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2

Wenige Tage vor dem Auszuge Ewald Wiskottens aus der Zintersschen Wohnung war es gewesen, als Gretchen Zinters die Treppe zur Mansarde hinaufstieg, klopfte und aufklinkte. Sie trug einen Brief in der Hand, der sie sehr zu interessieren schien. Ewald Wiskotten saß am Tisch, den er unter das schräg abfallende Fenster gerückt hatte, und quälte sich mit einer Kompositionsarbeit.

»Gretchen! Kommst du auch mal wieder?«

»Hier is ene Brief. Kuck doch mal, wat da drin steht!«

»Leg nur hin!«

»Biste denn nich neugierig? Ene Handschrift wie gestochen. Der is von vornehme Leut.«

»Was von außen kommt, ist mir gleichgültig. Es muß von innen kommen.«

»Dat soll nu wieder so jet heißen. Ich bin mehr für et Äußerliche. Da weiß mer doch wie un wo. Mit em Innerlichen kann mer de Menschen schöne blaue Dunst vormachen.«

»Hab' ich das getan, Gretchen?«

»Du bist eso e langweilige Pitter. Dat hat doch jar keinen Zweck, wenn wir alle beid' Trübsal blasen. Ich darf dat ja auch jar nich. Dat leidt't der Vatter nich wegen et Geschäft.«

»Aber dich ein bißchen um mich kümmern, das hättst du doch gekonnt. Wochenlang seh' ich dich nicht.«

Sie verzog die Lippe. »Ich hab' nix davon. Und 's Theater spielt nur im Winter.«

»Dafür hab' ich augenblicklich kein Geld«, sagte er und blickte mit finsterem Trotz auf seinen Zeichenbogen.

»Du hast überhaupt nie Geld.«

»Aber hier! Hier!« Er schlug auf das Zeichenbrett. »Das wird was. Jetzt hab' ich's gepackt. Geh nur zu deinen Freunden, lauf nur mit ihnen ins Theater, lach mich nur aus! Eines Tages wird dir das Weinen kommen, weil du nicht an mich geglaubt hast.«

Sie wiegte sich in den schlanken Hüften und glitt, vor sich hinsummend, hinter ihn an den Stuhl. »Wat machste denn, Jung'?« Und sie schmiegte ihren Körper an seinen Arm und streckte den Kopf vor, daß Wange neben Wange lag.

Er rührte sich nicht. Er fühlte nur, wie ein heißer Strom ihn durchflutete, wie sein Atem langsamer, schwerer und lauter ging und seine Wangen zu brennen begannen. Sie streichelte mit den Fingerspitzen sein Haar. »Sag et doch, Ewald.«

Da erklärte er hastig. »Ein Hochzeitszug in Nürnberg. Die Patrizier in reichen Gewändern. Die Bürger wie Fürsten.«

»So'n Kleid, dat ließ' ich mir auch gefallen. Kannste mir keins besorgen?«

»Ich mal's dir ja.«

»Eja, du malst mir jet«, lachte sie an seiner Wange. »Dat weiß ich ja längst.«

»Gretchen!« Er umfaßte sie so heftig, daß der Tisch ins Wanken kam. »Du sollst mich küssen. Hörst du, du sollst! Und ich schaff' dir, was du willst. Nur den Anstoß brauchst du mir zu geben. Siehst du, das da, das macht mir keiner nach. Diese Ausführung, diese Phantasie –« Ihre Nähe berauschte ihn zu Übertreibungen, zu Fanfaren. »Das sind keine Farbenflecken, die das Unvermögen überklecksen, das ist Zeichnung, Reichtum, Verschwendung. Das sind Menschen, die wirklich Kleider anhaben statt den Abhub von der Palette. Darin steckt Erfindungskraft und kein blasses Kopistentum. Gretchen, küß mich!«

»Willste auch den Brief öffnen?«

»Auch den Brief ...« Seine verdursteten jungen Lippen bezwangen ihren Mund. Nichts hörten beide als das Klopfen ihrer Pulse, das Vorwärtsdrängen des Herzschlags. »Laß mich ...« – »Noch nicht!« – »Du tust mir weh ...« – »Du mir auch!« – »Verrückte Jung'!« – »Ach –«

Nun war sie los. Mit beiden Händen strich sie sich das Haar hinter die Ohren. »Mach den Brief auf!«

»Laß den Brief doch Brief sein! Gretchen! Fühl mal – mein Herz ...!«

»Nu mach doch voran! Ich muß in die Wirtschaft.«

Noch einmal lachte er sie an. Mit heißen, siegesfreudigen Knabenaugen. Dann nahm er den Brief, riß das Kuvert auf und las. Er las wie ein Nichtverstehender. Er wandte das Kuvert um und überzeugte sich noch einmal von der Aufschrift. Und wieder las er den Brief. Die Flammen in seinem Gesicht erloschen. Das Nichtverstehen machte jäher Bestürzung Platz. Und seine Züge wurden welk und alt.

»Is et nix – Angenehmes?«

»Nein.«

»Zeig!«

Er knitterte den Brief in der Faust zusammen. Und mit irren Augen blickte er von dem Papierknäuel in seiner Hand auf seine neue Komposition. Die Lippen zogen sich schmerzhaft zusammen. Der Atem verkroch sich.

»Nu zeig doch endlich her!«

Seine Hand öffnete sich, und der Papierknäuel fiel zu Boden. Er sah gar nicht hin. Mochte sie sich bücken und ihn glätten und lesen.

Das Mädchen hob ihn auf und buchstabierte die Worte heraus.

»Da Sie in den ersten beiden Semestern nicht gezeigt haben, daß Sie den Forderungen der Schule gewachsen sind, so bitten wir Sie, Ihr Studium an hiesiger Kunstakademie mit Schluß des Semesters als – beendet – anzusehen – –.«

Das Mädchen blickte ihn starr an.

»Wegen Unfähigkeit – 'raus?«

Um seine Mundwinkel zuckte es. Auflehnung, Trotz, zwischendurch niedergekämpftes Weh der Jugend. Aber sie sah es nicht.

Sie sah nur den mit dürren Worten Verurteilten.

»Nu ist et ganz am End'.«

Er löste die Zähne voneinander. Die Angst überflügelte den Trotz. »Nein!« rang es sich hervor.

»Dat sagt sich so. Aber darauf kann ich nich warten. Ich hab' die Fopperei satt. Wo is denn jetzt deine reiche Familie, dat sie dich aus der Patsche zieht? Nee, ich dank' schön. Zum Vertrauern bin ich auch nich auf der Welt.«

»Gretchen, bleib! Das – das ist doch nur ein Übergang. Nur jetzt mich nicht allein lassen, wo – wo ich jemand nötig habe. Die Akademie – die Akademie kann mir gestohlen werden! Ich brauch' sie nicht! Aber dich brauch' ich jetzt – du – hör ...!«

»Wenn dat der Vatter erfährt, müssen Sie hier räumen. Er is als so nich auf Sie zu sprechen.«

»Weshalb sagst du jetzt ›Sie‹?«

»Wieso denn anders? Dat hat doch nu aufgehört.«

»Gretchen, lauf doch nicht so fort. Sieh mal da! Da ist doch mein neuer Entwurf. Und vorhin, wie du mich geküßt hast, da hab' ich gespürt, daß – daß –«

»Lassen Sie mich vorbei!«

»Gretchen, küß mich doch ...«

»Sie sollen mich nicht anrühren! Immer belogen haben Sie mich. Nix glaub' ich Ihnen mehr. So ene Flausenmacher. Ich lass' mich nich von Ihnen blamieren, und reden Sie mich nich noch einmal an.«

Er starrte sie ganz entgeistert an. Und als lange schon die Tür hinter ihr ins Schloß gefallen war, starrte er noch immer auf denselben Fleck, wo sie gestanden hatte, und er glaubte sie noch immer zu sehen mit dem mitleidslosen Zug naiver Grausamkeit, der die drängende Genußsucht ihrer Jugend stempelte.

Und doch schrie er hinter ihr her, als müßte er sich an ihren Schatten klammern: »Gretchen –!«

Eine Stunde darauf verließ er das Haus. Er ging zu Ernst Kölsch, den er daheim traf.

»Lies mal den Wisch!«

Der Heimatsgenosse überflog das Schreiben und reichte es ihm zurück. »Hab' ich kommen sehen.«

»Und was soll ich tun? Nach Haus? Zu Kreuz kriechen? Eher klopp' ich Steine.«

»Du gehörst auf die Kunstgewerbeschule. Nimm Vernunft an! Dort wirst du einer der ersten werden.«

»So! Was denn? Anstreicher! Zeichenlehrer! Musterzeichner! Wo bleibt da die Kunst?«

»Du gerad' sollst sie dort finden. Das ist ein Gebiet, das aus dem Handwerksmäßigen ins Künstlerische gehoben werden kann. Kommt nur auf das Genie an. Und das hast du.«

»Weiter weißt du nichts?«

»Ist das nicht viel?«

»Neidhämmel seid ihr, Dummköpfe! Ihr versteht mich einfach nicht! Euch geht das Feingefühl ab, weil ihr nur die brutale Farbe kennt und vor den Details blind seid! Ach Gott, was hab' ich denn mit euch noch zu schaffen!«

Bevor der Freund ihn halten konnte, war er fort. Und andern Tags erhielt Ernst Kölsch einen kurzen Brief, in dem ihm Ewald Wiskotten mitteilte, daß er nicht mehr zu den gemeinsamen Mahlzeiten erscheinen würde und ihn bäte, keinen Verkehr mehr mit ihm zu suchen. Er als Handwerker könne von einem Künstler kein Almosen mehr annehmen.

Zwei Tage war Ewald Wiskotten den Rhein entlang geirrt. Er aß nicht und trank nicht. Die paar Mark, die er bei sich trug, hütete er wie ein Geizhals. Wenn das Hungergefühl zu mächtig wurde, rannte er lange Strecken, ohne anzuhalten. Dann wieder lag er dumpf brütend am Rhein, und seine Augen schweiften mit dem breiten Strom, der hinaus wies, hinaus in die Welt. Bis sich ihm ein Schleier vor den Blick zog und der Schleier sich in Tropfen löste, die brennend über seine Wangen liefen und heiß auf seine Hand fielen. Da streckte er sich lang aus im weißen Rheinkies und weinte wild vor sich hin. Um Gretchen. Und wieder um Gretchen. Und dann um seine Kunst – –

Über den Rhein senkten sich tiefe Schatten, die schwerfällig mit den Wellen spielten, bis sie sich in der Umarmung verloren. Das war die Nacht. Nur Raunen und verhaltenes Auflachen stieg noch aus dem Strom. Und fröstelnd zog sich Ewald Wiskotten zusammen. Aber die Stimmen der Nacht, die so brünstig erklangen, zerbrachen sein Denken, lähmten ihn und erfüllten ihn mit Gier, daß er die Lähmung um so wütender empfand. Wie unter einem Albdrucke bäumte er sich auf, griff in die Zweige einer verkrüppelten Weide und horchte erregt über den Strom hinaus. Scheu kroch er am Ufer entlang, glitt aus und spürte die Kälte des Wassers. Gellend schrie er auf. Die Nacht griff nach ihm und der Strom, mit langen schwarzen Polypenarmen, die sich um sein Herz wanden und sein Gehirn. »Mutter!« hatte er geschrien. Dann hatte er festen Boden, und er schnellte sich auf und lief in rasender Flucht querfeldein. Die Schauer der Nacht wie zischende Schlangen um ihn.

Als es tagte, fand er sich in der Nähe der Stadt. Und das Morgenlicht griff um sich und griff in seine Seele und breitete Klarheit aus. Drüben tauchte die Akademie auf. Sein Blick hastete daran vorbei, kehrte zurück, blinzelte und lag dann ruhig auf dem Gebäude.

»Ich muß meine Sachen noch aus der Klasse holen.«

Aber es war noch zu früh. Er ging zum Rhein zurück, setzte sich auf eine Böschung und ließ, die Hände zwischen den Knien, die Beine hinunterhängen. Der Morgen war klar. Keine Schatten krochen mehr über das breit dahinströmende Wasser. »Vor was hab' ich mich denn gefürchtet? Ich bin ja da und die Nacht nicht.« Langsam und müde atmend, aber mit feindseligen Augen blickte er den fernen Wellen wie einem abziehenden Gegner nach.

Die Augendeckel wurden schwer und fielen zu. Ein paarmal zuckte er im Halbschlaf. Die Augen öffneten sich wieder und sahen starr und verwundert geradeaus. Als er sie müde schließen wollte, besann er sich. Er zog die Uhr aus der Tasche. Zehn Uhr.

»Ich muß meine Sachen aus der Klasse holen«, wiederholte er laut. Das gesprochene Wort machte ihn lebendig. Er erhob sich und schlug den Weg zur Stadt ein. Mühsam gehorchten seine Füße.

Schritt für Schritt kam er der Akademie näher. Nun durch das Portal. Der steinerne Korridor hallte heute nicht wider. Darüber grübelte er nach, als er, Stufe für Stufe, die Treppe zu seinem Zeichensaal hinaufstieg. Ach, das war's! Die Füße schlurften. Dann konnte es nicht hallen.

Er öffnete die Tür. Die Kameraden waren bei der Arbeit. Terpentinduft zog ihm in die Nase und stach wunderlich in sein Gehirn. Dinge, die er nicht recht zu erkennen vermochte, kreisten lustig vor seinen Augen, der Boden wurde so wellig und lief ihm unter den Füßen weg. Schwankend hielt sich seine lange Gestalt im Türrahmen.

Wie aus weiter Ferne vernahm er entrüstete Ausrufe, sah er Augen auf sich gerichtet, die ihn durchbohrten, die ihn verspotteten. Er riß sich zusammen und stolzierte mit steifen Knien durch die Reihen zu seinem Platz. Als er sich bücken wollte, um seine Gerätschaften aufzunehmen, hüpfte der Boden unter ihm, daß er das Gleichgewicht verlor und mit der Schulter gegen die Fensterbank stürzte. Schweigend richtete er sich auf. Drohend ging sein Blick in die Runde.

»Der Lange hat seinen Schmerz ersäuft!«

»So en Kümmeltürke!«

»Siehste schon weiße Mäuse?«

Einer reichte ihm die Terpentinflasche. »Hier, drink ens.«

Schallendes Gelächter.

Ewald Wiskotten hob die Hand. Er holte weit aus zum Schlag. Und von der Heftigkeit seiner Bewegung fortgerissen, stürzte er taumelnd vornüber und schlug hart zu Boden ...

Voll Abscheu eilte der korrigierende Professor aus dem Nebenatelier herbei.

»Stehen Sie auf, Wiskotten! Auf der Stelle verlassen Sie den Saal! Sie haben wohl keinen Rest von Scham mehr, daß Sie schon am frühen Morgen betrunken sind.«

Der blieb liegen, mit festgeschlossenen Augen.

»Rufen Sie den Hausmeister!« Der Professor besann sich. »Nein, besser den Arzt. Gleich an der Ecke.«

Ein paar Mitleidige richteten den Gestürzten auf und setzten ihn in den Lehnstuhl des Modells, in dem er zusammensackte. Dann kam der Arzt und untersuchte ihn.

»Betrunken?« sagte er nach einer Weile. »Keine Spur. Im Gegenteil, er ist leider Gottes viel zu nüchtern. Ganz einfach Hunger hat der junge Mann.«

Betroffen blickten sich die Akademieschüler an. Einer holte beschämt sein Butterbrot aus der Tasche. Dem Professor rötete sich die Stirn.

»Lassen Sie doch, bitte, vom Hausmeister warme Milch bringen!«

In wenigen Minuten war sie zur Stelle. Der Arzt beugte sich über den Patienten und ließ ihn trinken. In großen, gierigen Zügen leerte Ewald Wiskotten das Geschirr.

»Hat's gut geschmeckt, junger Freund?«

Er nickte und bemerkte die Versammlung. Ohne ein Wort zu sagen, erhob er sich und wollte zur Tür.

»Sachte, sachte; wohin so eilig? Sie sind in ärztlicher Behandlung.« Der Arzt faßte ihn beim Rockärmel. »Jedenfalls werde ich Sie nach Hause begleiten.«

Der alte Zinters zog die Augenbrauen hoch, als er seinen Mieter in Begleitung des Doktors ins Wirtszimmer treten sah.

»Dat is mich ja wieder en janz neu Trauerspiel. De jung Här is mich zu talentvoll, Herr Doktor. Erst die Miet' schuldig bleiben, darauf als Freiherr von der Akademie entlassen und nu obendrein krank werden. Auf den Luxus bin ich nich einjerichtet.«

»Ihr Mieter ist nicht krank. Nur eine ordentliche Fleischsuppe hat er nötig und einen Tag Ruhe. Das riecht ja ganz gut aus der Küche heraus. Ich werde so lange oben bleiben, bis Sie die Fleischsuppe heraufgeschickt haben.«

Die Anordnungen klangen so selbstverständlich, daß Zinters murrend der Magd den Auftrag erteilte.

»Sons kömmt et in 't Blättchen. Mach als!«

Wohlig dehnte sich Ewald Wiskotten in seinem Bett. Feine neue Lebensstimmen zirpten wie Heimchen in seinem Blut. Er schloß die Augen und schlief traumlos ein ...

Als er erwachte, war es Abend. Er setzte sich aufrecht und grübelte. Ein Modell hatte ihm erzählt, daß es in einem Hause der Ratingerstraße für ein Dachzimmer monatlich acht Mark zahlte. Das würde die rechte Wohnung für ihn sein.

Er kleidete sich an. Draußen huschten leise Schritte vor seiner Tür. »Gretchen – dachte er und horchte. Aber bald polterten schwerere Schritte die Treppe hinauf. Aha! Man hatte den alten Zinters von seinem Erwachen benachrichtigt.

Ohne anzuklopfen trat der Hauswirt ein.

»Wat machen mer nu mit Euch? Miete zahlen mögen Se nich, un Sie adoptieren mag ich nich.«

»Ich werde ziehen, Herr Zinters.«

Der Wirt blickte sich im Zimmer um.

»Schön zugericht' haben Se die Prachtstub', dat muß mer Ihne lasse. Ich kann die Weißbinder herbestellen. Unter zwanzig Mark is dat nich zu machen. Pfandstücke –? Möcht' wissen, wo?«

Ewald Wiskotten war es, als würde er von den Blicken des Mannes nackt ausgezogen. Scham und Zorn zitterten durch seine Glieder. Und machtlos litt er unter der Demütigung.

»Ich werde Ihnen einen Schuldschein schreiben, Herr Zinters. Ich bleib' ja in Düsseldorf. Ich – ich – geh' zur Kunstgewerbeschule.«

»Sie wollen en Schuldschein schreiben? Sehr gütig. Aber Sie erlauben wohl, dat ich dat lieber selber besorge. Ich hab' schon vorgeahnt. Hier unterschreiben Sie mal, dat Sie mir diese Summe für Miete, Reparaturen, Auslagen und Zinsen schulden und für jeden Monat sechs Prozent Verzugszinsen!«

Ewald Wiskotten las den hohen Gesamtbetrag. Wie kam der zusammen? Aber jetzt nur nicht fragen, nur nicht feilschen! Er unterschrieb.

»Ein Jahr werd' ich dat Papierchen bewahren. Nur zur Schonung der verehrten Eltern.«

»Kann ich jetzt ziehen?«

»Ich wüßt' nix, womit Sie mir en herzlicher Vergnügen machen könnten.«

Unter den Augen des Hauswirts packte Ewald Wiskotten hastig seine Sachen in ein großes Bündel, setzte den Hut auf und ging steif die Treppe hinab. In der Ratingerstraße wurde er mit der greisenhaften Witwe eines Taglöhners handelseins. Von den zwei Dachkammern, welche die Alte bewohnte, trat sie ihm die kleinere ab. Außer einem Bettsack, der auf dem Fußboden lag, und zwei Kisten, die Tisch und Stuhl vorstellten, besaß der Raum kein Mobiliar.

Der freundliche Gemüsehändler, der in der Bolkerstraße neben der Zintersschen Likörstube sein Lädchen hatte, fuhr ihm auf der Schiebkarre das Bündel hin. Ewald Wiskotten sah sich noch einmal in der alten Behausung um. Er suchte – –

»Kann ich Fräulein Gretchen adieu sagen?«

»Et Jretchen? Dat is mit dem Franz Stibben aus Neuß in et Thiater. Soll ich ene schöne Jruß sagen?«

»Nicht nötig. Adieu.«

»Bitte um freundliches Gedenken.«

In der Dachstube, in der die Luft dick und dumpf war, öffnete er die Glasluke und ließ den frischen Abendwind, der vom Rhein herüberkam, hindurchwehen. Der fegte auch den Kopf klar. Wenn er das Gesicht durch die Luke zwängte, sah er über die Dächer hinweg bis zur Akademie und über einen Streifen des Rheins. Er packte seine Zeichenutensilien aus, aß heißhungrig Brot und Wurst zum Nachtmahl und fiel müde auf den Bettsack.

Am andern Tage überdachte er ruhig seine Lage. »Durchhalten«, sagte er sich, »nichts unversucht lassen. Weshalb soll ich's zunächst nicht mit der Kunstgewerbeschule versuchen? Die Professoren dort sind ebenso tüchtig. Der Maler Neudörfer hat einen Namen von Klang. Vielleicht kann ich gleich durch kunstgewerbliche Arbeiten verdienen? Und später suche ich eine neue Akademie oder als Privatschüler einen großen Meister auf. Nur nicht so vor die Eltern und die Brüder treten! Ich würd' mein Leben lang darunter leiden. Ich will nicht zum Maler Weert auf die Säuferbank.«

Er dachte an die Briefe seines Bruders Paul, die er unbeantwortet gelassen hatte, und an die vergeblichen Bemühungen des Bruders, ihn zu sprechen. Er hatte ihm nichts zu sagen. Jetzt noch nicht; heute weniger denn je. Erst wenn er die schweren Prüfungen hinter sich hatte und stolz und frei den Kopf heben konnte, wie die zu Hause ihn hoben. Nicht eher. Das war ihm zur fixen Idee geworden, und er bohrte sich immer heftiger hinein. Als er am Sonntag die Stimmen von Ernst und Anna Kölsch vor seiner Tür vernahm, wurde er blaß vor Wut. Hatte man ihn schon wieder ausspioniert? Sollte er sich in seiner Armseligkeit schon wieder nackt zeigen? Damit man es in Barmen herumtrug? Er stieß verächtlich mit dem Fuß nach dem zerschlissenen Bettsack. Hier war sein Revier. Ruhe! – –

Am Montagvormittag ließ er sich im Privatatelier des Professors Neudörfer melden. Er fand einen großen, starken Mann von stillem Wesen, der ihn durch die Gläser seiner Brille freundlich musterte.

»Was führt Sie zu mir?«

»Ich möchte – dem Herrn Professor – meine Zeichnungen vorlegen.«

»Lassen Sie sehen! Haben Sie schon irgendwo eine fachmännische Vorbildung genossen?«

Ewald Wiskotten würgte es in der Kehle. Aber das Bekenntnis mußte heraus.

»Ich war zwei Semester – auf der Kunstakademie.«

»Hier in Düsseldorf?«

»Ja –«

»Und wollen umsatteln?«

»Ich muß.«

»Ah – man hat Ihnen den Rat erteilt, abzugehen?«

»Ja.«

Der Professor strich seinen braunen Bart, unterwärts vom Kinn bis zu den Spitzen. Hinter den Brillengläsern forschten die Augen. »So, so. Na! Ansehen kostet nichts. Zeigen Sie her, was Sie mitgebracht haben!«

Ewald Wiskotten reichte ihm die Mappe.

»Sie zittern ja. Sind Sie krank?«

»Mir fehlt nichts. Nur – ein Lehrer – –«

»Setzen Sie sich.«

Ewald Wiskotten nahm auf einem Schemel neben der Tür Platz und drehte den Hut in der Hand. Der war speckig und abgegriffen. Das hatte er nie bemerkt. In diesem Augenblick sah er jeden Flecken. Er legte den Hut neben den Stuhl und saß still mit gefalteten Händen. Schlimmer konnte es nicht mehr kommen. Wenn der Mann, der da seine Zeichnungen in der Hand hielt, »nein« sagte, so griff er eben nach seinem speckigen Hut und – und –

»Kommen Sie doch mal her, Herr – Wie war der Name?«

»Wiskotten.«

Der Professor sah ihn an.

»Wiskotten? Doch nicht von den Barmer Industriellen?«

»Doch, Herr Professor.«

»Wie kommen Sie denn – Verzeihung – wie kommen Sie denn in diese Verfassung?«

Ewald Wiskotten wurde glühend rot. Sein Blick glitt an seinem abgescheuerten Anzug hinab bis zu den Hosenfransen und den schiefgetretenen Schuhen.

»Sie – dürfen – meine Familie nicht nach mir beurteilen«, stieß er hervor.

Der Professor lachte. »Fällt mir auch im Traume nicht ein. Die Wiskottens würden mir schön auf den Kopf kommen. Aber Sie? Sagen Sie mal, haben Sie etwa – dumme Streiche gemacht?«

»Nein, Herr Professor. Nur, weil ich Künstler werden wollte. Das war nicht Wuppertaler Tradition.«

»Das freut mich. Sonst wären wir von vornherein geschiedene Leute gewesen. Sie erhalten also keinen Zuschuß? Und die Akademiegelder? Wer hat die bezahlt?«

»Der Vater eines Freundes. Aber nun kann ich das nicht mehr annehmen.«

»Sie möchten also bald in die Lage versetzt werden, zu verdienen?«

»Ja, Herr Professor.«

»Ihre Zeichnungen reden von einer auffallend starken Begabung, Herr Wiskotten.«

Ewald Wiskotten brauste es vor den Ohren. Vor seinen Augen drehte sich die Gestalt des Professors in Spiralen. Aus ganz tiefer Brust kam es heraus, stoßweise, in schmerzhaften Pausen, Gefühle wie Lasten, Worte, die sich nicht zu Sätzen finden konnten.

»Sie sagen –? Und von der Akademie? Weggejagt. Und nun doch? Alles nicht wahr? Herr Jesus – –«

»Ruhig! Wie wollen Sie mit solcher Zerfahrenheit etwas leisten? Hier, trinken Sie mal einen Kognak. So! Sie sind ja ganz aus dem Leim, wie mir scheint. Sie müssen mehr auf sich halten.«

»Werd' ich auch, Herr Professor. Man hat mich – nur nicht zur Ruh' kommen lassen. Jetzt, jetzt –«

»Keine Gefühlsergüsse. Die haben nur nach getaner Arbeit Berechtigung. Vorläufig stehen wir erst vor der Arbeit. Ob Sie einmal Bilder malen werden, ist mir fraglich. Aber ein Stilist sind Sie heute schon. Mit den Linien springen Sie prachtvoll um. Diese Ranken aus Wein und Lorbeer, diese Ornamente, die wie kühne Blumen aus der Erde wachsen – als Spitzen über ein samtenes Gewand geworfen: das ist neu und – schön.«

Wie warm diese Stimme machte. Wie warm und still. Nur zuhören, nur auf den Klang dieser Stimme achten – –

»Man merkt, daß Ihre Wiege in der Textilgegend gestanden hat, Herr Wiskotten. Das ist angeborene Liebe, gesteigert durch Originalität.«

Und wenn die Stimme gesagt hätte, er sei im Zuchthaus geboren: nur zuhören, nur sich wohltun lassen von dem Klang –

»Das also gilt es auszubauen. Konzentrieren Sie Ihre Begabung zunächst ganz auf diesen Punkt. Lassen Sie sich nicht von falsch verstandenem Künstlerstolz verführen, abzuspringen. Zeigen Sie Ihre Energie, zeigen Sie, daß Sie ein Mann sind. Dann wird der Künstler nicht dahinten bleiben.«

»Der Künstler – –«, wiederholte Ewald Wiskotten.

»Jawohl, der Künstler! Oder halten Sie mich für einen Handwerker?«

»Herr Professor!«

»Schon gut. Und derselbe Mann, der vor Ihnen steht, wurde in seiner Jugend ebenfalls von der Akademie verwiesen. Sie sehen, es hat mir nichts geschadet. Nur Zielbewußtsein muß man haben statt Sentimentalität. Ein Künstler ist nicht zu unterdrücken. Und Künstler sein, heißt nicht nur Ölfarbe mit Leinwand verbinden; in allem, was froh und schön macht, können Sie's zeigen, und wär's in einem Stückchen Bandmuster. Verstehen Sie das? Und wollen Sie ein Mann sein? Ein Mann und Künstler in eins?«

»Ich will, Herr Professor!«

»Sie haben eine ganz energische Schädelbildung. Strafen Sie Ihren Schöpfer nicht Lügen! Morgen können Sie als mein Schüler eintreten. Pünktlich um acht!«

»Als Ihr –?«

»Als mein Privatschüler. Sie interessieren mich, daher bring' ich Sie nicht mit der ganzen Herde zusammen. Nur sorgen Sie, daß das Interesse nicht erlischt.«

»Herrgott, Herr Professor! Aber ich – ich kann's nicht bezahlen – –?«

»Wenn das Ihre ganze Sorge ist – Sie werden es bald nachholen. Sonst« – er lächelte und strich sich aufs neue seinen Bart – »hat sich der schlechte Lehrmeister den Verlust selbst zuzuschreiben.«

»Ich werde arbeiten«, sagte Ewald Wiskotten und sah aus großen klaren Augen den Lehrer an. Der nickte ihm zu.

»Noch eins. Könnten Sie sich nicht etwas – etwas sauberer anziehen?«

Schweigend sah der junge Mensch zu Boden.

»An Ihre Familie wollen Sie sich nicht wenden?«

»Nein. Noch nicht.«

»Trotzkopf«, dachte der Professor. Aber der Trotz gefiel ihm. Es stak Arbeitsfieber dahinter.

»Wie weit waren Sie auf der Schule?«

»Ich habe das Abiturientenexamen gemacht.«

»Auf einem Gymnasium?«

»Ja.«

»Da haben Sie's weitergebracht als ich. Und meine Jungens möchten ihren Vater nicht ausstechen. Seit zwei Jahren hocken die Bengels auf Obertertia. Diese Pietät macht mich nun doch ängstlich. Würden Sie ihnen Nachhilfestunden geben können? Abends, wenn das Licht fort ist? Sagen wir: einen Taler für beide.«

»Herr Professor, Sie – ich –«

»Soll das ›Ja‹ heißen?«

»Ja!«

»Dann also auf morgen. Ich habe jetzt auch keine Sekunde mehr für Sie frei. Adieu, Herr Wiskotten.«

Draußen blickte Ewald Wiskotten in die Sonne. Er zwang seinen Blick, das Gefunkel auszuhalten; wie ein Kind, das seine Kräfte mißt. Seine Glieder spannten sich, sein Schritt wurde elastisch. Und daheim steckte er den Kopf aus der Dachluke und hielt den Blick fest auf die Kunstakademie gerichtet, und das verlorene Paradies erschien ihm nicht mehr als das einzige, in dem der Baum der Erkenntnis zu finden sei. Die Jugend machte ihr Recht geltend, mit neuen Hoffnungen die Geschehnisse zu überwältigen.

Tagaus, tagein hielt er seine Arbeitsstunden. In einem Nebenraum des Meisterateliers stand sein Zeichentisch, und seine Phantasie, auf ein Ziel gerichtet, regte die Flügel, den Turnierplatz zu erforschen und mit Gebilden zu erfüllen. Das Wort des Lehrers legte ihm Zügel an, wenn er aus der Bahn brechen wollte, und das Wort des Lehrers lenkte seinen Blick auf das Blühen und Sprießen am Wege, wenn er dem Zug der Wolken folgte, die ihn nicht mitnahmen. So lernte er die Nähe erkennen und sie liebgewinnen, und aus den Fernen kehrte er heim und erkannte in der Nähe sein eignes Bild.

Neudörfer hatte ihn am ersten Abend seiner Familie zugeführt. Nach kurzer und freundlicher Begrüßung durch die Frau des Hauses waren ihm die Knaben überliefert worden, aufgeweckte Burschen, die sich unter der Pflichtrute wanden und in die Freiheit ihrer Wünsche strebten. Sie suchten aus dem Hauslehrer einen Spielgenossen zu machen, aber Ewald Wiskotten packte eisern zu und übertrug seine junge Erkenntnis, die er dem Vater seiner Schüler dankte, durch sein lebendiges Beispiel auf die staunenden Knaben. Und alle Gärten, die er verriegelt hatte, schloß er wieder auf und lehrte die jungen Seelen das Geheimnis des Familienstolzes, der nicht nachgäbe, bis er in ebenbürtigen Leistungen sich den Namen der Altvorderen erworben hätte, um ihn weiterzutragen wie ein vorwärtsdringendes Wappenzeichen. Da horchten die Knaben mit leuchtenden Augen den ritterlichen Verkündigungen, steckten, wenn der Lehrer auf die Bücher wies, die Zeigefinger in die Ohren und memorierten mit heißen Köpfen.

»Weshalb reisen Sie nie zu Ihrer Familie?« fragten sie einmal.

»Ich muß erst eine Fahne erbeuten«, sagte er. »Oder möchtet ihr in die letzte Reihe gestellt werden, wenn man eure Kameraden feiert?«

»Nein, vornan. Ganz vornweg.«

»Seht ihr, deshalb halt' ich mich zurück, bis ich die Kraft habe, zuzupacken. Eines Tages – bin ich da! Mit der Fahne! Und wer eine Fahne trägt, ist ein Führer. Macht's auch so!«

Da erhielt für sie die Gestalt des jungen, abgerissenen Lehrers einen romantischen Schimmer. Sie sahen unter dem abgeschabten Röcklein einen heimlichen goldenen Panzer blinken. Und sie erstrebten seinen Beifall in den Übungen des Stolzes. Denn das Geheimnisvolle reizte ihre Knabenseelen. Ewald Wiskotten aber fand bei der Sammlung ihrer jungen Kräfte die Sammlung seiner eignen, und er selbst wurde Schüler seines Lehramtes.

Vier Wochen gingen dahin. Sie hatten genügt, ihn auf eigne Füße zu stellen. Seine geringen Bedürfnisse konnte er bestreiten, und für den Sommer hatte ihm Neudörfer die Verwertung von Zeichnungen zu kunstgewerblichen Arbeiten vorausgesagt. Frei trug er den Kopf, und weiter ausschauende Pläne regten sich wieder hervor, wenn er aus seiner Dachluke den Blick sinnend zu dem verlorenen Paradies schweifen ließ, das sich höhnisch vor ihm breitmachte. Ein Bild beginnen? Ganz insgeheim? Ob er es wagen sollte? Nur, um denen da die Quittung über sein Abgangszeugnis zu überreichen?

Als er tags darauf zu Neudörfer aufs Atelier kam, teilte ihm der Aufwärter mit, der Professor sei plötzlich abgereist. Nach Kassel, zu seiner Mutter. Er eilte zur Privatwohnung seines Lehrers und fand nur Frau Neudörfer vor. Mit halbem Ohre hörte er, daß die Mutter des Professors einen Schwächeanfall erlitten und sehnsüchtig nach der Gegenwart ihres Sohnes verlangt habe. Um ihr eine Freude zu machen, hätte ihr Mann die Jungens für die Dauer der Osterferien mitgenommen. Er ließe Herrn Wiskotten bitten, ebenfalls für drei Wochen Ferien zu machen.

Der Lehrer hatte in der Unruhe um die Mutter die Lage seines Schülers vergessen.

»Drei Wochen!« sagte Ewald Wiskotten vor sich hin. »Eine hielte ich aus. Aber drei Wochen ...«

Er strich ziellos und zwecklos den Rhein entlang. Mitten aus dem aufsteigenden Fluge war er herabgefallen durch eine unerwartete Laune des Schicksals. Woher für diese drei Wochen das Geld nehmen? Für diese kurze Spanne, diese lächerlich kurzen drei Wochen, die ihn um alles bringen konnten. Von Ernst Kölsch? Nein, nicht betteln. Das hatte er nicht verdient, jetzt betteln zu müssen, nachdem er gearbeitet hatte. Von der Erkrankung einer alten, unbekannten Frau, von einer dreiwöchigen Unterbrechung seines Lebensplanes durfte er seinen Willen nicht abhängig machen lassen. Hatte er ein Leidensjahr aushalten können, so sollten ihn nun, da es bergan ging, drei Wochen Stillstand nicht um den Gewinn bringen. Jetzt erst ging es in Wahrheit um den Beweis der Ebenbürtigkeit, jetzt, vor dem Ziel.

Den ganzen Tag sann er über Hilfsquellen nach, die ihm ermöglichen könnten, sich diese drei Wochen über Wasser zu halten. Irgendeine ehrliche Arbeit, welche es auch sei. Vor sich, auf dem Golzheimer Sand, sah er eine Bretterbude und eine Kantine. Arbeiter mit Schaufel und Hacke kamen in Trupps heraus, um zu Chausseearbeiten ins bergische Land geführt zu werden. Die Arme gerührt! Hier konnte er seinen Willen beweisen! Ohne sich zu besinnen, trat er vor den Aufseher und ließ sich anmustern. Zwischen den neuen Kameraden stand er in der Kantine, finstere und leichtfertige Gesichter um sich, Menschen, denen das Leben nur noch Schaufelschläge galt, in den Erdboden hinein, auf dem sie Stiefkinder waren, hohnlachend oder verbissen.

Am nächsten Morgen zog Ewald Wiskotten mit einem Trupp aus. Die Schaufel geschultert, den Hut in die Augen gezogen, hielt er tapfer gleichen Schritt. Ihm schien der Boden, den er bearbeiten sollte, nicht feindlich, ihm schien die Erde die sorgende Mutter.

»Zugepackt, Wiskotten!« rief der Aufseher.

Und Ewald Wiskotten packte zu.


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