Alexander Herzen
Wer ist schuld?
Alexander Herzen

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Drittes Kapitel.

Der Adelsmarschall des Dubassoffschen Kreises hatte eine Tochter.

Das wäre noch kein großes Unglück gewesen, weder für den sehr ehrenwerthen Karp Kondratitsch noch für Barbara Karpowna. Aber außer seiner Tochter hatte er auch eine Frau, und Bärbchen, wie das Töchterlein im Hause genannt wurde, besaß außer ihrem Papa auch noch eine liebe Mama, Maria Stepanowna.

Das änderte die Dinge ganz erheblich. Karp Kondratitsch war ein Muster von Sanftmuth in allem was die Familie anging. Es war merkwürdig zu sehen, wie er sich verwandelte, sobald er aus dem Pferdestall ins Speisezimmer, von der Tenne ins Schlafgemach oder den Salon trat. Hätten uns die bekannten Reisenden nach den zuverlässigsten Quellen nicht vollgiltige Beweise dafür geliefert, daß ein und derselbe Engländer ein ausgezeichneter Pflanzer und zugleich ein musterhafter Familienvater sein kann, wir würden selbst an der Möglichkeit eines solchen Doppelwesens zweifeln.

Wenn man übrigens der Sache auf den Grund geht, so kann man sich leicht überzeugen, daß dies ganz natürlich ist. Außer dem Hause, das heißt im Pferdestall und auf der Tenne, führte Karp Kondratitsch Krieg, war er Feldherr, und suchte dem Feinde soviel Schläge wie möglich beizubringen. Und seine Feinde waren selbstverständlich die widerspenstigen Rebellen, – Faulheit, ungenügender Eifer für seine Interessen, ungenügende Hingabe an seine vier Braunen und andere Vergehen.

In seinem Salon dagegen fand Karp Kondratitsch die weichen Umarmungen seiner getreuen Gattin und die liebliche Stirn seiner Tochter zum Kusse. Dann zog er den schweren Panzer gutsherrlicher Sorgen aus und ward, – nicht so sehr ein guter Mensch, als vielmehr der gute Karp Kondratitsch.

Seine Frau befand sich in einer ganz andern Lage. Seit zwanzig Jahren führte sie innerhalb ihrer vier Wände einen kleinen Guerillakrieg; nur selten machte sie unbedeutende Ausfälle auf die Hühnereier und das Garn der Bauern. Die scharfen Gefechte mit den Stubenmädchen, dem Koch und dem Büffetdiener erhielten sie in fortwährender Aufregung. Aber zu ihrer Ehre muß es gesagt werden: ihr Herz konnte mit diesen kleinen kriegerischen Beschäftigungen nicht ganz ausgefüllt werden, – und mit Thränen in den Augen drückte sie ihr siebzehnjähriges Bärbchen an die Brust, als dieses von einer Tante aus Moskau gebracht wurde, wo es in einem Institut oder Pensionat seine Bildung genossen hatte. Das ist ja auch kein Vergleich: ein Koch oder ein Stubenmädchen und eine leibliche Tochter, ein Wesen, in dessen Adern das eigene Blut rollt – und dann die heiligen Mutterpflichten!

Anfangs durfte sich Bärbchen der Ruhe erfreuen, im Garten umherlaufen, namentlich an Mondscheinabenden. Für dieses junge Mädchen, das zwischen den Zimmerwänden erzogen worden, war alles neu, »bezaubernd, hinreißend«; sie schaute zum Monde auf und erinnerte sich an irgend eine vergötterte Freundin, und glaubte fest, daß auch diese jetzt ihrer gedenke: sie schnitt ihren Namenszug in Bäumen aus . . .

Das war in jener Zeit, welche kalten Menschen einfach lächerlich erscheint, uns jedoch nur ein Lächeln entlockt, – aber nicht ein Lächeln der Mißachtung, sondern jenes Lächeln, mit dem wir dem Spiel der Kinder zusehen; wir selbst vermögen nicht mehr zu spielen – so mögen sie doch spielen.

Es ist ungerecht, vollkommen ungerecht, den jungen Mädchen, die soeben die Pension verlassen, ihr überspanntes, exaltirtes Wesen zum Vorwurf zu machen, wie das gewöhnlich geschieht. All die Träume, all die Hingebung dieses Alters, sein Liebesdrang, der Mangel an Egoismus, die Aufopferungsfähigkeit – das Alles ist heiliger Ernst. Das Leben ist an einem Wendepunkt angelangt und der Vorhang der Zukunft noch nicht in die Höhe gezogen. Hinter demselben giebt es schreckliche, verlockende Geheimnisse; das Herz leidet an etwas Unbekanntem, und zugleich ist der Organismus erregt, das Nervensystem erschüttert, und die Thränen sind stets bereit unaufhaltsam zu fließen. Fünf, sechs Jahre später – und alles hat sich verändert. Hat sie sich verheirathet, dann ist nichts mehr zu sagen; ist sie noch nicht in den Ehestand getreten, so wird sie, wenn ihr nur ein Funken gesunder Natur eigen, nicht warten, bis ihr irgend jemand den geheimnisvollen Vorhang hebt, – sie wird ihn selbst heben und dann das Leben mit ganz anderen Augen ansehen.

Es ist lächerlich, wenn eine fünfundzwanzigjährige Jungfrau die Welt mit den Augen eines Pensionsmädchens betrachtet, und traurig, wenn eine Pensionärin die Dinge mit den Augen einer fünfundzwanzigjährigen Person ansieht.

Barbara Karpowna war keine Schönheit. Aber reichlichen Ersatz für ihre Schönheit gewährte ihr jenes Etwas, das wie die Blume guten Weins nur für den Kenner existirt; und dieses Etwas, das noch nicht Entfaltete, Verheißende, Andeutende, im Verein mit ihrer Jugend, die alles verherrlicht und verschönert, verlieh ihr einen besonderen, feinen, zarten, nicht allen zugänglichen Reiz.

Wenn man ihr ziemlich trockenes, braunes Gesicht ansah, ihren nicht ganz schlanken, jugendlichen Körper, ihre träumerischen Augen mit den langen Wimpern betrachtete, so ging einem unwillkürlich der Gedanke durch den Kopf, wie alle diese Züge sich entfalten und entwickeln würden, wenn Gedanken und Empfindungen in diesen Augen – wenn alles das Bestimmtheit, Sinn, Bedeutung erhielte, und wie glücklich der sich fühlen müßte, auf dessen Schulter dieses Köpfchen sich stützte.

Maria Stepanowna war übrigens sehr unzufrieden mit der äußeren Erscheinung ihrer Tochter; sie nannte sie ein häßliches Ding und befahl ihr, jeden Morgen und jeden Abend sich mit Gurkenwasser zu waschen, in das noch ein gewisses Pulver geschüttet wurde, damit der Sonnenbrand, wie sie ihren braunen Teint nannte, vergehe.

Bärbchens Verhalten den Fremden und Gästen gegenüber veranlaßte die Mutter, ihr eine besondere Beachtung zu schenken. Bärbchen war schüchtern, sie begab sich mit einem Buche in den Garten, sie that nicht schön, sie kokettirte nicht. Das Buch, als die nächste Veranlassung, wurde ihr weggenommen, dann folgten mütterliche, unendlich lange Anweisungen, Maria Stepanowna glaubte zu bemerken, daß Bärbchen nicht mit vollkommener Freudigkeit gehorche, daß sie sogar die Stirn runzele und manchmal zu antworten wage.

Gegen so etwas, das werdet ihr zugeben, mußten ganz entschiedene Maßregeln ergriffen werden. Vor der Hand drängte Maria Stepanowna ihre warme Mutterliebe in den Hintergrund, und begann die Tochter auf Schritt und Tritt zu verfolgen. Wollte sie spazieren gehen, so verbot sie das; wollte sie zu Hause bleiben, so wurde sie fortgeschickt. Sie zwang sie, gegen den Appetit zu essen, und tagtäglich machte sie ihr den Vorwurf, daß sie nicht dick würde.

Die mütterlichen Verfolgungen bewirkten, daß Bärbchens Charakter etwas Verschlossenes erhielt; sie wurde noch scheuer, magerte noch mehr ab.

Ihrem Vater wollte es einige Mal so scheinen, als ob seine Frau das arme Mädchen ungerechter Weise verfolge, er machte sogar den Versuch, in leisen Andeutungen ihr davon zu reden. Aber kaum hatten seine Worte eine etwas bestimmtere Form angenommen, da überkam ihn ein solcher Schrecken, daß er nicht die Kraft hatte, denselben in sich selbst zu verwinden und sich schleunigst nach der Tenne begab, wo er sich für den augenblicklichen Schreck dadurch entschädigte, daß er all seinen Vasallen einen langen Schrecken einjagte.

Maria Stepanowna behauptete ganz allein das Feld und mit dem größten Eifer kaufte sie feines Linnenzeug, Tischtücher und Servietten für die zukünftige Ausstattung ihrer Tochter zusammen, und zwang die sieben Stubenmädchen, sich mit Spitzenklöppeln die Augen zu verderben, während drei andere allerlei Kram für Bärbchen zusammenflicken mußten; gleichzeitig verfolgte und quälte sie diese mit unglaublicher Hartnäckigkeit wie einen persönlichen Feind.

Als sie zu den Wahlen nach N. reisten, zog Karp Kondratitsch mit größter Mühe seine Adelsuniform an – denn während der drei Jahre seines Amtes als Adelsmarschall hatte er sehr zugenommen, wogegen die Uniform sich im Gegentheil gewissermaßen verengt hatte, – und begab sich zu dem Gouverneur, sowie dem Adelsmarschall des Gouberniums, den er zum Unterschied von dem Gouverneur witzig »unsere Se. Excellenz« nannte.

Maria Stepanowna beschäftigte sich mit der Ausschmückung ihres Salons und dem Auspacken von allerlei Plunder, das auf vier Wagen von ihrem Gute in die Stadt geschafft worden war. Sie wurde in dieser Arbeit von drei ungekämmten Lakaien unterstützt, in Jacken aus irgend einem grauen Stoffe, der weder Fries noch Tuch war. Die Arbeit ging ruhig von statten. Da auf einmal hielt die gnädige Frau, wie von einem Gedanken betroffen, inne, und rief mit ihrer klangvollen Stimme: »Bärbchen, Bärbchen, wo steckst du denn?«

Das arme Mädchen fühlte, daß ihr irgend ein Unheil drohe und kam ängstlich ins Zimmer gelaufen.

»Hier bin ich, Mama!«

»Aber wie siehst du denn aus? Bist du krank? Wirklich, wenn man dich so von der Seite ansieht, sollte man glauben, du hättest es schlimm im elterlichen Hause; ja, ja, das kommt von den Pensionen! Mit einem solchen Gesicht vor die Mutter hinzutreten!«

Hier machte Maria Stepanowna ihrer Tochter ein schmachtendes Gesicht vor.

»Auch ich bin Tochter gewesen; wenn mich meine Mutter rief, so trat ich mit heiterem Gesicht herein.«

Hier zeigte sie ein heiteres, lächelndes Gesicht.

»Aber du stehst immer so finster drein, – du Dummkopf, was zerschlägst du denn da? Was der nur für eine Lust hat, alles zu verderben, der Tölpel! Niemals wird sich der seine Ungeschliffenheit abgewöhnen . . . Nun, liebes Kind, jetzt ist die Zeit des Scherzens vorüber; in der letzten Zeit habe ich dir oft genug gesagt, daß deine Manieren mich kränken; auf unserm Gute habe ich noch geschwiegen, aber hier dulde ich so etwas nicht; darum habe ich mich nicht so weit hierhergeschleppt, damit man von meiner Tochter sage: das ist ein blödes Närrchen; jetzt gestatte ich dir nicht mehr, da in einer Ecke zu sitzen. Warum verstehst du es nicht dahin zu bringen, daß sich ein Cavalier für dich interessirt? Ich zählte kaum fünfzehn Jahre, da vermochte ich mich all der Herren nicht zu erwehren. Es ist Zeit, daß du versorgt wirst, hörst du?«

»Ach, du Lümmel, sagte ich's nicht, daß du alles zerbrichst! Komm mal her, komm mal her, sage ich dir; zeig mal; siehst du wohl, du Dummkopf, wie du alles zerschlägst; gerade in zwei Stücke! Nun, das soll dir heimgezahlt werden, sobald der Herr nach Haus kommt; ich würde dich selbst an den Haaren herumziehen; aber es ist mir zuwider, dich anzurühren: wie du dich mit Oel beschmiert hast! Dieser Spitzbube Mitka vertheilt herrschaftliches Oel; warte nur, mit dir rechne ich auch noch ab.«

»Ja, ja, Barbara Karpowna, hier bei den Wahlen mußt du dich für einen Mann entscheiden; ich werde schon Freier finden und dir sehe ich nichts mehr nach. Was denkst du dir denn? Bist du etwa eine solche Schönheit, daß sie dir nachgelaufen kommen? Weder Gesicht noch Gestalt sind schön, ja nicht einmal gehen kannst du, und auch zu kleiden verstehst du dich nicht, und kein Wort kannst du reden; das ist mir eine schöne Bildung, die du dir in Moskau geholt hast! Nein, mein Täubchen, fort mit den Büchern; gelesen hast du mehr als genug; jetzt, mein Herzchen, ist es Zeit, daß du an die Arbeit gehst. Du kommst mir nicht wieder unter die Augen, wenn du dich in deinen Manieren nicht besserst.«

Bärbchen stand da wie eine zum Tode Verurtheilte. Die letzten Worte der Mutter waren ihr ein gewisser Trost.

»Wie sollte sich für dich kein Bräutigam finden! Bei dreihundertfünfzig Seelen!Die Leibeigenen wurden nach Seelen gezählt; die weiblichen kamen nicht in Berechnung. Und was für Bauern! Jede einzelne Seele ist so viel werth wie zwei von unserm Nachbar, – eine solche Mitgift! . . . Was, was – ich glaube, du willst zu weinen anfangen? Weinen, um rothe Augen zu bekommen! So also lohnst du deiner Mutter ihre Sorgen!«

Sie ging nahe an sie heran, und da Bärbchen auch ganz trockene Haare hatte, so weiß ich nicht, womit die Sache geendet hätte, wenn nicht der Bär in der Jacke in diesem selben Augenblicke einen Dessertteller hätte fallen lassen.

Da wandte ihm Maria Stepanowna ihre ganze Wuth zu.

»Wer hat den Teller zerschlagen?« schrie sie mit heiserer Stimme.

»Der hat sich selbst zerschlagen«« antwortete der Diener, der sichtlich die Geduld verloren hatte.

»Was, selbst, selbst, und du wagst es, mir das zu sagen, selbst, selbst!« Das Uebrige sprach sie mit den Händen, da sie wahrscheinlich fand, daß die Mimik ihrer aufgeregten Gemüthsverfassung kräftigeren Ausdruck zu geben vermöchte, als Worte. Das gequälte Mädchen vermochte es nicht länger zu ertragen: plötzlich begann sie zu schluchzen und sank in einem heftigen Krampfanfall aufs Sopha.

Die Mutter erschrak und schrie: »Leute, Leute her! Wo sind denn die Mädchen! Wasser, Tropfen, – holt den Doctor, den Doctor!«

Der Krampfanfall war sehr hartnäckig und der Doctor kam nicht. Es wurde ein zweiter Bote nach ihm geschickt, und dieser brachte die Antwort: er ließe sagen, man müßte sich noch einen Augenblick gedulden, da er bei einer sehr schweren Entbindung sei.

»Dieser verwünschte Arzt! Aber wem macht denn eine solche Entbindung so viel zu schaffen?«

»Es ist die Köchin des Procurators,« antwortete der Bote.

Das hatte nur noch gefehlt, um dem tragischen Zustande Maria Stepanowna's die Krone aufzusetzen. Sie wurde purpurroth: ihr Antlitz, das noch niemals reizend gewesen, ward geradezu widerwärtig.

»Die Köchin! Die Köchin!« Mehr vermochte sie nicht herauszubringen.

Da trat Karp Kondratitsch mit heiterem, zufriedenem Gesicht herein: Seine Excellenz, der Gouverneur, hatte ihm freundschaftlichst die Hand gedrückt, und Ihre Excellenz, die Frau Gouverneurin, ihm einen Teppich gezeigt, den sie aus Petersburg für ihren Salon erhalten, und er hatte den Teppich mit jener Miene patriarchalischer Einfalt betrachtet, unter welcher wir Schmeichelei und Erniedrigung zu verstecken wissen, und dann gesagt: Wer anders, meine Gnädige, könnte auch einen solchen Teppich besitzen, als Ihre Excellenz.

Mit alldem war er sehr zufrieden, namentlich aber mit seiner geschickten Antwort. Und da plötzlich kommt ihm eine Familienscene über das Haupt: die Tochter in Krämpfen, die Frau außer Fassung, am Boden ein zerbrochener Teller, Maria Stepanowna bleich, ihre rechte Hand aber sehr roth, fast ebenso roth, wie die linke Wange des Dieners.

»Was bedeutet denn das? Was fehlt dem Bärbchen?«

»Das weißt du ja doch, von der Reise!« antwortete die zärtliche Mutter, »wie kann denn so ein junges Mädchen eine Fahrt von hundertzwanzig Werst aushalten. Sagte ich nicht, bis Mittwoch zu warten; aber nein, auf mich wird nie gehört; da liegt sie nun.«

»Aber ich bitte dich, am Mittwoch wären es doch nicht weniger Werst gewesen.«

»Du weißt ja alles besser. Und da ist nun dieser Schurke Krupoff nicht mehr zu Hause zu finden! Ein solcher Freimaurer! Ein solcher Halunke! Zweimal habe ich nach ihm geschickt – ich bin doch nicht etwa die erste Beste hier in der Stadt! Woher kommt das? Daher, weil du dir keine Haltung zu geben weißt. Du benimmst dich schlimmer als ein Assessor. Ich habe zu ihm geschickt, aber er hält mich einfach zum Narren; kannst du's glauben: entbindet die Köchin des Procurators! Meine Tochter liegt im Sterben und er entbindet die Köchin des Procurators! Ein solcher Jakobiner!«

»Dieser Schuft, dieser Halunke!« schloß der Adelsmarschall.

Noch immer floß der heiße Strom von Maria Stepanowna's Worten, als die Thür zum Vorzimmer aufging und der alte Krupoff mit seinem etwas methodischen Gesicht und seinem Stock in der Hand hereintrat. Auch er zeigte ein fröhlicheres Gesicht, als gewöhnlich. Seine Augen lachten und ohne es zu bemerken, daß die Herrschaften ihn gar nicht grüßten, fragte er:

»Na, wer bedarf denn hier meiner Hilfe?«

»Meine Tochter.«

»Ah, Wera Michailowna! Was fehlt ihr denn?«

»Meine Tochter heißt Barbara und ich Karp,« bemerkte nicht ohne Würde der Adelsmarschall.

»Um Verzeihung, Verzeihung. Nun, und was fehlt denn nun Barbara Kyrillowna?«

»Zuvor, verehrtester Herr,« unterbrach ihn mit vor Wuth bebender Stimme Maria Stepanowna, »gestatten Sie mir zu fragen, ob die Köchin des Procurators entbunden hat.«

»Ausgezeichnet, ganz ausgezeichnet,« entgegnete Krupoff nachdrücklich. »Ein solcher Fall ist mir in meinem ganzen Leben noch nicht vorgekommen. Ich glaubte wahrhaftig, Mutter und Kind würden drauf gehen. Die Hebamme war sehr ungeschickt und meine Hände sind alt und jetzt sehe ich auch schon nicht mehr gut. Denken Sie sich, die Nabelschnur . . .«

»Aber Herr Doctor, sind Sie verrückt? Ich soll so abscheuliche Dinge anhören? Was fällt Ihnen denn ein? In unserem Dorfe kommen jährlich fünfzig Bauernweiber nieder, aber ich erfahre nie etwas von diesen häßlichen, widerwärtigen Dingen.«

Und dabei spuckte sie aus.

Krupoff konnte nur schwer begreifen, um was es sich handelte. Er hatte die ganze Nacht bei der armen Wöchnerin in einer dunstigen Küche zugebracht, und er stand noch jetzt unter dem Einfluß der glücklichen Entbindung, so daß er anfangs den Ton der gnädigen Dame gar nicht begriff.

Diese fuhr fort:

»Der Procurator muß Ihnen wohl ein ausgezeichnetes Honorar geben, daß Sie seine Magd keinen Augenblick verlassen konnten, während meine Tochter fast gestorben wäre.«

»Nein, keinen Augenblick, gnädige Frau, keinen Augenblick konnte ich abkommen, weder um Ihrer Tochter willen, noch um irgend eines anderen Menschen willen. Uebrigens sehe ich, daß es mit der Krankheit nicht weit her sein muß: Sie beeilen sich ja gar nicht, mich zu ihr zu führen! Das wußte ich.«

Diese Bemerkung verblüffte die zärtlichen Eltern: aber die Mutter erholte sich bald wieder und antwortete: »Ja, sie befindet sich jetzt besser; auch lasse ich Sie nun nicht mehr zu meiner Tochter – wahrscheinlich haben Sie sich noch nicht einmal die Hände gewaschen.«

»Ich muß gestehen, Herr Doctor,« fügte der Marschall hinzu, »ein so freches Benehmen und eine so freche Rechtfertigung dieses Benehmens hätte ich von Ihnen, einem alten, verdienten Arzt, nicht erwartet; flößte mir nicht das Kreuz, das Ihre Brust schmückt, Achtung ein, so würde ich mich vielleicht nicht in den Schranken zu halten wissen, in welchen ich mich halte. Seitdem ich Marschall bin – und das sind bereits sechs Jahre – hat mich niemand so beleidigt.«

»Aber ich bitte Sie, wenn Sie keinen Funken von Menschenliebe haben, dann bedenken Sie doch wenigstens, daß ich der Inspector der hiesigen Medizinalbehörde, der Wächter der Gesetze in medizinischen Dingen bin, – und da sollte ich eine Frau, die im Sterben liegt, im Stiche lassen, um zu einem gesunden Mädchen zu eilen, das an der Migräne, an einem hysterischen Anfall, an einer häuslichen Scene oder dergleichen leidet! Das ist ja wider die Gesetze, und da zürnen Sie mir noch?«

Karp Kondratitsch war im Grunde der größte Feigling. Die letzten Worte des Arztes schienen ihm die Beschuldigung zu enthalten, als huldige er liberalen Anschauungen. Es wurde ihm grün vor den Augen und er beeilte sich zu antworten:

»Das wußte ich nicht, bei Gott, das wußte ich nicht. Vor der Macht des Gesetzes verstumme ich. Und da steht ja Bärbchen schon wieder auf.«

Krupoff trat zu ihr, ergriff ihre Hand, sah sie an, schüttelte den Kopf, that dann zwei, drei Fragen, und da er wußte, daß er ohne das nicht los kam, verschrieb er ihr ein unschädliches Recept und fügte dann hinzu:

»Vor allem Ruhe, sonst könnte es schlimm werden.«

Damit ging er.

Durch den Krampfanfall erschreckt, wurde Maria Stepanowna ein wenig sanftmüthiger. Aber als sie von Beltoff hörte, da schlug ihr das Herz so gewaltig, daß das Bologneserhündchen, das seit sechs Jahren beständig nebst dem Taschentuch und einer kleinen Tabaksdose auf ihrem Schooße lag, zu knurren und zu schnuppern und zu suchen anfing, wer da denn herumhüpfe.

Beltoff – das ist ein Freier! Beltoff – das ist der Rechte!

* * *

Selbstverständlich machte Beltoff Karp Kondratitsch seinen Besuch; schon am folgenden Tage nöthigte Maria Stepanowna ihren Mann, die Höflichkeit zu erwiedern; und acht Tage später erhielt Beltoff ein beschmutztes Briefchen, das stark nach einem Schafspelz roch – es hatte diesen Duft an dem Busen des Kutschers angenommen, der es gebracht hatte.

Dasselbe lautete folgendermaßen:

»Der Adelsmarschall des Dubassoffschen Kreises und Gemahlin beehren sich, Herrn Beltoff ganz ergebenst für morgen Mittag drei Uhr zum Diner einzuladen.«

Beltoff las diese Einladung mit Schrecken, warf sie auf den Tisch und dachte: was fällt denn diesen Leuten ein, mich da einzuladen? Es kostet viel Geld und doch knausern sie alle; außerdem wird es tödtlich langweilig sein . . . Aber was soll ich machen? Ich muß hingehen, sonst nehmen sie's mir übel.

Schon zwei Tage vor dem Festessen begannen für Bärbchen die Vorbereitungen und Proben. Die Mutter putzte sie von früh bis spät; sie wollte sie sogar in ein rothes Sammtkleid stecken, weil das zu ihrem Gesicht passe, gab jedoch dem Rath ihrer Cousine nach, welche bei der Frau des Gouverneurs ein- und ausging und die sich einbildete, sie kenne alle Moden, weil die Frau des Gouverneurs ihr versprochen hatte, sie im nächsten Sommer mit sich nach Karlsbad zu nehmen.

Am Abend vorher ließ Maria Stepanowna Mandelkleie bringen, die von der für den folgenden Tag gebackenen Torte übrig geblieben, und unterwies ihre Tochter darin, wie sie mit dieser Kleie sich Hals und Schultern und Gesicht einreiben müsse. Und dann begann sie – ihr sichtliches Verlangen, zum Zanken überzugehen, unterdrückend – in feierlichem Ton:

»Bärbchen, wenn Gott mir hilft, dich Beltoff zur Frau zu geben, dann sind alle meine Gebete erhört und dann bist du mir unschätzbar; bereite also deiner Mutter diese Freude; du bist doch nicht von Stein! Warum solltest du's auch nicht können! Wie solltest du einem Manne, einem jungen Manne nicht gefallen? Und giebt es denn hier so sehr viel junge Mädchen: höchstens zwei, drei, die mitzählen. Die vielgerühmten Schönheiten, die Töchter des Präsidenten, finde ich geradezu abscheulich; auch sollen sie mit gewissen Secretärchen ein zartes Verhältnis unterhalten. Und dann, von welcher Herkunft sind sie! Ihr Vater war bei der Finanzkammer Schreiber. Hättest du nur eine Spur von Ambition, so müßtest du schon ihnen zum Tort – diese unverschämten Dämchen promeniren im offenen Wagen an seiner Wohnung vorüber, – aber sie brauchen sich nur gar keine Hoffnung zu machen . . . Doch da mühe ich mich ab und du stehst ja da wie ein Holzklotz; hat mich denn der liebe Gott für meine Sünden mit einer Puppe, statt einer Tochter heimgesucht?«

»Aber liebe Mama,« sprach Bärbchen mit einer gewissen Verzweiflung im Blick, halb flüsternd, »was soll ich beginnen, ich kann nicht anders; urtheile doch selbst, ich kenne den Mann noch gar nicht und er achtet meiner vielleicht gar nicht. Ich kann mich ihm doch nicht an den Hals werfen.«

»Du grobes Geschöpf! Wer sagt dir denn, du solltest dich ihm an den Hals werfen! So also willst du den Wunsch deiner Mutter erfüllen? . . . Hat ihn niemals gesehen! Als ob deine Mutter närrisch oder betrunken wäre, als ob sie dir nicht einen Bräutigam auszuwählen verstände! Ein solches Prinzeßchen! . . .«

Sie hielt inne, da sie fürchtete, es könnten wieder Thränen hervorstürzen, von denen dann morgen die Augen geröthet waren . . .

Endlich kam der Tag der Prüfung. Von zwölf Uhr an wurde Bärbchen frisirt, pomadisirt und parfümirt. Maria Stepanowna schnürte ihre ohnehin so hagere Tochter fast in ein Corsett ein, so daß sie einer Wespe glich. Dagegen verstand sie aber auch mit weiser Ueberlegung da und dort zu wattiren, und doch war sie nicht ganz zufrieden: bald fand sie den Kragen zu hoch, bald schien ihr die eine Schulter Bärbchens niedriger als die andere, und das alles machte sie böse, sie gerieth außer sich und versetzte den Stubenmädchen aufmunternde Püffe, eilte in das Speisezimmer und unterrichtete die Tochter im Kokettiren, den Büffetdiener im Tafeldecken u. s. w.

Es war ein schwerer Tag für Maria Stepanowna. Was vermag nicht die Mutterliebe! Man wird begreifen, daß das Alles sehr schön und unumgänglich nothwendig ist in einer Familie. Man mag noch so schwärmerisch angelegt sein, so muß man doch auf das Schicksal, auf ihr Wohlergehen bedacht sein. Freilich ist es nur das Leiden, daß diese vorbereitenden Maßregeln hinter den Coulissen ein Mädchen des schönsten Augenblicks der ersten offenen, unerwarteten Begegnung berauben; sie enthüllen ihr ein Geheimnis, das ihr nicht enthüllt werden sollte, und zeigen ihr viel zu früh, daß es zum Erfolge nicht der gegenseitigen Sympathie, nicht des Glückes, sondern falscher Karten bedarf. Diese Vorbereitungen machen Verhältnisse gemein, welche nur dann wahrhaft und heilig sein können, wenn sie nicht ins Gemeine herabgezogen werden.

Strenge Moralisten mögen wohl noch hinzufügen, daß solche Maßregeln ein Mädchenherz mehr verderben, als selbst der sogenannte Fall: doch so tief steigen wir nicht hinab.

Und dann möge man reden, was man wolle: die Töchter müssen ja doch Männer haben, dazu sind sie da. Ich denke, in diesem Punkte werden mir alle Moralisten Recht geben.

Um drei Uhr saß das geputzte Bärbchen im Salon, wo bereits seit einer halben Stunde einige Gäste versammelt waren, und wo von dem Präsentirteller, der auf dem Tische stand, schon die Hälfte des Caviars verschwunden war.

Da plötzlich trat ein Lakai ins Zimmer und übergab Karp Kondratitsch einen Brief.

Karp Kondratitsch nahm seine Brille aus der Tasche, putzte sie mit einem nicht ganz sauberen Tuche und las. Nach der Zeit zu schließen, die er auf diese Arbeit verwendete, mußte er die paar Zeilen buchstabirend gelesen haben, und dann sprach er mit auffallend unruhiger Stimme:

»Liebe Frau, Beltoff läßt sich entschuldigen, er ist unwohl, hat sich erkältet, und kann nicht kommen, so leid es ihm auch thut. Sage dem Diener, wir bedauerten sehr.«

Maria Stepanowna wechselte die Farbe und warf ihrer Tochter einen solchen Blick zu, als hätte Beltoff sich an ihr erkältet. Bärbchen triumphirte; noch niemals hatte Maria Stepanowna sich so lächerlich gemacht, ja so lächerlich, daß sie einem leid thun konnte.

Jetzt haßte sie Beltoff aus innerster Seele. Das ist geradezu ein Affront, brummte sie vor sich hin.

»Das Essen ist aufgetragen,« sagte der Diener.

Der Gouvernementsmarschall führte Maria Stepanowna zu Tisch.

* * *

Vierzehn Tage nach diesen Ereignissen saß Maria Stepanowna beim Thee. Wenn sie sich allein, oder nur in Gesellschaft von intimen Freundinnen befand, so saß sie gern sehr lange beim Thee; sie nahm dann ihr Stück Zucker in den Mund und trank aus der Untertasse, was sie schon darum vorzog, weil sie bei dieser Methode weit weniger Zucker brauchte.

Vor ihr saß eine lange, eingetrocknete Frauengestalt, mit einer Haube auf dem Kopfe, den sie fortwährend leise schüttelte, wodurch die Bänder ihrer Haube in beständiger Bewegung blieben. Sie strickte mit zwei ungeheuren Nadeln an einer wollenen Schärpe, wobei sie dieselbe durch eine schwere Brille betrachtete, deren Bügel – der übrigens aus Silber bestand – eher an eine Kanonenlafette erinnerte als an ein Ding, das bestimmt war, auf einer Menschennase zu ruhen.

Ein abgetragenes, dunkles Kleid und ein Strickbeutel von ungeheurer Größe, aus dem noch verschiedene andere Nadeln hervorragten, bewiesen, daß diese Person gewissermaßen zum Hause gehörte und – nichts weniger als reich sei. Das letztere ging mit noch größerer Deutlichkeit aus dem Tone hervor, in welchem Maria Stepanowna mit ihr sprach. Diese Alte hieß Anna Jakimowna. Sie war von guter, adliger Herkunft und schon frühzeitig Witwe geworden. Ihr Vermögen bestand aus vier Seelen, – der vierzehnte Theil einer Erbschaft, in die sich ihre sehr reichen Verwandten mit ihr getheilt hatten; mit Rücksicht auf ihren Witwenstand hatten sie ihr und ihren Bauern mit freigebiger Hand einen Sumpf ausgemessen, auf dem es von wilden Enten und Schnepfen wimmelte, der jedoch zu der friedlichen Beschäftigung des Ackerbaues wenig geeignet war.

Trotz aller Bemühungen der Anna Jakimowna war von einer solchen Besitzung eine bedeutende Pacht nicht zu erzielen. Das Erbe, das ihr Gatte ihr hinterlassen, war auch nicht sehr bedeutend: es bestand aus dem Oberstlieutenantsrang, einem einzigen Sohn und einer Sammlung von Recepten, die einen darüber belehrten, wie die Pferde vom Spath, vom Rotz u. s. w. curirt werden könnten; auf jedem Recept war dann ein merkwürdiges Beispiel glücklicher Curen mitgetheilt.

Der Sohn wurde mit neunzehn Jahren in irgend ein Regiment aufgenommen, kehrte jedoch nach kurzer Zeit in das elterliche Haus zurück, da er wegen Trunksucht und unbändigen Benehmens fortgejagt worden. Seitdem wohnte er in einem Seitenflügel des mütterlichen Hauses, zog Citronenliqueur ab und prügelte sich in einem fort bald mit den Dienstleuten, bald mit guten Bekannten. Die Mutter fürchtete ihn wie das Feuer, verbarg vor ihm ihr Geld und ihre Wertsachen und schwor, daß sie keinen Heller besitze, namentlich, seitdem er einmal den Deckel ihrer Schatulle mit einem Beil eingeschlagen und daraus zweiundsiebzig Rubel nebst einem Ring mit Türkisen genommen hatte, den sie vierundfünfzig Jahre als Erinnerungszeichen an einen aufrichtigen Freund ihres Seligen bewahrt hatte.

Außer ihren Bauern und Recepten besaß Anna Jakimowna noch drei jugendliche und ein altes Dienstmädchen, sowie zwei Lakaien. Die jugendlichen Mädchen erhielten niemals Kleider von ihr, und doch gingen sie, was höchst merkwürdig war, immer sehr gut gekleidet. Mit Genugthuung sah Anna Jakimowna, daß sie sich so viel zu erarbeiten verstanden, um sich anständig zu kleiden, obgleich sie ihnen von morgens früh bis abends spät hinreichend Arbeit gab. – Aber klüglicherweise schwieg sie, wenn sie auch gelegentlich gewisse unpassende Dinge bemerkte. Die Lakaien, zwei häßliche Greise, theilten sich mit den jugendlichen Mädchen in die Hälfte des Gewinnes; außerdem machten sie für die halbe Stadt ziegenlederne Schuhe, die einen starken Geruch verbreiteten. Selbstverständlich ließ sich auch Anna Jakimownas Sohn die Gelegenheit nicht entgehen, – auch er fand seine Rechnung dabei, indem er sich die Schwächen der menschlichen Natur zu Nutze machte.

Das ehrwürdige Haupt dieses patriarchalischen Phalangteriums leerte bereits die vierte Tasse Thee bei Maria Stepanowna. Schon zum hundertsten Mal hatte sie erzählt, wie ein georgischer Fürst, der als General en chef gestorben sei, um sie gefreit habe, – wie sie im Jahre 1809 nach Petersburg zu ihren Verwandten gereist, – wie bei ihren Verwandten sich tagtäglich die ganze Generalität versammelte, und wie sie nur darum nicht dort geblieben sei, weil das Newawasser ihr nicht zuträglich gewesen. Nachdem sie ihre aristokratischen Erinnerungen zugleich mit ihrer vierten Tasse Thee beendet, begann sie plötzlich – indem sie laut ihre Tasse umstülpte,Auch in verschiedenen Gegenden des nordwestlichen Deutschlands wird in den unteren Volksklassen die Obertasse zum Zeichen, daß man nichts mehr wünscht, umgestülpt. – was übrigens ein trügerisches Signal war – und nachdem sie ein kleines Stückchen Zucker auf die Untertasse gelegt hatte:

»Ja, meine theure Maria Stepanowna, wenn der liebe Gott es mich nur wollte erleben lassen, Ihre Barbara Karpowna versorgt zu sehen – so etwa, wie Sie, Maria Stepanowna – dann bleibt mir nichts mehr zu wünschen übrig; es wird einem so wohl ums Herz, wenn man diese Familie sieht: im Hause alles in Hülle und Fülle, und überall bringt man Ihnen eine solche Achtung entgegen! Wahrlich, es wäre schön und beruhigend für Sie!«

»Warum haben Sie Ihre Tasse umgestülpt? Trinken Sie doch noch.«

»Wirklich, ich habe genug; für gewöhnlich trinke ich blos drei Tassen, bei Ihnen habe ich jedoch schon vier getrunken; ich danke ganz ergebenst; Ihr Thee ist ausgezeichnet.«

»Ja, ich sage es immer, lieber einen Rubel mehr aufs Pfund, – das hat nicht viel zu sagen, aber nur gut muß der Thee sein. Bitte, nehmen Sie doch noch eine Tasse.«

Und Anna Jakimowna nahm sich die fünfte.

»Gewiß, Anna Jakimowna, alles ruht in Gottes Hand; aber Bärbchen ist ja noch so jung, – wie könnte sie jetzt schon ans Heirathen denken! Und offen gestanden, was sind das alles für Freier – die machen ein Mädchen nur unglücklich! Und wenn ich dann bedenke, daß ich mich von ihr trennen müßte, ich würde es nicht überleben, ja, ich würde es wirklich nicht überleben.«

»Aber, Liebste, ich bitte Sie, wer verheirathet denn seine Töchter nicht? Das ist keine solche Waare, die man zurückhält, die hält sich nicht. Nein, ich bin der Ansicht, wenn die Mutter Gottes ihren Segen giebt, so wär's gut, eine avantageuse Partie zu machen. Da ist jetzt der Sohn der Sofie Alexejewna hier, – er ist entfernt mit uns verwandt: nun, heutzutage kümmert man sich wenig um seine Verwandten, namentlich, wenn sie arm sind. Er soll ein sehr schönes Vermögen haben – zweitausend Seelen auf einen Fleck und das Gut in vortrefflichem Stand.«

»Ja, aber was ist das für ein Mensch! Sie sehen immer nur aufs Geld, aber der Reichthum ist mehr eine Last, als ein Glück – er bringt Sorgen und Mühen. Von ferne scheint das alles so schön, nimmt sich so herrlich aus, aber genauer zugesehen ist der Reichthum nur der Gesundheit schädlich. Ich kenne den Sohn der Sofie Alexejewna; er hat hier Bekanntschaft mit meinem Manne angeknüpft. Selbstverständlich haben wir ihn höflich empfangen, uns ist's ja gleichgiltig, aber es steht ihm voll auf dem Gesicht geschrieben, daß er ein höchst liederlicher Mensch ist! Was für Manieren er nur hat! In einem adligen Hause benimmt er sich gerade so, als wäre er im Wirthshause.«

»Haben Sie ihn gesehen?«

»Von fern auf der Straße. Er fährt und geht oft an meiner Wohnung vorüber.«

»Wo geht er denn hin?«

»Das weiß ich nicht, meine Liebe. Wie sollte ich in meinen Jahren und bei meinen schweren Krankheiten (hier seufzte sie tief auf) mich damit befassen können, wohin er geht, – ich habe an meinem eigenen Kummer genug zu tragen . . . Vor Ihnen wie vor Gott will ich nichts verschweigen; mein Jakim hat wieder dumme Streiche gemacht – er bringt mich noch in die Erde . . .« Hier begann sie zu weinen.

»Sie sollten sich bei dem Küster der Kreuzkirche Raths erholen: er ist wunderbar geschickt im Curiren, nimmt einfach Brantwein, bespricht ihn und giebt dem Kranken einen Schluck, den Rest trinkt er selbst, weiter verlangt er nichts; dann erscheinen ihm der Teufel und all der Höllenspuk – und dann ist das Uebel fort.«

»Wenn er nur nicht zu viel verlangt; Sie kennen meine Verhältnisse.«

»Behüte; er hat auch unsern Koch curirt und der hat ihm blos fünf Rubel gegeben.«

»Hat's denn geholfen?«

»Natürlich! Er bekam zwar Rückfälle, aber da gebrauchte mein Mann noch ein anderes Heilmittel: du, sagte er, begreifst du denn die herrschaftliche Gnade nicht? Ich habe zu deiner Cur fünf Rubel ausgegeben, und du bist noch immer nicht curirt, du Halunke! Und nun, wissen Sie, ging's auf Russisch – seitdem trinkt er nicht mehr. Ich will Ihnen den Küster schicken. Nun aber, ich hielte es doch nicht aus. Ich suchte zu erfahren, wo dieser junge Herr hingeht.«

»Ich habe ja auch selbst schon meine Wassiliska gefragt; das ist ein sehr geschicktes Mädchen . . . So von ungefähr sagte ich, wohin mag nur dieser Herr fahren, der da hier vorüberkommt? Und am folgenden Tage meldete sie mir's: Sie beliebten mich gestern zu fragen, wohin Herr Beltoff fahre: er geht immer mit dem alten Doctor Krupoff zu dem Lehrer Negroff.«

»Mit Krupoff? Zu dem Lehrer Negroff?« fragte Maria Stepanowna, – und es machte ihr Mühe, eine angenehme Wallung, über die sie sich noch keine Rechenschaft geben konnte, zu verheimlichen.

»Jawohl, meine Liebe, der ist ja jetzt an dem hiesigen Gymnasium angestellt.«

»Also dahin geht er. Ich habe ihn gleich für einen zügellosen Menschen gehalten. Nun, das nimmt mich nicht Wunder! Sein Lehrer hat ihn von Kindheit an im Glauben der Freimaurer erzogen, was konnte da aus ihm werden? Der Junge lebte ohne Aufsicht in der französischen Hauptstadt; na, das sagt schon der Name, was dort für eine Moralität herrscht . . . Also um die Pflegetochter Negroffs scharwenzelt er herum? Ausgezeichnet! Ist das jetzt eine Zeit!«

»Um den Mann thut es mir wirklich von Herzen leid, Maria Stepanowna, um diesen armen Mann; er soll ein so ordentlicher Mensch sein! Aber sie – na, bei dieser Abstammung! Ich habe Zeit meines Lebens so viele gekannt – Bauernblut verläugnet sich nicht!«

»Nun, und dieser Semen Iwanowitsch, – welch schöne Rolle der dabei spielt! Herrlich! Dieser alte Sünder sollte sich vor Gott schämen! Aber er ist auch so ein Freimaurer und da steht er seinem Sinnesgenossen bei; wird ein hübsches Honorar von ihm bekommen; und wofür? Um ein Weib zu Grunde zu richten. Und sagen Sie mir nur, Anna Jakimowna, wozu braucht dieser Geizhals Geld? Ist mutterseelenallein, hat keine Verwandten, kurz niemand; keinem Menschen giebt er einen Heller! Dieser verwünschte Geiz! Dieser Judas Ischarioth! Und was nützt es ihm? Wird enden wie ein Hund und dann fällt alles an den Staat!«

In diesem Geiste und in dieser Richtung wurde das Gespräch noch eine Viertelstunde fortgeführt, worauf Anna Jakimowna, nachdem sie in der Hitze der Unterhaltung noch drei Tassen Thee getrunken, aufstand um nach Hause zu gehen; sie nahm die Brille ab, steckte sie ins Futteral und ließ im Vorzimmer fragen, ob der Maxim gekommen sei, um sie abzuholen, und als sie hörte, der Maxim sei da, erhob sie sich.

Schon lange hatte Maria Stepanowna sie nicht so liebenswürdig bewirthet; sie geleitete sie sogar bis in das Vorzimmer, wo der unrasirte Maxim, ein brummiger Greis von sechzig Jahren, schmutzig und nach schlechtem Brantwein riechend, angethan mit einem Friesmantel mit schwarzem Kragen, in der einen Hand Anna Jakimowna's Pelzsaloppe hielt, während er mit der andern die Tabaksdose in die Tasche steckte. Maxim war bei sehr schlechter Laune: er war schon im Begriff, auf dem Damenbrette zu ziehen und streckte bereits seine schmutzigen Finger darnach aus, als seine Herrin die Thür öffnete. »Verfluchte Krähe,« brummte er wüthend und warf die Saloppe um die dürren Schultern der verwitweten Anna Jakimowna.

»Hat der Dummkopf noch immer nicht gelernt, wie man eine Saloppe umhängen muß?« bemerkte seine Herrin.

»So lassen Sie mich gehen und schaffen Sie sich einen gelehrteren an,« brummte Maxim.

»Da sehen Sie, meine Liebe, in welche Lage kommt eine Witwe; von allen habe ich zu leiden, selbst von dem untersten Diener. Was soll man machen? Einer Frau bleibt nichts anderes übrig. Ja, wenn mein Seliger noch lebte, dann würde er mit diesem Tölpel umspringen . . . Dann würde er Jesum Christum erkennen lernen . . . Ein bitteres Loos, möchte der liebe Gott Sie davor bewahren!«

Diese Rede rührte Maxim nicht; indem er seine Herrin am Arm die Treppe hinunterführte, fand er noch Gelegenheit, sich zu andern vorübergehenden Dienern umzuwenden und ihnen zuzublinzeln, wobei er auf Anna Jakimowna deutete, was der Dienerschaft des Adelsmarschalls des Dubassoffschen Kreises lange ein herzliches Vergnügen bereitete.

Ich überlasse es dem Leser, sich die ganze Freude, die ganze Zufriedenheit der wackern Maria Stepanowna auszumalen, als sie eine solche Neuigkeit hörte, die es ihr möglich machte, eine Skandalgeschichte nicht blos von Beltoff sondern auch von Krupoff zu verbreiten. Nebenbei mußte allerdings auch der gute Name einer Frau vernichtet werden. Das war schade; aber was war da zu thun! Es giebt nun einmal Fälle, in denen ein einzelner Mensch großen Plänen geopfert werden muß.


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