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Biber, Fuchs und Vielfrass

Die tiefstehende Aprilsonne Alaskas schien mit bleichem Glanz auf die geschwungenen Bögen einer hohen Schneewehe am Flussufer. Hier, an der nach Süden offenen Krümmung, hatten ihre Strahlen schon Kraft genug gehabt, Löcher rings um die Stämme der Weiden, Erlen und Birken herum bis auf das braune Erdreich hinab zu tauen, die Wand der Schneewehe weit hinein auszuhöhlen. Von ihren scharfen Rändern hingen lange Eiszähne herunter. Regelmässig wie der Gang eines Uhrwerkes tickten Schmelzwassertropfen von ihren funkelnden Spitzen herab, fielen klingend auf die blankgefegte Eisdecke des Flusses. Kein anderer Laut unterbrach die Totenstille des winterlichen Waldes.

Auch die kleine dunkle Gestalt, welche mit eingezogenem Kopf wie ein frierendes Männlein vor dem sonnenbeglänzten Stamm der dicksten Birke hockte, gab keinen Ton von sich. Ein breitauslaufender, mit bläulichschwarzen Schuppen besetzter Schwanz stützte ihre aufrechte Haltung, die braunbepelzten Vorderfüsse hielten ein Stück frisch abgeschnittenen Weidenstamm umklammert, die dunkelglänzenden Augen schauten still vor sich hin, nur die flachen Nüstern des Biberkopfes bewiesen durch ihr witterndes Vibrieren eine nie erlahmende Wachsamkeit.

Es war ein grosser, feister und schon recht alter Bankbiber. Das heisst ein Biber, der nicht einen jener, aus Holzknüppeln, Gezweig und Schlamm errichteten backofenförmigen Gemeinschaftsbauten, sondern ein einfaches Loch in der Uferbank einsam bewohnte. Nicht immer war es so gewesen mit ihm. Auch er hatte einst, vor vielen Jahren, eine solche Burg besessen, die grösste, die es weit und breit im Bezirk des Lewis-Canon gab. Mit seiner Frau und zwei, manchmal auch drei Jungen, hatte er darin gehaust. Die Kinder wuchsen auf, und wanderten aus, um eigene Familien zu gründen, und das alte Paar hatte neue Junge aufgezogen. Vielemale hatte sich das wiederholt, und nichts den Frieden ihres Lebens in der unendlichen Einsamkeit gestört. Bis der Alte eines Tages, ein Stück Bauholz vor sich heimflössend, eine merkwürdige zweibeinige Gestalt sah, die sich leise im Ufergebüsch aufrichtete. Eine unbestimmte Angst durchfuhr ihn, mit einem klatschenden Schlage seines Schwanzes gab er das Warnungssignal, tauchte unter und schwamm in höchster Eile auf die nächste Röhre zu, die in seine schützende Burg hineinführte.

Nach einer Weile kam eins der Jungen vom Holzfällen zurück, bald danach auch das zweite, doch seine Frau kam nicht. Sie warteten bis zum anderen Mittag vergeblich auf sie, dann verliessen alle drei, durch einen Ausgang, der flussaufwärts mündete, den Bau und schwammen unter Wasser ein Stück abwärts. Der Alte tauchte vorsichtig empor, beobachtete die Stelle, wo er gestern die niegesehene Erscheinung gehabt hatte, nahm den Luftzug auf, welcher von dort kam, und hob sich darauf beruhigt höher aus dem Wasser. Die Luft war ganz unverdächtig, sie hatte sogar Bibergeruch.

Er war schon damals ein alter Biber gewesen, der viel wusste, aber er wusste nicht, dass sich der lauernde Indianer dort mit den Geildrüsen des Biberweibchens eingerieben hatte, das gestern seiner Kugel zum Opfer gefallen war.

Auf einmal gab es einen Knall und einen Spritzer im Wasser. Der Biber tauchte entsetzt unter, und sah eine Welle von rotem Blut aus dem Körper seines neben ihm schwimmenden Jungen brechen. Dieses Junge kehrte nicht mehr in den Bau zurück. Der Alte und das andere wagten sich darauf volle zwei Tage lang nicht mehr heraus und verbrachten noch einen weiteren Tag damit, die ganze Umgebung mit allerhöchster Vorsicht abzuspüren. Doch nichts, rein nichts Bedrohliches war zu entdecken. So gingen sie, noch immer nicht ganz beruhigt, an die unterbrochene Arbeit des Holzfällens, aber als sich schnarrend die weissen Späne unter den scharfen Meisseln ihrer Vorderzähne herausdrehten, ertönte plötzlich wieder jener furchterweckende Knall hoch über ihnen, und etwas Heisses schlug durch seine Vorderpfote. In besinnungslosem Schrecken warf er sich in die hohen Stauden des wilden Selleries und darin vorwärts, dem Wasser zu. Hinter ihm hatte es nochmals geknallt. Dann war er in die Flut geglitten und heimwärts geschwommen.

Auch das letzte Junge war nie mehr zurückgekommen. Die Wunde des Alten hatte sehr weh getan und lange bis zur Heilung gebraucht, und die Pfote war schwach geblieben. Diesmal hatte er viele Tage lang den Bau nicht verlassen, von der Rinde der dicken Knüppel gelebt, die eigentlich als Wintervorrat zusammengetragen waren. Und als er schliesslich, Umwege schwimmend, nach seiner ersten Erkundungsfahrt wieder dem Bau zusteuerte und gerade die Nasenlöcher zum Atemholen und die Augen um eine Winzigkeit über den Wasserspiegel hob, sah er auf einmal wiederum jene Gestalt. Sie sass stockstill im Weidendickicht und hatte ihr Gesicht seiner gegenüberliegenden Burg zu gewandt. Da war der alte Biber lautlos untergetaucht, hatte kehrt gemacht, war weit, weit den Fluss hinaufgeschwommen und nie wieder in sein Haus zurückgekehrt.

Vielleicht waren, dumpf und verschwommen, Erinnerungen an jene Zeiten in dem alten Biber wachgeworden, als er so lange dort an der Birke hockte und die wohlige Wärme der Sonne in seinen Pelz aufsog, bis der letzte Streifen ihrer bleichglänzenden Scheibe unter die Wipfel der hohen Pechtannen hinabgesunken war. Die letzte Sonne seines Lebens ...

Jetzt rührte er sich, kratzte sich hier und da, riss ein Stück Rinde von seinem Knüppel ab, kaute ein wenig darauf herum, spie es wieder aus, fasste ihn dann mit den langen Nagezähnen und watschelte damit über das Eis des Flusses auf sein Ausstiegloch zu. Doch kurz davor hielt er inne, sah sich, als ob er etwas vergessen hätte, rings im Kreise um, machte Männchen, witterte nach allen Richtungen, lief unentschlossen ein paar Schritt zurück und witterte nochmals, von plötzlicher, scheinbar grundloser Unruhe befallen. Dann brachte er seinen Knüppel stracks zum Eisloch, legte ihn dort nieder und lief hastig zurück auf eine Weide zu. Mit schiefem Kopfe sah er an ihrem Stamm hoch, dann begann er eifrig daran zu nagen. Gleichförmig wie unter einem Drehdorn flogen die Späne unter seinen harten, scharfen Zähnen hervor. Als er bis zur Mitte durch war, fing er von der anderen Seite an, bis sich der Baum flusswärts neigte und langsam umsank. Sofort machte sich der Biber daran, den Stamm in armlange Klötze zu zerschneiden und diese dann Stück für Stück an das Loch zu tragen.

Nach einer knappen Stunde lag nur noch die Krone der Weide auf dem Eise, und der Biber hatte, von fieberhaftem Tätigkeitsdrang erfasst, bereits eine kleine Birke in Arbeit genommen. Er schaffte, als wäre jede Minute kostbar, gönnte sich keine Pause, weithin hallte das Schnarren seiner schneidenden Zähne durch den Wald, in welchem sich jetzt kein Zweig, kein verdorrtes Blatt in der totenstill und lastend schwer gewordenen Atmosphäre rührte. Als in letzter Dämmerung nochmals ein wenig Sonnenlicht in unheilverkündend schwefelgelbem Glanze unter den Ästen der Bäume durchfiel, die Eisdecke dabei aufschimmerte wie eine Bronzetafel, tauchte der Biberkopf noch einmal aus dem Eisloch empor, fasste mit den Zähnen den letzten seiner Knüppel, glitt damit zurück in das kalte raschströmende Wasser und schwamm seiner Behausung zu.

Hätte er sich nur ein bisschen weniger beeilt, so wäre ihm noch der lange Schatten ins Auge gefallen, der hinter der Krümmung hervor plötzlich über das Eis fiel, der Schatten eines auf weichen Elchmokassins leise und rasch herankommenden Menschen. Es war ein sehr alter Mann, weisse Haarsträhnen quollen unter seiner Pelzkappe hervor, weiss schimmerten auch die Bartstoppeln in dem lederbraunen Gesicht, nur der Blick der eisgrünen Augen war jung und scharf. Er heftete sie sogleich an das Ausstiegloch und verfolgte die kaum wahrnehmbaren Kratzspuren auf dem Eise bis zu den frischglänzenden Spänen und Baumstümpfen unter der Schneewehe. Der Alte nickte mit dem Kopfe, ging mit langen Schritten auf eine junge Weide zu, und hieb sie mit einem Schlage der kurzen Axt, die er am Gürtel trug, ab. Dann warf er hastig seinen Packsack herunter, holte ein Tellereisen heraus, befestigte es mit Draht am dicken Ende des Weidenstammes und schlang und knotete die Kette oberhalb sorgfältig fest. Darauf schleppte er das Ganze zum Eisloch hinüber. Sein Blick glitt dabei mit unruhig prüfendem Ausdruck über das grelle böse Leuchten des Himmels. Er schüttelte den Kopf, murmelte etwas vor sich hin und schritt noch rascher aus.

Am Loch angekommen, kramte er eine Büchse mit einer penetrant riechenden Schmiere aus dem Sack, rieb etwas davon auf seine Handschuhe, spannte dann die Falle und senkte sie vorsichtig mit dem Weidenbäumchen ins Wasser hinab, bis die Krone auf dem Eise auflag. Eilig raffte er sodann Axt und Packsack auf, setzte sich mit einem nochmaligen besorgten Blick nach dem Himmel in Trab und war gleich darauf hinter der nächsten Flussbiegung verschwunden.

Kurz danach erlosch das Licht wie mit einem Schlage, und leise, ganz leise drang ein Laut durch den Wald wie das unendlich ferne Rauschen einer Brandung. Er wurde rasch stärker, wuchs zu schwerem Brausen, zu schrillem Pfeifen und Heulen, zu wildem Tosen, Donnern und Krachen. Die Wipfel der Bäume bogen sich tief herunter. Wie eine Lawine stürzte der Blizzard auf den Fluss herab, brachte einen Schwall von jäher markerstarrender Kälte, von prickelnden, fegenden Eiskristallen mit sich. Äste und Bäume brachen nieder, die Eisdecke knirschte und knallte unter dem ungeheuren Druck des Sturmes, Schnee fiel in schrägen Strahlen wie windgetriebener Regen nieder. Die Nacht war zu einem einzigen peitschenden, weissgrauen Gestiebe, einem hohlen Sausen und Donnern, einem gellenden Heulen und Johlen geworden, das unheimlich, unnatürlich klang, wie die Stimmen wahnsinniger Dämonen, die mit der Kälte und der Finsternis der Arktis rangen.

Zwei Tage lang tobte der Sturm, begrub die Wälder unter ungeheuren Schneemengen, verwandelte die Luft zu schimmernd klarem, tödlich kaltem Glas. Die Eisdecke des Flusses ächzte unter dem Gewicht der weissen Massen, knirschend schlossen sich alte Löcher und Spalten, und neue öffneten sich unter dumpfem Poltern und Knallen.

Der Biber hatte ruhig in seinem Loch gelegen und die Rinde der eingetragenen Knüppel verzehrt, und erst am Abend des zweiten Tages, als sich die Spannungen in dem Eisgewölbe ausgeglichen, alle Geräusche aufgehört hatten, stieg er durch seine Röhre hinab ins Wasser und schwamm unter dem Eise hinauf um nachzusehen, ob die Ausstiegöffnung noch vorhanden war. Sie musste noch dasein, denn er sah bald den Lichtschimmer an der gewohnten Stelle durch das Eis fallen, schwächer und trüber allerdings als früher, gedämpft von etwas Ungewöhnlichem, was aufrecht darin steckte.

Vorsichtig umkreiste der alte Biber den Weidenstamm, stupste mit dem Maule an das merkwürdig gebogene Ding, das dran hing, beschnüffelte es und stellte fest, dass es erstaunlicherweise nach Biber roch. Dann versuchte er die Rinde der Weide, fand sie frisch und gut, und packte daraufhin den Stamm, um ihn herunter zu ziehen. Doch es ging nicht, oben hing er fest. Also begann er ihn dicht unter dem Eise abzuschneiden. Dabei fand er guten Halt für seine Hinterfüsse – auf dem Bügel der Falle! Sie war zugesprungen. Die Gewalt des Sturmes und das Gewicht des Schnees hatten den Stamm der Weide bis auf den Boden des Flussbetts hinunter gedrückt und dabei die Feder ausgelöst.

Es erforderte die ganze Kraft des starken, alten Tieres, um den langen dicken Stamm samt der daranhängenden Falle nach Hause zu transportieren. Doch dafür hielt auch die Rinde die ganze Nacht vor.

Er war noch friedlich und ahnungslos mit ihrem Verspeisen beschäftigt, als droben ein schwingendes Lichtlein durch die eiskalte, sternenfunkelnde Nacht dahinglitt, eine Laterne, welche in der Hand des alten Trappers schwang. Auf breiten indianischen Schneereifen stapfte seine gebückte Gestalt zwischen hochgewehten Schneewächten entlang. Auf der dunklen Baumkrone im Eisloch blieb der suchende Laternenschein schliesslich haften. Der Alte bückte sich, packte sie, zog kräftig und mit erwartungsvoller Miene an – und hätte sich beinahe rücklings niedergesetzt, als nur noch ein leichtes, kurzes Stück der Krone zum Vorschein kam. Brummelnd und kopfschüttelnd betrachtete er den Stummel, unter gerunzelten Brauen spähten seine Eisaugen in das Loch, und mit erneutem Kopfschütteln und anhaltendem Gemurmel machte er sich daran, eine neue Weide abzuschlagen und sie abermals mit einer Falle zu versehen. Behutsam, um die Feder nicht dabei auszulösen, steckte er sie dann in das Loch hinein, ergriff seine Laterne, und stapfte, immer noch vor sich hinbrummelnd, weiter, um alle die anderen Fallen, die er auf seiner »Trapline« aufgestellt hatte, abzugehen.

Als der östliche Himmel über den gewaltigen eisstarrenden Gipfeln der Alaskan Range in den reinen, unendlich zarten Farbtönen des hohen Nordens erglühte, verliess der Biber wieder seine Behausung. Er wollte ein wenig neue Äsung einholen, bevor der Tag und alle seine Gefahren wach wurden. Mit Befriedigung sah er, dass aus seinem Eisloch ein neuer gut aussehender Weidenbaum herauswuchs, auch an diesem hing wieder jenes fremdartige Ding, das solch vertrauten Geruch ausströmte. Bedächtig schwamm er heran und kostete die Rinde. Dann holte er einmal tief Luft zur Arbeit des Abschneidens, tauchte unter und stützte die eine, von damals schwach gebliebene Pfote auf das schwarze Ding – da gab es einen Klick und einen Schlag, der einen furchtbaren Schmerz durch den ganzen Armknochen jagte. In wildem Entsetzen fuhr er zurück, wollte fort, doch die Pfote ward unlösbar festgehalten. Er zerrte und riss, würgte und drehte, der Schmerz war fürchterlich, doch er kam nicht los. Immer ungestümer, angstgewürgter arbeitete er, seine mit Schwimmhäuten bekleideten Hinterfüsse traten wild das Wasser, der breite Schwanz schlug rasend hin und her, sein Herz klopfte, schwoll und presste in der Brust, die Luft wurde ihm knapp, es würgte ihn im Hals, in Todesangst riss er das Maul auf, Wasser drang ihm darauf in die gequälten Lungen, seine Bewegungen wurden schwächer, seine Augen trübe, die Pfote tat jetzt nicht mehr weh, er sah flutendes grünes Gras um sich herum. Das Wasser rauschte leiser und leiser und verklang zuletzt gänzlich in Nacht und Stille.

Am Tage vor dem Sturm trat langsam ein dunkler Kreuzfuchs unter den letzten, bis an die Zweige im Schnee begrabenen Birken hervor, die am Rande der gerodeten Lichtung standen und äugte eine ganze Weile reglos nach dem sonnenbeglänzten Blockhause hinüber. Still und einsam lag es unter drei gewaltigen Cotton-Wood-Bäumen, nur die blaue Rauchwolke, die aus dem Schornstein quoll verriet Leben innerhalb seiner dicken Holzwände. Und doch wusste der Fuchs, dass auch ausserhalb Leben sein konnte, Leben, das nicht ungefährlich für ihn war – Hunde! Windend hob er die Nase, frischer Hundegeruch war zwar augenblicklich nicht zu spüren, vielleicht waren sie drinnen im Hause? Ob er es riskieren konnte, einmal bis zu dem Abfallhaufen da drüben im Garten zu schleichen? Manchmal hatte er schon fabelhafte Dinge darin gefunden.

Die buschige Rute des Fuchses senkte sich im Nachdenken, plötzlich fuhr er zusammen, vom Hause herüber war ein Geräusch gedrungen. Wie ein Schatten glitt der Fuchs unter die hängenden Birkenzweige zurück, duckte sich und äugte, die Schnauze auf ein Stück totes, aus dem Schnee ragendes Holz gelegt, scharf hinüber. Eine Tür öffnete sich, die Stimme des Menschen, der dort wohnte, erscholl: »Get out here now!« und drei Malamuts, Schlittenhunde, kamen zögernd aus dem Hause. Vor der Tür blieben sie stehen, lugten einmal ringsum und nahmen den Wind auf. Doch der sagte ihnen nichts, denn der Fuchs war viel zu erfahren, um etwa mit dem Winde an einen Platz heranzugehen, wo Hunde waren. Nach einer Weile kam noch ein vierter Hund heraus, ein grösserer schwarzer. Bei seinem Anblick ging ein Zucken durch die Rute des Fuchses, seine Augen funkelten auf: Den Schwarzen kannte und hasste er, denn der hatte ihn schon zweimal gejagt. Der Hund kümmerte sich um nichts, verschwand sogleich um die Hausecke und sofort drückte sich der Fuchs ein paar Schritt seitwärts, sah ihm nach, wie er den vom Holzschlitten des Menschen ausgefahrenen Pfad entlang trabte, und sah auch, dass er etwas im Maule trug.

Geschwind, und doch völlig geräuschlos, setzte sich der Fuchs in Gang, umkreiste in grossem Bogen die Lichtung, kam hinten auf den Pfad, und schlich, immer in Deckung bleibend, dem Hunde nach.

Dort, wo der Mensch die vielen Bäume umgeschlagen hatte, fuhr der Schwarze ein paarmal unentschlossen hin und her; dann begann er an einem liegenden Stamme zu graben, tat das Angebrachte in das Loch hinein, überscharrte es mit Schnee und bummelte darauf langsam nach dem Hause zurück. Der Fuchs war schon längst vom Pfade weg, hatte die Lichtung umwandert und sich hinten auf die Lauer gelegt. Erst nach langem vorsichtigem Warten kam er hervor, schlich auf den Stamm zu und fing an, dann und wann um sich lauschend und lugend, das Vergrabene wieder auszuscharren. Ein prachtvoller Markknochen vom Elch kam zum Vorschein, sogar ein paar Fasern Fleisch hingen noch daran. Den Kopf wachsam nach dem Hause gerichtet, legte sich der Fuchs gemütlich zurecht und begann den Knochen zu benagen, aufzuknacken und schmatzend das Mark herauszusaugen. Als schliesslich rein nichts mehr daran war, warf er ihn spielend hoch, warf ihn mit der Pfote nach links, dann nach rechts, warf ihn wiederum in die Luft und vergnügte sich mit dem Spiel wohl eine halbe Stunde lang. Zuletzt beschnüffelte er ihn noch einmal und trollte dann langsam dem Walde zu. Doch plötzlich hielt er inne, wendete kurz um, trat behutsam über den Knochen, hob ein Hinterbein, und blieb in dieser Haltung ein Weilchen andächtig stehen. Im Weitergehen warf er noch einen verkniffenen Blick auf das Geschehnis zurück, und seine Rute machte ein paar freudige Klopfer bei dem Gedanken an die Wut, welche der Schwarze haben würde, wenn er seinen Knochen so schändlich verdorben wieder fand.

Danach überquerte er die Waldblösse und tauchte in das wüste, hochverschneite Durcheinander eines Windbruches hinein. Hier gab es Höhlungen und in ihnen fette weisse Hasen. Das heisst, im vorigen Winter war es so gewesen. Letzten Sommer aber hatte der Fuchs öfters und öfters verendete Hasen gefunden, und im Herbst hatten sie wie gesät gelegen: auf Schritt und Tritt fand man solch einen übelduftenden Kadaver. Die Hasenseuche, die alle paar Jahre Hunderttausende von ihnen dahinrafft, war wieder einmal ausgebrochen, und der besonders harte und schneereiche Winter dieses Jahres hatte auch den letzten Beständen den Rest gegeben. Und damit waren schlimme Zeiten für ihn und alle anderen, fleischfressenden Tiere angebrochen, denn sie alle fanden in Alaska ihre Hauptnahrung an den Millionenschwärmen der Hasen. Umsonst stöberte der hungrige Fuchs alle Schlupfwinkel durch, kein einziger Hase war hochzutreiben, nicht einmal eine Fährte war zu sehen.

Missmutig setzte er sich auf die Keulen und überlegte. Sein Magen war leer, und jener wunderbare Knochen hatte den Hunger nur noch angeregt, aber in keiner Weise gestillt. Dort hinter den Bäumen, dicht am Fluss, war das andere Haus des Menschen. Eins, wo im Sommer ständig beizender Rauch, aber auch der schlechthin verrücktmachende Duft von unermesslich vielen Fischen herausdrang. Allerdings wusste er von vielen verstohlenen Besuchen sehr wohl, dass schon seit Spätherbst kein Fisch mehr in dem Hause war – aber vielleicht ganz oben, wo er nie hatte hingelangen können –?

Entschlossen machte er sich auf die Beine, windete erst sorgfältig, ehe er auf das frei geschlagene Ufer heraustrat, umkreiste dann das Räucherhaus nach frischen Hundespuren, und dann erst erkundete er etwaige Zutrittsmöglichkeiten. Und siehe, es gab eine. Von dem steilen Dach war der Schnee herabgerutscht, hatte einen hohen Haufen an der Wand gebildet. Wenn man dort hinaufstieg? In der nächsten Minute war er auch schon droben, seine buschige Rute zwischen Dach und oberstem Wandbalken verschwunden.

Drinnen herrschte Dämmerung, aber auch ein Geruch, dass es dem Fuchs vor Hunger gleich ganz schlecht wurde. Leise schlich er über die schmalen Laufbretter, welche auf dem Stangengerüst lagen, beschnupperte jeden Winkel – nichts! Halt! – da, zwischen dem obersten und dem darunter liegenden Stockwerk war ein heruntergefallener Trockenfisch am Aststumpf eines Wandbalkens hängen geblieben. Die rote Zunge des Fuchses leckte über die weissbehaarten Lippen, als er mit gerecktem Halse darauf zuschlich. Er legte sich platt hin, beäugte den Fisch – oder war es nur ein halber? – versuchte ihn mit der Pfote zu angeln, bog und streckte sich soweit wie möglich herab. – Vergeblich, es war zu tief. Ärgerlich kroch er zurück, wanderte, immer wieder auf die lose liegenden Stangen und Bretter der nächsten Etage hinablugend, über das ganze Gerüst, endlich fand er eine Stelle, wo er glaubte, den Sprung wagen zu können. Er duckte sich und sprang.

Die Stangen rollten klappernd unter dem Aufschlag beiseite, beinahe wäre er auf die nächste Etage hinuntergefallen, sein Hinterleib hing schon in der Luft, aber Vorderpfoten und Gebiss hielten ihn noch, gaben Halt genug, um sich wieder hochzuziehen. Polternd eilte er über die Stangen, es gab ziemlich viel Geräusch, doch ihm war jetzt alles gleichgültig. Den Fisch musste er haben, den herrlich duftenden Fisch! Hochaufgerichtet angelte er danach, winselte vor Gier und Enttäuschung – von hier aus hing er wieder zu hoch! Vor Aufregung stiess er ein leises Keckern aus, machte, die funkelnden Augen auf der lockenden Beute, einen verzweifelten Sprung darnach, erwischte sie schon im Fallen noch glücklich mit der schlagenden Pfote, plumpste herab auf die erste Etage und mit einem noch viel härteren Plumps auch noch durch ihre weichenden Stangen hindurch bis ins Erdgeschoss hinunter. Mit schmerzendem Kreuz sprang er auf die Füsse, fuhr auf den sauer erworbenen Fisch los – und stand mit verdutzter Miene davor. Es war nur ein abgebrochener dürrer Schwanz mit einem Fetzchen Haut daran. Er schluckte ihn hinunter, leckte sich die Lippen und sah sich melancholisch um. Und allmählich dämmerte ihm jetzt eine schreckliche Erkenntnis: Wie sollte er wieder hinauf- und hinauskommen? Hier unten war es nicht möglich, die Wände bestanden aus dicken Stämmen, die Tür war fest verschlossen, der Boden steinhart gefroren, also auch an ein Durchgraben nicht zu denken. Erfüllt von Angst und Unruhe strich er an den Wänden entlang, schnupperte unter der Türe durch, versuchte zu kratzen – unmöglich.

So machte er sich an die verzweifelte Aufgabe, sich durch die dicken Bohlen der Wand hindurch zu nagen. Von wütendem Hunger und ständiger Angst vor den Hunden gepeinigt, ging er zu Werke, arbeitete Stunden und Stunden hindurch. Es wurde Mittag, der ganze Nachmittag verging noch darüber, und der Abend dämmerte schon, als er sich endlich mit blutenden Zähnen und Klauen mühsam durch die fertiggebrachte enge Öffnung zwängen konnte.

Draussen nahm er erst lechzend ein Maul voll Schnee, stieg dann an den Fluss hinab und pürschte drüben an dem von letzter Sonne bestrahlten Ufer entlang, wo manchmal Schneehühner sassen. Aber heute war es schon zu spät für sie. Sie waren fort, und nichts Lebendiges rührte sich ringsum. Reglose tiefe Stille und eine seltsame Beklemmung lagen in der diesigen Luft, am nördlichen Himmel schob sich eine düstere, blauschwarze Wand herauf.

Der Fuchs setzte sich; irgend etwas zwang ihn, ein langes heiseres Bellen anzuheben, das schliesslich in ein fiependes Winseln überging. Irgend etwas auch, sogleich einen Unterschlupf zu suchen, sich einzugraben und zu verstecken. Doch über dieses Gefühl, so stark es war, siegte der wütende Hunger, der in ihm frass, und der zog ihn schliesslich in immer schnellerem Lauf den Fluss hinauf. Er eilte auf einen bestimmten Platz zu, wo, das wusste er, etwas zu fressen für ihn lag. Er wusste es seit Tagen und hatte doch nie gewagt, es sich zu holen.

Es war eine Höhlung in der Uferwand, dicht neben dem Wechsel, den er seit Jahren schon benutzt hatte, wenn er drunten auf der Sandbank fischen gehen wollte. Da lag, umgeben von einem kleinen, offenen Hof aus eingesteckten Ästen und schmaler Öffnung ein Birkhuhn, ein übergares Birkhuhn. Und ausser dem Aasgeruch des Kadavers war da noch ein anderer, ganz unsagbarer Duft – Anis und verfaulter Fisch waren dabei – ein Geruch, der ihm das Wasser im Maul zusammenlaufen liess. Er hatte es seit langer Zeit fast alltäglich einmal umkreist, sich jeden Tag auch ein kleines Stückchen näher gewagt, doch nie ganz heran. Mit diesem Birkhuhn musste etwas nicht richtig sein, denn eines Tages hatte er drüben im Weidendickicht verborgen, gesehen, wie der Mensch darauf zuging, sich zu dem Birkhuhn niederbückte und irgend etwas dran tat. Und alles, womit der Mensch etwas zu tun hatte, war unweigerlich mit Gefahr verbunden.

Um die letzte Biegung trabend, sah der Fuchs schon von weitem, dass der Kadaver noch immer dalag, sein dunkler Balg hob sich deutlich vom Schnee ab. Zögernd, Schritt für Schritt trat er näher, kroch schliesslich auf dem Bauch noch ein kleines Stückchen darauf zu, sog gierig jenen unbeschreiblichen Duft ein, winselte leise vor sich hin, streckte die Pfote langsam, langsam danach aus – zog sie zurück, streckte sie nochmals vor – nein! Irgend eine schwere Gefahr war damit verknüpft. Mit eingezogener Rute wendete er sich um, trabte wieder davon, richtete nochmals verlangend den Blick nach dem köstlichen Bissen zurück, trabte weiter, setzte sich dann mitten auf dem Eise plötzlich auf die Keulen, hob die Nase hoch und bellte hungrig, traurig und von unbestimmter Angst erfüllt, zu dem fahlgelben Leuchten hinauf, in dem der ganze westliche Himmel erstrahlte. Dann sprang er auf, lief unruhig suchend auf der Böschung hin, erkundete jede Einbuchtung darin, schaute schliesslich in die finstere, nach Süden offene Höhlung unter einem herabgestürzten Baumstamme, steckte erst vorsichtig schnüffelnd den Kopf hinein, fing dann drinnen hastig an zu graben, den Schnee vorm Eingang aufzuhäufen, rollte sich schliesslich dahinter zusammen und barg mit einem tiefen Schnaufer die Schnauze unter der herumgelegten Rute.

Ein paar Minuten später kam der Blizzard aus dem Norden herangerast und begrub die Welt in brüllende, heulende Finsternis, in peitschende, wirbelnde Wolken von Schnee.

Fast zwei volle Tage lang lag der Fuchs schlafend in seinem Schlupfwinkel, rührte sich nicht von der Stelle; nur dann und wann stiess er träumend ein hungergequältes Winseln aus. Der Sturm rauschte und brauste noch im nächtlichen Wald; nur der Schneefall hatte aufgehört, der Himmel sich gelichtet, die farbigen Bänder eines Nordlichts spielten über seine sternglitzernden klaren Tiefen; da trieb es ihn heraus. Mühsam arbeitete er sich durch den meterhohen frischen Schnee vorwärts, direkt auf jene Stelle zu, wo das Birkhuhn lag. Es war nichts mehr von ihm zu sehen, doch seine feine Nase sagte dem Fuchs, dass es noch da war, tief unterm Schnee begraben, nicht mehr so verdachterregend frei, also vielleicht nunmehr ungefährlich geworden? ...

Der heraufdringende Duft machte das heisshungrige Tier wie toll, es hatte alle Vorsicht vergessen, in eiliger Gier gruben und scharrten seine Pfoten, da wurde auf einmal die eine von unten gepackt, mit einem harten klirrenden Geräusch hatte etwas hineingebissen, gleich bis auf den Knochen durch. Wütend schnappte der Fuchs nach dem Angreifer, doch seine Zähne trafen auf kaltes unangreifbares Metall. Die Pfote war nicht frei zu bekommen, kein Ziehen und Reissen half, alles machte nur den Schmerz noch unerträglicher. Da gab es der Fuchs schliesslich auf, liess ergeben den Kopf sinken, wartete frierend, hungrig, schmerzgefoltert die ganze lange eisige Nacht hindurch auf irgend etwas, er wusste selbst nicht worauf, nur dass es mit dem Menschen zu tun haben würde, ging ihm in vagem Empfinden durch den Kopf.

 

Die letzten verglühenden Flammenstreifen des Nordlichts zuckten über den Himmel, warfen bleiche auf- und niederschwellende Lichtwellen in die finstere, von schroffen, vereisten Felsen eingezwängte Schlucht des Canons, spiegelten sich im farbigen Widerschein auf der winzigen Fensterscheibe einer Unterkunftshütte, die zwischen gigantische Felsblöcke geduckt, dicht an den erstarrten Katarakten des Flusses stand. Sie war aus schweren Blockstämmen erbaut, die kaum halbmannshohe Tür von dicken, eisenbeschlagenen Planken gefügt, zentnerschwere Steine sicherten das aus behauenen, dicht nebeneinander gelegten Holzblöcken bestehende Dach gegen die Winterstürme, die hier in der Enge des Canons stets mit fürchterlicher Gewalt dahinfuhren. Die hohen Wogen des angetriebenen Schnees lagen weiss und unberührt, keinerlei Fährte führte auf die einsame Behausung zu, leblos und still lag sie unter den huschenden, bunten Feuern des Polarlichts.

Da gab es einen dumpfen, weichen Bumps auf dem Dach, ein grosser dunkler Körper war von einem der Felsblöcke herübergeflogen, pulvriger Schnee stiebte unter ihm in einer Wolke empor. In kurzen schweren Sätzen fuhr der Körper da oben in dem stäubenden Schnee herum, dann erschien ein Kopf über dem Dachrande, zwei grosse, grünlichschimmernde Augen spähten herunter. In dem weissen Haarkranz, welcher den breiten Kopf umgab, liefen ein paar tiefe finstere Falten senkrecht empor und gaben diesem Tiergesicht einen Ausdruck von unheimlicher Wildheit.

Der starke, plumpe Körper bog sich zusammen, flog, einen Purzelbaum schlagend, vom Dach herunter, wühlte sich aus der Schneewehe heraus, setzte in kurzen schnellenden Sprüngen auf die Tür zu, fuhr daran hoch, und schlug krachend eine schwere breite Tatze gegen den Holzriegel. Alles geschah mit ungestümen, wie von einer stetig tobenden Wut angetriebenen Bewegungen. Der schnarrende, fauchende Laut, welcher dabei zwischen den entblössten, für die Körpergrösse des Tieres geradezu fürchterlichen Zähnen hervordrang, zeigte an, dass wirklich fanatische Wut und Wildheit das innerste Wesen dieses Geschöpfes bildete, eine Wut und Wildheit, die aus unersättlicher Gier geboren waren.

Schnüffelnd presste es die dicke schwarze Nase an den Türspalt, fuhr wiederum zum Riegel hinauf, schlug die blinkenden krummen Dolchzähne in das Hartholz hinein und riss knurrend einen Splitter heraus. Ein paar weitere wütende Tatzenschläge machten die Tür erbeben, doch sie widerstand. Den kurzen starken Hals eingezogen, duckte sich der Vielfrass nunmehr nieder und warf sich plötzlich mit ganzer Kraft dagegen, jedoch ebenfalls ohne Ergebnis. Darauf versuchte er eine Tatze in den Spalt am Pfosten einzuzwängen, die Tür aufzubrechen, riss und rüttelte, unaufhörlich knurrend und fauchend, daran herum, doch auch auf diese Art liess sie sich nicht öffnen.

Eine ganze Weile lag das Tier sodann mit funkelnden Augen und peitschendem Schwanze da und starrte grollend die widerspenstigen Planken an. Plötzlich machte es einen flachen Sprung auf die Schwelle zu, beschnüffelte sie und schlug beide Tatzen in ihr Holz hinein. Splitter und Späne flogen unter den Hieben, die Zähne halfen nach, rissen grosse eisglitzernde Fetzen aus dem, durch die Bodenfeuchtigkeit morsch gewordenen Holze heraus, kratzten, wühlten und scharrten, dass Steine und hartgefrorene Erdschollen flogen, und nach erstaunlich kurzer Zeit schon war die Öffnung gross genug, um den stämmigen Körper sich unter anhaltendem Knurren und gierigem Schnaufen durchzwängen zu lassen.

Doch was der Vielfrass in dem Raume fand, lohnte nicht die aufgewendete Mühe, gab nicht seinem leeren Magen, sondern nur seinem hungrigen Grimme neue Nahrung. Eine alte Felldecke auf dem Mooslager, eine hölzerne Mulde, in der eine Schaufel lag, ein paar Töpfe und Pfannen und ein kleiner aus starkem Schwarzblech hergestellter Ofen waren alles, was darin vorhanden war. Der alte Trapper, der unten am Fluss wohnte, benutzte die Hütte nur durch ein paar Wochen im Hochsommer, wenn er hier oben ein bisschen Gold aus dem Flussande wusch. Dann stand sie wieder bis zum nächsten Sommer leer.

Der hungrige Räuber fuhr knurrend und schnüffelnd im Raume herum, sprang auf das Bettgestell, zerfetzte mit ein paar Tatzenschlägen die Felldecke, kaute ein Weilchen an einem Stück herum, hob wiederum aufmerksam schnuppernd die Nase und setzte auf den Ofen hinüber. Die starken Klauen seiner Pfote prüften die mit Draht verschlossene Tür, schlugen einmal knallend dagegen, und als das nichts nützte, packten die mächtigen Zähne eine Ecke des Eisenkastens, es gab ein knirschendes Geräusch – und der Vielfrass hatte das starke Schwarzblech durchbissen! Immer neue und immer wütendere Bisse durchlöcherten schliesslich die ganze Ecke genügend, um sie mit ein paar Tatzenschlägen soweit abzureissen, dass er mit der Pfote hineinfahren konnte. Doch was er darin fand, war wiederum eine Enttäuschung – ein paar, reich mit duftenden Fettflecken vom Frühstücksspeck und Fisch versehene Bücher und Zeitschriften, die der Alte vor den Nagezähnen der Mäuse hatte bewahren wollen.

Der Vielfrass biss in eins der Magazine hinein, schüttelte es, giftig knurrend, hin und her, riss von einem Neuen Testament den Lederrücken ab und schlang ihn gierig hinunter, warf dann alles Vorhandene mit Tatzenschlägen in der Stube herum, setzte sich schliesslich auf den umgeworfenen Ofen, verweilte eine Sekunde mit zusammengekniffenen Augen darauf, und plötzlich erfüllte ein ganz entsetzlicher Gestank den Raum – er hatte seine Stinkdrüse darauf entleert.

Wie von der eigenen Pestilenz gejagt, fuhr er darauf eilig wieder zum Loch hinaus, hoppelte in schwerfälligen und doch geschwinden Sätzen unter dem Eiswall des Katarakts hinüber aufs andere Ufer und auf eine etwas breitere Stelle zu, wo neben einigen mächtigen alten Tannen sich ein dreibeiniges hohes Gerüst mit einer Plattform und einer darauf errichteten winzigen Hütte erhob. Die geglätteten Stämme waren bis zu halber Höhe mit Stacheldraht umwickelt, um tierische Räuber vom Erklimmen des Gerüstes abzuhalten; es war ein Cache, eine Vorratskammer. Der Vielfrass kannte sie sehr wohl. Er gedachte keinen neuen Versuch zu machen, da hinauf zu steigen, denn bei allen früheren war nie etwas anderes als blutige Pfoten und ein zerrissener Balg herausgekommen; er wollte nur aus alter Gewohnheit einmal dran vorbeigehen und eine Nase voll von dem herrlichen Geruch mitnehmen, der von da oben herunterkam. Der Geruch war noch da, wenn auch nicht mehr so stark, wie ehedem. Der Räuber warf einen hungrigen Seitenblick hinauf, stutzte auf einmal, sauste dann mit ein paar so ungestümen Sätzen los, dass er sich dabei überschlug, und fuhr auf eine Tanne zu, die der Blizzard gestern abgebrochen und mit dem Wipfel gegen die Plattform geworfen hatte. Schnaufend klomm das Raubtier hinauf, Geifer lief ihm vor Erwartung aus dem Rachen, mit giftigem Knurren nahm er an den feinen Strichen im Schnee Notiz, dass Mäuse bereits den Aufstieg vor ihm entdeckt hatten, mit plumpem Satz fuhr er zu der offenen Tür hinein – der Raum war leer! Nur ein lockender, höhnender Duft von geräuchertem Fisch und Elchfleisch, von Speck und kaputt gegangenen Eiern hing noch in der Luft. Schnarrend vor Wut und Enttäuschung drehte er sich ein paarmal im Kreis herum; plötzlich machte er einen Satz, die Tatze schlug blitzschnell an die Wand hinauf; eine Maus fiel herunter und verschwand mit einem Haps in seinem triefenden Rachen. Die glühenden Augen sahen sich vergeblich nach mehr um; so hockte er sich nieder, spritzte auch hier seine Stinkdrüse aus und rutschte dann ungeschickt wieder an der Tanne hinunter.

Nunmehr verfolgte er das Ufer flussabwärts, hopste, immer in seinen kurzen Sätzen, in der Schlucht dahin. Rastlos wanderten dabei seine funkelnden Augen über die Umgebung, bewegten sich die Flügel der schwarzen Nase, richteten sich die Spitzen der runden Ohren auf; nicht das Allergeringste entging seiner Aufmerksamkeit: kein Eindruck, den Schneehühner gemacht hatten, keine Kratzer auf einer blanken Stelle des Eises, die von jagenden Wölfen herrührten, keine Wiesel- oder Mausfährte. Einige Male fuhr er auch mit plötzlichem Sprunge in einen Schneehaufen hinein, doch immer kam die Schnauze leer wieder heraus. Der düstere, öde Canon hier war nie ein guter Jagdgrund gewesen, und war es jetzt in dem metertiefen Neuschnee erst recht nicht.

Verdrossen und leise vor sich hingrollend, trollte er weiter, aber kurz nachdem er aus der Schlucht heraus in offeneres Hügelgelände gekommen war, blieb er stehen, zog sich zusammen und kroch dann leise, leise auf einen gewaltigen alten Stamm zu, der schräg vom Ufer herunterlag. Unter dem Stamm waren ein paar Birkhühner dabei, den wenigen Schnee wegzuscharren, um zu dem von ihnen so benötigten Sand zu gelangen. Zollweise rutschte der Vielfrass näher, kein Laut kam jetzt aus seinem Rachen, nur seine Augen glühten in wilder Gier. Mit einem letzten gewaltigen Satze warf er sich dann unter den Stamm, mitten zwischen die Hühner, hatte blitzschnell eins mit den Zähnen gefasst und gleichzeitig nach einem anderen mit der Pfote geschlagen. Doch dieses entging ihm durch die Wucht des eigenen Schlages, flatterte, obgleich verwundet, auf, kam mühsam noch auf eine kleine Tanne hinauf, fiel klatschend und gackernd in ihre Äste hinein und wurde im nächsten Augenblick von einem Bussard gegriffen, der dem dahinhoppelnden Vielfrass schon von weither gefolgt war. Mit zwei gewaltigen Hapsern hatte dieser das Birkhuhn hinuntergeschlungen, einen wilden Satz steil in die Luft nach dem Bussard gemacht, aber schnarrend und zähnefletschend vor ohnmächtiger Wut sah er den Raubvogel ruhig mit der Beute davonschweben.

Aufs neue setzte sich der Vielfrass in Bewegung, wanderte noch fast zwei Stunden weit, ohne dass ihm etwas Lebendiges in den Weg kam, immer an oder auf dem Flusse entlang. An einer scharfen Krümmung angelangt, sah er schliesslich etwas Gelbliches unter einer ausgehöhlten Schneewehe auf dem Eis herumliegen. Aufgeregt nahm er den Geruch von Mensch, aber auch den älteren von Biber daran wahr, verfolgte die Fährte bis zu einem Loch im Eis, aus dem eine Baumkrone aufragte, spähte hinunter in das grünklare Wasser, und riss mit einem wilden Auffunkeln der Augen den Rachen auf; Geifer tropfte ihm sofort wieder heraus. Da unten neben dem Baumstamm schwamm ein Biber, ein toter Biber, denn der helle Bauch war nach oben gekehrt.

Wie hineingerissen fuhren Kopf und Pfoten des Vielfrasses durch das Loch, tauchten ins Wasser, die Pfoten hakten nach der kaum glaublichen Mahlzeit, die da schwamm, doch sie konnten sie nicht erreichen, so lang sich auch der ganze Körper streckte, es war zu tief. Das schwere Eisen von Falle und Kette und die Eisdecke, unter die die Strömung den Körper bis zur Hälfte getrieben hatte, hielten den Kadaver unten. Der Kopf des Raubtieres fuhr zurück, seine flammenden Augen prüften die Lage, er begriff, dass der ersehnte Frass mit diesem Baume hier zusammenhing. So begann er an dem Stamm zu zerren und zu reissen, würgte ihn auch nach und nach ein Stück in die Höhe; dann aber ging der langgestreckte Biberkörper nicht durch das Loch, wie auch der Vielfrass den Baum hin- und herdrehte: Die Öffnung hatte sich durch die Kälte nach dem Sturz mit neuem Eis umkrustet und war enger geworden. Er liess den Stamm los, schlug blitzschnell mit der Pfote nach dem Kadaver, doch nur mit dem Erfolge, dass er sofort wieder hinab und schräg unters Eis sank. Winselnd und geifernd vor Gier, fasste er den Stamm aufs neue, machte einen gewaltigen Satz rückwärts mit ihm und riss ihn diesmal auch heraus – den Stamm samt der Falle, doch in der Falle hing jetzt nur noch eine abgerissene Biberpfote!

Mit einem erstickten schnarrenden Laut schnellte sich der Vorderkörper des Räubers verzweifelt durch das Loch – zu spät –, die verschwimmenden Umrisse des toten Bibers trieben bereits unerreichbar weit in der grünen Flut davon.

Wie vorwärts geschleudert von rasender Wut, von enttäuschter, nicht mehr zu ertragender Fressgier, flog der triefende Körper des Raubtieres auf die Falle, riss die Pfote heraus, schlang sie hinunter, biss in besinnungsloser Raserei in das Eisen von Kette und Falle, fetzte lange Späne aus dem Stamm heraus, rollte sich fauchend und knurrend auf dem Eis herum. Plötzlich sprang er auf, die Nase tief auf dem Boden, schoss vorwärts, schneller und schneller, der Fährte des Trappers nach, an der der penetrante Geruch jener Lockspeise haftete.

In holprigen Sätzen, gleitend und Purzelbäume schlagend, aber unaufhaltsam und unbeirrbar, flog der langbehaarte, von Eiskristallen funkelnde Körper auf dem gefrorenen Fluss dahin, hinauf aufs Ufer, quer durch Wald und Busch einer Landzunge, unentwegt den runden tiefen Fährten der Schneereifen nach. Dann wiederum hinaus ans Ufer, sich zwei dreimal hintereinander überschlagend, die Böschung hinunter, wieder auf die Füsse und plötzlich, mit jähem Ruck, ein Stück in der eigenen Fährte rückwärts – drei Sprünge weit vor ihm hob sich langsam der Kopf eines Fuchses empor.

Der Fuchs hatte gelegen, und mit seinen trüben, schon vergehenden Augen gegen die Sonne geblinzelt. Er konnte den Ankömmling nicht erkennen, hob den matten Kopf noch höher und sah schliesslich, dass es nicht der gefürchtete Mensch war, gegen den es keinen Widerstand gab, sondern ein anderer Feind, ein nicht weniger zu fürchtender, aber doch einer, den man packen konnte. Und als sich die plumpe Gestalt des Vielfrasses dumpfgrollend auf ihn stürzte, flammte die letzte Lebenskraft des sterbenden Fuchses in einem wilden verzweifelten Biss nach der weichen Schnauze des Angreifers auf.

Ein kurzes wüstes Gewürge und Gebalge, begleitet von knurrenden, fauchenden, gurgelnden Lauten, dann fiel der leblose Körper des Fuchses nieder, die Falle an seiner steifgefrorenen Pfote schlug klirrend aufs Eis. Mit blutiger Schnauze fuhr der Vielfrass zurück, sprang mit hoch erhobenen Pfoten auf den toten Gegner, hieb ihm beide Tatzen in den Bauch, riss ihn auf, wühlte sich schnaufend in die warmen Eingeweide hinein – da fuhr ihm ein glühender Stich durch den Hinterleib, ein peitschender Knall erreichte sein Ohr und riss ihm den Kopf herum. Seine wilden Augen nahmen eine hohe, pelzbekleidete Gestalt wahr, die mitten auf dem Flusse stand und etwas Langes an ihr Gesicht herauf hob.

Die Lippen des Vielfrasses zogen sich von den weissfletschenden Zähnen zurück, aufgrollend schlugen seine Tatzen zu einem angreifenden Sprunge aufs Eis; doch der Hinterleib kam nicht mit, sank gelähmt zusammen. Schnarrend schnappte er nach den eigenen gelähmten Weichen, da schlug ihm etwas durch die Stirn, zersprengte ihm den Kopf und beendete alle Wut und Wildheit seines Lebens in jäher Nacht.


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