Alexander Herzen
Wer ist schuld?
Alexander Herzen

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Viertes Kapitel.

Das neue Leben.

Es ist längst bekannt, daß der Mensch sich überall akklimatisiren kann, in Lappland wie am Senegal. Es ist daher keineswegs zu verwundern, daß Kruziferski sich nach und nach an das Negroff'sche Haus gewöhnte. Die Lebensweise, die Anschauungen und Interessen dieser Leute hatten ihn anfangs überrascht; dann wurde er gleichgültiger dagegen, obwohl er übrigens weit entfernt war, sich mit einem solchen Leben zu befreunden.

Seltsam, in dem Negroff'schen Hause gab es nichts Ungewöhnliches, nichts Besonderes; aber ein frischer, noch junger Mensch fühlte sich darin unbehaglich, es ward ihm schwer, darin zu athmen. Die vollkommenste, allseitigste Leere herrschte in der verehrlichen Familie des Alexis Abramowitsch. Warum diese Leute aus dem Bette aufstanden, warum sie umhergingen, zu welchem Zweck sie lebten – es wäre schwer gewesen, auf diese Fragen eine Antwort zu geben.

Uebrigens bedürfen sie auch keiner Antwort. Diese braven Leute lebten, weil sie zur Welt gekommen waren und fuhren fort zu leben kraft ihres Selbsterhaltungstriebes; was hätte es da für Zwecke und Hintergedanken geben können? Das alles ist deutsche Philosophie.

Der General stand morgens um sieben Uhr auf und erschien sofort mit einer großen Pfeife im Vorzimmer; hätte ihn ein Fremder gesehen, er würde gedacht haben, daß Pläne und Gedanken von höchster Bedeutung ihm durch den Kopf gingen: mit solchem Tiefsinn rauchte er; aber es war nur Rauch, der ihm nicht im sondern um den Kopf herumging.

Dieses tiefsinnige Rauchen dauerte eine Stunde. Alexis Abramowitsch ging während dieser ganzen Zeit langsam im Salon auf und ab, blieb oft am Fenster stehen und sah aufmerksam hinaus, blinzelte mit den Augen, runzelte die Stirn, machte eine unzufriedene Miene, ja seufzte sogar; aber auch das war eine eben solche optische Täuschung wie die Tiefsinnigkeit. Während dieser ganzen Zeit mußte der Verwalter mit dem Diener an der Thür stehen.

Wenn Alexis Abramowitsch mit dem Rauchen zu Ende war, wandte er sich an den Verwalter, nahm ihm den Tagesbericht aus der Hand und begann ganz unmenschlich auf ihn zu schimpfen, wobei er jedesmal hinzufügte, daß es nun aus sei, daß er ihn kenne, daß er Spitzbuben zu behandeln verstehe und, um ein Exempel zu statuiren, seinen Sohn unter die Soldaten stecken, ihn selbst aber zum Gänsehirten degradiren werde.

War dies eine Maßregel der moralischen Hygiene – nach Art der täglichen Kaltwasserbäder – war es eine Maßregel, mittels welcher er seine Untergebenen in Furcht und Gehorsam erhielt, oder einfach eine patriarchalische Gewohnheit – jedenfalls verdient seine Ausdauer alles Lob.

Der Verwalter hörte die väterlichen Ermahnungen mit sprachloser Selbstverläugnung an: so etwas anzuhören schien ihm eine ebenso wesentliche, mit seiner Stellung verbundene Pflicht, wie Weizen und Gerste, Roggen und Stroh zu stehlen.

»Ha du Spitzbube!« rief der General, »du verdientest dreimal gehängt zu werden!«

»Wie Ew. Excellenz belieben,« antwortete der Verwalter ganz kaltblütig und sah mit seinen Schelmenaugen etwas schielend zu Boden.

Diese Unterhaltung dauerte, bis die Kinder erschienen, um guten Morgen zu wünschen. Alexis Abramowitsch reichte ihnen die Hand. Mit ihnen erschien die Miniaturgouvernante, die Französin, welche ganz zu verschwinden, in sich aufzugehen schien und eine Verbeugung à la Pompadour machte. Sie meldete, daß der Thee bereit sei und Alexis Abramowitsch begab sich in das Divanzimmer, wo Glafira Lwowna ihn bereits bei der Theemaschine erwartete.

Gewöhnlich begann das Gespräch damit, daß Glafira Lwowna sich über ihr Befinden und ihre Schlaflosigkeit beklagte, sie fühlte in der rechten Schläfe einen unbegreiflichen, lebhaften Schmerz, der sich nach dem Nacken und dem Scheitel hinzog und ihr den Schlaf raubte.

Alexis Abramowitsch hörte das Bulletin über das Befinden seiner Gattin ziemlich gleichmüthig an, sei es, weil er allein unter allen Sterblichen ganz genau wußte, daß sie während der Nacht niemals aufwachte, sei es, daß er deutlich sah, wie sehr diese chronische Krankheit der Gesundheit der Glafira Lwowna zuträglich war.

Dagegen gerieth Elise Awgustowna in Schrecken, bedauerte die Leidende und tröstete sie damit, daß auch die Fürstin R., bei der sie gelebt, sowie die Gräfin M., bei der sie hätte leben können, wenn sie gewollt hätte, genau an demselben heftigen Schmerz gelitten, sowie, daß dasselbe tic douloureux genannt würde.

Während des Theetrinkens kam der Koch. Das edle Paar begann sich mit der Bestellung des Mittagessens zu beschäftigen und tadelte das gestrige, obgleich sämmtliche Schüsseln vollständig geleert worden. Der Koch hatte vor dem Verwalter den Vorzug voraus, daß ihn nicht nur der gnädige Herr, sondern auch die gnädige Frau auszankte.

Nach dem Thee begab sich Alexis Abramowitsch auf die Felder. Da er seit mehreren Jahren ununterbrochen auf dem Lande lebte, so machte er in der Agronomie einige Fortschritte, tadelte kleine Unordnungen und hielt vor allem auf Disciplin und unbedingten Gehorsam.

Fast unter seinen Augen geschah der unverschämteste Diebstahl, und in der Regel bemerkte er das gar nicht, und wenn er es merkte, so benahm er sich dabei so ungeschickt, daß er jedesmal an der Nase herumgeführt wurde. Als echtes Oberhaupt und Vater der Gemeinde sagte er oft: »Dem Dieb verzeihe ich noch, dem Spitzbuben verzeihe ich noch, aber Frechheit kann ich nicht dulden.«

Darin bestand sein patriarchalischer point d'honneur. Glafira Lwowna verließ nur sehr selten das Haus zu Fuße, wobei selbstverständlich der alte Garten eine Ausnahme machte, der gerade durch seine Verwilderung schön geworden und unmittelbar am Balkon anfing. Selbst um Pilze zu sammeln, fuhr sie stets im Wagen.

Dieses letztere ging in folgender Weise vor sich. Abends erhielt der Starost den Befehl, eine Legion Knaben und Mädchen zu versammeln mit großen und kleinen Körben, mit Stöcken u. s. w. Glafira Lwowna fuhr mit der Französin im Schritt durch die Lichtungen des Waldes, während ein Schwarm barfüßiger, halbnackter und halbverhungerter Kinder unter Anführung der Vogelwärterin, des jungen Herrn und des jungen Fräuleins über alle Pilzarten herfielen. Pilze von erstaunlicher Größe oder außerordentlicher Kleinheit brachte die Vogelwärterin dem Mütterchen Generalin. Diese geruhte ihr Wohlgefallen daran zu äußern und fuhr weiter.

Nach Hause zurückgekehrt klagte sie jedesmal über Müdigkeit und legte sich vor Tisch schlafen, nachdem sie zur Stärkung ihrer Kräfte irgend einen Rest des gestrigen Abendessens zu sich genommen, – wie z. B. einen Hammelbraten, oder das Fleisch eines nur mit Milch getränkten Kalbes, einer mit welschen Nüssen gefütterten Truthenne oder sonst etwas Leichtes und Wohlschmeckendes dieser Art.

Mittlerweile hatte auch schon Alexis Abramowitsch einen Bittern nebst Imbiß genommen, worauf er sich dann in den Garten begab, um spazieren zu gehen. Gerade um diese Zeit ging er mit Vorliebe im Garten lustwandeln, um sich mit dem Gewächshause zu beschäftigen, wobei er die Gärtnersfrau, die Zeit ihres Lebens Birnen von Aepfeln nicht unterscheiden konnte, was sie jedoch nicht hinderte, ein ziemlich angenehmes Aeußere zu haben, nach allem befragte.

Um diese Zeit, d. h. anderthalb Stunden vor dem Essen beschäftigte sich die Französin mit dem Unterrichten der Kinder. Was und wie sie unterrichtete, – das blieb ein undurchdringliches Geheimnis. Vater und Mutter waren zufrieden, wer hätte da noch das Recht gehabt, sich in Familiengeheimnisse zu mischen?

Gegen zwei Uhr wurde gegessen. Jedes Gericht war geeignet, einen an europäische Kost gewöhnten Menschen umzubringen. Fett und nichts als Fett, kaum gemildert durch Sauerkraut, Lauch und marinirte Pilze – und das wurde mit Hilfe einer bedeutenden Menge Madeira und Portwein nicht nur von Alexis Abramowitsch und Glafira Lwowna in ihren elastischen Magen verarbeitet, sondern auch von der verschrumpften, spindeldürren Elise Awgustowna. Vor allem im Verbrauch von Madeira gab sie dem Alexis Abramowitsch nichts nach.

(Ich muß hierbei auf die Fortschritte des neunzehnten Jahrhunderts hinweisen: im achtzehnten Jahrhundert hätte die Gouvernante nicht das Recht gehabt, bei Tisch Wein zu trinken.)

Sie versicherte, daß sie in ihrer Heimat (in Lausanne) einen eigenen Weingarten besäße, und daß sie zu Hause, wie in Rußland den Kwaß, täglich Madeira eigenen Gewächses getrunken und sich damals daran gewöhnt habe. Nach dem Essen legte sich der General in seinem Zimmer eine halbe Stunde schlafen, er schlief aber weit länger, und Glafira Lwowna begab sich mit der Gouvernante in den Salon.

Die Gouvernante redete unaufhörlich, und Glafira Lwowna schlief unter ihren endlosen Erzählungen ein. Zuweilen ließ Glafira Lwowna der Abwechselung wegen die Frau des Dorfpopen rufen. Diese, ein scheues, linkisches Wesen, das in ewiger Angst lebte und sich vor allem fürchtete, erschien. Glafira Lwowna brachte ganze Stunden mit ihr zu und sagte dann zu der Gouvernante:

»Ah! Comme elle est bête! Insupportable!«

Und in der That, die Popenfrau war erzdumm.

Alsdann wurde der Thee gereicht, und später, gegen zehn Uhr, das Abendessen eingenommen. Nach dem Abendessen begann die Familie wie aus einem Munde zu gähnen. Glafira Lwowna bemerkte, auf dem Lande müßte man ländlich leben, das heißt, früh schlafen gehen, – und dann trennte sich die Familie. Um elf Uhr schlief das ganze Haus vom Pferdestall bis zur Dachstube.

Von Zeit zu Zeit fand sich irgend ein Nachbar ein, – ein Negroff mit anderem Namen, oder eine alte Tante, welche in der Gouvernementsstadt lebte und bei welcher der Wunsch, ihre Töchter an den Mann zu bringen, zur fixen Idee geworden war. Dann wurde für einen Augenblick die Lebensweise geändert; aber sobald die Gäste wieder fort waren, kehrte alles zu der früheren Ordnung der Dinge zurück.

Selbstverständlich blieb nach all diesen Beschäftigungen noch Zeit genug übrig, welche man nicht todtzuschlagen wußte, namentlich an einem regnerischen Herbst- oder langen Winterabende. Das ganze Talent der Französin wurde in Anspruch genommen, um diese Zeitlücken auszufüllen. Es muß bemerkt werden, daß es ihr an Erzählungsstoff nicht fehlte: sie war in den letzten Regierungsjahren der Kaiserin Katharina als Schneiderin einer französischen Schauspielertruppe nach Rußland gekommen; ihr Mann war zweiter Liebhaber, aber unglücklicherweise ward ihm das Petersburger Klima verderblich, namentlich seitdem er von einem Gardesergeanten aus einem Fenster des zweiten Stocks auf die Straße hinuntergeworfen worden, was in Folge einer für einen verheirateten Mann zu großen Sorge um eine der Künstlerinnen der Schauspielergesellschaft geschah.

Wahrscheinlich hatte er sich im Fall nicht genügend gegen die feuchte Luft gesichert; denn von diesem Augenblick an hustete er, hustete zwei Monate lang, dann jedoch hörte er aus einem sehr einfachen Grunde auf, weil er nämlich starb.

Elise Awgustowna wurde gerade zu der Zeit Witwe, da man des Mannes mehr denn je bedarf, d. h. in einem Alter von dreißig Jahren . . . Sie beweinte ihren Gatten mit heißen Thränen, und ward erst barmherzige Schwester bei einem Gichtkranken und dann Erzieherin der Tochter eines sehr langen Witwers. Von ihm kam sie zu einer Fürstin u. s. w. – Es ist unmöglich, ihren ganzen Lebenslauf zu erzählen. Genug, sie verstand es ausgezeichnet, sich in die Gewohnheiten und Sitten des Hauses, in welchem sie lebte, zu fügen, schlich sich in das Vertrauen ein, machte sich unentbehrlich, führte geheime und offene Aufträge aus und bewahrte sich bei all ihrem Thun und Lassen ein gewisses Gepräge von Clientenwesen und Demuth; immer gab sie nach und suchte fremden Wünschen zuvorzukommen. Kurz, fremde Treppen waren ihr nicht hart, fremdes Brot nicht bitter. Lachend und mit dem Strickstrumpf in der Hand lebte sie ganz sorglos und behaglich; sie war beständig in all die kleinen Geschichten verwickelt, welche sich zwischen der Mädchenstube und dem Schlafzimmer der Herrschaft abspielen – und nie kam ihr ein Gedanke an ihr elendes Dasein in den Sinn.

Wenn es langweilig wurde, unterhielt Elise Awgustowna mit ihren Erzählungen, während Alexis Abramowitsch Patience legte und Glafira Lwowna ohne jede Beschäftigung auf dem Sopha saß. Elise Awgustowna wußte tausend Erlebnisse und Intriguen ihrer Wohlthäter (so nannte sie alle, bei denen sie in Dienst gewesen); sie erzählte dieselben mit bedeutenden Zusätzen und theilte sich in jeder Geschichte die Hauptrolle zu, mochte sie die elendeste oder schönste sein – gleichviel.

Alexis Abramowitsch hörte mit noch größerem Interesse als seine Frau die Scandalchronik der Erzieherin seiner Kinder an und lachte von ganzem Herzen und meinte, diese Gouvernante sei ein wahrer Schatz. In solcher Weise zog sich Tag auf Tag hin; die Zeit verging, woran sie bisweilen durch hohe Feiertage, die Fasten, die Abnahme oder Zunahme der Tage, die Namens- und Geburtsfeste erinnert wurden, und Glafira Lwowna sprach dann verwundert:

»Ach, mein Gott, übermorgen ist ja schon Weihnachten, und mir ist, als sei erst ganz vor kurzem der erste Schnee gefallen!«

* * *

Aber wo ist bei alledem Lubonka, das arme Mädchen geblieben, das die guten Negroffs erzogen? Wir haben sie gänzlich vergessen. Allein daran ist sie mehr schuld als wir: sie erschien meist schweigend im Kreise der patriarchalischen Familie, nahm fast gar keinen Antheil an allem was vorging und brachte eben dadurch einen offenbaren Mißklang in die Harmonie der übrigen Familienmitglieder.

Dieses Mädchen hatte gar manches Seltsame an sich: mit ihrem energievollen Antlitz paarten sich Apathie und Kälte, die allem Anschein nach durch nichts zu bannen waren; sie war gegen alles so gleichgiltig, daß dies sogar der Glafira Lwowna manchmal unerträglich vorkam und sie sie eine frostige Engländerin nannte, obgleich die andalusischen Eigenschaften der Generalin ebenfalls sehr erheblichen Zweifeln unterlagen.

Ihr Gesicht glich dem des Vaters, nur die dunkelblauen Augen hatte sie von Dunja.

Allein in dieser Aehnlichkeit lag ein so unermeßlicher Gegensatz, daß diese beiden Gesichter Lavater den Stoff zu einem neuen phrasenreichen Buche hätten liefern können: die harten Züge des Alexis Abramowitsch erschienen in Lubonka's Antlitz veredelt, wenn man sie ansah, konnte man begreifen, daß in Negroff gute Eigenschaften geschlummert, welche aber das Leben erstickt und vernichtet hatte. Ihr Gesicht erklärte gleichsam dasjenige Negroffs: wenn man sie anblickte, konnte man sich mit ihm versöhnen.

Aber warum war sie immer so nachdenkend und träumerisch? Warum vermochte so wenig sie zu erheitern? Warum war sie so gern allein auf ihrem Zimmer? Dafür gab es viele Gründe, innere wie äußere, – beginnen wir mit den letzteren.

Ihre Stellung im Hause des Generals war keine beneidenswerthe. Nicht als ob man sie hätte fortjagen oder kränken wollen, sondern weil diese Leute voller Vorurtheile und ohne jenes Zartgefühl, das nur die Bildung verleiht, und grob ja roh waren, ohne es selbst zu wissen. Weder der General noch seine Frau begriffen, wie eigenthümlich Lubonka's Lage in diesem Hause war, und machten ihr dieselbe ohne alle Noth noch schwieriger, und griffen in die zartesten Saiten ihres Herzens. Die rauhe, oft hochmüthige Natur Negroffs, der sie manchmal ohne jede Absicht, bisweilen jedoch auch mit Absicht tief verletzte, aber ohne irgendwie zu begreifen, von welch mächtiger Wirkung manches Wort auf ein zarteres Herz als das des Verwalters sei, und daß er sich vorsichtig gegen das schutzlose Mädchen verhalten müßte, welches seine Tochter und wieder nicht seine Tochter war und halb von Rechts wegen und halb aus Gnade in seinem Hause wohnte.

Dieses Zartgefühls war ein Mensch wie Negroff durchaus unfähig; es kam ihm niemals der Gedanke, daß dieses Mädchen durch Worte beleidigt werden könnte. Wer ist sie denn, daß sie sich beleidigt fühlen kann, beleidigt fühlen darf? Alexis Abramowitsch, der Lubonka mehr und mehr in ihrer Liebe zu Glafira Lwowna zu bestärken wünschte, sagte ihr oft, daß sie Zeit ihres Lebens für seine Frau zu Gott beten müßte, daß sie ihr all ihr Glück zu danken habe, daß sie ohne sie nicht ein Fräulein, sondern ein Stubenmädchen sei.

Bei den geringfügigsten Anlässen sagte er, daß wenn sie auch dieselbe Erziehung erhalten, wie seine Kinder, doch ein ungeheurer Unterschied zwischen ihnen bestehe. Als sie ihr sechzehntes Jahr vollendet hatte, betrachtete Negroff jeden nicht verheirateten Mann als einen passenden Bräutigam für sie; wenn ein Assessor mit Akten aus der Stadt kam, wenn man von einem unbedeutenden Gutsnachbar hörte, so sagte Alexis Abramowitsch in Gegenwart der armen Lubonka:

»Wie gut wäre es, wenn der Assessor Lubonka heirathete; ja, ja, sie sowohl wie ich könnten uns dazu gratuliren; das wäre eine vortreffliche Partie für sie. Auf einen Grafen kann sie ja doch nicht warten!«

Glafira Lwowna kränkte Lubonka nicht so grausam, ja manchmal verwöhnte sie sie sogar in ihrer Weise: sie nöthigte sie, über den Appetit zu essen, gab ihr gelegentlich Confect u. s. w. Aber auch von ihr hatte die Aermste gar manches zu leiden.

Wenn Glafira Lwowna Lubonka einer Dame vorstellte, so hielt sie sich jedesmal für verpflichtet, die Worte hinzuzufügen:

»Eine Waise, welche mit meinen Kindern erzogen worden.«

Und dann begann sie zu flüstern. Lubonka errieth, wovon die Rede war, erbleichte und ward vor Scham feuerroth, namentlich wenn die Provinzialdame, nachdem sie die geheime Erklärung entgegengenommen, einen frechen Blick auf sie richtete und dabei zweideutig lächelte.

In der letzten Zeit hatte sich Glafira Lwowna in ihrem Verhalten gegen die Waise ein wenig geändert; sie begann sich mit einem Gedanken zu beschäftigen, der später, wenn er sich weiter entwickelte, die schrecklichsten Folgen haben konnte: trotz all ihrer mütterlichen Blindheit konnte sie nicht umhin, zu bemerken, daß ihre Lisa – ein dickes, rothwangiges, der Mutter sehr ähnliches Mädchen, das außerdem noch ein dummes Gesicht hatte – stets durch die edle Erscheinung Lubonka's verdunkelt werden müßte, da ihr außer ihrer Schönheit ihr sinnendes, träumerisches Wesen einen Reiz verlieh, der unmöglich unbeachtet bleiben konnte.

Nachdem sie hierauf aufmerksam geworden, war sie vollständig mit Alexis Abramowitsch einverstanden, daß, wenn sich nur irgend ein gutmüthiges Secretärchen oder ein – gleichfalls gutmüthiger – Assessor präsentire, man sie ihm sofort geben müsse. Dies alles konnte Lubonka nicht entgehen.

Außerdem fühlte sie sich auch durch ihre ganze Umgebung beengt; ihr Verhältnis zu der Dienerschaft, unter welcher sich ihre Amme befand, hatte etwas sehr unbehagliches für sie. Die Stubenmädchen betrachteten sie als einen Emporkömmling, und da ihnen eine durchaus aristokratische Denkart eigen war, betrachteten sie nur den regelrechten Sprößling des Stammbaumes, Lisa, als ein wirkliches Fräulein.

Als sie sich von der außerordentlichen Sanftmuth und Anspruchslosigkeit Lubonka's überzeugt hatten, als sie sahen, daß sie sie niemals bei Glafira Lwowna verleumdete, da hatte sie die Achtung dieser Mädchen vollständig verloren, und fast laut sagten sie in Augenblicken des Unwillens:

»Ein Bauernmädchen mag man noch so sehr herausputzen, es bleibt immer ein Bauermädchen; vornehme Art und Haltung vermag es sich niemals anzueignen.«

Das alles sind Kleinigkeiten, welche von einem höhern Standpunkte keinerlei Beachtung verdienen, – allein ich frage jeden, welcher eine Reihe niedriger, gemeiner Schmähungen und Kränkungen ertragen hat, – ich frage jeden – oder noch besser jede, ob so etwas leicht zu ertragen ist oder nicht.

Um Lubonka's Kränkungen die Krone aufzusetzen, fand sich bisweilen eine in der Gouvernementsstadt lebende Tante des Alexis Abramowitsch mit drei Töchtern zum Besuch ein. Diese Alte – ein boshaftes, halb verrücktes Weib – konnte das unglückliche Mädchen nicht sehen und benahm sich gegen sie in empörender Weise.

»Aber wie kommen Sie dazu, meine Liebe,« sprach sie kopfschüttelnd, »sich so herauszuputzen? Das erklären Sie mir nur! Ich bitte Sie, man könnte Sie ja fast für eine eben solche Dame halten, wie meine Töchter!

»Glafira Lwowna, warum verwöhnen Sie sie so? Die Marsuschka, die bei mir als Vogelhüterin, als Magd dient, ist ja ihre leibliche Tante. In der That, wie kommen Sie dazu? Und Alexis, dieser alte Sünder, sollte sich vor anständigen Leuten schämen!«

Diese schmähenden Bemerkungen schloß sie jedesmal mit einem Gebet, worin sie den lieben Gott anflehte, ihrem Neffen doch die Sünde zu verzeihen, daß Lubonka zur Welt gekommen. Wenn die Töchter dieser Tante – drei Provinzialdamen, von denen die älteste bereits seit zwei, drei Jahren in dem verhängnisvollen neunundzwanzigsten Jahre stand – nicht mit solch patriarchalischer Offenherzigkeit sprachen, so ließen sie Lubonka doch durch jedes Wort fühlen, daß sie nur aus Herablassung sich mit ihr befaßten und sie ihrer Freundlichkeit würdigten.

Lubonka ließ in anderer Gegenwart niemals merken, wie tief sie solche Auftritte verletzten, oder vielmehr, alle in ihrer Umgebung vermochten das nicht eher zu begreifen und einzusehen, als bis es ihnen gesagt und auseinandergesetzt wurde. Aber befand sie sich allein in ihrem Zimmer, so weinte sie bitterlich . . . Ja, sie konnte sich über solche Beleidigungen nicht erheben – und ist so etwas einem Mädchen in ihrer Stellung überhaupt möglich?

Glafira Lwowna hatte Mitleid mit Lubonka; aber sie in Schutz zu nehmen, ihre Mißbilligung zu zeigen – so etwas kam ihr nicht in den Sinn; sie beschränkte sich gewöhnlich darauf, Lubonka eine doppelte Portion Eingemachtes zu geben, worauf sie dann, indem sie der Alten mit außerordentlicher Liebenswürdigkeit das Geleit gab, tausendmal wiederholte, daß die chère tante sie nicht vergessen möge, und zu der Französin sagte, sie möge diese Frau nicht ausstehen, und nach jedem ihrer Besuche fühle sie ihre Nerven zerrüttet und ein heftiges Kopfweh in der linken Schläfe, das sich zum Nacken hinabziehe.

Brauchen wir noch erst zu sagen, daß Lubonka's Erziehung allem andern ganz entsprach? Außer der Elise Awgustowna ertheilte ihr niemand Unterricht; und Elise Awgustowna beschäftigte die Kinder nur mit der französischen Grammatik, obgleich sie in das Geheimnis der französischen Orthographie nicht eingeweiht war und bis in ihre alten Tage nicht ohne erhebliche Fehler schreiben konnte.

Außer der Grammatik nahm sie nichts vor; obgleich sie übrigens behauptete, daß sie zwei Söhne einer Fürstin zur Universität vorbereitet habe. In Negroffs Hause gab es nur sehr wenig Bücher; und Alexis Abramowitsch hatte nicht ein einziges. Glafira Lwowna besaß allerdings eine Bibliothek: in dem Familienzimmer stand ein Schrank, dessen oberes Fach ein niemals gebrauchtes, prachtvolles Theeservice einnahm, während in dem untern Fach Bücher aufgestellt waren. Darunter befanden sich etwa fünfzig französische Romane: ein Theil derselben hatte in unvordenklichen Zeiten die Gräfin Mawra Iljinischna ergötzt und gebildet, die übrigen hatte Glafira Lwowna in dem ersten Jahre ihres Ehestandes gekauft. In diesem Jahre kaufte sie alles mögliche: Tabak für ihren Mann, eine Mappe mit Ansichten von Berlin, ein sehr schönes Halsband mit goldenem Schloß u. s. w. . . .

Außer all diesen unnützen Dingen hatte sie auch dreißig bis vierzig Modebücher gekauft; darunter befanden sich zwei, drei englische, die mit aufs Land genommen worden waren, obgleich nicht blos in Negroffs Hause, sondern auch auf vier Meilen im Umkreise kein Mensch ein Wort englisch verstand. Sie hatte sie des englischen Einbandes wegen gekauft; und diese Einbände waren in der That sehr schön.

Glafira Lwowna gestattete Lubonka gern, sich diese Bücher zu nehmen, ja sie ermunterte sie sogar dazu, wobei sie sagte, daß auch sie leidenschaftlich gern lese, und sie bedaure sehr, daß ihre vielen häuslichen Pflichten und die Erziehung der Kinder ihr keine Zeit zum Lesen übrig ließen.

Lubonka las gern und aufmerksam, allein eine besondere Leidenschaft fürs Lesen hatte sie nicht; sie hatte sich nicht so sehr an Bücher gewöhnt, daß ihr dieselben unentbehrlich geworden wären; sie kamen ihr immer etwas matt vor; sogar Walter Scott langweilte sie manchmal ganz entsetzlich.

Allein die Unfruchtbarkeit des Bodens, auf welchem sich das junge Mädchen befand, behinderten ihre Entwickelung nicht. Ganz im Gegentheil; die schwierigen Verhältnisse, die sie von allen Seiten einengten, förderten ihr Wachsthum in hohem Grade. Wie das zuging? . . . Das ist ein Geheimnis des weiblichen Herzens. Ein Mädchen fügt sich entweder gleich von Anfang an in ihre Umgebung, so daß sie bereits mit vierzehn Jahren kokettirt, klatscht, mit den vorüberreitenden Offizieren liebäugelt, darauf achtet, daß die Dienstmädchen keinen Zucker stehlen, und sich auf ihren Beruf als ehrenwerthe Hausfrau und strenge Mutter vorbereitet, oder sie erhebt sich mit ungewöhnlicher Leichtigkeit aus dem Schmutz und Staub, besiegt die äußere Welt durch inneren Adel, begreift vermöge einer gewissen Sehergabe die Räthsel des Lebens, und erwirbt sich einen Tact, der sie schützt und leitet.

Eine solche Entwickelung bleibt dem Manne fast völlig fremd, unsereins lernt fortwährend auf Gymnasien und Universitäten, in Kaffeehäusern und anderen mehr oder weniger pädagogischen Anstalten; und doch erlangen wir erst, wenn wir schon nahe an fünfunddreißig Jahre streifen und zwar nach Verlust vieler Haare, Kräfte und Leidenschaften jenen Entwicklungsgrad und jene Erkenntnis, welche beim Weibe Hand in Hand geht mit der Jugend, mit der Fülle und Frische der Empfindungen, der Gefühle.

Lubonka zählte zwölf Jahre, als einige wenige, gleichgiltig hingeworfene, grobe, harte Worte, welche Negroff in einem Augenblick väterlichen Unwillens sprach, in wenigen Stunden ihre Erziehung vollendeten und ihr einen Impuls gaben, der ihr nicht gestattete, stehen zu bleiben. Mit zwölf Jahren begann dieses schwarzlockige Köpfchen zu arbeiten; der Kreis von Fragen, die in ihr angeregt worden, war nicht groß, nur durchaus persönlicher Art; um so mehr konnte sie sich auf dieselben beschränken; nichts in ihrer äußern Umgebung beschäftigte sie; sie dachte und träumte; träumte, um sich ihr Herz zu erleichtern, und dachte, um ihre Träumereien zu begreifen.

So vergingen fünf Jahre. Fünf Jahre sind in der Entwickelung eines Mädchens eine ungeheure Zeit. Die grübelnde, verschlossene, feurige Lubonka begann in diesen fünf Jahren Dinge zu fühlen und zu verstehen, von welchen einfache Menschenkinder oft bis zu ihrem Lebensende keine Ahnung haben. Manchmal fürchtete sie sich vor ihren Gedanken, machte sich wegen ihrer Träumereien Vorwürfe – aber die Thätigkeit ihres Geistes hörte nicht wieder auf.

Sie hatte niemanden, dem sie alles, was sie beschäftigte, was sich in ihrer Seele ansammelte, mittheilen konnte; und als sie endlich nicht mehr die Kraft hatte, alles in sich zu verschließen, da kam sie auf die Idee, die bei jungen Mädchen sehr gewöhnlich ist: sie begann ihre Gedanken, ihre Empfindungen aufzuschreiben. Es war eine Art Tagebuch, und um den Leser ganz mit ihr bekannt zu machen, wollen wir aus diesem Tagebuch einige Zeilen abschreiben.

»Gestern Abend saß ich lange am Fenster. Die Nacht war linde; es war so schön im Garten . . . Ich weiß nicht, warum mir immer schwermüthig ums Herz wurde, als sei eine dunkle Wolke aus der Tiefe meiner Seele aufgezogen. Mir war so schwer, daß ich weinte, bitter weinte . . . Ich habe Vater und Mutter, und doch bin ich eine Waise: ich befinde mich allein, ganz allein auf der weiten Gotteswelt, und mit Schrecken fühle ich, daß ich niemand liebe . . .

»Das ist entsetzlich! Wen ich auch ansehe, alle lieben irgend jemanden: mir sind alle fremd – ich möchte lieben und kann es nicht.«

»Manchmal ist mir, als ob ich Alexis Abramowitsch, Glafira Lwowna, Mischa, meine Schwester, liebte – aber das ist ein Irrthum. Alexis Abramowitsch ist so hart gegen mich, er ist mir noch fremder als Glafira Lwowna. Aber er ist mein Vater: kommt es einem Kinde etwa zu, über seinen Vater zu Gericht zu sitzen? Liebt es ihn etwa um irgend einer Handlung willen? Es liebt ihn, weil er sein Vater ist – und ich kann es nicht.«

»Wie oft habe ich mir vorgenommen, mit Sanftmuth seine ungerechten Vorwürfe anzuhören; ich kann mich nicht daran gewöhnen . . .«

»Sobald Alexis Abramowitsch hart wird, beginnt mein Herz heftiger zu schlagen und mir ist, als könnte ich, wenn ich mir nicht Zwang anthäte, ihm in derselben harten Weise antworten . . . Meine Liebe zu der Mutter hat man mir getrübt, geraubt; es sind erst kaum vier Jahre, da erfuhr ich, daß sie meine Mutter ist; erst ganz spät habe ich mich an den Gedanken gewöhnt, daß ich eine Mutter habe: ich liebte sie, wie eine Amme . . . Ich liebe sie wirklich; aber – kaum wag ich's zu gestehen – mir ist so unbehaglich in ihrer Gegenwart zu Muth; ich muß ihr vieles verheimlichen, wenn ich mit ihr rede: das beengt, das bedrückt mich; wenn man liebt, muß man alles sagen können; ihr gegenüber fühle ich mich nicht frei; sie ist eine gute alte Frau, aber mehr Kind als ich selbst; und zudem hat sie die Gewohnheit, mich Fräulein zu nennen; mich mit »Sie« anzureden – das ist fast noch schwerer zu ertragen, als jene rohe Sprache des Alexis Abramowitsch . . . Ich habe für sie und für mich gebetet, zu Gott gefleht, daß er meine Seele von Stolz reinige, mich demüthig mache und mir Liebe verleihe; aber die Liebe ist in mein Herz nicht eingekehrt . . .«

Eine Woche später.

»Sollten denn alle Menschen ihnen gleich sein; lebt man denn überall so wie in diesem Hause? Ich habe niemals das Haus des Alexis Abramowitsch verlassen, aber mir ist, als müßte man sogar im Dorf besser leben. Manchmal wird es mir unerträglich schwer in ihrer Umgebung. Oder bin ich vielleicht menschenscheu geworden, weil ich immer so allein bin?

»Wie anders ist mir, sobald ich in die Lindenallee hinausgehe, und mich am Ende derselben auf die Bank setze und in die Ferne schaue . . . Dann ist mir so wohl, dann vergesse ich sie. Nicht als ob ich fröhlich wäre, nein, mir wird vielmehr traurig – aber so wohlthuend traurig . . . Am Fuße des Berges liegt das Dorf. Wie liebe ich diese ärmlichen Bauernhütten, dieses Flüßchen, das nahe an demselben vorüberfließt, und in der Ferne den Wald! Ganze Stunden betrachte ich sie, betrachte und lausche: bald tönt von weitem Gesang herüber, bald Kettengerassel, bald Hundegebell, bald das Knarren eines Wagens . . .

»Und sobald die Bauernjungen mein weißes Kleid bemerken, kommen sie zu mir gelaufen, bringen mir Erdbeeren und erzählen mir allerlei unsinniges Zeug; und ich höre ihnen zu und finde ihr Geplauder gar nicht langweilig. Welch prächtige Gesichter sie haben – so offen, so edel! Ich glaube, würden sie so erzogen wie Mischa, sie würden ganz vorzügliche Menschen werden. Bisweilen kommen sie auch zu Mischa nach dem Herrenhause, aber dann verstecke ich mich vor ihnen: unser Gesinde und sogar Glafira Lwowna benehmen sich so rauh gegen sie, daß mir alles Blut zum Herzen dringt; die armen Kinder thun alles mögliche, um meinem Bruder eine Freude zu machen, sie laufen umher, fangen ihm Eichhörnchen und Vögel, und er kränkt sie! . . .«

»Seltsam, Glafira Lwowna ist so empfindsam, sie weint schon, wenn etwas Trauriges erzählt wird, und doch muß ich manchmal über ihre Härte staunen; und als schämte sie sich, sagt sie immer:

›Solche Menschen begreifen das nicht; die darf man nicht menschlich behandeln, sonst vergessen sie sich gleich.‹

»Das glaube ich nicht; offenbar fließt in meinen Adern noch immer das Bauernblut meiner Mutter! Ich rede immer mit den Bauern wie mit den anderen, wie mit allen, und sie lieben mich, bringen mir warme Milch und Honigseim. Freilich verbeugen sie sich nicht vor mir bis zum Gürtel, wie vor Glafira Lwowna; aber dafür sehen sie mich immer mit so heiterm Gesicht, mit solchem Lächeln an . . .«

»Ich kann gar nicht begreifen, warum die Bauern unseres Dorfes besser sind als all die Gäste, welche aus der Gouvernementsstadt und aus der Nachbarschaft zu uns auf Besuch kommen, ja warum sie sogar viel gescheidter als diese Menschen sind – und doch haben diese viel gelernt, es sind ja lauter Gutsbesitzer und Beamte – und doch sind sie immer so widerwärtig . . .«

* * *

Ist es wirklich wahrscheinlich, daß ein Mädchen, welches in der patriarchalischen Familie Negroffs erzogen, kaum siebzehn Jahre zählt, nirgend hingekommen, wenig gelesen und noch weniger gesehen hat, so fühlen kann?

Für die tatsächliche Glaubwürdigkeit des Tagebuchs bürgt die Gewissenhaftigkeit des Sammlers dieser Documente; für die seelische Glaubwürdigkeit trete ich ein. Lubonka's eigenthümliche Stellung in Negroffs Hause ist dem Leser bekannt. Von Natur mit energischem Willen begabt, wurde sie durch alles verletzt: durch ihr zweideutiges Verhältnis zu der ganzen Familie; durch die Stellung ihrer Mutter; durch ihres Vaters völligen Mangel an Zartgefühl, der es sich nicht selbst, sondern ihr als Schuld anrechnete, daß sie zur Welt gekommen, endlich durch die ganze Dienerschaft, welche mit der den Lakaien eigentümlichen aristokratischen Gesinnung Dunja mit Hohn ansahen.

Was sollte Lubonka, die überall zurückgestoßene Lubonka, beginnen? Vielleicht wäre sie entflohen und unter die Soldaten oder sonst wohin gegangen, wenn sie ein Mann gewesen; aber als Mädchen flüchtete sie sich in sich selbst; jahrelang hatte sie ihren Gram, ihre Beleidigungen, ihren Müßiggang, ihre Gedanken ertragen; aber nach und nach begann sich ein Theil der in ihrer Seele gährenden Empfindungen zu setzen. Als es ihr nicht mehr möglich war, das natürliche, mächtige Bedürfnis, gegen irgend jemanden ihr Herz auszuschütten, zu befriedigen, da griff sie zur Feder und begann zu schreiben, d. h. gegen sich selbst auszusprechen, was sie beschäftigte, und dadurch ihr Herz zu erleichtern.

* * *

Es bedarf keines besondern Scharfsinns, um vorauszusehen, daß Lubonka's und Kruziferski's Begegnung unter den hier obwaltenden Umständen nicht ohne Folgen bleiben würde. Kaum vermögen die jahrelangen Bemühungen der Erziehung und der Verkehr mit der großen Welt in jungen Leuten die Liebesfähigkeit und den Liebesdrang zu ersticken. Lubonka und Kruziferski konnten nicht umhin, einander zu bemerken: sie waren allein, sie befanden sich gleichsam in einer Wüste . . .

Lange Zeit wagte der schüchterne Candidat nicht, mit Lubonka auch nur zwei Worte zu sprechen; schweigend lernten sie sich kennen. Das erste, was die jungen Leute einander näher brachte, war die väterliche Offenherzigkeit Negroffs im Verkehr mit seiner Familie und seiner Dienerschaft. Lubonka vermochte sich Zeit ihres Lebens nicht an den rohen Ton des Alexis Abramowitsch zu gewöhnen. Es versteht sich von selbst, daß seine Ausfälle in Gegenwart eines Fremden noch mächtiger auf sie einwirkten; ihre glühenden Wangen und ihre Aufregung hinderten sie jedoch nicht, zu sehen, daß diese patriarchalischen Manieren einen ebensolchen Eindruck auf Kruziferski machten.

Erst längere Zeit später machte dieser dieselbe Bemerkung. Da entwickelte sich zwischen ihnen ein geheimes Verständnis; es entwickelte sich, noch bevor sie zwei, drei Bemerkungen mit einander ausgetauscht hatten. Sobald Alexis Abramowitsch auf Lubonka zu sticheln anfing, oder irgend einen sechzigjährigen Peter belehrte, oder einem grauköpfigen Hans Moral predigte, dann richtete sich Lubonka's leidender Blick, der lange zur Erde geschaut, unwillkürlich auf Dmitri Jakowlewitsch, dessen Lippen erbebten und dessen Gesicht sich röthete. Auch er suchte, um eine bedrückende, unangenehme Empfindung los zu werden, heimlich auf dem Antlitze Lubonka's zu lesen, was in ihrer Seele vorging. Anfangs dachten sie nicht daran, wohin diese sympathischen Blicke gerade sie führen könnten, da sich in ihrer ganzen Umgebung nichts befand, was die einmal erregte Sympathie wenn nicht zu unterdrücken, so doch wenigstens in Schranken zu halten vermochte. Ganz im Gegentheil: das gänzliche Fernstehen der übrigen Personen begünstigte nur ihre Entwickelung.

Ich habe gar nicht die Absicht, Wort für Wort den Liebesroman meines Helden zu erzählen. Die Musen haben mir die Fähigkeit versagt, die Liebe zu schildern:

»O Haß, nur dich besinge ich!«

Ich will euch daher in Kürze mittheilen, daß Kruziferski, dieser von Natur so zartfühlende, schwärmerische junge Mann nach zweimonatlichem Aufenthalt in Negroffs Hause wahnsinnig, leidenschaftlich in Lubonka verliebt war. Seine Liebe ward der Mittelpunkt, um welchen sich alle Elemente seines Lebens sammelten, ihr ordnete er alles unter: seine Liebe zu den Eltern und seine Wissenschaft – kurz er liebte, wie nur eine zartbesaitete, romantische Natur lieben kann, er liebte wie Werther, wie Wladimir Lenzki.

Lange gestand er sich dies neue Gefühl, das seine ganze Seele erfüllte, nicht ein; und noch längere Zeit konnte er es ihr nicht gestehen, ja er wagte nicht einmal daran zu denken – aber gewöhnlich braucht man auch nicht daran zu denken: solche Dinge machen sich ganz von selbst.

Einst nach Tisch, als Negroff sich in seinem Zimmer befand und Glafira Lwowna im Salon der Ruhe pflegte, saß Lubonka im Vorzimmer, während Kruziferski ihr laut Schukowski's Gedichte vorlas.

Wie ungemein gefährlich es für einen jungen Mann ist, einem jungen Mädchen etwas anderes vorzulesen als ein Handbuch der reinen Mathematik, das hat im Jenseits Franceska da Rimini Dante erzählt, während sie sich im Höllenwalzer della buffera infernale drehte: sie erzählte, wie's von der Lectüre zum Kuß, vom Kuß zum tragischen Ausgang gekommen.

Hiervon hatten unsere jungen Leute keine Kenntnis, und schon seit einigen Tagen entfachten sie ihre Liebe mit Hilfe Schukowskis, den der Candidat mitgebracht hatte. So lange sie seine Übersetzung von Schillers Kranichen des Ibikus lasen, ging alles gut; aber als hier der Schuldige entdeckt war und sie zu »Alina und Alsim« übergingen, – da ereignete sich folgendes. Nachdem Kruziferski mit bebender Stimme die erste Strophe gelesen, da rann ihm der Schweiß vom Gesicht, der Athem stockte ihm, und er mußte eine ungeheure Anstrengung machen, um folgende Zeilen zu lesen:

Wer noch in seinen Blütetagen
Darf zur verwandten Seele sagen:
Sei mein, sei mein auf dieser Welt! . . .

Hier hielt er inne und brach in helle Thränen aus. Das Buch entfiel seinen Händen, sein Haupt neigte sich – und er schluchzte, schluchzte wie außer sich, schluchzte wie nur ein Mensch schluchzen kann, der zum ersten Mal liebt.

»Was ist Ihnen?« fragte Lubonka, der das Herz ebenfalls heftig pochte, der die Thränen ebenfalls in die Augen drangen.

»Was ist Ihnen?« wiederholte sie und innerlich bangte ihr vor der Antwort.

Kruziferski ergriff ihre Hand, und von neuer, bisher nie gekannter Kraft beseelt, – ohne daß er übrigens die Augen zu erheben wagte – sprach er zu ihr:

»Seien Sie meine Alina, seien Sie . . . Ich . . . Ich . . .«

Mehr vermochte er nicht hervorzubringen. Lubonka zog sanft ihre Hand zurück, ihre Wangen brannten; auch sie begann zu weinen und ging hinaus.

Kruziferski that nichts, um sie zurückzuhalten; aber er wünschte das auch kaum. Mein Gott, dachte er, was habe ich gethan. Aber sie hatte ihm ihre Hand so langsam, so sanft entzogen – und wiederum weinte er wie ein Kind.

Am Abend dieses selben Tages sagte Elise Awgustowna scherzend zu Kruziferski:

»Sie sind gewiß verliebt, – so zerstreut, so schwermüthig! . . .«

Kruziferski erröthete über das ganze Gesicht.

»Sehen Sie, wie ausgezeichnet ich zu rathen verstehe! Soll ich Ihnen die Karten legen?«

Dem Kandidaten war zu Muth, wie nur dem ärgsten Verbrecher, der nicht weiß, was alles dem Untersuchungsrichter bekannt ist, und auf was derselbe anspielt.

»Nun? Soll ich?« fragte die unvermeidliche Französin.

»Seien Sie so freundlich!« antwortete der junge Mann.

Und nun begann Elise Awgustowna ihm mit einem eigenthümlichen Dämonenlächeln die Karten zu legen, wobei sie sprach:

»Da, das ist die Dame de vos pensées . . . Und Sie sind überglücklich, sie hat an Ihrem Herzen geruht . . . Ich gratulire! . . . Und daneben Coeur-Aß . . . Sie liebt Sie sehr . . . Aber was ist das? . . . Sie wagt es nicht, Ihnen das zu sagen! Was sind Sie für ein hartherziger Liebhaber, – lassen sie so leiden!« u. s. w.

Bei jedem Worte sah ihn Elise Awgustowna mit ihren durchdringenden kleinen Schelmenaugen fest an und freute sich von ganzem Herzen über die Qual, welche sie dem unglücklichen jungen Mann bereitete. »Pauvre jeune homme! Sie wird Sie nicht so leiden lassen. Nun, wo in aller Welt gäbe es auch ein so steinernes Herz. Aber haben Sie ihr denn nie Ihre Liebe gestanden? Wirklich nicht!«

Kruziferski ward bleich, roth, blau und gelb – und rettete sich schließlich durch die Flucht.

In seinem Zimmer angelangt, griff er zu einem Blatt Papier. Ungestüm pochte ihm das Herz; begeistert, hinreißend flossen seine Gefühle; das war ein Brief, ein Gedicht, ein Gebet; er weinte, war glücklich – mit einem Wort, während er schrieb, empfand er Augenblicke höchster Seligkeit. Diese Augenblicke, die gewöhnlich wie Blitze dahinzucken, sind das Schönste, Herrlichste in unserm ganzen Leben; aber wir verstehen es nicht, es zu würdigen, und statt uns daran zu berauschen, quälen wir uns mit Ungeduld ab und verlangen in einem fort nach etwas Zukünftigem . . .

Als Kruziferski den Brief beendet hatte, ging er hinunter. Man saß am Theetisch. Lubonka hatte ihr Zimmer nicht verlassen, sie litt an Kopfweh. Glafira Lwowna war ganz ausnehmend liebenswürdig. Aber auf sie achtete kein Mensch. Alexis Abramowitsch rauchte ganz tiefsinnig seine Pfeife, (ihr habt wahrscheinlich nicht vergessen, daß sein tiefsinniges Gesicht eine optische Täuschung war); Elise Awgustowna fand, als sie ihre Tasse holte, Gelegenheit, Kruziferski zu sagen, sie müsse ihn sprechen . . .

Die Unterhaltung wollte nicht in Fluß kommen.

Mischa reizte den Hund; dieser begann zu bellen; Negroff befahl, den Hund hinaus zu jagen. Endlich trug das Mädchen mit den leinenen Aermeln die Theemaschine fort. Alexis Abramowitsch legte sich Patience, Glafira Lwowna klagte über Kopfweh.

Kruziferski ging in das Vorzimmer hinaus. Es begann zu dämmern. Elise Awgustowna war schon dort.

»Wenn die Dämmerung eintritt, kommen Sie auf den Balkon; Sie werden dort erwartet.«

Kruziferski war mehr todt als lebendig . . . Sollte er glauben oder nicht? . . . Man forderte ihn zu einer Zusammenkunft auf; vielleicht fühlt sie sich beleidigt und will ihm ihren Zorn aussprechen . . . Vielleicht . . .

Und er eilte hinaus in den Garten. Da war ihm, als ob ganz in der Ferne, in der Lindenallee, ein weißes Kleid schimmerte, aber dahin zu gehen wagte er nicht; er wußte nicht einmal, ob er sich auf dem Balkon einfinden sollte . . . nun vielleicht nur, um ihr den Brief zu übergeben, auf einen einzigen Augenblick – nur um eben den Brief abzugeben . . . Aber schon der Gedanke, auf den Balkon zu gehen, war schrecklich . . . Er schaute hinauf: in einer Ecke des Balkons gewahrte er, obgleich es ganz dunkel geworden, ein weißes Kleid . . . Das war sie, sie, die Traurige, Nachdenkliche, – und vielleicht Liebende – ja sie! . . . Und er trat auf die erste Stufe der Treppe, welche aus dem Garten auf den Balkon hinaufführte. Wie er endlich oben anlangte, das vermag ich nicht zu schildern.

»Ach, sind Sie es?« fragte Lubonka flüsternd.

Er schwieg, er rang nach Luft, wie ein Ertrinkender.

»Welch schöner Abend!« fuhr Lubonka fort.

»Verzeihen Sie mir, um Gottes willen, verzeihen Sie mir!« antwortete Kruziferski und ergriff mit seiner eiskalten Hand ihre Rechte.

Lubonka zog sie nicht zurück.

»Lesen Sie diese Zeilen, und Sie erfahren, was mir zu sagen so schwer wird . . .« Und wiederum floß ein Strom von Thränen über seine brennenden Wangen.

Lubonka drückte ihm die Hand; er bedeckte die ihrige mit Thränen und Küssen.

Sie nahm seinen Brief und verbarg ihn am Busen. Seine Begeisterung wuchs, und ich weiß nicht wie es geschah, aber plötzlich berührten seine Lippen die ihren. Der erste Liebeskuß – wehe dem, der ihn nicht gekostet hat!

Lubonka, ganz hingerissen, drückte ihm selbst einen leidenschaftlichen, langen, bebenden Kuß auf die Lippen . . . Niemals war Kruziferski so glücklich gewesen; er neigte das Haupt auf die Hand und weinte – da plötzlich richtete er den Kopf wieder in die Höhe und schrie auf: »Mein Gott! Was habe ich gethan?«

Erst jetzt hatte er bemerkt, daß es gar nicht Lubonka, sondern Glafira Lwowna war.

»Beruhige dich, mein Geliebter!« sprach sie athemlos vor überströmender Lebensfülle. Aber Kruziferski war schon längst die Treppe hinuntergeflogen. Er lief in den Garten, eilte durch die Lindenallee dahin, rannte wieder aus dem Garten, stürzte durch das Dorf, und sank ganz kraftlos, vollständig außer sich auf der Landstraße dahin. Erst jetzt erinnerte er sich, daß sein Brief in den Händen Glafira's geblieben.

Er raufte sich das Haar und wälzte sich wie ein angeschossenes Wild auf dem Rasen.

Zur Erklärung dieses eigenthümlichen Quiproquos müssen wir hier einen Augenblick Halt machen und einige erläuternde Worte einschieben. Die kleinen Augen der Elise Awgustowna, die scharf beobachteten und gut abgerichtet waren, hatten bemerkt, daß, seitdem die Familie Negroff sich um die Person des Hauslehrers vermehrt hatte, Glafira Lwowna größere Aufmerksamkeit auf ihre Toilette verwendete; daß sie ihr Hauskleid anders trug; daß verschiedene Arten von Kragen und Häubchen zum Vorschein kamen; daß dem Haar mehr Sorgfalt gewidmet und der dicke Zopf Palaschka's, der das Unglück hatte, den Ueberresten von Glafira Lwowna's Chevelüre an Farbe zu gleichen, von neuem auf dem Haupte befestigt wurde, obgleich die Motten ihn schon ein wenig angefressen hatten.

In dem weichen, vollen Antlitz der verehrlichen Familienmutter zeigten sich verschiedene neue Züge, die sich bisher in der Fülle ihrer Wangen verborgen gehalten; ihr Lächeln und ihre Blicke wurden honigsüß . . .

Der Elise Awgustowna entging keine einzige dieser Veränderungen. Als sie einmal zufällig in Glafira Lwowna's Abwesenheit in deren Zimmer trat, zufällig ein Toilettenfach öffnete, und darin ein Schächtelchen Rouge végétal fand, das seit fünfzehn Jahren nebst einer gewissen Augensalbe in der Speisekammer aufbewahrt worden, – da rief sie im Innersten ihres Herzens:

»Jetzt ist es Zeit, daß auch ich auf den Schauplatz trete!«

Noch an demselben Abend begann die Französin, als sie mit Glafira Lwowna allein war, ihr davon zu erzählen, wie eine gewisse Dame – selbstverständlich eine Fürstin – sich für einen jungen Mann »interessirt« habe, – wie ihr (nämlich der Elise Awgustowna) das Herz geblutet, als sie gesehen, daß dieser Engel von Fürstin hinwelkte und litt, – wie endlich die Fürstin ihr als ihrer einzigen Freundin um den Hals gefallen sei, ihr ihre Kämpfe, ihre Zweifel geschildert und sie um ihren Rath gebeten habe – wie sie ihre Zweifel gelöst und ihr Rath ertheilt, – wie dann die Fürstin nicht mehr hingewelkt und gelitten, sondern im Gegentheil körperlich gediehen und heiter geworden.

In Glafira Lwowna entwickelten sich bei diesen Erzählungen wahre Johannistriebe. Gewöhnlich glaubt man, dicke Personen seien keiner Leidenschaft fähig – das ist nicht wahr: wo es viel fette Stoffe giebt, da pflegt die Feuersbrunst sehr lange anzudauern – es kommt nur darauf an, daß erst einmal der Brand gelegt wird.

Wie ihr seht, übernahm Elise Awgustowna das Amt des Blasebalgs und blies die kleinen erotischen Fünkchen, welche Glafira Lwowna durchzuckten, zu einem ziemlich großen Feuer an. Allerdings brachte sie es nicht so weit, daß ihr Glafira Lwowna ihr Geheimnis anvertraute; sie besaß sogar die Großmuth, ihr kein Geständnis abzunöthigen, weil das für sie überhaupt nicht nothwendig war: sie wollte Glafira Lwowna in ihrer Gewalt haben – und das war ihr unzweifelhaft geglückt. Glafira Lwowna machte ihr im Verlaufe von vierzehn Tagen zwei Geschenke – ein Tuch und eines ihrer seidenen Kleider.

Kruziferski, der nicht blos in seinen Handlungen, sondern auch in seinen Gedanken rein und jungfräulich war, hatte nicht geahnt, was die zuvorkommende Dienstfertigkeit der Französin, ihre zweideutigen Anspielungen und schließlich die zweideutigen Blicke Glafira Lwowna's zu bedeuten hatten. Dieser sein Mangel an Verständnis, seine verschämte Zerstreutheit, seine gesenkten Blicke entfachten mehr und mehr die Leidenschaft der vierzigjährigen Frau; daß das gewöhnliche Verhältnis beider Geschlechter zu einander in seltsamer Weise umgekehrt wurde, verlieh der Sache einen besonderen Reiz; in der That, Glafira Lwowna spielte die Rolle des Eroberers und Verführers und Dmitri Jakowlewitsch die des unschuldigen Mädchens, um welches boshafte Absicht ihr Gewebe zu spinnen begann.

Der wackere Negroff merkte nichts, erkundigte sich wie bisher bei der Frau des Gärtners nach dem Zustande der Obstbäume, und Frieden und Ruhe herrschten in dem patriarchalischen Hause des Alexis Abramowitsch.

Jetzt können wir nach dem Balkon zurückkehren.

Glafira Lwowna, welche die Flucht ihres Joseph nicht recht begriff, begab sich, nachdem sie sich in der Abendluft ein wenig abgekühlt, in ihr Schlafzimmer und sobald sie sich allein, das heißt mit Elise Awgustowna allein sah, zog sie ihren Brief hervor.

Ihre breite Brust wogte; sie begann zu lesen und schrie plötzlich auf, als wäre eine Eidechse oder ein Frosch aus dem Briefe hervorgesprungen und ihr in den Busen geschlüpft. Drei Stubenmädchen kamen ins Zimmer gestürzt und Elise Awgustowna ergriff den Brief. Glafira Lwowna verlangte kölnisches Wasser. Das erschreckte Stubenmädchen reichte ihr flüchtige Salbe und sie befahl, ihr dieselbe auf den Kopf zu träufeln . . . »Ah, le traître, le scélérat! . . . Hätte man das von diesem bescheidenen Dinge erwarten können? Diese Engländerin . . . Nein, diese Brut wird nie geadelt – kein Funke von Dankbarkeit, nichts . . . Und ich habe diese Schlange an meinem Busen gewärmt!«

Elise Awgustowna befand sich in der Lage eines gewissen Beamten meiner Bekanntschaft, der Zeit seines Lebens mit dem Glück gegaunert und in der Ueberzeugung, er vermöchte durch niemanden ersetzt zu werden, um seine Entlassung einkam; er reichte seine Demission ein, um im Dienst zu bleiben – und erhielt seine Entlassung: nachdem er die ganze Welt betrogen, betrog er schließlich sich selbst.

Als scharfsinnige Frau begriff die Französin sofort, wie die Dinge standen – begriff, welchen Mißgriff sie begangen. Dabei erwog sie zugleich, daß sie und Glafira Lwowna eben so sehr in den Händen Kruziferski's seien, wie dieser in den ihren, – erwog, daß wenn Glafira Lwowna's Eifersucht ihn reizen sollte, er Elise Awgustowna überführen könnte, und fehlten ihm auch die Beweise, so würde er doch in der Seele des Alexis Abramowitsch einen Argwohn erregen. Während sie nun erwog, wie sie den Zorn der verlassenen Dido beschwören sollte, trat Alexis Abramowitsch gähnend ins Schlafzimmer. Elise Awgustowna war in Verzweiflung.

»Alexis,« rief die erzürnte Gattin, »niemals wäre mir in den Sinn gekommen, was sich da ereignet hat, denke dir, Lieber: dieser schüchterne Lehrer – er wechselt Briefe mit Lubonka, und was für Briefe – nur mit Entsetzen kann man sie lesen; er hat die schutzlose Waise zu Grunde gerichtet! – Ich verlange von dir, daß er morgen nicht mehr in unserm Hause ist. Ich bitte dich, vor den Augen unserer Tochter! . . . Freilich ist sie noch ein Kind, aber so etwas kann auf ihre Phantasie wirken.«

Alexis Abramowitsch war nicht mit der Fähigkeit ausgerüstet, besonders schnell die Dinge zu begreifen und zu beurtheilen. Er war jetzt nicht weniger erstaunt, als da ihn Glafira Lwowna in den Flitterwochen ihrer Ehe bei dem Grabe seiner Mutter und bei der Asche seines Vaters beschwor, ihr zu gestatten, daß sie das Kind seiner verbotenen Liebe zu sich nehme. Zudem sehnte sich Negroff ganz außerordentlich nach dem Bett; die Zeit, über eine aufgefangene Korrespondenz zu rapportiren, war schlecht gewählt, ein schläfriger Mensch zürnt nur dem, der ihn am Schlafen verhindert – die Nerven sind nur in schwacher Thätigkeit, alles befindet sich unter dem Einfluß der Ermüdung.

»Was sagst du? Mit wem steht Lubonka in Briefwechsel?«

»Nun, mit diesem Studenten . . . O, dieses züchtige Ding . . . Das muß man wirklich gestehen, der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.«

»Na, was steht denn in dem Briefe? Haben sie sich geeinigt? He? Ja; da hüte einer ein siebzehnjähriges Mädel; nicht umsonst saß sie stets allein, nicht umsonst that ihr bald der Kopf, bald dies, bald das weh . . . Aber den Halunken werde ich zwingen, sie zu heirathen; hat er vergessen, in wessen Hause er sich befindet? Wo ist der Brief? Pfui, wie klein geschrieben. Ein Lehrer und kann selbst nicht schreiben. Wahre Krähenfüße. Lies mir's vor, Glascha!«

»Solche Scandalgeschichten lese ich nicht.«

»Unsinn! Eine vierzigjährige Frau und will sich noch zieren. Daschka, hol mir mal die Brille aus meinem Zimmer.«

Daschka, die den Weg zu Negroffs Zimmer sehr gut kannte, brachte die Brille. Alexis Abramowitsch setzte sich ans Licht, gähnte, hob die Oberlippe, was seiner Nase einen sehr ehrwürdigen Ausdruck gab, blinzelte mit den Augen und begann mit großer Mühe zu lesen, wobei er die Worte in einer gewissen schwerfälligen Weise aussprach, als lese er aus einem Buche vor.

›Ja, seien Sie meine Alina. Ich liebe Sie leidenschaftlich, wahnsinnig, begeistert; Ihr Name ist ja Liebe! . . .‹

»Ein solcher Faselhans!« bemerkte der General.

›Ich hoffe nichts, ich wage nicht einmal von Ihrer Liebe zu träumen; aber es wird mir zu eng in der Brust, ich muß es Ihnen sagen, daß ich Sie liebe. Verzeihen Sie mir, zu Ihren Füßen flehe ich um Verzeihung . . .‹

»Pfui Teufel, ein solcher Blödsinn! . . . Und das ist ja erst der Anfang der ersten Seite . . . Nein, ich habe schon genug! Bedanke mich schönstens, so närrisches Zeug zu lesen . . . Aber es wäre deine Sache gewesen, so etwas zu verhindern! Warum hast du das mit angesehen, warum so etwas gestattet? . . . Nun, ein großes Unglück ist das nicht, Weiber haben lange Haare, aber kurzen Verstand. Was hast du denn in dem Briefe gefunden? Gefasel, und das hat nichts auf sich . . . Und es ist ohnehin Zeit, daß Lubonka einen Mann bekommt; und ist er nicht ein passender Bräutigam für sie? Der Doctor sagt, er sei Beamter zehnter Klasse, er soll mir's nur versuchen, sich zurückzuziehen . . . Aber der Morgen ist weiser als der Abend; es ist Zeit, daß ich mich schlafen lege; gute Nacht; Elise Awgustowna, Sie haben so scharfe Augen, und haben's doch nicht durchschaut . . . Nun, morgen reden wir weiter davon!«

Der General begann sich zu entkleiden, und nach einigen Minuten begann er zu schnarchen, und schlief mit dem Gedanken ein, daß Kruziferski nicht loskommen würde, daß er Lubonka heirathen müsse, – für ihn sei es eine Strafe, und sie bekomme dabei einen Mann.

Dies war ein unglücklicher Tag. Glafira Lwowna hatte gar nicht erwartet, daß die Sache im Geiste Negroffs eine solche Wendung nehmen würde: sie hatte vergessen, daß sie in der letzten Zeit selbst Negroff fortwährend davon gesprochen, daß es Zeit sei, Lubonka zu verheirathen; mit der Wuth eines verliebten alten Weibes warf sie sich auf ihr Bett und hätte das Kissen zerbeißen mögen – nun, vielleicht hat sie's auch wirklich zerbissen.

Während dieser ganzen Zeit lag der arme Kruziferski im Grase. Er wünschte sich so aufrichtig, so von ganzem Herzen den Tod, daß, hätte das Damenregiment der Parzen noch bestanden, sie seinen Jammer nicht ertragen und ihm den Lebensfaden durchgeschnitten hätten. Von den qualvollsten Gefühlen zerrissen, der Verzweiflung und der Furcht, der Angst und der Scham hingegeben, gänzlich erschöpft, endete er mit dem, womit Alexis Abramowitsch begonnen, d. h. er schlief ein.

Hätte er nicht an der Febris erotica laborirt, wie der Doctor Krupoff in Bezug auf die Liebe sich ausdrückte, er würde unfehlbar die Febris catharralis bekommen haben; allein jetzt übte der kalte Thau eine wohlthätige Wirkung auf ihn: sein anfangs aufgeregter Schlaf wurde ruhiger und als er nach drei Stunden erwachte, ging bereits die Sonne auf . . . Heine hat zwar vollkommen recht, wenn er sagt:

»Das ist ein altes Stück,
Von hinten geht sie unter
Und kehrt von vorn zurück.«

Nichtsdestoweniger ist dieses alte Stück nicht übel; wie es dem Verliebten erscheinen muß – darüber brauche ich mich nicht erst zu äußern.

Die Luft war frisch, voll eines eigenthümlichen innern Duftes: der Thau wich in schweren, weißlichen Massen zurück und hinterließ Millionen glänzender Tropfen; die purpurne Beleuchtung und die langen Schatten verliehen den Bäumen, den Bauernhütten, der ganzen Umgebung etwas Neues, eigenartig Schönes; die Vögel sangen in den verschiedensten Tonarten, der Himmel war hell und klar.

Der Hauslehrer stand auf; es war ihm jetzt leichter ums Herz; vor ihm zog sich die Landstraße dahin und verlor sich in der Ferne. Lange betrachtete er sie und dachte, ob er auf derselben nicht weiter wandern, diesen Menschen nicht entfliehen solle, die in sein Geheimnis eingedrungen seien – in sein heiliges Geheimnis, das er eben in den Staub getreten! – Wie sollte er nach Hause zurückkehren, wo er Glafira Lwowna begegnete? . . . Also lieber fliehen! Aber wie könnte er sie verlassen, wo die Kraft finden, sich von ihr zu trennen? . . .

Mit langsamen Schritten kehrte er nach Hause zurück. Als er in den Garten trat, gewahrte er in der Lindenallee ein weißes Kleid; heftige Röthe trat ihm auf die Wangen bei der Erinnerung an seinen schrecklichen Irrthum, an seinen ersten Kuß; aber diesmal war es Lubonka. Sie saß auf ihrer Lieblingsbank und schaute träumerisch und traurig in die Weite.

Dmitri lehnte sich an einen Baum und hielt mit einer gewissen seligen Begeisterung das Auge auf sie gerichtet. Und in der That, in diesem Augenblick war sie auffallend schön; es beschäftigte sie lebhaft irgend ein Gedanke; sie war traurig und diese Trauer verlieh ihren energischen, scharfen, jugendlich schönen Zügen etwas Majestätisches. Der junge Mann stand lange in ihren Anblick verloren, sein Blick war voll Liebe und Andacht; endlich entschloß er sich zu ihr zu gehen.

Es war ja unbedingt nothwendig, mit ihr zu sprechen; er mußte sie über den Brief aufklären.

Lubonka wurde etwas verlegen, als sie Kruziferski bemerkte; aber es lag darin nichts Gemachtes, nichts Theatralisches. Nachdem sie rasch einen Blick auf ihr Morgenkleid geworfen, in welchem sie niemanden zu begegnen erwartet, und dasselbe ebenso rasch geordnet hatte, blickte sie ruhig und würdevoll zu dem Candidaten auf.

Kruziferski stand mit auf der Brust gefalteten Händen vor ihr; sie begegnete seinem flehenden, von Liebe, Leiden, Hoffnung und Seligkeit erfüllten Blick und reichte ihm die Hand; er drückte sie mit Thränen in den Augen . . . O Gott, wie schön ist der Mensch in seiner Jugend! . . .

Das Geständnis, das die Ballade Alina und Alsim hervorgerufen, hatte Lubonka heftig erschüttert. Mit dem ihr eigenthümlichen weiblichen Scharfsinn, von dem wir bereits gesprochen, hatte sie schon weit früher empfunden, daß sie geliebt werde. Aber das war nur etwas Geahntes; mit keinem Wort hatte sie es ausgesprochen; jetzt aber war dieses Wort gesprochen, und sie schrieb des Abends in ihr Tagebuch:

»Kaum vermag ich meine Gedanken einigermaßen zu ordnen. Ach, wie er geweint hat. Mein Gott, mein Gott, niemals dachte ich, daß ein Mann so weinen könnte. Sein Blick hat eine solche Kraft, daß er mich erbeben macht, aber nicht vor Angst. Sein Blick ist so zärtlich, so sanft wie seine Stimme . . . Wie weh that es mir um ihn: ich glaube, hätte ich meinem Herzen gehorcht, ich hätte ihm gesagt, daß ich ihn liebe, hätte ihn geküßt, um ihn zu trösten. Dann wäre er glücklich; ja, er liebt mich, das sehe ich, und auch ich liebe ihn. Welch ein Unterschied zwischen ihm und allen, die ich gesehen habe! Wie edel, wie zartfühlend ist er! Er erzählte mir von seinen Eltern: wie er sie liebt! Warum sagte er mir: Sei meine Alina! Ich habe ja auch einen schönen Namen; ich liebe ihn und kann sein werden und doch die bleiben, die ich bisher gewesen . . . Ob ich seiner Liebe würdig bin? Mir ist, als könnte ich mit solcher Gewalt nicht lieben! Schon wieder dieser schwarze Gedanke, der mich ewig quält . . .«

»Leben Sie wohl!« sagte Lubonka, »und haben Sie doch keine solche Furcht mehr wegen des Briefes; ich fürchte mich vor nichts, ich kenne Sie!« . . .

Sie drückte ihm so herzlich, so teilnehmend die Hand . . . Und dann verschwand sie hinter den Bäumen.

Kruziferski blieb zurück. Er hatte lange gesprochen. Er fühlte sich weit glücklicher, als er am Abend vorher unglücklich gewesen. Er rief sich jedes Wort in die Erinnerung zurück, schwebte in Gedanken Gott weiß wohin, und ein Bild begleitete ihn überall. Ueberall war sie, sie . . .

Aber seinem Sinnen machte ein Diener des Alexis Abramowitsch ein Ende, der in den Garten kam, um ihn zu Negroff zu rufen. In so früher Morgenstunde hatte Negroff noch niemals nach ihm verlangt.

»Was soll ich?« sagte Kruziferski mit dem Gesicht eines Menschen, dem man kaltes Wasser auf den Kopf geschüttet hat.

»Ja, ja, Sie möchten zu dem gnädigen Herrn kommen,« antwortete der Diener ziemlich grob.

Es lag auf der Hand, daß die Geschichte mit dem Briefe bereits ins Vorzimmer gedrungen war.

»Sogleich!« sagte Kruziferski, halbtodt vor Furcht und Scham.

Was hatte er denn zu fürchten?

Daran brauchte er doch nicht mehr im mindesten zu zweifeln, daß Lubonka ihn liebte. Was verlangte er noch mehr? Indes, er war nun einmal mehr todt als lebendig vor Angst und Scham; er dachte nicht einmal daran, daß Glafira Lwowna durchaus keine schönere Rolle gespielt als er. Er konnte sich gar nicht vorstellen, wie er wieder vor ihr erscheinen sollte. Es ist eine bekannte Sache, daß schon Verbrechen begangen worden sind, um einen Fehltritt wieder gut zu machen . . .

»Ei, ei, mein Lieber,« sprach Negroff mit majestätischer, der Wichtigkeit der Sache, die ihn beschäftigte, angemessener Miene; »haben Sie denn auf der Universität Liebesbriefchen schreiben gelernt?«

Kruziferski schwieg. Er war so aufgeregt, daß Negroffs Ton ihn nicht beleidigte. Diese bestürzte, leidende Miene spornte den muthigen Alexis Abramowitsch noch mehr an, und dem Hauslehrer gerade ins Gesicht sehend, fuhr er mit sehr lauter Stimme fort:

»Wie können Sie's wagen, in meinem Hause solche Streiche zu begehen? Wofür halten Sie denn mein Haus? Bin ich etwa ein Tölpel? Sie sollten sich schämen, Sie junger Mensch, eine solche Unsittlichkeit zu begehen, und einem armen Mädchen den Kopf zu verdrehen, das weder Eltern, noch Verwandte, noch Vermögen hat . . . Ist das jetzt eine Zeit! Alles wird euch beigebracht, Grammatik, Arithmetik, – alles, aber nur keine Moral . . . Einem Mädchen den guten Namen rauben« . . .

»Aber ich bitte Sie,« antwortete Kruziferski, bei dem nach und nach der Unwille über das Bewußtsein seiner peinlichen Lage siegte, »was habe ich denn gethan? Ich liebe Lubonka und habe gewagt, ihr das zu sagen. Ich habe selbst nicht geglaubt, daß jemals das Wort Liebe über meine Lippen kommen würde – ich weiß nicht, wie es geschehen ist, aber was finden Sie daran so Verbrecherisches? Warum glauben Sie, daß ich unredliche Absichten hätte?«

»Warum? Wenn Sie ehrliche Absichten hätten, dann würden Sie mit Ihrem Billetdoux dem Mädchen nicht den Kopf verdreht haben, sondern zu mir gekommen sein. Sie wissen, ich bin ihr natürlicher Vater. Darum mußten Sie zu mir kommen und um meine Einwilligung und Erlaubnis bitten; aber Sie schlichen über die Hintertreppen und wurden ertappt – bitte sehr um Verzeihung, aber in meinem Hause gestatte ich solche Romane nicht; es ist eine Kleinigkeit, einem Mädchen den Kopf zu verdrehen! Nein, so etwas hatte ich von Ihnen nicht erwartet; Sie haben meisterhaft den Verschämten gespielt; und auch sie hat sich ausgezeichnet benommen und uns die Erziehung und Pflege schön gelohnt! Glafira Lwowna hat die ganze Nacht geweint.«

»Der Brief ist in Ihren Händen,« bemerkte Kruziferski, »Sie können daraus ersehen, daß es der erste ist.«

»Man hat oft am ersten Pfannkuchen genug. Ja, und bitten Sie denn in Ihrem ersten Briefe etwa um ihre Hand?«

»Daran wagte ich nicht einmal zu denken.«

»Einerseits sind Sie also zu keck und andererseits zu schüchtern. Zu welchem Zweck haben Sie denn einen ganzen Briefbogen mit albernem Zeug vollgeschrieben?«

»Wirklich,« antwortete Kruziferski, »an Lubonka's Hand wagte ich nicht einmal zu denken; aber ich wäre der Glücklichste aller Sterblichen, dürfte ich hoffen – –«

»Schönschwätzerei – ja, das haben Sie gelernt, mit Worten wissen Sie um sich zu werfen! Aber gestatten Sie mir, zu fragen: wenn ich Ihnen nun erlaube, um sie anzuhalten, und wenn ich dann nicht abgeneigt wäre, Ihnen Lubonka zu geben, wovon wollen Sie dann leben?«

Negroff gehörte gewiß nicht zu den klügsten Menschen; aber er besaß vollständig eine echt russische Eigenschaft, die praktische Gabe, seinen Vortheil wahrzunehmen. Lubonka zu verheirathen, gleichviel mit wem, das war sein Lieblingsgedanke, namentlich seitdem die verehrlichen Eltern bemerkt hatten, daß ihr liebes Lieschen ihr gegenüber sehr verliere. Schon lange vor Abfassung des Briefes war Alexis Abramowitsch der Gedanke durch den Kopf gegangen, Kruziferski mit Lubonka zu vereinen und diesem irgendwo in einer Gouvernementsstadt eine Staatsanstellung zu verschaffen. Auf diesen Gedanken hatte ihn dieselbe Erwägung gebracht, welche ihm die Worte entlockte, daß, wenn irgend ein gutmüthiges Secretärchen daher käme, so würde er diesem ohne viel Federlesens Lubonka geben. Das erste, was ihm in den Sinn kam, als er Kruziferski's Liebe entdeckte, war, ihn zur Heirath zu zwingen. Er glaubte, der Brief sei ein muthwilliger Scherz und der junge Mann würde sich nicht so leicht unter das Ehejoch beugen lassen. Aus Kruziferski's Antworten ersah Negroff klar, daß dieser nicht abgeneigt sei, sie zu heirathen, und darum machte er sofort eine Frontveränderung, attaquirte den Hauslehrer von einer anderen Seite und brachte die Rede auf seine Vermögensverhältnisse – in der Befürchtung, Kruziferski möchte eine Aussteuer von ihm verlangen.

Kruziferski schwieg; Negroff's Frage war ihm centnerschwer aufs Herz gefallen.

»Machen Sie sich über ihre Vermögensverhältnisse nur keine Illusionen,« fuhr Negroff fort. »Sie besitzt gar nichts und hat auch von niemandem etwas zu erwarten. Selbstverständlich werde ich sie nicht im bloßen Hauskleid aus meinem Hause gehen lassen; aber außer Kleidern kann ich ihr nichts geben, ich muß noch eine Tochter ausstatten.«

Kruziferski bemerkte, an eine Aussteuer hätte er ganz und gar nicht gedacht.

Negroff war sehr mit sich zufrieden und dachte:

»Das ist ja ein wahres Schaf – und ist noch obendrein ein Gelehrter! Ja, ja, mein Lieber, verständige Leute fangen nicht mit dem Ende an. Bevor man Liebesepisteln schreibt und jungen Mädels den Kopf verdreht, muß man an die Zukunft denken; wenn Sie sie wirklich lieben und um ihre Hand werben wollten, warum haben Sie sich denn nicht bemüht, sich eine sichere Zukunft zu gründen?«

»Was soll ich beginnen?« fragte Kruziferski in einem Ton, der jedes Menschen Herz erweichen mußte.

»Was beginnen? Sie haben ja einen Beamtenrang, wenn ich nicht irre den zehnten. Werfen Sie Arithmetik und Dichtkunst bei Seite und suchen Sie eine Anstellung im Staatsdienst; Sie haben sich nun lange genug mit unnützen Dingen befaßt, man muß sich auch nützlich machen. Nehmen Sie eine Stellung in der Finanzkammer an: der Vicegouverneur ist mit mir befreundet, mit der Zeit werden Sie Rath – was wollen Sie mehr? Sie haben dann Ihr Brot und eine ehrenhafte Stellung.«

Kruziferski war es nie in seinem Leben in den Sinn gekommen, in der Finanzkammer oder in irgend einer andern Kammer zu dienen; es wurde ihm ebenso schwer, sich als Rath vorzustellen, wie als Vogel, Igel, Hummel oder ich weiß nicht, was sonst noch. Aber das fühlte er, daß Negroff eigentlich Recht habe; es mangelte ihm so sehr jeder Scharfblick, daß ihm die originell Patriarchalische Art Negroff's nicht auffiel, der versicherte, Lubonka besitze nichts und habe auch von niemandem etwas zu erwarten, während er gleichzeitig ganz wie ein Vater über ihre Hand verfügte.

»Am liebsten wäre mir's,« sagte endlich Dmitri Jakowlewitsch, »wenn ich die Stelle eines Gymnasiallehrers erhalten könnte.«

»Na, damit dürfte nicht viel los sein; was ist denn ein Gymnasiallehrer? Ein Beamter und auch keiner, und zum Gouverneur wird er niemals eingeladen, kaum zu einem Director; und zudem bezieht er ein erbärmliches Gehalt.«

Den letzten Theil der Rede hatte Negroff in gewöhnlichem Ton gesprochen; in Bezug auf das Geschäftliche war er vollkommen beruhigt und überzeugt, daß Kruziferski ihm nicht entschlüpfen würde.

»Glascha!« rief Negroff in das anstoßende Zimmer hinein. »Glascha!«

Kruziferski wurde starr vor Schreck: er glaubte, für Glafira Lwowna sei der letzte Liebeskuß von eben solcher Wichtigkeit und Bedeutung wie für ihn der erste, der jedoch nicht an die richtige Adresse gekommen war.

»Was giebt's?« antwortete Glafira Lwowna.

»Komm mal her!«

Glafira Lwowna trat herein, wobei sie eine stolze, majestätische Miene annahm, die ihr selbstverständlich nicht zu Gesicht stand und ihre Verlegenheit nur schlecht verbarg. Leider konnte Kruziserski das nicht sehen, da er nicht den Muth hatte, zu ihr aufzublicken.

»Glascha,« sprach Negroff, »Dmitri Jakowlewitsch bittet um Lubonka's Hand. Wir haben sie erzogen und stets wie unsere leibliche Tochter gehalten, und haben das Recht, über ihre Hand zu verfügen; doch könnte es nichts schaden, mit ihr darüber zu reden; das ist deine Sache als Frau.«

»Ach, mein Gott! Sie freien? Welche Neuigkeit!« sagte Glafira Lwowna bitter. »Das ist ja eine Scene aus der neuen Heloise!«

Wäre ich an Kruziferski's Stelle gewesen, so würde ich, um Glafira Lwowna an Gelehrsamkeit nicht nachzustehen, geantwortet haben: Ja wohl, und der gestrige Zwischenfall auf dem Balkon war eine Scene aus dem Faublas!

Kruziferski schwieg.

Negroff stand auf und sagte zum Zeichen, daß die Sitzung beendet sei:

»Nur bitte ich Sie, nicht eher an Lubonka's Hand zu denken, als bis Sie eine Stellung haben. Und schließlich rathe ich Ihnen, mein werther Herr, vorsichtig zu sein, ich werde Sie nie aus den Augen lassen. Im Grunde ist es nicht einmal passend, daß Sie in meinem Hause bleiben. Diese Lubonka macht uns ohnehin Sorge genug!«

Kruziferski ging.

Glafira Lwowna sprach sich mit der größten Geringschätzung über ihn aus und schloß ihre Rede mit den Worten: ein so kaltes Wesen wie Lubonka würde jeden heirathen, aber niemand glücklich machen.

Früh am andern Tage saß Kruziferski in tiefes Sinnen verloren in seinem Zimmer. Kaum waren zwei Tage seit dem Vorlesen der Ballade Alina und Alsim verflossen und da plötzlich war er fast verlobt, sie war seine Braut und er sollte in den Staatsdienst treten . . .

Welch seltsames Schicksal, das da über sein Leben verfügte, das ihn auf den Gipfel der menschlichen Glückseligkeit erhob – und wodurch? Dadurch, daß er eine Frau statt eines Mädchens geküßt, daß er einen Brief in fremde Hände gegeben. War dies alles ein Wunder, war es ein Traum? Dann erinnerte er sich wieder und wieder an alle Worte, an alle Blicke Lubonka's in der Lindenallee, und seine Brust weitete sich, es überkam ihn eine feierliche Stimmung.

Plötzlich ließen sich schwere Tritte auf der steinernen Treppe hören, die in sein Zimmer führte. Kruziferski erbebte und erwartete mit einer gewissen Furcht das Erscheinen der Person, welche mit so schweren Schritten auftrat.

Die Thür öffnete sich und herein trat unser alter Bekannter Doctor Krupoff. Sein Erscheinen setzte den Candidaten in das größte Erstaunen. Er kam wöchentlich einmal und auch wohl zweimal zu Negroff, aber zu Kruziferski war er nie gekommen. Sein Besuch deutete auf etwas besonderes.

»Diese verwünschte Treppe!« sagte er tief aufathmend und sich mit seinem weißen Taschentuch das Gesicht wischend. »Da hat Ihnen Alexis Abramowitsch ein nettes Zimmer angewiesen.«

»Ah! Semen Iwanowitsch,« rief der Candidat hastig und erröthete – Gott weiß warum.

»Ha,« fuhr der Doctor fort, »welche Aussicht! Ist das nicht in der Ferne die Kirche von Dubassoff, die da rechts weißlich schimmert?«

»Ich denke, bestimmt weiß ich's übrigens nicht,« antwortete Kruziferski, fest nach links blickend.

»Sie unverbesserlicher Student! Wie können Sie denn hier monatelang wohnen, ohne zu wissen, was man hier aus dem Fenster sehen kann. O, die Jugend! . . . Na, lassen Sie mich mal Ihren Puls fühlen.«

»Ich bin Gott sei Dank ganz gesund, Semen Iwanowitsch.«

»Da hat man's, Gott sei Dank ganz gesund,« fuhr der Doctor fort, Kruziferski's Hand festhaltend: »das dacht' ich mir; aufgeregt und ungleichmäßig. Erlauben Sie . . . Eins, zwei, drei, vier . . . Fieberhaft, die Lebenskraft heftig gesteigert. Nun, bei solchem Puls ist der Mensch leicht fähig, allerlei Dummheiten zu begehen: schlüge Ihr Puls gleichmäßig . . . tuck, tuck, tuck . . . so wären Sie niemals darauf gekommen: da unten, mein Verehrtester, sagte man mir, Sie wollten heirathen . . . Ich traue meinen Ohren nicht; na, dacht' ich, ein solcher Dummkopf ist er doch nicht, ich habe ihn doch aus Moskau hergebracht, glaub's nicht, will mal hinaufgehen und nachsehen. 'S ist wirklich so: Puls beschleunigt und unregelmäßig; bei solchem Puls kann man nicht blos heirathen, sondern auch der Henker weiß was für Dummheiten machen. Na, wer wird sich denn im Fieberzustande zu einem so wichtigen Schritt entschließen? Hören Sie! Überlegen Sie zuvor, lassen Sie Ihr Denkorgan, d. h. das Gehirn wieder in seinen normalen Zustand kommen, damit das Blut es nicht störe. Wenn Sie wünschen, schicke ich Ihnen den Feldscheer her, damit er Ihnen zur Ader lasse.«

»Danke ergebenst, ich empfinde gar kein Bedürfnis danach.«

»Wie sollten Sie wissen, was Ihnen noth thut! Sie haben ja gar nicht Medicin studirt, aber ich bin in diesem Fach bewandert. Na, wollen Sie keinen Aderlaß, so nehmen Sie Glaubersalz; ich führe eine kleine Apotheke bei mir; ich will's Ihnen eingeben!«

»Ich bin Ihnen sehr verbunden für Ihre Theilnahme, aber ich muß Ihnen doch bemerken, daß ich gesund bin und durchaus nicht scherze; ich will wirklich (hier stockte er) . . . heirathen und begreife nicht, was Sie gegen mein Glück einzuwenden haben.«

»Sehr viel.«

Der Greis machte ein ernstes Gesicht.

»Ich mag Sie gern leiden, junger Mann, und darum thut's mir leid um Sie.

»Sie, Dmitri Jakowlewitsch, haben mich am Abend meines Lebens an meine Jugend erinnert, haben mich an manche vergangene Dinge gemahnt; ich will Ihnen wohl und würde es jetzt als eine Sünde betrachten, wenn ich schwiege. Na, wie können Sie denn in Ihrem Alter schon heirathen? Negroff hat Sie ja einfach angeführt . . . Sehen Sie wohl, wie aufgeregt Sie werden, Sie wollen mich nicht anhören, aber Sie sollen mich anhören, das Alter hat seine Rechte . . .«

»Ach nein, Semen Iwanowitsch,« sagte der junge Mann, den die Worte des Greises etwas verlegen machten, »ich begreife, daß Sie mir aus besonderem Wohlwollen, weil Sie mein Glück im Auge haben, Ihre Meinung sagen; aber es thut mir leid, daß ich dieselbe vollständig überflüssig finde, – ja, sie kommt sogar zu spät.«

»O, wenn Sie weiter nichts gegen meine Meinung haben – das ist eine wahre Kleinigkeit; niemals ist es zu spät, Halt zu machen. Heirathen . . . Hu, das ist eine schwierige Sache! Das Unglück ist, daß just die Heirathscandidaten nicht bedenken, was die Ehe ist, – d. h. es sich erst später, wenn es zu spät ist, überlegen . . . Das alles ist febris erotica; wie kann der Mensch einen solchen Schritt beurtheilen, wenn ihm der Puls so heftig schlägt wie Ihnen, mein lieber Freund? Sie setzen Ihr ganzes Vermögen auf eine Karte: möglich, daß Sie die Bank sprengen, möglich, daß – aber welcher vernünftige Mensch wird soviel wagen. Na, und im Kartenspiel wird man wenigstens für das, was man allein verschuldet, allein gestraft. Aber in der Ehe reißt man unfehlbar noch einen andern Menschen mit sich fort. Nun, Dmitri Jakowlewitsch, überlegen Sie sich's! Ich glaube, daß Sie sie lieben und daß Sie von ihr wieder geliebt werden, aber das hat nichts zu bedeuten. Seien Sie überzeugt, daß die Liebe im einen wie im andern Falle vergeht: reisen Sie fort, so vergeht sie, und heirathen Sie, so vergeht sie noch schneller; ich selbst bin verliebt gewesen, nicht einmal, sondern fünfmal, aber Gott hat mich behütet. Kehre ich jetzt nach Hause zurück, so kann ich still und behaglich von meinen Anstrengungen ausruhen; den ganzen Tag gehöre ich meinen Kranken, des abends spielt man eine Partie Whist und legt sich sorglos schlafen . . . Mit einer Frau aber kommen Sorgen, Zank und Kinder, und die ganze Welt könnte man untergehen lassen außer seiner Familie! Da ist es schwer, an einem Ort zu bleiben, schwer, umzuziehen; dann kommen noch kleinliche Klatschereien, man muß am häuslichen Herd sitzen, die Bücher unter den Tisch werfen, nur an Geld und an Küchenvorrath denken. Und um jetzt von Ihnen zu reden: wenn Sie jetzt einmal in Noth gerathen, was ist das für ein Unglück! Ich und Anton Ferdinandowitsch, mein Ihnen bekannter Freund, hatten manchmal keinen Rubel in der Tasche und essen und ein Pfeifchen Tabak rauchen wollte man auch gern: kauften wir ein Viertelpfund Tabak, so hatten wir nichts als Brot zu essen, und kauften wir ein Pfund Schinken, so hatten wir wieder keinen Tabak; aber darüber lachten wir beide nur, es hatte gar nichts zu bedeuten; aber hat man eine Frau, so ist es anders; es thut uns leid um die Frau und zudem wird die Frau noch flennen . . .«

»O nein, dieses Mädchen wird wahrlich auch die Kraft finden, Noth zu ertragen. Sie kennen sie nicht!«

»Um so schlimmer, mein Lieber; wenn sie wenigstens ordentlich heulte und wüthete, so würdest du den Staub von den Füßen schütteln und das Weite suchen: aber wenn sie schweigt und sich härmt, so denkst du bei dir: Armes Wesen, durch meine Schuld also mußt du hungern . . . Dann zerbricht man sich den Kopf, wie man Geld schaffen soll. Na, auf ehrliche Weise, mein Lieber, kann man nicht leben; Schurkenstreiche begeht man nicht – na, man grübelt und grübelt, und um sich den Kopf zu erfrischen, greift man zu einem Gläschen Bittern; das hat noch nichts zu sagen, ich selbst gönne mir gelegentlich eine Magenstärkung . . . Aber, wohlgemerkt: sobald man sich aus Gram zwei, drei Gläschen nimmt . . . Verstanden? Na, und angenommen, ihr habt euer Brot . . . das heißt eben nur euer Brot; zwar ist sie Negroff's Tochter und Negroff ist reich, aber ich kenne ihn, – großmüthig ist er nicht! Seiner Tochter wird er 5000 Seelen geben, na, und Lubonka vielleicht 5000 Rubel: ist denn das etwa ein Kapital? . . . Ach, Sie thun mir leid, Dmitri Jakowlewitsch! Nun, überlassen Sie das anderen, welche nichts besseres mit sich anfangen können, Sie selbst aber schonen sie. Ich möchte Ihnen eine andere Stelle anrathen: so schnell wie möglich fort von hier – dann wird Ihnen die Liebe schon vergehen; an unserm Gymnasium ist eine gute Stelle frei. Seien Sie ein Mann!«

»In der That, Semen Iwanowitsch, ich bin Ihnen für Ihre Theilnahme dankbar; aber – das alles, was Sie da gesagt haben, ist vollkommen überflüssig; Sie wollen mich wie ein Kind einschüchtern. Lieber lasse ich das Leben, als daß ich diesem Engel entsage. Ich wagte auf ein solches Glück gar nicht zu hoffen; Gott selbst hat es so gefügt.«

»Sieh mal an!« rief der unerbittliche Krupoff. »Und ich habe das ganze Unglück auf dem Gewissen; warum muß ich Sie Negroff empfehlen? Gott hat es so gefügt – sieh mal an! Negroff und deine eigene Jugend haben dir einen Streich gespielt, das ist meine feste Ueberzeugung. Ich, mein lieber Dmitri Jakowlewitsch, habe lange in der Welt gelebt; ich will mich meines Verstandes nicht rühmen, aber ich habe manche Erfahrung gemacht. Sie wissen, den Arzt führt seine Pflicht nicht in den Salon, sondern in das Privat- und Schlafzimmer. Viele Menschen habe ich in meinem Leben gesehen und nicht einen einzigen vorübergehen lassen, ohne ihn mir von allen Seiten zu betrachten. Ihr seht ja immer die Leute nur in Livree oder im Ballanzug – wir aber sehen hinter die Coulissen. Ich habe so manches Familienbild gesehen; vor dem Arzt schämt sich kein Mensch, dann macht man keine Umstände. Homo sapiens – zum Geier mit dem sapiens! . . .

»Ferus ist er! Das wildeste Thier ist in seiner Höhle sanft; der Mensch aber ist just in seiner Höhle schlimmer als ein wildes Thier . . . Aber zu welchem Zweck sage ich das alles . . . Ja, ja . . . Na, ich habe mich nun einmal daran gewöhnt, Charaktere zu studiren, und Ihre Braut paßt nicht für Sie, Sie mögen sagen was Sie wollen – diese Augen, diese Gesichtsfarbe, dieses Beben, das bisweilen über ihr Antlitz zuckt – sie ist eine junge Tigerin, die ihre Kraft noch nicht kennt; aber du, was bist du denn? Du bist die Braut; du mein Lieber, bist ein deutsches Mädchen, du wirst die Frau sein – na, schickt sich denn das?«

Durch den letzten Ausfall fühlte sich Kruziferski beleidigt, und gegen seine Gewohnheit sagte er ziemlich kalt und trocken:

»Es giebt Fälle, in welchen der Theilnehmende zu helfen sucht, aber keine Moralpredigten hält. Vielleicht ist alles das, was Sie da gesagt, wahr – ich will darüber nicht streiten, die Zukunft ist dunkel, ich weiß nur eines: mir stehen jetzt zwei Wege offen – wohin sie führen ist schwer zu sagen, aber einen dritten giebt es für mich nicht: entweder muß ich mich ins Wasser stürzen, oder der glücklichste Mensch werden.«

»Das beste ist, Sie stürzen sich ins Wasser – dann ist's mit einmal aus!« sagte Krupoff, der sich ebenfalls ein wenig beleidigt fühlte, und dann zog er sein rothes Taschentuch hervor.

Das Gespräch hatte selbstverständlich nicht den Erfolg, den Doctor Krupoff davon erwartet hatte; vielleicht war er ein vortrefflicher Arzt des Körpers, aber bei Seelenkrankheiten fing er's ungeschickt an. Wahrscheinlich urtheilte er über die Macht der Liebe nach eigener Erfahrung: er hatte gesagt, daß er einige Mal verliebt gewesen, und hatte somit eine größere Praxis; aber just darum war er nicht befähigt, eine Liebe zu beurtheilen, welche nur einmal im Leben kommt.

Zürnend entfernte sich Krupoff, und an diesem selben Abend declamirte er beim Vicegouverneur während des Soupers eine halbe Stunde lang über sein Lieblingsthema – er schimpfte auf die Frauen und das Familienleben – ganz vergessend, daß der Vicegouverneur die dritte Frau und von jeder mehrere Kinder hatte.

Krupoff's Worte hatten fast gar keinen Eindruck auf Kruziferski gemacht – ich sage, fast gar keinen, denn eine unbestimmte, unklare aber bedrückende Empfindung hatten sie freilich zurückgelassen – gerade wie der unheildräuende Schrei des Raben, wie die Begegnung eines Leichenzuges, wenn man zu einem fröhlichen Schmause eilt. Aber selbstverständlich verschwand das alles bei Lubonka's erstem Blicke.

* * *

Die Erzählung nähert sich, wie es scheint, ihrem Ende, werdet ihr sagen, natürlich mit frohem Gesicht.

Um Verzeihung, sie hat noch nicht angefangen, antworte ich mit schuldiger Hochachtung.

Warum nicht gar! Es bleibt ja weiter nichts übrig, als zum Geistlichen zu schicken.

Jawohl, aber für mich ist das Ende erst gekommen, wenn zum Geistlichen geschickt wird, damit er die letzte Oelung spende, und auch das ist oft noch nicht das Ende. Wenn aber der Diener der Kirche erscheint, um die Trauung zu vollziehen, so ist dies der Beginn einer ganz neuen Geschichte, in welcher nur dieselben Personen vorkommen. Und sie werden denn auch nicht verfehlen vor euch zu erscheinen . . .


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