H. Clauren
Die Großmutter
H. Clauren

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Ich erhob mich, ohne die kühlende Labung anzurühren, schnell vom Stuhle, und stützte mich die übrigen Gäste im Rücken, auf die Lehne, damit Keins sahe, wie mir bei der einfachen Standrede der jungen Wirthin das Wasser in die Augen trat. Der Gedanke, hier auf meinem großmütterlichen Erbe zu stehn, und der Anblick aller Bewohner des Dörfchens in Trauer um die edle Matrone, ergriffen mich wunderbar. Nie in meinem Leben hier gewesen, kam ich mir wie in meiner Heimath vor; von Jugend auf ohne Bruder und Schwester, waren alle Menschen hier mit ihrem einfachen Trauerschmuck die nächsten Glieder meiner Familie; ich hätte mich in meinen wehmüthigen Ansichten, die sich mir jetzt wohlthuend aufdrängten, noch mehr vertiefen können, wenn die Anwesenheit der städtischen Gäste nicht störend auf mich eingewirkt hätte. Zufällig blickte ich einmal hinterwärts auf den Kreis, der zu dem kleinen dicken Manne gehörte; sie steckten eben die Köpfe zusammen, fuhren, als ich mich umsah, rasch auseinander, und von der einen Dame, die ich für die Mutter der übrigen jüngern hielt, und die mich in ihrem Auge festhielt, hörte ich deutlich die Worte: ich wette er ist es. Jetzt konnte ich um keinen Preis wieder hinsehen; die angebotene Wette hatte offenbar mir gegolten, und ich vermuthete, daß ich mit Jemand, den sie für mich hielten, eine auffallende Aehnlichkeit hatte. In demselben Augenblicke erwiederte Papa: das wollen wir bald herauskriegen, stand auf, wackelte, seine brennende holländische Bohnenstange im Munde, über den Fahrweg, und steuerte auf meinen Kutscher zu.

So ernst und feierlich mir in diesem Augenblicke zu Muthe war, ich mußte über die Seitenbewegung doch beinahe laut lachen, die der kleine dicke Kugelrund machte, um meinen rechten Flügel zu umgehen, und von meinem ehrlichen Postknecht nähere Erkundigungen über meine Wenigkeit einzuziehen. Aus dem Mienenspiel des Letztern drüben über der Straße ließ sich aber deutlich entnehmen, daß dieser den gewünschten Bescheid zu geben außer Stande war; der Neugierige machte also ungesäumt Kehrt, und watschelte, eine dampfende Qualmwolke vor sich her, gerade auf meine Wenigkeit herüber. Eine komischere Mißgestalt hatte ich fast nie gesehen. Der Kopf nahm ein Fünftel von der ganzen Figur ein, das Gesicht glich einem dunkelglühenden Vollmond; die Mundwinkel stießen an beide ansehnliche Ohren; accurat so breit war die platt gedrückte Taback-Nase; das Haar voll Puder und Pomade verlor sich hinten in einem, vor zwanzig Jahren einmal Mode gewesenen Merleton; die Augen hätte vielleicht selbst Franz Fontana mit seinem erfundenen Mikroskop kaum entdeckt; dazu stack die kleine Schmeerbauchfigur in einem springerartig gearbeiteten Frack von aschgrau- und weißstreifig seidenem Zeuche; Beinkleider und Weste, von der Tagesschwüle hie und da verschiedentlich durchschwitzt waren von weißseidenem Piqué, und die unmerklich geschweiften Strampelchen stolzirten in einem Paar steifen, spiegelblank gewichsten Butterfässern, an denen große silberne Sporen blitzten.

Um Verzeihung, krächzte er mir mit freundlichem Lächeln entgegen: Ew. Gnaden kommen aus der Residenz?

Ich bejahte durch eine höfliche Verbeugung und knip die Kinnladen auf einander, um dem Possirlichen nicht in das meilenbreite Gesicht zu lachen.

Ew. Gnaden haben wohl nicht einen jungen Herrn überholt, der auch aus der Residenz kömmt, in jedem Fall auch mit Extrapost reis't, und bei uns stündlich erwartet wird.

Ich drückte, unter einer zweiten artigen Verbeugung, bloß ein kurzes Nein ab; denn am Ende war der junge Herr, auf den er mit seiner werthen Familie stündlich wartete, kein anderer, als ich selber. Herr Sandler hatte mir ja schon heute Mittag erzählt, welche Anstalten zum Empfang bei meiner Ankunft in Klarenburg getroffen worden waren. Wahrscheinlich berechnete der kleine Dickkopf, daß ich nach dem Namen und der nähern Personbeschreibung des Erwarteten fragen solle; aber ich hütete mich wohl, dieß Gespräch weiter fortzuführen, und glaubte, dasselbe mit meinem kurzen Nein abgebrochen zu haben. Doch der Neugierige, der, wie ich merkte, lange schon eine Unterhaltung mit mir anzuknüpfen sich bemüht hatte, ließ nicht locker, und erzählte, daß dieß schon der dritte Tag dieser Woche sey, wo sie Abends hier heraus nach Herzfelde gefahren wären, um den Erben der Madame Milborn, von dem eben die Wirthin gesprochen habe, zu empfangen; dieß sey der Hofrath Blum, den sie gleichsam als ein Mitglied ihrer Familie betrachteten, weil sie mit der seligen Madame Milborn genau befreundet, und was man sage, ein Herz und eine Seele gewesen wären. Sie kennen vielleicht, fuhr er in seiner Manier schalkhaft fort, und lächelte dazu so feichsend, daß die beiden kleinen Guckäugelein gänzlich verschwanden: unsern guten Herrn Hofrath, und können uns dann vermuthlich über die Zeit seines Eintreffens nähere Nachricht geben?

Verleugnen durfte ich mich nicht, denn da ich morgen in der Stadt als mein Mandatarius auftreten wollte, wäre es auffallend gewesen, wenn ich heute hätte thun wollen, als wäre mir der Herr Hofrath Blum ein wildfremder Mensch. Ich bekannte mich also zu dem Glücke, den belobten Herrn nicht allein persönlich zu kennen, sondern auch zu seinen nähern Freunden zu gehören, und fügte hinzu, daß er, wenn Alles sich nach seiner Berechnung füge, in Kurzem hier einzutreffen gedenke.

Der kleine streifige Grauweißling duckte sich, nahm einen Ansatz wie ein Frosch, der über einen Graben wegspringen will, und mit einem Ruck rutschte er, während seine holländische Lanze in hundert Stücke zersplitterte, unter dem Geländer herein, packte mich bei beiden Händen, versicherte mir sein Entzücken, einen so nahen Freund des Herrn Hofrath kennen zu lernen, stellte mich als solchen seiner Familie am Nachbartische vor, drang in mich, sich zu ihnen zu setzen, holte selbst meine Kaltschale auf seinen Tisch herüber, rief Dinchen, wie er eine seiner Töchter nannte zu, mir vorzulegen, stellte sich mir als den Geheimen Viehsteuerrevisor Zwicker vor, erzählte in einem ununterbrechbaren Redefluß von allem Guten, was er sammt Frau und Kindern der seligen Madame Milborn zu danken habe, und lud mich ein, für die Dauer meines Aufenthaltes in Klarenburg mit seiner Wohnung vorlieb zu nehmen und sein Haus als das meinige anzusehen.

Ich verbat alle diese, mir wie im Fluge der ängstlichsten Hastigkeit hingeworfenen Artigkeiten, die mir, von Sandler einmal scheu gemacht, mehr aus Spekulation, als aus Herzlichkeit angeboten zu werden schienen, höchlich; aber Papa Zwicker kreischte: Ich vergäbe es mir ja in meinem ganzen Leben nicht, wenn ich Sie, den ersten Freund unsers lieben Hofraths, wo anders wohnen ließe! Die alte Milborn – ich brauche mich dessen nicht zu schämen, ich war, als ich in den Dienst trat, und bei uns eine kleine Accisevisitatorstelle bekam, ein miserables Pauvrettchen; selbst später, als Thorinspector hatte ich mit eilf lebendigen Kindern nicht viel zu brocken und zu beißen, denn der Gehalt war knapp, und von unsern Klarenburger Kaufleuten auf eine andere Weise etwas los zu kriegen war ein Kunststück, denn das sind geriebene Kunden, die den untern Beamten nicht fürchten, weil sie die obern in der Tasche haben; aber kaum erfuhr die alte Milborn von der geklemmten Lage meines starken Hausstandes, als alle Wochen, Jahr aus Jahr ein, ein Wagen mit Victualien kam; das Schulgeld und die Kosten des Privatunterrichts für alle meine Kinder übernahm sie, und zu Weihnachten wurden die Rangen, vom ältesten bis zum jüngsten, mit Kleidung und andern Bedürfnissen ausstaffirt, wie die ersten in der Stadt. Den Schlauchmeisterposten bey unserer großen Rathsspritze habe ich ihrer Verwendung allein zu verdanken; es ist zwar ein beschwerliches Amt, denn ich muß, wenn Feuer auskommt, bei Tag oder Nacht fort, und das Commando über unser Spritzenvolk verlangt eine gute Brust; allein die 100 Thaler Fixum dabei sind auch mitzunehmen, und da ich bei jeder ausbrechenden Feuersbrunst, wenn meine Spritze nicht die letzte ist, aus der Kämmereicasse extra 20 Thaler erhalte, so ist das, besonders in der neuern Zeit, wo, Gott sey Dank, über Mangel an Brandschäden nicht zu klagen, ein recht hübscher Zuschuß. Seit ich meinen gegenwärtigen auskömmlichen Revisorposten habe, fiel zwar die frühere Unterstützung von Seiten der guten Madame Milborn weg, aber zur Weihnachtzeit, da konnte es die Alte nicht lassen, da mußte immer jedes ein Andenken von ihr haben. Absonderlich hatte sie an unserm Bernhardinchen da, den Narren gefressen; seit drei Jahren mußte die von Zeit zu Zeit allemal eine ganze Woche bei ihr bleiben, und hatte dort wahre Göttertage. Was ihr Herz nur wünschte, hatte sie vollauf, und die Lehrer, die ihr die Alte hielt, kosteten dieser einen schönen Thaler Geld; nun, es ist nicht weggeworfen gewesen, und ich kann es dem Mädchen in das Gesicht sagen, daß sie den Mann, den ihr einmal der liebe Gott bestimmt hat, nicht unglücklich machen wird. Hören Sie, amice, hob er vertraulicher an, rutschte mit einem Satze von seinem Stuhle herunter, und gab mir einen Wink, ihm ein wenig bei Seite zu folgen: ich muß Ihnen nur gestehen, daß die Alte mit unserm Dinel in puncto puncti ganz specifische Pläne zu haben schien, sagen Sie mir, unter uns, Freund, ist Blumchen vielleicht schon verplempert?

Sie meinen, hob ich verlegen an.

Ich meine nichts, fuhr er leiser sprechend fort: ich sage nur, daß, wenn unser Hofräthchen in der Residenz oder anderwärts nicht schon sein Theil hat, ich Ihnen die Versicherung geben kann, daß es die Alte noch im Grabe erfreuen wird, wenn er – na, Sie sind sein Freund, sein alter Bekannter; Sie sollen unser Dinchen näher kennen lernen und Sie werden sagen, daß unser Blümchen, figürlich zu reden, gewiß grünen und blühen werde, wenn wir es an den Stock anbinden. Ich weiß, es sind mehrere bei uns in der Stadt, die auch solche Gedanken hegen; aber wer zuerst kommt, mahlt am ersten. Darum, sehen Sie, sitze ich hier in Herzfelde alle Tage, wie angenagelt, und warte bis er angesegelt kömmt, und hat er erst einmal Dinchen gesehen, so denke ich wohl, sollen ihm die andern nicht mehr gefallen. Er muß bei uns logiren; wir legen gleich, verstehen Sie, aus purer heller Dankbarkeit gegen die alte Großmutter, Beschlag auf ihn; die Andern sollen alle vor Aerger die Crepance kriegen; während die warten bis er hinkommt und Visite macht und sich vorstellen läßt, hat ihn hier schon der pfiffige Geheime Viehsteuerrevisor Zwicker an allen vier Zipfeln.

Also Bernhardine!

Darum wechselte das Mädchen die Farbe, als das Gespräch auf den Hofrath Blum kam; darum war sie so verlegen und einsylbig, darum zitterte sie, als sie mir, auf Befehl des Vaters, die Kaltschale vorlegte; darum schweppte der Teller über, den sie, in der Befangenheit des Herzens, nicht gerade halten konnte!

Häßlich konnte man das Mädchen nicht nennen; den etwas großen Mund, ein Erbstück des Papa's, abgerechnet, hatte sie etwas recht Geistreiches in ihren Zügen, und die mädchenhafte Verwirrung, deren Ursache ich mir erst jetzt entzifferte, stand ihr recht leidlich; – aber wenn sie auch bei näherer Bekanntschaft mir noch interessanter ward – der Vater! – das geheime Vieh ließ mich nicht zur Besinnung kommen; er wendete sich wieder nach dem Tische zurück, an dem seine Familie saß, und ich gewahrte unangenehm überrascht, daß, während unserer Abwesenheit, der Rest der in der Schüssel gelassenen Kaltschale, wahrscheinlich vom jüngern Theil der ehrenwerthen Zwickerschen Familie rein aufgezehrt war.

Der Zug von genäschiger Hungrigkeit, von dreister und heimlicher Zudringlichkeit verstimmte mich, und ich dankte meinem Schöpfer, daß eben der Postknecht kam, und mich bat, wieder einzusteigen, damit er nicht wegen zu langen Ausbleibens vom Postamte Verdruß bekomme. Zwicker brach mit der kleinen Hälfte seines Jungviehes, das er ausgetrieben hatte, gleichfalls auf: er wollte, daß Dinchen sich zu mir in den Wagen setzen solle, um den Kutscher Straße und Haus zu zeigen, ja er ward äußerst empfindlich, als ich mich gegen seine zudringliche Einladung mit Händen und Füßen stemmte. Er warf in einigen starken Worten Bernhardinen ihre unbehülfliche Maulfaulheit vor, daß sie seine Bitten bei mir ihrerseits nicht unterstütze, und wollte verzweifeln, als das Mädchen, zu meiner großen Freude, selbst durch einen unzarten Ribbenstoß, es nicht über sich bringen konnte, den Mund zu öffnen, sondern bloß einem bittenden Blicke das stumme Gesuch anvertraute, in des Vaters Wünsche einzugehen, und mit ihrer Behausung vorlieb zu nehmen. Endlich stand er, als ich ihn bei Seite nahm und ihn darauf aufmerksam machte, daß er ja die Idee habe, unserm Freunde Blum seine Wohnung anzubieten, daß dieser vielleicht in einigen Tagen kommen könne, und daß es ihm dann an Platz fehlen würde, um beide zu beherbergen, davon ab, mich mit seiner Gastfreundlichkeit weiter zu quälen, und empfahl mir, da er sah, daß ich in meinem Plane, in einem Gasthause abzusteigen, unerschütterlich war, und ich ihn nach dem Beßten in Klarenburg fragte, den goldenen Ochsen. Ich entgegnete ihm zwar, daß mir der Postknecht den blauen Engel vorgeschlagen, aber er beharrte, höchlich entrüstet über den Engelwirth, der alle Kutscher der ganzen Umgegend in seinem Solde, und mit ihnen einen förmlichen Vertrag abgeschlossen habe, ihm jeden Reisenden von Bedeutung zuzuführen, auf seinen goldenen Ochsen, und meinte, daß dieß Gasthaus ihm das nächste sey, daß ich von da nur einige Schritte zu ihm habe, daß er alle Abende dort sein Fläschchen trinke, und daß ich da bei reputirlichen Leuten aufgehoben sey, wogegen er im blauen Engel schon um der Wirthstochter, einer unausstehlichen Prise, willen, vor der er jeden jungen Fremden freundlichst warnen müsse, für keinen Preis wohnen würde.

Mitten in dieser etwas heftigen Rede blinzelte er Bernhardinen einige Mal zu, und machte dabei Handbewegungen, als wolle er ihr zu verstehen geben, daß sie doch zulangen und einstecken solle. Anfänglich verstand ihn das Mädchen nicht, oder wollte ihn nicht verstehen; als er ihr aber seinen heimlichen Aerger in einigen bösen Blicken, die ihm wie Giftblitze aus den kleinen Augen schossen, kund gab, langte sie nach den auf ihrem Tische übrig gebliebenen Stücken Zucker und Kuchen und einigen gelben Pflaumen, und steckte sie, während er sich dicht neben sie stellte, und ihr mit seiner breiten Figur die Seiten deckte, damit der Aufwärter oder die Frau vom Hause die unschickliche Handlung nicht bemerken solle, in die Maroquintasche zu dem darin befindlichen Strickzeug. Er mußte mir den Unmuth auf dem Gesichte lesen, der mich bei der Scene überwallte; denn er belobte lächelnd Dinchens Wirthlichkeit und meinte, daß es für eine künftige gute Hausfrau ein Hauptgrundsatz sey, nichts umkommen zu lassen, und daß die alte reiche Milborn, die auf diese Weise aus Pfennigen Thaler zu machen verstanden, im Stande gewesen wäre, einen halb verbrauchten weggeworfenen Fidibus von der Erde aufzuheben, um sich einen Bogen Papier zu ersparen, wenn Jemand in der Gesellschaft sich eine Pfeife anzünden wollen.

Ich hatte erst freien Athem wieder, als ich in meinen Wagen saß.

Bernhardine ward gestrichen; und wenn sie alle Annehmlichkeiten der Welt gehabt hätte, das heimliche Einstecken – ich konnte das fatale Bild nicht aus der Seele bringen. Sie hatte es zwar auf Befehl des Vaters gethan; aber sie hätte es nicht thun sollen, nicht thun müssen. Ich wäre nie im Stande gewesen, Vertrauen zu dem Mädchen zu haben; die Gewalt, die jetzt der Vater über sie hatte, konnten künftig Eitelkeit, Intriguensucht oder andere noch schlimmere Eigenheiten über ihren Verstand und ihre Grundsätze ausüben; sie hätte mich am Ende selber in den Sack gesteckt. Hatte wirklich meine gute Großmutter die Absicht einer nähern Verbindung mit ihr gehegt, so hatte sie das im Vaterhause falsch geleitete Mädchen gewiß nicht genau gekannt. Sünde war es nicht, was sie begangen hatte, das fühlte ich wohl, denn die genommenen Sachen waren alle bezahlt; Unrecht war es auch nicht; Geiz auch nicht, denn die Lappalien waren keine zwei Groschen werth; aber Unzartheit war es. und grade dieß war in meinen Augen bei einem Mädchen ein Fehler, der mir um so unerträglicher ward, je mehr ich ihn mit allen seinen möglichen Folgen weiter ausmalte, und dann – der Schwiegerpapa, der Geheime Revisor! wie würde sich der in das freundliche Herzfelde und in das ganze Milbornsche Erbe mit seiner dummdreisten Zudringlichkeit ordentlich systematisch eingefressen haben! Nein, Dinchen ward gestrichen.

Stadtlieutenants Lotte hatte bereits früher ihren Abschied bekommen; Adele, der Zungenschläger, Stumpfnäschen Prokofjewna, Julchen, der Fernblender, alle hatten für mich schon nach der Beschreibung, nicht das geringste Anziehende; das waren also schon fünf, mit denen ich fertig war. Die beiden letzten von den belobten sieben Wundern der Klarenburger Mädchenwelt lernte ich hoffentlich gar nicht kennen; denn wenigstens nahm ich mir fest vor, mich bei keinem Menschen nach ihnen zu erkundigen.

Fahre, rief ich dem Kutscher zu, als wollte ich machen bald hinzukommen, um desto eher das mich jetzt beängstigende Klarenburg hinter mir zu haben: fahr zu, daß wir noch, ehe es ganz finster wird, den goldenen Ochsen in seiner ganzen Herrlichkeit sehen.

In den goldenen Ochsen wollen Sie? fragte der Postknecht verwundert: da bringe ich, wenn ich Ordinaire fahre, zu Marktzeiten höchstens ein Paar böhmische Zwirnhändler hin; aber etwas Reputirliches ist dort noch nicht eingekehrt. Solch ein schmucker Herr, wie Sie – ich glaube, die Leute in der ganzen Straße wiesen mit Fingern auf mich, wenn ich den vor dem goldenen Ochsen absetzte. Das ganze Ding ist nichts, als eine kleine, elendige Bierkneipe, und wenn ein Dutzend alte Herren, die des Abends dort Solo oder Schafkopf dreschen, nicht wäre, der Wirth hätte längst seinen Ochsen zwischen die Beine nehmen und damit in den Schuldthurm reiten müssen. Nein, da lob ich mir den blauen Engel! da steigen Grafen [und] Fürsten ab, und was das Menschenherz nur wünscht, Alles ist gleich da, auf den Pfiff. Das muß man dem alten Weinlich lassen, den Rummel versteht er, und wodurch sein Haus jetzt erst recht in den Flor gekommen ist, das ist seine Tochter. Das Ding, – nu, ich habe es noch ungeboren gekannt, das ist Ihnen jetzt herangewachsen wie ein Licht. Schöner ist keins in ganz Klarenburg; sie fahren meilenweit um, bloß um des Engelwirths Florentinchen zu sehen, und Sie – Sie wollen im goldenen Ochsen –?

Nun, so fahr in den Engel, rief ich halb unwillig, und ärgerte mich, zwischen zwei Spitzbuben zu stehen. Zwicker – er hatte, wie ich später übersah, triftigere Gründe gehabt, mich in seinen Ochsen zu spinden – empfahl mir seinen Bierfreund, um diesen verbindlich zu machen, und der Postknecht kirrte mich in den Engel, bloß um das ihm vom Wirthe für jeden ihm zugeführten Gast verheißenen Trinkgeldes nicht verlustig zu gehen. So wird der Mensch durch die Nebenabsichten Anderer oft zu Handlungen verleitet, über die er sich selbst keine Rechenschaft geben kann.

Als wir in die Straße bogen, in welcher das gepriesene Gasthaus lag, blies der Postknecht, als erriethe er mein Selbstgespräch über der Menschen unredliches Treiben, das Liedchen: üb' immer Treu' und Redlichkeit, bis an dein kühles Grab, und in der Bosheit sang ich heimlich dazu:

Mein blauer Engel, aufgepaßt,
Der Postknecht pries dein Haus,
Und bittet für den neuen Gast
Sein Trinkgeld sich jetzt aus.

Der in Holz geschnitzte Seraph über dem Thorwege bog sich, vom blendenden Glanze zwei großer Reverberen, zu deutsch Lichtscheinwerfer, hochbeleuchtet, einen fliegenden Bandstreifen, auf dem sein Name in großen goldenen Buchstaben zu lesen, in der Hand, und eine lange Trompete mit der er die Redlichkeit-Hymne des Kutschers zu begleiten schien, am Munde, einladend zu mir herab, und ein zweiter wahrhaft blauer Engel, ein blondgelocktes Himmelskind, in einem zartblauen, einfachen Hauskleide, stand, eine brennende Wachskerze auf silbernem Leuchter in der Linken, in der Mitte zweier, mit reichen Armleuchtern versehenen Kellner auf der Treppe, und empfing mich mit freundlichem Anstande. Sie brauchte keinen Bandstreif mit goldenen Buchstaben, wie ihr hölzerner Bruder draußen über dem Thorwege, denn ohne etwas Schriftliches vor sich zu haben, mußte doch jeder, der ihr in die sanftschmachtenden Augen sah, der die volle, frische Jugendgestalt betrachtete und das geistvolle Lächeln des Willkommens in diesem blühenden Gesichtchen gewahrte, daß dieß fröhliche Bild der Unschuld und des Liebreizes die anmuthige Florentine war, die den blau angestrichenen Trompeter über dem Thorwege, zu Nutz und Frommen der väterlichen Casse, in seinen Flor gebracht und die Leute meilenweit herbeigezogen hatte, wie der wasserblaue Strudel die größten Kauffahrteischiffe des Oceans.

Nicht wie einen Fremden, wie einen alten, lang erwarteten Bekannten empfing mich die schöne Florentine mit mädchenhafter Bescheidenheit, beklagte mich theilnehmend über den heißen Tag, den ich zu ertragen gehabt, und fragte, ob mir, da sie sich eben zum Abendessen gesetzt, vielleicht gefällig sey, mit ihnen zu speisen.

Ueberrascht von der feinen Artigkeit des niedlichen Kindes, sagte ich, indem ich ihr den Arm bot, um mit ihr zum Speisezimmer zu gehen, in einer sonderbaren Verwirrung, eine Menge schöner Sachen, deren fade Leerheit ich fühlte, sobald sie über die Lippen waren; denn das geistreiche Mädchen beantwortete sie mit einem Stillschweigen, als wolle sie sagen, daß sie das Alles von andern schon viel besser und viel feiner gehört habe.

Papa und Mama Weinlich erhoben sich von ihren Sitzen und bewillkommten mich mit Gastlichkeit, und Florentinens Blicke auf den Tafeldecker hatte ich das Glück zu danken, mein Gedeck neben ihnen zu bekommen.

Mir verging Essen und Trinken, denn ich saß neben Florentinen; sie legte mir selbst vor, sie führte, während die Aeltern mit einigen andern anwesenden Gästen sprachen, die Unterhaltung; wußte durch ihre Manier und durch ihre Lebendigkeit den gleichgültigsten Dingen einen hohen Werth zu geben, und ward, je länger sie sprach, immer schöner und reizender. Die blendend weiße Hand, die zarte Röthe, die sich nach und nach immer mehr über die Lilienwangen ergoß, die Grazie jeder ihrer Bewegungen, das goldige Haar, das in der reichen Beleuchtung der Gasttafel wie weiche Seide erglänzte, das in einem Meere der süßesten Liebe schwimmende große Auge – Gott, wenn ich in den goldenen Ochsen gefahren wäre!

Wir waren, ich weiß selbst nicht wie, auf das Residenzleben gekommen; ich schilderte ihr – die Liebe hat die wohleingerichtetsten Schnellposten – sollte und mußte, nach der Großmutter Willen, ein Mädchen aus Klarenburg als Frau Hofräthin Blum an meiner Seite in die Residenz zurückfahren, so war es, das sagte ich mir in dem Augenblicke zwar noch nicht klar, aber das Vorgefühl dieser Seligkeit überwallte mich, daß sich mir das Blut siedendheiß über das Herz ergoß, – so war es keine andere, als Florentine; denn im ersten Augenblicke so in Feuer und Flammen war ich mir in meinem Leben noch nicht vorgekommen – also ich schilderte ihr, ohne einmal selbst recht zu wissen, warum, unsere Residenz mit so zauberischen Farben, daß ich glaubte, sie werde sie gegen ihr Klarenburg für ein halbes Paradies ansehen; allein, sie gab weniger darauf, als ich gemeint und gewünscht hatte, und sprach dagegen dem Leben auf dem Lande bey weitem den Vorzug zu. Ich entgegnete ihr scherzend, daß sie das Landleben wahrscheinlich nur aus Büchern kenne, und daß das Ding in der Wirklichkeit ganz anders aussehe, als in den Köpfen der Romanschreiber; doch sie schüttelte, ernster werdend, das Madonnenköpfchen, und meinte, sie hätte die glücklichsten Tage ihres Lebens auf dem Lande zugebracht; eine sehr liebenswürdige Frau, Madame Milborn – fuhr sie fort, und wollte weiter sprechen, allein der Schmerz, diese mütterliche Freundin vor kaum 6 Monaten verloren zu haben, drückte ihr Thränen in die Augen, und ich hatte meine Sechste!

Richtig, sie gehörte nach dem, was sie, sobald sie sich wieder gesammelt hatte, von ihrem Leben im Hause meiner Großmutter erzählte, zu dem bewußten Siebengestirn, und plauderte nun von den herrlichen Tagen, die sie dort genossen, mit solcher Herzlichkeit, daß ich, ergriffen von dem rührenden Gemälde, welches Florentine von der Seelengüte der Hingegangenen machte, das Glas in die Hand nahm, und ohne an meine Rolle zu denken, an das ihrige stieß, und mit frommen Worten bat: dem Andenken der Madame Milborn! Kannten Sie Madame Milb – wollte sie fragen, aber das Wort blieb ihr auf der Zunge; denn ihr mochte der Gedanke durch die Seele fliegen, daß ich am Ende der Hofrath Blum sey, von dessen baldiger Ankunft sie gewiß eben so gut gehört hatte, als die ganze übrige Stadt.

Bloß dem Namen nach, fiel ich ihr möglichst unbefangen in das Wort: sie hat bei uns einen Enkel, und der ist einer meiner beßten Freunde.

Sie meinen den Hofrath Blum? versetzte sie, wie es schien, sehr angenehm überrascht, und wendete sich mit einem Gesichtchen, auf dem sich die gespannteste Neugierde verlautbarte, zu mir, und fragte, was das für ein Menschenkind sey, wie alt, von welchem Aeußern, von welchem Charakter u. s. w. mit solchem Interesse, daß ich oft mitten in der Rede zum Wasserglase greifen mußte, um das Lachen zu unterdrücken.

Man sagt, fing sie an, und es war ihr anzuhören, das sie lange darüber gesonnen, die Frage so sein zu drehn, daß man den Weg nicht merken solle, den sie sich jetzt ins Holz zu bahnen Willens sey: man sagt, er werde bald herkommen und seine Frau mitbringen.

Seine Frau? sagte ich lachend – da klingelte es draußen, ein Kellner rief zur Thür herein: Eine Extrapost! Florentine sprang, mit einem Gesichte, als sey ihr die Unterbrechung des Gesprächs gerade jetzt sehr ungelegen, von ihrem Sitze auf, und eilte zum Zimmer hinaus.

Wie schlau doch die Mädchen sind. Das blaue Engelkind, ein kleiner Kick in die Welt von kaum siebenzehn Jahren, wirft mir da, bloß um über meine Herzensangelegenheiten ein Näheres zu erforschen, die Frage in das Blaue, ob ich verheirathet sey. Bei den vorangegangenen hiesigen Verhandlungen über meine Wenigkeit, von der sie überdieß im großmütterlichen Hause gewiß noch ein Näheres gehört hatte, wußte sie bestimmt, daß ich nicht verheirathet war, und doch fragte sie darnach, um, wenn ich, was sie voraussetzen konnte, verneinte, die zweite Frage darauf zu setzen, ob ich wenigstens nicht schon versprochen – indeß dieser heimliche Ideengang im goldenen Blondköpfchen gab mir die wohlthuende Ueberzeugung, daß es ihr nicht gleichgiltig war, ob mein Herz noch frey sey, oder nicht, und auf diese baute sich meine Eitelkeit ein recht niedliches Kartenhäuschen, in dem unter vielen andern Bequemlichkeiten meines künftigen Lebens, die ich mir da an der Seite dieses blauen Zauberbildes dachte, die Brautkammer nicht fehlte.

Jetzt ward mir auch klar, warum mein geheimes Steuervieh mir den Weg nach der Engelsburg hatte verrennen wollen. Sah ich Florentinen, so dachte ich – das hätte das Männchen in seinem dicken Merleton auf dem breiten Buckel richtig berechnet, – an Zwickers Dinchen mit keiner Sylbe mehr.

Aber, wo blieb das Mädchen so lange? Eine Extrapost, hatte der Kellner gesagt, war gekommen: Florentine hatte dasselbe Licht genommen, was sie gehabt hatte, als sie mich empfing. Bestimmt empfing sie den neuen Fremden eben so freundlich, als mich: nicht alle sind so bescheiden als ich. Eine Wirthstochter muß sich von der Rohheit der Reisenden Manches gefallen lassen – der Stuhl fing unter mir zu brennen an – mit unverwandtem Blick hing ich an der Thüre. Der Kellner brachte die vierte Schüssel unsers Nachtessens. Florentine kam immer nicht. Ein Gefühl, wie ich es in meinem Leben noch nicht gekannt hatte, zuckte mir krampfhaft durch die Brust; ich konnte keinen Bissen essen, der Wein schmeckte mir gallenbitter.

Jetzt ging die Thür auf. Florent – Nein, sie war es noch immer nicht; der Tafeldecker war es, sechs kleine Teller mit Zuckerwerk und Früchten, zum Nachtisch gehörig, in den Händen.

Die Unruhe – wie ein böses Fieber trieb es mich vom Stuhl auf, ich konnte nicht länger sitzen bleiben; meiner selbst unbewußt, eilte ich nach der Thür. Da kam Florentine, das Licht ausgelöscht in der Hand, meinte, daß ich aufgestanden wäre, um mich zur Ruhe zu begeben, und knüpfte mit der Bemerkung, daß es für uns noch manches zu plaudern gäbe, und nachdem sie dem Vater in das Ohr geraunt hatte, es wären zwei Engländer gekommen, denen sie das Zimmer Nr. 7. angewiesen habe, den Faden des vorhin abgerissenen Gespräches gleich wieder am abgerißenen Ende an, indem sie, sich mit mir wieder an den Tisch setzend, sagte: also nicht verheirathet? nun dann ist er doch wenigstens, sagt man uns hier, schon so gut als verlobt, oder ist auf dem Weg dazu; denn, setzte sie hinzu: einen jungen Mann mit solch einer Erbschaft lassen die Residenzmädchen gewiß nicht aus dem Garne.

Ich wollte, in Bezug auf meine eben erwachte leidenschaftliche Neigung zu ihr, mir den Scherz machen, und ihr zu verstehen gehen, daß, so viel ich wüßte, mein Freund Blum ganz kürzlich erst den Entschluß gefaßt hätte, sein Herz einem höchst liebenswürdigen Mädchen zu Füßen zu legen, aber – das ausgelöschte Licht, die Nachricht. daß sie zwei Engländern ein Zimmer angewiesen habe, die verdächtige Numer dieses Zimmers, ihr langes Ausbleiben, das Gewicht, das sie auf die Erbschaft legte, und – täuschte ich mich nicht, so war vorhin ihr Haar in weit zierlicheren Flechten geordnet, als jetzt, und das eine Kämmchen hing in den Locken auf der mir zugewandten Seite des Kopfes nur noch mit der Hälfte seiner Zähne.

Die Frühlingsaat, die auf dem Neulande meiner Liebe vorhin so eben erst aufgesproßt war, sie bekam den ersten Hagelschauer, und wenn auch die Sonnenblicke der blauen Feueraugen den eisigen Reif bald wieder wegschmolzen, die zarten Keime waren doch unwiederbringlich verloren.

Ich war in der Betrachtung meines vom Maifroste vernichteten Waizenfeldes so vertieft, daß ich, ohne auf ihre Aeußerungen über die schlauen Residenzschönen zu antworten, dem Grolle der Eifersucht nicht wehren konnte, und mit verhaltener Bosheit bat, ihren Kamm doch wieder festzustecken, damit sie ihn nicht verliere; auch, fuhr ich fort, und freute mich des Giftes, daß mir dabei das Herz warm übersprudelte; auch werden Sie Ihre Locken und Flechten wieder ein wenig in Ordnung bringen müssen. Es stand Ihnen, so wie es vorhin war, gar zu hübsch setzte ich erschrocken hinzu, um die Wermuthpille durch eine Art von Schmeichelei zu versilbern, denn der Unwille über meine Bemerkung röthete sichtbar ihre Wange.

Es sind nicht Alle so artig, als die jungen Herren aus unserer Residenz, entgegnete sie, Locken und Kamm ordnend, und schlug durch diese Antwort zwei böse Schmeisfliegen, meine Zweifel an ihrer Sittsamkeit und meine eitle eigensüchtige Besorgniß, daß sie mich über die beiden Engländer habe vergessen können, mit einer Klatsche mausetodt. Aber Sie wollten mir ja vom Hofrath –

Die beiden Engländer waren unartig? fragte ich für einen Fremden viel zu heftig, und meinen Antheil an dem Mädchen viel zu sehr verrathend.

Sie kennen ja diese Herren, die sich einbilden, daß ihnen für ihre Guineen in Deutschland Alles erlaubt sey, entgegnete sie, über den eben mit ihnen gehabten Auftritt noch aufgeregt: doch, fuhr sie, von dem berührten, ihr unangenehmen Gegenstande absichtlich abweichend, fort: Sie wollten mir ja vom Hofrath –

Ein Glück, daß der nicht hier ist, sagte ich bedeutend: sähe er das z. B., und liebte Sie, er schösse heute Abend noch die beiden unausstehlichen Engländer über den Haufen.

So eifersüchtig ist der? fragte sie beifällig lachend: ach das ist allerliebst; ohne Eifersucht ist keine Liebe, und versteht eine Frau die Kunst, ihren Mann durch diese Leidenschaft immer im Schach zu erhalten, so wird ihr Spiel mit jedem Zuge interessanter.

Der König aber am Ende matt, erwiederte ich, und erstarrte über das Spitzchen des Pferdefußes, das der kleine allerliebste Teufel mit seinen Höllensysteme mir gezeigt hatte. –

Verstehen Sie mich nicht falsch, versetzte Florentine, die Bitterkeit meiner Worte wohl fühlend: matt muß sie ihn nicht machen. Es ist eine alte Bemerkung, daß uns die Sicherheit unseres Glückes im Genusse desselben am Ende abstumpft. So ist es z. B. mit unserer herrlichen Gegend hier. Wir, die wir wissen, daß wir darin leben und sterben, achten sie bei weitem nicht so hoch, als die welche nur auf eine Zeit lang herkommen, und sie mit dem Gefühle besuchen, sie bald wieder verlassen zu müssen. Ein Mann, der es weiß, daß er auf seine Frau felsenfest bauen kann, der nie fürchtet, daß sie einem Andern eben so gut werden kann, als ihm, wird endlich gegen das Glück eines solchen Besitzes gleichgiltig; der Besitzer eines Landgutes ist, selbst in der bewegtesten Zeit, ruhiger, als der Besitzer von baarem Gelde, weil er weiß, daß jenes ihm kein Mensch in der Welt nehmen kann, während dieß eine angreifliche Waare für Jedermann ist. Den Geldkasten verwahrt Letzterer in seinem festesten Zimmer mit Riegeln und Schlössern, und schläft darum manche Nacht nicht, und gewinnt eben durch die Sorge, die ihm diese klingende Waare macht, sie um so lieber; der Gutsbesitzer läßt aber die Grenzen seines Besitzthums überall offen, weil er völlig sicher ist, daß ihm sein Gut Niemand wegtragen kann; ich weiß nicht ob ich mich Ihnen ganz deutlich mache –

Vollkommen, erwiederte ich, und fühlte wie mir über diese verdammte Sophisterei der Angstschweiß aus allen Poren brach; nur, setzte ich hinzu, um ihr die gottesvergessenen Ansichten über das Glück der Ehe zu verweisen, und sie, wo möglich, zu bekehren: nur paßt Ihre Vergleichung des klingenden Geldes mit einer hübschen jungen Frau nicht ganz! das Geld ist eine Münze für Jedermann, die Frau aber – die Legirung und das Gepräge des schönen Geschlechtes sind viel feiner, und würden darum schneller abgegriffen werden, als Münzen unseres Schrotes und Korns – die Frau aber soll ein Schau-, ein Cabinetstück seyn, nur für den Mann.

Wer hat Ihnen denn das weiß gemacht? fragte die mir immer gefährlicher werdende Florentine mit einem Schelmblicke, als gewähre ihr die Unterhaltung über dieß Capitel nur Spaß, und als werfe sie mir ihre Parodieen nur hin, um ihre eigenen Begriffe über den wichtigen Gegenstand aufzuhellen. Die Frauen gehören so gut in die Welt, als die Männer. Man verlangt von uns Gemeinsinn, Patriotismus; beides kann aber ohne Liebe zum Gemeinwesen, zum Vaterlande nicht gedacht werden: wenn jedoch diese beiden Tugenden Wurzel fassen sollen, muß in dem Herzen der Frau neben dem Platz für den Mann noch Platz für die einzelnen Glieder des Vaterlandes seyn; Ihr Frauen-Ideal hingegen soll mit der ganzen Liebe seines Herzens einzig und allein und durchaus ausschließlich dem Gatten gehören; vor den Augen Ihrer Frau mag die ganze Welt untergehen, wenn nur die Handbreit übrig bleibt, auf der Sie mit ihr leben können! Ist das nicht ein wenig zu egoistisch? zu eigen, zu herrensüchtig?

Eine Extrapost! rief wieder der Kellner in das Speisezimmer, und Florentine, scheinbar unwillig, in der Unterhaltung nochmals unterbrochen zu werden, eilte, nachdem sie mir einen freundlichen Blick und die Versicherung, gleich wieder da zu seyn, zugeworfen hatte, zum Empfang des neuen Fremden auf den Vorsaal.

Ich hatte schon die Spitze meines rechten Zeigefingers genetzt, um aus dem Verzeichnisse der bewußten Sieben auch Florentinen, als die Sechste, zu streichen; aber der eben erhaltene Blick! Was können nicht ein Paar Mädchen-Augen, und solche Augen! Ich setzte wieder ab, und meinte bei mir im Stillen, während ich aus geheimen Aerger über die dumme Einrichtung, daß die schöne Florentine das Amt des Willkommens über sich hatte, eine Menge Knackmandeln zermalmte, daß das Mädchen an der Seite eines vernünftigen Mannes, und aus den Gasthof-Umgebungen herausgerissen, von ihren heillosen Grundsätzen doch noch geheilt werden könne. Sie blieb wieder über die Gebühr aus. – Das ganze Ding war noch ein halbes Kind, ihr Herz jedes Eindruckes fähig, und bei so unvorsichtigen Aeltern, die von der Gefahr der Verführung der sie das Mädchen dadurch, daß sie es mit dem Empfange der Ankommenden beauftragt hatten, offenbar aussetzten, auf dem geraden Wege, verloren zu gehen. War der Entschluß reif, der mir, ohne daß ich es selbst recht wußte, halb dunkel vor der Seele schwebte – keine Stunde durfte sie in dem Hause bleiben; in der stillsten Eingezogenheit müßte sie vom Kreise der Frauenpflichten gediegnere Ansichten gewinnen, und bei ihrem klaren Verstande hielt es gewiß nicht schwer, sie – aber sie blieb wieder entsetzlich lange aus. Hatte das Unglück wieder ein Paar zugreifliche Nebelinsulaner hergeführt? – Ich wollte – die Angst übergoß mich, wie mit heißem Wasser – ich wollte aufstehen, sehen, wo sie bliebe; aber vorhin war ich schon gegangen, und wieder umgekehrt, als sie kam; die Aeltern und alle Gäste mußten also bemerkt haben, daß ich nichts, als sie, gewollt hätte, – was mußten sie von uns denken, wenn ich jetzt wieder ausstand, und mich wieder setzte, wenn sie zurückkam!

Ein Husaren-Major trat herein. Florentine von seinem Arm umschlungen! Beide lachten und scherzten mit einander. Sie bat mich, ein wenig zuzurücken, und ließ für den Major ein Gedeck neben ihren Platz legen; sie setzte sich mit ihm neben mich, wendete mir den Rücken, und plauderte nun mit ihm unter einem Lachen und Kosen, und that nicht, als ob ich in der Welt wäre.

Ich machte meinen Finger wieder naß und – löschte sie aus.

Aber ich hatte ihn in mein Herzblut getaucht; denn ich fühlte den scharfen Stich in der linken Brust, aus meinen rosenfarbenen Träumen so schmerzlich geweckt zu werden.

Beide schienen alte Bekannte zu seyn. Sie sprach von dem letzten Balle in einem benachbarten Bade; er nannte sie die Königin jenes Tages und machte ihr die zärtlichsten Vorwürfe, daß er nicht mehr als drei Tänze von ihr habe erhalten können, er erzählte, wie sich, wegen eines Mißverständnisses über das Engagement zum dritten Cotillon ein Referendarius mit seinem Adjutanten habe schlagen wollen, wie der ganze Saal über diesen Auftritt sey entzückt gewesen, wie die andern Mädchen vor Neid und Aerger hätten platzen wollen, und verrückte ihr das eitle Köpfchen immer mehr.

Ich konnte nicht länger aushalten; ich stand auf und wollte zu Bette. Unwillkührlich fiel mein Blick auf Florentinen. Nein, sie war doch zu schön! Ich sah zwar nur die Kehrseite; aber eine edlere, reizendere Gestalt konnte es nicht geben; der volle, blendendweiße Nacken, die Alabasterachseln, der Schwanenhals, die feine Röthe der Wangen, die Pracht des goldigen Lockenköpfchens! ich drückte die Augen zu, um das Bild für die Nacht in der Seele zu behalten, um im Traume mit ihm zu schwelgen.


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