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VIII.
Die Fälschungen.

Wolfgang hatte anfangs die Absicht gehabt, niemand in die Geheimnisse der entdeckten Gewölbe einzuweihen. Da jedoch am Stammbaume noch zwei Jahrhunderte aufzuklären waren, suchte er den Pfarrer von Kesselsheim auf und machte ihm Mitteilung von den Entdeckungen. Der Pfarrer schüttelte ungläubig den Kopf und meinte, sein junger Freund habe sich durch das so wunderbarerweise gefundene Muttergottesbild den Kopf verdrehen lassen. Wie staunte er aber, als er in die Gewölbe hinabstieg und mit eigenen Augen sah, was jahrhundertelang verborgen gewesen war. »Mein Gott,« sprach er, »wer hätte vermuten sollen, daß hinter den alten Sagen der Kesselsheimer so viel Wahrheit steckte! Was viele Menschenalter hindurch geschlafen hat, erwacht nun plötzlich zum Zeugnis gegen begangene Ungerechtigkeiten. Am Ende, mein Freund,« fuhr der Priester lächelnd fort, »sind sie gar ein Nachkomme dieser alten Feilenhauer, die ja auch unser Gotteshaus gegründet haben.«

Der Jüngling deutete mit dem Finger auf den Steinsarg und sprach: »Ich habe Grund genug, zu glauben, daß dieser Wyrich mit dem zerschlagenen Schädel mein Ahnherr ist. Da oben im Lichten werde ich Ihnen Aufschlüsse geben, und Sie werden das Dunkel, das noch über der Vergangenheit schwebt, aufhellen helfen. Sie sagen, daß die Feilenhauer die Kirche gegründet haben. Die meisten von ihnen werden dann auch wohl hier geboren und begraben sein, und das wird sich doch in den Kirchenbüchern verzeichnet finden.«

Der Pfarrer schaute ihn noch verwunderter an, aber er schwieg und nahm ihn mit sich in das Pfarrhaus. »Mein Freund,« sprach er, »die alten Kirchenbücher werden in der Sakristei aufbewahrt. Solange ich im Amte bin, habe ich nur ein einziges Mal hineingeschaut. Wir wollen es nun gemeinsam tun und dann auch zusammen sehen, wie die Zaungebilde verschwinden.«

Beide stiegen hinauf zur Kirche. In einer Ecke der Sakristei stand ein uralter Kasten aus schwerem Eichenholze, dessen großes schweres Hängeschloß sich nur mit Mühe öffnen ließ. Der Kasten war mit Papieren gefüllt. Der Pfarrer nahm sie alle heraus und breitete sie auf einem großen Tische aus. Sie mußten in früheren Zeiten einmal von einer sorgfältigen Hand geordnet worden sein. Inhalt und Jahre waren außen leicht erkennbar. So wurden die Urkunden ziemlich rasch gefunden. Es war fast keine dabei, in denen die Feilenhauer nicht vorkamen. Denn sie hatten nicht allein die Kirche gestiftet, sondern auch Jahr um Jahr zu ihrer Unterhaltung beigetragen.

Die Kirchenbücher lieferten eine zuverlässige und unzweifelhafte Fortsetzung jenes Buches, das Wolfgang in dem Glaskasten des Kometen gefunden hatte.

»Es unterliegt keinem Zweifel mehr,« sagte der Pfarrer zu dem aufhorchenden Wolfgang, »daß Sie der unmittelbare Nachkomme des Wyrich und der Agnes sind, aber was nutzt es Ihnen? Die Güter werden Sie niemals wiedererlangen. Wenn diese auch nur durch Raub und Mord an die Cedernstein übergehen konnten, so hat doch die Zeit den Besitz geheiligt, und Sie werden keinen Rechtsgelehrten finden, der Ihnen zur Wiedererlangung behilflich sein kann.«

»Diese Absicht liegt mir auch fern,« antwortete Wolfgang, »ich will dennoch Nutzen daraus ziehen. Wenn der Graf meine Abkunft sieht, wird er billig sein und mir von allem, was mir von Rechts wegen gebührt, wenigstens den Buchenwald lassen.« Der Pfarrer schüttelte den Kopf. Er war des Glaubens, Wallram werde schon um deswillen nichts herausgeben, weil er durch Abtretung eines Teiles gewissermaßen ein Recht auf das Ganze einräume.

Wolfgang aber begab sich noch an demselben Tage in das Schloß und verlangte den Grafen zu sprechen.

Wallram kam in der heitersten Laune und fragte, ob er sich noch nicht von der Nutzlosigkeit seines Eigensinnes überzeugt habe. Zugleich bot er eine ungeheuere Summe, um dem Streite aus dem Wege zu gehen, der doch immer Verdruß und Aufregung bringe.

»Herr Graf,« entgegnete Wolfgang mit entschiedener Festigkeit, »ich habe Ihnen schon einmal gesagt, daß ich den Wald nicht für Ihre Grafschaft hingebe, weil sich ein heiliges Versprechen daran knüpft. Seit jener Zeit ist mein Entschluß, alles daranzusetzen, noch fester geworden. Sie haben zwar einen Kaufvertrag in Händen, aber die Gemeinde ist nicht imstande Ihnen den Gegenstand des Vertrages zu überliefern, weil Sie niemals in seinem Besitze gewesen ist und der Erblasser auch das Grundstück nicht an die Gemeinde übertragen hat.«

»Deshalb habe ich selbst Besitz genommen,« erwiderte der Graf, »und ich werde Sorge tragen, daß ich darin nicht gestört werde.«

»Und was würden Sie tun, wenn ich den Beweis beibrächte, daß Helferich die Unterschrift nicht gemacht hat, daß jener Kaufakt ein betrügerisches Papier ist, eine strafbare Fälschung?«

»Dieser Beweis wird Dir niemals gelingen,« sagte der Graf lachend. »Wer etwas vom Schreibwerke versteht, muß gleich sagen, daß die Unterschrift echt ist. Du selbst hast es früher eingestanden.«

»Ich habe mich von der Ähnlichkeit täuschen lassen,« sprach Wolfgang. »Es gibt Leute, die eine Handschrift so genau nachmachen, daß auch der beste Kenner sich auf das Eis führen läßt.«

»Einen solchen möchte ich sehen, kennst Du einen solchen Künstler?«

»Ja, Herr Graf, ich kenne einen. Er ist zwar noch ein junger Mensch, sucht aber in diesem Stücke seinen Meister. Ich würde ihn mit auf Cedernstein gebracht und Ihnen vorgestellt haben, wenn er nicht plötzlich verschwunden wäre.«

Der Graf wurde ein wenig betroffen, erlangte aber bald seinen Gleichmut wieder und fragte: »Wer könnte das sein?«

»Ich mache kein Geheimnis daraus. Es ist der junge Willibald Spalding.«

Der Graf schnellte empor, starrte den furchtbaren Menschen an und stotterte: »Willibald Spalding? Ich kenne ihn nicht.«

»Das wird von anderer Seite doch behauptet,« sprach Wolfgang. »Der Mensch soll eine außerordentliche Fertigkeit haben, solche Namen nachzumachen. Sehen Sie, ich habe da noch einige Papierschnitzel bei mir, die den Beweis für seine beispiellose Geschicklichkeit liefern. Er muß sich auf den Namen Helferich recht verbissen haben. Hier steht er mehrmal. Schauen Sie!«

Cedernstein hatte kaum einen Blick auf die Papierschnitzel getan, als ihm der kalte Schweiß ausbrach und alle Farbe aus seinem Gesichte wich. Mit zitternden Lippen rief er aus: »Der Schuft, ich – ich – der Schuft hat das auf seine eigene Faust getan. Ich wüßte nicht, was es mich anginge. Her mit der Papierschnitzelei. Ich will sie ins Feuer werfen.«

»Gemach, Herr Graf, diese Zeugen bleiben bei mir!«

»Aber wie kommst Du daran? Du hast sie gestohlen oder der verfluchte Junge hat sie Dir verkauft.«

»Keines von beiden. Geradeso, wie ich an den Grafentitel komme und von Rechts wegen der Eigentümer aller Ihrer Stammgüter bin!«

Diese Bemerkung gab dem Grafen die Überlegung wieder. »Ei,« höhnte er, »wenn sich die Sache so verhält, so sehe ich nicht ein, warum Du mich nicht von Cedernstein vertreibst. Höre, Wolfgang, ich muß glauben, daß es Dir im Kopfe spukt. Die Behauptung ist allzu lächerlich, um sich mit ihr aufzuhalten.«

»Die Lächerlichkeit würde sich in bitteren Ernst verwandeln, wenn ich mit meinen Beweisen herausrückte. Ich will sie einstweilen noch in der Tasche behalten, aber ich versichere Ihnen, daß es so ist, wie ich sage. Ihre Vorfahren haben meinen Stammvater ermordet und sich unrechtmäßigerweise seine Güter ungeeignet. Ich fordere sie nicht zurück, weil sie im Laufe der Jahrhunderte vom Vater auf den Sohn übergegangen sind, und die Nachkommen nicht für die Taten ihrer Vorfahren haften können. Dafür aber verlange ich von Ihnen, daß Sie meinen Buchenwald nicht antasten, sondern mir vor Notar und Zeugen feierlich bescheinigen, daß Sie keinen Teil daran haben.«

»Das hieße mit anderen Worten, ich soll eingestehen, daß jener Kaufbrief gefälscht ist. Nimmermehr, Wolfgang! Mag über mich kommen, was will. Ich werde niemals eine solche Erklärung geben. Die Ehre und Redlichkeit der Cedernstein ist über allen Zweifel erhaben und soll es bleiben.«

»Wenn das Ihre letzte Erklärung ist,« sprach Wolfgang, »so habe ich hier nichts mehr zu tun. Ich werde gehen, um meine Ansprüche zu sichern.«

Der Graf wollte ihn noch zurückhalten und ihm gütlich zureden. Vergebens. Wolfgang war fest überzeugt, daß Wallram nicht durch Zufall oder auf rechtlichem Wege an jene Unterschrift gekommen war, sondern daß er sie von jenem Willibald Spalding hatte anfertigen lassen.

Am folgenden Tag geschah etwas, was niemand für möglich gehalten hätte: Wallram von Cedernstein begab sich in Wolfgangs ärmliche Hütte. »Laß mir die Papierschnitzel,« sprach er. »Obschon ich nichts damit zu tun habe, so möchte ich doch nicht gern in ein unangenehmes Gerede kommen. Es ist ja leider einmal so, daß man den Redlichsten gern eine Nichtswürdigkeit anhängt.«

»Die Schnitzel erhalten Sie nicht,« entgegnete Wolfgang. »Es gibt keinen besseren Zeugen in der Welt, als diese einfachen Papierreste. Man wird den sauberen Willibald Spalding hinter Schloß und Riegel setzen, bis er bekennt, von wem er den Auftrag erhalten hat.«

Wallram atmete auf. Wolfgang wußte offenbar nicht, daß dieser gefährlichste Zeuge mit seiner Mutter nach Amerika gegangen war. »Ich hätte eine ordentliche Summe dafür gegeben,« sprach der Graf, »aber ich sehe, daß ich es mit einem Menschen zu tun habe, der den Streit dem Frieden vorzieht. So mag denn das Gericht entscheiden. Ich kann mich nicht noch nachgiebiger zeigen.«

Der Graf verließ die Hütte in aufgeregtem Zustande. Wenn er sich auch freute, daß Wolfgang den Aufenthalt Willibalds nicht kannte, so fühlte er sich doch nicht wohl bei der ganzen Angelegenheit. Es drückte ihn eine schwere Schuld, und wie viele Möglichkeiten gab es nicht, die diese Schuld offenbar machen konnten! Es gab freilich einen Weg, sich alle Unannehmlichkeiten vom Halse zu schaffen. Er brauchte Wolfgang nur zu sagen: »Der Buchenwald ist Dein, ich verzichte auf alle Ansprüche!« Aber das erlaubte auf der einen Seite sein gräflicher Stolz nicht. Auf der anderen war ihm der Wald niemals begehrenswerter erschienen, als jetzt. Er hielt es geradezu für unmöglich, sich von ihm zu trennen.

»Ich habe alles, was mein Herz begehrt,« sprach er zu sich selbst. »Die Schulden, die mich niederdrückten, sind gedeckt. Mein Güterbesitz hat sich so sehr erweitert, daß kaum einer von den kleineren Fürsten des Landes sich mit mir auf gleiche Stufe stellen kann. Nun soll ich dem Waldzipfel entsagen, nach dem ich seit einer langen Reihe von Jahren gelechzt habe? Ich kann es nicht über mich gewinnen. Warum nimmt Feilenhauer nicht eine fürstliche Entschädigung? Wie der alte Helferich will er mich in seinen Netzen zappeln sehen, um sich an meinem Verdrusse zu werden. Er soll sein Ziel nicht erreichen. Die Papierschnitzel nutzen ihm nichts. Willibald ist weit entfernt, und Feilenhauer kann mir nicht nachweisen, daß der Junge in meinem Auftrage gearbeitet hat. Mag kommen, was will, ich biete allem die Stirne!«

Wolfgang, der in den Familienpapieren gefunden hatte, daß auch jener Buchenwald einst zu den Feilenhauerschen Gütern gehört hatte, hielt es für vorteilhaft, seinen Titel aus dem Staube der Vergangenheit wieder aufleben zu lassen. Wenn es ihm auch nicht zu den Gütern verhalf, so mußte doch Cedernsteins Verfahren den Richtern wie ein fortgesetzter Raub erscheinen, und das konnte den Gerichtshof nur günstig für ihn stimmen. Während er dem Landesfürsten seinen Stammbaum einreichte, dem er eine ausführliche Denkschrift beilegte, machte er sich zugleich an die Arbeit, die Grundmauern des ehemaligen Schlosses bloßzulegen. Da er den genauen Plan vor sich hatte und also auf der Oberfläche eine richtige Abmessung vornehmen konnte, so brauchte er nicht erst im Dunkeln zu tappen. Wo die Arbeiter den Spaten einsetzten, da trafen sie gleich auf die Grenzmauer und konnten bis zu den Grundmauern hinabgehen.

Sobald die Mauern sichtbar wurden, strömte ganz Kesselsheim herbei, um die vergrabene Burg zu sehen. Wolfgang wehrte den Leuten nicht. Wie seine Angelegenheiten standen, konnte es nicht schaden, wenn sich die Leute mit eigenen Augen überzeugten, daß hinter der alten Sage ernste Wahrheit steckte. Mit jeder Woche wurde ein neues Stück Mauer bloßgelegt, und ehe zwei Monate vergangen waren, stand der ganze Unterbau vor den gaffenden Neugierigen.

Wallram von Cedernstein nahm an diesen Ausgrabungen keinen geringeren Anteil als die Bewohner von Kesselsheim. Auch in der gräflichen Familie ging eine Sage, und sie lautete also: »Wenn die Zeit gekommen ist, wird die versunkene Burg der Feilenhauer der Erde entsteigen und Zeugnis gegen die Cedernsteiner ablegen. Dann wird der Besitz wieder an seinen rechten Eigentümer übergehen, und die Nachkommen der Gewalttäter werden schweres Leid zu tragen haben.«

Wallram hatte dieser Prophezeiung niemals die geringste Bedeutung beigelegt. Obschon er nicht ohne Aberglauben war, so hielt er sich doch für sicher. Die Familie der Feilenhauer war ja längst ausgestorben. Daß Wolfgang ihr letzter Sproß sei, mochte er nicht glauben. Seine Sicherheit erhielt jedoch allmählich einen starken Stoß. Alltäglich hörte er von den Schloßbewohnern, welche wunderbaren Dinge in Kesselsheim vor sich gingen. Die alte Sage erhielt für ihn zum erstenmal eine Bedeutung. Selbst hinzugehen und zu schauen, dazu war der Graf zu stolz. Er wollte sich nicht den Anschein geben, als empfinde er Furcht oder auch nur Mißbehagen. Sein Verwalter aber mußte alle Tage Nachricht bringen.

»Heute hat man die vermauerten Türen und Fenster geöffnet,« sagte dieser eines Tages. »Ich wäre gern hineingegangen, aber Wolfgang wies jeden zurück und erklärte, daß der erste Schritt in jenes unbekannte Reich der Toten dem Grafen von Cedernstein gebühre. Er gab mir den förmlichen Auftrag, Sie dazu einzuladen.«

Wallram schüttelte heftig mit dem Kopfe. »Ich wüßte nicht, was ich in jenen alten Kellergewölben zu suchen hätte!« sprach er. »Ein Ritt ins Freie, das stärkt die Lungen und behagt mir besser.« Er bestieg sein Roß und sprengte hinweg. Wie immer, so trieb es ihn auch heute in den Buchenwald hinaus. Er hatte sich nach und nach so in den Gedanken an diesen köstlichen Besitz hineingelebt, daß er nicht schlafen konnte, wenn er nicht die mächtigen Stämme gesehen hatte.

Als er jetzt den Weg hinaufsprengte, leuchteten ihm die weißbemoosten Riesenstämme wie Geister aus der Vergangenheit entgegen. Das Geflüster der Blätter, das Knarren der Äste, alles kam ihm so feierlich grabeshaft vor, daß ihn ordentlich ein Schauer erfaßte.

Mit einem Fluche über seine Schwäche sprang er aus dem Sattel, warf sich auf den Waldboden und lehnte seinen Rücken gegen einen der Stämme. Indessen wuchs seine Unruhe. Die Bäume schienen Leben zu bekommen und ihm näher zu rücken, als ob sie ihn einschließen und erdrücken wollten.

»Verfluchte Hasenherzigkeit!« schrie der Graf. »Habe ich darum jahrelang ein gefährliches Ziel verfolgt, um wie ein Kind zu zittern und zu beben? Ich habe mein Gewissen nach langen Kämpfen beschwichtigt, mit Klugheit und Vorsicht jenen Buben für meine Zwecke tauglich gemacht, habe eine Sünde auf die andere gehäuft, bin ein Fälscher geworden, habe meine Ruhe und meine Seligkeit in die Schanze geschlagen, alles um diesen Wald. Jetzt fangen die Bäume zu reden an und rücken mir meine Verbrechen vor. Diese Verbrechen! An das eine schloß sich das andere. Könnte ich sie ungeschehen machen! Alles liebe sich noch bessern, wenn dieser Wald nicht wäre. Doch ich kann nicht von ihm lassen! Der Teufel hat ihn mir ins Herz gezaubert und meine Seele damit an sich gekettet.«

Zu Pferde steigend und langsam heimwärts reitend, verloren sich die Gedanken des Grafen in die ferne Vergangenheit. »Ich möchte diese Burgreste sehen,« murmelte er. »Sollte wirklich alles so sein? Und gar dieser Wolfgang ein Sproß der Feilenhauer? Ah, es ist lächerlich, im Ernste daran zu denken. Und doch packt es mich, doch zwingt es mich, hinzugehen und mit eigenen Augen zu sehen. Ist es nicht besser, ich sehe, damit diese unheimliche Furcht zur Ruhe kommt? Fort mit den tollen Hirngespinsten. Auge in Auge mit der Gefahr. Das stärkt den Geist und verhilft zum Siege!«

Dem Pferde die Sporen eindrückend, flog Wallram von Cedernstein dahin. Bald hatte er Kesselsheim und die ausgegrabenen Ruinen erreicht.

Auf den mächtigen Trümmern lag die elende Hütte wie ein Spott auf die Neuzeit. In diesem Augenblicke trat Wolfgang aus der Türe und begrüßte den Grafen mit den Worten: »Ich hatte Sie einladen lassen, Herr Graf, um mein unterirdisches Besitztum in Augenschein zu nehmen. Es freut mich, daß Sie gekommen sind. Ihre Vorgänger haben die stolzen Hallen dieses Schlosses niedergeworfen. Da geziemt es sich, daß der Enkel sie wieder dem Tageslichte übergeben hilft.«

Wallram sprang vom Pferde, band es an den Eisenring einer ausgegrabenen Säule und gab zur Antwort: »Du sprichst in Rätseln, Wolfgang. Was hatten meine Vorfahren damit zu tun?«

»Sie sollen es erfahren, wenn Sie gesehen haben,« sprach der Jüngling und schritt voran in die aufgedeckten Pferdeställe, in die Keller und zum Bankettsaal. Wallrams Erstaunen wuchs bei jedem Schritte. Die noch wohlerhaltenen Fenster mit ihren bemalten Scheiben erregten seine Neugier. Aus dem Steinsarg jedoch mit dem Totengerippe wehte ihn Entsetzen an.

Wolfgang schob ihm einen alten Eichensessel zu, zeigte mit dem Finger auf den erschlagenen Wyrich und erzählte dessen Geschichte mit all den Einzelheiten, wie er sie durch seine mühsamen Nachforschungen zusammengebracht hatte. »Sie sehen, Herr Graf, daß die zweite Linie der Feilenhauer durch Mord und Gewalttätigkeiten zu einem Besitze kam, für den sie keinen Erwerbstitel aufweisen konnte. Vielleicht empfanden die Nachfolger dieser Mörder einige Scham oder sie wollten den Tatbestand verdunkeln, denn sie nahmen später den Namen Cedernstein an. Den haben sie behalten bis auf die heutige Stunde. Sie, Herr Graf, sind der unmittelbare Nachkomme des Mannes, der Hand an diesen armen Grafen von Feilenhauer legte.«

Wallram zuckte zusammen. »Das sind unbewiesene Annahmen,« wagte er nur zu sagen.

»Nein, Herr Graf, es ist erwiesen. Die Zeit ist nicht mehr ferne, wo ich Ihnen unwiderleglich beweisen werde, daß ich der Nachkomme Wyrichs von Feilenhauer und das Haupt des Stammes bin, und daß Sie nur ein Sprößling der Seitenlinie sind. Alle Güter, die Sie jetzt in Ihrer Hand vereinigen, besitzen Sie nur durch den Mord ihres Ahnherrn. Vor Gott gehören sie mir.«

Cedernstein machte einen Versuch zum Lachen, aber es gelang ihm schlecht. Die alte Prophezeiung stand mit Flammenschrift vor seinem Geiste. »Das sind Hirngespinste!« wiederholte er noch einmal. »Wenn es aber auch wirklich so wäre, wenn Du von jedem einzelnen Grundstücke dartun könntest, daß es Deinem Ahnherrn gehörte, glaubst Du, daß Du nach so vielen Jahrhunderten Anspruch darauf machen könntest?«

»Ich glaube es,« antwortete Wolfgang im Tone fester Überzeugung. »Es ist mir gelungen, ein altes Aktenstück aufzufinden, in dem einer Ihrer Vorfahren einem der Meinigen bescheinigt, daß er die Güter nur als Lehen von ihm trägt. Damals war der gute Mann am Rande des Grabes und wollte nicht mit schwerer Schuld in die Grube fahren. Er genas wieder, und da vergast er die Lehnschaft.«

»Ich wäre also Dein Vasall?«

»Von Rechts wegen ja, aber fürchten Sie nichts, Herr Graf. Ich gehe durchaus nicht mit dem Plane um, Ihnen zu nehmen, was Sie rechtlich ererbt glauben. Nur in dem Falle, daß Sie mich im Besitze meines Buchenwaldes stören, werde ich auch dieses alte Recht verfolgen.«

Der Graf erblaßte. »Mögen die Toten auferstehen und gegen mich in die Schranken treten!« rief er. »Den Wald kann ich nicht hergeben.«

»Törichter Mann,« entgegnete Wolfgang. »Sie haben sich jene Urkunde auf eine Weise verschafft, die Ihren Stand und Namen schändet und bestehen doch darauf, daß ich Ihnen das Schandmal des Betruges auf die Stirne hefte. Welch eine Verblendung!

Diesem Sarge gegenüber wünschte ich Sie zu sehen, um Sie zur Gerechtigkeit zu führen. Sie aber bleiben halsstarrig, weil Sie sich einbilden, ohne den Wald nicht leben zu können.«

»Zeigst Du nicht dieselbe Halsstarrigkeit?« stieß Wallram hervor.

»Nein, Herr Graf. Ich gab einem Sterbenden das feierliche Versprechen, seinen Wald nicht in fremde Hände kommen zu lassen. Daran bin ich gebunden. Sie aber brauchen bloß von dem abzulassen, was Ihnen nicht gehört.«

Der Graf erhob sich. Ein Frösteln lief durch seine Glieder, und nur mit Hilfe Wolfgangs konnte er sich auf sein Roß erheben. Gedankenschwer ritt er heim, den Sarg mit dem erschlagenen Ritter immer vor Augen.

Auf der Schwelle seines Schlosses kam ihm seine Gattin Isabella mit freudestrahlendem Gesichte entgegen. »Wallram,« rief sie, »ich bringe Dir eine fröhliche Kunde.«

»Was ist es?« fragte er mit verdrießlichem Gesichte.

»Wir sind plötzlich zu den reichsten Leuten des Landes geworden. Die Herrschaft Bodenstein mit ihren unermeßlichen Wäldern, unerschöpflichen Bergwerken und großen Abgaben ist uns zugefallen. Der Bodensteiner, dem wir noch ein langes Leben zuerkannten, ist plötzlich gestorben.«

»Er war der Letzte seines Stammes wie ich es sein werde,« antwortete Wallram tonlos.

Die Nachricht machte keinen Eindruck auf ihn. Wäre sie gestern gekommen, so würde sein Entzücken groß gewesen sein. Heute ließ sie ihn kalt und gleichgültig. Isabella erschrak. Sie begriff sein Benehmen nicht, weil sie wußte, daß er ebensosehr nach dem Besitze geizte, wie er den Reichtum mit vollen Händen hinauswarf.

»Seit ich den erschlagenen Ritter gesehen habe«, sprach Cedernstein zu sich selbst, »ist mir das Blut in den Adern erstarrt. Ich muß zu Bette.« –

Am Nachmittage desselben Tages begab sich Wolfgang mit einer größeren Geldsumme zu seinem Rechtsanwalte in die Stadt. Gleich beim ersten Scheine, den er auf den Tisch legte, schaute ihn der Anwalt betroffen an und sprach: »Ich hoffe, daß Sie von diesen Scheinen nicht viele besitzen. Sie sind falsch.«

»Falsch?« fragte Wolfgang. »Erst gestern erhielt ich die Scheine von einem redlichen Manne, und es ist mir nicht in den Sinn gekommen, sie für falsch zu halten.«

»Dennoch ist es so,« entgegnete der Rechtsgelehrte. »Schauen Sie. Hier fehlt ein Bindestrich, der sich in allen echten Scheinen findet.«

Wolfgang stieg das Blut aus dem Herzen nach den Schläfen. Ein furchtbarer Verdacht war bei ihm rege geworden.

»Nehmen Sie sich mit diesen Banknoten in acht,«, riet der Anwalt. »Das ganze Land ist mit falschen Scheinen überschwemmt. Die Behörde macht eifrig Jagd auf die Verbreiter! Wer damit angetroffen wird, gerät natürlich in den bösesten Verdacht.«

Wolfgang eilte fort. In einem stillen Kaffeehause ließ er sich in einer Ecke nieder. Außer ihm befanden sich nur noch zwei Personen im Zimmer, die in ein eifriges Gespräch vertieft waren. Er hörte nicht darauf, weil er mit seinen eigenen Gedanken zu sehr beschäftigt war.

»Ah, Sennisheim, Dein Verdacht geht doch wohl etwas zu weit. Cedernstein ist doch ein Ehrenmann.«

Wolfgang horchte auf.

Sennisheim fuhr fort: »Ein Ehrenmann; ich will das Gegenteil nicht gerade gesagt haben, aber – –«

»Nun?«

»Erinnerst Du dich noch jenes Spielabendes, an dem er seine ganze Habe verlor und mir einen Schuldschein ausstellte?«

»Ganz genau.«

»Nun, am folgenden Tage hatte er Geld in Hülle und Fülle, und er löste seine Schuld teils mit solchen Scheinen ein. Sie fielen mir auf, weil sie so frisch aussahen, als wenn sie eben vom Drucke kämen. Damals blieb keiner in meiner Hand, weil ich alles wieder verlor. Cedernstein ist jedenfalls der erste gewesen, der sie ausgab.«

»Muß er darum der Fälscher sein?«

»Muß gerade nicht, aber ich kann mir auf keine andere Weise erklären, wie er alle seine Schulden hat bezahlen und noch dazu neue Erwerbungen machen können. Ich weiß genau, daß kaum noch eine Scholle sein wirkliches Eigentum war.«

»Das sind keine Gründe für einen so furchtbaren Verdacht.«

»Nun, ich habe noch einen anderen. Eines Tages sah ich, daß, Cedernstein eine Frau und einen jungen Menschen zu Schiffe brachte. Ich schöpfte Verdacht, forschte nach und stieß auf die Spur der »schwarzen Sybille«, die draußen vor der Stadt wohnte. Hier verbarg sich ein Geheimnis. Es ließ mir keine Ruhe. Ich mußte dahinterkommen. Das Gartentürchen war geschlossen, ich konnte nicht hinein.

»Ein Nachbar, teilte mir mit, daß die »schwarze Sybille« nicht mehr da sei.

»Ich weiß es,« gab ich zur Antwort, »aber ich muß durchaus hinein und etwas Vergessenes nachholen.«

»Da reichte mir der Mann einen Schlüssel, den er in seinem Garten gefunden hatte. Er paßte nicht zu dem Türchen. Es gelang mir aber auch ohne Schlüssel in den Garten und zum Häuschen der Sybille zu kommen. Ein kräftiger Ruck und die Haustür gab nach. So gelangte ich zu einem verschlossenen Raume, zu dem der Schlüssel des Nachbarn mir Eingang verschaffte. Der Raum war leer. Als ich über die Dielen schritt, gab eines der Bretter nach. Ohne daß ich eine Absicht dabei hatte, bückte ich mich nieder und fand, daß dieses Brett angeschraubt, statt aufgenagelt war. Das fiel mir auf, und ich brachte es von der Stelle. Was glaubst Du nun, was ich da fand?«

»Nun?«

»Dieses Päckchen, mein Freund.«

Er legte ein kleines Päckchen auf den Tisch und breitete es auseinander. »Nicht wahr, mein Lieber, das sind doch aufs Haar dieselben falschen Noten, die so massenhaft im Umlaufe sind?«

Der andere neigte sich über die Noten und entgegnete: »Wahrhaftig, es sind dieselben; aber es beweist nichts gegen den Grafen.«

»Vielleicht doch,« entgegnete Sennisheim. »Jedenfalls habe ich die Absicht, ihm zu Leibe zu gehen. Zahlt er nicht sehr gut, so streiche ich den Preis ein, der auf die Entdeckung des Fälschers gestellt ist. Dir habe ich meine Absicht offenbart, weil ich eines Zeugnisses bedarf. Du wirst mir wahr hatten, daß Cedernstein die Noten schon an jenem Abende ausgab. Natürlich erhältst Du dafür einen Anteil.«

Sennisheim und sein Freund erhoben sich und verließen das Kaffeehaus. Wolfgang aber nahm eine Banknote und jenes Papier aus der Tasche, das er von dem lahmen Fiedler erhalten hatte.

»Bei Gott,« murmelte er nach einiger Zeit angestrengten Vergleichens, »jener Willibald ist der Fälscher. Der Graf hat sich seiner zu verdammungswürdigen Zwecken bedient. Die arme Isabella, wie wird sie es tragen, wenn dieser Sennisheim kommt?«

Was sollte Wolfgang tun? Cedernstein war sein Widersacher, und er konnte nur gewinnen, wenn er der Sache ihren Lauf ließ. Sein Herz blutete jedoch bei dem Gedanken, daß eine Unschuldige in das furchtbare Verhängnis verwickelt werden sollte. »Ich muß ihn warnen,« dachte er, »aber mache ich mich nicht selbst sträflich, wenn ich einen Verbrecher dem Arme der Gerechtigkeit entziehe?« Aus einem Zweifel in den anderen geworfen, eilte Wolfgang alsbald heimwärts.

Auf Cedernstein fand er die Gräfin Isabella in großer Aufregung.

»Frau Gräfin,« sagte er, »ich muß sogleich den Herrn Grafen sprechen.«

»Das ist unmöglich,« antwortete sie, »denn er ist plötzlich erkrankt und liegt in wilden Fieberphantasien. Zwei Aerzte sind kaum imstande, ihn niederzuhalten.«

»Zürnen Sie mir nicht, gnädige Frau,« sprach Wolfgang, »daß ich zu so schlimmer Stunde komme. Wenn der Graf nicht imstande ist, mich zu empfangen, so müssen Sie mich anhören. Die Ehre und das Glück des Hauses Cedernstein stehen auf dem Spiele.«

»Die Ehre?« fragte sie heftig erschrocken.

»Gnädige Frau,« hub Wolfgang an. »Zu Einleitungen ist keine Zeit. Ich komme sogleich zur Sache. Cedernstein steht im Verdachte, falsche Banknoten haben anfertigen zu lassen. Daß er sie ausgegeben, ist bereits bewiesen.«

»Gerechter Gott!« rief Isabella. »Ist es dahin gekommen? O meine Ahnung, meine Ahnung!«

»Fassen Sie sich, gnädige Frau. Nehmen Sie alle Ihre Kaltblütigkeit zusammen, um einem gewissen Sennisheim entgegentreten zu können, der bald hier sein wird, um sein Stillschweigen teuer zu verkaufen.«

»Sennisheim? Weiß er davon?«

Wolfgang erzählte, was er in dem Kaffeehause gehört hatte.

»Mein Gott, raten Sie, was ich tun soll!« bat Isabella.

»Vor allen Dingen müssen Sie die Zeugen des Verdachtes entfernen. Ihr Mann wird noch falsche Scheine, vielleicht auch die Steine besitzen, von denen sie abgezogen sind. Das alles muß vernichtet werden. Auf diese Weise wird Cedernstein vielleicht dem Arme der Gerechtigkeit entrinnen. Aber die Schuld muß auch gesühnt werden. Alle Betrogenen müssen Ersatz haben. Versprechen Sie diesen zu leisten?«

»Ich verspreche es beim allwissenden Gotte, und ich kann mein Versprechen halten, denn wir sind plötzlich sehr reich geworden.«

»Wo bewahrt Cedernstein auf, was er geheim halten will?«

Die Gräfin stutzte einen Augenblick. In ihrem Herzen regte sich der Verdacht, Wolfgang komme vielleicht aus böser Absicht. Hatte er nicht Gründe genug, ihrem Manne gram zu sein? Aber sie machte sich von dem Gedanken los und schüttelte mit dem Haupte. Der junge Mann war eine durchaus edle Natur, daß sie sich ihm ohne Bedenken anvertrauen konnte. »Wolfgang,« sprach sie; »Sie verzeihen es meinem schwachen, von Furcht erfüllten Herzen, daß es einen Augenblick einen Verdacht gegen Sie hegen konnte. Sie sind edelmütig und werden meine Lage nicht verschlimmern. Darum will ich ohne Rückhalt sagen, was ich weiß. Mein Mann schloß sich oft und lange oben im Turmgemache ein. Vielleicht finden sich dort die verräterischen Zeugen seiner Verbrechen. Ich eile den Schlüssel zu holen. Er trägt ihn um den Hals und läßt ihn sonst nie von sich. Jetzt werde ich ihn nehmen können.«

Bald kam sie mit einem Schlüssel zurück und beide stiegen die Turmtreppe hinan. Ganz oben befand sich in der Mauer eine kleine eiserne Türe, die in den Schornstein zu führen schien. Sie war so enge, daß man sich durchwinden mußte.

»Hier ist ein geheimer Raum, den mein Fuß nie betreten durfte,« flüsterte sie.

Rasch warf Wolfgang die Fensterläden auf. Da zeigte sich auf den ersten Blick, was sie suchten. Auf einem Tische lagen mehr als ein Dutzend Steine nebeneinander. Alle trugen Zeichnungen von verschiedenartigen Banknoten.

Mit Hammer und Schabeisen vernichtete Wolfgang jegliche Spur von den Verbrechen des Schloßherrn. Die letzten Reste nahm der Schloßgraben auf. Fertige Scheine, die sich in ganzen Bündeln vorfanden, gingen in Flammen auf.

»Eilen Sie hinab, gnädige Frau,« riet Wolfgang, »und denken Sie nach, wie Sie Sennisheim empfangen wollen.«

»Sennisheim ist unschädlich,« sprach Isabella. »Der Zufall hat mir eine Entdeckung in die Hand gegeben, die ihn stumm machen wird.«

Sie ging hinab und war nicht zu früh gekommen. Sennisheim wartete bereits. Mit der ausgesuchten Höflichkeit eines vollendeten Edelmannes kam er ihr entgegen. Sein Mund floß über von Höflichkeit. Dann erklärte er, daß er gekommen sei, um den Grafen von Cedernstein in einer wichtigen Angelegenheit zu sprechen.

»Es tut mir leid, daß Sie sich vergebens bemüht haben,« sprach die Gräfin; »mein Mann ist krank und kann niemand empfangen.«

»Die Angelegenheit ist so dringend, gnädige Frau, daß sie keinen Aufschub erleidet.«

»In diesem Falle würden Sie sich mir anvertrauen müssen. Cedernstein ist so krank, daß ich für sein Leben fürchte.«

Sennisheim hatte das am allerwenigsten erwartet. Die Krankheit, besonders, wenn sie mit dem Tode endigte, konnte ihm den geträumten, ja sicher erwarteten Gewinst entreißen. Schnell überlegte er, wie er noch vor dem Schiffbruche die Habe retten könne. Vielleicht liefe sie sich noch eher einschüchtern als der Gatte. »Gnädige Frau,« sprach er, »die Angelegenheit war eigentlich nicht für Ihre Ohren bestimmt, aber da auch für Sie die größte Gefahr im Verzuge ist, so will ich mich Ihnen entdecken. Werden wir hier von niemand belauscht?«

»Von niemand; Sie können frei sprechen.«

Sennisheim drückte seine Stimme zu einem leisen Flüstern herab und teilte ihr in einer Weise, die für die Gräfin jeden Zweifel beseitigen sollte, mit, daß ihr Gemahl ein Fälscher in großartigem Maßstabe sei und daß es nur von ihm abhänge, in wie viel Stunden die Gerichte ihm über den Hals kommen würden.

Zu seiner Verwunderung blieb die Gräfin bei dieser furchtbaren Mitteilung ganz ruhig und beschränkte sich darauf, zu behaupten, ihr Mann treibe solche Künste nicht.

»Aber ich sagte Ihnen doch, daß ich die Beweise in Händen habe.«

»Sie sagten das, aber es wird Ihnen niemand glauben, was Sie sagen. Hätten Sie wirklich solche Beweise, so wäre es Ihre Pflicht, die Gerichte einschreiten zu lassen, nicht mich zu warnen.«

»Es gibt aber Leute,« fuhr Isabella mit gedämpfter Stimme fort, »die mehr Ursache haben, das Gericht zu fürchten als Graf Cedernstein. Auf Sie angewandt, Herr Graf, bin ich zur Kenntnis einer Geschichte gelangt, die mir selbst für den Fall, daß mein Gatte schuldig wäre, Ihr Stillschweigen verbürgen würde.«

Sennisheim erbleichte und fragte stotternd, was sie mit dieser geheimnisvollen Aeußerung sagen wolle.

Die Gräfin flüsterte ihm eine Antwort zu, die den letzten Rest von Selbstvertrauen in ihm ertötete. »Schweigen Sie, Gräfin,« bat Sennisheim in höchster Bestürzung. »Vertrauen gegen Vertrauen. Ich habe diesmal keinen Schwindel getrieben. Cedernstein ist so wahr ein Fälscher, wie ich ein Mörder bin. Hier sind die Scheine, die ich in seinem heimlichen Versteck aufgefunden habe. Machen Sie damit, was Sie wollen. Ich aber werde mich im Auslande vor Verfolgung und Strafe sichern. Wer weiß, es könnten auch noch andere Mitwissende da sein.«

Sennisheim empfahl sich eiligst und wurde nicht mehr gesehen. Nach Jahren ging das Gerücht, er sei in Australien wegen eines ehrlosen Verbrechens aufgeknüpft worden.


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