H. Clauren
Die Großmutter
H. Clauren

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Unterdessen war es heller Tag geworden, und das empörte Element überwältigt; drei und zwanzig große Gehöfte, unter ihnen das schöne Wirthshaus, wo ich vorgestern einkehrte, lagen in ihren Ruinen. Wenige der Abgebrannten hatten Einiges, die Meisten Alles verloren; die Hände ringend standen sie vor dem Aschenhaufen ihrer ehemaligen Wohnungen, und weinten die heißesten Thränen über das unverschuldete Unglück. Manche hatten kaum, ihre Blöße zu bedecken, und halbnackte Kinder brachen durch ihr Hungergeschrei den Ältern das Herz, die, in wenigen Minuten vom Wohlstande an den Bettelstab gebracht, nichts hatten, um das Bedürfniß der verzagenden Kleinen zu befriedigen.

Jetzt war es Zeit, meine Rolle aufzugeben; ich wollte, sobald die armen Leute nur einigermaßen sich vom ersten Schrecken erholt hatten, sie vom Schulzen herbeirufen und um mich sammeln lassen; ich wollte ihnen eröffnen, das ich der Erbe der ehemaligen Besitzerin des Dorfes sey, daß ich mit deren Rechten, auch deren Verbindlichkeiten geerbt habe, und daß es daher meine erste und heiligste Sorge seyn solle, ihnen, nach meinen Kräften, den Schlag des Schicksals zu mildern. Ich ging mit diesen, mich selbst erhebenden Gedanken zu des Schulzen Wohnung; da lagerten schon versammelt die Unglücklichen, welche in dieser grausenvollen Nacht dem Kummer und der Hoffnunglosigkeit verfallen waren, und in ihrer Mitte stand, von den goldnen Strahlen der Frühsonne umflossen, eine Mädchengestalt, die, wie ein Engel der mildesten Liebe die Hungrigen speis'te, die Durstigen tränkte, die Halbnackenden kleidete und die Trauernden mit sanften Worten tröstete. Drei Wagen mit Brot und Wein und allerlei Lebensmitteln und Kleidungstücken schwer beladen, standen hinter ihr, und mehrere Personen vertheilten, ihrer Anordnung gemäß, die mitgebrachten Bedürfnisse unter die Leidenden, auf welche die schnelle Hülfe des wohlthätigen Engels um so eingreifender zu wirken schien, als sie, vom harten Schlage des Schicksals betäubt, sich in den ersten Augenblicken der hoffnunglosesten Verzweiflung Preis gegeben hatten. Darum drängten sich auch Alle an das Mädchen heran und küßten ihr den Saum des Gewandes und die wohlthätige Hand, und brachen in rührende Thränen aus, unter denen sich das dankbare Herz so gern ausweint, wenn, im tiefsten Abgrunde der Noth, die Gute des Allbarmherzigen sich durch seine wundersame Fügung unerwartet verlautbaret.

Was mir als Plan in der Brust lag, das hatte das liebliche Kind hier schon zur That gereift, was ich thun wollte, hatte sie schon ausgeführt. Die Freude des Wohlthuns glänzte in allen ihren Zügen; von dem Elende der Trauernden, und von dem glücklichen Bewußtseyn, dasselbe gemildert zu haben, gleich lebendig ergriffen, liefen ihr die hellen Thränen über die rosigen Wangen; mit demüthiger Bescheidenheit suchte sie den stürmischen Dank der Empfänger abzulehnen, und äußerte mit unbeschreiblicher Herzensgüte, daß das ja Menschenpflicht sey, was sie gethan, daß der Vater mehr zu schicken versprochen habe, und daß man den Glauben an Gott und Menschen nicht verlieren solle. In Kurzem wird, fuhr sie, den Trübsinn der Niedergeschlagenen mit freundlichen Worten aufrichtend, fort, und blickte auf den Kreis herab, der rund herum auf den Knieen lag, und die Liebreizende wie ein Heiligenbild, wie einen von Gott gesandten Engel der Verkündigung betrachtete: in Kurzem wird Euer neuer Herr hier eintreffen. Er soll wie das Gerücht sagt, nicht nur Eurer guten seligen Madame Milborn Güter, er soll auch ihr Herz, ihren Sinn für Wohlthun, ihre Theilnahme an fremden Leiden geerbt haben, bei ihm wird sich mein Vater für Euch gern verwenden, und ist er das, was er seyn soll, so dürft Ihr von ihm gewiß den schleunigsten Beistand, die zweckmäßigste Unterstützung erwarten. Darum verzaget nicht! hebt zu Gott Euer Auge empor; wo die Noth am größten, ist er ja immer am nächsten.

Von der frommen Rede und von dem günstigen Urtheil, daß dieser kleine Purpurmund hier öffentlich über mich aussprach, bis in mein Innerstes aufgeregt, fragte ich meinen Nachbar, der ein Klarenburger Bürger zu seyn schien: Wer ist das Mädchen? Er wußte es nicht; aber von des Mädchens herzlichen einfachen Worten waren ihm die Augen übergegangen, und er meinte, es sey ihm, als wäre er in der Kirche. Er griff in beide Taschen, holte alles Geld, was er bei sich hatte, heraus, trug es ungezählt hin, und gab es an die Ersten Beßten im Kreise der Abgebrannten.

Auch das Mädchen, das sich jetzt zum Heimgange anzuschicken schien, vertheilte, mit dem Versprechen, halb wiederzukommen und dann mehr mitzubringen, einiges baare Geld unter die Bedürftigen; aber sie gerieth in sichtbare Verlegenheit, als sie mit dem Austheilen fertig war und mehrere ihr entgegengestreckte Hände, ohne eine Gabe erhalten zu haben, sich zurückziehen sah.

Ich machte mir rasch Platz, drängte mich heran, und legte meine ganze Goldbörse in die Hand des wohlthätigen Seraphs. Ich wollte einige passende Worte dazu sagen; aber als ich jetzt dem Mädchen gegenüber stand, und ihr in die seelenvollen Augen sah, die mich mit stummen Staunen zu fragen schienen, wer ich sey, daß ich, zur Linderung fremder Noth, blankes Gold so mit vollen Händen spende, und als sie in holder Verwirrung mir, im Namen der reich Beschenkten, ihren Dank lispeln wollte und nicht konnte, weil sich unsere Blicke begegnet hatten; da versagte mir die Zunge den Dienst, und ich empfand, daß der Mund ein Untergebener mehr des Kopfes, als des Herzens ist; jenen aber hatte ich über den Anblick des liebholden Kindes fast verloren.

Wer ist das Mädchen? wiederholte ich jetzt dringender, und wandte mich mit der Frage an eine Bäuerin, die neben mir stand. Das, liebes Herrchen, entgegnete die Alte: das ist Oberforstmeisters Hannchen, drüben aus Blumenwalde. Dieses aber wandte sich in dem Augenblick mit einem Gesicht, in dem die fröhlichste Verklärung lag, zu ihren Schützlingen, und rief ihnen freudig zu, daß das Wort, was sie von der Nähe der Hülfe in der Noth versprochen, schon anfinge, wahr zu werden. Sie vertheilte jetzt meine Goldstücke mit weiser Umsicht, und wies die Dankenden, zu meiner nicht kleinen Verlegenheit, an mich. Indem diese aber mich eben in das Auge faßten und sich mir nähern wollten, um mich durch die Versicherung ihrer Verpflichtung zu beschämen, kam, bleich wie der Tod, athemlos ein junges Weib in den Kreis gestürzt, rang Hannchen die Hände krampfhaft entgegen und schrie: mein Kind, mein Kind! Hülfe, um Gottes Willen, Hülfe! Jetzt erst erkannte ich in der Verzweifelnden die junge Wirthin, die mir vorgestern die Kaltschale gebracht hatte. Nach vielen Fragen, mit denen wir die Geängstete bestürmten, die so erschöpft war, daß sie kaum mehr athmen konnte, brachten wir heraus, daß sie im ersten Schrecken dieser Nacht glaubte, ihr Mann, der früher dem brennenden Hause enteilt sey, habe ihr kleines Mädchen aus der Wiege gerettet; sobald sie sich aber einige Minuten darauf zusammen fanden, ergab sich das Gegentheil. Ich wollte in das Feuer, sagte die Unglückliche in kurzen abgebrochenen Sätzen, und hatte fast weder Thränen noch Stimme mehr, aber da riefen sie mich zurück. Meine Schwester war mit dem Kinde fort, in die Stadt, zu meinen Ältern – ich lasse brennen Haus und Hof, und eile in die Stadt – meine Schwester ist da – sie hat unser Silberzeug und unser Geld gerettet; aber mein Kind ist nicht da. – Ich komme zurück – unser Haus liegt über die Hälfte in der Asche, – ich frage alle Nachbarn nach meinem Kinde – es ist nicht da – ich will hinein in die brennenden Trümmer, – vertreten mir die Menschen den Weg und fragen, ob ich rasend sey; – Hannchen, englisches Hannchen – Ihnen folgen sie; was Sie sagen, das thun sie, – befehlen Sie ihnen, mich hineinzulassen, ich will mein Kind aus der Asche holen, todt oder lebendig! Sie warf sich zu Hannchens Füßen und umschlang ihre Kniee und schrie, sich den Bast von den Händen ringend: laßt mich zu meinem Kinde! die Wiege steht dort hinter der Brandmauer! Wer holt das Kind aus dem Hause? fragte Hannchen laut weinend in den Kreis, und hielt den Rest meiner Goldbörse hoch in die Höhe, Zwanzig, Dreißig eilten hin; aber als sie sich durch die glimmenden Ruinen den Weg zum Gebälke bahnen wollten, das sich an die Brandmauer der noch stehenden Hälfte des Hauses gelehnt hatte, schlugen von neuem die Flammen hoch auf, und das Holzwerk stand in vollem Feuer. Keiner hatte den Muth zu dem Todesgange. Dreimal setzte die unglückliche Mutter an, und dreimal kehrte sie mit brennenden Kleidern zurück. Hannchen rief, von der quälenden Angst der jammernden Mutter gefoltert, noch einmal um Hülfe, und schritt selbst nach der Brandstätte vor. Unterdessen hatte ich eine Spritze herbeigeholt, ließ das Rohr derselben seine Richtung auf eine Öffnung nehmen, die ich in dem an die Brandmauer gelehnten Gebälke bemerkt hatte, stürzte nun, im Wasserstrahl der rastlos arbeitenden Spritze, unaufhaltsam in die Flamme, wand mich durch Trümmer und Asche, und gelangte an die von der Mutter bezeichnete Stelle. Wie durch ein Wunder Gottes stand die Wiege unversehrt dicht an der Mauer; die halbverkohlten herabgebrochenen Balken waren gegen einander gefallen und hatten eine Art von Dach über der Wiege gebildet. Das Kind schlummerte in der schützenden Hand des höchsten Erbarmers; ich riß es eilend heraus, trug es, von den Strahlen der auf mich gerichteten Spritze vor den Flammen gesichert, aus dem jetzt dicht hinter mir zusammenstürzenden Gebäude und legte es in Hannchens Arme, aus denen es die jauchzende Mutter unter dem lautesten Jubel des Volkes empfing.

Bis auf die Haut durchnäßt, entzog ich mich dem stürmischen Danke der Umstehenden, warf mich auf mein Pferd, und ritt nach Hause. Die Menschen legten auf die That mehr Werth, als sie sollten. Die Hand auf das Herz, konnte ich mir nicht läugnen, daß das Streben nach dem Beifalle des liebreizenden Mädchens mich eigentlich mehr, als jede andere Rücksicht, in die Gefahr des Feuertodes gedrängt hatte. Auf so lockerem Sande mag sich oft unsere Tugend ihre Tempel bauen! Hannchen hatte kein Wort zu mir gesprochen; aber der himmlische Blick des Entzückens, mit dem sie das Kind aus meinen Händen an ihr Herz legte, sprach die martervolle Angst, mit der sie mich in die Flammen gehen sah, die geschmeichelte Eitelkeit, daß ihre Bitte der Preis war, um den ich die sogenannte Heldenthat leistete, und die überschwengliche Freude über meine und des Kindes glückliche Rettung, lauter aus, als alle Rede.

Nach Tische erhielt ich ein Billet vom Oberforstmeister Wilmar aus Blumenwalde. Nach dem Eingange, in welchem er meiner vorgeblichen Großthat, eine weitläufige Prunkrede hielt, entschuldigte er sich, wegen eines kleinen Anfalls von Podagra, nicht selbst kommen und seinen und seiner Tochter Dank mir überbringen zu können; nicht, um diesen mir zu hohlen, sondern um ihm, wie er sich ausdrückte, die Freude meiner Bekanntschaft zu schenken, bäte er mich, ihn recht bald zu besuchen, und ich würde ihn und seine Tochter Hannchen verpflichten, wenn ich sie vielleicht noch diesen Abend mit meiner Gegenwart erfreute, da letztere von Zwicker gehört habe, daß ich ein Freund des Herrn Hofraths Blum sey, und sie heute noch wegen der den Abgebrannten zu leistenden Unterstützung mit mir Rücksprache zu nehmen wünschten, um mit der morgen in die Residenz abgehenden Post dem Herrn Hofrathe das Nähere dieserhalb mittheilen zu können, weil, um die eingeäscherten Wohnungen wenigstens in so weit wieder aufzubauen, daß die Abgebrannten vor Eintritt des Winters noch unter Dach und Fach kommen könnten, kein Tag zu verlieren sey.

Oft hatte ich mir aus den Dichtern der älteren und neuern Zeit das Bild des häuslichen Friedens, nach dem ich mich in den Träumen von meinem künftigen Leben im Stillen sehnte, mit den Farben meiner Phantasie ausgemalt; hier in der Oberforstmeisterei von Blumenwalde fand ich es verwirklicht. Nicht als Fremder, als vieljähriger Bekannter, als Freund, trat ich in das Haus. Hannchen mochte dem Vater viel zu viel Gutes von mir erzählt haben; er bewillkommte mich mit rührender Herzlichkeit, und sprach über die Bruderpflicht gegen fremdes Leiden mit solch einfacher Biederkeit, daß ich ihm hätte Stunden lang zuhören mögen, und jetzt wohl begriff, daß die Tochter eines solchen Vaters seine Freude und der Segen ihrer ganzen Umgebung seyn müsse. So ernst und weich heute früh das Mädchen auf dem Schreckensplatze des menschlichen Elends gewesen war, so fröhlich und heiter war sie diesen Abend. Sie hatte in dem göttlichen Gefühle, Gutes thun zu können und Gutes gethan zu haben, geschwelgt, und diese selige Empfindung hatte ihr Brust und Herz gefüllt. Mit freudiger Eile gingen wir an die Pläne zur Wiederaufhülfe der Brandbeschädigten, und alle Züge in Hannchens blühendem Madonnengesicht verklärten sich sichtlich, als ich erklärte, von Blum für jedes Geschäft bevollmächtigt zu seyn, und daß ich nur in seiner Seele handle, wenn ich im vorliegenden Falle Alles aufböte, um die wohlthätigen Entwürfe zum Beßten der Verunglückten möglichst schnell zur Ausführung zu bringen, wozu ich die erforderlichen Summen bei dem mir bestimmten Bankier in Klarenburg sofort anweisen würde.

Siehst Du, Väterchen, sagte triumphirend Hannchen zum alten Herrn: ich habe mich nicht getäuscht; Blum ist, wie ich ihn mir gedacht habe!

Und wie haben Sie sich ihn denn gedacht? fragte ich lächelnd, und wollte hören, woher sie die günstige Meinung geschöpft habe.

Hannchen erwiederte, daß die selige Madame Milborn immer mit einer Art edeln Stolzes auf die Gediegenheit seines Herzens von ihm gesprochen habe und – setzte sie bei der feinen Artigkeit, die sie mir sagen wollte, verlegen freundlich hinzu – und an ihrem Umgange, an ihren Freunden soll man ja die Leute erkennen. Wenn Blum Ihrer Freundschaft nicht würdig wäre, würden Sie dieselbe ihm gewiß nicht geschenkt haben, wollte sie hinzusetzen, aber es war, als fühlte sie die Schmeichelei, die sie auf den Lippen hatte, als schicke es sich nicht, daß ein Mädchenmund ein so verbindliches Wort einem jungen Manne ins Gesicht sage, – sie hielt daher schnell inne, und sagte zum Vater gewandt: Dein Pfeifchen will heute auch gar nicht brennen, und lief nach Papier, um sie anzuzünden. Mir aber brannte das Herz in der Brust; denn des Mädchens schlichte einfache Weise hatte etwas unbeschreiblich Anziehendes. Die frische Jugendfülle, das herrliche Ebenmaß im ganzen Gliederbau, die schlanke Figur, die zarte Anmuth in Haltung und Gang, das Melodische der Silberstimme, der eigene Liebreiz in jedem Zuge des sprechenden Gesichts, das Schelmenlächeln des kleinen Rosenmundes, das nußbraune Ringelhaar, dieß Alles waren Nebensachen, wenn man dem Grazienkinde in das blaue Auge sah, in diesem himmelreinen Seelenspiegel lagen Geistestiefe, Herzensgüte, mädchenhafte Züchtigkeit, fleckenlose Tugend, ungetrübter Seelenfriede, mit Einem Worte, eine Welt voll Seligkeit so unverkennbar, daß mir mit jedem Blicke in dieses Wunderblau ward, als würde ich selbst ein besserer Mensch, als fielen die Schlacken des Irdischen mir von Herz und Seele, als veredele sich mein geistiges Innere.

Wir gingen, – der alte Herr konnte uns wegen seiner widerspenstigen Unterthanen, wie er sein krankes Fußwerk nannte, nicht begleiten – allein in den am Hause befindlichen Garten; die köstliche Obstbaumanlage war das Werk ihrer früh verstorbenen Mutter; die tausendfarbigen Blumen-Partieen aber dankten der schöpferischen Johanna, Daseyn und Blühen. In kindlicher Unschuld plauderte sie von der Eintheilung ihrer Zeit, die ihr immer zu kurz war, weil sie die Pflege des Vaters, die Verwaltung des kleinen Hauswesens, die Abwartung ihres zahlreichen Federviehes, die Unterhaltung des Gartens, die Aufsicht über ein Vermächtniß der Madame Milborn, über die Erziehung-Anstalt verwais'ter Bauernkinder, und hundert andere kleine Geschäfte zu besorgen hatte, und die wenigen Freistunden gehörten ihrem Flügel und ihrer Bibliothek, in der ich später die beßten Classiker unserer und der französischen, englischen und italiänischen Literatur fand. Im Laufe ihrer Unterhaltung kam sie unter andern auch auf die glücklichen Tage zu sprechen, die sie im Hause meiner guten seligen Großmutter verlebt hatte, und ich erkannte die Siebente aus dem bewußten Cyclus. Das ist das Mädchen, das die Großmutter gemeint hat, sagte ich fast laut zu mir selbst, als ich die Entdeckung machte, und als müßte sie und keine andere es seyn, so ward mir zu Sinne, je mehr ich dieses fröhliche, schuldlose Wesen sprechen hörte und handeln sah. Ich wollte den Abend in die Stadt zurück; aber Vater und Tochter baten so freundlich, doch zu übernachten, daß ich gern blieb. Auch den folgenden und den zweiten und dritten und vierten und fünften Tag war ich noch bei ihnen, und je länger ich mit ihnen lebte, desto traulicher ward unser Verhältniß, desto reizender entfaltete sich diese Knospe, desto rosiger wurde ihre Laune, desto herziger ihr ganzes Thun und Wesen. Den Morgen verbrachten wir im Garten; am Tage hatte ich mit dem alten Herrn und den aus der Stadt geholten Baumeistern und Gewerken, über die wieder aufzurichtenden Herzfelder Brandstellen mich zu besprechen, gezeichnete Entwürfe zu besichtigen, Verträge zu schließen und dergleichen mehr, und Abends – das waren meine eigentlichen Feierstunden, da sang Johanna in der blühenden Laube, und ich begleitete ihr meisterhaftes Guitarren-Spiel mit meiner Flöte; oder wir begossen ihre Blumen, wo ihr ausgelassener Muthwille nicht verfehlte, mich bei der Gelegenheit mit unter Wasser zu setzen oder wir gingen über die blumenduftige Wiese nach Herzfelde, und vertheilten unter unsere Schützlinge die Lebensmittel, die wir mit den Pferden des Vaters vorher hatten hinschaffen lassen: und wenn dann die dankbaren Empfänger, aus den Erdhütten, die sie sich in ihren Gärten zusammengeschaufelt hatten, herauskamen und sich an das Mädchen drängten, und jedes in seiner Weise der wohlthätigen Spenderin mit frommen Worten Glück und Segen wünschte, und, mit neuem Glauben an die Vorsicht gestärkt, zu dem Aschenhaufen seiner Brandstätte zurückkehrte, da wandelte Johanna an meinem Arme, mit einer Stimmung heim, die von neuem die Wahrheit bestätigte, daß Geben beglückender sey, denn Nehmen.

Am Abende des letzten Tages meines Dortseyns, waren wir wieder in Herzfelde gewesen. Ich hatte ihr früher schon gesagt, daß ich nun wieder in die Stadt müsse, und im Kurzen nach der Residenz zurückzureisen genöthigt sey; daß dieß daher unser letzter Spaziergang wäre, den wir zusammen machten. Sie kam mir – wir Männer sind doch gewaltig eitel – sie kam mir heute Abend ungemein weich gestimmt und in sich gekehrt vor, und diese kleine Anwandlung von Trübsinn, that meinem Herzen unbeschreiblich wohl. Sie äußerte, immer gehofft zu haben, daß ich meinem Aufenthalte noch einige Tage zugeben würde; der Vater habe sich an meine Gesellschaft gewöhnt, so daß er mich recht schmerzlich vermissen werde, und sie entgegnete, als ich ihr versicherte, recht bald wieder zu kommen, und dann hoffentlich länger bleiben zu können, kopfschüttelnd: sie befürchte, daß ich in der geräuschvollen Residenz das stille Leben in Blumenwalde nur zu bald vergessen werde. Sie wendete sich dabei schnell seitwärts, daß ich das Wasser nicht sehen sollte, das ihr in die Augen trat, und in dessen dunkelblauem Crystallgrunde sich das Abendgold der untergehenden Sonne wundersam spiegelte.

Ich erwiederte, von diesen sanften Thränen bis in das Tiefste meiner Seele entzückt, lächelnd, daß, wenn von Vergeßlichkeit die Rede seyn könne, ich diese mehr zu besorgen habe, als mein liebes Blumenwalde; im Kurzen werde mein Freund der Hofrath eintreffen; bei dem günstigen Vorurtheile, das sie schon von ihm habe, bei dem empfehlenden Rufe, in dem er hier allgemein, vielleicht über sein Verdienst, stehe, und bei dem annehmlichen Verhältnisse, in das ihn seine bedeutende Erbschaft gesetzt habe, müße ich mit allem Rechte fürchten, daß mich Blumenwalde mit allen seinen Bewohnern über diesen nur zu bald vergessen werde.

Mit allen? fragte sie leise, und schüttelte, ihre Frage verneinend, das gesenkte Köpfchen. Die Menschen auf dem Lande, setzte sie kaum hörbar und mit einer eigenen Art gereizter Empfindlichkeit hinzu: sind nicht so leicht, so wandelbar, als die in der Residenz; wem wir einmal gut geworden sind, dem bleiben wir es, und können ihn nie vergessen. Die letzten Worte sagte sie, von einem warmen Thränenstrome überwallt, so heimlich, daß sie mehr zu errathen, als zu verstehen waren. Ich ergriff, meiner jetzt nicht länger mächtig, die Gelegenheit des Augenblicks, und gestand ihr, was mir lange auf dem Herzen gelegen. Die Liebe lieh mir die Gewalt ihrer Sprache; ich bekannte ihr den Eindruck, den sie vom ersten Augenblicke unserer Bekanntschaft zwischen den Feuersäulen des brennenden Dorfes auf mich machte; ich erzählte, wie jeder Tag unsers Beisammenseyns diesen wohlthätigen Eindruck immer mehr und mehr verstärkte und meinen Entschluß gereift habe; ich versicherte ihr, daß meine häusliche Lage hinlänglich festgestellt sey, um ihr an meiner Seite ein auskömmliches Leben bieten zu können, und schloß mit der sanften Frage, ob ich auf meinen raschen, von der Kürze der Zeit mir vielleicht zu früh abgewonnenen Antrag, wenigstens die vorläufige Erklärung erwarten dürfe, nicht ganz hoffnunglos zu scheiden.

Wer malt die schöne Johanna, die während dieser gewichtigen, unser beiderseitiges ganzes Lehensglück betreffenden Rede, von meiner Linken umschlungen, ungesehen von der ganzen Welt unter Gottes freiem Himmel, von den milden Stralen der sinkenden Sonne umflossen, mir gegenüber stand. Ihre Rechte zitterte in der meinigen. Anfänglich, von dem herzlichen Ernste meiner Worte überrascht, hatte sie den Blick tief zur Erde geschlagen; dann lös'te sich der Sturm ihrer aufgeregten Empfindungen in ein sanftes Weinen auf. Mild lächelnd hob sie jetzt ihr geistvolles Auge zu den golddurchglühten Wolken, und als das Blaufeuer ihrer Liebessterne den ganzen Lichtglanz des Feuergoldes drüben im Westen gleichsam aufgesogen hatte, warf sie den jungen jungfräulichen Blick der süßesten Gewährung auf mich, legte, von bräutlicher Schamhaftigkeit übergossen, das braune Lockenköpfchen an meine Brust, drückte ihre Rechte auf mein hochklopfendes Herz, hob die Lilienpracht des keuschen Busens, als sei ihr Miederchen, Luft und Welt zu enge, wollte sprechen und konnte nicht, und erwiederte den ersten, den Verlobungskuß, den ich auf die schwellenden Purpurlippen drückte, mit einer Hingebung, welche das süße Gefühl ihrer Gegenliebe [klarer] ausdrückte, als es irgend eine Sprache der Welt vermag.

Den Stein vom Herzen, ward sie die natürliche Ungebundenheit selbst, und über die wenigen Schritte bis zum väterlichen Garten, brachten wir länger als eine halbe Stunde zu; denn wir hatten einander soviel zu erzählen, und zusammen so viel zu kosen und zu küssen, daß es dunkel geworden war, als wir zu Hause anlangten. Hannchen lispelte mir die Bitte zu, mit dem Vater zuerst davon zu reden, heute aber, wo ihr alles zu neu sey, noch nicht davon anzufangen, und entschlüpfte, unter dem Vorwande einer Menge häuslicher Geschäfte, mir unter den Händen. Ich konnte indeß dem Drange meiner Empfindungen nicht widerstehen, sondern sprach gleich mit dem alten biedern Waidmann das ernste Wort meiner Wünsche mit bescheidenem Freimuthe, überraschte ihn mit der Eröffnung, daß sein künftiger Schwiegersohn nicht der vermeintliche Geheimsecretär Straguro, sondern der Hofrath Blum selbst sey, setzte ihm die Gründe aus einander, die mich bestimmt hatten, unter jenem angenommenen Namen hier aufzutreten, bat ihn, seinem Hannchen davon bis jetzt noch keine Kunde zu gehen, weil ich mir so eben, auf dem Gange von Herzfelde hieher, einen andern paßlichen Zeitpunkt dafür ausgesonnen habe, und setzte hinzu, daß mir der Einfall, meinen Namen zu verheimlichen, jetzt um so lieber sey, als ich in der Rolle des Fremden, Bedeutunglosen die Ueberzeugung gewonnen habe, daß sein holdes Kind als ein vom liebenden Herzen, und von keinen andern Nebenrücksichten bestimmt worden sey, mir seine Hand zu geben.

Mit stürmischer Fröhlichkeit umschloß mich der Vater, und konnte den Freudenthränen nicht wehren, die ihm diese Nachrichten aus dem Innersten seines Gemüths in die Augen drängten, entschuldigte, auf seine beschränkte Vermögenslage hindeutend, seinem Kinde auf dem Lebenswege in die Welt nicht viel mehr mitgeben zu können, als dessen gutes Herz und ihre Bildung, und schien die darauf erwiederte Versicherung, daß diese beiden Schätze gerade die Hauptpunkte meiner Wahl wären, und daß die mir von meiner guten Großmutter bereitete Lage, mich der gefährlichen Nothwendigkeit überhoben hätte; mich nach einem reichen Mädchen umsehen zu müssen, beifällig zu hören.

Jetzt trat Hannchen herein, und um das Gespräch auf ein anderes Capitel zu bringen, fragte er sie, wo sie ihre kleinen Schmucksachen hingelegt habe; er hätte sie, in der Voraussetzung, daß sie selbige zum morgenden Balle bei der Generalin anlegen werde, während ihrer Abwesenheit in ihrem Schranke gesucht, um sie Beaten, dem Dienstmädchen, zum Putzen zu gehen; allein sie seyen nirgend zu finden gewesen. Hannchen erwiederte, die gewaltige Verlegenheit, in die sie durch die Frage gerieth, mühsam verbergend, daß sie gar nicht wünschte, die Sachen anzulegen, da Mehreres, so lieb es ihr an sich als Andenken ihrer guten seligen Mutter und der Madame Milborn auch wäre, nicht ganz modisch gefaßt, und das Ganze zur Einfachheit ihres Anzuges nicht recht passend sey. Da hat mir, entgegnete der Vater mit weicher werdender Stimme, und legte segnend die Hand auf des Kindes Lockenkopf: da hat der alte Isaak aus Klarenburg die Sache anders erzählt; bei dem liegt der ganze Schmuck, und Du hast ihn verwandelt in Thränen der Freude und des Dankes.

Mein Vater! unterbrach ihn Hannchen bittend, als wolle sie nicht, daß mir ihr stilles Tugendwalten so verlautbart werde; aber der Vater schloß sie in seine Arme und sagte: so fromm und mild war Deine Mutter auch, und was ihre Linke that, davon sollte ihre Rechte immer nichts wissen! Sieh, wie solche Gutthat Früchte trägt! Der alte Isaak erklärte, daß, seit er von den Leuten in der Stadt erfahren habe, daß Du für die Herzfelder Abgebrannten das geliehene Geld verwendet hättest, es ihm unmöglich sey, einen Pfennig Zinsen zu nehmen, und wenn Du auch erst nach zehn Jahren Dein Pfand wieder einlösest.

Tief ergriffen von dem himmlischen Zuge des lieblichen Kindes, zog ich sie vor den Augen des Vaters an meine Brust, und der Alte legte auch auf mich seine segnende Hand und weihte den Bund, den Liebe, Tugend und Unschuld geschlossen, ohne Wort und Laut; denn Hannchen sollte ja nicht wissen, daß ich bereits mit dem Vater gesprochen.

Daß ich denselben Abend noch, sobald ich in Klarenburg eintraf, den Schmuck vom alten Isaak wieder einlös'te, und mehrere solche Kleinigkeiten nach dem neuesten Geschmack dazu legte, daß ich, im Sinne meiner guten Großmutter, eine siebenzeilige Perlenschnur, einen Leibgürtel mit sieben, fast bis zur Erde reichenden Korallenschnüren, und einen Kamm, auf dem sieben einzeln gefaßte Diamanten das Siebengestirn bildeten, hinzufügte, und daß all diese blitzende Herrlichkeiten den andern Morgen mit einer ganzen Sammlung der elegantesten Ballkleider an den alten Herrn nach Blumenwalde hinaus wanderten, mit der Bitte, meinem holden Hannchen dieß Alles in seinem Namen zu überreichen, und ihr zu sagen, daß ich diesen Nachmittag mit einem Wagen kommen und sie auf den Ball abholen wolle, versteht sich von selbst.

Ich eilte hierauf zur Generalin, die ich die ganze Woche mit keinem Auge wieder gesehen hatte, und die, als meine nächste mütterliche Freundin, die erste seyn sollte, welche von meiner glücklichen Bräutigamschaft erfahre; aber diese hatte den Kopf so voll von den Anstalten zum heutigen Ball, und mit Koch, Conditor, Tafeldecker und Bedienten so viel zu sprechen, zu fragen und anzuordnen, daß ich zu einem traulichen Worte unter vier Augen gar nicht kommen konnte, und mein süßes Geheimniß auf dem Herzen behalten mußte. Doch benutzte ich den Umstand, daß sie, um des lästigen Vorstellens der ankommenden Gäste überhoben zu seyn, den alten Silberkopf, ihren Kammerdiener, ausführlich unterrichtete, die Gäste, bei ihrem Eintritt in den Saal, wie es in den französischen höhern Cirkeln Sitte ist, laut und vernehmlich beim Namen zu nennen, zur Ausführung meines Plans, und versiegelte dem alten Manne mit einem Goldstücke den Mund, daß er ihn halte, bis es Zeit sey. Und als ich nun Abends, an der Seite meiner Johanna, die in ihrem köstlichen Ballstaate, mit ihrer stolzen Figur, mit ihrem edeln Anstande, wie die geborne Königin des Festes aussah, in den hocherleuchteten Saal trat, rief mein alter ehrlicher Kammerdiener, der von mir erhaltenen Anweisung gemäß, laut und vernehmlich in die bunte Gesellschaft: Der Herr Hofrath Blum mit seiner Braut, Demoiselle Johanna Wilmar! und vom Orchester herab ertönte, auf Anordnung des alten sinnigen Weißkopfs, der Schall von Trompeten und Pauken, und der überraschte Kreis staunte mit lauter Bewunderung die schöne Johanna an, die von der unerwarteten Verlautbarung ihres heiligen Geheimnisses, das sie nur bei sich und mir aufbewahret glaubte, und von der Entdeckung des vielbesagten Herrn Hofraths in meiner Wenigkeit bis in das Innerste erbebt, ihrer kaum mehr mächtig, sich gegen die Versammlung verbeugte, und vom dunkelsten Karmine der bräutlichen Verwirrung übergossen, der mütterlichen Freundin, der Generalin, fast besinnunglos in die Arme sank.

Robert rief diese in freundlicher Rührung, und küßte mein süßes Hannchen in das Leben zurück: wie unnennbar glücklich machst Du mich durch diese Wahl! Du verschönerst mir, durch Hannchens Einführung als deine Braut, meinen Ball zum Feste, meinen Saal zum Brauttempel, den Abend zu einem unvergeßlichen für mein ganzes Leben. Sie wollte im Ergusse ihrer mir unbeschreiblich wohlthuenden Freude noch mehr sagen; aber von allen Seiten drängten sich Hannchens Gespielinnen und Jugendfreundinnen heran, und brachten ihr die Versicherungen ihrer Theilnahme und ihre Wünsche; und mich umkreisete eine Menge Herren und älterer Frauen, die mich als Enkel ihrer Freundin, der Madame Milborn, und als Sohn ihrer vertrauten Jugendbekanntin, meiner seligen Mutter, mit reiner Herzlichkeit bewillkommten, und mir zu Hannchens Wahl Glück wünschten. Desselbigen gleichen that auch mein kleiner Steuer-Revisor Zwicker, der mich breit abschmatzte, und mir zugleich im Vertrauen steckte, daß er mir sein Tinchen im Geheimen zugedacht habe; da ich indessen sehe, fuhr er fröhlich fort: daß sich unser guter Herr Hofrath anderweit eingelassen hat, so habe ich diesen Augenblick dort drüben dem jungen Blaufrack mit den gelben Knöpfen, dem Hofrath Wachtel, einem reichen Hecht, der mir um des Mädels Willen schon ein Jahr lang um den Bart geht, die Tine zugesagt. Wachtelchen, rief er dem feinen Manne zu: kommen Sie her, unser Blümchen blüht für eine andere; haben von ihm nichts mehr zu fürchten! Seyd beide Bräutigam, müßt Euch näher kennen lernen; küßt Euch Kinder, seyd gute Freunde und damit Basta! Ich wollte über den kleinen Stehauf, der heute in seinem meergrünen seidenen Kleide, einen Degen mit porzellanenem Gefäße an der Seite, und die dicken Butterfässer von Waden in vergilbten Strümpfen gar possirlich aussah, lachen, aber – er war ja in jener Schreckensnacht, unter Donner und Blitz, mit in Herzfelde gewesen, und hatte dort seine Schlauchmeisterpflicht redlich und treulich erfüllt, und das Menschenelend nach Kräften mit lindern geholfen; das fiel mir ein, und ich konnte nun über die komische Außenseite des kleinen Vitzliputzli nicht mehr lachen, sondern drückte ihm und seinen neuen Schwiegersohn herzlich die Hand. Ich wollte noch ein langes mit ihm verkehren, aber da kam die niedliche Florentine mit dem Grünrock angeflogen, gratulirte mir zu Hannchens Besitz, und stellte mir den grünen Freund als ihren seit gestern Abend verlobten Bräutigam vor, und so vermittelte sich denn binnen wenigen Minuten, daß Lottchen Sandler, Adele von Strahlenthal, Prokofjewna Tschimadunow und Bürgermeisters Julchen, kurz alle sechs Mädchen meines Siebengestirns, theils förmlich verlobt, theils unter Zustimmung ihrer Ältern so gut als versprochen waren. Um dem Festabende daher seine volle Würze zu geben, und die kleine Last des freudigen Schrecks (unter der mein armes Hannchen vorhin fast erlegen wäre, als ich sie der ganzen Gesellschaft als Braut vorstellte, da sie es selber noch nicht einmal recht wußte,) unter die Uebrigen zu vertheilen, damit sie leichter trage, stellte ich mich mitten in den Saal, bat die Gesellschaft um geneigtes Gehör, und erklärte ihr nun, während oben das Orchester sich schon zur Begleitung bereit hielt, daß wir hier zusammen gekommen wären, nicht um eine, sondern um sieben Verlobungen zu feiern. Jetzt las ich die sieben Paare, deren Namen ich mir aufgezeichnet hatte, zum lauten Jubel sämmtlicher Gäste, mit heller Stimme ab, und während auf ein gegebenes Zeichen oben Trompeten und Pauken drei Mal durch einander schmetterten und wirbelten, daß man sein eigenes Wort nicht hören konnte, lag unten die ganze Gesellschaft einander in den Armen; denn sie waren Alle durch die sieben jungen Paare einander näher oder entfernter verwandt geworden, sie waren alle eine Familie. Jetzt die Braut-Polonaise! rief ich nach dem Orchester hinauf, denn ich befürchtete, erdrückt zu werden; alle sechs Mädchen kamen, jede mit ihrem Bräutigam und ihren Ältern, Tanten und Oheimen, und küßten, herzten und umhalseten mich, daß ich schier meinte, es wäre mein Letztes. Als ich aber die Polonaise ordnen wollte, um die sieben Paare voran tanzen zu lassen, trat Vater Wilmar in den Saal, rief daß ihn die Freude nicht länger zu Hause gelassen habe, daher er der gastlichen Einladung gefolgt und, Podagra und allen Schmerz vergessend, gekommen sey, diesen Festabend mit uns zu feiern. Ein tumultuarisches Halloh des jungen Kreises hieß ihn unter uns willkommen. Hannchen ging ihm entgegen und klagte ihm die entsetzliche Verlegenheit, in die ich sie gesetzt hatte, versicherte hoch und theuer, daß sie an dem Allen wahrhaftig nicht Schuld sey, und – noch nicht Ja gesagt habe. Nun so sag' jetzt Ja, Hannchen, erwiederte der Alte fröhlich: wenn Du sonst gegen unsern Herrn Hofrath nichts zu erinnern hast; wir zwei Beide sind darüber schon seit gestern Abend mit einander im Reinen.

Also hast Du, Väterchen, an dem schelmischen Anschlage Theil genommen? rief Hannchen in einem Gemische von scherzhafter Unbefangenheit und freudiger Rührung: ich bin durch Euch wie verrathen und verkauft. Du hast gewußt, daß der gefährliche Mensch unter fremden Namen in unser Haus kommt? Ich sollte schmollen, ich sollte böse seyn; ach und ich kann nicht, denn ich habe ihn – ihr brach die Stimme, sie schmiegte sich lächelnd an den Vater und sagte leise – entsetzlich lieb.

Die Braut-Polonaise, die Braut-Polonaise! erscholl es von allen Seiten, und die Mutter Generalin bat den Vater Oberforstmeister um den Tanz, und vom Orchester herab ertönte mit vollstimmiger Musik der prächtige Polentanz, und an der Spitze des langen Festzuges schwebte Johanna an meiner Seite durch den Saal, hold und schön, wie ein Liebesengel aus höheren Welten, und die älteren, nicht mittanzenden Herren und Damen drängten sich heran, um das liebreizende Kind in seiner bräutlichen Herrlichkeit zu schauen, und Alles beugte sich, als sie vorüber tanzte, vor ihr, dem Zauber ihrer Anmuth huldigend, und der kleine dicke Zwicker bückte sich so tief, daß ihm der heute absonderlich von Puder und Pomade strotzende Merleton vorn über schoß, und ihm zwischen den gelblichen Wangen baumelte. Johanna selbst aber, die Allgewalt ihrer Reize nicht ahnend, und über das Vorgegangene immer noch nicht recht zu sich selbst gekommen, vermeinte, gar nicht mehr auf Erden zu seyn. Es ist mir, sagte sie, und in der Azur-Bläue ihres seelenvollen Auges lag eine himmlische Verklärung: als schwebte ich zwischen den lichteren Räumen der rosigsten Traum-Welt, als wollte mir die lauterste Freude die überselige Brust von einander sprengen.

Kaum war der köstliche Tanz geendet, so stürmten die sechs Bräutigame heran, und bathen Hannchen um Cottillons, Françaisen und Walzer, daß ich fast in Versuchung kam, den Eheherrn zu spielen, und die Tanzlustige vor dem Zuviel zu warnen. Doch die Generalin winkte mir, ihr zu folgen, und führte mich in ein stilles, entferntes Gemach, wo sie mich zweien ältlichen Herrn vorstellte. Der eine war der Ober-Pupillen-Rath, der Vollzieher des von meiner guten Großmutter hinterlassenen Testaments, der andere der Vorsteher des Armenwesens. Es mag vielleicht Unrecht seyn, Robert, daß ich Dich in der Freude störe, hob die Generalin an: aber – nenne es Neugierde, Vorgefühl, Ahnung, wie Du willst, – Du weißt von der versiegelten Bestimmung unserer seligen Milborn, die in meinen Händen ist. Der Augenblick, daß wir das Blatt eröffnen dürfen, ist da, Du hast deine Verlobung uns angekündigt; die beiden Herren, in deren Gegenwart die Eröffnung geschehen soll, sind auch da. Willst Du also, so thue mir den Gefallen und laß uns zum Werke schreiten.

Wohl war mir der gegenwärtige Zeitpunkt nicht recht passend; nicht, weil ich ein Mißbehagen fürchtete, wenn die Einkünfte der ausgesetzten Summe mir darum entgingen, daß meine Wahl von den Wünschen meiner Großmutter abwichen; denn durch Hannchens Besitz war ich ja für dieß Alles tausendfach entschädigt; sondern weil der Wechsel aus dem lustigen Ballsaal in das stille Zimmer, aus den Armen der Liebe in die des Todes, doch auch gar zu grell war; doch – die Generalin wünschte es, und ich mochte und konnte mich nicht weigern.

Nachdem daher der Pupillen-Rath sich und uns von der Unverletztheit des Siegels überzeugt hatte, erbrach er dasselbe, erkannte mit uns die Unterschrift der Verstorbenen für richtig, und begann die letztwillige Verfügung der Erblasserin, wie folget, zu verlesen. Blos weil der Inhalt von dem, wie ihn Freund Sandler, der wohl lauten aber nicht zusammenschlagen gehört, erzählt hatte, in etwas abwich, und um der Großmutter Sonderbarkeiten aus ihrer Schreibart kennen zu lernen, setze ich ihn wörtlich her:

Die in meinem Testamente §. 65 erwähnten, bei der Bank belegten 50,000 Thlr. kündigt mein Enkel Robert, hebt sie und verwendet sie zu milden Zwecken nach eigenem Gutdünken. Heirathet er aber die, welche mir unter den Mädchen meiner Bekanntschaft am beßten gefällt, weil sie die hübscheste von allen, und ein frommes, anstelliges, wohl unterrichtetes Kind ist, das von dem zeitlichen Vermögen, was ihrem Gatten, meinem Enkel Robert, aus meiner Hinterlassenschaft zufällt, für die Armuth gewiß einen weisen Gebrauch machen wird, so soll mein Enkel Robert das Capital jener 50,000 Thlr. bei der Bank stehen lassen und die Zinsen davon sollen ihm und seiner Frau, so lange eins von beiden lebt, zu Gute kommen; sind aber beide mit Tode abgegangen, dann soll dieß Capital der Armen-Casse zu Klarenburg verfallen seyn auf ewige Zeiten. Das Mädchen, daß ich meine, heißt, wie meine selige Tochter, Hannchen, und ist das einzige Kind des Forstmeisters Wilmar zu Blumenwalde. Und Beide sollen fröhliche Tage mit einander haben, und lange leben auf Erden: denn es sind beides gute Kinder, die ihren Ältern Freude gemacht, und für fremde Leiden Gefühl haben; darum gebe ich ihnen gern Mittel in die Hände, die Noth ihrer Mitmenschen zu lindern, wo sie wissen und können, und die gute Saat, die sie ausstreuen, wird grünen und Früchte tragen, und diese sollen mir lieber seyn, als alle steinerne Denksäulen, die ich mir höflichst verbitte.

Sie hat Hannchen gewählt! rief ich freudig bewegt, und umschloß die Generalin mit kindlicher Liebe, und eilte in den Saal zurück, und holte den Vater und das Mädchen, und ließ sie beide mein Glück wissen, das Mädchen gewählt zu haben, das mir gleichsam bestimmt war. Hannchen sprach mit tiefer Rührung: ist mir es doch gewesen, als fehle mir noch zu meiner Seligkeit der Segen aus der Welt der Verklärten, unter denen mein Mütterchen wandelt! Nun ich jetzt aus jenem Friedensreiche den Willen des höheren Geschickes vernehme, ist auch der letzte meiner Wünsche erfüllt; denn was drüben über den Gräbern im Lande der Liebe und der Einigkeit, das Eine will, das muß ja auch das Andere wollen, und darum wird es mir zur Überzeugung, was mir als Ahnung vor der Seele schwebte, daß, wenn meine Mutter noch lebte, sie segnend meine Hand in die meines Roberts legen würde, und darum wird unser Leben hienieder, mein einziger Robert, ein fröhlicher Gang auf immer frischen Blumen seyn. Was aber jene Summe betrifft, die uns durch den glücklichen Zufall der übereinstimmenden Wahl zu Theil wird, so lege ich meinem Robert hier vor seinen, seiner verehrten Großmutter und meinen nächsten Freunden die erste Bitte an das Herz. Das Unglück in Herzfelde führte uns zusammen; sollte den armen Abgebrannten jene Nacht, aus der uns der Morgen unserer glücklichen Liebe heraufdämmerte, der Anfangspunkt ihrer lebenslänglichen Verarmung bleiben? Sollen sie, während wir jenen Morgen, als den ersten unseres Glückes segnen, ihn als den ersten ihres Unglücks, aus der Reihe der Tage verwünschen? Mein Robert hat für den Wiederaufbau ihrer Wohnungen mit edler Freigebigkeit gesorgt; aber es fehlt zu dem Übrigen ihrer Bedürfnisse noch so viel, und wird noch lange so viel fehlen, das – Du begegnest meinen Gedanken, rief ich, sie unterbrechend, und wir erklärten nun feierlich vor den drei alten Herren und der Generalin, daß wir auf die Einkünfte jener Summe förmlich verzichteten, daß vor Allem die Abgebrannten in Herzfelde darauf die nächsten Ansprüche haben, und daß, wenn diese mit der Zeit befriedigt, nur milde öffentliche Zwecke damit erreicht werden sollten. Die würdige Generalin bat uns nun, in die Gesellschaft zurückzukommen, und wir genossen die Freude des seltenen Abends mit der Seligkeit, die nur dann ganz ungetrübt ist, wenn das Bewußtseyn, die Noth des Bruders nicht vergessen zu haben, uns das Herz erwärmt. Mein himmlisches Hannchen – die andern sechs Bräute waren hübsch, bildhübsch, manche gar schön und unter den übrigen Klarenburger Holdinnen, fanden sich wahrhaft mehrere, die der sachkundige Maler oder Bildner, sich gern zum Modell würde gewählt haben, aber – mein engelschönes Hannchen war doch die allerallerschönste; der funkelnde Schmuck in dem braunen Ringelhaar, der matte Schmelz der siebenfachen Perlenschnur auf dem blendenden Alpenschnee des jungfräulichen Busens, der brennendrothe Korallengürtel um die jugendliche, schlanke Hüfte, die sieben langen Korallenschnüre und die dicken Korallenquasten unten an den Enden der Schnüre, die das wunderniedliche Füßchen zierlich umspielten, und die Anmuth ihres Tanzes, die herzige Fröhlichkeit ihres Gemüths, die rosige Glut in den blauen funkelnden Liebes-Sternen, und die Würze der süssen Küsse dieser frischen Purpurlippen! Nur wer die Wonne des Brautlebens kennt, wird das Entzücken, ein solches liebreizendes Kind sein nennen zu können – wird dir Feier eines solchen Brautabends zu ermessen vermögen!

Nach Jahresfrist holte ich meine kleine Frau Hofräthin in die Residenz ab, und als wir durch Herzfelde fuhren, standen schon alle die Brandstellen wieder mit freundlichen Häusern bebauet, und über der Thüre eines jeden hingen, als sey es Johannistag, uns zu Ehren, frische Blumenkränze; alle Bewohner hatten sich zum wehmüthigen Abschiede festlich angethan, umstellten den Wagen, reichten ihre Hände hinein und dankten und segneten uns, und weineten laut; denn sie verloren ihren wohlthätigen Schutzgeist, ihr angebetetes Hannchen, aus ihrer Nähe.

Hannchen aber lag, als wir das Dörfchen im Rücken hatten, von der einfachen Herzlichkeit ihrer Schützlinge tief gerührt, an meinem Herzen und lispelte, das blaue Auge gen Himmel gerichtet und die kleinen Hände vor der Brust wie zum Gebete gefaltet: Laß uns, mein Robert, gut seyn immerdar, damit uns, wenn wir einst aus diesem Leben scheiden, wie ich jetzt aus dem Vaterhause, solche Thränen, solche Segnungen folgen mögen in das ewige Jenseit!


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