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Siebentes Buch.
Polyhymnia

Siebentes Buch

1. Als die Botschaft von der Schlacht bei Marathon vor den König Dareios, den Sohn des Hystaspes, kam, der schon wegen des Angriffs auf Sardes gewaltig im Harnisch gegen die Athener war, geriet er noch viel ärger in Grimm und betrieb um so hitziger den Krieg gegen Hellas. Alsbald gab er Befehl durch Boten an alle Städte, ein Heer zu rüsten, wozu er männiglich noch viel mehr zu stellen aufgab als zuvor, an Schiffen, Pferden und Vorrat. Da dieser Befehl umlief, dröhnte Asien drei Jahre lang von Aufbietung der Besten zum Feldzug gegen Hellas und von Kriegsrüstung. Im vierten Jahr aber fielen die Ägypter, die Kambyses verknechtet hatte, von den Persern ab. Nun betrieb er noch hitziger den Krieg gegen beide.

2. Während sich aber Dareios gegen Ägypten und Athen rüstete, erhob sich ein großer Streit unter seinen Söhnen über den Vorrang, da er nach dem Brauch der Perser einen König ernennen mußte, bevor er in den Krieg zog. Dareios hatte nämlich, schon eh' er König war, drei Söhne von seiner ersten Frau, einer Tochter des Gobryas, und als er König war, von Atossa, der Tochter des Kyros, wiederum vier bekommen. Von den ersten war der älteste Artabazanes, von den später geborenen Xerxes. Da sie also nicht von einer Mutter waren, stritten sie widereinander; Artabazanes machte geltend, er sei der Älteste von der ganzen Nachkommenschaft, und das gelte in der ganzen Welt, daß der Älteste der Herr sei; Xerxes aber: er sei der Sohn der Atossa, der Tochter des Kyros, und Kyros sei's, der den Persern die Freiheit erworben habe.

3. Dareios hatte seine Meinung noch nicht kundgegeben, als gerade zu derselben Zeit Demaratos, der Sohn Aristons, nach Susa hinaufkam, der sein Königtum in Sparta verloren und sich selbst aus Lazedämon verbannt hatte. Dieser Mann erfuhr den Zwist der Söhne des Dareios und ging hin, wie man von ihm erzählt, und riet dem Xerxes, zu dem, was er sagte, noch das zu sagen, daß er dem Dareios geboren worden sei, als dieser schon König war und Herr in Persien; Artabazanes aber, als Dareios noch zu den Untertanen gehörte. Daher sei es nicht billig noch recht, daß ein anderer die Würde vor ihm haben solle. Auch in Sparta – so gab ihm Demaratos an – gelte der Brauch, wenn Söhne geboren worden seien, ehe der Vater König war, dann aber ein anderer ihm geboren werde, während er bereits König sei, daß dann der nachgeborne das Königtum erbe. Als Xerxes sich dieser Anweisung des Demaratos bediente, erkannte Dareios für recht, was er sagte, und ernannte ihn zum König. Ich halte dafür, Xerxes wäre auch ohne diese Anweisung König geworden; denn Atossa galt alles.

4. Da nun Dareios in Xerxes einen König für die Perser ernannt hatte, wollte er in den Krieg ziehen. Allein im nächsten Jahre nach dieser Begebenheit und dem Abfalle der Ägypter geschah es, daß Dareios unter seinen Zurüstungen starb, nachdem er im ganzen sechsunddreißig Jahre König gewesen war, und so ist er nicht dazu gekommen, sich an den abtrünnigen Ägyptern, noch auch an den Athenern zu rächen. Nach dem Tode des Dareios kam das Königtum an seinen Sohn Xerxes.

5. Xerxes war anfangs nicht entschlossen, gegen Hellas zu ziehen, sondern bot sein Heer gegen Ägypten auf. Da war aber Mardonios, der Sohn des Gobryas, der am meisten bei ihm vermochte unter allen Persern, ein Vetter des Xerxes und Schwestersohn des Dareios; der lag ihm an mit solchen Reden: »Herr, es ist doch nicht recht, daß den Athenern das viele Unheil, das sie den Persern angetan haben, straflos hingehen solle. Daher magst du ausführen, was du unter den Händen hast; wenn du aber das aufrührerische Ägypten gebändigt hast, mach einen Feldzug gegen Athen, auf daß du einen guten Ruhm habest in der Welt und hernachmals sich einer hüte, gegen dein Land zu ziehen.« Das war seine Rede für die Rache; dazu fügte er aber noch den Hinweis, Europa, ein so herrliches Land, reich an allerlei Fruchtbäumen und von hoher Trefflichkeit, sei des Königs allein unter den Sterblichen würdig.

6. Solches sagte er, weil er unternehmungslustig war und selbst gern Statthalter von Hellas werden wollte. Endlich hatte er Xerxes genügend bearbeitet und überredete ihn, das zu tun; denn es halfen ihm noch andere Umstände, Xerxes dahin zu bringen. Es kamen nämlich aus Thessalien Gesandte von den Aleuaden, die den König mit allem Eifer nach Hellas riefen: diese Aleuaden waren aber Könige von Thessalien; sodann lagen ihm die von den Peisistratiden, die nach Susa hinaufgegangen waren, nicht nur mit denselben Reden an wie die Aleuaden, sondern bearbeiteten ihn noch überdies durch den Athener Onomakritos, einen Weissager und Ordner der Weissagungen des Musaios, den sie bei sich hatten. Denn ehe sie hinaufgingen, hatten sie sich ausgesöhnt. Onomakritos war nämlich von Hipparchos, dem Sohne des Peisistratos, aus Athen verbannt worden, da ihn Lasos von Hermione auf frischer Tat ertappt hatte, wie er dem Musaios einen Spruch unterschob, daß die Inseln bei Lemnos ins Meer versinken würden. Deshalb hatte Hipparchos ihn verbannt, obwohl er seine Dienste früher gern in Anspruch genommen hatte. Jetzt aber war er mit hinaufgegangen, kam oft vor des Königs Angesicht, da die Peisistratiden mit hohen Worten von ihm sprachen, und sagte etwas von seinen Sprüchen her. Kam nun eine Schlappe für den Barbaren darin vor, dann sagte er kein Wort davon, sondern wählte nur das Glücklichste aus, wie es verhängt sei, daß ein Perser den Hellespont überbrücke, und welchen Gang sein Zug nehmen werde. Dieser betrieb's also mit Weissagungen, und die Peisistratiden und Aleuaden mit Ratschlägen.

6. Das Herrschergeschlecht der Aleuaden saß in Larisa und strebte nach der Herrschaft über ganz Thessalien. Um sie zu erlangen, verband es sich mit den Persern. – Onomakritos hatte für die Peisistratiden in Athen die Gedichte Homers geordnet, ebenso die Orakelsprüche des Musaios, die angeblich uralt waren, in Wahrheit aber damals erst entstanden und zum Teil von Onomakritos selbst herrührten (s. Anm. zu Buch V, Kapitel 90). – Lasos von Hermione dichtete Dithyramben und war der Lehrer Pindars. – Lemnos hatte damals noch tätige Vulkane.

 

7. Als nun Xerxes zum Entschluß gebracht war, gegen Hellas zu ziehen, da machte er, im zweiten Jahre nach dem Tode des Dareios, zuerst einen Feldzug gegen die Abtrünnigen. Sobald er sie unterworfen und ganz Ägypten noch viel tiefer in Knechtschaft gebeugt hatte, als es unter Dareios war, übertrug er die Verwaltung dem Achämenes, seinem Bruder, einem Sohne des Dareios. Diesen Achämenes, der Ägypten verwaltete, hat in der Folgezeit der Libyer Inaros, der Sohn des Psammetichos, erschlagen.

8. Xerxes wollte nun nach der Eroberung Ägyptens den Kriegszug gegen Athen vornehmen und rief einen besonderen Rat der Fürsten der Perser zusammen, damit er ihre Meinung erfahre und selbst vor allen seinen Willen ausspreche. Als sie versammelt waren, sprach Xerxes, wie folgt: »Ihr Perser, es handelt sich nicht um einen neuen Brauch, den ich erst bei euch einführen will, sondern ich will ihn nur, wie er auf mich kam, befolgen. Wir haben uns nämlich, wie ich von Älteren höre, nie der Ruhe hingegeben, seit wir von den Medern die Oberherrschaft überkommen haben, als Kyros den Astyages stürzte; sondern es ist so Gottes Führung und gereicht uns selbst zum Frommen, daß wir viel erstreben. Was nun Kyros und Kambyses und mein Vater Dareios für Völker unterworfen und zum Reiche gebracht haben, braucht euch niemand mehr zu sagen. Ich aber nahm, seit ich den Thron ererbt habe, darauf Bedacht, nicht hinter denen zurückzubleiben, die vor mir diese Würde innehatten, sondern in gleichem Maße wie sie die Macht der Perser zu mehren. In dieser Erwägung finde ich, daß uns nicht nur neuer Ruhm und ein Land, das nicht kleiner, noch schlechter, aber fruchtreicher als unser jetziges ist, sondern auch Rache und Vergeltung zuteil werden können. Deshalb habe ich euch nun zusammenberufen, um euch vorzulegen, was ich zu unternehmen gedenke. Ich will jetzt den Hellespont überbrücken und durch Europa ein Heer gegen Hellas führen, auf daß ich an den Athenern Rache nehme für alles, was sie den Persern und meinem Vater angetan haben. Ihr saht ja auch schon Dareios zum Kriege wider dies Volk sich einrichten: allein er ist gestorben und nicht dahingekommen, sich zu rächen; aber ich will für ihn und die andern Perser nicht eher ruhen, als bis daß ich dieses Athen erobere und anzünde, das gegen mich und meinen Vater mit Beleidigungen angefangen hat. Erst sind sie nach Sardes gegangen mit Aristagoras von Milet, unserem Knecht, und haben die Haine und Heiligtümer in Brand gesteckt; was sie uns ferner antaten, da wir in ihr Land hinüberkamen, als Datis und Artaphernes das Heer führten, das wißt ihr wohl alle. Deshalb also schicke ich mich an, wider sie in den Streit zu ziehen. Dabei find' ich aber in meinen Gedanken folgende Vorteile, wenn wir diese unterwerfen und ihre Nachbarn, die das Land des Phrygiers Pelops innehaben. Wir werden das Perserland mit dem Himmel des Zeus begrenzen: denn dann sieht die Sonne kein Land mehr an das unsere grenzen, sondern alle werd' ich mit euch zu einem Lande machen durch ganz Europa hin bis ans Ende. Höre ich doch, daß dann keine Stadt und kein Volk mehr in der Welt ist, die imstande seien, uns zu widerstehen, wenn die, von denen ich sprach, aus dem Wege geräumt sind. So werden uns denn die einen das Joch der Knechtschaft schuldig tragen, die andern unschuldig. Ihr aber werdet mir angenehm sein, wenn ihr also tut: sobald ich euch die Zeit ankünden werde, zu der ihr kommen müßt, soll ein jeder von euch mit gutem Eifer sich einstellen; wer sein Kriegsvolk am schönsten gerüstet bringt, dem werde ich die Geschenke geben, die bei uns für die köstlichsten gelten. Dies habt ihr also zu tun. Damit ich euch aber nicht ein Eigenrätler dünke, lege ich hier die Sache vor, und jeder von euch, der will, mag seine Meinung darüber vortragen.« Mit diesen Worten schloß er.

9. Nach ihm sprach Mardonios: »Herr, du bist nicht nur der herrlichste von allen Persern, die leben, sondern auch von den künftigen; wie du denn in allem übrigen aufs trefflichste und wahrste geredet hast, besonders aber nicht zugeben willst, daß uns die Ionier, die in Europa wohnen, verlachen, nichtswürdig, wie sie sind. Ja, es wäre arg, wenn wir die Saker und Inder und Äthiopier und Assyrier und so viele andere große Völker, ohne daß sie uns Perser beleidigt hatten, nur um unsere Macht zu vermehren, unterworfen und zu Knechten gemacht hätten; die Hellenen aber, die mit Beleidigungen angefangen haben, nicht züchtigen sollten. Aus Furcht vor was? Vor welchem Heere, das sie sammeln könnten? Vor welcher Masse von Schätzen? Kennen wir doch ihre Kampfweise, wissen, wie schwach ihre Macht ist, und haben auch ihre Söhne unter unserem Joch, die wohnhaft sind in unserem Reiche, Ionier, Äolier und Dorier, wie sie heißen. Ich selbst habe schon einmal einen Feldzug gegen diese Leute versucht, auf Befehl deines Vaters. Da zog ich bis Mazedonien und war nicht mehr weit von Athen, ohne daß mir einer zum Kampf entgegentrat. Dabei pflegen die Hellenen, wie ich höre, auf die unüberlegteste Art ihre Kriege zu führen, aus eitel Torheit und Ungeschick. Haben sie nämlich einander Krieg angesagt, so steigen sie gerade auf das schönste und ebenste Feld, das sie finden können, zum Kampfe hinab, so daß auch die Sieger mit großem Schaden abziehen. Von den Überwundenen aber sag' ich schon gar nichts; denn mit denen ist's ganz aus. Vielmehr sollten sie ja, als Volk von gleicher Sprache, durch Herolde und Gesandte ihre Streitigkeiten abtun und durch alles eher als durch Schlachten; wenn sie aber durchaus Krieg miteinander führen müßten, sollten sie die sicherste Stellung nehmen, die jeder Teil finden könnte, und dann ihre Kräfte messen. Bei diesem Grade von Unfähigkeit sind die Hellenen, als ich bis Mazedonien zog, nicht einmal auf den Gedanken gekommen zu kämpfen. Dir aber, König, sollte sich einer zum Krieg entgegenstellen, der du mit Asiens Volksmenge und allen den Schiffen kommst? Meines Dafürhaltens ist solche Kühnheit bei den Hellenen gar nicht zu finden. Wenn ich aber irriger Meinung bin und jene aus blinder Überhebung mit uns in den Kampf gehen, so mögen sie erfahren, daß wir die ersten Krieger in der Welt sind. Man lasse also nichts unerprobt: denn von selbst geht nichts, sondern in den menschlichen Angelegenheiten kommt alles auf die Probe an.« Hier schloß Mardonios, nachdem er so des Xerxes Meinung herausgestrichen hatte.

10. Während nun die andern Perser schwiegen und nicht wagten, eine der vorliegenden entgegenstehende Meinung zu äußern, sprach Artabanos, der Sohn des Hystaspes, der ein Oheim des Xerxes war, worauf er sich auch jetzt verließ, folgendermaßen: »Mein König, wenn nicht entgegengesetzte Meinungen zur Sprache kommen, kann man nicht die bessere erwählen, sondern muß die gegebene befolgen; wenn sie aber vorgebracht werden, kann man's, wie wir das lautere Gold an sich selbst nicht erkennen, wenn wir's aber an anderem Gold reiben, das bessere erkennen. Ich habe schon deinem Vater, meinem Bruder Dareios, geraten, nicht gegen die Szythen zu ziehen, da dieses Volk keine Stadt in seinem ganzen Lande hat; er aber hoffte, die Wanderszythen zu unterwerfen, folgte mir nicht, unternahm den Zug und kam mit großem Verlust an den Besten des Heeres zurück. Nun willst du, mein König, gegen ein Volk ziehen, das viel besser ist als die Szythen, da es zu Wasser und zu Lande das tapferste sein soll. Was aber dabei gefährlich ist, kommt mir zu, dir anzuzeigen. Du willst den Hellespont überbrücken, sagst du, und durch Europa das Heer nach Hellas führen. Nun kann es geschehen, daß du auf dem Lande oder auf dem Wasser geschlagen wirst, oder auch auf beiden; denn das Volk soll streitbar sein, wie sich auch daraus schließen läßt, daß so ein großes Heer wie das des Datis und Artaphernes, als es ins attische Land rückte, von den Athenern allein erschlagen worden ist. Indessen mag's ihnen auch nicht in beidem gelingen, und mögen sie nur mit den Schiffen angreifen und eine Seeschlacht gewinnen und nach dem Hellespont fahren und sofort die Brücken abbrechen, so ist das schon gefährlich, mein König. Ich schließe das aber nicht nur so aus meinem Verstande, sondern daraus, daß uns schon einmal beinahe solch ein Unglück betroffen hätte, als dein Vater eine Brücke schlug über den thrazischen Bosporos und eine über den Istrosstrom, da er gegen die Szythen hinüberging. Damals richteten die Szythen alle möglichen Bitten an die Ionier, denen die Bewachung der Istrosbrücke anvertraut war, um sie zu bewegen, die Brücke abzubrechen. Wenn damals Histiaios, der Machthaber von Milet, der Meinung der andern Machthaber zugefallen wäre, statt ihr entgegenzutreten, so war es um die Perser getan. Es ist überhaupt schon empörend, wenn man hört, daß in der Hand eines einzigen Mannes das ganze Schicksal des Königs lag. So wolle du nun nicht in solche Gefahr dich einlassen, wozu keine Not drängt, sondern folge meinem Rate! Entlasse jetzt diese Versammlung, und dann, wenn es dir gut dünkt, sag uns, nachdem du's erst für dich überlegt hast, wiederum an, was dir das beste zu sein scheint. Denn sich wohl beraten, find' ich, ist der größte Gewinn. Denn wenn auch etwas darwider fahren mag, war der Ratschluß nichtsdestoweniger gut; nur dem Glück ist der Ratschluß unterlegen. Wer sich aber schlecht berät, hat, wenn ihm auch das Glück zufällt, bloß einen Fund getan; sein Ratschluß war nichtsdestoweniger schlecht. Siehst du, wie die hervorragenden Geschöpfe der Gott mit dem Strahl schlägt und nicht prangen läßt, während ihn die kleinen nicht reizen? Siehst du, wie er immer in die größten Gebäude und höchsten Bäume seine Geschosse schleudert? Denn überall pflegt die Gottheit zu verstümmeln, was hervorragt. So wird denn auch ein großes Heer von einem kleinen erschlagen, indem nämlich die Gottheit aus Neid einen Schrecken hineinsendet oder einen Donner, so daß sie schmählich umkommen. Denn der Gott läßt keinen andern hochfahrend sein als sich selbst. Auch Eiligkeit gebiert in allen Dingen Fehler, aus denen gern große Bußen erwachsen; aber in der Zurückhaltung liegen Vorteile, wenn auch nicht für den ersten Anschein, aber man findet sie doch mit der Zeit. Dir, mein König, rat' ich also dieses; du aber, Sohn des Gobryas, Mardonios, laß ab von deinem eiteln Reden über die Hellenen, die nicht verdienen, in schlechtem Rufe zu stehen; denn mit Verleumdung der Hellenen reizt du uns den König zum Krieg auf, und ebendarum, glaub' ich, wendest du allen Eifer an. So soll es aber nicht sein. Denn die Verleumdung ist eine arge Sache, weil dabei zwei sind, die Unrecht tun, und einer, der Unrecht leidet. Der Verleumder tut Unrecht, indem er einen Abwesenden beschuldigt, und der andere tut Unrecht, indem er glaubt, ehe er genau nachgeforscht hat. Jener aber, der abwesend ist, leidet dabei das Unrecht, daß er von dem einen verleumdet und von dem andern für schlecht gehalten wird. – Aber wenn denn durchaus Krieg sein muß gegen dieses Volk, wohlan, so bleibe der König selbst daheim im Perserland; wir beide setzen unsere Kinder zum Pfande, und dann magst du in den Krieg ziehen mit allen Leuten, die du selbst erlesen magst, und mit einem Heere, so groß, wie du willst. Wenn dann die Sache für den König so abläuft, wie du sagst, so töte man meine Kinder und mich dazu; wenn aber so, wie ich voraussage, die deinigen und dich mit ihnen, falls du zurückkommst. Willst du aber darauf nicht eingehen, sondern durchaus ein Heer gegen Hellas führen, dann, sag' ich, wird, wer hier zurückgeblieben ist, noch hören, daß Mardonios, nachdem er ein großes Unheil für die Perser angerichtet hat, von Hunden und Vögeln zerrissen worden ist entweder in der Athener oder aber in der Lazedämonier Land, wenn nicht gar schon unterwegs. Dann wirst du erfahren haben, gegen was für ein Volk du jetzt den König überredest, in den Krieg zu ziehen.«

10. Nach der Anlage seines Werkes, das den Sturz der Überheblichen und Vermessenen durch den Neid der Götter schildert, braucht Herodot überall einen ernsten Mahner und Warner, dem er seine eigene Meinung in den Mund legt. In den ersten Büchern übernimmt diese Rolle der gestürzte König der Lyder, Kroisos. Mit dem siebenten Buche treten an seine Stelle Artabanos, der greise Oheim des Xerxes, und Demaratos, der gestürzte König von Sparta. Leopold von Ranke hebt in seiner »Weltgeschichte« (Bd. I, Kapitel 6) hervor, daß auf diese Weise in angenehmer Form alles zur Sprache kommt, was sich für und gegen den Zug des Xerxes sagen ließ: »Es bildet den Anfang des historischen Epos, welches Herodot in bewundernswürdiger Ausführung, aber nicht, ohne den Tatsachen ein sagenhaftes Element zuzugesellen, der Nachwelt hinterlassen hat.« Von einem Anfang redet Ranke, weil die drei letzten Bücher ein geschlossenes Ganzes bilden: »Die Komposition ist episodisch bis zum siebenten Buche«, sagt Jakob Burckhardt, »von der Schlacht bei Marathon an oder doch bald hernach folgen die Ereignisse sich ununterbrochen.«

 

11. Das sagte Artabanos; Xerxes aber, voller Zorn, antwortete darauf: »Artabanos, du bist meines Vaters Bruder; das hilft dir, daß du nicht den verdienten Lohn empfängst für so eitle Sprache! Doch leg' ich die Schande dir auf, da du ein feiger und mutloser Mann bist, daß du nicht mit mir gegen Hellas in den Krieg ziehen darfst, sondern hier bleibst bei den Weibern. Ich werde schon ohne dich alles Besprochene vollführen. Denn ich will nicht der Sohn des Dareios heißen, des Sohnes des Hystaspes, des Sohnes des Arsames, des Sohnes des Ariaramnes, des Sohnes des Teïspes, des Sohnes des Kyros, des Sohnes des Kambyses, des Sohnes des Teïspes, des Sohnes des Achämenes, wenn ich nicht die Athener züchtige! Bin ich doch gewiß, daß, wenn wir auch Ruhe halten möchten, sie es doch nicht tun, sondern sicherlich gegen unser Land ziehen werden. Das kann man aus dem schließen, was bereits von ihnen geschehen ist, da sie Sardes angesteckt und einen Zug nach Asien gemacht haben. Auszuweichen ist also keinem Teil mehr möglich, sondern Tun oder Leiden gilt es. Entweder muß alles, was hier liegt, unter die Herrschaft der Hellenen kommen oder alles, was drüben liegt, unter die der Perser; denn zwischen der Feindschaft gibt es kein Mittelding. Wohl anstehen aber mag's uns noch, wenn wir als die Erstbeleidigten zur Rache schreiten, damit ich doch auch »das Gefährliche« kennenlerne, in das ich geraten soll, wenn ich gegen dieses Volk ziehe, das doch schon der Phrygier Pelops, meiner Väter Knecht, so unterjocht hat, daß noch bis auf diesen Tag die Menschen selbst und ihr Land nach ihrem Unterjocher benannt werden.«

11. In der Ahnenaufzählung des Xerxes haben sich die alten Handschriften selbst nicht zurechtgefunden. Xerxes nennt zuerst die männlichen Vorfahren des Dareios, von Hystaspes bis auf Teïspes. Dann kommen die männlichen Vorfahren der Atossa, der Schwester des Kambyses, an die Reihe: Kyros, Kambyses und wiederum Teïspes. Vor »des Sohnes des Kyros« fehlt also: »Meine Mutter war die Schwester des Kambyses.« Xerxes griff auf Atossa zurück, weil die Verwandtschaft mit dem Gründer des persischen Reiches, mit Kyros, dem Stamm des Dareios immer besonders wichtig war. So steht die Ahnentafel auf der Felseninschrift von Behistun, der Herodot seine Angaben entnimmt. Die Kopisten des griechischen Textes haben daraus die in Griechenland übliche rein männliche Ahnentafel gemacht, die doppelt so lang ist wie die wirkliche.

Stammtafel

12. So viel ward damals gesprochen. Dann wurde es Nacht, und da peinigte den Xerxes die Mahnung des Artabanos. Bei nächtlicher Überlegung fand er, daß es allerdings nicht rätlich für ihn sei, gegen Hellas zu ziehen, und als er's wieder anders beschlossen hatte, fiel er in Schlaf. Da sah er aber in der Nacht folgendes Traumgesicht, wie man bei den Persern hört. Es kam dem Xerxes vor, ein großer, wohlgestalteter Mann stehe bei ihm und spreche: »Also andern Sinnes wirst du, o Perser, kein Heer gegen Hellas zu führen, nachdem du den Persern angesagt hast, das Kriegsvolk zu sammeln? Aber du tust nicht wohl daran, dich anders zu besinnen, noch wird's dir der vergeben, der vor dir steht. Nein, wie du am Tage zu tun gesonnen warst, diesen Weg gehe!« So sprach er und flog davon, wie es dem Xerxes vorkam.

13. Als darauf der Tag anbrach, legte er diesem Traumbilde gar kein Gewicht bei, versammelte aber wieder die Perser, die er zuvor einberufen hatte, und sagte ihnen folgendes: »Ihr Perser, vergebt mir, daß ich meinen Entschluß rasch ändere; denn mein Sinn und Verstand sind noch nicht in ihrer ganzen Reife, und die mir raten, jenes zu tun, lassen keinen Augenblick von mir. Nun hat zwar, als ich des Artabanos Meinung hörte, im Augenblick meine Jugend aufgebraust, daß ich härtere Worte gegen den älteren Mann ausstieß als billig; allein jetzt bin ich einverstanden und will seine Meinung befolgen. Da ich also meinen Entschluß dahin geändert habe, nicht gegen Hellas zu ziehen, so bleibt ruhig.« Als die Perser das hörten, waren sie erfreut und warfen sich vor ihm nieder.

14. Da es aber Nacht war, stand im Schlafe wieder dasselbe Traumbild bei Xerxes und sagte: »Sohn des Dareios, du hast wirklich den Feldzug abgesagt unter den Persern, achtest also meine Worte für nichts, als wären es niemands Worte! So merke denn wohl, daß, wenn du nicht alsbald den Feldzug unternimmst, dir folgendes daraus erwachsen wird: so groß und stark du in kurzer Zeit geworden bist, so niedrig wirst du wiederum jählings sein.«

15. Xerxes wurde von diesem Traumgesicht erschreckt, sprang auf von seinem Lager und sandte einen Boten zu Artabanos. Als dieser kam, sprach Xerxes zu ihm: »Artabanos, ich war im ersten Augenblick nicht vernünftig, da ich um deines guten Rates willen eitle Reden gegen dich führte; doch bald darauf ging ich in mich und erkannte, daß ich nach deinem Rate handeln muß. Allein ich bin dazu nicht imstande, obwohl ich es will. Seit ich mich gewandelt und meinen Entschluß geändert habe, erscheint mir immer ein Traumbild, das will's durchaus nicht haben, daß ich dies tue, und ebenjetzt ist es gar mit Drohungen geschieden. Wenn es nun ein Gott ist, der es schickt, und ihm nichts anderes gefällt, als daß der Feldzug gegen Hellas geschehen soll, so wird dieses selbe Traumbild auch auf dich herabschweben mit dem gleichen Befehle wie auf mich. Das möchte aber – find' ich – auf die Art gehen: wenn du erst meinen ganzen Schmuck nähmest und in demselben dich auf meinen Thron setztest und alsdann auf meinem Lager schliefest.«

16. Das sagte ihm Xerxes. Artabanos aber, der bei der ersten Aufforderung nicht folgen wollte, indem er es für vermessen hielt, sich auf den königlichen Thron zu setzen, tat ihm am Ende gezwungen seinen Willen, nachdem er also gesprochen hatte: »Es gilt mir für gleichgut, mein König, weise sein oder gutem Rate gern folgen. Und dies findet sich auch beides bei dir; nur daß dich schlechte Genossen irreführen, gleichwie man sagt, das den Menschen überaus nützliche Meer fielen Windstöße an und ließen es nicht in seiner Natur bleiben. Auch tat mir, als ich von dir gescholten ward, die Kränkung nicht so weh, als daß unter zwei den Persern vorliegenden Meinungen, von denen die eine den Übermut nährt, und die andere ihn stillt und sagt, es sei böse, das Herz zu lehren, immer noch mehr zu verlangen, als es hat – daß unter solchen zwei vorliegenden Meinungen du die gefährlichere für dich und die Perser wähltest. Jetzt aber, da du zur besseren umgekehrt bist, kommt also, nachdem du den Zug gegen Hellas aufgegeben hast, ein Traumbild, sagst du, nach eines Gottes Schickung, immer zu dir und hindert dich, den Zug einzustellen. Aber dieses, mein Sohn, ist nichts Göttliches. Die Träume, die den Menschen vorschweben, sind so beschaffen, wie ich dich es lehren will, der ich so viele Jahre älter bin als du. Gewöhnlich schweben einem im Schlafe Bilder von dem vor, was man am Tage im Sinne trägt, und wir haben in den vorigen Tagen diesen Feldzug gerade am meisten vorgehabt. Wenn dies aber doch nicht so ist, wie ich es erkläre, sondern ein Gott mit im Spiele ist, so hast du kurz und gut das Ganze gesagt; denn es soll nämlich auch mir erscheinen mit der gleichen Aufforderung wie dir. Aber es muß mir um nichts mehr erscheinen, wenn ich dein Kleid, als wenn ich das meine anhabe, und um nichts mehr, wenn ich auf deinem Lager, als wenn ich auf dem meinigen ruhe, falls es überhaupt erscheinen will. Denn so einfältig kann doch dieses Wesen nicht sein, was es auch immer ist, das dir im Schlafe erscheint, daß es mich für dich ansehen wird, weil es nach deinem Kleide schlösse. Ob es aber mich gar nicht beachten, noch auch einer Erscheinung würdigen wird, weder wenn ich mein Kleid, noch wenn ich das deinige anhabe, sondern nur zu dir kommen: das ist das, was wir jetzt erforschen müssen; denn wenn es wirklich unausgesetzt käme, dann müßt' ich selbst sagen, es sei göttlich. Nun du's aber auf diese Art beschlossen hast und es sich nicht abwenden läßt, sondern sein muß, daß ich auf deinem Lager schlafe, wohlan, so will ich das befolgen, und dann erscheine es auch mir. Bis dahin aber bleib' ich bei meiner Meinung.«

17. Das sprach Artabanos und erfüllte in der Hoffnung, den Xerxes zu widerlegen, dessen Willen. Als er nun des Xerxes Kleid angezogen und sich auf den königlichen Thron gesetzt hatte, darauf zu Bette gegangen und eingeschlafen war, kam dasselbe Traumbild zu ihm, das dem Xerxes erschienen war. Das stand über dem Artabanos und sprach, wie folgt: »Du bist also der, welcher den Xerxes vom Zuge wider Hellas abbringen will; versteht sich, aus Besorgnis für ihn? Aber weder in Zukunft noch für den gegenwärtigen Augenblick wird es dir hingehen, daß du abwendest, was verhängt ist. Was aber Xerxes, wenn er nicht gehorchen will, zu erwarten hat, ist ihm selbst schon offenbart.«

18. Das also, kam dem Artabanos vor, drohe ihm das Traumbild an und wolle ihm mit glühenden Eisen die Augen ausbrennen. Da sprang er mit einem lauten Schrei empor, setzte sich dann bei Xerxes nieder, erzählte ihm erst dieses Traumgesicht ausführlich und sagte dann: »Mein König, da ich in meinem Leben schon viel Großes durch Kleines habe fallen sehen, war es nicht mein Wunsch, daß du in allem deiner Jugend folgest. Überzeugt, es sei böse, viel zu begehren, in Erinnerung an den Zug des Kyros gegen die Massageten, wie er ausfiel, so auch an den des Kambyses gegen die Äthiopier, und als ein Teilnehmer am Kriege des Dareios gegen die Szythen – solchergestalt überzeugt, war ich der Meinung, wenn du ruhig bleibest, werdest du in aller Welt der Glückseligste heißen. Da nun aber eine übermenschliche Macht den Anstoß gibt und über die Hellenen, wie man denken muß, ein gottverhängtes Verderben hereinbricht, werde auch ich bekehrt und ändere meine Meinung. Zeige denn du den Persern an, was dir der Gott gebietet, und heiße sie bleiben bei deinen ersten Befehlen zur Kriegsrüstung und mach es also, daß von deiner Seite nichts ermangle, da der Gott es gewährt.« Nach diesen Reden waren sie nunmehr ermutigt durch das Traumgesicht, und sobald es Tag ward, legte Xerxes solches den Persern vor, und Artabanos, der zuvor allein offen dagegen sprach, sprach jetzt öffentlich dafür.

19. Als Xerxes sich nun erhob zum Feldzug, erschien ihm noch ein drittes Traumgesicht, von dem die Magier, wie sie's hörten, urteilten, es gehe auf die ganze Erde, und alle Welt werde ihm untertan sein. Das Gesicht war aber folgendes: Dem Xerxes kam es vor, als sei er mit einem Ölschößling bekränzt, und die Zweige von diesem Ölbaum bedeckten die ganze Erde, dann aber verschwinde der Kranz, der auf seinem Haupte war. Nach solchem Urteil der Magier gingen sofort die versammelten Perser, ein jeder in seine Herrschaft, ab und machten sich mit großem Eifer an die Ausführung dessen, was ihnen geboten war, da ein jeglicher die verheißenen Geschenke erlangen wollte, und Xerxes bot so das Heervolk auf und durchforschte jeden Fleck des Festlandes.

20. Von Ägyptens Eroberung an schaffte er nämlich durch vier volle Jahre das Heer und den Heeresbedarf herbei, und im Laufe des fünften Jahres zog er ins Feld mit einem gewaltigen Kriegshaufen. Unter den Heerzügen, von denen wir wissen, war dies bei weitem der größte, so daß der des Dareios gegen die Szythen im Vergleich mit diesem nichts ist, und der szythische nichts, als die Szythen in Verfolgung der Kimmerier eindrangen ins medische Land und fast ganz Oberasien unterwarfen und beherrschten, wofür nachmals Dareios Rache nehmen wollte; so auch nichts der Atriden Heerzug gegen Ilion, wie ihn die Sage erzählt, und der von den Teukrern und Mysern nichts, der vor die troischen Zeiten fällt, da sie über den Bosporos nach Europa hinübergingen und die Thrazier allesamt unterwarfen und bis ans Ionische Meer hinabgingen und bis zum Peneiosstrom gegen Mittag drangen.

21. Alle diese Kriegszüge, und was immer für welche es sonst noch gibt, sind mit dem einen nicht vergleichbar. Denn wo war ein Volk in Asien, das Xerxes nicht gegen Hellas führte? Wo ging seinem Heere nicht das Wasser unterm Trinken aus, die großen Flüsse ausgenommen? Denn da stellten die einen Schiffe, die andern waren zum Fußvolk geordnet, den andern war Reiterei auferlegt, wieder andere stellten Pferdefahrzeuge, mit denen sie ins Feld ziehen mußten, wieder andere lange Schiffe für die Brücken, noch andere Schiffe mit Vorrat.

22. Zunächst wurde, weil die Früheren bei der Umschiffung des Athos solch einen harten Stoß erlitten hatten, seit ungefähr drei Jahren schon am Athos vorgearbeitet. Nämlich beim chersonesischen Elaius lagen Schiffe und brachten immer allerlei Heervolk heran; die mußten unter Geißelhieben graben, bis sie abgelöst wurden. Auch gruben die Anwohner des Athos mit. Die Perser Bubares, der Sohn des Megabazos, und Artachaies, der Sohn des Artaios, beaufsichtigten die Arbeit. Der Athos ist nämlich ein großer und berühmter Berg, ins Meer laufend und von Menschen bewohnt. Der Berg ist an der Stelle, an der er ins Festland ausgeht, halbinselförmig und bildet eine Landenge von zwölf Stadien, eine Ebene mit geringen Hügeln, vom Meer der Akanthier bis zum Meere gegenüber von Torone. Auf dieser Landenge, in die der Athos ausgeht, ist die hellenische Stadt Sane gelegen. Die aber vor Sane und innerhalb des Athos gelegen sind, die, welche damals der Perser aus Festlandstädten in Inselstädte umzuwandeln unternahm, sind folgende: Dion, Olophyxos, Akrothoon, Thyssos und Kleonai. Das sind also die Städte, die den Athos einnehmen.

23. Sie gruben aber in folgender Weise: Erst teilten die Barbaren den Platz für jegliches Volk ein und steckten ihn an der Stadt Sane schnurgerade ab; wie alsdann der Graben in die Tiefe eingelassen war, stand ein Teil zuunterst und grub; wieder einer reichte immer den ausgegrabenen Schutt andern hinauf, die auf Leitern standen, und diese wieder andern der Reihe nach, bis sie zu den Obersten gelangten, die ihn wegtrugen und ausschütteten. Allen andern nun außer den Phöniziern machten die Wände des Grabens, die immer wieder einfielen, doppelte Arbeit. Weil sie nämlich den Einstich oben und unten gleichweit anlegten, mußte das natürlich so gehen. Die Phönizier aber zeigen in allen Arbeiten Verstand und Geschick, so besonders hier. Als sie nämlich das Stück, das an sie kam, zugeteilt erhielten, gruben sie den obern Einstich des Grabens doppelt so breit, wie der Graben selbst werden sollte, und ließen ihn mit dem Fortschritt der Arbeit immer enger werden. Wie es nun zur Grabensohle kam, stand auch ihre Arbeit den übrigen gleich. Es ist auch eine Wiese dort, auf der sie ihren Markt und Kaufplatz hatten, und gemahlenes Korn wurde ihnen in Menge aus Asien zugeführt.

24. Wie nun ich in meiner Erwägung finde, hat Xerxes den Graben aus Stolz machen lassen, um seine Macht darzutun und sich ein Denkmal zu hinterlassen. Denn während nichts hinderte, ohne viel Mühe die Schiffe über die Landenge zu ziehen, ließ er für das Meer einen Durchstich graben von einer Breite, daß zwei Dreiruderer nebeneinander fahren können. Denselben Leuten aber, denen hier die Grabenarbeit oblag, war auch, eine Brücke über den Strymon zu schlagen, auferlegt.

25. So machte er dieses. Er schaffte aber auch für die Brücken Taue aus Byblos und Weißflachs an, die von den Phöniziern und Ägyptern geliefert werden mußten, und ließ Vorrat für das Heer aufspeichern, damit das Heer nicht Hunger litte, noch das Lastvieh, das mit gegen Hellas geführt wurde, und zwar hieß er sie denselben, nach Erkundung der passendsten Orte, niederlegen und hierhin und dorthin auf Lastschiffen und Kauffahrern aus allen Gegenden Asiens heranführen. Am meisten führten sie nach dem Leuke Akte genannten Platze in Thrazien; es waren aber auch manche nach Tyrodiza im Perinthischen, andere nach Doriskos, andere nach Eïon am Strymon, andere nach Mazedonien befehligt.

26. Während nun diese die ihnen auferlegte Arbeit ausführten, zog die gesamte Landmacht mit Xerxes nach Sardes, von Kritalla in Kappadozien aus; denn das war zum Sammelpunkt für das ganze Heer bestimmt, das mit Xerxes zu Lande ziehen sollte. Wer nun von den Statthaltern das bestgerüstete Heer mitgebracht und also die verheißenen Geschenke vom König bekommen hat, vermag ich nicht anzugeben und weiß nicht einmal, ob sie überhaupt zu einer Preisschau gekommen sind. Wie sie dann über den Halysfluß nach Phrygien hineingekommen waren, gelangten sie auf ihrem Zuge durch dies Land nach Kelainai, wo die Quellen des Mäanderflusses herauskommen und eines andern, der nicht kleiner ist als der Mäander, mit Namen Kataraktes, der, am Markte von Kelainai selbst entspringend, in den Mäander sich ergießt. Dort ist auch der Schlauch aus der Haut des Silens Marsyas in der Stadt aufgehängt, von dem die Sage der Phrygier behauptet, er sei von Apollo geschunden und hier aufgehängt worden.

26. Marsyas war nach der Sage der Erfinder der rauschenden Flötenmusik, Apollo der Gott des beruhigenden Saitenspiels. Marsyas ließ sich mit Apollo in einen musikalischen Wettkampf ein, wurde überwunden und von dem siegreichen Gotte geschunden. Seine in der Höhle bei Kelainai aufgehängte Haut sollte sich noch immer freudig bewegen, sobald sie Flötenmusik hörte.

 

27. In dieser Stadt war Pythios, der Sohn des Atys, ansässig, ein Lyder; der bewirtete das ganze Heer des Königs samt Xerxes selbst in herrlicher Weise und bot ihm Geld an, das er für den Krieg beisteuern wollte. Bei diesem Geldangebot des Pythios fragte nun Xerxes die anwesenden Perser, wer der Pythios sei, und wieviel Geld er habe, der solches anbiete. Darauf sagten sie: »König, das ist der, welcher deinen Vater Dareios beschenkt hat mit dem goldenen Platanosbaum und dem Weinstock, und der noch jetzt der reichste Mann auf der Welt ist, soviel wir wissen, nach dir.«

27. Da Kroisos einen Sohn Atys hatte, der auf der Jagd umkam (Buch I, Kapitel 34 bis 44), und Pythios der Sohn des Atys heißt, scheint es sich hier um den Enkel des Kroisos zu handeln. Den Namen hat er dann von dem pythischen Orakel, das sein Großvater verehrte. Der Platanosbaum aus Gold war von der Sage stark vergrößert worden. Ein Arkadier, der als Gesandter zum Großkönig Artaxerxes II. Mnemon (404-358) kam, sah das Wunderwerk und behauptete, die Platane sei nicht so groß, daß sie einer Zikade Schatten gewähren könne.

 

28. Verwundert über die letzten Worte, fragte Xerxes den Pythios, wieviel Geld er habe. Darauf sagte er: »König, ich will dir's nicht verhehlen, noch vorschützen, ich wisse mein Vermögen nicht; sondern ich weiß es: und so will ich dir's auch genau angeben. Denn sobald ich erfuhr, daß du ans hellenische Meer herabkommest, war ich willens, dir Geld zum Kriege zu geben, untersuchte es also und fand bei meiner Rechnung, daß ich an Silber zweitausend Talente habe, und an Gold vierhundertmal zehntausend Dareios-Stateren, weniger siebentausend. Und das mach' ich dir zum Geschenk; ich selbst kann von meinen Sklaven und Grundgütern hinlänglich leben.«

28. Das Gesamtvermögen des Pythios betrug demnach etwa hundert Millionen Mark, also mehr als das gesamte Steueraufkommen des Perserreiches (s. Anm. zu Buch III, Kapitel 95). Gegenüber den Kosten eines Krieges erscheint die Summe dennoch als geringfügig.

 

29. Das sagte er. Xerxes aber freute sich über diese Worte und sprach: »Mein lydischer Gastfreund, seit ich vom persischen Land auszog, bin ich bis heute mit keinem Menschen zusammengekommen, der freiwillig meinem Heere Bewirtung reichte, noch kam einer selbst vor mich, um mir aus freiem Erbieten Geld für den Krieg beizusteuern, außer dir. Du aber hast mein Heer herrlich bewirtet und bietest noch Geld in Menge an. Dafür gebe ich dir nun folgenden Ehrenlohn: ich mache dich zu meinem Gastfreunde und deine vierhundertmal zehntausend Stateren will ich dir durch die siebentausend, die ich aus meinem Schatz dazugeben werde, vollmachen, auf daß an deinen vierhundertmal zehntausend nicht mehr siebentausend fehlen, sondern deine Rechnung rein aufgehe, vollzählig gemacht von mir. Behalte denn selbst, was du selbst erworben hast, und bleibe dabei, immerdar so zu sein; denn wenn du solches tust, wird es dich weder jetzt noch in Zukunft gereuen.«

30. Das sagte er und erfüllte es auch, und dann zog er immer vorwärts. Er kam vorüber an einer phrygischen Stadt, namens Anaua, und einem See, aus dem man Salz gewinnt, nach Kolossai, einer großen Stadt in Phrygien, wo der Lykosfluß in einen Erdschlund hinab verschwindet. Ungefähr fünf Stadien davon kommt er wieder hervor und ergießt sich gleichfalls in den Mäander. Von Kolossai brach das Heer nach den Grenzen von Phrygien und Lydien auf, und da kam es zur Stadt Kydrara, wo eine feststehende Säule, die von Kroisos errichtet wurde, mit einer Inschrift die Grenzen anzeigt.

30. Der Name der Stadt Kolossai lebt durch den Brief des Apostels Paulus an die Kolosser fort.

 

31. Wie er nun aus Phrygien nach Lydien hinüberrückte, wo der Weg sich teilt, und einer links nach Karien, der andere rechts nach Sardes führt, auf dem man hernach unvermeidlich über den Mäanderfluß gehen und bei der Stadt Kallatebos vorbeikommen muß, in der eigene Handwerker aus Tamariskensaft und Weizen Honig machen: auf diesem Wege fand Xerxes einen Platanenbaum, den er seiner Schönheit wegen mit einem goldenen Schmuck beschenkte und einem unsterblichen Wärter zur Hut übergab, worauf er am andern Tag in der Hauptstadt der Lyder ankam.

31. Unsterblich war der Wächter, weil immer der Nachfolger bereits bestimmt war, der den Dienst sofort anzutreten hatte, wenn der Wächter starb.

 

32. In Sardes angekommen, sandte er zunächst Herolde nach Hellas, die Erde und Wasser fordern und ansagen sollten, daß man dem Könige das Mahl bereite. Nur nach Athen und Lazedämon sandte er nicht um Erde, sonst überallhin. Er sandte aber zum zweiten Male nach Erde und Wasser, weil er glaubte, daß alle, die es früher nicht gaben, als Dareios drum sandte, es jetzt sicher aus Furcht geben würden, und eben, um sich darüber Gewißheit zu verschaffen, sandte er hin. Dann aber rüstete er sich zum Zug nach Abydos.

33. Unterdessen überbrückten die andern den Hellespont von Asien nach Europa hinüber. Dort läuft von dem hellespontischen Chersones, zwischen der Stadt Sestos und Madytos, ein rauhes Vorland ins Meer, Abydos gegenüber; daselbst wurde später, nicht lange Zeit nach diesem, unter Xanthippos, dem Sohne Ariphrons, dem Feldherrn der Athener, Artayktes, ein Perser und Statthalter von Sestos, den sie gefangengenommen hatten, lebendig an ein Brett genagelt. Er hatte nämlich im Heiligtum des Protesilaos zu Elaius mit Weibern, die er hineinnahm, Frevel getrieben.

33. In Elaius wurde der Heros Protesilaos verehrt, der im Trojanischen Kriege als erster landete und sogleich getötet wurde.

 

34. Zu diesem Vorlande hin also legten die damit Beauftragten von Abydos aus Brücken: die Phönizier die eine aus Weißflachs, die Ägypter die andere aus Byblos. Es sind aber sieben Stadien von Abydos bis zur gegenüberliegenden Küste, und schon war die Brücke fertig, als ein großer Sturm einfiel: der schlug alles zusammen und riß es auseinander.

35. Wie es nun Xerxes erfuhr, wurde er zornig und befahl, der Hellespont solle dreihundert Geißelhiebe bekommen, und man solle in die See ein Paar Fußfesseln hinabsenken. Ich habe sogar gehört, daß er dazu noch Brandmarker abschickte, um den Hellespont zu brandmarken. Unterm Geißeln aber gab er ihnen auf, die barbarische Lästerung zu sprechen: »Du bittres Wasser, dir legt der Gebieter diese Strafe auf, weil du ihn beleidigt hast, ohne daß er dir ein Leid angetan hat. König Xerxes wird über dich gehen, wenn du willst, und wenn du nicht willst. Mit Recht aber opfert dir kein Mensch; denn du bist ein schmutziger und salziger Strom.« Damit also ließ er das Meer bestrafen und den Werkvorstehern der Hellespontbrücke die Köpfe abhauen.

36. Das taten die, welche dieses mißliebige Ehrenamt hatten; die Brücken aber schlugen nun andere Baumeister, und zwar folgendermaßen. Sie stellten Fünfzigruderer und Dreiruderer zusammen, als Grundlage für die eine – nach dem Pontos Euxeinos – dreihundertundsechzig, für die andere dreihundertundvierzehn, jene in schräger Richtung zum Pontos, diese der Strömung des Hellesponts ausgesetzt, damit sie die Taue fest in der Spannung hielte. Nach der Aufstellung warfen sie nun mächtige Anker aus, an der einen Brücke gegen den Pontos hin, wegen der Winde, die von innen herauswehen, an der andern gegen Abend und das Ägäische Meer, wegen des Südost- und Südwindes. Zur Durchfahrt aber ließen sie eine Lücke zwischen den Fünfzigruderern und den Dreiruderern an drei Stellen, damit, wer da wollte, in den Pontos fahren konnte mit leichten Fahrzeugen und aus dem Pontos heraus. Als sie so weit fertig waren, spannten sie die Taue vom Land aus mittelst hölzerner Drehesel an, nahmen aber nicht mehr beiderlei Arten besonders, sondern zwei von Weißflachs auf jede Brücke und vier von Byblos. An Dicke und Stattlichkeit waren sie zwar gleich, aber die flächsernen waren verhältnismäßig schwerer, eine Elle davon wog ein Pfund. Nachdem so die Meeresstraße überbrückt war, sägten sie Holzblöcke zurecht, so daß ihre Länge der Breite des Brückenbodens entsprach, und legten sie in guter Ordnung auf die ausgespannten Taue. Sobald sie der Reihe nach lagen, banden sie das Ganze wiederum fest zusammen. Als das geschehen war, trugen sie Strauchwerk darauf, und wie auch das Strauchwerk in guter Ordnung lag, trugen sie Erde drauf, und wie auch die Erde festgestampft war, zogen sie zu beiden Seiten der Brücke ein Geländer, damit das Lastvieh und die Pferde nicht scheu würden beim offenen Anblick des Meeres.

37. Wie aber die Arbeit an den Brücken fertig war und auch vom Athos gemeldet wurde, daß alles fertig sei, nämlich sowohl die Dämme, die dort an der Mündung des Kanals wegen der Brandung gemacht wurden, damit die Mündungen des Kanals nicht überflutet würden, als auch der Kanal selbst: da hatte das Heer überwintert, stand mit Frühlingsanfang in voller Rüstung und brach von Sardes auf zum Zuge nach Abydos. Bei seinem Aufbruch aber verlor sich die Sonne von ihrem Platz am Himmel und ward unsichtbar, da doch keine Bewölkung, sondern ganz heiteres Wetter war, und wurde der Tag zur Nacht. Da das Xerxes sah und inneward, machte es ihn bedenklich, und er befragte die Magier, was die Erscheinung bedeuten wolle. Da erklärten sie, der Gott zeige den Hellenen den Verlust ihrer Städte an, mit der Behauptung, die Sonne sei der Zukunftweiser für die Hellenen, der Mond für sie. Da Xerxes das hörte, machte er voller Freude seinen Zug.

37. Eine Sonnenfinsternis ist im Frühjahr 480 nicht eingetreten. Offenbar handelt es sich um eine andere Wettererscheinung, die in den Berichten abergläubisch übertrieben worden ist. Die Deutung der Magier ist äußerst künstlich, da die Perser Sonnenanbeter waren. Eine Verfinsterung ihrer Schutzgottheit mußte eher Unheil für sie bedeuten als für ihre Gegner. Herodot brauchte einen Übergang zur Angst des Pythios und ließ sich deshalb auf diese unklare Tradition ein.

 

38. Wie er aber mit seinem Heere auszog, kam der Lyder Pythios, beängstigt durch die Erscheinung am Himmel und ermutigt durch die Geschenke, zu Xerxes und sagte, wie folgt: »Gebieter, möchtest du mir einen Wunsch gewähren, dessen Erfüllung dir leicht fällt, für mich aber ungeheuer viel bedeutet?« Xerxes, der sich eher jedes andern Wunsches von ihm versah als dessen, auf den sein Sinn stand, erklärte, er wolle ihm's erfüllen, und hieß ihn aussprechen, was er begehre. Daraufhin sagte er getrosten Mutes folgendes: »Gebieter, ich habe fünf Söhne, und die trifft es nun alle, daß sie mit dir gegen Hellas ziehen müssen. Habe denn, o König, Mitleid mit meinem Alter und sprich mir einen meiner Söhne vom Kriegsdienst frei, den ältesten, damit er für mich und mein Vermögen sorge. Die vier anderen aber sollen mit dir gehen, und mögest du von allem, was du vorhast, glücklich heimkehren!«

39. Darüber ward Xerxes sehr aufgebracht und antwortete: »Du schlechter Mensch, du unterstehst dich, da ich selbst gegen Hellas ziehe, und mit mir meine Söhne und Brüder und Verwandten und Freunde, deines Sohnes zu gedenken? Du, mein Knecht, der eigentlich mit dem ganzen Haus, samt seinem Weibe, mitgehen sollte? So sollst du jetzt auch merken, daß in den Ohren der Menschen der Geist wohnt, der, wenn er Gutes hört, den Leib mit Vergnügen erfüllt, wenn er aber das Gegenteil hört, aufbraust. Da du nun Gutes tatest und ebensolches auch anbotest, magst du dich nicht rühmen, an Wohltaten den König übertroffen zu haben; nun du aber in Unverschämtheit umschlägst, sollst du doch nicht den verdienten Lohn, sondern weniger als den verdienten empfangen. Dich nämlich und deine vier andern Söhne errettet deine Gastfreundschaft: der eine aber, an dem du so hängst, mit dessen Leben mußt du büßen!« Nach dieser Erwiderung befahl er gleich denen, die dieses Amt hatten, unter den Söhnen des Pythios den ältesten aufzugreifen und in zwei Stücke zu hauen, die zwei Hälften des Leichnams aber einander gegenüber zu legen, rechts und links am Wege, damit das Heer zwischen ihnen hindurchziehen sollte.

39. Die Gesuche um Befreiung vom Kriegsdienst wurden von den Persern als Hochverrat angesehen und bestraft. Dareios verfuhr gegenüber derselben Bitte eines Vaters viel härter als Xerxes (Buch IV, Kapitel 84). Nietzsche bespricht diese Herodotstelle in »Menschliches, Allzumenschliches« (Erster Teil. Aphorismus 81): »Wir alle empfinden, wenn der Unterschied zwischen uns und einem andern Wesen sehr groß ist, gar nichts mehr von Unrecht und töten eine Mücke zum Beispiel ohne jeden Gewissensbiß. So ist es kein Zeichen von Schlechtigkeit bei Xerxes (den selbst alle Griechen als hervorragend edel schildern), wenn er dem Vater seinen Sohn nimmt und ihn zerstückeln läßt, weil dieser ein ängstliches, ominöses Mißtrauen gegen den ganzen Heerzug geäußert hatte: der einzelne wird in diesem Falle wie ein unangenehmes Insekt beseitigt: er steht zu niedrig, um länger quälende Empfindungen bei einem Weltherrscher erregen zu dürfen.«

 

40. Das taten sie, und dann ging das Heer zwischen ihnen hindurch. Voran gingen erstlich die Packknechte und das Lastvieh, nach diesem ein Heerhaufe von allerlei Völkern untereinander, ohne Sonderung. Nachdem so über die Hälfte voraus war, blieb ein Zwischenraum, so daß diese nicht mit dem König in eine Reihe kamen. Jetzt ging erst ein Zug von tausend Reitern voran, auserlesen aus allen Persern, hernach tausend Lanzenträger, gleichfalls aus allen auserlesen, mit zur Erde gesenkten Lanzen; dann die sogenannten heiligen nisaiischen Pferde, zehn an der Zahl, aufs schönste geschmückt. Nisaiische werden diese Pferde genannt, weil im Medischen eine große Ebene, mit Namen Nisaion, liegt: diese Ebene liefert die großen Pferde. Hinter diesen zehn Pferden folgte, der Ordnung nach, der heilige Wagen des Zeus, gezogen von acht weißen Pferden, und hinter den Pferden ging der Wagenlenker zu Fuß, die Zügel in der Hand, weil kein Mensch diesen Sitz besteigt. Dahinter nun Xerxes selbst auf einem Wagen mit nisaiischen Pferden, neben dem der Wagenlenker ging, mit Namen Patiramphes, der Sohn des Otanes, eines Persers.

40. Das Nisaiische Feld lag im südwestlichen Medien. Mit Zeus ist der persische Lichtgott Ahura Masda gemeint.

 

41. So zog Xerxes aus Sardes, doch stieg er, sooft ihm's gut dünkte, aus diesem Wagen hinüber in einen Reisewagen. Hinter ihm kamen Lanzenträger, die besten und edelsten Perser, tausend Mann, die ihre Lanzen nach gewöhnlichem Brauch trugen. Hernach Reiterei, wieder tausend Mann, aus den Persern auserlesen. Nach der Reiterei zehntausend Mann, aus den übrigen Persern erlesen. Das war Fußvolk, und tausend davon hatten an ihren Lanzen statt des Schaftendes goldene Granatäpfel und schlossen die andern von allen Seiten ein; die neuntausend aber, die in ihrer Mitte gingen, hatten silberne Granatäpfel. Goldene Granatäpfel aber hatten auch die, welche die Lanzen zur Erde gesenkt hielten, und Äpfel die, welche nächst Xerxes gingen. Diesen zehntausend Mann folgten der Ordnung nach zehntausend persische Reiter. Nach diesen Reitern blieb ein Zwischenraum von zwei Stadien; alsdann kam der übrige Haufe, buntgemischt.

42. Der Weg des Heeres ging aus Lydien an den Fluß Kaïkos nach Mysien, und vom Kaïkos aus, wo es dann den Berg Kane zur Linken hatte, durch Atarneus nach der Stadt Karine. Von da zog es durch die Ebene von Thebe, an der Stadt Adramytteion und dem pelasgischen Antandros vorbei. Dann bekam es den Ida zu seiner linken Hand und rückte in die ilische Landschaft. Als es am Fuß des Ida übernachtete, fielen Donnerschläge und Blitze und erschlugen dort einen ganzen Haufen von ihnen.

43. Wie nun das Heer an den Skamandros kam, den ersten Fluß, seit sie von Sardes den Weg angetreten hatten, dessen Wasser ausging und dem Heervolk und Vieh zum Trinken nicht zureichte, – wie also Xerxes an diesen Fluß kam, ging er nach Pergamon, der Burg des Priamos, hinauf, da ihn danach verlangte, sie zu beschauen. Als er sie beschaut und sich alles davon hatte erzählen lassen, opferte er der Athene von Ilion tausend Rinder, und die Magier gaben den Heroen Totenspenden. Nachdem sie dies getan hatten, fiel des Nachts ein Schrecken auf das Heer. Mit Tagesanbruch aber zog er von da weiter, indem er links die Stadt Rhoiteion liegen ließ und Ophryneion und Dardanon, das an Abydos grenzt, rechts aber die Teukrer von Gergis.

43. Gergis war angeblich von Trojanern, die nach der Zerstörung der Stadt übriggeblieben waren, besiedelt worden.

 

44. Wie sie aber in Abydos selbst waren, wollte Xerxes sein ganzes Heer sehen. Es war auch schon auf einem Hügel dort eigens für ihn ein Altan von weißem Stein errichtet. Es machten ihn aber die Abydener auf den ihnen erteilten Befehl des Xerxes. Als er nun dasaß und über das Gestade hinsah, schaute er beides, das Landheer und die Schiffe, und unter dem Schauen bekam er Lust, einen Wettstreit der Schiffe aufführen zu sehen. Er wurde veranstaltet, die Phönizier aus Sidon siegten, und er hatte seine Freude an dem Wettstreit und der Heeresmacht.

45. Wie er nun den ganzen Hellespont von den Schiffen bedeckt sah und den ganzen Strand und die Felder von Abydos voll Menschen, da pries sich Xerxes selig, und dann weinte er.

46. Das bemerkte Artabanos, sein Oheim, der zuerst seine Meinung ausgesprochen und dem Xerxes geraten hatte, nicht gegen Hellas zu ziehen. Dieser Mann beachtete es, wie Xerxes weinte, und fragte: »König, wie tust du doch, was so weit voneinander verschieden ist, gleich nacheinander? Eben priesest du dich selig, und jetzt weinst du!« Darauf sprach er: »Ja, es kam mich unter der Betrachtung ein Jammer an, wie das ganze Menschenleben so kurz ist, da ja von allen diesen, soviel ihrer sind, nach hundert Jahren keiner mehr da sein wird.« Und jener antwortete: »Außerdem ist aber während des Lebens unser Schicksal noch bejammernswerter. Denn in diesem so kurzen Leben ist kein Mensch, weder unter diesen hier noch unter den andern, so glücklich, daß er nicht oft und mehr als einmal in den Fall käme, lieber tot sein zu wollen als zu leben. Denn da brechen Unglücksfälle herein und wüten Krankheiten und machen, daß uns das Leben lange dünkt, so kurz es ist. So ist denn der Tod bei diesem mühseligen Leben noch die beste Zuflucht für den Menschen; die Gottheit aber gibt uns erst den süßen Lebenstag zu kosten und erweist sich dann als neidisch.«

46. Artabanos äußert denselben Pessimismus, dem im »Ödipus auf Kolonos« Sophokles, der mit Herodot befreundet war, in dem Chorliede (Vers 1216 bis 1229) Ausdruck gibt. Die Verse lauten in Heinrich Viehoffs Übersetzung:
Nie zu schauen des Lebens Licht,
Ist der erste, der höchste Wunsch,
Und der nächste, sobald man lebt,
Eilig zu wandern, woher man gekommen.
Denn selbst, während die Jugend blüht,
Die leichtsinniger Torheit pflegt,
Wen umstürmet die Trübsal nicht?
Wem bleibt Not und Beschwerde fern?
Aufruhr, Hader und Mord und Kampf,
Haß und Neid – und zuletzt dann schleicht
Öd' und kraftlos, ohne Freuden,
Vielgeschmäht, heran das Alter,
Dem sich ein jeglich Weh gesellt hat!
Jakob Burckhardt macht darauf aufmerksam, daß in den nicht erhaltenen »Threnoi« (Totenklagen) dieser Gedanke von den griechischen Dichtern sicher oft behandelt worden ist. Herodot hat den Artabanos also angesichts der glänzenden Flottenparade in wirkungsvoller Gegenüberstellung einen Threnos anstimmen lassen, wie das seiner Mahnerrolle (s. Anm. zu Kapitel 10) entspricht. Nietzsche leitet in der »Geburt der Tragödie« (Kapitel 3) die Lichtgestalten der griechischen Götterwelt gerade aus dem Pessimismus ab: »Wie anders hätte jenes so reizbar empfindende, so ungestüm begehrende, zum Leiden so einzig befähigte Volk das Dasein ertragen können, wenn ihm nicht dasselbe, von einer höheren Glorie umflossen, in seinen Göttern gezeigt worden wäre?« – Dieselben Götter aber gönnen, wie Herodot den Artabanos am Schlusse seiner Rede hervorheben läßt, den Menschen nicht das Glück, das sie selbst genießen.

 

47. Darauf antwortete Xerxes: »Über das Menschenleben, Artabanos, das so ist, wie du es erkennst, laß uns nun nicht weiter reden, noch böser Dinge gedenken, da wir eine gute Sache unter den Händen haben. Aber das eröffne mir: wenn dir das Traumgesicht nicht so leibhaftig erschienen wäre, würdest du dann noch der alten Meinung sein, ich solle den Zug gegen Hellas unterlassen, oder hättest du dich bekehrt? Sprich denn und sage mir das bestimmt!« Darauf antwortete er: »König, das Gesicht, das uns im Traum erschien, möge so, wie wir beide wünschen, ausgehen! Aber ich bin immer noch voll Furcht und nicht ruhig in mir, vor lauter Bedenken, und namentlich weil ich sehe, daß zwei Dinge, und zwar die größten, dir am meisten feind sind.«

48. Darauf erwiderte Xerxes, wie folgt: »Du wunderlicher Mann, was meinst du da für zwei Dinge, die mir am meisten feind seien? Bist du etwa mit der Menge des Landheeres nicht zufrieden und siehst voraus, daß das hellenische Heer viel größer als das unsere sein wird? Oder daß unsere Schiffsmacht der ihrigen nachstehen wird? Oder auch beides? Denn wenn du noch solch einen Mangel in unserer Sache siehst, so müßte man auf der Stelle ein neues Heer aufbieten.«

49. Darauf antwortete er: »König, weder mit diesem Heere kann, wer nur irgend Verstand hat, unzufrieden sein, noch mit der Menge der Schiffe. Aber wenn du noch mehr zusammenbrächtest, so würden dir gerade die zwei Dinge, die ich meine, noch weit mehr feind sein. Diese zwei sind aber: Land und Meer. Denn erstens ist im Meer nirgendswo, nach meinem Erachten, so ein großer Hafen, daß er bei einem Sturm deine Seemacht fassen und dir die Erhaltung der Schiffe sichern könnte. Und doch bedarfst du nicht nur an einem Ort solch eines Hafens, sondern überall längs der Küste, an der dein Weg hingeht. Da sich also keine genügenden Häfen für dich finden, so vergiß nicht, daß die Zufälle über die Menschen herrschen, und nicht die Menschen über die Zufälle. Nun komme ich aber, da wir erst von dem einen der zwei Dinge geredet haben, auch noch auf das andere zu sprechen. Das Land nämlich ist dir auf folgende Art feind: Falls du keinen Widerstand findest, so wird es dir um so mehr feind, je weiter du vorwärts gehst und unvermerkt immer weiter kommst, wie denn im Glück die Menschen nimmer genug bekommen. Nun meine ich eben, wenn sich dir niemand entgegenstellt, wird das Land, je länger, je mehr werden und dir endlich Hungersnot erzeugen. Das ist aber wohl die beste Tugend des Mannes, wenn er in der Beratung ängstlich ist, in Erwägung des Ärgsten, was geschehen kann, bei der Tat aber mutig.«

50. Darauf antwortete Xerxes: »Artabanos, wohl erkennst du hierin jegliches richtig; allein fürchte nicht alles und erwäge nicht alles gleichsehr. Denn wenn du immer wieder an jeder Sache alles gleichsehr erwägen willst, so wirst du niemals irgend etwas tun. Es ist aber besser, daß man, immer mutig zu allem, die Hälfte des möglichen Unheils durchmacht, als daß man, immer alles vorher befürchtend, niemals etwas durchmacht. Und wenn du gegen alles, was man aufstellt, streitest, ohne selbst das Unfehlbare darzutun, so bist du darin ebensosehr dem Irrtum preisgegeben wie derjenige, der das Entgegengesetzte aufstellt. Das hält sich also die Waage. Daß aber ein Mensch jemals, wie es sein müßte, das Unfehlbare wisse, glaub' ich überhaupt nicht. Allein denen, die zum Handeln entschlossen sind, fällt doch meistens der Vorteil zu und nicht denen, die alles erwägen und sich immer bedenken. Du siehst, zu welcher Macht das Perserreich sich erhoben hat. Allein wenn alle die Könige vor mir gleicher Meinung gewesen wären wie du oder auch, ohne solcher Meinung zu sein, nur solche Ratgeber gehabt hätten, so würdest du es nicht dahin gediehen sehen. Nun wagten sie's aber auf alle Gefahren, und so haben sie's dahin gebracht. Denn Großes will durch große Gefahren gewonnen sein. Wir nun halten uns gleich ihnen, unternehmen unsern Zug in der schönsten Jahreszeit und werden nach Unterwerfung von ganz Europa zurückkommen, ohne irgendwo in Hungersnot zu geraten, noch sonst ein Leid zu erfahren. Denn erstens führen wir selbst viel Lebensmittel bei uns; sodann wird überall, wenn wir in ein Land und Volk eindringen, seine Nahrung unser sein. Sind es doch Feldbauer und keine Weidevölker, gegen die wir ausziehen.«

51. Nach diesem sagte Artabanos: »König, da du einmal keine Besorgnis gestattest, so nimm wenigstens meinen Rat an, wie es denn notwendig ist, über weitschichtige Angelegenheiten des weiteren zu sprechen. Kyros, der Sohn des Kambyses, hat ganz Ionien, die Athener ausgenommen, den Persern unterworfen und zinspflichtig gemacht. Dies Volk nun rat' ich dir um alles nicht gegen seine Väter zu führen: da wir ja ohne sie stark genug sind, die Oberhand über den Feind zu gewinnen. Denn gehen sie mit, so müssen sie entweder ganz schlechte Männer sein, die ihre Mutterstadt verknechten, oder ganz wackere Männer, die sie mitbefreien. Sind sie nun ganz schlechte, so haben wir an ihnen keinen großen Gewinn; sind sie aber wackre Männer, so sind sie imstande, deinem Heere großen Schaden zu tun. Nun nimm auch das alte Wort zu Gemüt, wie man mit Recht sagt: Nicht gleich zu Anfang zeigt sich das Ganze.«

52. Hierauf antwortete Xerxes: »Artabanos, unter allen Meinungen, die du dargelegt hast, irrst du gerade in dieser am meisten, wenn du von den Ioniern einen Abfall befürchtest. Von ihnen haben wir die Hauptprobe, die sowohl du ihnen bezeugen mußt als alle, die mit Dareios gegen die Szythen zogen: daß nämlich das ganze Perserheer in ihrer Hand war, ob sie's verderben oder erhalten wollten, und sie haben Ehrlichkeit und Treue bewiesen und nichts Böses getan. Überdies haben sie Weiber und Kinder und Habe in unserem Reiche zurückgelassen und können gar nicht daran denken, sich zu empören. So fürchte denn auch dieses nicht, sondern hab' überhaupt guten Mut und erhalte mir Haus und Thron; denn dir allein unter allen geb' ich mein Zepter in Verwahrung.«

53. Nachdem er dies gesprochen und den Artabanos nach Susa entsandt hatte, ließ Xerxes zum zweitenmal die angesehensten Perser zu sich kommen. Sobald sie zur Stelle waren, sagte er zu ihnen: »Ihr Perser, mein Begehren, weshalb ich euch versammelt habe, ist, daß ihr euch als wackere Männer halten und nicht die vormaligen Taten der Perser zuschanden machen sollt, die so groß und edel sind. Laßt uns denn männiglich und sämtlich guten Eifer haben; denn das gehört allen, und danach müssen alle streben. Mein Grund aber, aus dem ich euch anbefehle, den Krieg mit aller Macht zu führen, ist der, daß unser Zug, wie ich vernehme, gegen wackere Männer geht, nach deren Überwindung sich uns kein Heer mehr in der Welt entgegenstellen wird. Und nun laßt uns hinübergehen, nach Anrufung der Götter, die das Perserland zum Eigentum haben.«

54. Denselben Tag nun rüsteten sie sich zum Übergang; am folgenden aber erwarteten sie die Sonne, um sie aufgehen zu sehen, und verbrannten indes auf den Brücken allerlei Räucherwerk und bestreuten den Weg mit Myrtenzweigen. Wie aber die Sonne heraufstieg, spendete Xerxes aus einer goldenen Schale ins Meer und betete zum Sonnengott, daß nichts ihm begegnen möge, was ihn hemmen könne in der Unterwerfung Europas, ehe er an seine letzten Grenzen gelangt sei. Nach diesem Gebet warf Xerxes die Schale in den Hellespont, dazu einen goldenen Mischkrug und ein persisches Schwert, das sie Akinakes nennen. Ich kann aber nicht mit Bestimmtheit entscheiden, ob er dies als Weihgeschenk für den Sonnengott ins Meer versenkt, oder ob er seine Geißelung des Hellesponts bereut und zur Sühne dafür das Meer beschenkt hat.

54. Die Perser begannen als Verehrer des Sonnengottes Mithra alle wichtigen Unternehmungen bei Sonnenaufgang.

 

55. Als er dies getan hatte, gingen sie hinüber, nämlich auf der einen Brücke nach der Seite des Pontos hin das ganze Fußvolk samt der Reiterei, auf der andern nach der Seite des Ägäischen Meers hin das Lastvieh und der Troß. Voran gingen zuerst die zehntausend Perser, sämtlich bekränzt, und nach diesen das gemischte Heer aus allerlei Völkern. Am selben Tag also diese. Am folgenden aber zuerst die Reiter und die mit den gesenkten Lanzen; die waren auch bekränzt. Dann folgten die heiligen Pferde und der heilige Wagen und nach ihnen Xerxes selbst mit den Lanzenträgern und den tausend Reitern, dann das übrige Heer. Zugleich liefen auch die Schiffe nach der gegenüberliegenden Küste aus. Übrigens habe ich auch gehört, der König sei zuallerletzt hinübergegangen.

56. Als Xerxes aber hinüberkam nach Europa, schaute er sein Heer an, wie es unter Geißelhieben herüberzog. Und sein Heer zog herüber in sieben Tagen und in sieben Nächten ununterbrochen nacheinander. Da war es, wie man sagt, daß ein hellespontischer Mann, als Xerxes bereits über den Hellespont gegangen war, ausrief: »O Zeus, warum willst du in der Gestalt eines Persers und unter dem Namen Xerxes anstatt Zeus Hellas ausrotten und führst dazu alle Welt mit dir? Konntest du doch auch ohnedies solches tun!«

57. Wie aber alle drüben waren und sich in Marsch setzten, erschien ihnen ein großes Zeichen, auf das Xerxes gar kein Gewicht legte, obwohl es leicht zu deuten war. Ein Pferd nämlich warf einen Hasen. Leicht war nun daraus die Deutung zu ziehen, daß Xerxes gegen Hellas in Prunk und Pracht zu Felde ziehen sollte, heimwärts aber auf denselben Fleck zurückkommen sollte in Flucht um sein eigenes Leben. Auch noch ein anderes Zeichen ward ihm, da er noch in Sardes war. Ein Maulesel nämlich gebar einen Maulesel mit doppelten Schamteilen, einem männlichen und einem weiblichen, und das männliche war oben.

58. Er fragte nichts nach beiden Vorzeichen und zog vorwärts, mit ihm sein Landheer. Das Schiffsheer aber fuhr aus dem Hellespont längs dem Lande hin, in entgegengesetzter Richtung wie das Landheer. Es schiffte nämlich gen Abend nach der sarpedonischen Landspitze hin, an der es warten sollte; das Landheer aber nahm seinen Weg gen Morgen und Sonnenaufgang, den Chersones hinauf, wo sie zur Rechten das Grabmal der Helle, der Tochter des Athamas, zur Linken die Stadt Kardia hatten. Dann zog es mitten durch die Stadt mit Namen Agora, bog von da um den sogenannten Melasbusen herum und ging über den Melasfluß, dessen Wasser damals für das Heer nicht zureichen konnte, sondern ausging, – es überschritt also diesen Fluß, von dem auch der Busen dort seine Benennung hat, und marschierte gegen Abend an der äolischen Stadt Ainos und dem Stentorsee vorbei, bis es nach Doriskos kam.

58. Das Grabmal der Helle: Der Minyerkönig Athamas zeugt mit der Göttin Nephele (Wolke) zwei Kinder, Phrixos und Helle. Er heiratet Ino, die ihn überredet, den Phrixos am Altare zu opfern. Darauf entführt Nephele ihre Kinder auf einem Widder mit goldenem Vlies durch die Lüfte. Helle stürzt ins Meer und ertrinkt: nach ihr heißt der Hellespont. Phrixos gelangt zum König Aietes in Aia, opfert dort den Widder dem Zeus und hängt das goldene Vlies im Haine des Ares auf. Von dort holt es Jason mit den Argonauten. – Agora heißt Markt, Melas schwarz.

 

59. Doriskos aber ist in Thrazien eine Flachküste und große Ebene, durch die ein großer Strom, der Hebros, fließt. Dort hatte Dareios, als er gegen die Szythen zog, eine königliche Feste erbaut, die eben Doriskos heißt, und eine persische Besatzung hineingelegt. Diese Ebene dünkte nun dem Xerxes geeignet, sein Heer aufzustellen und zu zählen, und er tat es. Die sämtlichen Schiffe nämlich, die bei Doriskos angelangt waren, brachten die Flottenführer nach Xerxes' Befehl auf den Strand zunächst bei Doriskos, wo die samothrakische Stadt Sale und Zone und am äußersten Rande Serreion, eine namhafte Landspitze, liegen. Dieser Landstrich gehörte vor alters den Kikonen. Auf diesem Strande nun landeten sie und legten da die Schiffe aufs trockene. In Doriskos selbst aber stellte Xerxes zur selben Zeit die Zählung des Heeres an.

60. Wieviel nun im einzelnen jedes Volk ausmachte an der Zahl, davon kann ich nichts Bestimmtes sagen; denn man hört es nirgendswo; aber des gesamten Landheeres Anzahl ergab sich als hundertundsiebzigmal zehntausend. Und das ward auf folgende Art gezählt. Sie brachten zehntausend Mann auf einen Fleck, drängten sie da so viel wie möglich zusammen und zeichneten dann einen Kreis um sie her: alsdann ließen sie die zehntausend heraus und zogen längs diesem Kreis eine Umfriedigung, die so hoch war, daß sie bis zum Nabel eines Mannes reichte, und als diese gemacht war, trieben sie andere in den Umbau hinein, bis sie alle auf diese Art abgezählt hatten. Nach der Zählung ordneten sie Volk für Volk.

61. Es waren aber folgende Kriegsvölker: Die Perser waren so ausgerüstet, daß sie auf dem Kopf sogenannte Tiaren, ungesteifte Hüte, trugen, auf dem Leib bunte Ärmelröcke, anzusehen wie eine Schuppenhaut von Stahl, der Fischhaut ähnlich, an den Beinen Hosen; anstatt der Schilde hatten sie Geflechte, unter denen die Köcher hingen, kurze Spieße, große Bogen und Pfeile von Rohr, dazu Dolche, auf der rechten Hüfte am Gürtel angehängt. Zum Obersten hatten sie den Otanes, den Vater der Amestris, der Frau des Xerxes. Genannt wurden sie vor alters von den Hellenen Kephener, von ihnen selbst aber und ihren Nachbarn Artaier. Da aber Perseus, der Sohn der Danaë und des Zeus, zu Kepheus kam, dem Sohne des Belos, und seine Tochter Andromeda nahm, ward ihm ein Sohn geboren, der bekam den Namen Perses. Diesen ließ er dort zurück, weil Kepheus ohne Nachkommen männlichen Geschlechts war, und von ihm bekamen sie ihren Namen.

61. Aus der persischen Tiara, die auch der Oberpriester des Mitra in Rom trug, ist die päpstliche hervorgegangen. – Anzusehen wie eine Schuppenhaut von Stahl: Kein eiserner Panzer, sondern ein mit grauen Schuppen bemalter Leibrock. – Artaier heißt Geehrte. Das Wort steckt in den Namen Artaphernes und Artaxerxes.

 

62. Die Meder zogen mit im Heere und waren ebenso angetan; denn diese Rüstung ist eigentlich medisch und nicht persisch. Zum Obersten hatten sie den Tigranes, einen Achämeniden. Genannt wurden sie vor alters von aller Welt Arier. Da aber Medea, die Kolcherin, aus Athen zu diesen Ariern kam, veränderten auch sie ihren Namen. Das sagen die Meder selbst von sich. Die Kissier, die mit im Heere zogen, waren sonst wie die Perser gerüstet, nur daß sie statt der Hüte Kopfbünde trugen. Der Kissier Oberster war Anaphes, der Sohn des Otanes. Die Hyrkanier waren wie die Perser bewaffnet und hatten zum Anführer den Megapanos, den nachmaligen Statthalter von Babylon.

62. Arier heißt Treffliche und bezeichnet ursprünglich das Stammvolk, aus dem die Perser und die Inder hervorgingen. Die Sprach- und Rassenforschung hat dann den Namen auf alle Indogermanen im Gegensatze zu den Semiten ausgedehnt. Daß die Meder nach Medea, die Perser nach Perseus benannt seien, erzählten die in Persien lebenden Griechen, und von ihnen können einzelne Meder und Perser solche Sagen übernommen haben. Eduard Meyer sagt in seinen »Forschungen zur alten Geschichte« (Band II. Halle 1899. S. 240): »Die Mittelsleute, denen Herodot seine Kunde verdankt, sind die Diglossoi (zweier Sprachen Kundigen), die ähnlich den ägyptischen Dolmetschern den Verkehr zwischen Griechen und Asiaten an den Satrapenhöfen und sonst vermittelten.« Diese Leute hatten für Sagen, die beide Völker in Beziehungen zueinander brachten, naturgemäß besonders viel Sinn, und Herodot dachte ebenso wie sie.

 

63. Die Assyrier, die mit im Heere zogen, hatten auf dem Kopf teils eherne Helme, teils lederne, die auf eine fremdartige Weise, die schwer zu beschreiben ist, geflochten waren; Schilde aber, Spieße und Dolche hatten sie auf die Art wie die Ägypter, dazu noch Keulen von Holz, mit Eisen beschlagen, und linnene Panzer. Diese wurden von den Hellenen Syrier genannt, von den Barbaren aber Assyrier. Unter ihnen waren die Chaldäer. Ihr Oberster war Otaspes, der Sohn des Artachaios.

64. Die Baktrier zogen mit im Heere mit einer Kopfbedeckung fast ganz wie die Meder, mit Bogen von Rohr nach ihrer Landesart und kurzen Spießen. Die Saker, ein Szythenvolk, trugen auf dem Kopfe Bundhüte, oben spitz zulaufend und grade aufgesteift; sie hatten Hosen an und führten Bogen nach ihrer Landesart und Dolche und dazu Doppelbeile, Sagaris genannt. Diese, die vom Stamme der Amyrgierszythen sind, nannten sie Saker; denn die Perser nennen alle Szythen Saker. Der Baktrier und Saker Oberster war Hystaspes, der Sohn des Dareios und der Atossa, der Tochter des Kyros.

65. Die Inder, in Kleidern, die von den Bäumen gemacht sind, führten Bogen von Rohr und Pfeile von Rohr, mit Eisen an der Spitze. So waren denn die Inder gerüstet; zugeordnet im Heereszug aber waren sie dem Pharnazathres, dem Sohne des Artabates.

66. Die Arier waren gerüstet mit medischen Bogen, sonst aber wie die Baktrier. Die Arier führte Sisamnes, der Sohn des Hydarnes. Die Parther, die Chorasmier, die Sogder und Gandarier und Dadiker zogen mit im Heere in derselben Rüstung wie die Baktrier. Ihre Obersten waren folgende: über die Parther und Chorasmier Artabazos, der Sohn des Pharnakes, über die Sogder Azanes, der Sohn des Artaios, über die Gandarer und Dadiker Artyphios, der Sohn des Artabanos.

67. Die Kaspier zogen mit im Heer, waren in Flausröcke gekleidet und führten Bogen von Rohr nach ihrer Landesart und Säbel. So waren also diese gerüstet und hatten zum Anführer den Ariomardos, den Bruder des Artyphios. Die Sarangen zeichneten sich aus in ihren gefärbten Gewändern und trugen Stiefeln, die bis zum Knie hinaufgehen, und Bogen und medische Spieße. Der Sarangen Oberster war Pherendates, der Sohn des Megabazos. Die Paktyer trugen Flausröcke und führten Bogen nach ihrer Landesart und Dolche. Zum Anführer hatten die Paktyer den Artyntes, den Sohn des Ithamitras.

68. Die Utier, die Myker und Parikanier waren gerüstet wie die Paktyer. Ihre Obersten waren folgende: über die Utier und Myker Arsamenes, der Sohn des Dareios, über die Parikanier Siromitras, der Sohn des Oiobazos.

69. Die Araber hatten Überkleider, die heraufgegürtet waren, und führten an der Rechten lange Bogen, die an den Enden gekrümmt waren. Die Äthiopier, in Panther- und Löwenfelle gekleidet, führten mächtige Bogen aus Palmzweigen, von nicht weniger als vier Ellen Länge und dabei kleine Pfeile von Rohr, an denen statt des Eisens ein geschärfter Stein war, mit dem sie auch ihre Siegelringe schneiden. Dazu hatten sie Spieße, an denen ein geschärftes Gazellenhorn war, als Lanzenspitze, und führten auch beschlagene Keulen. Ihren Leib überstrichen sie, wenn sie in die Schlacht gingen, zur Hälfte mit Gips, zur Hälfte mit Mennig. Über die Araber und diese oberhalb von Ägypten wohnenden Äthiopier war Oberster Arsames, der Sohn des Dareios und der Artystone, einer Tochter des Kyros, der Lieblingsfrau des Dareios, der ihr Bild aus getriebenem Golde machen ließ. Über die Äthiopier also, die oberhalb von Ägypten wohnen, und die Araber war Arsames gesetzt.

70. Die Äthiopier von Sonnenaufgang aber (denn es zogen beide Völker mit im Heere) waren den Indern zugeordnet und sind im Äußern von den andern in nichts verschieden als nur in Sprache und Haarwuchs. Die Äthiopier vom Aufgang haben nämlich schlichtes Haar, die aus Libyen aber sind die kraushaarigsten Menschen auf der Welt. Also die Äthiopier aus Asien waren meist wie die Inder gewaffnet; aber auf dem Kopf hatten sie die Stirnhäute von Pferden, die abgezogen waren mitsamt den Ohren und der Mähne; die Mähne diente statt eines Helmbusches, und die Ohren der Pferde hatten sie grade aufgesteift; als Schußwaffe aber führten sie statt des Schildes eine Kranichhaut.

71. Die Libyer gingen daher in lederner Rüstung, mit oben angebrannten Wurfspießen bewehrt. Zum Obersten hatten sie den Massages, den Sohn des Oarizos.

72. Die Paphlagonier zogen mit im Heere und hatten geflochtene Helme auf dem Kopf und kleine Schilde und nicht große Spieße, dazu Wurfspeere und Dolche und an den Füßen Stiefeln, die bis zur Mitte des Schienbeins reichten. Die Ligyer und die Matianer, die Mariandyner und Syrier zogen mit im Heere in derselben Rüstung wie die Paphlagonier. Diese Syrier werden aber von den Persern Kappadozier genannt. Über die Paphlagonier nun und Matianer war Oberster Dotos, der Sohn des Megasidros, über die Mariandyner, Ligyer und Syrier Gobryas, der Sohn des Dareios und der Artystone.

73. Die Phrygier hatten fast ganz die paphlagonische Rüstung mit geringer Abweichung. Die Phrygier wurden, wie die Mazedonier sagen, Briger genannt, solange sie, als europäisches Volk, neben den Mazedoniern wohnten; nach ihrem Übergang nach Asien aber änderten sie mit dem Lande auch ihren Namen in Phrygier. Die Armenier waren wie die Phrygier gewaffnet, da sie Abkömmlinge der Phrygier sind. Dieser beiden Oberster war Artochmes, der eine Tochter des Dareios zur Gattin hatte.

74. Die Lyder hatten fast ganz die hellenische Bewaffnung. Diese Lyder hießen vor alters Maionen und bekamen bei Veränderung dieses Namens ihre Benennung von Lydos, dem Sohne des Atys. Die Myser hatten Helme nach ihrer Landesart auf dem Kopf und kleine Schilde, und ihre Wurfspieße waren oben angebrannt. Sie sind Abkömmlinge der Lyder und heißen vom Olymposberg olympische. Der Lyder und Myser Oberster war Artaphernes, der Sohn des Artaphernes; er war mit Datis in Marathon eingefallen.

74. Olympos: Nicht der griechische, sondern der mysische Olymp, der beim Jagdunglück des Sohnes des Kroisos (Buch I, Kapitel 36 und 43) erwähnt wird.

 

75. Die Thrazier zogen mit im Heere mit Fuchsbälgen auf dem Kopf, Röcken am Leibe und bunten Überkleidern darüber, mit hirschledernen Stiefeln, die bis zum Schienbein reichten, dazu mit Wurfspießen und Tartschen und kleinen Dolchen. Diese sind nach ihrem Übergang nach Asien Bithynier genannt worden; vorher wurden sie aber, wie sie selbst sagen, Strymonier genannt, da sie am Strymon wohnten; aus diesen Sitzen wurden sie von den Teukrern und Mysern vertrieben. Über diese asiatischen Thrazier war Oberster Bassakes, der Sohn des Artabanos.

76. Die Chalyber führten kleine Schilde von Rindshaut und hatten jeder zwei Jagdspieße von lyzischer Arbeit, auf dem Kopf eherne Helme und an dem Helm eherne Ochsenohren und Hörner, obendrauf auch Büsche; das Schienbein hatten sie mit roten Lappen umwickelt. Bei diesem Volk ist ein Orakel des Ares.

76. Die Chalyber: Der Name fehlt in den Handschriften. Er ist eingesetzt, weil die Chalyber ein Orakel des Ares, wie das in diesem Kapitel erwähnte, hatten.

 

77. Die Kabalier von maionischem Stamme, die da Lasonier heißen, hatten dieselbe Rüstung wie die Zilizier; ich will sie angeben, wenn ich in meiner Beschreibung an die Stelle der Zilizier komme. Die Milyer hatten kurze Spieße und die Gewänder oben mit Spangen festgesteckt; manche von ihnen hatten auch lyzische Bogen und auf dem Kopf Hauben von Fellen. Über alle diese war Oberster Badres, der Sohn des Hystanes.

78. Die Moscher hatten hölzerne Hauben auf dem Kopf und führten kleine Schilde und Spieße, deren Spitzen aber groß waren. Die Tibarener, die Makronen und die Mosynoiken zogen mit im Heer in der gleichen Rüstung wie die Moscher. Diese waren unter folgende Obersten geordnet: die Moscher und Tibarener unter Ariomardos, den Sohn des Dareios und der Parmys, der Tochter des Smerdis, des Sohnes des Kyros; die Makronen und die Mosynoiken unter Artayktes, den Sohn des Cherasmis; er verwaltete Sestos am Hellespont.

79. Die Maren hatten geflochtene Helme nach ihrer Landesart auf dem Kopf und kleine lederne Schilde und Wurfspieße. Dann die Kolcher hatten hölzerne Helme auf dem Kopfe und kleine Schilde von Rindshaut und kurze Spieße, dazu auch Schwerter. Und der Maren und Kolcher Oberster war Pharandates, der Sohn des Teaspis. Die Alarodier und die Saspeiren zogen in Waffen wie die Kolcher mit im Heere. Ihr Oberster war Masistios, der Sohn des Siromitras.

80. Die Inselvölker, die aus dem Roten Meer mitzogen, von den Inseln, auf die der König die sogenannten Landesverwiesenen versetzt, hatten beinahe ganz medische Kleidung und Waffen. Über dieses Inselvolk war Oberster Mardontes, der Sohn des Bagaios. Er fiel als Feldherr bei Mykale im andern Jahr nach diesen Ereignissen.

80. Die sogenannten Landesverwiesenen: Politische Verbannte. Die Strafe galt als mild; die Betroffenen konnten an den Hof zurückgerufen werden.

 

81. Das waren die Völker des Landheers, die das Fußvolk ausmachten. Über dieses Heer also waren Oberste die Genannten, von denen auch seine Aufstellung und Zählung geleitet und die Hauptleute über tausend und über zehntausend ernannt wurden, die über hundert und über zehn aber von den Hauptleuten über zehntausend. Es gab aber auch noch Feldherrn der Heeresgruppen und Völkerschaften. Also Oberste waren die Genannten.

82. Feldherrn aber über sie und das gesamte Fußvolk waren Mardonios, der Sohn des Gobryas, und Tritantaichmes, der Sohn des Artabanos, der da abgeraten hatte vom Zuge gegen Hellas, und Smerdomenes, der Sohn des Otanes (beide Brudersöhne des Dareios und Vettern des Xerxes), und Masistes, der Sohn des Dareios und der Atossa, und Gergis, der Sohn des Arizos, und Megabyzos, der Sohn des Zopyros.

83. Das waren die Feldherren über das gesamte Fußvolk, die zehntausend ausgenommen. Über diese zehntausend auserlesenen Perser aber war Feldherr Hydarnes, der Sohn des Hydarnes. Diese Perser wurden aber Unsterbliche genannt aus folgendem Grunde: Wenn einer von ihnen abgängig ward, weil er starb oder krank wurde, so war schon ein anderer erwählt, und so waren ihrer niemals weder mehr noch minder als zehntausend. Die meiste Pracht im ganzen Heere zeigten die Perser, die auch die Tapfersten waren. Ihre Rüstung ist bereits geschildert worden, außerdem aber prangten sie noch in Gold die Hülle und die Fülle. Auch führten sie Reisewagen mit und darin ihre Kebsweiber, samt zahlreicher, schön gekleideter Dienerschaft. Ihnen wurden, abgesondert vom übrigen Kriegsvolk, Lebensmittel durch Kamele und Lastvieh nachgeführt.

84. Auch Reiterei haben diese Völker; nur stellten nicht alle Reiter, sondern bloß folgende: Einmal die Perser in gleicher Rüstung wie ihr Fußvolk; nur hatten auf dem Kopf manche von ihnen getriebenes Erz- und Eisengerät.

84. Eisengerät: Helme statt der Tiaren.

 

85. Dann gibt es ein Wandervolk, Sagartier genannt, von Stamm persisch und auch der Sprache nach, in ihrer Tracht halb persisch und halb paktyisch; die stellten achttausend Reiter, haben aber keine Waffen von Erz oder Eisen im Brauch außer Dolchen. Aber sie haben Fangstricke, aus Riemen geflochten, und das ist die Waffe, auf die sie sich im Kriege verlassen. Die Kampfesweise dieses Volkes ist folgende: Sobald sie mit den Feinden handgemein werden, werfen sie die Stricke aus, die am oberen Ende eine Schlinge haben. Und was einer erwischt, Pferd oder Mensch, zieht er an sich; da sie denn, in die Schnüre verstrickt, umkommen. Das ist ihre Kampfesweise, und geordnet waren sie zu den Persern.

85. Die Sagartier kämpften also mit dem Lasso, der bei den südamerikanischen Indianern erst durch die Spanier eingeführt wurde.

 

86. Die Meder ritten in der Rüstung, die sie auch im Fußvolk hatten, und die Kissier ebenso. Die Inder waren mit derselben Rüstung gewaffnet wie im Fußvolk und tummelten Reitpferde und Wagen; an ihre Wagen waren Rosse gespannt und Waldesel. Die Baktrier waren ebenso gerüstet wie im Fußvolk, die Kaspier gleichfalls. Dann die Libyer auch so wie im Fußvolk, und diese tummelten alle auch ihre Streitwagen. Ferner waren die Kaspier und Parikanier ebenso gewaffnet wie im Fußvolk. Auch die Araber hatten die nämliche Rüstung wie im Fußvolk und tummelten alle ihre Kamele, die an Schnelligkeit den Pferden nichts nachgeben.

87. Diese Völker allein bildeten die Reiterei. Die Zahl der Reiter betrug achtmal zehntausend, außer den Kamelen und den Streitwagen. Alle Reiter nun waren nach Heeresgruppen geordnet; die Araber aber kamen ganz zuletzt. Weil die Pferde nämlich die Kamele nicht ausstehen können, bekamen diese ihren Platz hinter ihnen, damit die Rosse nicht scheu würden.

88. Oberbefehlshaber der Reiterei waren Armamithras und Tithaios, die Söhne des Datis. Aber der dritte Oberbefehlshaber der Reiterei, Pharnuches, war krank in Sardes zurückgeblieben. Beim Auszug aus Sardes hatte er nämlich einen leidigen Unfall. Dem Pferde, das er ritt, lief ein Hund unter die Füße, und das Pferd, dem das ganz unvermutet kam, scheute, bäumte sich und warf den Pharnuches ab. Seit dem Sturze spie er Blut, und die Krankheit ging in Schwindsucht über. Dem Pferd aber taten seine Sklaven auf der Stelle, wie er befahl, indem sie's an den Platz führten, auf dem es den Herrn abgeworfen hatte, und ihm die Beine an den Knien abhieben. So schied Pharnuches als Feldherr aus.

89. Die Zahl der Dreiruderer aber betrug eintausendzweihundertundsieben, und es stellten sie folgende: die Phönizier samt den palästinischen Syriern dreihundert. Sie waren ausgerüstet, wie folgt. Auf dem Kopf hatten sie Helme, fast ganz nach hellenischer Art gemacht, waren angetan mit linnenen Panzern und führten Schilde ohne Randleisten und Wurfspieße. Diese Phönizier wohnten vor alters, wie sie selbst sagen, am Roten Meer; von da kamen sie herüber und wohnen nun an der Küste Syriens. Dieser Strich von Syrien, samt dem ganzen Stück bis Ägypten, heißt Palästina. Die Ägypter stellten zweihundert Schiffe. Sie hatten geflochtene Helme auf dem Kopf, hohle Schilde mit großen Randleisten, Lanzen zum Seekampf und große Streitäxte. Die meisten trugen Panzer und führten große Schwerter. Also waren diese bewaffnet.

90. Die Zyprier stellten hundertundfünfzig Schiffe. Sie waren gerüstet, wie folgt. Ihre Könige hatten Bünde um den Kopf geschlungen; sonst trugen alle Leibröcke, das übrige wie die Hellenen. Sie bestehen aus folgenden Stämmen. Die einen sind aus Salamis und Athen, andere aus Arkadien, andere aus Kythnos, andere aus Phönizien, andere aus Äthiopien, wie die Zyprier selbst sagen.

90. Von der zu Athens Gebiet gehörigen Insel Salamis aus sollte Teukros, der Bruder des Aias, nach Zypern gegangen sein und dort die Stadt Salamis gegründet haben. Zypern wurde von Phöniziern besiedelt, die das nach der Insel benannte Kupfer (Cyprium) dorthin gelockt hatte, wie sie das Gold aus Thasos, das Silber aus Spanien und das Zinn von den Inseln westlich der Bretagne holten (Anm. zu Buch III, Kapitel 115).

 

91. Die Zilizier stellten hundert Schiffe. Sie hatten wiederum Helme nach ihrer Landesart auf dem Kopf, führten an Schildes Statt Tartschen aus Rindshaut und waren angetan mit wollenen Leibröcken; auch hatte jeder zwei Wurfspieße und ein Schwert, fast ganz wie die ägyptischen Schwerter. Diese hießen vor alters Hypachaier, bekamen aber ihre Benennung von Kilix, dem Sohne Agenors, einem Phönizier. Die Pamphylier stellten dreißig Schiffe und waren gerüstet mit hellenischen Waffen. Diese Pamphylier sind Abkommen der von Troja aus mit Amphilochos und Kalchas versprengten Scharen.

92. Die Lyzier stellten fünfzig Schiffe. Sie trugen Panzer und Beinschienen, führten Bogen von Kornelkirschholz und unbefiederte Pfeile von Rohr und Wurfspieße. Ferner hatten sie Ziegenfelle um die Schultern hängen und auf dem Kopf Hüte, die mit Federn umkränzt waren. Auch führten sie Dolche und Sicheln. Die Lyzier hießen aber Termilen, stammten aus Kreta und bekamen ihre Benennung von Lykos, dem Sohne Pandions, einem Athener.

93. Die asiatischen Dorier stellten dreißig Schiffe und führten hellenische Waffen; sie stammen aus dem Peloponnes. Die Karer stellten siebzig Schiffe und waren, abgesehen davon, daß sie auch Sicheln und Dolche hatten, ganz nach hellenischer Art gerüstet. Wie dieselben früherhin hießen, habe ich schon in meinen ersten Geschichten gesagt.

93. In meinen ersten Geschichten: Buch I, Kapitel 171.

 

94. Die Ionier stellten hundert Schiffe und waren hellenisch gerüstet. Diese Ionier wurden, solange sie im Peloponnes das jetzt sogenannte Achaia bewohnten, und ehe Danaos und Xuthos in den Peloponnes kamen, wie die Hellenen sagen, aigialeïsche Pelasger genannt: dann nach Ion, dem Sohne des Xuthos, Ionier.

95. Das Volk von den Inseln stellte siebzehn Schiffe und war hellenisch bewaffnet. Auch dieses ist pelasgischer Abstammung und ward nachmals ein ionisches Volk genannt, ebenso wie die Ionier der Zwölfstädte, die aus Athen stammen. Die Äolier stellten sechzig Schiffe und waren hellenisch gerüstet, wie sie denn auch vor alters Pelasger hießen, laut Sage der Hellenen. Die Hellespontier – ausgenommen die Abydener; denn die Abydener mußten auf Befehl des Königs zu Hause bleiben und die Brücken hüten – die andern also, die aus dem Pontos mitzogen, stellten hundert Schiffe und waren hellenisch gerüstet. Sie sind Abkömmlinge der Ionier und Dorier.

95. Über die von Athen aus gegründeten Zwölfstädte spricht Herodot im ersten Buche (Kapitel 145 bis 147).

 

96. Als Seesoldaten waren auf allen Schiffen Perser, Meder und Saker. Die besten Segler unter den Schiffen aber stellten die Phönizier, und unter den Phöniziern die Sidonier. Alle diese Völkerschaften und auch die ins Landheer eingeordneten hatten Anführer aus ihrem Volke. Ich nenne sie aber nicht, da mich der Zusammenhang der Geschichte nicht nötigt, darauf einzugehen. Denn nicht bei jedem Volke waren die Anführer beachtlich, und soviel Städte von jedem Volke vertreten waren, so viele Anführer gab es. Sie zogen aber mit, nicht wie Feldherren, sondern gleichwie die andern Knechte im Heere. Die Oberfeldherren und die Obersten von jeglichem Volke, die Perser waren, hab' ich ja schon genannt.

97. Befehlshaber der Seemacht waren aber folgende: Ariabignes, der Sohn des Dareios, Prexaspes, der Sohn des Aspathines, Megabazos, der Sohn des Megabates, und Achämenes, der Sohn des Dareios. Nämlich über das ionische und karische Kriegsvolk Ariabignes, der Sohn des Dareios und der Tochter des Gobryas; über die Ägypter Achämenes, ein Bruder des Xerxes väterlicher- und mütterlicherseits, und über das übrige Volk die andern beiden. Die Dreißigruderer aber und Fünfzigruderer, die Schaluppen und langen Pferdefahrzeuge zählten zusammen dreitausend.

98. Von der Schiffsmannschaft waren nach den Feldherrn folgende die Angesehensten: Der Sidonier Tetramnestos, der Sohn des Anysos, der Tyrier Mapen, der Sohn des Siromos, der Aradier Merbalos, der Sohn des Agbalos, der Zilizier Syennesis, der Sohn Oromedons, der Lyzier Kyberniskos, der Sohn des Sikas, die Zyprier Gorgos, der Sohn des Chersis, und Timonax, der Sohn des Timagoras; von den Karern Histiaios, der Sohn des Tymnes, und Pigres, der Sohn des Seldomos, und Damasithymos, der Sohn des Kandaules.

98. Siromos ist der aus der Bibel bekannte Tyriername Hiram. – Syennesis ist Herrschertitel, nicht Eigenname (Anm. zu Buch I, Kapitel 74).

 

99. Die übrigen Anführer nenne ich nicht, da ich's nicht nötig habe, nur die Artemisia, die mir vor allen Bewunderung abzwingt, wie sie, ein Weib, mit gegen Hellas zog. Sie behauptete nach dem Tode ihres Mannes die Machthaberschaft und zog, obwohl sie schon einen Sohn im Jünglingsalter hatte, aus Entschlossenheit und Mannhaftigkeit in den Krieg, ohne irgendwie dazu genötigt zu sein. Ihr Name also war Artemisia, und sie war eine Tochter des Lygdamis und stammte aus Halikarnassos von väterlicher Seite, von mütterlicher aus Kreta. Sie war Anführerin von den Halikarnassiern und Koern, Nisyriern und Kalydniern und stellte fünf Schiffe. Ihre Schiffe waren, nach den sidonischen versteht sich, die herrlichsten im ganzen Heere, und unter allen Bundesgenossen gab sie dem König die besten Ratschläge. In den angeführten Städten aber, deren Schiffe sie befehligte, ist, wie ich erkläre, lauter Volk von dorischem Stamm, die Halikarnassier nämlich aus Troizen und die andern aus Epidauros. So viel also vom Schiffsheer!

99. Auf Artemisia war Herodot als ihr Landsmann stolz. – Die Insel Kalydna lag in der Nähe von Tenedos und war von Kos aus besiedelt worden.

 

100. Nachdem das Heer gezählt und in Ordnung aufgestellt war, hatte Xerxes Lust, hindurchzufahren und alle anzuschauen. Darauf tat er dies, fuhr auf einem Wagen hindurch von einem Volk zum andern und ließ sich Angaben machen, welche die Schreiber aufzeichneten, bis er denn von einem Ende zum andern kam bei der Reiterei und beim Fußvolk. Als er dies getan hatte, waren auch schon die Schiffe ins Meer gezogen, und nun stieg Xerxes aus dem Wagen hinüber in ein sidonisches Schiff, in dem er sich unter ein goldenes Zelt setzte, und fuhr längs den Schnäbeln der Schiffe hin, fragte alle genau so wie beim Landheer und ließ es aufschreiben. Die Flottenführer ließen aber die Schiffe bis auf vier Plethren vom Ufer weg sich vor Anker legen, sämtlich mit den Schnäbeln gegen das Land in Stirnreihe, und die Mannschaft mußte wie zur Schlacht in Waffen stehen. So beschaute er sie denn, indem er zwischen den Schnäbeln und dem Ufer hinfuhr.

101. Wie er aber auch bei diesen hindurchgefahren war und aus dem Schiffe stieg, ließ er den Demaratos, den Sohn Aristons, holen, der mit ihm gegen Hellas zog. Den berief und fragte er, wie folgt: »Demaratos, es beliebt mir jetzt, dich etwas zu fragen nach meinem Sinne. Du bist ein Hellene, und zwar, wie ich von dir und den Hellenen allen, die zu einer Unterredung mit mir kommen, vernehme, nicht aus der geringsten oder schwächsten Stadt. So sage mir nun an, ob es die Hellenen aushalten können, ihre Hand gegen mich zu erheben. Denn nach meinem Dafürhalten dürften selbst alle Hellenen, mitsamt den übrigen Völkern, die gen Abend wohnen, zusammenkommen: sie sind mir doch nicht gewachsen, so daß sie meinen Angriff aushalten könnten, solange sie ohne einigendes Band sind. Indessen will ich gern auch deine Meinung, wie du über sie denkst, vernehmen.« Das fragte er. Darauf nahm jener das Wort: »König, soll ich dir die Wahrheit sagen oder dir nach dem Munde reden?« Darauf hieß er ihn die Wahrheit sagen und versicherte ihm, er werde ihm darum nicht weniger angenehm sein als zuvor.

101. Ohne einigendes Band: Ohne einen Monarchen und die entsprechende Heeresorganisation.

 

102. Daraufhin sagte nun Demaratos folgendes: »König, weil du mich in allem die reine Wahrheit reden heißest, und zwar so, daß man nicht hinterher als Lügner vor dir stehen müsse: sieh, Hellas hat von je die Armut als seine Milchschwester bei sich; die Tugend aber hat es sich dazugeholt und erst gewonnen durch Weisheit und strenges Gesetz. An sie hält sich Hellas und wehrt so die Armut von sich ab und die Gewaltherrschaft. Nun lob' ich zwar alle Hellenen, die dort in den dorischen Landschaften wohnen; doch geht das, was ich nunmehr sagen will, nicht auf alle, sondern auf die Lazedämonier allein: nämlich erstens, daß sie auf keinen Fall dir Gehör geben werden in deinen Absichten auf die Unterjochung von Hellas, und zweitens, daß sie dir entgegentreten werden zur Schlacht, wenn auch die andern Hellenen alle sich für dich erklären sollten. Was aber die Zahl anbelangt, so frage nicht, wieviel ihrer sind, daß sie solches zu tun vermögen. Denn seien ihrer tausend hinausgezogen: sie werden sich mit dir schlagen; so auch, seien es weniger oder seien's mehr.«

103. Wie er das hörte, rief Xerxes mit Lachen: »Demaratos, was läßt du da verlauten! Tausend Mann sollten mit einem so großen Heere sich schlagen! Ei, so sag' mir einmal: du selbst nennst dich einen König dieser Männer: willst du nun wohl gleich mit zehn Mann dich schlagen? Und doch, wenn bei euch die ganze Bürgerschaft so ist, wie du erklärst, ziemt es dir, als ihrem König, gegen doppelt so viele zu stehen nach euern Bräuchen. Denn wenn jeder von ihnen zehn Männern aus meinem Heere gewachsen ist, so verlange ich von dir, daß du es mit zwanzig aufnimmst: dann erst erwiese sich deine Rede als wahr. Wenn ihr aber ohne eine andere Beschaffenheit und Größe als die deine und die der andern Hellenen, die bei mir vorsprechen, euch so viel vermeßt: so sieh zu, daß deine Rede nicht eitel Prahlerei sei. Denn laß einmal sehen, nur wie's recht ist. Wie können doch tausend oder auch zehntausend oder auch fünfzigtausend, da sie alle gleichfrei sind und nicht von einem Herrn befehligt, einem so großen Heere widerstehen? Während doch auf jeden einzelnen mehr als tausend kommen, wenn sie fünftausend sind? Ja, wären sie nach unserer Weise von einem Herrn befehligt, so würden sie aus Furcht vor ihm selbst ihrer Natur zum Trotz sich besser halten und gingen, von der Geißel gezwungen, in Minderzahl gegen die Mehrzahl: aber freigegeben tun sie gewiß nichts von dem. Indessen halte ich dafür, auch bei gleicher Menge möchten die Hellenen wohl schwer mit den Persern allein sich schlagen. Vielmehr findet sich das, was du sagst, bei uns, obwohl nicht häufig, sondern selten. Bei den Persern nämlich, bei meinen Lanzenträgern, gibt es solche, die bereit sind, sich mit drei hellenischen Männern auf einmal zu schlagen, und da du die nicht kennst, faselst du drauflos.«

104. Hierauf erwiderte Demaratos: »König, ich war von Anfang an überzeugt, daß meine Rede dir nicht gefallen werde, wenn ich die Wahrheit sagte. Weil du aber durchaus die volle Wahrheit hören wolltest, sagte ich von den Spartiaten, wie es mit ihnen steht. Wie ich ebenjetzt an ihnen hänge, ist dir selbst am besten bekannt, da sie mich meiner angestammten Würde und meiner Ehrenrechte beraubt und mich zum heimatlosen Flüchtling gemacht haben, während dein Vater mich aufgenommen und mir Dach und Fach geschenkt hat. Nun ist doch nicht zu denken, ein vernünftiger Mann werde das Wohlwollen, das er genießt, verachten; er muß vielmehr ganz anhänglich sein. Übrigens vermesse ich mich nicht der Stärke, mit zehn Mann mich zu schlagen, noch auch mit zweien, und schlüge mich aus freien Stücken nicht einmal mit einem. Wenn's aber not wäre oder ein großer Preis darauf stände, möcht' ich am liebsten mit einem jener Männer mich schlagen, von denen jeder drei Hellenen gewachsen sein will. So sind auch die Lazedämonier, wenn sie Mann gegen Mann sich schlagen, nicht schlechter als irgendwelche andern Männer; wenn sie aber zusammenstehen, unter allen Männern die besten. Denn frei sind sie wohl, aber nicht in allen Dingen frei; denn sie haben einen Gebieter über sich, das Gesetz; das fürchten sie noch weit mehr als die deinigen dich. Was also dieses fordert, das tun sie; und es fordert immerdar, daß sie durchaus vor keiner Heeresmenge fliehen sollen aus der Schlacht, sondern ihren Platz behaupten und obsiegen oder sterben. Findest du aber, daß ich in solchen Reden fasle, so will ich fürderhin gern schweigen. Diesmal hab' ich notgedrungen geredet. Es gehe jedoch nach deinem Sinne, König!«

105. Das war seine Antwort; Xerxes aber hob nur ein Gelächter an und erzürnte sich gar nicht, sondern entließ ihn mild. Nach diesen Gesprächen nun, und nachdem er noch dort in Doriskos den Maskames, den Sohn des Megadostes, als Statthalter eingesetzt und den abgesetzt hatte, den Dareios aufgestellt hatte, zog Xerxes aus mit seinem Heere durch Thrazien gegen Hellas.

106. Der Maskames aber, den Xerxes zurückließ, war ein so tüchtiger Mann, daß Xerxes ihm allein Geschenke zuschickte, als dem preiswürdigsten von allen Statthaltern, die er selbst oder Dareios eingesetzt hatte, und zwar schickte er sie ihm alljährlich, wie auch noch Artaxerxes, der Sohn des Xerxes, den Nachkommen des Maskames. Es gab nämlich schon vor diesem Zuge überall in Thrazien und am Hellespont Statthalter. Die wurden nun alle, so in Thrazien wie am Hellespont, ausgenommen der in Doriskos, in der Zeit nach diesem Feldzuge von den Hellenen vertrieben; aber den Maskames in Doriskos konnten sie niemals vertreiben, obwohl es viele versuchten. Deshalb werden ihm die Geschenke zugeschickt von dem jedesmaligen König von Persien.

107. Von denen aber, die von den Hellenen vertrieben wurden, hielt Xerxes keinen für einen wackern Mann als nur den Boges in Eïon allein. Den lobte er unablässig und ehrte seine in Persien hinterbliebenen Söhne hoch. Boges verdiente aber auch großes Lob; denn als er von den Athenern und Kimon, dem Sohne des Miltiades, belagert wurde und es ihm freistand, mit Vertrag abzuziehen und nach Asien heimzukehren, lehnte er das ab, damit der König nicht glaube, er habe durch Feigheit sein Leben erhalten, und hielt vielmehr aus bis aufs äußerste. Wie aber gar keine Nahrung mehr in der Festung war, errichtete er einen großen Scheiterhaufen, schlachtete seine Kinder und sein Weib, seine Kebsweiber und Sklaven und warf sie dann ins Feuer. Dann schleuderte er alles Gold aus der Stadt und alles Silber über die Mauer in den Strymon, und nachdem er das getan hatte, stürzte er sich selbst ins Feuer. So wird denn dieser von den Persern mit Recht bis auf diesen Tag gelobt.

107. Kimon eroberte Eion am Strymon im Jahre 476 v. Chr.

 

108. Xerxes rückte von Doriskos weiter gegen Hellas und zwang jedes Volk auf seinem Wege, mit in den Krieg zu ziehen. Denn es war, wie ich schon früher berichtet habe, alles Land bis Thessalien verknechtet und dem Könige zinsbar gemacht, da es erst Megabazos unterworfen hatte und dann Mardonios. Auf diesem Zug von Doriskos aus kam er nun zuerst vorbei an den samothrakischen Festungen, von denen die äußerste gen Abend die Stadt mit Namen Mesambria ist. An diese grenzt eine Stadt der Thasier, Stryma, und mitten zwischen ihnen hindurch fließt der Lissos, der damals nicht Wasser genug für das Heer des Xerxes hatte, sondern ausging. Diese Gegend war vor alters Gallaïka genannt, jetzt aber Briantika, doch nach der richtigsten Angabe ist auch sie Kikonenland.

109. Dann ging er über das Bett des Lissos hinüber, das ausgetrocknet war, und kam vorbei an folgenden hellenischen Städten: Maroneia, Dikaia, Abdera. Bei diesen ging er dann vorüber und ebendaselbst bei folgenden ansehnlichen Seen: dem ismarischen zwischen Maroneia und Stryma und dem bistonischen bei Dikaia, in den sich zwei Flüsse ergießen, Trauos und Kompsatos. Bei Abdera kam Xerxes zwar an keinem ansehnlichen See vorbei, aber an einem Strom, dem Nestos, der ins Meer fließt. Von diesen Gegenden ab ging er an den Städten des Binnenlandes vorbei. Bei einer von ihnen befindet sich ein See von ziemlich dreißig Stadien im Umfang, fischreich und ganz salzig. Den soff das Vieh allein trocken. Der Name dieser Stadt aber ist Pistyros. Das waren denn die hellenischen Küstenstädte, die er linker Hand ließ und vorbeizog.

110. Die thrazischen Völkerschaften aber, durch deren Land er seinen Weg nahm, sind folgende: Paiter, Kikonen, Bistonen, Sapaier, Dersaier, Edonen, Satren. Von diesen zogen die, die am Meer wohnten, in den Schiffen mit; die Bewohner des Binnenlandes aber mußten alle, wie ich sie genannt habe, außer den Satren, im Landheere mitziehen.

111. Die Satren aber sind noch niemand untertan gewesen, soviel wir wissen; sondern sie allein unter den Thraziern haben sich bis auf meine Zeit immer noch ihre Freiheit bewahrt; denn sie bewohnen hohe Gebirge, mit allerlei Waldungen und Schnee überdeckt, und sind gewaltig im Kriege. Sie besitzen auch das Orakel des Dionysos. Dieses Orakel liegt auf den höchsten Bergen, und die Besser, ein Stamm der Satren, sind die Propheten des Heiligtums; die Sprüche selbst aber gibt die Weissagepriesterin, so wie in Delphi, und nichts ist künstlicher als dort.

111. Das Orakel des Dionysos: Der Kultus des Dionysos war aus Thrazien in Griechenland eingedrungen (s. Anm. zu Buch IV, Kapitel 79).

 

112. Als Xerxes die geschilderte Landschaft hinter sich hatte, kam er an den Festungen der Pierier vorbei, unter denen eine Phagres heißt und eine andere Pergamos. Dort nahm er dann seinen Weg grade an diesen Festungen vorüber, da er zu seiner linken Hand das Pangaiosgebirge hatte, das groß und hoch ist. In ihm sind Gold- und Silberbergwerke, welche die Pierier und Odomanter innehaben und vornehmlich die Satren.

113. Alsdann ging er bei den Paionen, die oberhalb des Pangaios gegen den Nordwind wohnen, den Doberern und Paioplen vorbei gegen Abend, bis er an den Fluß Strymon und die Stadt Eïon kam, deren damals noch lebenden Befehlshaber Boges ich soeben erwähnt habe. Dieses Land aber am Pangaiosgebirge heißt Phyllis und reicht gen Abend bis an den Fluß Angites, der in den Strymon mündet, gegen Mittag aber an den Strymon selbst, in den die Magier zum Opfer um günstige Zeichen weiße Pferde schlachteten.

114. Nach dieser Beschwörung des Flusses nebst vielen andern Verrichtungen dabei zogen sie bei dem edonischen Enneahodoi über die Brücken, da sie den Strymon überbrückt fanden. Wie sie aber vernahmen, daß dieser Ort »Neunwegen« heiße, begruben sie daselbst ebenso viele Knaben und Jungfrauen der Eingeborenen lebendig. Solches Lebendigbegraben ist persische Sitte; wie denn auch Amestris, hör' ich, die Frau des Xerxes, in ihrem Alter zweimal sieben Perserknaben, angesehener Männer Söhne, für sich zum Dankopfer dem Gott, der unter der Erde wohnen soll, begraben ließ.

114. Enneahodoi: Neunwegen. Die Athener legten dort später die wichtige Festung Amphipolis an. – Das Menschenopfer wurde dem Ahra-mainyu (Ahriman), dem Gott der Vernichtung, dargebracht, dem persischen Satan, der dem Lichtgott Ahura Masda gegenübersteht. An die neun Wege knüpfte sich offenbar ein ähnlicher Glaube wie im Mittelalter an die Kreuzwege. Auch Faust beschwört an einem Kreuzwege den Teufel.

 

115. Auf dem Wege, den das Heer vom Strymon weiter zog, ist gen Sonnenuntergang eine Flachküste; darauf liegt Argilos, eine hellenische Stadt, an der sie vorbeigingen. Diese Gegend aber und die darüber liegende heißt Bisaltia. Von da bekam es den Busen am Vorgebirge Posideion zu seiner linken Hand, ging durch die sogenannte Syleus-Ebene und kam an der hellenischen Stadt Stageiros vorbei nach Akanthos, wobei diese Städte alle, wie auch die Anwohner vom Pangaiosgebirge, mitziehen mußten, gleicherweise wie die schon Erwähnten, nämlich die am Meere Wohnenden mit dem Schiffsheer, die oberhalb dem Meere mit dem Landheer. Diesen Weg aber, den König Xerxes mit seinem Heere zog, graben die Thrazier nicht um, noch säen sie darauf, sondern halten ihn hoch in Ehren bis auf meine Zeit.

115. Stadt Stageiros: Der Geburtsort des Aristoteles.

 

116. Wie der Perser nun in Akanthos ankam, ernannte er die Akanthier zu seinen Gastfreunden und beschenkte sie mit einer medischen Kleidung, belobte sie auch, da er ihren guten Eifer zum Kriege sah und von dem Kanal hörte.

117. Während aber Xerxes zu Akanthos war, starb gerade an einer Krankheit der Aufseher jenes Durchstiches, Artachaies, ein von Xerxes geschätzter Mann und ein Achämenide von Geschlecht, dazu an Leibesmaß der größte unter den Persern, da er fünf königliche Ellen weniger vier Finger maß, dazu die stärkste Stimme unter den Menschen hatte. Das sah Xerxes als ein großes Unglück an und ließ ihn mit dem herrlichsten Leichenbegängnis bestatten, und das ganze Heer mußte den Grabhügel aufwerfen. Diesem Artachaies opfern die Akanthier nach einem Götterspruch als einem Heros, mit Anrufung seines Namens. König Xerxes sah also den Tod des Artachaies als ein Unglück an.

117. Die griechische Elle hatte sechs Handbreiten oder vierundzwanzig Fingerbreiten, die königliche dagegen siebenundzwanzig. Der riesige Perser war also 131 Fingerbreiten oder fast dreiunddreißig Handbreiten hoch. Die Fingerbreite zu 1,85 Zentimeter angenommen, ergibt das zwei Meter und über vierzig Zentimeter. Wahrscheinlich hat der vom Heere aufgeschüttete Grabhügel in ähnlicher Weise wie bei den sogenannten Hünengräbern die Sage von einem darunter begrabenen Riesen entstehen lassen. Die stärkste Stimme von allen Menschen mußte er dann natürlich auch gehabt haben.

 

118. Die Hellenen aber, die das Heervolk aufnahmen und den Xerxes bewirteten, kamen in die größte Not, so daß sie Haus und Hof verlassen mußten. So hat den Thasiern, da sie für ihre Städte auf dem Festland das Heer des Xerxes aufnahmen und bewirteten, Antipatros, der Sohn des Orges, der dazu erwählt und einer der angesehensten Bürger war, ihren Aufwand für die Bewirtung auf vierhundert Silbertalente berechnet.

119. Ähnlichermaßen stellten auch die Aufseher in den übrigen Städten ihre Rechnung auf. Die Bewirtung geschah nämlich, wie folgt, indem sie schon lange vorher angesagt war und sehr wichtig genommen wurde. Sobald sie von den umherziehenden Herolden die Anzeige erhielten, verteilten die Bürger Korn in den Städten, und jedermann bereitete Weizen- und Gerstenmehl auf viele Monate; sodann mästeten sie Vieh, das kostbarste, das sie auftreiben konnten, und fütterten Land- und Seevögel in Ställen und Teichen für die Bewirtung des Kriegsvolkes; sodann bereiteten sie goldene und silberne Becher und Mischkrüge und überhaupt alles, was man auf den Tisch setzt. Dies nun ward für den König selbst und seine Tischgenossen bereitet, für das übrige Heer war ihnen nur die Speisung auferlegt. Wenn nun das Heer ankam, war allemal schon ein Zelt aufgeschlagen, in dem Xerxes seine Rast hielt; das übrige Heer aber blieb unter freiem Himmel. Kam dann die Essenszeit, da hatten nun die Wirte ihre Mühe; die andern aber brachen, wenn sie sich gesättigt und daselbst übernachtet hatten, allemal am folgenden Tage das Zelt ab, packten auch das Gerät alles zusammen und zogen ab und ließen nichts da, sondern nahmen nur immer.

120. Da hat denn auch Megakreon, ein Abderit, ein wohlgesprochenes Wort gesagt, indem er den Abderiten riet, in Masse mit allen ihren Weibern in ihre Tempel zu gehen und sich vor die Götter als Schutzflehende hinzusetzen und zu bitten, ihnen auch ferner von den künftigen Übeln die Hälfte abzuwehren, für die vergangenen aber ihnen großen Dank abzustatten, daß König Xerxes nicht zweimal am Tage Speise zu nehmen gewohnt gewesen sei. Denn die Abderiten seien in der Lage, daß sie, wenn ihnen angesagt worden wäre, auch noch ein Frühstück, gleichermaßen wie das Mittagsmahl, anzurichten, entweder vor der Ankunft des Xerxes hätten flüchten oder bleiben und fortan am elendesten unter allen Menschen hätten leben müssen. Also diese Leute, hart bedrängt wie sie waren, verrichteten doch, was ihnen auferlegt war.

121. Xerxes aber ließ von Akanthos aus die Schiffe abgehen, nachdem er den Feldherren befohlen hatte, in Therma die Seemacht zu erwarten, in Therma, das am Thermaischen Busen liegt, der eben von ihm seine Benennung hat; denn das, vernahm er, sei der kürzeste Weg. Bis Akanthos nämlich machte das Heer den Weg von Doriskos aus in folgender Ordnung. Von drei Abteilungen, in die Xerxes das ganze Landheer teilte, beschied er die eine, mit dem Schiffsheere zugleich längs dem Meere hin zu gehen; ihre Feldherren waren Mardonios und Masistes. Ein anderes Drittel des Kriegsvolkes marschierte nach seiner Anordnung durchs innere Land. Seine Feldherrn waren Tritantaichmes und Gergis. Die dritte Abteilung aber, mit der Xerxes selbst zog, ging in der Mitte von diesen und hatte zu Feldherren Smerdomenes und Megabyzos.

122. Als das Schiffsheer nun von Xerxes entlassen war und durch den Kanal gefahren war, der am Athos gezogen war und in den Busen mündete, an dem die Städte Assa und Piloros, Singes und Sarte liegen, ging es, nachdem es auch aus diesen Städten Heervolk aufgenommen hatte, unter Segel nach dem Thermaischen Busen. Indem es nämlich um das toronaiische Vorgebirge Ampelos bog, kam es an folgenden hellenischen Städten vorbei, aus denen es Schiffe und Heervolk mitnahm: Torone, Galepsos, Sermyle, Mekyberna und Olynthos. Diese Landschaft heißt Sithonia.

123. Das Schiffsheer des Xerxes aber richtete vom Vorgebirge Ampelos sofort seinen Lauf nach dem Vorgebirge Kanastraion, dem äußersten Vorsprung der gesamten Pallene, nahm ferner Schiffe und Heervolk mit aus Potidaia, Aphytis, Neapolis, Aige, Therambos, Skione, Mende und Sane. Denn das sind die Städte der jetzigen Pallene, die vormals Phlegra hieß. Als es auch an dieser Landschaft vorüber war, fuhr es dem Ort seiner Bestimmung zu, indem es auch aus den Städten Heervolk mitnahm, die sich in der Reihe an Pallene schließen und vom Thermaischen Busen begrenzt sind, mit Namen folgende: Lipaxos, Kombreia, Lisai, Gigonos, Kampsa, Smila und Aineia. Diese Landschaft aber heißt noch jetzt Krossaia. Von Aineia aber, der letzten unter den genannten Städten, von da an lief das Schiffsheer bereits in den Thermaischen Busen selbst hinein nach dem Lande Mygdonia. So kam es denn nach Therma, dem angewiesenen Orte, und nach den Städten Sindos und Chalestra am Axios, der die Grenze bildet zwischen der Landschaft Mygdonia und Bottiaia, von der den schmalen Streif am Meere die Städte Ichnai und Pella innehaben.

123. Phlegra heißt Feuerland. Der Boden ist vulkanisch.

 

124. Das Schiffsheer also schlug dort beim Fluß Axios und der Stadt Therma und den dazwischen liegenden Städten sein Lager auf und erwartete den König. Xerxes aber und das Landheer zogen von Akanthos durchs Binnenland hinauf, um von da nach Therma zu kommen. Er zog nämlich durchs Paionische und Krestonische an den Fluß Echeidoros, der von den Krestonaiern her durch die Landschaft Mygdonia fließt und neben dem Sumpf am Fluß Axios mündet.

125. Auf diesem Zuge nun fielen ihm Löwen die Vorrat tragenden Kamele an. Die Löwen gingen immer des Nachts aus ihrem Lager aus, taten aber sonst keinem Lasttier und keinem Menschen etwas; nur die Kamele zerrissen sie. Ich wundere mich aber, was es nur für ein Grund war, der die Löwen trieb, mit Enthaltung von allen andern gerade die Kamele anzufallen, ein Tier, das sie zuvor gar nicht gesehen oder angegriffen hatten.

126. In diesen Gegenden gibt es aber viele Löwen und auch wilde Ochsen, deren Hörner ungeheuer groß sind und nach Hellas hineingeschickt werden. Die Grenze für die Löwen bilden der Fluß Nestos, der durch Abdera fließt, und der Acheloos, der durch Akarnanien fließt; denn weder gen Morgen vom Nestos wird einer irgendwo in ganz Vordereuropa einen Löwen sehen, noch gen Abend vom Acheloos in dem übrigen Festland, sondern sie finden sich inmitten dieser Flüsse.

126. Wilde Ochsen: Auerochsen.

 

127. Wie aber Xerxes in Therma ankam, ließ er daselbst sein Heer lagern. Und sein Heereslager bedeckte das ganze Küstenland von der Stadt Therma und Mygdonien an bis zum Fluß Lydias und zum Haliakmon, die da, wo sie ihr Wasser in einem Bette vereinigen, die Grenze zwischen dem bottiaiischen und dem mazedonischen Lande bilden. In diesen Gegenden also lagerten die Barbaren. Von den genannten Flüssen aber konnte allein der aus Krestonaia fließende Echeidoros dem Heere unterm Trinken nicht zureichen, sondern ging aus.

128. Als Xerxes aber von Therma aus die thessalischen Berge sah, den Olymp und Ossa in ihrer mächtigen Größe, und erfuhr, daß zwischen denselben eine enge Schlucht ist, durch die der Peneios fließt, und hörte, daß da auch ein Weg nach Thessalien geht: so bekam er Lust, hinzufahren und den Ausfluß des Peneios zu schauen, weil sein Zug den obern Weg gehen sollte durch das innere Mazedonierland hinüber zu den Perrhaibern bei der Stadt Gonnos; denn da, erfuhr er, gehe man am sichersten. Wie er denn Lust bekam, so tat er's auch. Er bestieg ein sidonisches Schiff, das er immer zu besteigen pflegte, sooft er so etwas tun wollte, und gab auch den andern das Zeichen, in See zu gehen, während das Landheer an Ort und Stelle blieb. Als nun Xerxes hinkam und den Ausfluß des Peneios sah, da stand er in großer Verwunderung, rief seine Wegweiser und fragte, ob man den Fluß ableiten und an einer andern Stelle ins Meer führen könne.

128. Enge Schlucht: Der Tempepaß.

 

129. Thessalien war aber, laut der Sage, vor alters ein See, nämlich ganz verschlossen von mächtig großen Bergen ringsumher. Denn die Morgenseite schließen der Pelionberg und der Ossa ab, indem sie mit ihren unteren Teilen zusammenstoßen, die Seite gegen den Nordwind der Olymp, die Abendseite der Pindos, die gegen Mittag und den Südwind der Othrys, und in der Mitte zwischen den genannten Bergen liegt Thessalien, als ein Kessel. Nun fließen in dasselbe überhaupt viele Flüsse hinab, fünf aber, die besonders namhaft sind, als der Peneios, der Epidanos, der Onochonos, der Enipeus und der Pamisos; die kommen also unter diesen Namen aus den Bergen, die Thessalien einschließen, in dieser Ebene zusammen und haben durch eine einzige Schlucht, die noch dazu eng ist, einen Ablauf ins Meer, indem sie zuvor alle ihr Wasser in einem Strom vereinigen. Sobald sie sich vereinigt haben, behauptet auch schon der Peneios seinen Namen über alle und macht die andern namenlos. Vor alters aber, sagt man, waren diese Schlucht und der dortige Ablauf noch nicht da, und jene Flüsse, und außer denselben der Boibeïsche See, hatten nicht ihre Namen wie jetzt, flossen aber nicht schwächer als jetzt und machten durch ihr Einströmen ganz Thessalien zu einem Meere. Nun erklären die Thessalier selbst, Poseidon habe die Schlucht geschaffen, durch die der Peneios fließt, was ganz richtig ist. Wer nämlich glaubt, daß Poseidon die Erde erschüttere, und daß alles, was durch Erderschütterung getrennt ist, dieses Gottes Werk sei, der muß auch jenes, wenn er's sieht, für Poseidons Schöpfung erklären; denn einer Erderschütterung Werk ist, wie ich deutlich sah, die Trennung jener Berge.

130. Als Xerxes die Wegweiser fragte, ob es für den Peneios noch sonst einen Ausweg ins Meer gebe, sprachen sie nach ihrer bestimmten Kenntnis: »König, für diesen Fluß gibt es sonst keinen Ausweg ins Meer hinab als ebendiesen; denn ganz Thessalien ist rings von Bergen umkränzt.« Darauf, sagt man, habe Xerxes gesprochen: »Die Thessalier sind kluge Männer. So haben sie in ihrer Überlegung sich beizeiten in acht genommen, aus andern Gründen und namentlich deshalb, weil sie ein Land haben, das sich leicht einnehmen und schnell erobern läßt. Denn man hätte nichts zu tun, als ihnen den Fluß ins Land zu treiben durch Verschließung der Schlucht mit einem Damm und Rückleitung seines jetzigen Laufes, so wäre ganz Thessalien innerhalb der Berge überschwemmt.« Das sagte er aber in bezug auf die Aleuaden, weil sie, die ja Thessalier waren, sich zuerst unter den Hellenen dem König ergeben hatten; da denn Xerxes glaubte, vom gesamten Volke sei ihm Freundschaft entboten. Als er dies gesprochen und alles beschaut hatte, fuhr er zurück nach Therma.

131. Nun hielt er sich noch viele Tage bei Pierien auf. Denn ein Drittel des Heeres lichtete das mazedonische Gebirge, damit dort das gesamte Heer hinüberginge zu den Perrhaibern. Die Herolde aber, die nach Hellas gesandt waren, um Erde zu fordern, kamen nun an, die einen leer, die andern mit Erde und Wasser.

132. Folgende hatten es gegeben: Thessalier, Doloper, Ainianen, Perrhaiber, Lokrer, Magneten, Malier, die phthiotischen Achäer, die Thebaner und die übrigen Böotier, außer den Thespiern und Platäern. Gegen diese verbanden sich mit einem Eid die Hellenen, die gegen den Barbaren die Waffen ergriffen. Dieser Eid war folgender: »Alle Hellenen, die sich dem Perser ungezwungen bei gutem Stand ihrer Macht ergeben haben, sollen dem Gott in Delphi den Zehnten entrichten.« Das war der Eid der Hellenen.

133. Nach Athen und Sparta aber schickte der Perser keine Herolde um Erde, aus folgendem Grunde. Als früher Dareios hinsandte in gleicher Absicht, warfen jene die Fordernden in das Barathron, diese in einen Brunnen, und hießen sie von da Wasser und Erde holen für den König. Aus diesem Grunde schickte Xerxes dorthin keinen zum Fordern. Was nun die Athener um solche Tat an den Herolden für ein Mißgeschick betroffen hat, weiß ich nicht zu sagen, abgesehen davon, daß ihr Land und ihre Stadt verheert wurden; allein das geschah, wie ich glaube, nicht aus dieser Ursache.

133. Barathron: Eine Schlucht bei Athen, in die zum Tode verurteilte Verbrecher hinabgestürzt wurden.

 

134. Aber auf die Lazedämonier fiel der Zorn des Talthybios, des Heroldes Agamemnons. Es gibt nämlich ein Heiligtum des Talthybios in Sparta und auch Nachkommen des Talthybios, die sogenannten Talthybiaden, die alle Heroldschaften in Sparta als Ehrenamt innehaben. Seitdem konnten die Spartiaten keine guten Zeichen beim Opfer bekommen, und das hielt lange an. Da nun die Lazedämonier Kummer und Leid trugen und wiederholt in der Volksversammlung einen Heroldsruf des Inhalts ergehen ließen, wer von den Lazedämoniern für Sparta sterben wolle, so verstanden sich Sperthias, der Sohn des Aneristos, und Bulis, der Sohn des Nikalaos, Spartiaten von Geburt, stattliche und wohlbegüterte Männer, freiwillig dazu, dem Xerxes die Schuld für die in Sparta umgebrachten Herolde des Dareios zu büßen. So sandten sie denn die Spartiaten in den Tod zu den Medern.

134. Der Heros Talthybios wurde als Beschützer der Herolde und Gesandten verehrt.

 

135. Wie der mutige Entschluß dieser Männer bewundernswürdig ist, so sind es auch die Worte, die sie sprachen. Auf ihrer Reise nach Susa kamen sie nämlich zu Hydarnes. Hydarnes aber war ein Perser von Geburt und Feldherr der Küstenvölker in Asien: er bewirtete sie gastlich in seinem Hause. Bei der Bewirtung fragte er sie folgendes: »Ihr Lazedämonier, warum scheut ihr doch des Königs Freundschaft? Ihr seht ja, wie der König wackre Männer zu ehren versteht, an mir und meiner Macht. So würdet aber auch ihr, wenn ihr euch dem König ergäbet – denn ihr geltet bei ihm für wackre Männer – jeglicher ein Herr im Lande Hellas werden durch die Gunst des Königs.« Darauf erwiderten sie folgendes: »Hydarnes, dein Rat für uns ist nicht von beiden Seiten gleich abgewogen; denn das eine, was du uns anrätst, kennst du aus Erfahrung, von dem andern aber hast du keine Erfahrung. Nämlich, was Knecht sein heißt, das kennst du; die Freiheit aber hast du noch nie gekostet, ob sie süß ist oder nicht. Denn hättest du sie kennengelernt, dann würdest du uns raten, nicht nur mit Lanzen für sie zu fechten, sondern auch mit Beilen.«

136. Das antworteten sie also dem Hydarnes. Als sie aber von da nach Susa hinaufkamen und vor das Angesicht des Königs traten, weigerten sie sich zunächst, dem Verlangen der Trabanten, die sie auch mit Gewalt dazu zwingen wollten, zu entsprechen und sich vor dem König zur Huldigung niederzuwerfen. Sie sagten, sie würden dies, wenn man sie auch mit dem Kopfe zur Erde stieße, nimmermehr tun; denn es sei bei ihnen nicht Brauch, sich vor einem Menschen niederzuwerfen, und dazu wären sie nicht gekommen. Als sie sich dessen erwehrt hatten, sagten sie ihnen folgendes, sobald sie zu Worte kamen: »König der Meder, wir sind von den Lazedämoniern abgesandt, um die Schuld für die in Sparta umgebrachten Herolde abzubüßen.« Daraufhin erklärte Xerxes in seinem hohen Sinn, er werde nicht so verfahren wie die Lazedämonier. Sie hätten aller Völker Satzung umgestoßen durch Tötung von Herolden; er wolle aber, was er ihnen zum Vorwurfe mache, nicht selbst tun und die Lazedämonier von ihrer Schuld freimachen, indem er sie töte.

137. So legte sich, weil die Spartiaten dieses getan hatten, der Zorn des Talthybios für den Augenblick, obwohl Sperthias und Bulis nach Sparta heimkehrten. Aber lange Zeit darnach ward er wieder wach in dem Kriege der Peloponnesier und Athener, wie die Lazedämonier sagen. Darin sehe ich vor allem eine göttliche Schickung, daß der Zorn des Talthybios auf Gesandte fiel und sich nicht legte bis zu seiner Erfüllung. Das entsprach der gerechten Ordnung. Daß er aber gerade die Söhne jener Männer traf, die um des Zornes willen zum König hinaufgegangen waren, den Sohn des Bulis, Nikolaos, und den Sohn des Sperthias, Aneristos, der die von Tiryns aus gegründete Stadt Halieis erobert hat, indem er mit einem Kauffahrer voll Mannschaft hinfuhr: daran ist mir offenbar, daß es eine göttliche Schickung war infolge des Zorns. Jene Männer wurden nämlich als Gesandte nach Asien abgeschickt von den Lazedämoniern, aber von Sitalkes, dem Sohne des Teres, dem König von Thrazien, und von Nymphodoros, dem Sohne des Pythes, einem Abderiten, verraten und bei Bisanthe am Hellespont gefangen, sofort nach Attika abgeführt und von den Athenern umgebracht, mit ihnen auch Aristeas, der Sohn des Adeimantos, ein Korinther. Dies geschah viele Jahre nach des Königs Zug.

137. Halieis heißt Fischerstadt. – Nymphodoros war der Schwager des Odrysenkönigs Sitalkes. Die Athener hatten Nymphodoros zu ihrem Staatsgastfreund gemacht, und er hatte ihnen das Bündnis mit seinem Schwager verschafft. Die Festnahme der spartanischen Gesandten erfolgte im zweiten Jahre des Peloponnesischen Krieges (430 v. Chr.) und war einfach eine Kriegshandlung, in der jedoch der fromme Sinn Herodots etwas Übernatürliches entdeckt. Der Korinther Aristeas hatte Thrazien gegen die Athener aufzuwiegeln gesucht. Die ganze Stelle ist biographisch wichtig, weil sie beweist, daß Herodot die Ereignisse der ersten Jahre des Peloponnesischen Krieges noch mit reger Anteilnahme verfolgt und sich dabei auf der Seite der Athener gefühlt hat. Es ist das natürlich auch auf die endgültige Gestaltung seines Geschichtswerkes von Einfluß gewesen, aber man schoß schon im Altertum über das Ziel hinaus, als man ihm blinden Spartanerhaß vorwarf. Seine Darstellung des Thermopylenkampfes beweist das Gegenteil.

 

138. Ich kehre nun wieder zurück zu meiner Erzählung. Der Kriegszug des Königs ging dem Namen nach gegen Athen, war aber auf ganz Hellas gerichtet. Davon hatten die Hellenen auch beizeiten Kunde, nahmen's aber nicht alle in der gleichen Weise auf. Die einen nämlich gaben dem Perser Erde und Wasser und waren nun getrost, es werde ihnen der Barbar kein Leid tun; die andern gaben's nicht und schwebten nun in großer Furcht, weil weder die Schiffe in Hellas zahlreich genug waren, um dem Feinde gewachsen zu sein, noch auch die meisten Staaten kriegswillig waren. Sie neigten vielmehr zu den Medern.

139. Hier bin ich nun genötigt, eine Meinung auszusprechen, die freilich den meisten anstößig ist, gleichwohl werd' ich, was ich einmal für wahr erkennen muß, nicht in mir verschließen. Hätten die Athener die hereinbrechende Gefahr gescheut und ihr Land verlassen, oder auch es nicht verlassen, und sich, indem sie dablieben, dem Xerxes ergeben, so hätte zur See überhaupt niemand versucht, dem König entgegenzutreten. Wäre nun zur See keiner dem Xerxes entgegengetreten, so wäre es zu Lande folgendermaßen ergangen. Wenn sich auch die Peloponnesier mit noch so vielen Mauern am Isthmos umpanzert hätten: die Lazedämonier hätten doch, im Stich gelassen von ihren Bundesgenossen (nicht mit deren Willen, sondern gezwungenerweise, da ihre Städte durch die Schiffsmacht der Barbaren nacheinander gefallen wären), bald allein gestanden und hätten nach heldenmütigem Kampfe eines ruhmvollen Todes sterben müssen. Entweder wäre es ihnen so gegangen, oder sie wären noch vorher, wenn sie gesehen hätten, daß auch die übrigen Hellenen medisch waren, einen Vertrag mit Xerxes eingegangen. In beiden Fällen wäre Hellas unter die Herrschaft der Perser gekommen. Denn was die Mauern über den Isthmos hätten nützen sollen, wenn der König doch das Meer beherrschte, kann ich nicht herausbekommen. Also irrt nicht von der Wahrheit, wer die Athener die Erretter von Hellas nennt. Denn auf welche Seite sie sich schlugen, dahin mußte die Waage sich neigen. Sie wählten denn für Hellas die Erhaltung der Freiheit, und all das übrige Hellenenvolk, das noch nicht medisch war, das haben sie erweckt und sie haben nächst den Göttern den König zurückgeschlagen. Selbst fürchterliche Göttersprüche, die aus Delphi ihnen zukamen und Schrecken verbreiteten, bewogen sie nicht, Hellas zu verlassen, sondern sie blieben stehen und hielten's aus, den Angriff auf ihr Land zu erwarten.

139. Mit dem Urteil Herodots deckt sich das Rankes (Weltgeschichte. Band I, Kapitel 6): »Man darf diesen Entschluß wohl den größten beizählen, welche die Weltgeschichte kennt; er erinnert an jene Geusen, welche sich mit all ihrem Besitz auf die Schiffe begaben, auf denen sie ihre Freiheit zu retten gedachten. Aber die Selbstaufopferung der Athener ist noch viel größer. Man könnte versucht sein, die Räumung von Attika dem Brande von Moskau gleichzustellen. Wozu jedoch vergleichen? Die Handlung hat wieder ihr eigentümliches, lokales Gepräge, worin ihr Wesen und ihr Ruhm besteht.« Ranke kommt im achten Kapitel nochmals auf das Urteil Herodots zurück und nennt diese Stelle »vielleicht die beste in dem ganzen Werke«.

 

140. Die Athener hatten nämlich Gotteskundschafter nach Delphi gesandt und wollten sich eine Weissagung geben lassen. Als diese das Bräuchliche bei dem Heiligtum verrichtet hatten und ins innere Gemach eintraten und sich setzten, gab ihnen die Pythia, mit Namen Aristonike, folgenden Spruch:

Unglückselige, was weilt ihr? Hinweg zu den Enden der Erde!
Flieht von dem Haus, von der Stadt Ringkreis und erhabenen Zinnen!
Denn nicht das Haupt bleibt ganz, noch der Leib, noch unten die Füße,
Auch nicht die Hände, noch bleibt ein Stück in der Mitte des Rumpfes
Übrig, sondern vernichtet wird alles, wenn sie ergreift das
Feuer und Ares' Grimm, der den Syrierwagen einhertreibt.
Auch viel andere Burgen zerstört er, nicht nur die deine,
Viele Tempel äschert er ein der unsterblichen Götter,
Welche bereits übergossen vom Schweiß, dem strömenden, dastehn,
Heftig erbebend in Angst, und herab von der Giebelbedachung
Rinnt schon dunkel das Blut, Vorahnung schnöden Geschickes.
Fort aus dem Innern des Tempels, in Trauer hüllt eure Seelen!

140. Das Bräuchliche: Die Reinigung am kastalischen Quell in Delphi.

 

141. Als das die Gotteskundschafter der Athener hörten, ergriff sie tiefe Trauer. Während sie sich der Verzweiflung über das geweissagte Unheil überließen, gab ihnen Timon, der Sohn des Androbulos, einer der angesehensten Männer von Delphi, den Rat, Bittzweige zu nehmen und wiederum hinzutreten vor das Orakel um einen zweiten Spruch als Schutzflehende. Wie nun die Athener das befolgten und sprachen: »O Herr, gib uns einen besseren Spruch für unser Vaterland, die Bittzweige hier achtend, mit denen wir zu dir kommen; oder wir gehen nicht aus deinem heiligen Gemach, sondern bleiben hier, bis wir sterben« – wie sie denn so sprachen, gab ihnen die Weissagepriesterin als zweiten den folgenden Spruch:

Pallas versucht umsonst, den Olympier Zeus zu versöhnen,
Bittet sie noch so beredt und voll verschlagener Klugheit.
Eins doch sag' ich dir noch, ein Wort, das wie Eisen gestählt ist:
Fällt auch alles dem Feind anheim, was der Gipfel des Kekrops
In sich faßt und die Schlucht des geheiligten Berges Kithäron,
Dann läßt nur die hölzerne Burg der Tritogeneia
Unzerstört der waltende Zeus, dir Schutz und den Deinen.
Warte du nimmer die Reitergeschwader und nimmer des Fußvolks
Wucht auf dem Festland ruhig mir ab! Nein, wende den Rücken,
Weiche zurück, und die Zeit wird kommen, die Stirne zu bieten!
Göttliche Salamis, traun, du vertilgst die Söhne der Weiber,
Wenn der Demeter Frucht zerstreut wird oder gesammelt!

141. Der Gipfel des Kekrops: Die Akropolis, die der schlangenfüßige Erdgott Kekrops erbaut haben sollte. – Tritogeneia hieß Athene angeblich nach einer alten Verehrungsstätte, die am Flusse Triton in Böotien lag. Später wurde dazu auch der Tritonissee in Libyen (Buch IV, Kapitel 180) in Beziehung gesetzt. – Der Kithäron, auf dem Ödipus ausgesetzt wurde, ist das Grenzgebirge zwischen Attika und Böotien.

 

142. Da dies wirklich milder als das vorige war und ihnen auch so vorkam, schrieben sie es sich auf und gingen ab nach Athen. Als nun die Gotteskundschafter eintrafen und an die Volksgemeinde berichteten, wurden überhaupt viele Meinungen laut über den Sinn der Weissagung, und namentlich folgende, die sich am schärfsten widersprachen. Von den Älteren sagten manche, sie hielten dafür, daß der Gott die Erhaltung der Akropolis verheißen habe. Die Akropolis von Athen war nämlich vor alters mit einem Dornhag verzäunt. So schlossen denn die einen, der Zaun sei die hölzerne Burg. Die andern sagten dagegen, der Gott weise auf die Schiffe; die solle man in Bereitschaft setzen und alles andere aufgeben. Die nun, die sagten, die Schiffe seien die hölzerne Burg, fanden Anstoß an den beiden letzten Versen der Pythia:

Göttliche Salamis, traun, du vertilgst die Söhne der Weiber,
Wenn der Demeter Frucht zerstreut wird oder gesammelt!

Diese Worte verwirrten die Meinung derer, welche die Schiffe für die hölzerne Mauer erklärten. Denn die Spruchdeuter nahmen dies so, daß ihnen bei Salamis eine Niederlage bevorstehe, wenn sie sich zum Seekampf rüsteten.

143. Es hatte sich aber unter den Athenern seit kurzem ein Mann hervorgetan, mit Namen Themistokles, der Sohn des Neokles. Dieser Mann behauptete, die Spruchdeuter legten nicht alles richtig aus; denn wenn dieses Wort wirklich auf die Athener ginge, so würde nach seinem Dafürhalten der Spruch nicht so mild lauten, sondern: »Gräßliche Salamis!« anstatt: »Göttliche Salamis!« wenn doch ihre Bewohner bei ihr umkommen sollten. Also gehe der Spruch des Gottes, nach richtiger Auslegung, vielmehr auf die Feinde und nicht auf die Athener. So riet er ihnen denn, zum Flottenkampf sich zu rüsten; denn das sei die hölzerne Burg. Diese Darlegung des Themistokles erkannten die Athener für annehmbarer als das, was die Spruchdeuter sagten, daß sie nämlich keine Anstalten zum Seekampfe treffen, sondern überhaupt keinen Widerstand leisten, Attika verlassen und sich anderswo ansiedeln sollten.

143. Nach Rankes Meinung (Weltgeschichte. Band I, Kapitel 6) ist Themistokles »vielleicht einer der ersten Menschen von Fleisch und Blut, die in der Universalgeschichte hervortreten, – keineswegs immer rühmenswert, aber immer groß. In den Konflikten der Weltkräfte wollte er herrschen, niemals beherrscht werden, aber sie waren zu stark; er ging in ihnen unter, er selbst persönlich, aber sein Werk überdauerte die Jahrhunderte: er ist der Begründer der historischen Größe von Athen.«

 

144. Ein anderer Antrag des Themistokles war noch vor diesem glücklicherweise durchgegangen. Als nämlich der Staatsschatz der Athener reich geworden war von dem Gelde, das aus den Gruben von Laurion einging, und sie davon jeder Mann für Mann zehn Drachmen bekommen sollten, da überredete Themistokles die Athener, diese Verteilung aufzugeben und sich von dem Gelde zweihundert Schiffe anzuschaffen – zum Krieg gegen die Ägineten, meinte er. Dieser Krieg nämlich, der ausgebrochen war, errettete jetzt Hellas, da er die Athener gezwungen hat, ein Seevolk zu werden. Die Schiffe, die dazu nicht verwandt wurden, wozu sie gebaut waren, kamen jetzt Hellas zugute. Diese hatten also die Athener schon vorher beschafft, und dazu sollten noch andere gebaut werden: und so beschlossen sie in ihrem Rate nach dem Götterspruch, mit gesamter Volksmacht dem Angriffe des Barbaren auf Hellas standzuhalten in ihren Schiffen, im Vertrauen auf das Wort des Gottes, im Verein mit allen Hellenen, die dazu bereit wären. – Das waren also die Göttersprüche, welche die Athener erhielten.

144. Gruben von Laurion: Silberbergwerke an der Südspitze Attikas. Sie waren in Erbpacht gegeben, und die Pachterträge wurden unter die Bürger verteilt.

 

145. In der Versammlung aber der Hellenen des Landes Hellas, die da wohlgesinnt waren, sich verabredeten und verbündeten, faßten sie vor allen Dingen den Beschluß, jede Feindschaft und Fehde untereinander aufzuheben. Es gab solche zwischen einigen von ihnen, die größte jedoch zwischen den Athenern und den Ägineten. Als sie nun hörten, daß Xerxes mit seinem Heer in Sardes liege, beschlossen sie, nach Asien Späher zu schicken, um des Königs Macht zu erkunden, nach Argos aber Gesandte, um ein Kriegsbündnis zu schließen gegen den Perser, wie auch nach Sizilien zu Gelon, dem Sohne des Deinomenes, und nach Kerkyra, daß sie Hellas Beistand leisten möchten, und nach Kreta. Sie hatten den Gedanken, es könne alles Hellenenvolk einig werden und treulich zusammenstehen, da eine gleiche Gefahr die Hellenen alle bedrohe. Gelons Macht aber war groß, wie man hörte, weit größer als irgendeine andere hellenische.

145. Die Versammlung der Gesandten der gegen den Perser verbündeten hellenischen Staaten tagte auf dem Isthmos.

 

146. Beschlossenermaßen also stellten sie alle Fehden ein und schickten zunächst nach Asien drei Männer auf Kundschaft. Wie nun diese nach Sardes gekommen waren und die Heeresmacht des Königs erkundet hatten, wurden sie entdeckt und nach peinlichem Verhör vor den Feldherren des Landheers zur Hinrichtung hinausgeführt. Die waren also verurteilt zum Tode. Als Xerxes das aber vernahm, mißbilligte er das Urteil seiner Feldherrn und schickte einige Trabanten hin, mit dem Auftrag, die Späher vor ihn zu führen, wenn sie dieselben noch am Leben fänden. Da sie dieselben noch am Leben fanden und vor des Königs Angesicht führten, ließ er sie sagen, wozu sie gekommen wären. Sodann befahl er den Trabanten, sie herumzuführen, das ganze Fußvolk und Reiterheer sehen zu lassen und sie, wenn sie es sattsam angeschaut hätten, ungekränkt zu entlassen, wohin sie wollten.

147. Diesen Befehl gab er, wie er hinzufügte, in der Erwägung, daß die unglaubliche Größe seiner Macht, wenn die Späher umkämen, den Hellenen nicht im voraus kundwürde und die Feinde doch keinen großen Schaden litten durch den Verlust von drei Mann. Kämen sie aber nach Hellas zurück, so würden die Hellenen, meinte er, seine Macht kennenlernen und noch vor dem Kriegszug ihre Freiheit selbst dahingeben, so daß es nicht einmal eines Feldzuges gegen sie bedürfen werde. Dasselbe Urteil gab er bei einer andern Gelegenheit ab. Als nämlich Xerxes in Abydos war, sah er Schiffe aus dem Pontos durch den Hellespont hinausfahren, die Korn nach Ägina und dem Peloponnes bringen sollten. Seine Räte erfuhren, es seien feindliche Schiffe, waren willig, sie zu nehmen, und blickten auf den König in Erwartung seines Winks. Xerxes aber fragte sie, wohin sie führen. Darauf sagten sie: »Zu deinen Feinden, o Gebieter, mit Korn.« Darauf erwiderte er: »Nun, fahren nicht auch wir ebendahin, wohlversehen mit allem, sonderlich mit Korn? Was tun also die Unrechtes, wenn sie für uns Vorrat zuführen?« – Die Späher also sahen alles, wurden entlassen und kamen nach Europa zurück.

148. Die Hellenen aber, nämlich die Eidgenossen gegen den Perser, schickten nach der Absendung der Späher ihre Gesandten nach Argos. Nun sagen die Argiver, bei ihnen sei es so ergangen: gleich anfangs hätten sie Kunde gehabt von der Unternehmung des Barbaren gegen Hellas. Auf diese Kunde nun und in der Überzeugung, daß die Hellenen sie um ihren Beistand gegen den Perser ersuchen würden, hätten sie Gotteskundschafter nach Delphi gesandt, um den Gott zu fragen, was für sie zu tun am besten wäre; denn neuerlich wären ihrer sechstausend Mann erschlagen worden von den Lazedämoniern und Kleomenes, dem Sohne des Anaxandridas: deshalb schickten sie hierher. Auf diese Frage habe ihnen die Pythia folgenden Ausspruch getan:

Feind umwohnender Männer, doch Freund der unsterblichen Götter,
Hart an dem Leibe den ragenden Speer, sei ruhig und wachsam,
Wachsam sorg für das Haupt, das Haupt wird des Leibes Erretter.

So habe die Pythia vorher gesprochen, und dann seien jene Gesandten nach Argos gekommen und vor den Rat getreten und hätten ihren Auftrag ausgerichtet. Darauf hätten sie ihnen zur Antwort gegeben, die Argiver seien bereit, dies zu tun, wenn sie einen Frieden auf dreißig Jahre mit den Lazedämoniern schließen könnten und den halben Anteil an der Führung des Bundes bekämen: obschon nach der Ordnung die Führung ihnen gebühre; dennoch wollten sie sich begnügen mit der halben Führung.

148. Sorg für das Haupt: Beschränke dich darauf, deine Hauptstadt gegen die Lazedämonier zu verteidigen, wenn sie angegriffen wird. – Die Führung beanspruchten die Argiver, weil sie Agamemnon, der in Mykenä und Argos herrschte, im Trojanischen Kriege gehabt hatte. Seit dieser mythischen Zeit war die Vorherrschaft im Peloponnes aber längst von Argos auf Sparta übergegangen.

 

149. Das, sagen sie, habe der Rat zur Antwort gegeben, trotz der Weisung des Orakels, den Bund mit den Hellenen nicht einzugehen; es sei aber ihr Wunsch gewesen, einen dreißigjährigen Waffenstillstand zu bekommen (obgleich sie das Orakel fürchteten), damit ihre Kinder in diesen Jahren zu Männern erwüchsen; denn sie fürchteten, daß sie ohne einen Waffenstillstand, wenn zu dem dermaligen Unglück noch ein Stoß im Kampf mit dem Perser käme, in Zukunft den Lazedämoniern untertan werden müßten. Von den Gesandten nun hätten die Spartas die Erklärung des Rates beantwortet, wie folgt: über den Waffenstillstand würden sie ihrer Gemeinde berichten; über die Führung aber seien sie beauftragt zu antworten und sagten demnach: sie hätten zwei Könige und die Argiver einen; nun sei es nicht möglich, einen von den zwei spartanischen der Führung zu entheben; daß aber der Argiver das gleiche Stimmrecht wie einer von den beiden habe, hindere nichts. Die Argiver behaupten, sie hätten diese Machtgier der Spartiaten nicht ertragen, sondern lieber unter die Herrschaft der Barbaren kommen als den Lazedämoniern nachgeben wollen und daher den Gesandten entboten, vor Sonnenuntergang das Gebiet der Argiver zu verlassen, widrigenfalls sie als Feinde behandelt werden würden.

150. So viel sagen also hierüber die Argiver selbst. Man hört aber noch eine andere Sage, die in Hellas geht, daß Xerxes einen Herold nach Argos gesandt habe, ehe er aufbrach zum Zug gegen Hellas. Der kam, wie man erzählt, und sprach: »Ihr Argiver, der König Xerxes läßt euch sagen: wir halten dafür, daß Perses unser Stammvater sei, ein Sohn des Perseus, des Sohnes der Danae, und der Tochter des Kepheus, der Andromeda. Demnach sind wir eure Abkömmlinge. Es steht also weder uns an, gegen unsere Altvordern in den Krieg zu gehen, noch euch, andern im Kampf gegen uns Beistand zu leisten, statt in Ruhe daheim zu bleiben. Denn wenn es nach meinem Sinne geht, werde ich kein Volk höher stellen als euch.« Das hätten, sagt man, die Argiver ernst genommen und im Augenblick zwar keine Ansprüche geäußert, aber dann, als die Hellenen sie um ihren Beitritt ersuchten, in der Überzeugung, daß die Lazedämonier nichts von ihrem Vorrang abgeben würden, den Anspruch gemacht, um unter gutem Vorwand nicht am Kriege teilzunehmen.

151. Hiermit, sagen einige Hellenen, treffe auch folgendes überein, was viele Jahre später geschah. In Susa, der Memnonsstadt, seien gerade in einer andern Angelegenheit Gesandte der Athener gewesen, Kallias, der Sohn des Hipponikos, und die andern, die mit ihm hinaufgegangen waren, und zu derselben Zeit hätten auch die Argiver Gesandte nach Susa geschickt und an Artaxerxes, den Sohn des Xerxes, die Frage gerichtet, ob es noch verbleibe bei der Freundschaft, die sie mit Xerxes geschlossen hätten, oder ob sie bei ihm für Feinde gölten. Darauf habe der König Artaxerxes erklärt, allerdings verbleibe es dabei, und ihm gelte keine Stadt für befreundeter als Argos.

151. Die Burg von Susa hieß Memnonia. Sie sollte von dem Äthiopierkönig Memnon (Anm. zu Buch II, Kapitel 106) begründet worden sein.

 

152. Ob nun Xerxes einen Herold mit solcher Botschaft nach Argos schickte, und ob Gesandte der Argiver nach Susa hinaufkamen, um den Artaxerxes über die Freundschaft zu befragen, kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen und stelle dem, was die Argiver selbst sagen, keine eigene Meinung gegenüber. So viel aber weiß ich: wenn alle Menschen ihre eigenen Übeltaten auf einen Fleck zusammentrügen, um mit ihren Nebenmenschen zu tauschen, so würde ein jeder nach einem Blick auf die Übeltaten seines Nächsten gern wieder heimtragen, was er mitgebracht hätte. – So haben denn auch die Argiver nicht zum schlechtesten gehandelt. Ich aber bin verpflichtet zu sagen, was erzählt wird; zum Glauben jedoch bin ich nicht in jedem Falle verpflichtet, und das soll für meine ganze Geschichte bemerkt sein. Gibt es doch auch die Sage, daß die Argiver es gewesen seien, die den Perser nach Hellas gerufen hätten, da sie an den Lazedämoniern ihre Lanze übel brachen und alles lieber über sich ergehen lassen wollten als diese Kränkung. Das war von den Argivern zu sagen.

152. Nach dem Sieg über die Perser wurden alle, die neutral geblieben waren, heftig angegriffen. Herodot findet das ungerecht, weil die meisten griechischen Staaten irgend etwas auf dem Kerbholz hatten und immer dazu neigten, im nächsten Nachbar den Hauptfeind zu sehen. Er kleidet diesen Einwand aber sehr vorsichtig in eine Betrachtung über menschliche Unzulänglichkeiten ein.

 

153. Nach Sizilien aber kamen auch Gesandte von den Bundesgenossen, um mit Gelon zu unterhandeln, unter ihnen für die Lazedämonier Syagros. Ein Vorfahre dieses Gelon, ein Mitbegründer von Gela, war von der Insel Telos, die dem Triopion gegenüberliegt, und war bei Gelas Gründung durch Lindier aus Rhodos unter Antiphemos mitgezogen. Mit der Zeit aber wurden seine Nachkommen Einweihungspriester der unterirdischen Götter und vererbten die Würde, die Telines, einer ihrer Vorfahren, auf folgende Art erworben hatte. Einige Männer von Gela mußten nach Maktorion, der Stadt oberhalb Gela, flüchten, weil sie in einem Aufruhr unterlagen. Diese führte Telines nach Gela zurück, obwohl er über keine Truppenmacht, sondern nur über die Heiligtümer jener Götter verfügte. Woher er diese bekommen oder erworben hatte, weiß ich nicht zu sagen. Allein im Vertrauen auf sie führte er jene zurück, unter der Bedingung, daß seine Nachkommen Einweihungspriester der unterirdischen Gottheiten sein sollten. Das setzt mich nun nach dem, was ich von Telines höre, sehr in Verwunderung, daß er eine solche Tat ausgeführt hat. Denn solche Taten sind meines Erachtens nicht jedermanns Sache, sondern nur die eines wackern Geistes von mannhafter Stärke; er aber war, wie die Einwohner von Sizilien erzählen, im Gegenteile von Natur ein weibischer, weichlicher Mann. So erwarb er also dies Ehrenamt.

153. Einweihungspriester der unterirdischen Götter: Sie vollzogen die Einweihung in die Geheimkulte der Demeter und Persephone und verwalteten das Tempelvermögen.

 

154. Nach dem Lebensende des Kleandros, des Sohnes des Pantares, – er war sieben Jahre Machthaber von Gela und wurde durch einen Geloer Sabyllos erschlagen – da kam die Herrschaft an Hippokrates, den Bruder des Kleandros. Unter Hippokrates' Machthaberschaft war Gelon, ein Nachkomme des Einweihungspriesters Telines, mit vielen andern, namentlich auch mit Ainesidemos, dem Sohne des Pataïkos, Trabant bei Hippokrates; es dauerte aber nicht lange, so ward er wegen seiner Tapferkeit zum Oberbefehlshaber der ganzen Reiterei ernannt. Als nämlich Hippokrates die Städte Kallipolis und Naxos, Zankle und Leontinoi, dazu Syrakus und viele Orte der Barbaren belagerte, zeichnete sich Gelon in diesem Kriege glänzend aus. Von den genannten Städten aber entging keine außer Syrakus dem Joch des Hippokrates. Die Syrakuser aber retteten die Korinther und Kerkyräer, nachdem sie schon am Fluß Eloros eine Niederlage erlitten hatten. Sie retteten sie durch einen Vergleich mit der Bedingung, daß die Syrakuser dem Hippokrates Kamarina überließen. Kamarina war nämlich ursprünglich syrakusisch.

155. Wie nun aber auch Hippokrates nach einer ebenso langen Herrschaft wie sein Bruder Kleandros seinen Tod fand bei der Stadt Hybla im Kriege gegen die Sizilier, da erhob sich Gelon angeblich zum Beistand der Söhne des Hippokrates, des Eukleides und des Kleandros, gegen die Bürger, die nicht mehr untertan sein wollten; in Wahrheit aber nahm er nach Überwältigung der Geloer in einer Schlacht die Herrschaft selbst und entriß sie den Söhnen des Hippokrates. Als ihm das geglückt war, führte Gelon die sogenannten Grundherrn von Syrakus, die vom Volke und ihren Knechten, den sogenannten Kyllyriern, vertrieben waren, aus der Stadt Kasmena zurück nach Syrakus und gewann auch dieses; denn das Volk von Syrakus übergab dem anrückenden Gelon die Stadt und sich selbst.

156. Sobald er nun Syrakus übernommen hatte, fragte er weniger nach seiner andern Herrschaft Gela, die er dem Hieron, seinem Bruder, zu verwalten gab; dagegen verstärkte er Syrakus, und Syrakus war ihm alles. Es wuchs und blühte auch alsbald empor. Zuerst nämlich führte er die Kamarinaier sämtlich nach Syrakus und bürgerte sie ein, die Stadt Kamarina aber schleifte er; sodann machte er's mit der größeren Hälfte der Bürger von Gela ebenso wie mit den Kamarinaiern. Und von den sizilischen Megarern, die sich nach einer Belagerung auf Vertrag ergaben, nahm er die Vornehmen, die sich zum Krieg wider ihn erhoben hatten und deshalb des Todes gewärtig waren, und bürgerte sie in Syrakus ein; das Volk der Megarer aber, das gar keine Schuld an diesem Kriege hatte und sich keines Argen versah, führte er gleichfalls nach Syrakus und verkaufte sie als Sklaven aus Sizilien hinaus. Ebenso machte er's auch mit beiden Teilen bei den sizilischen Euböern. Und dies tat er beidemal nach dem Urteil, daß der Volkshaufe der mißlichste Mitbewohner sei. Auf diese Art war also Gelon ein großer Machthaber geworden.

156. Gelon behandelte die untere Schicht der Bevölkerung hart, weil sie aus eingeborenen Siziliern und aus Phöniziern bestand, während die Griechen die Oberschicht bildeten. Die Politik Gelons lief darauf hinaus, die Karthager aus Sizilien zu verdrängen und die ganze Insel zu hellenisieren.

 

157. Nun kamen die Gesandten der Hellenen in Syrakus an, erhielten Gelegenheit, ihn zu sprechen, und sagten folgendes: »Es haben uns die Lazedämonier und Athener und deren Bundesgenossen gesandt, um deinen Beistand zu fordern gegen den Barbaren, von dessen Anzug gegen Hellas du doch wohl gehört hast, daß nämlich ein Perser nach Überbrückung des Hellesponts alles Heervolk des Morgenlandes aus Asien heranführt, um Hellas zu bekriegen, unter dem Vorgeben, er ziehe gegen Athen, in der Absicht aber, ganz Hellas unter seine Herrschaft zu bringen. Du aber stehst hoch an Macht, und dein Teil an Hellas ist mitnichten der geringste; denn du bist Herr von Sizilien: so leiste Beistand den Befreiern von Hellas und sei Mitbefreier! Denn vereinigt sich ganz Hellas, so kommt eine große Macht zusammen, und wir sind dem Feinde gewachsen; wenn aber die einen von uns zu Verrätern werden, die andern keine Hilfe leisten mögen, und nur ein kleiner Teil von Hellas den Kopf nicht verliert, dann steht zu befürchten, daß ganz Hellas fallen wird. Denn hoffe nicht, daß der Perser, wenn er uns im Kampf überwältigt und unterworfen hat, nicht auch zu dir kommen werde: sondern dem baue vor. Denn hilfst du uns, so wehrst du dich nur für dich selbst. Ein wohlberatenes Werk aber nimmt insgemein ein gutes Ende.«

158. Das sagten sie. Gelon aber ging ihnen hart zu Leibe mit solcherlei Worten: »Ihr Hellenen, das ist eine Anmaßung, mit der ihr mir da ohne weiteres kommt und mich zum Bundesgenossen wider den Barbaren haben wollt! Wie ich euch früherhin bat, ein barbarisches Heer mitanzugreifen, als ich im Streit lag mit den Karthagern und euch zum Grund angab den Mord des Dorieus, des Sohnes des Anaxandridas, durch die Egestaier, der zu rächen war, und euch die Befreiung der Stapelorte in Aussicht stellte, von denen ihr großen Nutzen und Gewinn hattet, da kamt ihr weder um meinetwillen zur Hilfe herbei, noch zur Rache um Dorieus' Ermordung, und soweit es auf euch ankam, könnte jetzt alles hier den Barbaren gehören. Nun aber ist es uns gut gegangen und steht wohl mit uns; und jetzt, da ihr an die Reihe kommt, Krieg zu führen, jetzt denkt man an den Gelon. Doch obschon mir Unehre von euch widerfuhr, will ich doch nicht sein wie ihr, sondern bin bereit, Waffenhilfe zu leisten mit zweihundert Dreiruderern, zweimal zehntausend Schwerbewaffneten, zweitausend Reitern, zweitausend Bogenschützen, zweitausend Schleuderern und zweitausend leichtbewaffneten Roßläufern; dazu übernehm' ich, für das gesamte Hellenenheer, bis daß wir den Krieg zu Ende geführt haben, das Getreide zu liefern. Dies verspreche ich unter der Bedingung, daß ich Feldherr und Führer der Hellenen gegen den Barbaren werde: unter keiner andern Bedingung werde ich mich selbst aufmachen oder andere schicken.«

158. Gelon sagt ganz richtig, wenn man jetzt von ihm eine gesamthellenische Politik gegen Persien verlange, hätte man ihn früher in seiner gesamthellenischen Politik gegen Karthago unterstützen müssen, besonders da der griechische Handel die größten Verluste erleiden mußte, wenn ganz Sizilien karthagisch wurde. – Die Roßläufer sind leichtbewaffnete junge Leute, die mit den Reitern Schritt halten konnten und in ihrem Verbande mitkämpften. Auch die Germanen hatten solche Mitläufer, wie Tacitus in der »Germania« (Kapitel 6) berichtet.

 

159. Da Syagros das hörte, hielt er's nicht aus und sprach die Worte: »Wahrlich, laut jammern würde der Pelopide Agamemnon, hörte er, daß den Spartiaten die Führung entrissen worden sei von Gelon und den Syrakusern! Nein, dieser Bedingung gedenke nicht weiter, daß wir dir die Führung übergeben sollen; sondern wenn du Hellas Hilfe leisten willst, so wisse, daß du den Lazedämoniern folgen mußt; wenn du aber niemand folgen zu dürfen glaubst, so laß die Hilfe.«

159. Syagros parodiert im Anfange seiner Erwiderung einen Vers aus Homers »Ilias« (VII, 125):
Wahrlich, laut würde jammern der Greis, der reisige Peleus.
Die Beschimpfung lag darin, daß Syagros sich auf Agamemnon berief und dem Gelon zu Gemüte führte, daß er trotz aller seiner Macht nur ein Emporkömmling aus dem Kolonialgebiet sei.

 

160. Darauf machte Gelon, wie er sah, daß Syagros sich so fest dagegen stemmte, noch folgenden letzten Vorschlag: »Mein Gast von Sparta, wenn man einem mit Beschimpfungen kommt, so schwillt dem Menschen gern die Galle; dennoch kannst du mit deinen beleidigenden Reden mich nicht bewegen, in meiner Erwiderung den Anstand zu verletzen. Wenn ihr aber so sehr an der Führung hängt, so ist's in der Ordnung, daß ich noch mehr daran hänge, als Führer eines zahlreicheren Heeres und einer viel größeren Schiffsmacht. Allein da einmal eure Meinung dem so stracks zuwiderläuft, wollen wir etwas nachgeben von unserer ersten Forderung. Wenn ihr das Landvolk führt, führe ich das Schiffsvolk; beliebt euch aber die Führung zur See, will ich sie auf dem Lande nehmen. Damit müßt ihr euch abfinden oder leer abziehen, ohne solch einen Bundesgenossen.«

161. Das war also Gelons Vorschlag. Da kam aber der Gesandte der Athener dem lazedämonischen zuvor mit folgender Antwort: »König von Syrakus, nicht um einen Führer hat uns Hellas zu dir gesandt, sondern um ein Heer. Daß du aber ein Heer schicken werdest, ohne Führer von Hellas zu sein, läßt du nicht hoffen, sondern trachtest, sein Feldherr zu werden. Solange du nun des ganzen Hellenenheeres Führung verlangtest, konnten wir Athener schon schweigen, wohl wissend, daß der Lakonier der Mann sei, für uns beide Rede zu stehen; nun du aber das Ganze aufgibst und verlangst, das Schiffsheer zu befehligen, so wisse dieses: Wenn dir auch der Lakonier den Befehl darüber zugestände, so geben wir's nicht zu; denn die Führung zur See ist unser, wenn sie die Lazedämonier nicht beanspruchen. Wollen diese die Führung, so sind wir nicht dagegen; keinem andern aber werden wir den Befehl zur See überlassen. Umsonst hätten wir ja dann die größte Seemacht unter den Hellenen erworben, wenn wir den Syrakusern die Führung einräumen müßten, wir Athener, das älteste Volk in diesem Bunde, die einzigen Hellenen, die ihr Stammland nie verlassen haben, und aus denen auch dem Sagendichter Homer zufolge der treffliche Mann gen Ilion kam, ein Heer aufzustellen und zu ordnen. So ist's denn auch keine Beschimpfung, wenn wir solches sagen.«

161. Nunmehr berufen sich auch die Athener darauf, daß ihre Führereigenschaften bereits in der »Ilias« (II, 546-554) erwähnt werden:
Dann die Athenai bewohnt, des hochgesinnten Erechtheus
Wohlgebauete Stadt, des Königes, welchen Athene
Pflegte, die Tochter Zeus' (ihn gebar die fruchtbare Erde),
Und in Athenai setzt' in ihren begüterten Tempel:
Wo das Herz ihr erfreun mit geopferten Farren und Lämmern
Jünglinge edler Athener, in kreisender Jahre Vollendung.
Denen gebot als Führer des Peteos Sohn Menestheus.
Ihm war nie zu vergleichen ein Mann von den Erdebewohnern,
Rosse der Schlacht zu ordnen und schildgewappnete Männer.
Gelon, dem jeder Gesandte irgendein Homerzitat entgegenschleudert, müßte auch mit einem solchen erwidern, und wenn es noch so künstlich herangezogen wäre. In den Dialogen Platos haben wir Beispiele genug für äußerst gekünstelte Anwendungen Homerischer Verse. Statt dessen hilft sich Gelon mit eigener Poesie, indem er von dem Frühling redet, der aus dem Jahre herausgenommen ist (Kapitel 162). Damit macht er nur seine Niederlage in diesem Redekampfe, der sophistisches Gepräge trägt, offenkundig.

 

162. Darauf gab Gelon zur Antwort: »Mein Gast von Athen, ich sehe in der Tat, daß ihr wohl Befehlshaber, aber keine Gehorchenden haben werdet. Da ihr denn nichts nachlassen, sondern alles selbst haben wollt, so begebt euch doch schneller als schnell wieder nach Hause und verkündet den Hellenen, daß ihnen der Frühling aus dem Jahre herausgenommen ist.« Das ist aber der Sinn dieses Spruches, was er besagen will, daß nämlich, wie der Frühling offenbar das Edelste ist im Jahre, so sein Heer im Heere der Hellenen. Den Verlust also seiner Bundesgenossenschaft für Hellas verglich er mit dem Zustande, wenn der Frühling aus dem Jahre herausgenommen wäre.

163. Die Gesandten der Hellenen fuhren nach solchen Verhandlungen mit Gelon wieder zurück. Gelon fürchtete, die Hellenen möchten den Barbaren nicht überwinden können, und fand es doch arg und unerträglich, nach dem Peloponnes zu gehen, um sich, als Machthaber von Sizilien, von den Lazedämoniern Befehle erteilen zu lassen. Daher gab er diesen Weg auf und schlug einen andern ein. Sobald er nämlich Kunde hatte von dem Übergang des Persers über den Hellespont, schickte er mit drei Fünfzigruderern den Kadmos, den Sohn des Skythes, einen Koër, nach Delphi und gab ihm viele Schätze und freundliche Reden zu dem Zwecke mit, daß er abwarte, wie der Krieg ausfalle, und wenn der Barbar siege, ihm die Schätze gebe samt Erde und Wasser von Gelons Gebiet; wenn aber die Hellenen siegten, sollte er sie wieder mitbringen.

164. Dieser Kadmos hatte vor dieser Zeit, nachdem er die Machthaberschaft in Kos von seinem Vater in gutem Stande übernommen hatte, aus freiem Willen und ohne jede Nötigung, nur aus Gerechtigkeitssinn, die Regierung dem Volke von Kos übergeben und war nach Sizilien gegangen. Da gewann und besetzte er nun mit den Samiern die Stadt Zankle, die ihren Namen in Messana änderte. Diesen Kadmos also, der auf solche Art nach Sizilien gekommen war, nahm jetzt Gelon, um des Gerechtigkeitssinns willen, den er längst an ihm kannte, zum Gesandten, und derselbe hinterließ zu alledem, was er sonst schon Gerechtes getan hatte, auch in diesem Falle nicht eben den geringsten Beweis. Er war im Besitz großer Schätze, die ihm Gelon anvertraut hatte, und es stand ihm frei, sie zu unterschlagen, aber er wollte das nicht; sondern kam, nachdem die Hellenen in der Seeschlacht gesiegt hatten und Xerxes davon floh, wieder nach Sizilien und brachte alle die Schätze zurück.

164. Messana: Messina.

 

165. Die Einwohner Siziliens erzählen noch, daß Gelon sogar bereit gewesen wäre, sich von den Lazedämoniern Befehle geben zu lassen, und den Hellenen Waffenhilfe geleistet hätte, wenn nicht Terillos, der Sohn des Krinippos, der Machthaber von Himera, der durch Theron, den Sohn des Ainesidemos, den Herrscher von Akragas, aus Himera vertrieben war, um dieselbe Zeit dreißigmal zehntausend Mann, Phönizier und Libyer, Iberer, Ligyer und Helisyken, Sardonier und Kyrnier, unter dem Feldherrn Amilkas, dem Sohne Annons und Könige der Karthager, ins Land geführt hätte. Diesen hatte Terillos auf seine Gastfreundschaft hin dazu bewogen, war dabei aber eifrig unterstützt worden von Anaxilaos, dem Sohne des Kretines, der als Machthaber von Rhegion dem Amilkas seine eigenen Kinder zu Geiseln gab, um ihn gegen Sizilien heranzuziehen und damit seinem Schwiegervater zu helfen; denn Anaxilaos hatte eine Tochter des Terillos, mit Namen Kydippe, zur Frau. So wäre also Gelon außerstande gewesen, den Hellenen Waffenhilfe zu leisten, und habe deshalb die Schätze nach Delphi geschickt.

165. Akragas: Girgenti. – Iberer: Spanier, Ligyer: Ligurer, Sardonier: Sardinier, Kyrnier: Korsen. Die Heliysken scheinen ein ligurischer Stamm zu sein. Das karthagische Söldnerheer hatte bereits dieselbe Zusammensetzung wie die Heere, mit denen beinahe drei Jahrhunderte später Hannibal die Römer bekämpfte. Amilkas ist Hamilkar, der Name bedeutet »Gnade des Melkart«, des Stadtgottes, den wir häufiger Baal genannt finden. Hannibal heißt »Gnade des Baal«. König von Karthago war Hamilkar nicht, verfügte aber als Heerführer über eine Machtstellung, die einem griechischen Beobachter diesen Gedanken nahelegen mußte, weil die griechischen Tyrannen sich in der Hauptsache auf ihre Söldner stützten, meist nur auf einige tausend Mann. Ob Hamilkar wirklich 300 000 Mann befehligte, steht dahin; jedenfalls waren es unendlich viel mehr, als jemals einem griechischen Tyrannen zur Verfügung standen. – Rhegion: Reggio.

 

166. Dazu behaupten sie auch noch, daß gerade an demselben Tage in Sizilien Gelon und Theron den Karthager Amilkas und in Salamis die Hellenen den Perser besiegt hätten. Ferner höre ich, daß Amilkas, der ein Karthager von Vater-, ein Syrakuser von Mutterseite und wegen seiner Mannhaftigkeit König der Karthager war, während des Treffens, wie er in der Schlacht unterlag, verschwunden sei; denn nicht lebend, nicht tot habe er sich auf der ganzen Erde wiedergefunden, so eifrig Gelon auch allerwärts nach ihm suchen ließ.

166. Das Zusammentreffen der Kämpfe auf Sizilien gegen die Karthager mit dem Abwehrkampf der Griechen gegen Xerxes in demselben Jahre 480 v. Chr. wurde von der Tradition rasch dahin übertrieben, daß man behauptete, die Schlacht bei Himera habe an demselben Tage wie die bei Salamis oder, nach dem Berichte Diodors (1. Jh. v. Chr.), wie die Kämpfe bei den Thermopylen stattgefunden. – Die Sage vom Verschwinden Hamilkars, der eine griechische Mutter hatte, scheint andeuten zu wollen, daß sich das Karthagische und das Griechische in ihm gegenseitig umgebracht hätten. Deshalb gibt Herodot vor dieser griechischen Sage der karthagischen Überlieferung (Kapitel 167) vom Opfertode Hamilkars den Vorzug.

 

167. Nun hört man von den Karthagern selbst folgende Sage, die mir wahrscheinlich vorkommt: Die Barbaren hätten sich mit den Hellenen in Sizilien vom Morgen bis an den Spätabend geschlagen – denn so lange, sagt man, zog der Kampf sich hin – und Amilkas sei in dieser Zeit im Lager gewesen und habe um günstige Zeichen geopfert, indem er auf einem großen Scheiterhaufen ganze Leiber verbrannte; dann aber habe er, als er die Flucht der Seinigen sah, da er eben das Opfer weihte, sich selbst ins Feuer gestürzt. So sei er verbrannt und verschwunden. Diesem Amilkas, der da verschwand, sei's auf die Art, wie die Phönizier, oder auf die andere, wie die Syrakuser es berichten, bringen die Karthager Opfer dar und haben ihm auch Denkmale errichtet in allen ihren Pflanzstädten und das größte in Karthago selbst. So viel denn von Sizilien!

167. Die Opfer und die Standbilder waren nicht dem Hamilkar, sondern dem Melkart geweiht. Weil Hamilkar nach ihm hieß, haben die Griechen ihn mit dem Gotte verwechselt.

 

168. Ich berichte nun die Antwort, welche die Kerkyräer den Gesandten gaben, und ihr tatsächliches Verhalten. Dieselben Gesandten, die nach Sizilien kamen, suchten auch sie mit denselben Worten, die sie zu Gelon sagten, als Bundesgenossen zu gewinnen. Darauf versprachen diese sogleich Hilfsendung und Mehrleistung, mit der Erklärung, sie dürften nicht gleichgültig zusehen bei Hellas' Untergang; denn wenn es falle, so wären ja auch sie sicherlich am nächsten Tag schon Knechte; also müßten sie mitkämpfen nach besten Kräften. So gaben sie denn eine wohlscheinende Antwort; wie es aber galt, die Waffenhilfe zu leisten, da bemannten sie mit anderem Sinne sechzig Schiffe, kamen fast nicht zum Auslaufen und zogen sich an den Peloponnes, wo sie vor Pylos und Tainaron im Lazedämonischen ihre Schiffe auf hohem Meere verankerten, um gleichfalls abzuwarten, wie der Krieg ausfiele, indem sie gar nicht hofften, daß die Hellenen siegen würden, sondern glaubten, der Perser werde bei weitem Meister bleiben und Herr von ganz Hellas werden. Drum machten sie's mit Vorbedacht so, damit sie zum Perser sagen könnten, wie folgt: »König, obwohl uns die Hellenen angingen um Beistand in diesem Kriege, auch unsere Macht nicht die schwächste ist, wir auch nicht die kleinste Zahl von Schiffen hätten stellen können, sondern die größte nächst den Athenern, haben wir dir doch nicht entgegentreten, noch etwas Mißfälliges tun wollen.« Wenn sie solches sagten, hofften sie, vor allen andern in Vorteil zu kommen, und das wäre auch geschehen, wie ich glaube. Für die Hellenen aber hatten sie schon einen Vorwand bereit, dessen sie sich dann wirklich bedienten. Als nämlich die Hellenen sie beschuldigten, keine Waffenhilfe geleistet zu haben, gaben sie an, daß die sechzig Schiffe bemannt, aber wegen der Etesien nicht imstande gewesen seien, um Malea herumzukommen. Deshalb seien sie nicht nach Salamis gekommen, nicht aber aus Schlechtigkeit weggeblieben vom Seekampf. So täuschten diese die Hellenen.

168. Etesien: Die vom Juli bis zum September wehenden Nordostwinde. Die Schlacht bei Salamis wurde am 20. September geliefert.

 

169. Als die damit beauftragten Hellenen die Kreter zu gewinnen suchten, handelten diese folgendermaßen: Sie sandten im Namen aller Gotteskundschafter nach Delphi und befragten den Gott, ob es ihnen frommen werde, für Hellas zu kämpfen. Die Pythia aber antwortete: »Ihr Törichten, denkt daran, wie viele Trübsale Minos wegen eures Kampfes für Menelaos über euch verhängt hat in seinem Zorn, weil jene seinen Tod in Kamikos nicht mitgerächt hatten, ihr aber mit ihnen den Raub des Weibes aus Sparta durch einen Barbaren.« Als den Kretern diese Antwort gebracht wurde, enthielten sie sich mitzukämpfen.

170. Es geht nämlich die Sage, Minos sei, um den Dädalus aufzufinden, nach Sikanien, das jetzt Sizilien heißt, gekommen und da eines gewaltsamen Todes gestorben. In der Folgezeit seien nun die Kreter auf göttlichen Antrieb sämtlich, außer den Polichniten und Praisiern, in einem großen Zuge nach Sikanien gekommen und hätten fünf Jahre lang die Stadt Kamikos belagert, die zu meiner Zeit Akragantiner innehatten; da sie dieselbe aber nicht nehmen und wegen der Hungersnot nicht länger bleiben konnten, seien sie schließlich wieder abgefahren. Wie sie aber bei Japygien gewesen seien auf ihrer Fahrt, habe sie ein großer Sturm ergriffen und ans Land geworfen. Und da sie nach Zertrümmerung ihrer Fahrzeuge kein Mittel absahen, nach Kreta zurückzukommen, hätten sie daselbst die Stadt Hyria gegründet und seien dageblieben und aus Kretern japygische Messapier, aus Inselbewohnern Festlandsbewohner geworden. Von Hyria aus haben sie dann die andern Städte angelegt, welche die Tarentiner in viel späterer Zeit verheerten und dabei einen großen Stoß erlitten, so daß dies die größte hellenische Niederlage war unter allen, von denen wir wissen, für die Tarentiner selbst und für die Bürger von Rhegion. Diese hatte Mikythos, der Sohn des Choiros, gezwungen, den Tarentinern zur Hilfe zu ziehen, und sie kamen dabei um, dreitausend an der Zahl; von den Tarentinern selbst aber war's eine Unzahl. Dieser Mikythos war aber, als ein Diener des Anaxilaos, nach dessen Tode Verwalter von Rhegion und ist derselbe, der nach seiner Vertreibung aus Rhegion und seiner Niederlassung im arkadischen Tegea die vielen Bildsäulen in Olympia geweiht hat.

170. Eines gewaltsamen Todes: Die Töchter des Kokalos, des Königs von Kamikos, waren in Dädalus verliebt und erschlugen Minos, der seine Auslieferung forderte, im Bade. Kamikos lag auf dem Felsen, an dessen Fuße später Akragas gegründet wurde. – Japygien: Die östliche Halbinsel, in die Unteritalien ausläuft. – Die größte hellenische Niederlage: Wenn Herodot den Untergang der athenischen Expedition nach Sizilien erlebt hätte (413 v. Chr.), hätte er das nicht gesagt.

 

171. Doch das von Rhegion und Tarent Erzählte ist nur ein Beiwerk in meiner Geschichte. In das verödete Kreta aber seien, wie die Praisier sagen, andere Völker eingewandert und namentlich Hellenen. Im dritten Geschlecht nach Minos' Tode sei der Trojanische Krieg gekommen, in dem sich die Kreter nicht als die schlechtesten Mitkämpfer des Menelaos gezeigt hätten. Dafür sei nun nach ihrer Rückkehr aus Troja Hunger und Pest über sie und ihr Vieh gekommen, so daß Kreta zum zweitenmal verödete und nebst den Überbliebenen die jetzigen Kreter seine dritten Bewohner seien. Daran erinnerte sie nun die Pythia und hielt sie ab, als sie den Hellenen beistehen wollten.

171. Mitkämpfer des Menelaos: Idomeneus, den Homer (»Ilias«, XII, 451-454) rufen läßt:
Minos darauf erzeigte Deukalions heilige Stärke;
Aber Deukalion mich, der unzähligen Menschen gebietet
Weit in Kretas Gefild; allein jetzt segelt' ich hierher,
Dir und dem Vater zum Weh und anderen Söhnen von Troja.

 

172. Die Thessalier aber wurden zuerst notgedrungen medisch; denn sie zeigten, daß ihnen nicht gefiel, was die Aleuaden anstellten. Sobald sie nämlich Kunde hatten, der Perser wolle nach Europa übergehen, schickten sie gleich Gesandte nach dem Isthmos. Auf dem Isthmos waren aber die Bundesräte versammelt, die erwählt worden waren aus den Städten, die gutgesinnt waren für Hellas. Zu diesen kamen nun die Gesandten der Thessalier und sagten: »Männer von Hellas, ihr müßt den olympischen Paß bewachen, der die Schutzwehr des Krieges ist für Thessalien und ganz Hellas. Wir sind wohl bereit, ihn mitzubewachen; aber ihr müßt auch ein zahlreiches Heer schicken oder, wenn ihr keins schickt, darauf gefaßt sein, daß wir einen Vertrag mit dem Perser schließen. Denn das kann nicht sein, daß wir in der weiten Entfernung, in der wir von dem übrigen Hellas wohnen, allein sterben für euch. Ihr seid, wenn ihr uns nicht helfen wollt, auf keine Weise imstande, uns dazu zu zwingen; denn es gibt keinen Zwang, der stärker wäre als die Unmöglichkeit, und wir werden dann selbst die Anstalten zu unserem Heil zu treffen suchen.«

173. Das sagten die Thessalier. Die Hellenen aber faßten daraufhin den Beschluß, nach Thessalien auf dem Seeweg ein Landheer zur Bewachung des Passes zu schicken. Als dieses Heer beisammen war, fuhr es durch den Euripos, stieg dann bei Alos in Achaia ans Land, ließ dort die Schiffe zurück, zog durch Thessalien und kam so nach Tempe in den Paß, der aus dem untern Mazedonien nach Thessalien hineinführt längs dem Flusse Peneios, der zwischen dem Olymp und dem Ossa hindurchfließt. Da lagerten die Schwerbewaffneten der Hellenen, insgesamt etwa zehntausend, und dazu kam noch die Reiterei der Thessalier. Feldherren waren von den Lazedämoniern Euainetos, der Sohn des Karenos, aus den Polemarchen erwählt, jedoch nicht von königlichem Geschlecht, und von den Athenern Themistokles, der Sohn des Neokles. Sie blieben dort aber nur wenige Tage. Denn Boten kamen von Alexandros, dem Sohne des Amyntas, dem Mazedonier, und rieten ihnen, abzuziehen und nicht in dem Passe zu bleiben, da sie von dem anrückenden Heervolk zertreten werden müßten. Dazu machten sie Angaben über die Menge des Heeres und der Schiffe. Wie nun diese ihnen so rieten, dünkte es ihnen ein guter Rat, und sie sahen ein, daß der Mazedonier wohlgesinnt war, und folgten ihm. Meines Dafürhaltens aber war der Hauptgrund Bangigkeit, da sie erfuhren, daß es noch einen andern Paß nach Thessalien gibt beim obern Mazedonien, herab durchs Perrhaibische, bei der Stadt Gonnos, wo auch wirklich das Heer des Xerxes eindrang. Die Hellenen stiegen also wieder zu Schiffe und fuhren zurück nach dem Isthmos.

173. Das Militärische liegt Herodot fern. Die weiten Ebenen Thessaliens machten einen Rückzug unmöglich, da die Perser über eine gewaltige Reitermasse verfügten. Deshalb war es untunlich, eine Verteidigungsstellung am Olymp zu beziehen. Man hätte die dort aufgestellten Truppen dem sichern Untergange preisgegeben.

 

174. Dieser Zug nach Thessalien geschah, als der König eben aus Asien nach Europa übergehen wollte und bereits in Abydos war. Die Thessalier aber wurden jetzt erst, als sie die Bundesgenossen im Stiche gelassen hatten, mit ganzem Willen medisch, und zwar nunmehr so rückhaltlos, daß sie sich dem König höchst nützlich bei seinem Vorhaben zeigten.

175. Als die Hellenen auf dem Isthmos ankamen, berieten sie auf Grund dessen, was sie von Alexandros gehört hatten, wie sie den Krieg führen wollten und an welchen Orten. Die siegende Meinung war nun, den Paß bei den Thermopylen zu halten; denn er war offenbar enger als der nach Thessalien und zugleich ihrer Heimat näher. Von dem Fußsteig aber, durch den die Hellenen dann in den Thermopylen umzingelt wurden, wußten sie noch gar nichts vor ihrer Ankunft bei den Thermopylen, wo sie's erst von den Trachiniern erfuhren. Diesen Paß also beschlossen sie zu verteidigen und den Barbaren nicht nach Hellas hereinzulassen. Das Schiffsheer sollte zugleich bei Artemision in der Histiaiotis Aufstellung nehmen; denn diese Punkte sind einander nah, also daß jede Kunde von einem zum andern kommen kann, und zwar sieht das Gelände folgendermaßen aus.

175. Von dem Fußsteig wußten sie noch gar nichts: Der unvollkommene Aufklärungsdienst setzt uns bei allen antiken Schlachtberichten in Erstaunen.

 

176. Das Artemision nähert sich dem thrazischen Meer, wo es einen engen Sund zwischen der Insel Skiathos und dem Festland von Magnesia bildet. Nach diesem Sunde kommt gleich das Artemision der euböischen Flachküste mit dem Heiligtum der Artemis. Der Weg, der aus Trachis nach Hellas führt, ist an der engsten Stelle ein halbes Plethron breit. Dort ist aber nicht die engste Stelle in der ganzen Gegend, sondern vor und hinter den Thermopylen, nämlich bei Alpenoi, hinter ihnen, nur eine Wagenbreite, und vor ihnen, beim Flusse Phoinix, nahe der Stadt Anthela, wieder nur eine Wagenbreite. Gen Abend aber steht an den Thermopylen ein unzugänglicher, steiler und hoher Berg, der in den Öta ausläuft, und gegen Morgen schließen sich an den Weg das Meer und Sümpfe. In diesem Eingang aber sind warme Quellen, welche die Eingebornen Chytroi nennen, und dabei ist ein Altar des Herakles errichtet. Bei diesem Passe war eine Mauer erbaut, in der vor alters ein Tor war. Diese Mauer haben Phoker aus Furcht vor den Thessaliern erbaut, als diese aus Thesprotien kamen, um das äolische Land einzunehmen, das sie jetzt besitzen. Weil nun die Thessalier Versuche machten, sie zu unterwerfen, bauten dem die Phoker vor und leiteten auch damals das warme Wasser in den Paß, damit der Boden zerklüftet würde, indem sie alles aufboten, damit die Thessalier nicht in ihr Land eindrängen. Die alte Mauer nun war in grauer Vorzeit erbaut und schon größtenteils durch die Zeit zusammengefallen. Sie aber hielten es für gut, sie wieder aufzurichten und hier den Barbaren von Hellas abzuwehren. Auch ist nächst dem Weg ein Flecken, Alpenoi mit Namen, und daraus gedachten die Hellenen ihre Lebensmittel zu beziehen.

176. Chytroi heißt Kochtöpfe. Hier sind damit die beiden Bassins für Männer und Frauen gemeint, in die man die dem Herakles geweihten warmen Quellen gefaßt hatte. Herakles sollte sich auf dem Öta verbrannt haben, als ihn seine Gattin Dejaneira mit dem Nessusgewande vergiftet hatte.

 

177. Diese Orte fanden also die Hellenen geeignet. Denn nach reiflichem Vorbedacht und in der Erwägung, daß die Barbaren da weder ihre Menge noch ihre Reiterei würden brauchen können, beschlossen sie, den auf Hellas anrückenden Feind hier zu empfangen. Sobald sie erfuhren, der Perser sei in Pierien, gingen sie auf dem Isthmos auseinander und zogen in den Krieg, die einen zu Lande nach den Thermopylen, die andern zur See nach Artemision.

178. Die Hellenen rückten also schleunigst zur Verteidigung in die ihnen angewiesenen Stellungen. Die Delphier aber fragten in der Zeit ihren Gott um einen Spruch, aus banger Besorgnis für sich und für Hellas. Da ward ihnen der Spruch, sie sollten die Winde anrufen; denn diese würden mächtige Bundesgenossen für Hellas sein. Diese Weissagung nahmen die Delphier an und machten zunächst den Hellenen, welche die Freiheit wollten, ihren Spruch kund. Damit stifteten sie sich bei der argen Angst derselben vor dem Barbaren einen unsterblichen Dank. Ferner widmeten die Delphier den Winden einen Altar in Thyia, wo die Tochter des Kephisos, Thyia, ihren heiligen Bezirk hat, von der auch der Ort seine Benennung hat, und brachten ihnen Opfer dar. Die Delphier verehren übrigens dem Götterspruch gemäß die Winde noch jetzt.

179. Das Schiffsheer des Xerxes aber ließ beim Aufbruch aus der Stadt Therma die zehn bestsegelnden Schiffe gerade nach der Insel Skiathos hinüberfahren, bei der drei hellenische Schiffe auf der Vorhut lagen, ein troizenisches, ein äginetisches und ein attisches. Sobald diese die Schiffe der Barbaren gewahrten, ergriffen sie die Flucht.

180. Das troizenische nun, das Prexinos befehligte, fiel den verfolgenden Barbaren gleich in die Hände. Sofort faßten sie den Schönsten von der Mannschaft und schlachteten ihn am Schnabel des Schiffes, indem sie's zum guten Zeichen nahmen, daß ihr erster hellenischer Gefangener auch der schönste war. Der Name dieses Geschlachteten aber war Leon, und vielleicht hatte er's auch seinem Namen zu verdanken.

181. Das äginetische aber, dessen Befehlshaber Asonides war, machte ihnen noch heiß, da sich unter seiner Mannschaft Pytheas, der Sohn des Ischenoos, an diesem Tage als der wackerste Mann zeigte, der sich bei der Enterung des Schiffes so lange hartnäckig schlug, bis er ganz zerfetzt war. Wie er nun fiel, ohne tot zu sein, und noch Leben in sich hatte, so war es der persischen Schiffsmannschaft wegen seiner Tapferkeit überaus um seine Erhaltung zu tun, indem sie seine Wunden mit Myrrhen pflegten und sie mit Streifen von Byssoslinnen umwickelten. Als sie dann in ihr Lager zurückkamen, zeigten sie ihn voll Bewunderung dem ganzen Heere und behandelten ihn gut, während sie die andern Gefangenen dieses Schiffes als Sklaven behandelten.

182. Zwei dieser Schiffe wurden so erobert, das dritte aber, dessen Befehlshaber Phormos, ein Athener, war, geriet auf der Flucht in der Peneiosmündung auf den Strand, und das Fahrzeug kriegten die Barbaren, die Männer aber nicht. Denn sobald die Athener mit ihrem Schiffe gestrandet waren, sprangen sie heraus und nahmen ihren Weg durch Thessalien nach Athen. Davon bekamen nun die Hellenen, die bei Artemision lagen, Kunde durch Feuerzeichen aus Skiathos. Auf diese Kunde ward ihnen aber bang, so daß sie ihren Standort von Artemision weg nach Chalkis verlegten, wo sie den Euripos bewachen wollten, und auf den Höhen von Euböa Tageswächter zurückließen.

182. Tageswächter: Späher, die von den Bergen aus das Anrücken der Feinde beobachteten. In der Nacht konnten sie nur Vorgänge in der Nähe wahrnehmen.

 

183. Von den zehn Schiffen der Barbaren aber fuhren drei zu der Sandbank zwischen Skiathos und Magnesia, die Myrmex heißt. Dort richteten die Barbaren eine Steinsäule auf, die sie auf die Sandbank brachten, und fuhren dann, nachdem sie das Fahrthindernis unschädlich gemacht hatten, mit allen Schiffen von Therma aus heran, elf Tage nach des Königs Auszug aus Therma. Die Sandbank aber, die gerade in der Meeresstraße liegt, zeigte ihnen Pammon von Skyros. Nachdem sie den ganzen Tag gefahren waren, langten die Barbaren bei Sepias im Magnesischen und der Flachküste zwischen der Stadt Kasthanaia und dem Vorgebirge Sepias an.

183. Myrmex heißt Ameise. – Die Stadt Kasthanaia lebt im Namen des Kastanienbaumes fort. Die Küste ist dort mit Kastanienwäldern bedeckt.

 

184. Bis zu diesem Orte nun und bis zu den Thermopylen blieb das Heer ohne Schaden, und seine Menge war dazumal noch, wie ich herausbekomme, von folgender Größe. Auf den Schiffen aus Asien, deren eintausendzweihundertsieben waren, befand sich ursprünglich eine Besatzung von vierundzwanzigmal zehntausend und dazu eintausendvierhundert Mann, wenn man je zweihundert Mann auf ein Schiff rechnet. Als Seesoldaten waren aber auf diesen Schiffen außer der Mannschaft des Volkes, von dem sie herkamen, noch von Persern, Medern und Sakern je dreißig Mann. Dies ergibt eine zweite Anzahl von dreimalzehntausend und sechstausend und dazu zweihundertzehn Mann. Zu dieser und der ersten Zahl will ich nun auch die Leute aus den Fünfzigruderern hinzutun, für die ich durchschnittlich je achtzig Mann annehme. Nun zählten diese Fahrzeuge zusammen, wie ich schon oben bemerkt habe, dreitausend. Da haben wir also auf ihnen vierundzwanzigmal zehntausend Mann. Das war denn das Schiffsheer aus Asien, im ganzen einundfünfzigmal zehntausend und darüber siebentausendsechshundertzehn Mann. Das Fußvolk aber kam auf hundertundsiebzigmal zehntausend Mann und die Reiter auf achtmal zehntausend Mann. Zu diesen will ich nun auch die Araber auf den Kamelen und die Libyer auf den Wagen hinzutun, deren Menge ich zu zweimal zehntausend Mann annehme. So gibt denn die Menge der Schiffsleute und des Landheeres, zusammengenommen, zweihunderteinunddreißigmal zehntausend und dazu siebentausendsechshundertzehn Mann. Das wäre also das Heervolk aus Asien selbst, uneingerechnet das Dienstgefolge und die Vorratsfahrzeuge mit denen, die darauf fuhren.

185. Nun ist aber auch das aus Europa mitgenommene Kriegsvolk zu dieser Gesamtzahl noch hinzuzurechnen. Das muß ich nach Mutmaßung angeben. An Schiffen nämlich stellten die Hellenen in Thrazien und auf den Inseln bei Thrazien hundertzwanzig. Aus diesen ergeben sich denn zweimal zehntausend und viertausend Mann. An Landmacht aber, wie sie die Thrazier stellten und die Paionen, Eorder und Bottiaier und das chalkidische Volk und die Bryger, die Pierier, Mazedonier, Perrhaiber, Ainianen, Doloper, Magnesier und Achäer und all die Völker an der Küste von Thrazien, da geben diese Völker, wie ich mutmaße, dreißigmal zehntausend Mann. All diese Zehntausende nun zu jenen aus Asien hinzugetan, kommt der ganze Kriegshaufen auf zweihundertvierundsechzigmal zehntausend, und darüber sechzehnhundertzehn Mann.

186. So groß nun die Zahl dieses Kriegsvolkes ist, so war doch die der Dienerschaft, die ihm folgte, der Leute auf den Getreideschiffen, und dann erst noch der auf den andern Fahrzeugen, die mit dem Heer fuhren, zusammen, wie ich mutmaße, nicht geringer als die der Kriegsleute, sondern größer. Ich lasse sie aber auch nur ebenso viele sein, nicht mehr, noch weniger: so sind sie denn ebenso zahlreich wie das Kriegsvolk und machen ebensoviele Zehntausende aus. Also hat Xerxes, der Sohn des Dareios, bis nach Sepias und den Thermopylen fünfhundertachtundzwanzigmal zehntausend und dreitausendzweihundertzwanzig Mann gebracht.

187. Das ist also die Zahl des gesamten Heeres des Xerxes. Die Zahl der Köchinnen aber und Kebsweiber und Verschnittenen kann niemand mit Bestimmtheit angeben. Ebensowenig läßt sich eine Zahl für das Zugvieh und die andern Lasttiere und die indischen Hunde, die mitkamen, angeben. Dazu waren es viel zuviel. So nimmt es mich gar nicht wunder, daß den Flüssen bisweilen das Wasser ausging; vielmehr aber, wie die Lebensmittel zureichten – das ist mir ein Wunder – für so viele Zehntausende. Denn ich bringe heraus, daß, wenn jeder Mann einen Choinix Weizen am Tage faßte und nichts drüber, elfmal zehntausend Scheffel an jedem Tag aufgingen und dazu noch dreihundertvierzig Scheffel. Dabei rechne ich für die Weiber und die Verschnittenen, das Zugvieh und die Hunde noch gar nichts. Unter so vielen Zehntausenden von Männern aber war wirklich an Schönheit und Größe keiner würdiger als Xerxes, Herr dieser Macht zu sein.

188. Das Schiffsheer war also ausgelaufen und hatte bei Magnesia an der Küste zwischen Kasthanaia und dem Vorgebirge Sepias haltgemacht; hier legten sich nun die vordersten Schiffe ans Land, die andern aber hinter ihnen vor Anker. Denn wegen des geringen Umfangs der Küste mußten sie staffelweise, acht Schiffe hintereinander, im Meere ankern. So blieb's für diese Nacht. Mit der Frühe aber, als auf einmal nach heiterer Luft und Windstille das Meer hoch ging, überfiel sie ein großer Sturm und starker Ostwind, der Hellesponter, wie ihn die Leute in jenen Gegenden nennen. Die nun, die das Anschwellen des Windes merkten, und deren Ankerplatz danach war, zogen noch vor dem Sturm ihre Schiffe ans Land und retteten sich samt ihren Schiffen. Die Schiffe aber, die er frei erfaßte, schleuderte er zum Teil auf die sogenannten Rauchfänge am Pelion, zum Teil auf die Küste; andere scheiterten am Sepias selbst; andere wurden bei der Stadt Meliboia, andere bei Kasthanaia auf den Strand geschleudert. Es war ein greulicher Sturm.

189. Es geht auch eine Sage, daß die Athener auf göttliche Weisung den Boreas herbeigerufen hätten, indem ihnen noch eine Weissagung zukam, sie sollten ihren Schwager zu Hilfe rufen. Boreas aber hat nach der Sage der Hellenen eine attische Frau, die Oreithyia, die Tochter des Erechtheus. Aus dieser Verwandtschaft also schlossen die Athener, wie die Sage berichtet, daß Boreas ihr Schwager sei. Daher opferten sie in ihrem Schiffslager bei Chalkis auf Euböa, wie sie das Anschwellen des Sturmes bemerkten, oder auch schon früher und riefen den Boreas und die Oreithyia an, ihnen zu helfen und die Schiffe der Barbaren zu zerstören, wie früher beim Athos. Ob nun deswegen Boreas die Barbaren, als sie vor Anker lagen, überfiel, weiß ich nicht zu sagen; allein die Athener behaupten, Boreas habe ihnen früher Hilfe geleistet und auch damals dies getan: bei ihrer Heimkunft stifteten sie dem Boreas ein Heiligtum beim Fluß Ilissos.

189. Boreas (der Nordwind) entführte Oreithyia, die Tochter des mythischen Königs Erechtheus, des Stammvaters der Athener, war also ihr Schwager. Oreithyia heißt die Bergschwärmerin und bedeutet die am Berge umherziehende Wolke.

 

190. In dieser Not sind nach der geringsten Angabe nicht weniger als vierhundert Schiffe zugrunde gegangen und unzählige Menschen und eine schwere Menge von Schätzen, so daß dem Ameinokles, dem Sohne des Kretines, einem Magnesier, der bei Sepias Grundbesitz hatte, jener Schiffbruch zum großen Vorteil gereichte, da er viele goldene Trinkgefäße, die nachmals noch das Meer auswarf, in seine Hand bekam und viele silberne, auch Schatzkästen der Perser fand und sonst noch ganze Haufen Goldes erbeutete. So ward denn dieser, dem sonst das Glück nicht hold war, durch den Fund gewaltig reich. Denn auch er hatte seinen Kummer, da ihn ein unseliger Zufall sein eigenes Kind töten ließ.

191. Unzählige Getreideschiffe und andere Fahrzeuge gingen zugrunde, so daß die Feldherrn des Schiffsheeres fürchteten, in ihrem übeln Zustande von den Thessaliern angegriffen zu werden, und sich mit einem hohen Bollwerk aus Schiffstrümmern verschanzten. Denn der Sturm hielt drei Tage an. Endlich aber stellten die Magier durch Blutopfer und durch Beschwörung mit Zaubersängen für den Wind, dazu auch durch Opfer für Thetis und die Nereiden am vierten Tage die Ruhe her, oder der Sturm legte sich von selbst. Der Thetis aber opferten sie, weil sie von den Ioniern die Sage vernahmen, daß sie aus dieser Gegend von Peleus geraubt worden sei, und daß die ganze Sepiasküste ihr und den übrigen Nereiden gehöre. Am vierten Tag also legte sich der Sturm.

192. Zu den Hellenen aber kamen die Tageswächter von den euböischen Höhen am andern Tage nach dem Ausbruch des Sturmes heruntergelaufen und zeigten ihnen alles an, was sich bei dem Schiffbruch ereignet hatte. Da beteten sie auf diese Kunde zu Poseidon dem Retter und gossen ihm Spenden und segelten dann eiligst wieder nach Artemision, in der Hoffnung, es werde ihnen eine geringe Anzahl von Schiffen entgegenstehen. So kamen sie denn zum zweitenmal und lagerten bei Artemision, und seither haben sie bis heute die Benennung Poseidons des Retters im Brauch.

193. Die Barbaren aber zogen, als sich der Wind legte und die Meerflut sich ebnete, ihre Schiffe in See und fuhren längs dem Festlande hin, bis sie um die Landspitze von Magnesia herumbogen und geradeswegs in den Busen einfuhren, der nach Pagasai hineinläuft. In diesem Busen von Magnesia ist ein Ort, an dem nach der Sage Herakles von Jason und seinen Gefährten zurückgelassen wurde, als er aus der Argo nach Wasser ausgeschickl worden war, wie sie nach dem kolchischen Aia fuhren, um das Vlies zu holen. Hier wollten sie Wasser fassen und dann gleich abstoßen in die See, und davon hat der Ort den Namen »Abstoß« bekommen. Diesen also nahmen die Leute des Xerxes zum Ankerplatz.

194. Fünfzehn von diesen Schiffen nun fuhren gerade weit hinten und erblickten die Schiffe der Hellenen beim Artemision. Da glaubten die Barbaren, es wären die ihrigen, fuhren hin und gerieten unter die Feinde. Ihr Anführer war der Statthalter von Kyme in Äolien, Sandokes, der Sohn des Thamasios. Ihn hatte vormals König Dareios wegen folgender Schuld anpfählen lassen, da er einer der königlichen Richter war: Sandokes hatte um Geld ein ungerechtes Rechtsurteil gesprochen; als er nun schon hing, erwog und fand Dareios, daß seine Verdienste um das Haus des Königs größer als seine Fehler seien; wie Dareios dies fand und einsah, daß er selbst mehr schnell als weise verfahren sei, begnadigte er ihn. So war er denn beim König Dareios noch durchgekommen, ohne zu sterben; jetzt aber, als er unter die Hellenen geraten war, sollte er nicht zum zweitenmal so durchkommen. Denn als die Hellenen sie heranfahren sahen, merkten sie gleich den Irrtum, fuhren heraus und fingen sie leicht.

195. Auf einem dieser Schiffe ward Aridolis gefangen, der Machthaber von Alabanda in Karien: auf einem andern der paphische Feldherr Penthylos, der Sohn des Demonoos. Er führte zwölf Schiffe aus Paphos, verlor elf davon in dem Sturm bei Sepias und wurde mit dem einen noch übrigen bei Artemision, als er hineinfuhr, gefangen. Diese schickten die Hellenen, nachdem sie von ihnen erfahren hatten, was sie vom Heere des Xerxes wissen wollten, gebunden nach dem Isthmos von Korinth.

196. Das Schiffsheer der Barbaren also kam außer den fünfzehn Schiffen, deren Führer, wie ich schon bemerkte, Sandokes war, in Aphetai (»Abstoß«) an. Xerxes aber war mit dem Landheer durch Thessalien und Achaia gezogen und bereits am dritten Tage ins Land der Malier eingerückt, nachdem er in Thessalien ein Wettrennen unter seinen Rossen angestellt hatte, bei dem er auch die thessalische Reiterei erproben wollte, da er gehört hatte, daß sie die beste in Hellas sei. Da waren die hellenischen Rosse weit dahinten geblieben. Von den Flüssen in Thessalien nun reichte der Onochonos allein dem Heere nicht zum Trinken zu mit seinem Wasser; von den Flüssen aber, die in Achaia fließen, reichte auch der größte darunter, der Apidanos, nur spärlich hin.

197. Als Xerxes nach Alos in Achaia kam, sagten ihm die Wegweiser, die ihm alles erzählen wollten, die Landessage von dem Heiligtum des Zeus Laphystios: wie es Athamas, der Sohn des Aiolos, mit Ino auf den Untergang des Phrixos angelegt habe, und daß deshalb die Achäer nach einem Götterspruch seinen Nachkommen folgende Fährlichkeit auferlegen. Wer immer der Älteste dieses Geschlechtes ist, dem gebieten sie, vom Gemeindehaus wegzubleiben, und halten selbst Wache davor. Die Achäer nennen aber das Gemeindehaus Leiton. Wenn er nun hineingeht, so kommt er auf keine Weise eher heraus, als wenn er geopfert wird. Daher sind schon viele von diesen, die da geopfert werden sollten, aus Furcht davor in ein anderes Land entwichen. Aber man berichtet auch von denen, die im Lauf der Zeit wieder heimkommen, daß jeder, der betroffen werde über dem Hineingehen ins Gemeindehaus, geopfert werde, ganz mit Kränzen umwunden und von einem Festzug hinausbegleitet. Dieses ruht auf den Nachkommen des Kytissoros, des Sohnes Phrixos', weil einst, als die Achäer nach einem Götterspruch den Athamas, den Sohn des Aiolos, zu einem Sühnopfer für das Land nahmen und schon opfern wollten, ebenjener Kytissoros aus Aia in Kolchis ankam und ihn erlöste, wodurch er auf seine Nachkommenschaft den Zorn des Gottes herabzog. Sobald das Xerxes hörte, blieb er, als er an den Hain kam, selbst davon weg und verbot auch dem ganzen Heere, ihn zu betreten; er hielt auch das Haus der Nachkommen des Athamas ebenso heilig wie den Bezirk.

197. Laphystios heißt der Verschlinger. Weil Athamas auf das Verlangen seiner zweiten Gattin Ino seinen Sohn Phrixos hatte opfern wollen, wurde immer der älteste Sohn des Geschlechts von den Bürgerrechten ausgeschlossen. Versuchte er trotzdem, ins Rathaus einzudringen, so wurde er dem Zeus Laphystios geopfert. Das geschah, obwohl Phrixos dem Anschlage des Athamas und der Ino entgangen war und sich auf dem goldenen Widder nach Kolchis gerettet hatte. Vielmehr rief der Sohn des Phrixos gerade dadurch, daß er das Opfer abschaffen wollte, den Zorn der Götter wach, und man wandte das Gesetz gerade auf seine Nachkommen an.

 

198. Das geschah in Thessalien und in Achaia. Aus diesen Gegenden aber zog er ins Malische längs dem Meerbusen hin, in dem jeden Tag Ebbe und Flut ist. An diesem Busen liegt ein ebenes Feld, auf der einen Seite breit, auf der andern ganz schmal, und an diesem Felde sind hohe und unzugängliche Berge, die das ganze malische Land einschließen. Man nennt sie die trachinischen Felsen. Die erste Stadt nun auf dem Weg an diesem Busen von Achaia her ist Antikyra, bei welcher der Fluß Spercheios, der von den Ainianen herfließt, ins Meer mündet. Von diesem gegen zwanzig Stadien weiter ist wieder ein Fluß, der Dyras heißt. Er kam nach gemeiner Sage hervor, um dem brennenden Herakles zu helfen. Von diesem wieder zwanzig Stadien weiter ist ein Fluß, der Melas heißt.

199. Die Stadt Trachis aber liegt von diesem Melasfluß fünf Stadien ab. Die breiteste Stelle dieser ganzen Gegend zwischen Bergen und Meer ist die, an der Trachis gelegen ist, nämlich eine Ebene von zweiundzwanzigtausend Plethren. Das Gebirge aber, welches das trachinische Land einschließt, hat eine Schlucht gegen Mittag von Trachis, und durch diese Schlucht fließt der Fluß Asopos längs dem Abhang des Gebirges.

200. Dann kommt aber wieder ein Fluß, der Phoinix, der nicht groß ist, gegen Mittag vom Asopos, aus diesen Bergen und ergießt sich in den Asopos. Bei diesem Fluß Phoinix ist die engste Stelle, nämlich nur eine Wagenbreite gebahnten Weges, und vom Phoinixfluß sind es fünfzehn Stadien nach den Thermopylen. Inmitten des Phoinix und der Thermopylen ist ein Flecken, mit Namen Anthela, an diesem vorüber fließt der Asopos ins Meer hinaus, und es ist ein breites Feld darum her, auf dem das Heiligtum der amphiktyonischen Demeter liegt und die Sitze der Amphiktyonen und ein Heiligtum des Amphiktyon selbst.

201. König Xerxes nun lagerte sich im Gebiete von Trachis im Malischen, die Hellenen aber in dem Paß. Dieser Ort wird von den meisten Hellenen Thermopylä genannt, von den Eingebornen aber und Umwohnern Pylä. Ihre Lager also hatten beide Teile an diesen Orten. Er war Herr von allem Land gegen den Nordwind bis Trachis, sie aber von dem ganzen Streifen dieses Festlandes gegen den Süd und Mittag.

201. Thermopylä heißt Warmwassertore.

 

202. Es waren aber folgende Hellenen, die an diesem Orte den Perser erwarteten: Von den Spartiaten dreihundert Schwerbewaffnete, von den Tegeaten und Mantineern tausend, beiderseits nämlich die Hälfte; aus Orchomenos in Arkadien hundertzwanzig und aus dem übrigen Arkadien tausend. So viele also waren aus Arkadien. Von Korinth aber waren es vierhundert, von Phlius zweihundert und von Mykenä achtzig. Die waren also vom Peloponnes gekommen. Von den Böotiern aber aus Thespiai siebenhundert und aus Theben vierhundert.

203. Dazu kamen, nachdem man sie dazu aufgefordert hatte, die opuntischen Lokrer mit ihrem ganzen Heerbann und tausend Phoker. Denn die Hellenen selbst hatten sie aufgerufen, indem sie ihnen sagen ließen, sie selbst kämen als Vorläufer der andern; die übrigen Bundesgenossen seien jeden Tag zu erwarten; auch sei die See in ihrer Hut, die bewacht werde von den Athenern und den Ägineten und allen, die sonst noch dem Schiffsheer zugeteilt seien. So hätten sie nichts zu fürchten; denn nicht ein Gott rücke an gegen Hellas, sondern ein Mensch, und es sei kein Sterblicher und werde keiner sein, dem nicht von seiner Geburt an auch sein Übel beschieden wäre, und dem Größten immer das größte. So müsse denn auch ihr Feind, als ein sterblicher Mann, gegen seinen Sinn zu Fall kommen. Als sie das hörten, zogen sie zur Hilfe nach Trachis.

204. Die hatten nun ihre besonderen Feldherren, jede aus ihrer Stadt; der meistbewunderte aber und der Führer des gesamten Heeres war der Lazedämonier Leonidas, der Sohn des Anaxandridas, des Sohnes des Leon, des Sohnes des Eurykratidas, des Sohnes des Anaxandros, des Sohnes des Eurykrates, des Sohnes des Polydoros, des Sohnes des Alkamenes, des Sohnes des Teleklos, des Sohnes des Archelaos, des Sohnes des Agesilaos, des Sohnes des Doryssos, des Sohnes des Leobotes, des Sohnes des Echestratos, des Sohnes des Agis, des Sohnes des Eurysthenes, des Sohnes des Aristodemos, des Sohnes des Aristomachos, des Sohnes des Kleodaios, des Sohnes des Hyllos, des Sohnes des Herakles. Der war König in Sparta geworden wider Vermuten.

204. Leonidas heißt Löwensohn. Er wird von Herodot in besonderer Weise geehrt, indem seine sämtlichen männlichen Ahnen bis zu dem mythischen Stammvater Herakles genannt werden.

 

205. Da er nämlich zwei ältere Brüder hatte, den Kleomenes und den Dorieus, war ihm der Gedanke ans Königtum benommen. Da aber Kleomenes ohne männliche Nachkommenschaft starb und Dorieus nicht mehr am Leben war, sondern auch geendet hatte in Sizilien, kam nunmehr das Königtum an den Leonidas, sowohl weil er eher geboren war als Kleombrotos (denn das war der jüngste Sohn des Anaxandridas), als auch weil er des Kleomenes Tochter hatte. Er ging also jetzt nach den Thermopylen mit seinen dreihundert Erlesenen, die auch alle Kinder hatten. Er nahm dahin auch die Thebaner mit, die ich mitaufgezählt habe; deren Feldherr war Leontiades, der Sohn des Eurymachos. Diese hatte Leonidas von den Hellenen mitzunehmen, sich deshalb angelegen sein lassen, weil sie stark beschuldigt wurden, medisch zu sein. Er rief sie also mit zum Kriege, weil er wissen wollte, ob sie Beistand leisten oder offenermaßen dem Hellenenbunde absagen würden. Sie aber schickten Hilfe, obwohl sie anders gesinnt waren.

206. Den Leonidas nun mit den Seinigen schickten die Lazedämonier voraus, damit auch die andern Bundesgenossen, wenn sie das sähen, ins Feld zögen und nicht auch medisch würden, wenn sie vernähmen, daß sie selbst zögerten. Sie wollten nur erst die Karneien feiern (denn dieses Fest war noch abzutun), dann eine Wache in Sparta lassen und alsbald ins Feld rücken mit der ganzen Volksmacht. So gedachten auch die übrigen Bundesgenossen zu tun. Denn es traf in dieselbe Zeit mit diesen Vorgängen die Olympiade. Da sie nun nicht vermeinten, daß der Krieg bei den Thermopylen so schnell entschieden werden würde, schickten sie jene voraus. So gedachten denn diese zu tun.

207. Die Hellenen bei den Thermopylen aber waren, wie sich der Perser bereits dem Paß näherte, in Angst und gingen zu Rate, ob sie nicht abziehen sollten. Nun waren alle Peloponnesier dafür, nach dem Peloponnes zu gehen und den Isthmos zu bewachen; nur Leonidas gab, unter heftiger Erregung der Phoker und Lokrer bei solchem Vorschläge, seine Stimme dafür ab, standzuhalten und Boten zu senden in die Städte, mit dem Verlangen, ihnen zur Hilfe zu rücken, da sie zu schwach seien, um das Mederheer abzuwehren.

208. Wie sie so beratschlagten, sandte Xerxes einen Späher zu Pferde, um zu sehen, wie viele sie wären, und was sie machten. Als er noch in Thessalien war, hatte er von einem Heere gehört, das dort in geringer Zahl unter Führung der Lazedämonier und des Leonidas, eines Herakliden von Geschlecht, versammelt sei. Wie nun der Reiter bei dem Lager anritt, beschaute er's, jedoch übersah er nicht das ganze Lager (denn die innerhalb der Mauer, die sie wiederaufgerichtet hatten und bewachten, konnte er nicht gewahren), sondern bemerkte nur die Leute, die draußen vor der Mauer ihren Stand hatten. Und zur Zeit standen gerade die Lazedämonier draußen. Da sah er denn die einen Männer turnen, die andern ihr Haar strählen. Das schaute er mit Verwunderung an und stellte ihre Zahl fest. Als er sich alles genau gemerkt hatte, ritt er in Frieden wieder zurück; denn keiner verfolgte ihn, und es ward nichts nach ihm gefragt. So kam er zurück und sagte dem Xerxes alles, wie er's gesehen hatte.

209. Xerxes hörte das und begriff nicht, daß sie sich in Wahrheit bereiteten, auf Tod und Leben mit allen Kräften zu kämpfen, sondern ihr Tun erschien ihm lächerlich, und so ließ er den Demaratos, den Sohn Aristons, holen, der in seinem Lager war. Wie er kam, befragte ihn Xerxes über das alles, weil er das Betragen der Lazedämonier gern verstehen wollte. Und jener sprach: »Du hast mich schon früher, als wir gegen Hellas aufbrachen, über diese Männer gehört und hast mich verlacht, als ich sagte, was ich vom Gang dieser Sache voraussah. Ist es doch eine schwere Aufgabe für mich, o König, dir gegenüber die Wahrheit zu behaupten. Indessen höre auch jetzt: Diese Männer sind gekommen, weil sie mit uns um den Engpaß kämpfen wollen, und dazu bereiten sie sich vor; denn so ist es ihr Brauch. Wenn sie ihr Leben im Kampfe wagen, dann schmücken sie ihr Haupt. Sei überzeugt: wenn du diese, und was sich noch in Sparta hält, unterwirfst, dann ist kein Volk mehr auf der Welt, das gegen dich, o König, seine Hand zu erheben vermag. Denn jetzt trittst du der schönsten Königsherrschaft in Hellas und seinen besten Männern entgegen.« Das erschien nun dem Xerxes ganz unglaublich, was er da sagte, und er fragte ihn zum zweitenmal, wie sich denn solch ein Häuflein mit seinem Heere schlagen solle. Und jener sprach: »O König, behandle mich als einen Lügner, wenn es hiermit nicht so geht, wie ich sage.«

210. Damit fand er bei Xerxes keinen Glauben. Vier Tage ließ dieser nun hingehen, da er immer hoffte, sie würden davonlaufen. Als sie aber am fünften nicht abzogen, sondern, wie er die Sache ansah, aus Unverschämtheit und Unklugheit immer noch standhielten, schickte er gegen sie die Meder und Kissier in seinem Zorn, mit dem Befehl, sie lebendig zu fangen und vor sein Angesicht zu führen. Wie sich nun die Meder auf die Hellenen warfen, fielen zwar viele von ihnen, aber andere rückten nach, und sie gingen nicht zurück, obwohl sie einen harten Stoß erlitten. Da machten sie's jedermann und nicht zum mindesten dem König offenbar, daß es viele Menschen seien, aber wenig Männer. Dieses Treffen währte den ganzen Tag.

211. Nachdem die Meder übel zugerichtet waren, wurden sie abgelöst, und die Perser rückten an ihre Stelle, die der König die Unsterblichen nannte, deren Führer Hydarnes war; man glaubte, daß diese mit ihnen leicht fertig werden müßten. Wie nun auch diese mit den Hellenen handgemein wurden, richteten sie nicht mehr aus als das medische Heervolk, sondern es ging ihnen ebenso, wegen der Enge des Kampfplatzes, und weil sie kürzere Lanzen hatten als die Hellenen, auch ihre Überzahl nicht zur Geltung bringen konnten. Die Lazedämonier aber fochten mannhaft und zeigten sich überhaupt als erfahrene Kämpfer am unerfahrnen Feind, besonders wenn sie den Rücken wandten und eine Flucht mit der ganzen Schar vortäuschten: sobald die Barbaren ihre Flucht sahen, stürzten sie mit Geschrei und Lärm hinter ihnen her, sie aber machten zur rechten Zeit kehrt gegen die Barbaren und erschlugen bei dieser Wendung eine unzählige Menge Perser. Dabei fielen aber auch von den Spartiaten einige wenige. Als nun die Perser mit ihrem Sturm auf den Paß weder im scharenweisen Angriff noch auf andere Weise vorwärts kamen, zogen sie wieder ab.

212. Man sagt, daß der König, der diese Sturmangriffe beobachtete, dreimal von seinem Throne aufgesprungen sei, aus Furcht um sein Heer. So kämpften sie denn diesmal. Am folgenden Tage aber rangen die Barbaren um nichts glücklicher. Sie stießen nämlich in der Hoffnung vor, das Häuflein werde wundenmatt sein und die Hände nicht mehr heben können. Die Hellenen aber waren nach Abteilungen und Stämmen geordnet und fochten alle nach der Reihe, außer den Phokern. Die waren ins Gebirge gestellt zur Bewachung des Fußsteiges. Als die Perser merkten, daß alles noch ebenso war, wie sie es am vorhergehenden Tage kennengelernt hatten, zogen sie ab.

213. Da nun der König keinen Rat wußte, was er jetzt anfangen solle, kam Ephialtes, der Sohn des Lurpdemos, ein Malier, um mit ihm zu sprechen, in der Hoffnung, sich großen Dank beim König zu verdienen, und gab ihm den Fußsteig an, der durchs Gebirge nach den Thermopylen führt, und brachte den Hellenen, die dort standhielten, den Tod. Später floh er aus Furcht vor den Lazedämoniern nach Thessalien, und wie er flüchtig war, ließen die Pylagoren bei Versammlung der Amphiktponen in der Pylaia ausrufen, daß ein Preis auf seinen Kopf gesetzt sei. Als er einige Zeit darauf nach Antikpra zurückgekommen war, wurde er von Athenades, einem Trachinier, erschlagen. Dieser Athenades tötete aber den Ephialtes aus einer andern Ursache, die ich in den folgenden Geschichten anzeigen werde, ward jedoch von den Lazedämoniern nichtsdestoweniger belohnt. Ephialtes also starb später eines solchen Todes.

214. Man hört noch eine andere Sage, daß Onatas, der Sohn des Phanagoras, ein Karystier, und Korydalos, ein Antikyrier, die Angeber beim König und die Wegweiser der Perser im Gebirge gewesen seien. Das erscheint mir als ganz unglaublich. Denn erstens ist zu erwägen, daß die Pylagoren von Hellas nicht auf des Onatas und des Korydalos Kopf einen Preis ausrufen ließen, sondern auf den des Ephialtes, des Trachiniers, und sie mußten doch die bestimmteste Kunde haben; sodann wissen wir, daß Ephialtes dieser Schuld wegen flüchtig ward. Sollte auch Onatas, obwohl er kein Malier war, diesen Fußsteig gewußt haben, weil er sich in der Gegend viel umgetan hatte, so ist doch Ephialtes der Wegweiser gewesen auf dem Fußsteige durchs Gebirge, und ihn schreibe ich als den Schuldigen auf.

214. Die Pylagoren waren die vierundzwanzig Gesandten der Amphiktyonen (Umwohnenden), der zwölf Staaten, die sich zum Schutze des delphischen Tempels zusammengeschlossen hatten. Das erste Bundesheiligtum war der Apollotempel in Delphi, das zweite der Demetertempel bei den Thermopylen. Bei jeder der beiden Kultstätten fand jährlich eine Versammlung statt. Ephialtes wurde in der am Demeterheiligtum geächtet.

 

215. Da Xerxes das gefiel, was Ephialtes auszurichten versprach, schickte er auf der Stelle voll Freude den Hydarnes ab mit den Kriegsleuten des Hydarnes. Sie brachen um die Zeit, da man die Lichter ansteckt, aus dem Lager auf. Diesen Fußsteig haben aber die dort wohnenden Malier entdeckt. Nach seiner Entdeckung zeigten sie ihn den Thessaliern gegen die Phoker, damals als die Phoker sich durch Verschanzung des Passes für den Krieg gedeckt hatten, und seitdem brachte er den Maliern immer wieder Unheil.

216. Beschaffen ist aber dieser Fußsteig, wie folgt. Er fängt an beim Asoposfluß, der durch die Schlucht fließt, und das Gebirge dort und der Fußsteig haben den gleichen Namen Anopaia. Diese Anopaia streckt sich an dem Gebirgsgrat hin und hört bei der Stadt Alpenoi, der ersten lokrischen in der Richtung nach den Maliern zu, und beim sogenannten Melampygossteine und dem Lager der Kerkopen auf, wo auch die engste Stelle ist.

216. Anopaia heißt Höhenweg, Melampygos Schwarzsteiß, Kerkopen Geschwänzte. Die Kerkopen sind zwei boshafte kleine Dämonen, Trollgestalten. Als Herakles bei den Thermopylen lag und schlief, stahlen ihm die Kerkopen seine Waffen und griffen ihn an. Er überwältigte die Zwerge leicht, band sie mit den Füßen an einen Tragbalken und hängte sie über seine Schulter. Als er weiter wanderte, hörte er sie hinter seinem Rücken kichern. Der gutmütige Riese fragte, warum sie lustig wären, und hörte von ihnen, daß sie ihre Mutter immer vor dem Schwarzsteiß gewarnt hätte. Sie sähen jetzt, daß er einer wäre. Darauf lachte Herakles und ließ sie laufen. Eine erhaltene bildliche Darstellung des Abenteuers bietet die Metope (Zwischenfeldbild am Gebälk) des Heraklestempels in Selinunt (Abbildung im Brockhaus, Herakles).

 

217. Auf diesem so beschaffenen Fußsteig also zogen die Perser, nachdem sie über den Asopos gesetzt waren, die ganze Nacht einher, indem sie zur Rechten die Ötaberge, zur Linken die der Trachinier hatten. Mit dem Frührot standen sie auf dem First des Berges. Hier im Gebirge hielten, wie ich schon oben berichtete, tausend schwerbewaffnete Phoker Wacht, zum Schirm ihres eigenen Landes und zur Hut des Fußsteiges. Denn der untere Paß ward bewacht von denen, die ich genannt habe; zur Bewachung des Fußsteiges im Gebirge aber hatten sich die Phoker freiwillig dem Leonidas angeboten.

218. Nun merkten's die Phoker, wie sie oben waren, folgendermaßen: hinaufgekommen waren die Perser ganz heimlich, da das ganze Gebirge mit Eichen bewaldet ist; das Wetter war aber windstill, und auf das große Geräusch, das natürlich von dem gefallenen Laub unter ihren Füßen entstand, sprangen die Phoker auf und legten die Waffen an, und im Augenblick waren auch die Barbaren da. Wie die nun Männer sahen, die ihre Waffen anlegten, standen sie in Verwunderung; denn sie hofften, nirgends Widerstand zu finden: und nun stießen sie auf ein Heer. Da fragte Hydarnes, der schon fürchtete, die Phoker möchten Lazedämonier sein, den Ephialtes, was das für ein Kriegsvolk sei; auf dessen bestimmten Bericht aber stellte er die Perser in Schlachtordnung auf. Als die Phoker von einem dichten Hagel von Geschossen getroffen wurden, flohen sie davon auf die Kuppe des Gebirges, fest überzeugt, der Zug habe sich von Anfang an gegen sie gerichtet, und bereiteten sich zum Tode. Das dachten diese, während die Perser mit dem Ephialtes und Hydarnes gar nicht weiter nach den Phokern fragten, sondern eilig den Berg hinabstiegen.

219. Den Hellenen bei den Thermopylen aber sagte zuerst der Seher Megistias nach seiner Opferschau ihren Tod vorher, der ihnen mit dem Morgenlicht bevorstehe. Darauf trafen auch Überläufer ein und brachten die Kunde von ihrer Umgehung durch die Perser. Diese also zeigten's ihnen noch in der Nacht an; drittens aber taten es auch die Tageswächter, die von den Höhen herabgelaufen kamen, als der Tag schon anbrach. Da hielten nun die Hellenen Rat, und ihre Meinungen waren geteilt. Die einen wollten nicht, daß man vom Standplatz weiche, die andern widersprachen. Daher trennten sie sich: die einen zogen ab und zerstreuten sich in ihre Städte, die andern waren bereit, mit Leonidas standzuhalten.

220. Man sagt, daß Leonidas selbst sie aus Sorge für ihr Leben fortgeschickt habe; ihm selbst aber und den anwesenden Spartiaten habe es nicht geziemt, von dem Standplatz zu weichen, zu dessen Besetzung sie einmal gekommen wären. Ich bin durchaus der Meinung, daß Leonidas, als er die Bundesgenossen unmutig fand und nicht gewillt, ihr Leben miteinzusetzen, ihnen den Abzug befahl, es ihm selbst aber nicht geziemte wegzugehen. Durch sein Standhalten hat er großen Ruhm hinterlassen, und Spartas Herrlichkeit ward nicht ausgelöscht. Denn es war den Spartiaten, als sie gleich bei Kriegsausbruch anfragten, ein Spruch von der Pythia zuteil geworden: entweder werde Lazedämonien von den Barbaren verwüstet werden, oder ihr König werde fallen. Dieser Spruch, den sie in Hexametern bekamen, lautete also:

Euch, die ihr Sparta bewohnt mit seinen mächtigen Plätzen,
Werden entweder Männer, entsprossen vom Stamme des Perseus,
Eure gewaltige Stadt zerstören, die ruhmvolle, oder
Lazedämons König, der Heraklide, muß fallen.
Jenem wird nicht die Kraft von Stieren oder von Löwen
Widerstehen. Er hat die Stärke des Zeus, und ich sage,
Einhalt findet er erst, wenn er einen von beiden zerstückt hat.

Weil er daran dachte und den Spartiaten allein den Ruhm zuwenden wollte, wird Leonidas die Bundesgenossen vielmehr fortgeschickt haben, als daß die Abziehenden so ordnungslos aus Uneinigkeit abgerückt wären.

220. Die Kraft von Stieren oder von Löwen: Anspielung auf den Namen Leonidas. Xerxes ließ in der Tat den Leichnam des Leonidas zerstückeln.

 

221. Hierfür ist mir auch folgendes ein Beweis, und nicht der geringste. Leonidas hat nämlich nicht bloß die andern, sondern auch den Seher, der diesem Heere gesellt war, den Akarnanen Megistias, der sein Geschlecht, wie es heißt, von Melampus herleitete, und der auch aus dem Opfer ihnen ihr bevorstehendes Schicksal ansagte, wie offenbar ist, fortschicken wollen, damit er nicht mit ihnen umkomme. Dieser aber ließ sich nicht fortschicken, sondern blieb; nur seinen Sohn, der mit im Heere war und der einzige war, den er hatte, schickte er fort.

221. Über den Seher Melampus s. Buch II, Kapitel 49.

 

222. Die entlassenen Bundesgenossen also zogen ab und gehorchten dem Leonidas. Die Thespier aber und die Thebaner blieben allein bei den Lazedämoniern zurück. Und zwar blieben die Thebaner unfreiwillig und nicht nach eigener Wahl (denn Leonidas hielt sie fest wie Geiseln), die Thespier aber durchaus freiwillig, indem sie sich weigerten, den Leonidas und die Seinigen zu verlassen, und mit ihnen ausharrten bis zum Tode. Ihr Feldherr aber war Demophilos, der Sohn des Diadromas.

222. Daß die Thebaner nicht gern blieben, ist durchaus glaubhaft. Auch ihr Land, Böotien, bot eine für die Entfaltung der persischen Reiterei durchaus günstige Schlachtenebene dar. Schon Plutarch (46 bis 125 n. Chr.) hat die Angabe jedoch in seiner Schrift »über die sittliche Minderwertigkeit Herodots« angezweifelt. Er meint, dem Leonidas hätten unzuverlässige Bundesgenossen, die er mit Gewalt zurückhielt, keine Unterstützung, sondern nur eine weitere Gefahr bedeutet. Diese Beweisführung hat viele bestochen, ist aber grundfalsch. Die Gefahr war noch viel größer, wenn Leonidas den mit der Örtlichkeit in allen Einzelheiten vertrauten Thebanern Gelegenheit gab, geradeswegs ins feindliche Lager abzuziehen.

 

223. Xerxes aber brachte zum Sonnenaufgang Spendopfer dar, wartete eine Zeitlang und ließ seinen Angriff zu der Stunde erfolgen, da der Markt sich füllt. So hatte es nämlich Ephialtes bestellt; denn der Abstieg vom Gebirge ist kürzer und ein viel kleineres Stück Weg als der Umweg und der Anstieg. Die Barbaren rückten also mit Xerxes heran, und die Hellenen gingen mit Leonidas, da sie nun zum Tod auszogen, weit mehr als zu Anfang heraus in die Breite des Talschlundes. Sie bewachten nämlich immer die Schutzmauer; an den vorigen Tagen jedoch kämpften sie nur nahe davor in dem Engpaß; jetzt aber hieben sie außerhalb der Enge ein, und da fielen die Barbaren in Masse; denn die Reihenführer hatten Geißeln in den Händen, peitschten von hinten drauflos und trieben Mann über Mann vorwärts. So stürzten viele ins Meer und gingen zugrunde, noch viel mehr wurden lebendig von ihren Kameraden zertreten, und nichts ward gefragt nach einem, der fiel. Die Lazedämonier wußten, daß ihnen der Tod bevorstand, als die Feinde um den Berg herumkamen, und zeigten ihre Stärke an den Barbaren mit dem äußersten Aufwand, voll Verachtung und Todeswut.

224. Schon waren den meisten die Lanzen zerbrochen, da lichteten sie mit den Schwertern die Perserhaufen. In diesem mörderischen Kampfe fiel auch Leonidas, der sich als der preiswürdigste Mann hervorgetan hatte, und noch andere namhafte Spartiaten neben ihm. Ich kenne die Namen dieser ausgezeichneten Männer, ich habe sie aber auch von allen dreihundert erfahren. Doch auch von den Persern fielen daselbst viele und namhafte Männer, insbesondere aber zwei Söhne des Dareios, Abrokomes und Hyperanthes, die des Artanes Tochter, Phratagune, dem Dareios geboren hatte. Artanes war aber ein Bruder des Königs Dareios und ein Sohn des Hystaspes, des Sohnes des Arsames; mit seiner Tochter gab er auch sein ganzes Hab und Gut an Dareios, da sie sein einziges Kind war.

224. Die Liste der bei den Thermopylen Gefallenen lag in Sparta vor und wurde im Jahre 440 v. Chr. auf eine neu errichtete Ehrensäule übertragen. Herodot war damals schon nach Unteritalien übergesiedelt. Er wird nicht die Säule gesehen haben, sondern die Liste.

 

225. So fielen zwei Brüder des Xerxes dort im Kampf um den Leichnam des Leonidas, da ein hartes Gedränge von Persern und Lazedämoniern entstand, bis ihn durch ihre Tapferkeit die Hellenen herauszogen und viermal den Feind abschlugen. So stand es, bis die mit Ephialtes ankamen. Wie aber die Hellenen vernahmen, daß diese kämen, da nahm die Schlacht eine andere Gestalt an. Nun wichen sie nämlich in die Enge des Wegs zurück, gingen hinter die Mauer und besetzten dort den Hügel alle zusammen, ausgenommen die Thebaner. Der Hügel aber ist am Eingang, wo jetzt der steinerne Löwe als Denkmal des Leonidas steht. An diesem Platz, auf dem sie sich wehrten mit Schlachtmessern, wer noch eins hatte, und mit den Fäusten und den Zähnen, begruben die Barbaren sie unter ihren Geschossen; die einen stürmten gegen sie an von vorn, wo sie die Schutzmauer eingerissen hatten, die andern umringten sie von allen Seiten zugleich.

225. Das Denkmal war ein Löwe, weil Leonidas Löwensohn heißt. Ein Engpaß ist heute nicht mehr vorhanden, weil die Anschwemmungen des Spercheios im Laufe der Jahrtausende die Küste um fünf Kilometer vorgeschoben haben.

 

226. Wie groß sich nun auch die Lazedämonier und Thespier hier gezeigt haben, so sagt man doch, der Spartiat Dienekes habe sich als der preiswürdigste Mann gezeigt. Der soll folgendes Wort, noch ehe die Schlacht mit den Medern anging, gesprochen haben, als er von einem Trachinier hörte, daß die Barbaren, wenn sie ihre Geschosse entsendeten, die Sonne mit der Menge ihrer Pfeile verdunkelten, so groß sei ihre Menge, – darauf also habe er ganz ruhig und über die Menge der Meder gleichgültig weggehend gesagt: der Freund aus Trachis bringe ihnen da die angenehmste Botschaft. Denn wenn die Meder die Sonne verdunkelten, werde man mit ihnen im Schatten fechten und nicht in der Sonne. Solche Worte nun und noch mehr in dieser Weise soll der Lazedämonier Dienekes zu seinem Gedächtnis hinterlassen haben.

227. Nach ihm aber, sagen die Lazedämonier, gehöre der Preis zwei Brüdern, Alpheos und Maron, den Söhnen des Orsiphantos. Von den Thespiern aber gewann den meisten Ruhm einer mit Namen Dithyrambos, der Sohn des Harmatidas.

228. Sie wurden bestattet an der Stelle, wo sie fielen, und ihnen samt denen, die schon gefallen waren, ehe Leonidas die andern Bundesgenossen entlassen hatte, ward eine Inschrift gesetzt, die also lautet:

Mit dreihundertmal Zehntausenden haben gefochten
Hier viertausend Mann Peloponnesiervolk.

Das ist also die Inschrift für alle, für die Spartiaten aber besonders:

Wanderer, kommst du nach Sparta, verkündige dorten, du habest
Uns hier liegen gesehn, wie das Gesetz es befahl.

Das ist die für die Lazedämonier, für den Seher aber folgende:

Siehe das Mal des berühmten Megistias, welchen der Meder
Haufen erschlugen dereinst hier am Spercheiosfluß;
Ob er als Seher auch sah, wie die Todesgöttinnen nahten,
Spartas Feldherrn hat er nicht zu verlassen vermocht.

Mit diesen Inschriften und Säulen (ausgenommen die Inschrift für den Seher) haben die Amphiktyonen sie geehrt; die für den Seher Megistias aber hat Simonides, der Sohn des Leoprepes, verfaßt, weil er sein Gastfreund war.

228. Alle drei Epigramme verfaßte der Dichter Simonides von Keos (556-467 v. Chr.). Herodot hebt nur hervor, daß die Grabinschrift für Megistias nicht auftragsgemäß geschaffen wurde, sondern ein Denkmal der Freundschaft war. Das zweite Epigramm (»Wanderer, kommst du nach Sparta«) ist in der Übersetzung gegeben, die Schiller seinem »Spaziergang« (1795) eingefügt hat.

 

229. Von zwei jener dreihundert aber, von Eurytos und von Aristodemos, sagt man, daß beide die Wahl gehabt hätten, wenn sie gleichen Sinnes waren, sich entweder zusammen nach Sparta zu retten – da sie von Leonidas aus dem Lager entlassen waren und in Alpenoi an der gefährlichsten Augenkrankheit darniederlagen, oder, falls sie nicht heimkehren wollten, gemeinschaftlich mit den andern zu sterben. Sie hätten sich aber nicht darüber einigen können, welchen von den beiden Wegen sie wählen sollten, sondern Eurytos habe auf die Kunde von der Umgehung durch die Perser seine Waffen verlangt und angelegt und seinem Heloten befohlen, ihn in die Schlacht zu führen. Dort sei der Führer gleich wieder geflohen, er aber in den Haufen gestürzt und darin umgekommen. Aristodemos sei aus Schwäche zurückgeblieben. Wäre nun Aristodemos allein krank gewesen und nach Sparta heimgekehrt oder wären beide zugleich gereist, so hätten meines Dafürhaltens die Spartiaten keinen Zorn auf sie geworfen; nun aber, da der eine fiel, der andere aber, der sich auf keinen andern Vorwand berufen konnte, nicht hatte sterben wollen, folgte notwendig, daß sie dem Aristodemos gewaltig zürnten.

229. Seinem Heloten: Die Staatssklaven wurden als Offiziersburschen der Spartiaten mit in den Krieg genommen.

 

230. So sagen denn einige, Aristodemos habe sich nach Sparta gerettet und diesen Vorwand gebraucht; andere aber behaupten, er sei als Bote aus dem Lager abgesandt worden und hätte wohl noch zur Schlacht eintreffen können, habe aber nicht gewollt, sondern sich absichtlich auf dem Wege so lange aufgehalten, daß er sein Leben rettete; sein Mitbote aber sei zur Schlacht gekommen und gefallen.

231. Als nun Aristodemos nach Lazedämon heimkam, mußte er Schimpf und Unehre tragen. Seine Unehre bestand in folgendem: Kein Spartiate gewährte ihm Anteil an seinem Feuer, keiner sprach mit ihm; der Schimpf, den er trug, war der Name: Aristodemos, der Flüchtling. Er hat aber in der Schlacht bei Platää alle ihm aufgebürdete Schuld wieder gesühnt.

232. Auch sagt man, daß noch einer von diesen dreihundert als Bote nach Thessalien abgesandt worden und am Leben geblieben sei, mit Namen Pantites, der nach Sparta heimgekehrt, dort in Unehre gefallen sei und sich erhängt habe.

233. Die Thebaner aber, deren Feldherr Leontiades war, fochten eine Zeitlang mit den Hellenen gezwungenermaßen gegen des Königs Heer. Wie sie aber sahen, daß die Perser die Oberhand gewannen, als sich bereits die Hellenen mit Leonidas auf den Hügel warfen, da trennten sie sich von ihnen, streckten die Hände aus und gingen den Barbaren entgegen. Sie sagten, was auch vollkommen der Wahrheit entsprach, daß sie medisch gesinnt seien und gleich mit den ersten dem König Erde und Wasser gegeben hätten, auch nur gezwungenermaßen nach den Thermopylen gekommen und unschuldig seien an dem Verlust, den der König erlitten habe. Mit diesen Versicherungen retteten sie ihr Leben; denn sie hatten dafür auch die Thessalier zu Zeugen. Doch erging es ihnen nicht ganz glücklich. Denn wie sie den Barbaren in die Hände fielen, wurden etliche von ihnen gleich getötet; die Mehrzahl aber ward auf Xerxes' Befehl mit den königlichen Malzeichen gebrandmarkt, und zwar gleich zuerst der Feldherr Leontiades, derselbe, dessen Sohn Eurymachos in der Folgezeit die Platäer erschlagen haben, da er Feldherr über vierhundert Thebaner war, die in die Stadt Platää eingedrungen waren.

233. Eurymachos versuchte im Frühling 431 v. Chr. Platää zu überrumpeln und wurde mit hundertachtzig Gefährten sofort von den Platäern hingerichtet. Damit begann der Peloponnesische Krieg.

 

234. Also rangen die Hellenen bei den Thermopylen. Xerxes aber berief den Demaratos und fragte ihn, indem er anhub: »Demaratos, du bist ein braver Mann. Dafür hab' ich den Beweis der Wahrheit; denn was du gesagt hast, ist alles eingetroffen. Nun aber sage mir: wie viele sind die übrigen Lazedämonier, und wie viele darunter sind ebensolche Krieger, oder sind sie alle so?« Da sprach jener: »Mein König, die sämtlichen Lazedämonier sind viele an der Zahl, und zahlreich sind ihre Städte; was du aber erfahren willst, sollst du gleich wissen. In Lazedämon ist Sparta, eine Stadt von etwa achttausend Männern. Die sind alle gleich diesen, die hier gekämpft haben. Die übrigen Lazedämonier nun sind diesen zwar nicht gleich, doch wacker.« Darauf sagte Xerxes: »Demaratos, auf welche Art mögen wir am leichtesten dieser Männer Herr werden? Höre wohl, das gib mir an! Denn du kennst alle Windungen ihrer Pläne, da du ihr König warst.«

235. Hierauf antwortete er: »Mein König, da du mich so ernstlich zu Rate ziehst, muß ich billig dir das Beste weisen. Laß einmal vom Schiffsheer dreihundert Schiffe zum lakonischen Lande abgehen. Da ist vor demselben eine Insel gelegen, mit Namen Zythera, von der Chilon, der ein hervorragender Weiser unter uns war, gesagt hat, es wäre den Spartiaten mehr Gewinn, wenn sie ins Meer versunken wäre, als daß sie hervorrage; da er von ihr her sich immer eines solchen versah, wie ich dir nun angeben will, ohne daß er doch deinen Kriegszug vorher wußte, vielmehr aus allgemeiner Furcht vor einem möglichen Kriegszug. Also von dieser Insel aus sollen sie die Lazedämonier in Schrecken setzen. Da der Krieg in der Nähe der Heimat ihnen der liebste ist, brauchst du nicht zu fürchten, daß sie bei der Einnahme des übrigen Hellas durch dein Landheer ihm Hilfe leisten. Ist aber das übrige Hellas unterworfen, dann ist das Lakonische allein nur noch schwach. Wenn du das aber nicht tust, so hast du folgendes zu erwarten. Am Peloponnes ist eine schmale Landenge, und an dieser Stelle hast du von den Peloponnesiern und ihrer ganzen Eidgenossenschaft gegen dich noch härtere Schlachten als die bereits vorgefallenen zu erwarten. Tust du aber jenes, so werden dir die Landenge und die Städte ohne Schwertstreich zufallen.«

235. Chilon gehörte zu den sieben Weisen. Die Insel Zythera besetzte der athenische Feldherr Nikias im Peloponnesischen Kriege im Jahre 424 v. Chr. und verheerte von dort aus die lakonischen Küstengebiete.

 

236. Da sprach nach ihm Achämenes, ein Bruder des Xerxes und der Feldherr des Schiffsheeres, der gerade der Unterredung beiwohnte und fürchtete, er möchte den Xerxes, dies zu tun, vermögen: »O König, ich sehe, du gibst etwas auf die Reden eines Mannes, der dich um dein Glück beneidet oder vielmehr deine Macht ans Messer liefert. Das ist ja die Weise, an der die Hellenen ihre Freude haben: das Glück beneiden sie, und das Überlegene hassen sie. Wenn du aber zu den vorhandenen Unfällen, da vierhundert Schiffe gescheitert sind, noch neue dreihundert vom Heere wegschicken willst, um den Peloponnes zu umschiffen, so werden die Feinde dir im Kampfe gewachsen sein. Bleibt das Schiffsheer beisammen, so ist es für sie fast unangreifbar: und sie werden dir ganz und gar nicht im Kampfe gewachsen sein. Da wird das ganze Schiffsheer dem Landheer helfen und das Landheer dem Schiffsheer, in gemeinschaftlichem Zuge. Wenn du sie aber zertrennst, wirst weder du jenen, noch werden sie dir nützlich sein. Bestelle nur für dich selbst alles gut und fasse den Entschluß, nicht zu erwägen, wie es bei den Feinden steht, wo sie den Krieg zu führen wünschen, oder was sie tun werden, und wie groß ihre Zahl ist. Denn sie sind ja sich selber genug, um für sich zu sorgen, und wir für uns desgleichen. Die Lazedämonier aber werden, wenn sie gegen die Perser zur Schlacht ausrücken, nicht einmal die jetzige Scharte auswetzen.«

236. »Herodot gibt hie und da seinen Landsleuten Lektionen«, sagt Jakob Burckhardt, »und das Gespräch zwischen Xerxes und Achämenes ist eigens gedichtet, um der griechischen Polis den tiefen, böswilligen Neid unter ihren Bürgern und dessen praktische Betätigung zu Gemüte zu führen.«

 

237. Darauf antwortete Xerxes: »Achämenes, du scheinst mir gut zu sprechen, und das will ich auch tun. Demaratos sagt zwar das, was nach seiner Meinung für mich das Beste ist, aber seine Meinung unterliegt der deinigen. Denn darauf gebe ich einmal nichts, daß er nicht gut gesinnt sei für meine Sache; da ich's nach dem, was er mir früher sagte, ermesse, und nach dem, was wirklich ist, daß nämlich der Bürger den Mitbürger um sein Glück beneidet und es mit feindseligem Schweigen ansieht; wie denn auch, wenn einer aus seiner Stadt ihn zu Rate zieht, der Mitbürger ihm nicht, was er für das Beste hält, angeben wird; es müßte denn ein Mann von hoher Tugend sein: und solche sind selten. Der Gastfreund aber hegt für den Gastfreund und sein Glück das größte Wohlwollen, und zieht dieser ihn zu Rate, so rät er ihm das Beste. Daher ist es mein Wille, daß man aller Verunglimpfung des Demaratos, der mein Gastfreund ist, inskünftige sich enthalte.«

238. Nachdem Xerxes das gesagt hatte, sah er sich die Leichname an und ließ dem Leonidas, da er hörte, daß er der König und Feldherr der Lazedämonier sei, den Kopf abhauen und auf den Pfahl spießen. Mir ist es offenbar durch viele Beweise, ebenhierdurch aber nicht zum mindesten, daß König Xerxes auf niemand in der Welt mehr erbost war als auf den Leonidas, solange dieser lebte. Denn sonst hätte er sich nicht so gegen seinen Leichnam vergangen, da unter allen Völkern, von denen ich weiß, die Perser am meisten wackere Kriegsmänner in Ehren halten. Das taten nun die, denen es zu tun oblag.

239. Jetzt gehe ich in meiner Geschichte auf etwas zurück, was ich oben wegließ. Die Lazedämonier erhielten zuerst Kundschaft, daß der König gegen Hellas ziehe, und ebendaraufhin sandten sie an das Orakel in Delphi. Darauf bekamen sie den Spruch, den ich vor kurzem anführte. Diese Kundschaft erhielten sie aber auf wunderbare Art. Demaratos, Aristons Sohn, der sich zu den Medern geflüchtet hatte, wollte, wie ich glaube, und die Wahrscheinlichkeit streitet für mich, den Lazedämoniern nicht wohl. Doch steht es frei zu mutmaßen, ob er dies aus Wohlwollen oder aus Schadenfreude getan hat. Sobald nämlich Xerxes den Feldzug gegen Hellas beschlossen hatte, wollte Demaratos, der sich in Susa aufhielt und es erfuhr, die Lazedämonier davon benachrichtigen. Da er's nun nicht anders kundzutun vermochte und ertappt zu werden befürchtete, stellte er folgendes an. Er nahm ein zweifaltiges Schreibtäflein, schabte davon das Wachs ab und schrieb alsdann das Vorhaben des Königs auf das Holz des Täfleins. Als er das getan hatte, goß er aber das Wachs wiederum über die Schrift, damit so das leere Täflein unterwegs bei den Wachen keinen Anstoß finde. Wie es aber wirklich nach Lazedämon kam, wußten die Lazedämonier nicht, was sie davon halten sollten, bis ihnen, wie ich höre, des Kleomenes Tochter, die Leonidas geheiratet hatte, Gorgo, an die Hand ging, die sich die Sache überlegt hatte. Sie hieß sie das Wachs abschaben, dann würden sie die Schrift im Holze finden. Dies befolgten sie, fanden's und lasen's und schickten's dann auch den andern Hellenen zu. So, sagt man, sei es hiermit ergangen.

239. Gorgo hatte sich also aus einem frühreifen Kinde (Buch V, Kapitel 51) zu einer klugen Frau entwickelt.

 


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