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XIII.

Abreise von Bali. Tante Molly in ihrem Pallaste zu Weltevreden. Bob, der schlaue Neger. Ein Zwiegespräch auf dem Meere.


Am nächsten Morgen eilte Elster zum Könige und bat ihn um ein Schiff, das ihn schnell nach Batavia brächte.

Ein großes Schiff habe ich nicht, antwortete der König und meine Pirogen wagen sich nicht an das Ufer von Java, weil wir mit den Holländern im Kriege liegen; aber du hast ja dein eigenes Boot. Bis zur Insel wird es dich tragen und dann kannst du leicht zu Lande nach Batavia gelangen.

Das lag nun keineswegs in seinem Plane, weil sich die Reise dann zu sehr verzögerte; aber er überzeugte sich bald, daß es aus einem andern Wege gar nicht ging; deßhalb that er dem Könige die Absicht kund, sobald als möglich Bali zu verlassen.

Der Fürst hätte ihn gerne länger gehalten, aber selbst der deutsche Kaiser würde ihn dazu nicht beredet haben.

Du hast meiner Tochter Gutes gethan, sprach er; nimm diesen Beutel mit Geld und meinen tiefsten Dank, aber laß mich ziehen, ehe der Tag sich zu Ende neigt.

Was soll ich mit dem Gelde, antwortete der König; wenn du Reis hast, so gib ihn, Geld kann ich nicht essen. Sieh, mein Volk gibt mir gern, was es besitzt, aber es hungert oft genug und schreit nach Reis. Wenn du keinen hast, so ziehe im Frieden. Ich habe dich und dein Kind gespeist, weil es Menschenpflicht ist. Du würdest dasselbe thun, wenn ich in dein Land käme.

Du sollst dennoch Reis haben, sprach Elster; von Batavia aus werde ich dir reiche Vorräthe schicken, und sollte ich mir auch selbst den Weg durch die Holländer brechen müssen.

Der Steuermann wurde nun auch seiner Sclaverei entledigt und nachdem feierlicher Abschied genommen war, zog die ganze Karavane dem Ufer zu, wo einige Matrosen das Boot bewachten.

Als sie einstiegen, kam Balla, das Malayenmädchen, welches der Steuermann zu kaufen versprochen hatte, in hastiger Eile dahergelaufen und bat mit aufgehobenen Händen, sie mitzunehmen.

Elster, welcher nun auch von dem Handel hörte, den der Steuermann abgeschlossen hatte, war der Ansicht, daß es ein recht gottloser Handel gewesen sei, aber was einmal versprochen sei, das müsse man halten; darum solle Balla mitgehen und Veronika's Dienerin werden.

Balla's Vater kam auch herbei; er verzichtete auf jede Entschädigung, wenn er nur des Kindes los werde.

Stoßen wir ab, sprach Elster, sonst müssen wir schließlich noch die halbe Insel mitnehmen.

Etwas Annäherndes war allerdings zu fürchten, denn kaum hatten die Gaffer am Ufer wahrgenommen, wie leicht Balla zur Erfüllung ihres Wunsches gelangte, als sich auch noch andere Malayen-Mädchen hinzudrängten, um aufgenommen zu werden. Dagegen aber wurde nun feierlich Protest eingelegt, und bald nachher schwamm das Boot auch schon auf hoher See.

Die Insel Java war in kurzer Zeit erreicht, nicht aber die Stadt Batavia; um dorthin zu gelangen mußten sie die Insel ihrer ganzen Länge nach zu Lande durchwandern, wobei es an großen Mühsalen, Entbehrungen und unangenehmen Zufällen nicht fehlte. Doch auch das wurde schließlich überwunden und die zahlreiche Karavane, welche Herrn Elster begleitete, zog in die Königin des Ostens ein.

Den beiden Elster gelüstete es nicht, sich in dieser Königin des Ostens, wo die Kanäle von Krokodillen wimmeln, lange aufzuhalten. Die giftigen Nebel, welche an den Giebeln der hohen, theils zerfallenen, theils verschlossenen Häuser hinaufstreichen, bekommen einer deutschen Lunge schlecht. Nur Malayen und Holländer können da ausdauern. Dagegen ladet der höher gelegene Stadttheil Weltevreden mit seinen wunderschönen Villen und zauberischen Gärten auch ein deutsches Kind zur angenehmen Rast ein.

Dorthin wendete sich denn auch Elster mit seinen Kindern, Babette und dem Steuermann, während die Besatzung des gescheiterten Schiffes in der untern Stadt Batavia's zurückblieb, um eine baldige Fahrgelegenheit nach Holland zu suchen.

Also hinauf nach Weltevreden zu Tante Molly!

Die Schwester des Herrn Elster gehörte wohl zu den allerreichsten Eigenthümern auf Java, das wußte Jedermann in Batavia, und wer's nicht wußte, der konnte es an dem großen Pallaste schon merken, den sie bewohnte.

Ein wahres Heer von Dienern und Dienerinnen huschte da aus und ein, Schwarze, Braune und Weiße, Christen, Muhamedaner und Götzendiener, wie sie das Land und die Umstände eben zusammengewürfelt haben. Tante Molly war eine alte Dame, die persönlich nur sehr wenige Bedürfnisse hatte und recht gut mit einer einzigen Kammerzofe ausgekommen wäre; deßhalb hätte es also der großen Dienerschaft nicht bedurft – aber sie war ja unermeßlich reich. Reiche Leute müssen immer ein Heer von Faullenzern um sich haben, damit Stand und Würde nicht leiden.

Ein krausköpfiger Neger stand unter dem großen Portale, als Elster ankam und nach der Herrin des Hauses fragte. Dieser Krauskopf warf einen mißtrauischen Blick auf die Garderobe der Ankommenden, welche allerdings mehr nach Schiffbruch als nach dem Salon aussah; dann machte er ein recht pfiffiges Gesicht und meinte, es sei nicht ganz sicher, ob sie vorgelassen würden.

Dionisius Elster war wegen des weiten Landweges nicht bei der allerbesten Laune; es kam ihm ganz unerwartet, daß er auf der Schwelle seiner Schwester erst um Audienz bitten solle. Er schob also den Neger ohne alle Complimente bei Seite, schritt durch das Portal und direct in die Säle hinein, die er so gut kannte, wie sein Haus zu Nürnberg.

Hier wurde ihm der Bescheid, daß die Herrin sich im Garten befinde; dahin richtete er nun seine Schritte und hieß seine Begleiter auf einer Terrasse warten, wo die wunderbarsten Blumen dar Auge mit ihren Farben und Formen entzückten und die Luft mit den köstlichsten Wohlgerüchen erfüllten.

In einem Gebüsch, wo Schatten und Sonne im richtigen Verhältniß zueinander standen, saß Tante Molly auf einer marmornen Ruhebank; am plätschernden Springbrunnen hockte eine Zofe und las der Gebieterin aus einem Erbauungsbuche vor. Die edle Dame war offenbar mit einem tiefen Kummer belastet, denn das Gesicht sah traurig aus und das Auge war von Thränen verschleiert.

Elster hatte sich leise genaht und stand ihr betrachtend gegenüber, doch nur wenige Augenblicke, dann ging er auf sie zu, breitete seine Arme aus und rief: Molly, meine Molly, sehe ich dich endlich wieder!

Molly schaute auf; sie hätte eher an den Einfall des Himmels als an den Bruder gedacht; deßhalb erkannte sie ihn nicht sogleich. Doch ein liebendes Herz bedarf nicht viel Zeit, um sich in lange nicht gesehenen Zügen wieder zurecht zu finden. Dionisius, mein Bruder, rief sie; du in Weltevreden? Welch' ein Glück, daß ich dich noch einmal sehen darf, ehe ich sterbe!

Langsam und nicht ohne Mühe – denn Tante Molly war mit den Jahren alt und gebrechlich geworden – erhob sie sich und preßte den Bruder in die Arme.

Das war ein seliges Gefühl, so in den Armen des längst Entbehrten zu liegen, aber es dauerte nicht lange, so riß sie sich los, bedeckte das Gesicht mit beiden Händen und weinte bitterlich. Du bist da, sprach sie schluchzend, und Veronika liegt auf dem Meeresgrunde. Daß ich Unglückselige auch den Gedanken haben mußte, sie nach Batavia kommen zu lassen!

Molly, meine liebe Schwester, sprach Dionisius, klage dich nicht an; Veronika lebt, sie ist in deinem Hause und wartet nur auf den Augenblick, wo ich sie rufen werde. Und nicht allein Veronika, auch Balduin ist hier, also die ganze Familie zusammen.

Veronika, Balduin! rief er dann. Die Gerufenen eilten herbei und hingen der Tante am Halse.

Dieser ging es nun um kein Haar besser, als es Veronika auf Bali gegangen, da sie unerwarteter Weise den Vater wiedergefunden.

Wie ist es aber möglich, daß sie lebt? fragte sie; Schwerdtlein hat mir doch gesagt, daß sie mit der ganzen Schiffsmannschaft zu Grunde gegangen sei.

Gehen wir hinein, antwortete Dionisius, du sollst über diesen saubern Vetter Schwerdtlein Dinge hören, die dir das Haar zu Berge sträuben werden. Wenn der Vogel noch hier ist, so denke ich ihn zu fangen. Hier, wo deine Diener jedes Wörtlein auffangen, müssen wir vorsichtig sein.

In einem Salon, der für einen Fürsten reich genug gewesen wäre, saßen die glücklich vereinten Verwandten zusammen und auch Babette und der Steuermann waren dabei, um Auskunft zu geben und die Angaben Veronika's zu bestätigen.

Elster erzählte nun den Hergang von dem letzten Briefe Molly's bis zur Abreise seiner Tochter, dann setzte Veronika den Bericht bis zum Wiederfinden durch den Vater fort.

Die Tante, die vor Erstaunen über die bodenlose Schlechtigkeit des Menschen gar nicht zu sich kommen konnte, schilderte ihnen, wie Schwerdtlein mit erheuchelten Thränen gekommen und ihr von dem Schiffbruche, wobei auch Veronika um's Leben gekommen sei, Mittheilung gemacht habe.

Sie hatte damals keine Veranlassung, ihm zu mißtrauen; sie glaubte ihm nicht allein Alles, sondern bat ihn auch dringend, in Batavia und ihrem Hause zu bleiben, damit doch wenigstens einer von ihrer Verwandtschaft um sie sei, wenn sie sterbe, was wohl so lange nicht mehr dauern werde.

Entrüstet erhob sie sich, schloß einen Schrank auf und holte ein Papier hervor. Seht, sprach sie; er wußte sich so liebevoll anzustellen, daß ich ihn mit Euch zu gleicher Zeit zu meinem Erben einsetzte. Aber wehe ihm nun!

Ueberlaß mir die Strafe! bat Dionisius. Sie nickte, denn die Aufregung machte sie schon jetzt krank.

Wo ist der saubere Patron? fragte Elster.

Seit drei Tagen, antwortete sie, ist er nicht in Weltevreden, sondern macht nach seiner Angabe eine Reise über die Insel, um Geschäftsverbindungen anzuknüpfen.

So werden wir Vorsicht gebrauchen müssen, daß er unsere Anwesenheit nicht erfährt, sprach Elster. Hast du keinen treuen und zuverlässigen Diener, welcher Stadt und Umgegend genau kennt und dazu schlau genug ist, einen Auftrag pünktlich zu erfüllen?

Bob, der Thürhüter, antwortete sie.

Gut, so will ich mit diesem Bob sprechen. Elster ging hinaus und zog Bob in ein Stübchen, wo sie lange mit einander redeten.

Am Ende dieser Unterredung kam Bob mit freudestrahlendem Gesichte heraus; er lachte so vergnüglich, daß man seine weißen Zähne, die von der schwarzen Hautfarbe tüchtig abstachen, alle der Reihe nach sehen konnte.

Also diesem Herrn Schwerdtlein soll etwas am Zeuge geflickt werden, sprach er vor sich hin. Recht, ganz recht so – dieser Schwerdtlein ist ein Spitzbube, ein ausgemachter Spitzbube; das sieht man ihm auf zwanzig Schritte an. Wie er es fertig gebracht hat, die Herrin so für sich einzunehmen, das begreif ich nun einmal gar nicht; sie ist doch sonst klug und kennt ihre Leute.

Also mit sich selbst redend, verschwand er in seinem Stübchen, dessen Thüre sich in das Portal öffnete, kam aber bald in einem Matrosenanzuge zurück.

Als er die Villa hinter sich hatte, begann er ein lustiges Matrosenlied zu singen und eilte auf den Hafen zu; dort lag die Veronika; sie hieß aber nicht mehr so, sondern Columbia und hatte einen ganz neuen Anstrich, so daß ein Seemannsauge dazu gehörte, um sie wieder zu erkennen.

Uebrigens lag sie auch weit genug außerhalb des Flusses im Meerwasser und konnte also nur von Weitem gesehen werden. Und doch hatte Bob eben auf dieses Schiff seinen Plan gebaut, denn mehr als einmal hatte er den Schwerdtlein beobachtet, wie er auf leichtem Kahn nach demselben hinaussteuerte, dort lange verweilte und dann unter verdächtigen Umständen zurückkehrte.

Bob löste ebenfalls einen Kahn vom Ufer, um hinüberzufahren. Er wollte sich an Bord begeben und sich als Matrose melden; vielleicht fand sich auf diese Weise Gelegenheit, etwas zu erspähen. Schon hatte er den Fuß im Kahn, da gewahrte sein scharfes Auge in der Nähe des Schiffes ein Boot mit einem einzelnen Menschen. Das ist wahrhaftig Schwerdtlein, sprach er zu sich selber; was der nur jetzt da macht, wo ihn Jedermann auf einer Landreise glaubt? Er wird doch nicht an Bord übernachten wollen, denn der Abend ist wirklich bald da.

Es schien Bob jetzt nicht mehr gerathen, hinauszusteuern, denn wenn Schwerdtlein ihn bemerkte, so verdarb er sich wahrscheinlich das ganze Spiel. Als es aber dunkel wurde, besann er sich anders, bestieg den Kahn und ruderte hinaus, doch so vorsichtig und leise, daß seine Ruder kaum ein Geräusch verursachten.

Auf dem Wasser war es ganz dunkel, auch rauschten die Wellen so laut, daß er ungehört an die Columbia heranrudern konnte.

Eines der Kajütenfenster zunächst dem Wasser war beleuchtet; dort mußte Schwerdtlein sein. Bob ruderte seinen Nachen unter dieses Fenster, um wo möglich hindurchzuspähen. Es ging besser, als er gedacht hatte; Schwerdtlein saß vor einem Schreibtische, den Kopf in die Hand gestützt. Ihm gegenüber stand ein Matrose und betrachtete ihn mit halb mißtrauischen, halb grimmigen Blicken.

Teufel, welche Luft herrscht in dieser Kajüte, sprach Schwerdtlein und riß das Fenster auf. Es fehlte nur ein Haar, so wäre Bob entdeckt worden, denn Schwerdtlein warf einen Blick hinaus, um sich zu vergewissern, daß kein Boot in der Nähe sei. Unter das Fenster schaute er glücklicher Weise nicht.

Hartepool, hob Schwerdtlein an, ich habe die Veronika, wollte sagen, die Columbia an den Rheder verkauft, welcher sie gestern besehen hat. Die Hälfte wird auf dich fallen.

Nur her damit, antwortete der Matrose.

Erst muß ich's selbst haben, gab Schwerdtlein zur Antwort, aber es wird heute Nacht ausbezahlt und da kannst du dabei sein. Du kennst ja Straße und Haus.

Kenn' es, Herr Schwerdtlein, antwortete Hartepool, aber werde ich dann auch meinen Antheil an der verkauften Ladung erhalten, auf die ich schon lange genug warte? Denke, es wäre endlich Zeit! Oder haben der Herr Schwerdtlein für seinen letzten Bundesgenossen vielleicht auch so eine Bezahlung im Sinne, wie für meine armen Kameraden?

Zum Teufel mit deinem ewigen Mißtrauen, antwortete Schwerdtlein; komm um Mitternacht und hole dein Geld, dann magst du dich trollen, wohin du willst; je weiter, desto besser für dich und mich.

Ich werde kommen, antwortete Hartepool, aber wehe Ihnen, wenn Sie mich in eine Falle locken! Die Geschichte, wie das deutsche Mädchen und der Kapitän Jongmanns umgekommen sind, kommt dann unter die Leute, so wahr ich Hartepool heiße.

Würde dich ja selbst an den Galgen bringen, Dummkopf! sprach Schwerdtlein.

Der Matrose gab ihm keine Antwort, sondern verließ brummend die Kajüte.

Es ist wirklich die höchste Zeit, daß er abgethan wird, sprach Schwerdtlein zu sich selber. Es muß vor Mitternacht geschehen oder der Kerl macht mir einen dummen Streich. Aber ich habe selbst die Courage nicht, obschon ich mit der Absicht hiehergekommen bin. Doch es wird sich schon ein Neger für diesen Dienst finden. Muß einmal nach dem schwarzen Kabu umschauen.

Dann stand er auf und verließ gleichfalls die Kajüte.


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