Elisabeth von Heyking
Tagebücher aus vier Weltteilen
Elisabeth von Heyking

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Ägypten (Kairo)

Februar 1894 bis April 1896

20. Februar. Edmund machte morgens Besuche bei den verschiedenen Ministern und kam sehr befriedigt zurück. Er meinte, sie ständen doch bei weitem höher als irgend etwas Indisches oder Chilenisches. Er hatte aber förmlich Kopfweh von dem vielen Kaffee, den er bei jeder Visite hatte trinken müssen. Später fuhren wir zum deutschen Hospital, wo eine Totenfeier stattfand für den hier verstorbenen Hans von Bülow.Der Musiker, der mit Gräfin Armgart von Flemming, Elisabeth v. Heykings Mutter, befreundet gewesen war. Die arme Witwe dauert mich sehr. Wenn man selbst so glücklich ist wie ich, hat man für den Kummer andrer ein so aufrichtiges Mitgefühl. Dann Kollegen besucht. Wir trafen nur die Russin, Mme. Cojander, die eine reizend lebendige nette Frau zu sein scheint, und die Amerikanerin, Mrs. Penfield, die mich frug »if I talked American, as she talked nothing else!« Zum Tee fuhren wir zu Lord Cromers hinaus, die am Nil in einem ganz indischen Haus wohnen, das einzig schöne Haus, welches ich bisher gesehen, denn alles hier ist für indische Begriffe sehr gedrückt und klein. Cromers waren beide sehr liebenswürdig, und wir sprachen viel über Indien, so daß wir uns gleich at home fühlten. Sie macht den Eindruck einer Frau, die sehr geworried ist, et il y a de quoi, denn man scheint hier in einer fortwährenden Aufregung zu leben. Freilich scheinen Dinge hier auch sehr aufgebauscht und die falschesten alarmierenden Nachrichten in die Welt telegraphiert zu werden, so z. B. ist derjenige Maher Pasha, der den Osmanie-Orden erhalten hat, ein ganz andrer als der Unterstaatssekretär, den der Khedive auf der Reise mit hatte. An Stelle des letzteren ist jetzt Zorab Pasha ernannt, und es ist nach Europa telegraphiert worden »he is believed to have English sympathies«; nicht ganz unwahrscheinlich, da er englischer Sir ist! Seine Frau gehört zu den shady existences von Kairo, which seem to abound, war noch vor ein paar Jahren Garderobiere und ist eine englische Lady, die kein Wort Englisch kann.

21. Februar. Wir hatten ganz früh die Visite von Tigrane Pasha, Minister des Auswärtigen, und von Riaz Pasha, Ministerpräsident. Tigrane ist zirka 40, armenischer Christ, spricht gut Französisch, und ich fand ihn ganz au courant von deutschen Dingen. Er kennt sogar Danzig, und die Beischläge an den dortigen Häusern sind ihm aufgefallen. Er erzählte einiges aus früheren ägyptischen Zeiten, von der allgemeinen Ausräuberei und von den ägyptischen Prinzen, die nach Paris gehen und sich ruinieren. Er meinte auch, es sei schwer für einen Europäer, im Orient sparsam zu leben, weil da keine europäischen Mittelklassen existieren, sondern jeder Europäer zu den Allerersten gehören will. Das stimmt auch für Indien, wo denn auch so viele über ihre Mittel hinaus leben. Riaz Pasha ist ein gemütlicher alter Herr und sagte, wir würden nur die schönen Seiten von Kairo kennenlernen, aber für ihn gäbe es auch Tracas und Anfeindungen, und das Land sei eben so schön, daß jeder es haben wolle. Dann kam er auf ägyptische Finanzen zu sprechen und wie herrlich die ständen. Die Höflichkeit verbot, ihm zu antworten, daß diese Schönheit eben doch ein Werk der Fremden ist! Mittags machten wir Besuche, fanden aber nur Mme. d'Ortega, deren Mann spanischer Generalkonsul vor vielen Jahren war. Seitdem ist sie hiergeblieben und es wäre auch schwer für sie, von hier fortzukommen, denn sie kann sich vor Körperfülle nicht vom Sofa rühren und trägt den Spitznamen »Das gestrandete Walroß«.

Nettes Diner im Klub, welches Herr von Richthofen für den Herzog Günther gab. Ich lernte Baron Heidler, den österreichischen, und Herrn und Frau Maskens, die belgischen Kollegen, kennen. Heidler ist sehr nett und Mme. Maskens eine hübsche Frau, die ihre schönen weißen Zähnchen zeigt. Außerdem war Graf Solms da, der mit erstaunlich offener Bitterkeit über seine Entlassung spricht. Man habe sie ihm wegen vorgerückten Alters erteilt, und er sei darauf gleich zum Lawn tennis gegangen. Edmund glaubt, daß ein Grund seiner Entlassung der war, daß er zu aufrichtig abfällig über König Humbert berichtet habe. Übrigens hörten wir schon in Rom, daß er von den dortigen Finanzfragen nichts verstanden habe und auch seinem französischen Kollegen nicht gewachsen sei, welcher sich sehr bemühte, Italien vom Dreibund abzulenken.

22. Februar. Edmund morgens Besuche gemacht, u. a. bei Moukhtar Pasha, »le Monsieur de Constantinople«, wie er genannt wird. Er erzählte Edmund, daß die Engländer ihn anfänglich ganz übersehen hätten, jetzt aber, wo das berühmte Incident vorgekommen, erinnerten sie sich plötzlich seiner und beriefen sich dem Khediven gegenüber auf die Türkei. Nachmittags besuchte mich der französische Generalkonsul Marquis de Reverseaux; er ist ein kleiner, sehr zugeknöpfter Herr, sehr steif und förmlich. Sein großer Wunsch ist, von hier fortzukommen, denn er hat sich bisher mit seiner Kolonie gut gestanden; es soll aber hier immer der Moment kommen, wo die französische Kolonie auf ihren Minister böse wird, weil er eben nie so weit gehn darf den Engländern gegenüber, wie sie es wünschen. Herr von Bülow sagte Edmund in Rom, daß die französische Regierung sich gar nicht sehr weit in Ägypten engagieren wolle, sicher nicht so weit, wie die hiesigen Franzosen es möchten, für welche die ägyptische Frage das ein und alles ist, von der aus sie alles beurteilen, mit ebensoviel Recht, wie für die Engländer in Peschawar die afghanische Frage und für die Engländer in Bhamo die chinesische Frage den Knotenpunkt der Welt bilden.

23. Februar. Edmund hatte morgens eine Audienz beim Khediven; es war dies eine Art Privatvisite, denn seine große Audienz, bei der er sein Beglaubigungsschreiben überreicht, findet erst statt, wenn das Anerkennungsschreiben des Sultans da ist. Die Audienz fand in Koubeh statt, einem Landpalast, wo der Khedive seinen ruralen Liebhabereien nachhängen kann. Edmund meinte, es sei sehr einfach gewesen; man habe ihn in ein Zimmer geführt, wo er beinahe über den Khediven gestolpert wäre, da er ihn da noch gar nicht erwartete. Abbas spricht jetzt nur französisch, um zu vermeiden, englisch sprechen zu müssen, versteht aber Deutsch sehr gut, da er in Wien erzogen ist. Er unterhielt sich mit Edmund über seine Gärten und sagte ihm, er liebe das einfache Leben; anfänglich habe er nicht ausgehn können ohne 50 Menschen hinter sich, »mais j'ai changé tout cela«. Edmund sagte ihm, für einen Souverain sei etwas Apparat doch ganz gut. Es war dann vom Kaiser und auch von Bismarck die Rede, und der Khedive bedauerte, letzteren nie gesehen zu haben, worauf Edmund ihm antwortete: »Presque personne n'a vu le prince Bismarck pendant les dernières années de son ministère et on croit même que cela a été une des raisons de son congé, l'Empereur se lassant, de ne jamais voir son ministre.« Hierüber soll Abbas sehr gelacht haben, aber im übrigen sei er sehr ernst gewesen. Edmunds erster Eindruck war aber doch der, qu'il y aurait moyen de s'entendre avec lui. Von da fuhr Edmund zum Haremstor und ließ durch einen Eunuchen der Khediva-mère seinen Gruß entbieten, den sie in gleicher Weise erwiderte. Nachmittags fuhren wir zum Ghesireh Palace Hotel, ein Palais Ismails am Nil, aus dem ein Hotel gemacht worden ist, welches aber schon am Krachen ist. Wir besahen uns auch besonders den Harem, welcher wundervolle Räume hat, und gefielen uns in dem Plan, uns da einzumieten.

24. Februar. Lady Cromer holte mich nachmittags ab, um mich bei der Khediva-mère vorzustellen. Wir fuhren nach Koubeh durch unbeschreiblich häßliche und trübe Gegend und viel Staub, aber mit gesunder Wüstenluft. Dann biegt man in die Gärten ein, die voller Orangen und blühender Mandelbäume sind. Am Eingang des Palastes empfing uns ein Eunuch, ein schlanker langer Mohr. Wir gingen die weißen Treppen hinauf und wurden in einem ersten Zimmer von einer Menge Art Hoffräuleins empfangen. Sie sahen alle ziemlich geschminkt aus, mit merkwürdigen Foulards auf dem Kopf. Im übrigen trugen sie ziemlich dürftige Seidenkleider. Die erste dieser Damen führte uns darauf in einen anstoßenden Saal, wo uns die Khediva empfing. Sie ist eine sehr hübsche Frau mit schönem, schwarzem Haar und Augen, ganz weißem Teint und einem sehr gewinnenden Lächeln. Sie trug eine entschieden Pariser Toilette und wundervolle Perlen. Lady Cromer stellte ihr noch einige andere Damen vor, und dann setzten wir uns, die Khediva auf einen hohen Sessel, Lady Cromer und ich rechts und links auf niedrigere und die andern Damen auf Bänke. Wir unterhielten uns auf Französisch, das die Khediva kürzlich gelernt hat, sprachen von ihrem jüngsten Sohn, der in Nizza ist, und ich beschrieb ihr einen Nizzaer Karneval. Es fällt ihr nicht viel zu sagen ein, aber was sie sagt, ist sehr liebenswürdig. Natürlich erschien Kaffee, von den Hoffräuleins serviert. – Abends war ein Diner bei Cromers zu Ehren des Herzogs Ernst Günther. Ich saß neben Cromer, der ein sehr netter Wirt ist. Er läßt sich nicht wie Lord Lansdowne die geschäftlichen Disteln in den sozialen Blumengarten hineinwachsen. Bei der nachfolgenden Rezeption lernte ich eine Menge hiesiger Spitzen kennen. Sehr angenehm ist Tigrane Pasha bei längerem Sprechen. Amüsant war es, die verschiedenen Typen zu sehen, russische, griechische und italienische Gesichter. Unter ersteren ist Mme. Jonine sehr angenehm, eine geborene Montenegrinerin, die mit ihrem Mann in Serbien und später, da sie dort zu aufwiegelnd wurden, in Rio war, jetzt hier Schuldenkommissare. Sie ist ein Typus von Frau, die man sich mit der roten Fahne vorstellen kann; hier versteckt sie Politik unter l´amour des chiffons.

26. Februar. Zum Diner waren wir bei Tigrane Pasha; außer uns noch Richthofen und die sehr amüsante, lustige Lady Charles Beresford. Sie ist eine alte Freundin des Hausherrn und geniert sich nicht, ihn aufs impitoyableste zu necken. Natürlich war von dem berühmten »incident« die Rede, und Lady Beresford meinte, das gehöre nun einmal zu der Komödie, mit der alljährlich die Fremden in Kairo amüsiert würden. Dann sprach man vom Ballett, und Lady Beresford sagte, der Khedive habe die Röcke der Tänzerinnen kürzen lassen, worauf Tigrane erwiderte: »Madame, je crois, que dans ce genre de questions les Anglais peuvent encore admettre que S. A. exprime une opinion!« Vom Diner gingen wir ins Theater. Es ist sehr hübsch und alle Welt elegant angezogen. Auf der einen Seite im ersten Rang Logen, mit Schleiern abgesperrt, für die Haremsdamen.

27. Februar. Lunch beim Herzog Ernst Günther für den Herzog von Orleans, wobei ich die Hausfrau war.

1. März. Lady Cromer brachte mich nachmittags zu Mme. Riaz Pasha, Frau des Premierministers, eine noch ganz strenge Mohammedanerin, die nie aus Kairo herausgekommen ist und bloß Arabisch spricht. Ihre Tochter und Schwiegertochter empfingen uns in hellen Atlaskleidern, mit Diamanten bedeckt, beide französisch sprechend. Ein Baby der einen wurde auch präsentiert, und die Photos meiner drei, die ich mitgebracht, wurden sehr bewundert. Mme. Riaz sagte, sie betete zu Gott, daß ich die Kinder meiner Kinder groß sehen möge. Riaz Pashas Vater soll Jude gewesen sein und sich zum Islam bekehrt haben, und es ist merkwürdig, wie prononciert der Typus in der ganzen Familie ist. – Abends in der Oper, wo ein großer Ball für das europäische Hospital gegeben wurde. Die Generalkonsulinnen als Dames patronesses des Festes warteten auf den Khediven in seinem Salon. Lady Cromer kam zu spät, und so standen wir übrigen dem Khediven wie eine Art Harem längere Zeit allein gegenüber. Mme. Willebois stellte mich vor. Der Khedive hat ein rundes Kindergesicht und wird entschieden bald zu fett werden, aber von all der Tücke, die ihm die Engländer nachsagen, ist ihm nichts anzusehen. Während wir warteten, sagte jede von uns ihm eine kleine artige Phrase, und mit unsern Buketts in der Hand sahen wir entschieden aus wie Schulkinder in their best behaviour. Von dem kleinen Salon gingen wir dann mit Seiner Hoheit in seine Loge, wo zuerst die Khediviale Hymne stehend angehört wurde. Dann begann vor uns das Tanzen, und nach jedem Tanz kam ein lebendes Bild, worunter »La Vérité« unsrer respektablen Patronage sehr bedurfte, um sie courfähig zu machen. Der Khedive sagte mir verschiedene Nettigkeiten, und wie er alles tun wolle, um uns den Aufenthalt angenehm zu machen. Wie wir da im Halbkreis in der Loge saßen, sahen wir entschieden wie ein Cafée concert très chic aus, besonders da auch unter uns die verschiedensten Typen vertreten waren. Eine Quadrille d'honneur tanzten wir auch mit, und als wir dann in die Loge zurückkamen, war der Herzog von Orléans erschienen. Ich unterhielt mich sehr gut mit ihm, denn er ist wirklich jemand, der ein Auge pour le comique hat, und das fehlte natürlich nicht bei dem ziemlich gemischten tanzenden Publikum. Die Haremslogen intrigierten ihn sehr. Endlich kehrten wir in unsre eigne Loge zurück und gaben l'hospitalité dem Herzog von Orleans und seiner Suite, Graf und Gräfin Costa de Beauregard. Es war sehr komisch, daß sie gerade zu uns kamen, aber sie hatten darum gebeten. Unsre Freundschaft mit Reverseaux störte es auch gar nicht, denn er kam, als »der Prétendent« fort war, gleich zu mir. Er kennt den Herzog und sein Gefolge ganz gut, aber hier muß er sie natürlich ignorieren. Nachmittags hatten wir eine Visite Chirols, der uns die Nachricht brachte, Crispi habe in der Kammer erklärt, daß die letzten Revolten in Sizilien von Frankreich arrangiert seien, sie hätten aber erst im Februar ausbrechen sollen, gleichzeitig mit einem Krieg, nach welchem dann Rußland einen Hafen in Sizilien bekommen sollte. Graf Solms meinte, Crispi sei jemand, von dem man sehr unvorsichtige Dinge gewärtigen könne!

2. März. Maskierter Ball bei dem in Kasr el Nil stehenden Regiment. Es war so dunkel, daß man glaubte, in den Tempel einer mysteriösen Gottheit zu treten, und die Versuche der Engländer, ihre Langeweile durch etwas Äußerliches zu verdecken, von dem sie gehört haben, daß es als amüsant gilt, sind zu kläglich. Wir drückten uns denn auch in Eile.

4. März. Nachmittags besuchte mich Kapt. Myers auf dem Weg nach Indien. Er erzählte mir, wie schön Kairo früher gewesen, vor der englischen Herrschaft und ehe es von Cook envahiert war. Er meint auch, daß die Engländer hier unnütz rüde sind, und wenn es viel Leute wie Nubar und Jacoub Artin gäbe, würden die Engländer nicht hier sein.

5. März. Für Edmund geschrieben: »Es scheint, daß nach dem Wadi Halfa Incident der alte Ismael Pasha die Absicht hatte, herzukommen; sein Enkel, der jetzige Khedive, Abbas II., wandte sich um Hilfe an den Sultan, und dieser bewog Ismael in Konstantinopel zu bleiben, und ermahnte auch dessen Söhne, die hier wohnen, zur Ruhe. Unter letzteren ist es Prinz Hussein Kamil, qui a posé sa candidature für den Fall, daß die Engländer den jetzigen Khediven beseitigen sollten. Prinz Hussein schwärmt für englische Sports und Gesellschaft und spricht viel über die Vorzüge des englischen Charakters im Gegensatz zum französischen, obschon, was er an Schliff etwa besitzt, entschieden auf den Pariser Boulevards ramassiert worden ist.«

6. März. Wir fuhren morgens nach Gizeh, und Brugsch Bey zeigte uns das Museum, das unbeschreiblich interessant ist. Die Königsmumien haben etwas Ergreifendes, wenn man bedenkt, daß es doch diejenigen Leute sind, auf die wir die Anfänge aller Kultur zurückführen können. Es hatte auch etwas Rührendes, Brugsch zuzuhören, der in all diesen Fragen lebt und von all den Mumien spricht wie von seinen Kindern. Es interessierten mich besonders auch die viel jüngeren Mumien aus der neualexandrinischen Zeit, auf welche man gemalte Bildnisse der Toten legte. Unter diesen sind wirklich reizende Bilder, in Wachsfarben gemalt; aber es sind nicht, wie man erwarten würde, klassisch ruhige Gesichter von Menschen, in denen wenig vorgeht, sondern überfeinerte, krankhaft zivilisierte und nervöse Leute, in deren Zügen man alle komplexen modernen Zweifel und Gefühle findet. Ganz besonders entzückte mich das Bild einer jungen Frau mit wundervollen schwarzen Augen und einem seltsam mysteriösen Ausdruck. Diese Bilder interessieren mich um so mehr, als ich eben »Le Masque« von Therry in der Révue gelesen habe, welches von einem solchen Bilde spricht. Sehr seltsam sind auch einige Figuren, die 6000 Jahre alt sein sollen, vor allem, wie sie und die ebenso alten Stoffe, mit denen die Mumien eingewickelt waren, sich erhalten haben. Brugsch machte uns auch auf das Art Kreuz aufmerksam, welches die ägyptischen Götter als Zeichen ewigen Lebens in der Hand halten und aus dem unser Kreuz entstanden sein soll. Es war ein entzückender Morgen voll Stoff zum Nachdenken, und man sagte sich, wie schade es doch ist, daß man inmitten von lifes worry so gar nicht dazu kommt, mehr in solchen Dingen zu leben.

9. März. Der Khedive gab abends ein Diner für den Herzog von Schleswig-Holstein, zu welchem wir auch geladen waren. Ich war die einzige Dame, so daß der Khedive mich führte, und wir unterhielten uns sehr gut über seine Musterfarm, wo er Pferde und Kamele zieht und auch ein Musterdorf gebaut hat. Er macht den Eindruck eines well meaning young man, who may have his little fads, aber mit dem sich doch auskommen lassen müßte. Zuerst sprach er französisch, aber dann ging er ins Deutsche über, und man merkte ihm an, daß er sich wohlfühlte inmitten dieser Nation, die ihn nicht hofmeistern will. Nach dem Diner sprach er mit Edmund und rühmte sich der Ersparnisse, die er in seinem Haushalt eingeführt hat. Wir konnten uns des Eindrucks nicht erwehren, daß Lord Cromer ihn anfänglich mismanaged haben muß. Er soll ganz weich und lenkbar hier eingetroffen sein und war bereit, sich den Engländern anzuschließen und in ihnen sogar eine Stütze gegen etwaige Gefahren von Konstantinopel her zu sehen. Aber ähnlich, wie es auch in Indien so oft geschieht, hat Lord Cromer sich gescheut, sich in die internen Angelegenheiten des Fürsten einzumischen, und hat es vor allem geduldet, daß er sich mit sehr shady Existenzen umgeben hat.

11. März. Großes Diner beim Marquis de Reverseaux en notre honneur. Sein arabisches Haus ist wirklich entzückend. Ich sprach dort viel mit dem Marquis D'Abzac, ein wirklich vornehmer Franzose. Er meinte, es sei ein Unrecht, daß man in Frankreich nicht Elsaß vergäße und sich mit Deutschland zusammentäte, denn der Feind der ganzen übrigen Welt sei doch England mit seiner Habgier, Hypokrisie und seinem Verdrängen andrer Nationen. Er meinte, die Deutschen, die ein wachsendes Volk seien und der Kolonien bedürften, würden das noch sehr empfinden.

13. März. Wir sind etwas in Sorge über die scheußlichen Angriffe im Kladderadatsch gegen Herrn von Holstein und Kiderlen. Dazu hat in einer Zeitung gestanden, wahrscheinlich würde Kiderlen an Mosers Stelle württembergischer Gesandter; das wäre furchtbar schade. Vom allgemeinen und von unserm persönlichen Standpunkt.

20. März. Heute erzählte Maskens, in der »Étoile« habe gestanden: »Le Baron Heyking suit une politique toute différente que le Comte Leyden, que nous n'avons jamais pu comprendre.« Später erfuhr Edmund, daß diese Zeitungsnotiz daher stammt, daß er bei einem Diner geäußert hat, er sei nicht genügend Engländer, um Whisky und Soda gern zu trinken!!

21. März. Ein amüsantes Déjeuner beim alten Nubar, der mir sagte, die Sitten unter Ismael seien ganz régence gewesen, nur daß dort vornehme Leute sich schlecht benahmen, während es hier Lakaien gewesen seien, die ihre Herren singierten. Theaterbeziehungen seien damals in Kairo als zum Schick nötig angesehen worden, und er und ein andrer alter Herr, um ihre Inklinationen mit diesem Muß zu verbinden, hätten sich schließlich darauf geeinigt, Protektoren, und natürlich platonische, ein und derselben Tänzerin zu sein.

22. März. Nachmittags besuchten wir die Prinzessin Nazzli, eine emanzipierte verwitwete Tante des Khediven, die eine passionierte Bewunderin Bismarcks ist, von dem sie unausgesetzt sprach und dessen Bilder sie umgeben.

1. April. Morgens Kirche, dann Besuch im Hospital bei den netten, friedlichen Schwestern. Nachmittags mit Lady Beresford nach ihrer Dahabeah gefahren. Sehr nette Leute, mit denen man sich gleich behaglich fühlt, und dabei sehr empfunden, daß es kaum eine Nation gibt, in der der Unterschied zwischen ganz first rate und ein bissel second so sehr zu merken ist wie bei Engländern. Hier in Kairo ist alles, was an Beamten hergeschickt wird, zweiter Güte. Lady Charles soll vor ein paar Jahren durch einen Brief entdeckt haben, daß Lady Brook, die bekannte Freundin des Prinzen von Wales, in gleichen Beziehungen zu Lord Charles stand. Sie beging die Unbesonnenheit, diesen Brief zu zeigen, und als der Prinz von Wales es erfuhr, verbannte er sie aus seinem set, »on account of indiscretion«. Heute erfahren, daß Herr von Gaertner nach Kalkutta kommt. Daß dieser Posten jetzt von Botschaftsräten besetzt wird, hat doch rein Edmunds Arbeit und seine Art, die Stellung dort aufzufassen, bewirkt – ein sehr erfreulicher nachträglicher Erfolg.

7. April. Bairam. Edmund fuhr morgens zum Empfang beim Khediven; derselbe scheint sehr schlechter Laune gewesen zu sein wegen eines Telegramms des »Standard«, worin es heißt, falls der Khedive den Engländern weitere Schwierigkeiten mache, müsse an seinen Ersatz gedacht werden. Der Khedive gave vent to his feelings, indem er das diplomatische Korps nur eine Minute bei sich behielt und es dann entließ, ohne den Tchibouk zu geben, was sonst üblich gewesen. Natürlich wird von nichts als dem »incident du tchibouk« gesprochen. Er ist aber töricht und unerzogen, sich in solchen grossièretés gratuites zu ergehen, mit denen er sich auch da Sympathien verscherzt, wo man bereit gewesen wäre, sie für ihn zu haben.

8. April. Heute erzählte uns Kojander von seiner Mission in Bulgarien, wo er der letzte russische Vertreter war. Den Battenberger hat er nicht geliebt und nannte ihn l'homme le plus fourbe et le plus menteur qu'il ait jamais rencontré. Auch die persönliche Bravour spricht er ihm ab und sagt, die Legende d'Alexandre le héros sei von der Kölnischen Zeitung aufgebracht worden. Er behauptet, Alexander sei ein einziges Mal im Feuer gewesen, und zwar sei am ersten Tag der Schlacht bei Slivnitza eine Bombe in seiner Nähe gefallen. Am zweiten Tag hätte er sich inkognito nach Sofia zurückgezogen, einen Kriegsrat gehalten und, da er die Schlacht für verloren angesehen, die Räumung Sofias anbefohlen. Die Bank und die Archive des Auswärtigen Amts seien dann in der Nacht in die russische Agence gebracht worden. Am 3. Tag der Schlacht sei er bis 2 Uhr in Sofia geblieben, und um 4 ½ sei die Schlacht, die etwa 2 Stunden weit von Sofia stattfand, beendet gewesen, so daß er unmöglich hätte dabei sein können! Später sprachen wir mit Biegeleben, der gleichzeitig österreichischer Vertreter in Sofia war, und der erklärte die Darstellung für falsch, und Alexander hätte Erstaunliches in jenen Tagen mit seinen jungen Truppen geleistet. Will man nicht an absichtliche mauvaise foi glauben, so sieht man, wie schwer Geschichtsschreibung ist und wie jeder jedes verschieden ansieht. D'Abzac erzählte uns sehr interessant aus Afrika, dem Krieg in Italien und dem Deutsch-Französischen Krieg. Er meinte, er hätte Franzosen nie gut gehorchen sehen. »Si j'avais été Napoleon III., bien des fois j'aurais fait fusiller mes généraux.« Alles sei der Chance überlassen gewesen, und für den Krieg in Italien seien keinerlei wirkliche Präparationen gemacht gewesen, sondern es sei eine Kriegführung à l'aventure gewesen. Wirkliche militärische Disziplin gäbe es nur in Deutschland. »Et, que voulez-vous,« sagte er, »le nouveau né allemand porte la main à la tête pour faire le salut militaire à l'accoucheur, tandis que le nouveau français lui fait un pied de nez.« Kojander sprach darauf von der Disziplin der Engländer gegen die Zivilautoritäten, wie z. B. hier, wo kein Engländer zugeben würde, daß Lord Cromer etwas falsch machen könnte.

9. April. Ziviltrauung von Herrn von Loehr und Fräulein Beyerle durch Edmund, der eine sehr hübsche Rede hielt, bei der er hervorhob, was die Pflichten der Frau eines deutschen Vertreters im Auslande sei. Man freut sich immer, einen Mann zu haben, der in Frauen nicht nur Haushälterinnen erblickt. Lunch bei Beyerles. Ich hatte dort ein langes Gespräch mit Prinz Hussein Kamil, für den man sich wirklich interessieren kann. Er sprach von der schrecklich niedrigen Bildung der hiesigen Frauen und meinte, das mache jeden denkenden Ägypter traurig, wenn er in sein Haus käme, so gar kein Verständnis und keinen Rat zu finden. Er sagte, ein Mann fühle sich doch nur glücklich und wohl, wenn er im Einklang mit dem Rat einer wirklich gescheiten Frau handelte. Er erzählte mir dann seine Scheidungsgeschichte und wie sehr er darunter gelitten, und daß er sich seitdem als einziger Passion seinem wundervollen Garten widme.

11. April. Edmund erhielt einen Erlaß vom Auswärtigen Amt, daß er der Konversion einer ägyptischen Schuld von 4% auf 3% widersprechen solle, was ihm ein sympathischer Auftrag war, denn er richtet sich zwar nominell gegen die ägyptische Regierung, eigentlich aber doch gegen England, Edmund ging daher nachmittags zu Lord Cromer und sagte ihm, daß er sich dieses Auftrags zu entledigen habe. Cromer schien sehr überrascht, denn er ist durch langjährige Berliner Tendenz und durch Graf Leyden daran gewöhnt, daß Deutschland zu allem, was er will, schleunigst ja sagt. Und zwar scheint er in diesem Fall so sicher darauf gerechnet zu haben, daß er sich nicht einmal die Mühe gegeben, Edmund um deutsche Hilfe zu bitten. In seinem langen Gespräch sagte Edmund ihm dies und setzte hinzu: »Nach den letzten Artikeln Mr. Chirols in der ›Times‹, welche ein Zurückgehen englischen Interesses in Ägypten konstatieren, nehmen wir an, daß Sie wirklich beginnen, sich von Ägypten zu desinteressieren, denn das werden Sie niemand in Deutschland glauben machen, daß Sie von der ›wickedness‹ von Tigrane Pasha abhängen. Geht Ihr Einfluß hier wirklich bergab, so kann es nur sein, weil Sie es wirklich so wollen.« Lord Cromer meinte, er würde mit seiner Behauptung recht haben, wenn der alte Khedive noch lebte, aber mit dem jetzigen sei alles zu schwierig. Edmund sagte, er sähe dies so sehr ein, daß er überzeugt sei, nur ein Khedivenwechsel würde Cromer à la longue nützen. Auf alle Fälle ist Edmund bei dieser Gelegenheit das gelungen, was ihm von Berlin aus vorgeschrieben wurde.

12. April. Morgens fand Edmunds feierlicher Empfang beim Khediven statt zur Überreichung seines Beglaubigungsschreibens, wobei das Komische war, daß Edmund besagtes Schreiben bei sich zu Hause liegen ließ. Eine große Kavallerieeskorte und ein vierspänniger Louis-XV.-Galawagen mit scharlachrot- und goldbekleideten Kutschern und Dienern, sowie ein zweiter Galawagen für Edmunds Suite holten ihn ab, und natürlich war eine große Menschenversammlung vor dem Hotel und an allen Fenstern to see the show. Edmund fuhr im ersten Wagen, von dem Zeremonienmeister Abrany Pasha begleitet. Vor dem Abdin-Palais war die Wache aufgezogen und spielte »Heil dir im Siegerkranz«, und dazu wurde von der Zitadelle geschossen. Der Khedive kam Edmund bis an die Tür des Audienzsaales entgegen und hörte stehend Edmunds Rede an, auf die er dann die seinige in Erwiderung ablas. Dann setzte sich der Khedive auf einen thronartigen Sessel, Edmund mit seiner Suite rechts von ihm und das ganze Ministerium und das Haus links von dem Khediven. Darauf wurde Kaffee und Tchibouks gebracht, und der Khedive soll for once sehr liebenswürdig gewesen sein. Bei seiner Abfahrt wurde für Edmund wieder »Heil dir im Siegerkranz« gespielt. Leider hatte Edmund ein entzündetes Auge, und ich war durch einen neuen Chamsintag so krank, daß ich zu Bett bleiben mußte. Das vielgepriesene ägyptische Klima is a froud, denn Neuralgie, Augenentzündungen, Dysenterie und Unterleibsleiden sind à l'ordre du jour.

13. April. Wir gingen mit dem Prinzen Adolf von Mecklenburg-Schwerin nach dem Gouvernementsgebäude, wo der Teppich ausgestellt war, der alljährlich nach Mekka geschickt wird. Der Teppich besteht aus goldgestickten Seiden, die zur Bedeckung des Grabes Ibrahims und der Kaaba benutzt werden. Nachher werden sie in ganz kleine Stückchen in Mekka zerschnitten und zu fabelhaften Preisen als Heiligtümer verkauft. Ich sprach mit einem hiesigen Doktor, der die Wallfahrt mehrmals gemacht, und er beschrieb, wie er von seiner Karawane in 28 Tagen 2500 Menschen an der Cholera verloren habe. Der Schmutz und das Elend sollen schauerlich sein.

14. April. Morgens ganz früh mit Edmund zur Zitadelle gefahren, wo sich der Khedive, die ganzen Minister und Hofchargen versammelten, um den Teppich vor seinem Abgang von dem obersten Sheik segnen zu lassen. Es lag eine gewisse Ironie darin, daß die englischen Unterstaatssekretäre auch alle dabei sein mußten, und die Polizei und Soldaten, welche dem Teppich zu Ehren aufgezogen waren, auch von Engländern kommandiert wurden. Das Schauspiel selbst war wundervoll, als das Kamel, das den Teppich tragen wird, mit einem schwankenden Gebäude aus Goldstickerei auf dem Rücken dreimal um die mitten auf dem Paradeplatz stehenden Teppiche geführt ward, von einer Karawane andrer Kamele gefolgt, auf deren Rücken Trommelschläger sitzen und umgeben von einer Masse Priester, Volk, Soldaten und künftigen Wallfahrern. Dann wird das Kamel vor den Khediven geführt, der den Zügel küßt, was seine muselmännischen Minister und Hofchargen ebenfalls tun. Es war ganz reizend, wie majestätisch das Kamel dastand mit hoch empor gehaltenem Kopf, als sei es ganz durchdrungen von seiner eignen Feierlichkeit. Dabei schwankte das goldene Tabernakel ganz sanft und träumerisch auf seinem Rücken, und das Gold glitzerte in der Sonne gegen den blauen Himmel, wahrend unten ein Gewimmel gestickter Uniformen war mit roten Fes und grünen und violetten Mänteln der Sheiks. Es war das erste wirklich orientalische Bild, das wir seit Indien gesehen. Nach dem Vorbeimarsch des Teppichs folgte die Parade der ägyptischen Truppen, die ganz fabelhaft gut marschieren. Auch Artillerie mit dem schönen Leder und Strickzeug wie in Indien kam vorbei und Kavallerie mit ganz reizenden arabischen Pferden. Wenn die Engländer das Land erst mal ganz schlucken, beneide ich sie darum am meisten.

Nachmittags besuchte ich die Khediva, die mir sehr traurig und inquiète schien. Als ich von ihr herausging, blieb ich eine Weile ganz still auf der weißen Treppe stehen und schaute hinaus in den Garten, der so seltsam märchenhaft in der gelben Sonne vor mir lag. Nichts rührte sich, kein Blatt, kein Halm! An dem Teich standen Flamingos auf einem rosa Bein und spiegelten sich in dem glatten Wasser, man sah keinen Menschen und hörte keinen Laut. Es war wie ein Traum. Hinter mir das schneeweiße, festverschlossene Schloß, an dem kein Laden geöffnet, mit seinen kühlen, dunklen Zimmern, in denen die Sklavinnen lautlos vorbeihuschen, und im innersten Zimmer die arme Frau, die so sehr um ihr früheres Glück trauert und die mir so wehmütig gesagt hat, wieviel Kummer Söhne machen. Ich war nur halb erstaunt, in der Stadt zu hören, daß das Ministerium gestürzt und Nubar Premier geworden ist. An Stelle Tigrane, den wir sehr regrettieren, kommt Butros, der zwar ungebildet, aber natürlich begabt sein soll. Der größte Erfolg Cromers aber ist, daß Mustapha Fehmi Pasha, den der Khedive vor 1 ½ Jahren wegen zu argen Engländertums gestürzt hatte, als Kriegsminister wieder hineingebracht hat. Mir scheint, als wolle man dem Khediven noch a last chance geben und sehen, wie es mit einem Ministerium geht, in dem ein absoluter Engländerfreund ist und neben vielen Nullen der alte Nubar, der un charmeur ist und außerdem einer der gescheitesten Leute, die es überhaupt gibt. Die Gefahr scheint mir darin zu liegen, ob ein so eminenter Mann es verstehn wird, le rôle effacé zu spielen, was nötig ist, damit die Dinge hier glatt gehen. Macht der Khedive auch unter diesem Ministerium Seitensprünge, so ist seine Zeit wohl um. Chirol sagte neulich, dann solle man lieber gleich das ganze Khediviat abschaffen und einen türkischen Statthalter, etwa Moukhtar, hier haben. Uns kann es ja gleichgültig sein, es sei denn, daß die Engländer sich bei der Gelegenheit wirklich mit den Franzosen brouillierten und letztere Ägypten als ein orientalisches Elsaß ansehn lernten. Zum Sturz des Riaz Ministeriums hat Lord Cromer selbst nichts getan, aber er hat die englischen Beamten gewähren lassen, die beim Khediven gehetzt haben. Schließlich hat auch Mr. Chirol in alledem eine Rolle gespielt, denn er verurteilt Lord Cromers bisherige lässige Politik sehr, und dieser mag wohl Angst haben, daß die englische öffentliche Meinung, von Mr. Chirol beeinflußt, einen energischeren Vertreter englischen Prestiges in Ägypten verlangen könnte.

19. April. Nachmittags ein englisches Ehepaar in Koubbah besucht und mich an den Lichteffekten auf der Wüste bei untergehender Sonne und aufgehendem Mond erfreut. Eine minder erquickliche Wüste war die geistige der Unterhaltung. Zulficar, der frühere Zeremonienmeister, soll den Grafen d'Aubigny gefragt haben: »Avez vous des enfants?« »Non.« »Savez vous, si c'est votre faute ou celle de la comtesse?« – Als er später Reverseaux zur feierlichen Audienz abholte und mit ihm im Galawagen saß, frug er auch ihn: »Avez vous des enfants?« »Oui, j'en ai deux.« »Ce n'est pas beaucoup, mais c'est toujours mieux que votre prédécesseur, le Comte d'Aubigny, qui n'en avait aucun. A propos, pourriez vous me dire, si c'est sa faute où celle de la Comtesse?« »Comment, diable, voulez-vous que je le sache.« – Zulficar nach einer longue reflexion: »Quant à moi, je dois avoir à peu près une douzaine d'enfants morts – j'ai perdu le compte exacte!« Wir besuchten die Prinzessin Nazzli. Sie erzählte uns sehr amüsant aus den Zeiten Ismaels, der 870 Frauen hier zurückließ und jährlich für 40 000 Pfund Sterling in Konstantinopel kaufen ließ, abgesehen von den Einkäufen, die er noch privatim machte. Ganz neu war es uns, die Prinzeß sagen zu hören, daß Eunuchen sich auch verheiraten, wie sie es ausdrückte: »merely for household purposes«.

21. April. Nach Tisch kam wie gewöhnlich das Gespräch auf das Umsichgreifen der Engländer in Afrika. Und Kojander sagte, es sei ihm gar kein Zweifel, daß die Engländer schließlich alle andern Nationen herauswerfen würden, auch Deutschland aus Ostafrika, und schließlich in diesem Weltteil allein regieren würden.

22. April. Mr. Chirol hat Edmund den Namen »the kingmaker« gegeben, denn er hat seiner Meinung nach die letzte Krise gemacht. Reverseaux' Secretair hat geäußert, wenn die Engländer in Ägypten sich zu breit machten, würde Frankreich sich mit Deutschland vertragen und den Frankfurter Frieden pour tout de bon akzeptieren, um dann hier ungeniert gegen England vorgehn zu können. Lord Cromer ist nur leider zu vorsichtig, sonst hätte er es jetzt zu einer Khedive- statt Ministerkrisis kommen lassen können, denn in London war man bereit, bis zur Absetzung des Khediven zu gehn.

30. April. Nachmittags machte ich eine Fahrt mit Fräulein von Bülow; es war gerade das ägyptische Frühlingsfest und an allen Fenstern und Balkonen saßen dicke geschminkte Levantinerinnen in weiß und rosa Kleidern und Blumen im Haar und schauten träge auf die Straße oder in den Abendhimmel. Das ist ein spezielles Stimmungsmoment hier: »Langweilige Abende überflüssiger Tage.«

1. Mai. Wir fuhren nach Debreshin und von da zu Esel nach Dashour, wo wir bei Morgans lunchten. Er dirigiert die dortigen Ausgrabungen und es sind beides liebenswürdige, gescheite Menschen, die französischen Entrain und Verve besitzen ohne französischen Chauvinismus. Wir sahen wunderbare Schmuckgegenstände einer vor 4000 Jahren verstorbenen Prinzeß, und es hatte etwas »incongruous«, diese Sachen in einem modernen Koffercompartiment aufbewahrt zu sehen. Nachher stiegen wir in die Grabgänge herab, d. h. wir wurden an einem Strick herabgelassen in eine 14 Meter tiefe Grube, wobei die Araber, die uns herabließen, in einem fort sangen: »Betet für ihn,« was nicht gerade rassurant war. Unten wanderten wir herum und tranken schließlich in der Kühle Tee. Das haben sich die Leute, die dort ihre Toten verscharrten, auch nicht gedacht, daß nach 4000 Jahren Leute einer fremden Rasse in ihren Grabkammern Tee trinken würden. Auf der Oberwelt war es sehr heiß, und über der Wüste und den Palmen zitterte förmlich die sonnige Luft; aber im Vergleich zu Indien doch noch sehr erträglich.

6. Mai. Sehr schöne Kirche, auf die ich mich hier immer freue. Der Prediger macht aus dem Christentum so eine persönliche Sache, die sich für jeden anders gestaltet, und die wir uns jeder selbst erwerben müssen. Ich komme immer aus diesen Predigten mit viel guten Vorsätzen nach Hause. Religion ist die allerpersönlichste Sache, die bei einem jeden ein andres Gewand trägt. Woran man sie aber immer wieder in den verschiedensten Gestalten erkennt, ist, daß sie den Menschen erhebt und ihm ein Streben nach Vervollkommnung gibt.

25. Mai. Reverseaux kam zu mir und schüttete sein Herz aus, wie schwer er es hier gehabt habe, wo all die andern Generalkonsuls eigentlich Diener Cromers zu sein scheinen und er in nichts Widerspruch verträgt und alles gleich als politische Frage und Anfeindung Englands ansieht. Besonders von Heidler und Leyden ist er sehr verwöhnt. Letzterer soll, sowie Cromer mit den ägyptischen Ministern Schwierigkeiten hatte, zu diesen hingegangen sein, um sie zur Rede zu stellen und ihnen auszumalen, wie viel schlimmer sie es haben würden, wenn z.B. die Deutschen hier herrschten, und wie sanft und human die Engländer doch eigentlich seien! – In diesen Tagen spielte eine große Frage wegen Leuchtturmabgaben, über die Edmund Lord Cromer Opposition machen mußte, auf Grund des deutsch-ägyptischen Handelsvertrages. Lord Cromer soll darüber ganz fassungslos und heftig geworden sein, hat aber schließlich in allem nachgegeben, und ihn dann gebeten, Reverseaux und Kojander zur Annahme zu bewegen, was auch gelang. Kojander meinte, Edmund sei in den guten Traditionen deutscher Politik und habe sich die Rolle des ehrlichen Maklers erworben.

27. Mai schrieb ich an Kiderlen, weil ich fürchtete, Lord Cromer (der solche Verfahren liebt) könne sich am Ende über Edmund beschweren. »Lieber Herr von Kiderlen: Sie sagten mir, ich solle Ihnen einmal über hiesige Personen schreiben, und da muß ich wohl anfangen mit dem burra sahib, wie man in Indien sagt, d.h. mit dem großen Herrn Lord Cromer. Bei ihm fällt mir immer Indien ein, weil ich dort so sehr schlecht über sein rauhes, herrisches Wesen habe sprechen hören, und dann, weil er der Typus des weißen Mannes ist, der in langjährigem Kontakt mit ausschließlich niedrigeren, unterwürfigen Rassen einen falschen und übergroßen Begriff seiner persönlichen Macht und Wichtigkeit bekommen hat. Mit diesem Begriff ist er nach Ägypten gekommen und in demselben von den armen Ägyptern natürlich nie gestört worden, leider aber auch nie von seinen europäischen Kollegen, die sich mit Ausnahme der Franzosen und Russen geehrt zu fühlen scheinen, seine Adjutanten zu sein. So verträgt er keinen Widerspruch und behandelt alles sofort als Feindschaft gegen England. Man kann sich keinen Ort denken, wo so sehr wie hier mit großem Geschütz gearbeitet wird, da ist immer gleich die Rede von Englands Freund und Englands Feind, von Tripleallianz oder Dreibund. Man sieht eben aus allem hier, daß es den Engländern hauptsächlich darauf ankommt, bei den Ägyptern und fremden Vertretern den Glauben zu erhalten, daß sie Deutschlands Unterstützung stets auf ihrer Seite haben. Ihren Wunsch nach dem moralischen appui, den wir ihnen zu geben haben, können wir gar nicht übertaxieren, darum dürfen wir aber auch sagen: »We needn't make ourselves cheap.«

Juni. Edmund und ich hatten dieser Tage ein interessantes Gespräch mit Descos. Er meint, die Idee der Wiedererwerbung Elsaß-Lothringens sei für die Franzosen das Ideal gewesen, an dem sie sich geeinigt und aufgerichtet haben, es käme aber darauf an, ihnen jetzt ein andres Ideal zu suggerieren, damit die Elsaß-Lothringensche Frage beiseite gelegt werden könnte, und sie mit uns in Frieden ihre Kräfte auf außereuropäische Fragen richten könnten. Er meinte, während wir uns gegenseitig bewaffnet hypnotisierten, benutze England die Zeit, um einzusacken. Reverseaux hat dieselben Ideen eines Rapprochements und wünscht sich, nach Berlin zu kommen. Er sprach mir mit viel Begeisterung vom Kaiser, über den er viel durch Jules Simon gehört hat.

25. Juni. Morgens früh kam die Nachricht, daß Carnot ermordet worden sei. Le marquis de Reverseaux meinte: »Cela ne vaut guère la peine de vivre en république pour etre traité comme de vulgaires monarques!« Reverseaux reiste nachmittags ab, was ein rechter Verlust für uns ist, ich hoffe aber, daß wir ihn wiedertreffen werden, denn wir haben Ideen gemeinsam, für die es sich lohnte zu leben. Diese Idee ist ein Rapprochement mit Frankreich und dadurch Kräfte frei zu kriegen für die außereuropäische Entwicklung Deutschlands. Ein Ziel, das mir vorschwebt, ist, daß Edmund einmal Botschafter in Paris und von da vielleicht Statthalter im Elsaß würde. Da könnte er wirklich etwas tun.

9. Juli. Edmund erhielt einige Erlasse, wonach man in Berlin wieder englischer geworden scheint. Das Motto vieler dieser Schriftstücke könnte sein: »Wasch mich, aber mach mich nicht naß!« Die letzte Zeit war für uns ziemlich aufregend, weil Edmund Sorge hat, vielleicht etwas zu weit gegangen zu sein in seinem Bestreben, den Engländern hier zu zeigen, daß sie uns und nicht wir sie nötig haben. Es kam ein Erlaß an, wonach Lord Cromer in London, Berlin und Konstantinopel hat klagen lassen über die veränderte deutsche Haltung in Ägypten. Man scheint das aber in Berlin ziemlich kühl aufgenommen zu haben. Die Engländer sind hier auch sehr geladen auf den armen Khediven, und wenn es sich bewahrheitet, daß er eine Cousine des Sultans heiraten will, werden sie noch wütender werden. Man kann dem Khediven nur raten, sich ganz ruhig zu halten, denn sie lauern nur auf den Moment, ihm eine gehörige Demütigung anzutun. Ihre Politik indischen Fürsten wie dem Khediven gegenüber besteht ja darin: »Ihr laßt den Armen schuldig werden, dann überlaßt Ihr ihn der Pein.« So haben sie viele ihrer Eroberungen und Annexionen gemacht. Dem designierten Opfer wird ein Schuldbuch eröffnet und jede kleine Abweichung vom britischen Pfad stillschweigend eingetragen, bis die Seite ihrer Ansicht nach voll ist. Dann klappt das Buch wie eine Falle zu und der arme Orientale liegt zerquetscht darin.

10. August. Um 7 morgens von Alexandrien abgefahren, heut ganz früh in Brindisi angekommen und es dankbar empfunden, mit welch andrer Seelenruhe wir diesmal Europa wiedersehn, als bei unserer Rückkehr von Indien. Es ist ein herrliches Gefühl, einen Urlaub zu beginnen, ohne etwas »erreichen zu müssen.«

17. August. Abends spät in Berlin angekommen; nach Buckow weitergefahren und die Kinder gottlob! sehr wohl gefunden. Das Gefühl gehabt, ein semblant von home zu haben.

20. August. Von Edmund hörte ich aus Berlin, daß Lord Gromers Klagen über ihn nichts geschadet hat, da es in eine Zeit fiel, in der man des Kongovertrags halber auf England etwas giftig war. Man hat das schnelle Nachgeben Englands in der Kongofrage mit Edmunds schroffer Haltung in Ägypten in Zusammenhang gebracht und sie ihm daher gedankt. Es hätte aber leicht schief ablaufen können, denn es war so weit gegangen, daß die Königin sich beinah beim Kaiser beklagt hätte. Dies soll noch Graf Hatzfeld abgewandt haben. An den Rand eines Briefes von Sir Edward Malet soll der Kaiser bemerkt haben, »Lord Cromer solle man etwas Höflichkeit lehren!« Edmund hatte den Eindruck, daß seine Haltung im Auswärtigen Amt aber großes Aufsehen gemacht hat, weil es eben so wenig Leute mehr gibt, die Initiative haben und etwas riskieren. Der Botschafter Bülow war gerade in Berlin und sagte Edmund ganz erstaunt, er habe ja ganz etwas Neues eingeleitet. Sehr zufrieden sind natürlich die Kolonialabteilungsleute. Edmund merkte dort, daß man sehr daran denkt, von England etwas Greifbares zu erhalten, und nichts mehr umsonst tun will; man spricht von Samoa, aber eigentlich meint man Sansibar, dessen Verschleuderung jetzt doch S. M. und Caprivi sehr wurmen soll. Im Auswärtigen Amt scheinen aber mehr und mehr Parteiungen zu entstehn. Caprivi soll jetzt in alles mit hineinreden, besonders in Personalia, weil er sich einbildet, jetzt schon was zu verstehn; dann Marschall, den Caprivi impatientiert, dann Holstein und Kiderlen, welche beide auf Caprivi erbittert sind, und endlich die vielen Geheimräte, die sich zu Besserem berufen glauben. Edmunds Eindruck war, daß Marschall zu einer entschiedenen Behandlung der Engländer neigt. Holstein aber hat Edmund gewarnt und ihm gesagt, man wüßte doch nie, wie weit des Kaisers englische Sympathien reichen, in dieser Frage sei er ja sehr deutsch geblieben, aber er hinge an seinen Ferientagen in Cowes, wolle dort freundliche Gesichter sehen und würde dafür auch mal ein Opfer bringen.

1. September. Wir lunchten bei Kiderlen mit Lindenau und Pieper, welcher letztere so spricht, als habe er die moderne Geschichte eigentlich gemacht. Natürlich war viel von Bismarck die Rede und Pieper meinte, dessen eigentliche Ambition sei gewesen, Bundesfürst zu werden. Darum sei ihm die Verleihung eines bloßen Titels eines Herzogs von Lauenburg auch wie eine Ironie erschienen.

3. September. Edmund hat gestern bei S. M. in Berlin dejeuniert. Der Kaiser soll sehr gnädig gewesen und mit Edmunds Haltung in Ägypten zufrieden sein. Man sähe ja nun, daß die Engländer keinen Schritt ohne uns in Ägypten vorwärts könnten, er habe seinen Aufenthalt in England benutzt, um zu sagen, daß man Lord Cromer doch zu etwas größerer Höflichkeit anhalten möchte. Die Kaiserin soll infolge einer Schweninger Kur sehr elend aussehen und Edmund mit maskierter Ungnade behandelt haben.

Oktober. In der Vossischen Zeitung erschien ein Artikel über Edmunds Differenzen mit Lord Cromer und daß man in der deutschen Kolonie in Ägypten sehr froh sei, daß Edmund nicht zweiter englischer, sondern deutscher Vertreter sei.

20. Oktober. Bei scheußlichem Wetter abgereist nach Rom.

28. Oktober. Früh in Port Said angekommen, wo uns Konsul Bronn mit der Nachricht empfing, daß Caprivi abgegangen sei, Osman mit derjenigen, daß unser Haus, unsre Wohnung im Ghezireh Harem abgebrannt sei. Wir mieteten in Kairo einen einzelstehenden Kiosk im Park von Ghezireh, derselbe war früher von Ismael Pasha für Feste gebaut und stand seitdem sehr verwahrlost als Möbelschuppen da.

November und Dezember vergingen ganz mit Einrichten und Auspacken und vielem Ärger über die Langsamkeit der Arbeiter. Dazwischen war ich viel krank.

Am 24. Dezember. Weihnachtsabend zogen wir endlich in unser ganz unfertiges Haus und waren sehr glücklich, aus dem Hotelleben endlich herauszukommen.

Am 27. gab ich ein Weihnachtsfest für die deutsche Schule mit Schokolade, Spielen im Garten, Baum und Aufbau. Die 50 Kadetten vom Schulschiff »Stein« waren auch dabei, und einer, der Edmund nicht kannte, sagte zu ihm: »Die Baronin Heyking ist doch zu hübsch!« Mir wurde beim Anblick der 70 Kinder ganz traurig, und ich dachte so sehr an die meinen. –

2. Januar 1895. Morgens ein Telegramm bekommen, daß Tante Max am Sylvesterabend gestorben. Es betrübte mich sehr, denn es ist ein ganzes Stück Jugenderinnerung, das damit hingeht. Es sind nur noch so wenige übrig, die mich von klein auf liebgehabt haben, und wie bald werden auch die fort sein.

27. Januar war morgens früh Kirche zu Kaisers Geburtstag und dann großer Gratulationsempfang bei uns. Es kamen zirka 100 Personen, die alle kaltes Lunch bei uns bekamen. Nachmittags weiterer Empfang und abends großes Bankett in der Stadt, bei welchem Edmund eine ganz famose Rede hielt. Alle Deutsche sagten, sie hätten noch nie so reden gehört!

30. Januar. Abends fuhren wir nach Koubeh, um die Hochzeit der Prinzeß Hadshat Hanem, Schwester des Khediven, zu sehen. Der ganze Garten war herrlich beleuchtet, und im Schloß brannten lauter silberne hohe Leuchter. Es wurden uns mit gewohnter orientalischer Schamlosigkeit das rosa Atlasbett, die Nachtgewänder und dann auch die Geschenke gezeigt. Nachdem wir alle in einem großen Saal Platz genommen, wurde die Braut hereingeführt, unterstützt von zwei Brautjungfern. Sie trug ein goldgesticktes rosa Atlaskleid, und von beiden Seiten des Kopfes hingen ihr goldene Fransen in der Art unsrer Weihnachtslametta bis auf die Füße. Sie wurde auf den Thron gesetzt und nach Herzenslust angestarrt. In der Hand hielt sie einen Strauß, und in jeder Blume funkelte ein Edelstein. Die Khediva warf dann kleine commemorative Goldmünzchen unter die Menge, welche Glück bringen sollen, und wir alle krabbelten auf dem Boden danach herum. Zum Schluß gab es Souper in einem Zelt, und einige Einheimische zerrissen Fasanen mit den Fingern und fraßen sie so vor der Khediva. Der Gesamtanblick des Festes, bei welchem nur Frauen jeder Rasse und Schattierung, aber kein einziger Mann waren, gefiel mir eigentlich viel besser als unsre Gesellschaften mit den vielen Fracks.

1. Februar. Empfangstag bei mir. Wie immer sehr überfüllt und angreifend.

4. Februar. Mit Prinzeß Croy zu Madame Izzet, einer Adoptivtochter Ismaels. Ich frug sie, wer denn die Favoritin gewesen sei, für die unser Haus erbaut worden ist. Sie antwortete: »Son altesse n'a jamais eu de préférée, il a été bon envers toutes.« Echt orientalische Auffassung.

10. Februar. Großes Diner bei uns für Prinz Hussein mit lauter hübschen Damen. Es war viel die Rede von unserm gestrigen incident de voiture, wo vor dem Hotel Shepheard ein englischer Polizeioffizier unseren Kutscher malträtiert hat. Edmund hatte volle Satisfaktion verlangt, was den Engländern aber nicht bequem ist.

19. Februar ein Fancydressball bei Lady Walker; ich war ein schwarzer Schmetterling. Ich suche mit der Laterne nach einem Menschen, der mich und den ich interessierte!!

20. Februar. Izzet gab ein türkisches Diner für uns, bei welchem wir alle, um ein großes silbernes Brett sitzend, mit den Fingern aßen. Das Diner war vortrefflich, und dank eleganten Servierens, vieler Wäsche und Waschens war die Prozedur weit weniger eklig, als ich fürchtete. Nachher rauchten wir aus diamantbesetzten Tschibouks. 25. Februar. Ball beim Khediven; die Globetrotters brachten uns beinahe um wegen Einladungen.

1. April. Großer Deutschen-Abend im Hotel Shepheard. Edmund brachte das Hoch aus. Edmund erhielt einen Brief von Kiderlen, der ihm sagt, man hielte ihn im Auswärtigen Amt für zu antienglisch, und ihn warnt, nicht in einen latenten Widerspruch hineinzugeraten und sich mit den Engländern hier gut zu stellen, aber ohne jähen Umschwung. Der Brief ist sehr freundlich, hat uns aber doch etwas konsterniert, weil wir gar nicht das Gefühl haben, in diesem Winter irgendwie antienglisch gehandelt zu haben. Es müssen die Nachwirkungen vom vorigen Sommer sein, und erinnert mich daran, daß betrogene Ehemänner auch meist erst ihr Unglück erfahren, wenn es zu Ende ist. Kiderlen schreibt, es bestände in Berlin das Axiom, man dürfe die Engländer überall zwicken, nur in Ägypten nicht.

5. April. D'Abzac besuchte mich, und wir sprachen davon, wie man sich in Konversationshinsicht ausbilden und vervollkommnen kann. Ein geistiges Milieu trägt natürlich am meisten dazu bei, aber da man sich das ja nicht auf Wunsch schaffen kann, muß man es durch Lektüre zu ersetzen suchen. Man muß erstens amüsante Dinge wissen, zweitens sich ihrer im rechten Augenblick entsinnen, drittens sie in präziser Form ausdrücken und vor allem nie praeokkupiert sein, sondern das Momentane seiner ganzen Aufmerksamkeit wert sein lassen. –

6. April. Abends dinierten Lady Charles und Mr. Chirol bei uns, der eben nach China und Japan reist, wahrscheinlich um von dort aus durch die »Times« dafür Stimmung zu machen, daß es doch undenkbar sei, daß man zwei Völker sich bekriegen lassen könnte, ohne daß für England ein Vorteilchen abfiele.

10. April. Wir haben nicht viel geistige Anregung hier, und ich denke oft an die geistigen Possibilitäten, aus denen nichts geworden ist, an alle die Gedankenkinder, die ungeboren geblieben sind. Und ich sage mir, daß ich wohl einmal während weniger Stunden die Kraft gehabt habe, mein Leben in die Hand zu nehmen und selbst zu formen, daß es mir dann aber aus der Hand geglitten ist und seitdem so dahinrollt, ohne daß ich die Energie hätte, es wirklich zu dirigieren. Ich hatte damals so viel Aspirationen nach künstlerisch-geistigem Leben, aus denen gar nichts geworden, und wir haben so lange in so entlegenen trieblosen Gegenden gelebt, bis das alles in mir eingeschlummert ist. Der Charme mancher Frauen besteht aber darin, daß man ihnen anmerkt, sie hätten vieles leisten können, wenn der Boden nur etwas günstiger gewesen wäre. Vielleicht muß man sich damit bescheiden und suchen, in andern Leistungen zu erwecken. Mir ist jetzt oft so weh ums Herz, wie vor 16 Jahren, als ich selbst 16 alt war und so eine erdrückende Melancholie ohne Ursache in mir trug, die mich zum Schreiben, Malen, Musizieren trieb, zu allem, worin ich das innerste Ich zu betätigen hoffte. Vielleicht sind das Krisen, die man nicht nur beim Erwachsen durchmacht, sondern auch in dem an sich viel traurigeren Moment, wenn die Jugend Abschied nimmt.

22. April. Es kamen sehr aufregende Telegramme, daß Deutschland mit Frankreich und Rußland bei Japan gegen den japanisch-chinesischen Friedensvertrag protestiere. Edmund freute sich über diese neue Politik, die ganz seinen Anschauungen entspricht. Die Engländer hier sind wütend.

5. Mai. Wir hatten eine Zeit reizendster Stille. Tagsüber malte ich an den Türen unsres Saals, und abends las mir Edmund vor, u. a. auch »Werther«. Mich frappierte darin besonders, was er über den Selbstmord sagt, daß es nämlich Leidensgrade so gut wie Krankheitsgrade gibt, die ein Mensch eben einfach nicht mehr aushalten kann und dann so oder so stirbt. Edmund und ich genießen die Zeit so unbeschreiblich und freuen uns an diesem Beispiel, daß wir uns heute wie vor 10 Jahren ganz und gar selbst genügen und nichts andres zu unserm Glück brauchen. – –

10. November. Wir sprachen die Prinzeß Nazzli, die voll von allerhand Prophezeiungen war. Sie sprach von Weissagungen und Propheten als ganz etwas Alltäglichem, und man fühlte sich wie in die Bibel zurückversetzt. Orientalen liegen diese Gedanken doch ganz anders nahe als wie uns. Die Prinzeß sprach aber auch von einer großen Aufregung, die in der mohammedanischen Welt herrsche, von der allgemeinen Unzufriedenheit mit der Mißwirtschaft des Sultans; sie sagte, letzterer habe von den armenischen Greueln nicht nur gewußt, sondern sie angeordnet und sie sich seit Jahren vorgenommen. Solange es sich nur um die Armeniermetzeleien gehandelt habe, seien die Türken ganz gern de la partie gewesen, aber jetzt, wo auch große Zahlen von Türken verschwänden, seien auch alle Mohammedaner voll Abscheu gegen Seine Majestät. Der Sultan soll eigenhändig Leute erdrosseln, sich am Wimmern der Gefolterten ergötzen, dadurch Appetit bekommen und sich das Leben Neros und Caligulas vorlesen lassen. Er hält sich durch die hohen Löhne, die seine ganze Umgebung erhält, und als Leibwache hat er nur Leute, die wegen mehrfacher Morde verurteilt sind. Prinzeß Nazzli sagt, die französische Presse erhalte 40 000 Pfund Sterling, um über alles zu schweigen, und sie meinte, die verschiedenen Botschafter berichteten immer anders über den Sultan, als sie sollten, weil er ihren Frauen und Töchtern derartige Geschenke mache, daß sie eben die Augen zumachten. In den ägyptischen Nativezeitungen erscheinen jetzt enthüllende Artikel über das, was in Konstantinopel vor sich geht, geschrieben von einem Ägypter, der jahrelang in Konstantinopel im Unterrichtsministerium angestellt war, und diese Artikel sollen übersetzt jetzt in Europa in Zirkulation kommen. Hiesige Zeitungen bringen auch die Nachricht, es seien Türken nach Kairo gekommen, um Nubar, Tigrane und Jacoub Artin zu ermorden, gegen welche der Sultan einen besonderen Haß habe wegen ihrer Partizipierung am armenischen Komitee. Tigrane erzählt, es seien eine Menge armenische Witwen hier, deren Männer massakriert worden wären, und es kämen immer noch neue Flüchtlinge an.

21. November. Wir fuhren ins Shepheard, wo wir die Prinzeß Amalie von Schleswig-Holstein, Tante der Kaiserin, kennen lernten. Sie ist eine unternehmungslustige 70jährige Dame, die die oberägyptische Tour machen will.

2. Dezember. Wir fuhren nachmittags zur Prinzeß, um auf ihrer Dahabeah Tee zu trinken, und es war ein so wonniger Tag, daß Edmund und ich im Wagen zueinander sagten, wie dankbar wir doch sein müßten, gerade hier diese zwei Jahre zugebracht zu haben. Bei Tisch wurde uns ein Chiffretelegramm gebracht. Die ersten Worte »Ew. Hochwohlgeboren sind zum« machten uns gleich stutzig, dann aber kam »executio«, was uns wieder die Hoffnung gab, daß es sich um irgendeine juristische Sache handle. Der Glaube aber war zerstört, als »in Tanger ausersehen« dechiffriert war und sich das »executio« als »Gesandter« erwies; es folgte »Erlaß über Ernennung in einigen Tagen«. Wir waren ganz starr und enttäuscht. Wir haben in der letzten Zeit immer an Japan gedacht. Tanger ist so sehr niederdrückend, weil dort so sehr wenig zu tun sein kann. Uns war zumute, als sei uns ein Stein auf den Kopf gefallen. Ich hätte nie gedacht, daß es unser Los sein würde, über das Gesandterwerden so unglücklich zu sein!

3. Dezember. Wir fühlen allen an, daß sie uns bedauern, nur Nubar meint, der hiesige Posten nähme doch täglich an Bedeutung ab, und wir seien doch alle bei Cromer und nicht beim Khediven akkreditiert.

Ich fuhr zum Tee zur Prinzessin von Holstein und erzählte ihr, wieviel uns bei der Kaiserin von Putlitzens geschadet worden ist. Sie war reizend freundlich und versprach, der Kaiserin über uns zu schreiben.

7. Dezember. Ein Reutertelegramm soll die Nachricht bringen, daß Graf Metternich aus London hierher ernannt worden ist. Das macht uns die Sache ganz besonders hart, denn hier, wo jeder die Versetzung als eine disgrace ansieht, gibt dieser Nachfolger ihr noch den Beigeschmack, als sei man mit Edmunds Haltung hier unzufrieden und wolle in englandfreundliche Bahnen einlenken. Und dabei hat Edmund nach besten Kräften hier gearbeitet, hat keine Mühe gescheut und den Posten entschieden gehoben, indem er gezeigt hat, wie empfindlich die Engländer hier sind und wie hoch wir unser Wohlwollen hier uns könnten bezahlen lassen. Das Selbstgefühl aller Deutschen hat er erhöht, und so waren alle hier auf ihre Vertretung stolz. Und nun ein Posten, wo nichts zu tun ist, und wo man nur hoffen kann, daß nichts vorkommen wird, denn für Deutschland kann dabei ja doch nichts herauskommen, nur Unannehmlichkeiten für den betreffenden Gesandten.

9. Dezember. Edmund erhielt endlich Erlasse aus Berlin über die Versetzung, und sie waren so freundlich abgefaßt, daß wir uns sagten, man könne im Auswärtigen Amt unmöglich die Sache böse für uns gemeint haben. Am erfreulichsten war uns, daß man uns bis in den Februar hier lassen will, dann soll Edmund nach Berlin kommen, um sich bei S. M. zu melden, ehe er nach Tanger geht. Wir waren sehr froh darüber, denn das widerspricht am meisten den hier verbreiteten dummen Gerüchten.

22. Dezember. Ein Brief von Kiderlen, der schreibt, er sei ganz verwundert über Edmunds Ernennung, das Auswärtige Amt aber ebenso, denn niemand habe daran gedacht, ihn für Tanger vorzuschlagen, sondern der Kaiser habe alle anderen Kandidaten abgelehnt und gesagt: »Ich brauche dort einen klugen und energischen Vertreter, Heyking soll hingehen.« Mir fiel ein Stein vom Herzen, denn die Unannehmlichkeit des Orts will ich ja gern ertragen, wenn es nur für Edmunds Karriere nicht schlecht ist. S. M. macht sich ja wahrscheinlich Illusionen über den Posten, aber daß er so ganz direkt an Edmund gedacht hat, macht mich doch glücklich. Es ist nur das Unglück, daß wir all unsre Gedanken auf Ostasien gerichtet hatten. So wird es Edmund entsetzlich schwer, sich in diese ganz andre Richtung einzuleben, und er hat leider die Empfindung, auf den Posten nicht hinzupassen. Ihm wird auch die Abreise von Kairo viel schwerer wie mir, weil er sich hier viel mehr attachiert hatte, und er überhaupt eine sehr weiche, impressionable Natur hat. Und wenn ich dann sehe, wie er bei mir Mut sucht, weiß ich gar nicht, was zu sagen, denn ich habe ja auch ein wahres Grauen vor diesem Posten. Meine letzten paar guten Jahre werde ich in einer Einöde zubringen. Hier war man mal endlich etwas in der Sonne, wurde von Leuten gesehen und konnte sich auch in Deutschland dadurch etwas einen Namen machen; nun wird man wieder in die Ecke gestellt.

2. Januar 1896. Ein recht amüsantes Buch gelesen: »British Barbarians« by Grant Alla. Zwei Sätze frappierten mich darin: »Literature is mainly the expression of souls in revolt«, und dann ein aus Herbert Spencer entnommener Gedanke, daß wir nicht berechtigt sind, die in uns liegenden Ideen als unzeitgemäß zu vergraben, weil sie und wir doch eben unsrer Zeit angehören und jeder verpflichtet sei, für seine Überzeugungen zu kämpfen als Vater der kommenden Zeit.

3. Januar. Die Telegramme brachten die erstaunliche Nachricht, daß ein Dr. Jameson, Angestellter und Protégé von Cecil Rhodes, mit einer bewaffneten Schar in Transvaal eingefallen, von den Boers aber geschlagen und gefangengenommen worden sei.

4. Januar. Unser Kaiser hat an den Präsidenten Krüger telegraphiert, um ihm zu dem Sieg über Jameson zu gratulieren. Edmund und ich waren ganz glücklich über diese Nachricht. Ich erinnerte mich gleich eines Briefes von Neustadl, daß die Delagoabai und Transvaal dasjenige seien, was wir nie dürften in die Hände der Engländer fallen lassen. Gottlob, wenn der Kaiser das erkennt und bereit ist, dafür einzutreten!

5. Januar. Natürlich ist fortwährend von Transvaal die Rede. Deutsche und englische Zeitungen schreiben höchst erbittert. Der deutsche Antagonismus gegen die Engländer bricht gänzlich aus, und der Kaiser kann sich sagen, daß er das ganze Volk hinter sich hat. Ein Auftreten gegen England ist das Populärste, was man heutzutage tun kann. Wenn nur dem Kaiser nicht der Atem ausgeht unter dem Druck des Familieneinflusses, der sicher mit aller Macht nun in Bewegung gesetzt werden wird. Unsre hiesige Inaction wird mir in dieser Zeit zu schwer. Wäre doch etwas zu unternehmen gegen dieses Volk, das uns schädigt, wo es kann, und davon lebt, uns mit Frankreich zu verhetzen. Dabei bin ich sicher, daß es Edmunds Mission sein könnte, in diesem Kampf, der über kurz oder lang mit England kommen muß, neben unserm Kaiser zu stehen. Er braucht jemand, der seine Ideen aufnähme und nicht zuließe, daß sie durch Entgegenwirkende im Sande verliefen. Wie vor 66 und 70 die Armee, so müßte jetzt die Marine ausgebildet werden, damit wir im gegebenen Moment nicht zu weichen brauchten. Ich bin sicher, daß die Begeisterung, die ich für diese Idee im Herzen habe, nicht etwas Vereinzeltes ist, sondern ein Ausdruck der Zeit; aber diese Zeitströmung muß ihren großen Mann finden, der sich an ihre Spitze stellt, sie verkörpert und durchkämpft. Der Kaiser muß das so recht fühlen, denn er gehört unsrer modernen Zeit an, aber die Diplomaten älteren Schlages bei uns kennen ja die Welt zu wenig, um zu wissen, daß die wichtigsten Fragen jetzt außerhalb Europas liegen. Ihnen sind die Kolonialangelegenheiten immer noch unangenehme Zugaben, die zu der eigentlichen Politik hinzugetreten sind.

6. Januar. Viele Leute sagen uns, daß die Depesche des Kaisers eine besondere Genugtuung für uns sei, denn nun könne kein Mensch mehr sagen, daß Edmund wegen antienglischer Richtung versetzt würde. Die Freude, daß Deutschland endlich mal wieder in die Welt eingreift, verdrängt ja momentan die persönliche Unzufriedenheit, aber dazwischen fällt mir doch der Gedanke an Tanger immer wieder wie ein Stein aufs Herz. Was sollen gerade wir dort, die wir soviel Schaffensdrang in uns fühlen.

9. Januar. Ich schrieb an Kiderlen, um ihm zu sagen, wie gern wir in außerordentlicher Mission nach Pretoria gehen würden. Wir wären sehr glücklich über diese Wendung, von dem uninteressanten Tanger loszukommen und an einem momentan wenigstens wichtigen Posten zu stehen. Wie gern diente man dort dem Kaiser, wo man so mit Herz und Seele dabei wäre.

12. Januar. Abends kam ein Chiffretelegramm, und wir waren außer uns, als wir die ersten Worte: »Graf Metternich« entzifferten, da wir nicht anders dachten, daß es nun heißen würde, wir sollten gleich weg; statt dessen kam aber, daß wir bis 1. März bleiben sollten, eine besondere Freundlichkeit von Marschall.

13. Januar. Edmund und ich machten Besuche und genossen die verdutzten englischen Gesichter, daß wir soviel länger bleiben.

14. Januar. Diner beim neuen Okkupationsgeneral Knowles, der uns erzählte: »On New Years I wanted to be particulary polite to all the Consul Generals and went to call on them in uniform, but one of them told me, it is not my New Years day! Now have you ever heard of a man who pretends having another New Years day than the rest of the world! They are indeed strange people.«

16. Januar. Wir gaben ein höchst gelungenes Diner für Croys und Arnims. Letzterer entpuppte sich als großer Kolonialfreund und sagte mir, er träume von einer Allianz mit Frankreich gegen England, das uns schade, wo es könne. Er hält Hatzfeld für ein entgegengesetztes Element, da derselbe ganz unter Rothschildschem Einfluß stehe. Ich war ganz entzückt, mal einen Deutschen so ganz unsre Ideen aussprechen zu hören; sie müssen eben doch zeitgemäß sein.

17. Januar. Langes Gespräch mit Arnim, welcher im Reichstag eine große Vermehrung der Flotte beantragen will. Er sagte mir viel Schmeichelhaftes über die Stellung, die Edmund hier einnehme, und er sieht es als einen großen Fehler an, einen bekannten Anglomanen wie Metternich hierherzusenden.

20. Januar. Wir dinierten bei Gräfin Landberg, und ich saß neben Boutros Pascha, der darauf trank, daß wir Botschafter in Konstantinopel werden möchten! Auf meiner andern Seite saß Mr. Louis, und ich stimmte mit ihm über ein, welch ein Segen doch Klöster seien, in denen man zuweilen, wenn man lebensmüde und nervenkaputt ist, eine Retraite machen könne; für uns arme Protestantinnen heißt es, sein Päckchen weitertragen, bis man umfällt oder in eine Maison de santé muß. Und wie nötig hätte man doch manchmal solch eine kleine Retraite. Oft bin ich so herunter, daß ich ruhig vor mich hinweine. Ich habe eben alles auf Edmund gesetzt, und gehe ganz in ihm auf, und jetzt, wenn ich so zurückblicke, sehe ich wie so manches andere Interesse aus meinem Leben geschwunden und abgestorben ist. In der einen Sache lebe ich so intensiv, daß ich notwendigerweise in allem andern verarmen mußte, – if this one thing fails me, upon which I put my all, werde ich bettelarm sein.

22. Januar. Der frühere Botschafter Baron Stumm und seine Frau besuchten mich. Er interessierte mich sofort ungeheuer – aber mit welchem Pessimismus sprach er und wie trübe scheint die Zukunft unsres Landes, wenn man ihn hört. Der Kaiser umgeben von lauter charakterlosen Leuten, die nur den einen Wunsch haben, daß keine neue Arbeit entstehen möge. Über meinen Wunsch, nach Transvaal zu kommen, war er anfänglich ganz erstaunt, aber er verstand mich darin – die meisten Leute verstehn ja überhaupt nicht, daß man etwas leisten will, – doch er warnte mich, das nicht merken zu lassen, weil man dann in Berlin für gefährlich gelte. Er erzählte mir, daß er durch Mißhelligkeiten mit Holstein dazu gekommen sei, den Abschied zu nehmen. Er nannte Holstein eine Schattenpflanze, die nur im Dunkeln leben kann; durch dieses Dunkel aber bestände überhaupt sein Ruf. Müßte er je, wie wir alle, sich unter das elektrische Licht stellen, so würde alle Welt sagen: »Mais ce grand homme n'est q'un homme en carton.« Die Tragik in Holstein sei, einen ursprünglich vornehmen Mann Verräter werden zu sehen. Stumm meint, eine große Schwäche von Holstein sei auch, daß er sich plötzlich Dinge in den Kopf setze, indem er hinter Kleinigkeiten große Intrigen wittre.

29. Januar. Herr Allers, der Maler, der das Bismarckalbum herausgibt, lunchte bei uns, und es war sehr amüsant, diesen Urmenschen über Bismarck als »der Olle« reden zu hören. Die vielen amüsanten und interessanten Menschen, die man hier kennenlernt, waren auch eine Glanzseite vom lieben Kairo.

31. Januar. Ich fuhr mit Prinzeß Croy nach Koubeh zu den Khedivas, die uns die kleine Prinzeß zeigten. Comme dernier cri de l'occupation anglaise hat sie eine englische Nurse und trägt das Haar in anglaise Locken.

4. Februar. Der Packer ist dagewesen und so wird denn die Zerstörung unsres reizenden Hauses bald beginnen. Mir wird dabei ganz weh ums Herz. Ich lernte dieser Tage Lord Charles Beresford kennen. Er sagte mir, daß er dagegen sei, daß England Allianzen schlösse, »for at a given moment we shall always play the part of traitors; if we were allied to either, France or Germany, and they took to fighting and we wanted to join as we ought according to our alliance, the Government which undertook this, would at once be overthrown by the poeple. Everybody would say, it is no concern of ours, let them fight it out by themselves.« Lord Charles meint, Englands richtige Politik sei gerade, isoliert zu sein, dabei aber so stark, daß niemand es zu attakieren wagen würde.

5. Februar. Edmund und ich aßen bei Gräfin Landberg im Shepheard und blieben dann dort im Hellmersbergerschen Quartett. Ich fand es eigentlich recht schwach, aber es erinnerte mich an die Quartette Sonntags morgens bei Papa, die vergangen und verklungen sind wie so manches andere, das man kaum schätzte, als man es hatte.

Wie ausruhend wäre es, einmal wieder auch nur auf ein paar Stunden so ganz sorglos wie damals sein zu können! Ich habe diesen Wunsch oft so intensiv, wie man auf einem schwankenden Schiff wünscht, daß es nur auf ein paar Minuten stilliegen möge, oder wie man bei rasenden Zahnschmerzen wünscht, daß sie uns nur endlich auf ein ganz kleines Weilchen verlassen. Ich sage mir oft, daß die furchtbar melancholische Stimmung, in der ich mich seit Wochen befinde, krankhaft sein muß, und suche dagegen anzukämpfen, ohne zu können. Es ist mir, als würde bald eine große Welle, die immer näherkommt, über mir zusammenschlagen. Vielleicht kommt es von den Kopfschmerzen, an denen ich beinah beständig leide.

6. Februar. Wir gaben ein recht wohlgelungenes Diner, bei dem auch Dr. BumillerDeutscher Afrikareisender, seit 1895 Regierungsrat im deutsch-ostafrik. Gouvernement. war. Er erzählte, daß so viele Deutsche hier, ohne uns zu kennen, die größte Verehrung für Edmund hätten, weil er sich nicht scheue, gegen die Engländer Front zu machen. Es ist ganz merkwürdig, wie tief dies Gefühl in den außerhalb Deutschlands lebenden Deutschen wurzelt. Abends im Klub erzählte Moxley Edmund, in England sei gegen Deutschland eine sehr kriegerische Stimmung und die Engländer sagten, da sie nur ein Söldnerheer hätten, so würde für sie ein Krieg gar nicht die Schrecken haben wie für uns. Lord Cromer soll erzählen, er sei immer viel zu freundlich gegen die Deutschen gewesen, besonders darin, daß er erlaubt habe, Sudanesen anzuwerben.

8. Februar. Wir waren zum Tee bei der Prinzeß Nazzli, wo das Hellmersbergersche Quartett spielte. Ich lernte die Herren kennen und unterhielt mich gut mit ihnen, suchte auch ganz besonders nett zu sein, nachdem ich erfahren, daß Lady Cromer, bei der sie umsonst für den Herzog von Cambridge gespielt, sie nicht aufgefordert hat, mit ihren übrigen Gästen zu soupieren, sondern für sie in einem andern Zimmer servieren lassen wollte. Die Hellmersberger gingen natürlich indigniert fort, und der Diener lief ihnen nach, um sie mit dem Versprechen »there will be champaigne, Sir«, zurückzulocken. – Einer der Herren ist lange in Japan gewesen und erzählte von der hochgradigen Nervosität von Gutschmid. Er meinte, durch die vorjährige Intervention beim Friedensabschluß habe Deutschland viel in Japan verloren; jetzt würden möglichst alle Deutschen von dort entlassen und alle Bestellungen flössen nach England.

9. Februar. Herr von Mumm, der eben von Berlin angekommen war, suchte uns über Tanger zu trösten und sagte, es sei in Berlin in keiner Weise unfreundlich gemeint gewesen. Das Auswärtige Amt soll Edmund für Japan proponiert haben, und dann wäre Gutschmid mit dem man dort unzufrieden ist, nach Tanger gekommen. Der Kaiser soll das aber nicht gewollt haben, um den Japanern, die Gutschmid nicht mögen, »nicht den Gefallen zu tun«, und soll dann gesagt haben: »Dann kann ja Heyking hingehen.« Wir sind ja nach wie vor schrecklich deprimiert und man sieht so recht, wie man vom Zufall abhängt, aber es ist wenigstens nicht als Disgrace gemeint gewesen, wenn es auch hier jeder so ansieht.

10. Februar. Die Erbgroßherzogin von Sachsen kam abends an und wir fuhren auf die Bahn, sie abzuholen. Edmund hatte von Mumm erfahren, daß ihr viel Böses über mich erzählt worden war, so daß es uns recht fraglich schien, wie die Sache hier werden würde. Auch hörten wir von ihm, daß Metternich schon in den nächsten Tagen ankommen würde, mit dem nach Kalkutta versetzten Waldthausen, und daß er dann hier en touriste leben würde, bis Edmund abgeht, was jetzt auf den 7. März festgesetzt worden ist, da Edmund noch eine Konvention mit Ägypten abschließen soll. Wir haben ein gewisses Grauen vor diesem Zusammentreffen.

11. Februar. Zum Tee bei Frau von Willebois to meet Prinzeß Nazzli und dann schnell nach Haus, wo mich zuerst die Prinzeß Amelie von Schleswig-Holstein und dann die Erbgroßherzogin von Weimar besuchten. Letztere Visite verdanke ich der lieben Prinzeß Amélie, die der Erbgroßherzogin klar gemacht, that the devil is sometimes less black than he is painted. Die Erbgroßherzogin blieb endlos, besah sich all unsre indischen Sachen und war offenbar sehr entzückt von allem, inklusive der Hausfrau – es ist ja überhaupt ein Trost, den ich im Leben habe, daß, wenn mich Leute erst kennengelernt haben, sie gewöhnlich von ihren Preventionen zurückkommen. Das Unglück ist nur, daß mich eben wenige kennengelernt haben; hier in Kairo hatte ich endlich einmal a chance! –

13. Februar. Wir lunchten im Ghesireh-Hotel bei der Erbgroßherzogin, und dann machte ihr ein indischer Taschenspieler auf der Terrasse Kunststücke vor, worüber sie sich wie ein Kind amüsierte. Wir haben in diesen Tagen viel mit Mumm gesprochen und es zeigt sich immer mehr, daß unsre Ernennung nach Tanger die Folge einer Verkettung unglücklicher Umstände ist. Der Hauptwunsch des Auswärtigen Amtes war, Metternich von London wegzukriegen, wo er ihnen unbequem war. Da er aber mit S. M. befreundet und für die Cowes-Ausflüge bequem war, wollte S. M. nicht recht ran und man sann auf etwas, daß als Lockspeise für Metternich gut genug erschien und schwankte zwischen Tanger und Kairo und entschied sich für das letztere. Aufs tiefste gekränkt aber waren wir, als wir erfuhren, daß Metternich hier Gesandter werden soll. Mumm sagte, daß Metternich eben ein großer Protégé vom Kaiser sei, der ihn früher auch schon ganz außer der Reihe zum Legationsrat ernannt habe.

15. März. Bairam. Edmund machte morgens Abschiedsvisiten bei Mohammedanern, dann fuhren wir zum Prinzen Hussein und es war mir recht wehmütig, seinen schönen Garten zum letztenmal zu sehen. Ich war auch noch bei Mme. Mukhtar und Mme. Izzet, und wie jedesmal, wenn ich einen gutgehaltenen Harem betrete, empfand ich den größten Neid gegen diese ruhigen, sicheren Existenzen, denen die wahren Lebenssorgen ferngehalten werden, et qui n'ont qu'a se laisser vivre.

17. März. Wir lunchten bei der Erbgroßherzogin von Weimar, die eben zurückgekommen ist aus Oberägypten. Sie war wirklich herzlich gegen mich und sagte mir zum Abschied, sie habe soviel wie möglich über mich nach Deutschland geschrieben und hoffe, es werde mir etwas nützen.

18. März. Wir lunchten zum letztenmal in unserm lieben, großen Speisesaal, in dem wir soviel lustige Diners gehabt und soviel langweilige Globetrotters abgespeist, und in dem wir auch die gräßliche Versetzungsnachricht empfangen. Dann ging ich noch in allen Zimmern herum und erinnerte mich an alles, was ich in den verschiedenen Ecken gedacht und erlebt, und dann war es Zeit geworden, sich fertig zu machen. Wir stiegen in die Wagen und all die Leute weinten, und wir sahen noch einmal nach dem Haus zurück, an dem die Bougainvilliers zu blühen begannen. Dann ging es durch den Hotelgarten, die Allee, über die Brücke zm Bahnhof. Bald war der ganze Perron voll Menschen, sowohl Freunde wie gleichgültige. Es war ein solches Menschengewirr, daß man gar nicht zum Besinnen und zum wirklichen Gefühl des Abschieds kam, und dadurch wurde mir dieser Moment leichter, als ich gefürchtet hatte. Eine solche Masse Blumen waren mir gebracht worden, daß der Waggon ganz voll war, und es recht wie ein Enterrement de premier classe aussah. Endlich war es vorbei, der Zug ging, die letzten Gesichter, die ich sah, waren Tigrane und Mme. Kojander – und die Kairoepisode war vorbei! Mit wie anderen Gefühlen waren wir gekommen, und mit wie anderen Gefühlen hatte ich gehofft, einmal zu gehen. An einer Station kam an unsern Waggon Takri Pasha, der vom Lande gekommen, um uns noch einmal zu sehen, und dann ging die Sonne goldrot unter hinter ein paar Palmen, die sich bläulich davon abhoben, und wie sie zuletzt verschwunden, sagte ich mir, daß dies nun mein letzter Abend in Ägypten sei. Wir kamen sehr ermüdet in Alexandrien an, wo uns Herr von Hartmann in einem malerischen Segelboot bei Mondschein auf die »Werra« brachte.

19. März. Das Schiff ist übervoll und an Bord sind der alte Herzog von Croy und der Erzherzog Franz Ferdinand. Er kam gleich auf uns zu und sagte, er freue sich so, uns nach Indien wiederzusehen. Er sprach während der ganzen Reise viel mit Edmund über Politik und verabscheut die jetzige Kriecherei vor England und die Allianz mit Italien und sagt, die einzige verständige Politik sei ein Drei-Kaiser-Bündnis.

28. März. Abends trafen wir in Berlin ein.


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