahre an sie herantreten konnte, fühlte ich keine Verpflichtung.

Mit keiner Silbe kamen wir während des Essens auf das heikle Thema zurück. Sie erzählte mir von ihrer Arbeit vor den Fresken im Palazzo Schifanoja, ich von dem, was ich noch an künstlerischen Eindrücken im Lauf des Tages gesammelt hatte, zuletzt von der legendären Zelle des irrsinnigen Tasso im Sant' Anna-Hospital.

Sie wurde nachdenklich und sagte nach einer Weile: Der große Dichter hat nicht nur seinen unglücklichen Collegen mit feinster Kunst und Kenntniß einer solchen sinnlich-übersinnlichen Seele geschildert, sondern das eigentliche Meisterstück ist die Prinzessin, so recht der Typus all dieser vermeintlich edlen hochgeborenen Frauen, die sich durchaus nicht für engherzige Koketten halten, wenn sie in einem schwärmerischen Anbeter Hoffnungen erwecken, die zu erfüllen sie nie sich herablassen würden. Sie glauben, durch die sociale Kluft zwischen ihnen und dem Roturier ein für allemal berechtigt zu sein, dies grausame Spiel zu treiben, das ihre Eitelkeit kitzelt, während sie die armen Opfer so kaltblütig im Strudel der Leidenschaft versinken sehen, wie die Hexe Lorelei den Schiffer im kleinen Schiffe. Ich nehme es Goethe nur übel, daß er Hofmann genug war, um diesem Bild ohne Gnade nicht eine nachdrückliche Lection mit auf den Weg zu geben.

Hierüber sagte sie noch Mehreres, was ich vergessen habe, so bedeutsam es gerade für diese Frau war. Sie war übrigens stiller als sonst. Als wir den Kaffee getrunken hatten, sagte sie: Heute muß ich mich früh zurückziehen. Das angestrengte Malen am Vormittag und unsere lebhafte Unterhaltung haben mir ein heftiges Kopfweh zugezogen. Ich werde heute nicht bis Mitternacht im Bette lesen, sondern mich zeitig zum Schlaf rüsten, und mein Chloral verschafft mir hoffentlich eine ruhige Nacht. Morgen also auf Wiedersehen, lieber Freund!

Sie schüttelte mir die Hand und ging, ohne abzuwarten, daß Fedja ihr über den Flur leuchtete.

Auch ich war nicht dazu aufgelegt, irgend ein Buch vorzunehmen, so ausschließlich beschäftigte mich das Schicksal der ungewöhnlichen Frau. Freilich empfand ich, daß Etwas zwischen uns getreten war. Ein widriges Gefühl überkam mich, wenn ich sie mir im vertraulichsten Verhältniß mit diesem – nun ja, mit diesem Leibeigenen vorstellte, den ich tief unter ihr sah. Wäre ich meiner Empfindung gefolgt, so hätte ich ihr ein höfliches Abschiedsbillet geschrieben und wäre am nächsten Morgen vor Thau und Tage abgereis't.

Aber sie hatte mich ihren Freund genannt. Ich brachte es nicht übers Herz, den kränkenden Verdacht in ihr zu wecken, als flöhe ich sie jetzt, da sie mich so tief in ihr Herz hatte blicken lassen, weil dies Herz seine süßen Schwächen hatte, wie andere weit geringere Weiberherzen.

Das Grübeln über dies Alles ließ mich aber lange nicht zum Schlafen kommen. Und so wachte ich auch am anderen Morgen viel später, als meine Gewohnheit war, auf, und zwar von einem starken Pochen und Rütteln an meiner immer nur nothdürftig verschlossenen Thür.

Als ich aus dem Bett sprang und öffnete, trat der Kellner herein, mit einem ganz verstörten Gesicht.

Ich möge so gut sein, eilig hinunter zu kommen, die Signora Baronessa habe einen Anfall gehabt, sie seien Alle rathlos im Hause, ich würde vielleicht wissen, was zu thun sei, da die Dame selbst bewußtlos daliege.

Ich erschrak aufs Höchste. Mein erster Gedanke war, sie habe ein zu starkes Schlafmittel genommen – vielleicht gar –

Nein, das war es nicht. Aber jene andere Gefahr, die ich in weiter Ferne geglaubt, war jählings hereingebrochen. Während ich mich in größter Hast in die Kleider warf, erzählte mir der Kellner Folgendes:

Um neun Uhr habe sich die Baronin zu Bett gelegt und ihren Courier, der, wie er mit einer verschmitzten Miene sagte, der Dame auch die Kammerjungfer ersetzte, verabschiedet. Quel gran birbone habe sich dann im Restaurant noch eine Stunde aufgehalten, mit der Marietta getuschelt und sehr viel Chianti getrunken. Um Elf sei Alles im Hause schlafen gegangen. Als man aber früh um sieben nach der Marietta gerufen, die der Wirthin an die Hand gehen sollte, sei das Mädchen nirgend zu finden gewesen.

Er, Carlo, der Cameriere, habe sogleich Verdacht geschöpft und an der Thür des Couriers angeklopft, vermeinend, das saubere Paar dort beisammen anzutreffen. Das Zimmer aber sei leer gewesen, das Bett unberührt. Da habe man freilich gewußt, woran man war.

Nun hätten sich Alle vor dem Augenblick gefürchtet, wo die Baronin die Sache entdecken würde. Erst vor einer halben Stunde aber sei sie aufgewacht und habe sofort geklingelt, damit der Signor Teodoro ihr wie jeden Morgen das warme Wasser bringen sollte. Er, Carlo, habe im Zimmer des Couriers, das neben dem der Dame lag, gewartet und sei dann eingetreten mit der Meldung, der Betreffende sei nicht im Hause anwesend, vielleicht habe er einen Morgenspaziergang gemacht, und statt seiner habe dann er ihr den Wasserkrug auf die Toilette gestellt. Es sei gut, habe die Baronin gesagt, er möge auch die Chokolade bringen und ins Wohnzimmer stellen, sie werde gleich aufstehen.

Eine Viertelstunde später sei er dann mit der Chokolade eingetreten, habe aber das Brett mit der Tasse beinahe aus den Händen fallen lassen. Denn neben dem Tisch vorm Sopha habe er die Dame auf dem Boden liegen sehen, in Ohnmacht, beide Fäuste geballt, in der einen ein Papier, das sie wahrscheinlich auf dem Tische gefunden und das ihr den tödtlichen Schlag aufs Herz gegeben habe. Doch nein, todt sei sie allerdings nicht. Er habe sie mit Hülfe der Wirthin, die er rasch herbeigerufen, aufgehoben und auf das Sopha gelegt, sie auch gleich mit allerlei starken Essenzen bestrichen, so daß sie wieder zu sich gekommen sei. Sie habe auch die Augen geöffnet, und man sehe, ihr Geist sei nicht verwirrt. Aber auf keine Frage gebe sie Antwort, und in der allgemeinen Rathlosigkeit habe man mich zu Hülfe rufen wollen, da ich ja ein vertrauter Freund der armen Dame zu sein scheine.

*

Als ich in das Zimmer der Baronin trat, sah ich sie auf demselben Platz im Sopha sitzen, wo sie Tags zuvor neben ihrem Fedja gesessen und die Parisina vorgelesen hatte. Aber wie kläglich verwandelt! Das Gesicht aschfarb, der Mund verblichen und verzerrt, die Haare wirr um die Schläfen herabhängend, da sie unter der eilig aufgesetzten Morgenhaube bei dem jähen Fall sich aufgelös't hatten. Eine alte Frau saß vor mir, die ich gestern noch so anziehend und des besten Glückes werth gefunden hatte.

Ich gab der Wirthin und der Dienerschaft, die sich um die Regungslose gesammelt hatte, einen Wink, mich mit ihr allein zu lassen. Als ich die Thür hinter ihnen verriegelt hatte, trat ich wieder an die Unglückliche heran und rief sie bei Namen.

Sie schlug langsam die Augen auf, und es währte eine Weile, bis sie mich erkannte. Ihr Gesicht, das vorher leichenhaft starr gewesen war, nahm nach und nach einen unbeschreiblich schmerzlichen Ausdruck an, der Mund zuckte, wie wenn er sich zu einem heftigen Weinen und Klagen öffnen wollte, kein Laut aber drang heraus, nur zwei große helle Tropfen quollen aus den schweren Wimpern und glitten langsam über die fahlen Wangen. Es dauerte wohl fünf Minuten, dieses Ringen, wieder die Herrschaft über ihre Glieder zu erlangen. Dann streckte sie mir stumm die rechte, noch geschlossene Hand entgegen, die Finger öffneten sich mit sichtbarer Anstrengung, und ein zusammengeknülltes Papier fiel daraus auf den Teppich nieder.

Ich hob es auf und las. Es war ein Billet Fedja's, italienisch geschrieben, mit vielen orthographischen Fehlern, aber in ganz fließendem Stil.

Er habe, schrieb der Nichtswürdige, schon lange die Empfindung gehabt, daß er der Liebe und Gnade, die sie ihm erweise, nicht werth sei, auch das Bedürfniß gefühlt, sich selbständig zu machen. Da die Frau Baronin jetzt Jemand gefunden habe, der ein Galantuomo sei und gewiß gern ihren Beschützer und Freund abgeben werde, so könne er sich von ihr trennen, ohne sie hülflos zurückzulassen. Seine Dankbarkeit für alles Gute, was sie ihm gewährt, werde erst mit seinem letzten Athemzug erlöschen. Er befehle sie dem Schutze des Himmels und bleibe in Ewigkeit ihr dankbar ergebener u. s. w.

Der Ekel und Ingrimm, als ich diesen schändlichen Scheidebrief gelesen hatte, war so stark, daß ich das Blatt mit einer Verwünschung zerknitterte und in die Ecke warf. Dabei bemerkte ich, daß das Couvert noch auf dem Teppich lag und daß ein feines venezianisches Goldkettchen daraus vorsah. Als ich es aufhob, rollte ein Ring mit blauem Stein, der daran hing, auf den Tisch.

Der Ring, den er um alle Schätze der Welt nicht hergegeben hätte! wie die arme Verblendete ihm gestern noch nachgesagt hatte.

Das kommt nicht von ihm! entfuhr mir, da sie noch immer stumm blieb. So niedrig er gesinnt sein mag – einen solchen Brief zu schreiben, halte ich ihn nicht fähig.

Nicht von ihm? hauchte sie und bewegte sich mit Aufbietung aller Kraft, um die Hand nach dem Ring auszustrecken.

Cherchez la femme! sagte ich. Eine schlaue italienische Schlange hat sich in seine Brust eingenistet, hier im Hause, und ihm das Blut vergiftet. Die Cameriera wird mit ihm zugleich vermißt, er ist schwach gewesen und der Verführung erlegen und hat geschrieben, was sie ihm in die Feder dictirt hat. Seine Handschrift mag es sein, aber diese glatten, herzlosen Wendungen hat die Teufelin, die ihn um sein Seelenheil betrog, ihm eingegeben. Seien Sie überzeugt, theure Freundin, der Rausch wird nicht lange dauern. Dann kehrt er reuig zu Ihnen zurück und denkt nie wieder daran, Sie zu verlassen.

Was ich da sprach, glaubte ich selbst nicht. Ich machte mir aber kein Gewissen aus diesem frommen Betrug. Alles kam darauf an, ihr wieder ein wenig Kraft und Muth zum Leben einzuflößen, und es giebt ja kein besseres Herzstärkungsmittel als die Hoffnung.

Das Mittel aber wirkte noch nicht.

Nein, nein! brach es mit Heftigkeit aus ihr hervor, es ist vorbei, für immer! Wenn Sie auch Recht hätten, wenn er zurückkehrte, glauben Sie, daß ich ihn je wieder aufnehmen würde, nachdem er mir das angethan? Eine so schnöde Untreue, so schamlos öffentlich, mit einer solchen Person – o nie, nie, niemals!

Ich gab ihr zu bedenken, daß so viele Frauen sich darein gefunden hätten, ihre Männer durch listige Koketten sich abtrünnig gemacht zu sehen, und zwar schlimmer noch: vor ihren eigenen Augen, unter demselben Dach, eine Liebschaft mit einer Verwandten oder Gesellschafterin, und daß sie dann oft das klügere Theil erwählt hätten, ein Auge oder beide zuzudrücken und zu warten, bis ihr Gemahl von seiner Verirrung zu ihnen zurückkehrte. Ihr Theodor habe durch seine Flucht wenigstens bewiesen, daß er unfähig sei, sie zu betrügen.

Mag sein! unterbrach sie mich, und ihr fahles Gesicht röthete sich wieder. Mögen Andere thun, was sie nicht lassen können, obwohl ich in solchem Falle – ich wäre zu stolz, zu dulden, daß man die Gnade hätte, wieder mit mir vorlieb zu nehmen, wenn es dem Herrn der Schöpfung beliebte; als ein gesundes Stück Hausbrod angesehen zu werden, nachdem man sich am Confect der Sünde den Magen verdorben. Und doch, in öffentlich anerkannten Verhältnissen ist ein Bruch der Treue noch entschuldbarer. Man weiß, wie die meisten Ehen geschlossen werden: äußere Rücksichten, Zwang, Convenienz. Wenn da der eine Theil nach Befreiung schmachtet, so unrecht es ist, es giebt mildernde Umstände. Aber wir – unsere Gewissensehe – wenn das nicht heilig ist, was zwei Menschen sich allein vor Gott und dem Richter in ihrem eigenen Herzen gelobt haben –

Sie stockte plötzlich. Sie hatte den Ring ergriffen und, anscheinend ohne ihn gleich zu erkennen, da sie kurzsichtig war, ganz dicht vor ihre Augen gebracht. Jetzt erst, da dieser stumme Zeuge sie handgreiflich an ihren Verlust erinnerte, schien die ganze Schwere desselben über sie hereinzubrechen. Ein Strom von Thränen stürzte ihr aus den Augen, sie schleuderte den Ring von sich, schlug die Hände vors Gesicht und brach in ein so maßloses Weinen aus, daß ich in tiefster Bewegung vor ihr stand und rathlos mit ansah, wie sie in Krämpfen der wildesten Verzweiflung mit dem Tode zu ringen schien.

Ich ließ den Sturm eine Weile toben, dann rührte ich sie hart an der Schulter an und redete ihr ernstlich zu, sich zu fassen, zu denken, was sie ihrer Würde schuldig sei, einem Menschen, den sie nicht mehr achten zu können erklärt habe, nicht wie einem unschätzbaren Freunde nachzujammern.

Da legte sich plötzlich der Aufruhr, sie richtete sich im Sopha wieder auf, nahm die Hände von dem nassen Gesicht und sagte tonlos: Sind Sie ein so schlechter Menschenkenner, daß Sie nicht wissen, man kann noch lieben, wenn man auch nicht mehr achten kann? Aber Sie haben Recht: es hilft nun nichts. Ich muß den Bankerott an Glück und Frieden hinnehmen. Ich muß, ich muß, und ich will es auch. Verzeihen Sie diese elenden Thränen. Es sind meine letzten gewesen. Von heute an werde ich über Nichts mehr weinen, freilich auch nicht mehr lachen – nie mehr lachen – das Herz in mir ist todt – ich werde den Verwesungsgeruch hoffentlich nicht mehr lange zu ertragen haben.

Sie stand auf und schob ihr Haar, das völlig aufgegangen war, mit zitternden Händen unter die Haube zurück.

Was gedenken Sie zu thun? fragte ich.

Fort, fort von hier! Nach Venedig zurück. Es giebt keine Stadt, wo ein lebendig-todter Mensch besser aufgehoben wäre, bis er unter die Erde kommt. Heute noch will ich fort – heute noch –

Sie nickte düster vor sich hin. Ich fragte, ob ich ihr irgend einen Dienst leisten könnte.

Da sah sie mich wieder an und nickte wieder. Bleiben Sie noch ein paar Minuten bei mir, mein Kopf ist wie zerstückt, ich muß mich erst besinnen – ich danke Ihnen – o, es ist gräßlich!

Sie ging nach ihrem Schlafzimmer; ich sah, daß es ihr schwer wurde, sich aufrecht zu halten, aber meinen Arm wehrte sie ab. Drinnen hörte ich sie eine Weile hin und her schlurfen, Schubfächer aufziehen, einen Koffer öffnen. Dann kam sie wieder herein, jetzt mit kaltem, ruhigem Gesicht.

Ich bin in großer Verlegenheit, sagte sie. Er hat die Reisekasse geführt und sie bei seiner Flucht mitgenommen. Ich nehme ihm das nicht übel, es ist keine Veruntreuung, denn was ich besitze, war auch sein. Ich bedaure ihn nur, daß es nicht mehr war. Mit den paar tausend Franken wird er bald fertig werden. Was dann? Nun, tocc' a lui, eine Strafe verdient er wohl, und wenn er dann zurückdenkt, wie gut er es hatte, welch ein Leben er verschmäht hat, der Verblendete! – Glauben Sie auch nicht, daß ich ihn mit Eifersucht geplagt hätte. Ich wußte ja, daß ich nicht mehr schön bin, und er ist jung, und die Weiber waren wie toll in sein reizendes Gesicht vergafft; ich ließ ihm so eine kleine Liebelei ohne Vorwürfe hingehen, und nur wenn es ernst werden wollte, entführte ich ihn der Gefahr. Aber ich wollte ja nicht mehr darauf zurückkommen; verzeihen Sie!

Ich bot ihr meine Reisekasse an.

Nein, wenn Sie mir einen Dienst leisten wollen, telegraphiren Sie an meinen Banquier in Venedig, er soll mir tausend Lire auf demselben Wege hier in Ferrara anweisen lassen, einen Banquier wird es doch auch hier geben, und meine Legitimationspapiere hat er nicht mitgenommen. Ich hoffe, im Lauf des Tages noch läßt sich das ordnen, morgen kann ich dann fort.

Sie sind sehr gut, sagte sie, als ich mich erbot, sie nach Venedig zu begleiten. Ich darf es aber nicht annehmen, mir ist am wohlsten mit mir allein. Schade, daß unsere Bekanntschaft ein so trauriges Ende genommen hat. Sie war mir sehr erfreulich. Vielleicht – in späterer Zeit – aber nein, ich kann nicht über den nächsten Tag hinausdenken.

Sie reichte mir die Hand, die eiskalt war, wie eine Todtenhand. Ich drückte sie ehrerbietig an meine Lippen. Diese Frau, die nach dem entsetzlichen Schlage wieder in voller Herrschaft über sich selbst vor mir stand, erregte meine tiefste Sympathie und Bewunderung. Dann zog ich mich zurück.

Ich sollte kein Wort mehr von diesen blassen Lippen hören.

Als ich ihr nach drei, vier Stunden das Telegramm des Banquiers brachte, Alles sei nach ihren Wünschen geordnet, hatte sie sich eingeschlossen, und ich mußte es dem Kellner einhändigen. Sie fuhr dann selbst aus, um das Geld zu erheben, und ich vermied es natürlich, mich ihr aufzudrängen. Abends bei Tische hoffte ich sie noch einmal zu sehen. Ich fand aber neben meinem Couvert nur ein Billet von ihr, in welchem sie mir Lebewohl sagte, mir für alle Freundestheilnahme dankte und bat, ich möchte sie am Abend nicht mehr aufsuchen, da sie mit dem Nacht-Schnellzuge abzureisen gedenke und Bahnhofsabschiede hasse. Von Venedig aus hoffe sie mir mittheilen zu können, daß sie in ihrem Wittwensitz sich wohlbefinde.

*

Sie hat nicht Wort gehalten. Keine Zeile von ihr ist je an mich gelangt.

Als ich mehrere Jahre später selbst einmal wieder nach Venedig kam, konnte ich es nicht lassen, ihr nachzuforschen, an dem einzigen Ort, wo ich hoffen durfte, ihre Adresse zu erfahren, bei jenem Banquier. Obwohl ich mich aber an den Chef des Hauses selbst wandte, erhielt ich keinen Bescheid, nur ausweichende Mienen und Blicke: man wisse nicht genau, man stehe nicht mehr in regelmäßiger Verbindung, und dergleichen mehr.

Offenbar hatte die unglückliche Frau jede Spur ihres Daseins verwischen und ein für allemal für ihre Bekannten verschwinden wollen.

Nur ein Zufall brachte mich noch einmal in ihre Nähe.

Es war vor drei Jahren; ich war, durch die neueren pompejanischen Ausgrabungen gelockt, nach Neapel gekommen, im Herbst, um dort vier Wochen in Arbeit und Genuß der herrlichen Gegend zuzubringen. Unterwegs war mir von einem Mitreisenden die Pension Américaine in Chiatamone empfohlen worden, und da ich nicht gern in einem der hochgelegenen Hôtels wohnen mochte, sondern unten am Meere und in der Nähe der Villa Nazionale, fuhr ich gleich von der Eisenbahn nach dem bezeichneten Hause.

Als ich die enge, dunkle Treppe bis in den zweiten Stock hinaufgestiegen war und im Flur nach dem Wirth fragte, kam aus der Thür einer ziemlich großen Küche, in welcher einige Mädchen am Herde hantierten, eine kleine bewegliche Person heraus, die sich als die Padrona vorstellte und nach meinem Begehren fragte.

Du kannst dir meine Ueberraschung denken, als ich in dieser rundlichen, etwas unsäuberlich gekleideten, aber recht hübschen Figur die Marietta aus der Stella d'oro erkannte, die all jenes Unheil angestiftet hatte. Freilich, sie war ja eine Neapolitanerin, wie mir Carlo, der Kellner, vertraut hatte, mit verächtlichen Ausfällen gegen die ganze südliche Race. Aber hier sie als wohlbestallte Pensionswirthin wiederzufinden – nun, da mochte auch Signor Teodoro nicht weit sein, und jedenfalls hatte sein Verrath an der edlen Baronin hienieden wenigstens seine Strafe noch nicht gefunden.

Sie erkannte mich natürlich nicht wieder, es war zu dunkel im Flur, und ein Parlour, in das sie mich hätte führen können, nicht bei der Hand. Auch war unsere Verhandlung bald zu Ende, da kein Zimmer frei war. Erst nächste Woche reise ein Ehepaar ab, dann könne ich zwei der besten Zimmer haben. Uebrigens seien alle ihre Zimmer gut, wie auch das ganze Haus für seine Reinlichkeit und gute Küche bekannt sei. Natürlich, da keine Italiener, sondern nur Amerikaner und Engländer bei ihr logirten, die sehr anspruchsvoll seien.

Ich bedauerte, daß ich nicht bis zur nächsten Woche warten könne. Uebrigens sei mir eine ausschließlich amerikanische Gesellschaft nicht gerade angenehm, ich zöge Italiener vor.

Das sagte ich, weil mich der Mangel an Patriotismus bei der Hexe ärgerte.

O, versetzte sie, auch deutsch zu sprechen würde ich Gelegenheit bei ihr finden. Schon seit fünf Jahren lebe eine Deutsche bei ihnen, eine Baronesse Soundso, die es so behaglich bei ihnen finde, daß sie gar nicht mehr fort wolle. Nur in den heißesten Monaten gehe sie irgendwohin ans Meer, des Badens wegen, sonst verkehre sie mit Niemand, sondern male den ganzen Tag, im Museum oder nach der Natur. Sie sei proprio un angelo, und ihr Mann, der Teodoro, sage, sie sei der angelo custode ihres Hauses. Wenn ich sie sehen wolle, sie sei gerade bei Tisch.

Damit ging sie mir voran auf eine Glasthür zu, an welcher Sala da Pranzo und Dining-Room angeschrieben stand. Ich sah durch die helle Scheibe in ein langes, niedriges Gemach, in welchem an einem langen, schmalen Tische wohl ein Dutzend Herren und Damen in untadelhafter Diner-Toilette saßen. Am oberen Ende führte den Vorsitz eine Frau, die ich nicht gleich auf den ersten Blick wiedererkannte: das Haar schneeweiß, das einst volle Gesicht welk und hager, die Gestalt wie eine Greisin. Und doch konnte sie die Mitte der Fünfzig noch nicht erreicht haben.

In demselben Augenblick trat eine hohe Männergestalt hinter ihren Stuhl, in schwarzem Anzug, mit weißer Cravatte, das blonde Gesicht aufgedunsen, die ehemals schönen Augen verschwommen, das Haar an den Schläfen dünn geworden. Er bot der Dame einen Aufsatz mit Früchten, zu dem sie sich herabbückte mit dem Blinzeln einer Kurzsichtigen, das mir noch so gut in der Erinnerung war. Dann legte er ihr selbst eine Frucht auf den Teller und setzte seine Runde fort.

Ein tiefes Mitgefühl mit der armen »lebendig Begrabenen« beschlich mich, da ich sie hier nicht eben in der »fröhlichsten Urständ« wiedersah. Marietta schien meine Bewegung zu bemerken.

Kennen Sie die Dame? fragte sie.

Ich schüttelte den Kopf und sagte, es scheine eine sehr respectable Gesellschaft zu sein. Ich bedauerte aufrichtig, mich nicht auch an diese Tafel setzen zu können. Vielleicht später einmal.

Dann grüßte ich die kleine Frau und ging nach der Treppe. Ehe ich noch den Fuß darauf gesetzt hatte, sah ich den langen blonden Wirth aus dem Speisesaal herauskommen.

Some more frutta, Marietta! rief er. Mister Roberts wishes fichi e la Signora Baronessa delle uva fragole!

Subito! klang es aus der Küche zurück.

Gravitätisch schritt Signor Fedja an mir vorbei und nickte mir herablassend einen Gruß zu. Auch er hatte mich nicht erkannt. Ich stieg die dunkle Treppe langsam hinab, mit einem traurigen Gefühl. Ich hätte viel darum gegeben, dieser Frau nie wieder begegnet zu sein und die freundliche Täuschung behalten zu haben, sie sei an gebrochenem Herzen zu Grunde gegangen. Aber diese Todesart scheint mit der romantischen Poesie aus der Mode gekommen zu sein.

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