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VII.

Die Malayenfamilie und ihre Gastfreundschaft. Ein Siribissen als Freundschaftszeichen. Eine Nacht in der Malayenhütte. Scorpionen. Affen. Papageien.


Obschon das Mädchen sich in Hautfarbe und Gesichtsbildung sehr bedeutend von den Europäerinnen unterschied, so konnte sich Veronika doch nicht enthalten, beim Anblicke eines menschlichen Wesens einen Freudenruf auszustoßen.

Das Mädchen sah von seiner Arbeit auf und kehrte das Gesicht den Ankommenden entgegen. Offenbar war sie nicht weniger überrascht als die kleine europäische Caravanne, welche gegen sie heranzog; sie schien zu schwanken, ob sie bleiben oder fliehen sollte. Zum Letztern schien sie entschlossen, als Veronika ihr mit einem Tuche winkte, zu bleiben. Unschlüssig wandte sie sich bald vorwärts, bald zurück, bis noch ein zweites Mädchen aus der Hütte trat und ihre Sicherheit verstärkte.

Das sind Malayinnen, flüsterte der Steuermann, ich weiß das genau, denn auf Timor habe ich ebensolche Gesichter getroffen. Gott will uns wohl; bei meinem dortigen Aufenthalte lernte ich wenigstens so viel Worte, um mit ihnen sprechen zu können.

Zu den beiden Malayinnen gesellte sich nun auch noch ein junger Mann, welcher eine drohende Miene annahm und nach einem neben dem Feuer liegenden Bogen griff.

Unterdessen waren die drei Personen bei dem Feuer angekommen. Der Steuermann redete den jungen Mann an und bat für sich und seine Begleiterinnen um Brod und Wasser.

Die heimischen Laute verbannten bald den drohenden Zug aus dem Gesichte des Malayen und seine Schwestern eilten hinweg, das Verlangte zu holen.

Das eine der beiden Mädchen kam mit einer Cocosschale voll frischen Wassers, das andere mit braunen Kuchen zurück. Anmuthig und freundlich führten sie den Angekommenen Speise und Trank an die Lippen und betrachteten sie neugierig. Dann holte die älteste Matten aus der Hütte und lud die beiden Europäerinnen ein, sich neben sie zu setzen.

Weder Veronika, noch Babette war im Stande, sich mit der unnachahmlichen Grazie der Malayinnen, d. h. mit untergeschlagenen Beinen niederzulassen, aber das hinderte nicht, daß die vier Frauen sich recht bald mit einander zu schaffen machten. Der ganze Gedanken-Austausch bestand freilich nur in Zeichen, aber sie verstanden sich doch, denn der Inhalt drehte sich ausschließlich um Veronika's und Babetten's Kleidung.

Sie mußte ihnen allerdings außerordentlich reich und kostbar erscheinen, denn das milde Klima der Insel erlaubte ein gänzliches Nacktgehen. Die Malayinnen glaubten sich deßhalb auch mit dem Fetzen Baumwolle, der nur einen Theil ihres Körpers verhüllte, sehr geschmückt.

Veronika wollte sich die Mädchen geneigt machen, deßhalb schenkte sie jeder von ihnen ein seidenes Tüchlein, wie es unsere Damen um den Hals binden.

Jubelnd, wie Kinder, welche auf dem Jahrmärkte beschenkt worden sind, nahmen sie die Tücher an und begannen sich damit zu schmücken. Aber sie wußten nicht, an welchen Körpertheil es gehörte; die eine schlang es um das Bein, die andere um den Arm.

Lächelnd band ihnen Veronika dieselben um den Hals. Das fand ihren ganzen Beifall und sie jauchzten so laut, daß der Bruder sie verweisend ansah.

Der Steuermann hatte sich unterdessen mit diesem in eine Unterhaltung eingelassen, ihm seine Schicksale erzählt und nach dem Namen der Insel gefragt.

Zu seinem Schrecken erfuhr er nun, daß sie sich auf Timor befanden, also weit über das Ziel hinaus, nach welchem sie steuerten. Im besten Falle, und wenn ihnen gar keine Unfälle begegneten, brauchten sie Monate, ehe sie von hier aus Java und also Batavia erreichten.

Das Schiff mußte schon lange einen falschen Kurs inne gehalten haben, der dann auch beibehalten wurde, als der Kapitän erkrankte.

Der Steuermann theilte dem jungen Maladen seine Noth mit und verhehlte ihm die Befürchtung nicht, daß die beiden Mädchen auf der Insel vielleicht einer schlimmen Behandlung ausgesetzt sein würden.

Da zog der Malaye seinen Krisch, den landesüblichen, flammenartig geschweiften Dolch aus dem Gürtel und sprach: So lange du bei mir bist, habt Ihr nichts zu fürchten; mein Krisch würde jeden niederstrecken, der sie zu berühren wagte.

Um dem Steuermann noch einen größern Beweis seines Wohlwollens zu geben, nahm er seinen Siribissen aus dem Munde und steckte ihn freundlich lächelnd in den Mund des Seemanns. Dieser Siribissen ist nichts mehr und nichts minder, als ein Priemchen, wie es die Matrosen zu kauen pflegen; aber es besteht nicht aus Tabak, sondern aus einem Stücke der Areka-Nuß, um welches ein Blatt der Betelpfefferpflanze gewunden ist. Dieses Priemchen steckt zwischen dem Backenfleische und den Zähnen, die es auch nach und nach gründlich ruinirt, wie es auch den Speichel stets roth färbt.

Meine Leser würden sich für die Gunstbezeugung des Malayen freundlichst bedankt haben; auch mochte das Geschenk der Freundschaft dem Matrosen nicht sonderlich angenehm sein, aber er kannte die heimische Sitte zu wohl und wußte, daß die Zurückweisung eine tödtliche Beleidigung gewesen wäre, die nur durch einen Stoß mit dem nie fehlenden Krisch abgewaschen werden konnte.

Er machte also zum bösen Spiele gute Miene und schenkte ihm dagegen eine Schnur bunter Glasperlen, die er bei sich führte.

Lächelnd nahm der Malaye sie an und wand sie um das Handgelenk. Seine beiden Schwestern, welche der Meinung sein mochten, daß eine so seltene Zier sich besser für das schöne Geschlecht schicke, schwatzten ihm die Perlen mit einem Schmeichelgeschick ab, welches man auf Timor nicht gesucht haben sollte.

Veronika und Babette aber hatten die Vorliebe der Mädchen für solche Dinge kaum bemerkt, als sie Alles, was sie von derlei Spielereien bei sich führten, unter sie theilten.

Nun war der Bund der Freundschaft befestigt und es stand bei den Malayen fest, daß die Fremden ihre Niederlassung so bald nicht wieder verlassen durften.

Den ganzen Tag führten sie ein heiteres Geplauder, und selbst die vier Mädchen brachten es durch ernstliche Bemühungen von beiden Seiten dahin, daß sie ihre Zeichen verstanden, wenigstens glaubten, dieselben zu verstehen.

Die Hütte der Malayen war eben kein Bauwerk nach unsern europäischen Begriffen, aber sie hatte den Vorzug, daß sie rings umher und selbst über dem Dache mit blühenden Gewächsen umrankt und überklettert war. Das Innere bestand aus nur einem einzigen Raume, dessen Fußboden ganz mit zierlich geflochtenen Matten bedeckt war. In einigen Nischen der leichten Wände befanden sich die wenigen Habseligkeiten dieser einfachen Naturkinder.

Pisang und Palmfrüchte, der Saft des Zuckerrohrs und das Mark der Palmen bildeten das Abendmahl und zwar für einen verwöhnten Gaumen ein äußerst frugales. Wahrscheinlich aber hatten die Malayen lange nicht so luxuriös gespeist, denn ihnen genügt leicht eine tropische Frucht und ein Schluck Quellwasser. Für den Gast aber bieten sie Alles auf; sie würden denjenigen verachten und selbst bestrafen, der ihm nicht das Beste vorsetzte. Gastlichkeit thut aber auch in einem Lande, wo es keine Wirthshäuser gibt, Noth.

Als die Sonne sich niedersenkte, machten die Malayinnen Anstalten, den Fremden das Nachtlager zu bereiten. Sie hoben in der Hütte die Matten auf und trugen sie in's Freie, wo die ältere sie ausklopfte, während die jüngere den Boden der Hütte mit einem Besen von Baumfasern reinigte. Veronika, welche dabei zugegen war, ergriff eiligst die Flucht, denn dort, wo kurz vorher die Matten gelegen hatte, wimmelte es von giftigem Ungeziefer. Spinnen, Eidechsen und Scorpione tummelten sich zu Dutzenden herum.

Die junge Malayin lachte über ihre Furcht; sie war ja von den ersten Tagen ihrer Kindheit an eine solche Gesellschaft gewöhnt, und es kam ihr niemals in den Sinn, ängstlich zusammenzufahren, wenn sie im Halbschlafe eines dieser Thiere unter sich herumkriechen fühlte.

Der Steuermann, welcher häufig genug die Gastfreundschaft der Eingebornen auf Timor in Anspruch genommen hatte, beruhigte die Mädchen mit der Versicherung, daß ihnen nicht das Mindeste geschehen würde; dennoch hatte er Mühe genug, sie zum Eintritte in die Hütte zu überreden, wo die Matten den Boden und einen Theil der Wände bereits wieder bedeckten und dem Gewürm den Zugang zu den Schlafenden verwehrte.

Der junge Malaye hatte aus Zartgefühl für die beiden Europäerinnen den Raum der Hütte durch eine große niederhängende Matte in zwei Theile gesondert, so daß der vordere Theil nächst der Thüre von den beiden Männern, der Hintere aber von den vier Mädchen eingenommen wurde.

Sie waren müde und streckten sich auf die Matten aus. Von Decken, Unterlagen und weichen Kopfkissen ist bei den Eingebornen von Timor nicht die Rede. Ein Luxus ist es schon, wenn man sich ein viereckiges Stück Holz unter den Kopf schiebt. Veronika und Babette aber erhielten als ein Zeichen besonderer Gewogenheit eine mit einer Matte umwundene Cocosnuß als Polster für den Kopf. Veronika fand es übrigens weit bequemer, sich in sitzender Stellung mit dem Rücken gegen die Wände des Hauses zu lehnen. Es dünkte ihr dieses auch sicherer für die schnelle Flucht, wenn trotz aller Betheuerungen eines der häßlichen Reptilien einen Besuch bei ihr abstatten sollte.

Die Nacht ging auch wirklich nicht ohne Störung vorüber, aber nicht die Scorpione waren es, welche dieselbe hervorbrachten, sondern – die Affen. Der Reis, welcher um die Hütte herum wuchs, mußte sie angelockt haben. Leise hörte man sie vorüber huschen, einen nach dem andern, und bald nachher ging das Raufen und Quicken auf dem Reisfelde und zwischen den Körner tragenden Halmen los.

Der Malaye erhob sich wüthend von seinem Lager und stieß derbe Flüche gegen die abscheulichen Räuber aus. Auch der Steuermann stand auf und es schien, daß er dem Malayen einen Rath ertheilte. Bald darauf hörte man beide ihr Lager verlassen und in die Nacht hinaustreten.

Die ältere Malayin verschob eine der Matten, welche ein Loch zudeckte, das statt des Fensters diente, und winkte Veronika heran. Die Helle der Nacht gestattete einen weiten Blick über das Reisfeld, auf welchem die dunklen Gestalten der Affen sich leise quiekend hin und her bewegten. Die Ungestörtheit, womit sie ihren nächtlichen Raub bewerkstelligen konnten, schien ihnen noch größeres Vergnügen zu machen, als die schmackhafte Speise.

Die beiden Männer hatten sich zwischen die Schlinggewächse verborgen, welche die Hütte umrankten. Diesem Umstande war es wohl zuzuschreiben, daß die ausgestellten Schildwachen keinen Verdacht schöpften.

Der Steuermann hatte seine Büchse mitgenommen; jetzt schob er den Lauf durch das Gezweige. Der nächste Affe, welcher spähend auf einer Palme saß und die Hütte nicht aus dem Auge ließ, hatte sicherlich keine Ahnung von der Gefährlichkeit des eisernen Rohres, denn die Flinte war in dieser Gegend zu ihrer Ausrottung noch nicht angewendet worden, aber auch ein Stecken wäre hinreichend gewesen, ihn zu warnen. Er erhob also ein durchdringendes Geschrei, sprang von der Palme hinab und eilte auf seine Brüder zu.

Diese erhoben die Köpfe, spähten nach der Richtung der Gefahr und setzten sich eben in Trab, als der Schuß unter sie krachte. Die Kugel fuhr einem derselben in den Leib; er überschlug sich ein paarmal und schrie so jämmerlich, daß Veronika von diesen klagenden Lauten erbebte.

Seine Gefährten faßten den Sterbenden um den Leib und trabten heulend mit ihm hinweg.

Du wirst nun für manche Nacht Ruhe haben, sprach der Steuermann, denn die Bestien werden das Feld fürchten, wo unsichtbare Todeswürfe ausgetheilt werden.

Der Rest der Nacht verging ruhig; kein Affe ließ sich mehr sehen, aber Veronika konnte doch kein Auge zuthun, denn das Geschrei des getödteten Thieres tönte fortwährend in ihre Ohren und erschütterte sie bis in das Innerste der Seele.

Am nächsten Morgen, als die Malayen-Mädchen ein Frühstück aus dem Safte des Zuckerrohrs, Palmfrüchten und Reiskuchen bereiteten, bedeckte sich das Feld mit einer Unzahl buntfarbiger Papageien, die trotz der Nähe einer menschlichen Wohnung mit frechem Geschrei die Rispen aushülsten und sich die Körner wohlschmecken ließen.

Nun trat der Steuermann wieder in's Mittel, um sie auch von diesen Plagegeistern zu befreien. Hinter dem Stamme einer Palme verborgen, sandte er eine Schrotladung unter sie. Mehrere blieben auf dem Platze; die andern flogen dem Walde zu, wo sie ein verworrenes Geschrei erhoben, in welches die ganze Vogelwelt einstimmte.

Nach dem Frühstücke drückte der Steuermann den Wunsch aus, von seinem jungen Freunde nach irgend einer Stadt gebracht zu werden, wo sich Europäer befänden.

Du hast kaum noch unser Brod gegessen, erwiederte dieser traurig, und schon willst du uns verlassen? Bleibe, bis wir den Reis geerndtet und neuen Palmwein bereitet haben.

Der Steuermann deutete auf seine Begleiterinnen und sprach: Ich habe einen Schwur gethan, sie in der kürzesten Frist nach Batavia zu bringen. Willst du, daß ich meineidig werde und sie in Trauer vergehen?

Als die beiden Malayinnen hörten, um was es sich handele, schlossen sie die beiden weißen Freundinnen in ihre Arme und wollten sie durchaus nicht ziehen lassen. So setzten sie dann noch einen Tag zu; am nächsten Morgen aber steckte der Malaye seinen Krisch in den Gürtel und schritt ihnen voraus der Stadt Kupang zu. Seine Schwestern gaben ihnen noch eine Strecke Weges das Geleit. Unter Thränen nahmen sie Abschied und eilten dann zurück; alle Minuten aber blieben sie stehen und winkten den Scheidenden mit den geschenkten Tüchern ein Lebewohl nach.


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