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XII.

Elster begibt sich auf die Reise, um seine Tochter zu suchen. Schiffbruch und Ankunft auf der Insel Bali. Ein Tanz, bei welchem die Tochter den Vater und Bruder erkennt.


Es ist nun an der Zeit, daß wir uns wieder einmal nach Herrn Dionisius Elster in Nürnberg umsehen. Zwei Briefe hatte er von seinem Kinde erhalten, den letzten von Holland. Seit jener Zeit aber hörte er nichts mehr, ein Umstand, welcher nicht wenig dazu beitrug, seinen krankhaften Zustand bedeutend zu verschlimmern.

Als die Zeit endlich herankam, wo wohl ein Brief aus Batavia kommen mußte, stieg sein Leid auf's Höchste, und dieses um so mehr, da Balduin ihn häufig genug mit vorwurfsvollen Augen ansah, obschon er nicht zu sprechen wagte.

Sein ganzes Schreiberpersonal, der alte Buchhalter Kaspar Goldenfuß mit einbegriffen, mußten täglich zweimal in die Sebalduskirche, um für das Kind zu beten.

So waren zwei Monate in's Land gegangen; da endlich kam ein Brief aus Batavia, aber nicht von Veronika, sondern vom Vetter Cornelius Schwerdtlein. Und dieser Brief war nicht darnach angethan, die Angst des alten und jungen Herrn zu erleichtern; er stürzte sie im Gegentheil erst recht mitten in Trauer und Betrübniß hinein, denn das Schreiben enthielt in kurzen und trockenen Worten die Hiobspost, das Schiff sei in Sicht von Batavia gescheitert, die gesammte Mannschaft und mit ihr die geliebte Tochter in den Wellen begraben worden; ihm allein habe Gott das Leben erhalten, und nun sitze er in Batavia, um der Tante Molly ihre letzten Lebenslage zu verkürzen. Wenn er jemals wieder nach Nürnberg zurückkomme, so werde der Vetter ein Einsehen haben, und ihm die vielen erlittenen Drangsale durch klingende Münze versüßen.

Nicht allein Herrn Elster's Haus, sondern halb Nürnberg kam bei dieser Nachricht in Aufruhr. Der unglückliche Vater glaubte vor Schmerz zu sterben, Balduin schlich wie ein Schatten umher; Alles weinte, nur Goldenfuß nicht. Es fehlte ihm nicht an Herz; vielleicht liebte er das Mädchen mehr als irgend einer; aber er glaubte an die ganze Geschichte nicht.

Er pflegte sich sonst niemals in Familien-Angelegenheiten zu mischen; dießmal aber machte er eine Ausnahme: Er spritzte seine Feder aus, verfügte sich in das Stübchen, wo der Prinzipal auf seinem Sessel lag und sprach gerade heraus: Mit dem Schwerdtlein haben der Herr Prinzipal einen dummen Streich gemacht; der Kerl ist ein Spitzbube gewesen, so lange er Schwerdtlein heißt, und er ist es noch heute. Ein Schiff kann untergehen, aber die Veronika ist nicht untergegangen.

Woher weißt du das? fragte Elster.

Niemand hat mir Nachricht davon gegeben, fuhr Goldenfuß fort, und redete sich dabei so in den Gift hinein, daß er kirschroth im Gesicht wurde, aber hier in meinem Herzen steht's. Der Kerl ist ein Schuft und Betrüger. Sie haben ihn unkluger Weise zum Supercargo und er sich selbst zum Eigenthümer der Ladung gemacht. Das ist meine Meinung, und wenn Herr Dionisius Elster sein Kind lieb hat, so läßt er's bei dem Briefe nicht bewenden, sondern thut selbst die Augen auf, ehe es zu spät ist.

So hätte Herrn Elster sonst Niemand kommen dürfen, und selbst der alte Goldenfuß nicht; aber der Kaufmann hörte ihn jetzt nicht allein geduldig an, sondern es ging auch ein Strahl freudiger Hoffnung über seine Züge. Seine Leiden vergessend, sprang er auf beide Füße und rief: Glaubst du wirklich, daß sie noch lebt?

Ich glaube es fest und sicher! gab Goldenfuß zur Antwort.

Da sprang Balduin auf den Vater zu, ergriff seine Hand, benetzte sie mit Thränen und bat bei Allem, was einem Vater heilig ist, ihn abreisen zu lassen, um die verlorne Schwester zu suchen.

Einen Augenblick schwieg Elster; dann aber richtete er seine Augen auf den Sohn und sprach: Ich würde dann vielleicht zwei Kinder zu beklagen haben. Doch du sollst reisen, Balduin; aber nicht allein; dein Vater geht mit. Begegnet dir ein Unglück, so ist das Leben für mich doch nichts mehr werth.

Und zu Goldenfuß gewendet, fragte er: Willst du, alter Freund, hier das Haus Dionisius Elster vertreten und für sein Gedeihen sorgen, bis wir zurück sind?

So wahr ein Gott im Himmel lebt, antwortete Goldenfuß, ich will es mit meiner ganzen Kraft. Aber werden Sie reisen können und Mühsale auszuhalten im Stande sein, die selbst einem Gesunden stark zusetzen?

Ich fühle keine Schmerzen mehr; die Hoffnung hat mich jung gemacht, entgegnete Elster. Es bleibt dabei, ich reise mit Balduin und zwar noch heute.

Nach wenigen Stunden schon saßen sie in der Kutsche, reichlich genug mit Geld versehen, um eine Reise um die halbe Welt zu machen.

Die guten Nürnberger, welche hörten, daß Herr Elster sich trotz seiner Gicht aufgemacht habe, um seine Tochter zu suchen, konnten sich anfangs an einen so ungeheuerlichen Gedanken gar nicht gewöhnen; sie meinten, der alte Goldenfuß sei ein Spaßmacher geworden. Der aber lachte und sprach: Ich sehe noch den Tag kommen, wo mein Prinzipal mit den beiden Kindern heimkehrt. Ja, wenn ich das nur erlebe, so will ich mein Hauptbuch gerne für immer zuklappen, um die ewige Reise anzutreten, wovon kein Mensch zurückkehrt.

Die beiden Elster setzten ihre Reise Tag und Nacht fort; sie warfen das Geld mit vollen Händen hinaus, um nur desto schneller weiter zu kommen. Bei Herrn van Ginkel in Rotterdam hofften sie die erste Nachricht zu erhalten; aber dieser war selbst ohne solche, denn der Kapitän Jongmanns hatte bis auf die heutige Stunde noch kein Lebenszeichen von sich gegeben.

Als er hörte, was Schwerdtlein geschrieben, schüttelte er den Kopf und sprach: Das kann wohl kaum so sein, denn erst gestern kehrte ein Indienfahrer hierher zurück, welcher die Veronika wohlbehalten in einem kleinen, selten besuchten Hafen von Java gesehen hat. Untergegangen konnte das Schiff also nicht wohl sein, denn Schwerdtlein's Brief datirte von einem Tage, wo er noch im Hafen lag; aber daß irgend eine Schurkerei im Spiele war, das konnte man an den fünf Fingern abzählen.

Die beiden Elster eilten nun an die See, wo sie auch bald ein Schiff antrafen, das die Fahrt nach Java zu machen im Begriffe war. Sofort gingen sie an Bord und schon am nächsten Tage wurden die Anker gelichtet.

Die Strapazen der Reise hatten den alten Elster nicht halb so viel angegriffen, wie das Sitzen in seinem Sessel zu Hause; die Beine schmerzten zwar ein wenig, aber auf dem Schiffe konnte er sich ja pflegen, wie seine Gliedmaßen es erforderten.

Wind und Wetter schienen Einsicht mit dem Vater zu haben, der seine Tochter suchte; die Fahrt ging so glatt ab, als sei es eine pure Vergnügungsfahrt. Glücklicherweise blieb es nicht so bis an das Ziel der Reise; schon hatten sie dasselbe in Sicht, als sich ein Sturm erhob, in welchem das Schiff zu Grunde ging. Elster, sein Sohn, der Kapitän und ein großer Theil der Mannschaft retteten sich in die Boote; auch wurde ein großer Theil der werthvollsten Ladung gerettet, aber sie trieben nun, vom Sturme hin und hergeschlagen, auf dem offenen Meere und hatten vorerst durchaus keine Aussicht auf Rettung.

Eine glückliche Fügung des Himmels aber brachte sie an denselben Strand, wo vor langer Zeit der Steuermann mit den beiden Mädchen angekommen war.

Der alte Elster war trostlos über den Aufenthalt, welcher ihnen nothwendig erwachsen mußte, und da er all sein Geld gerettet hatte, so versprach er große Summen, wenn der Kapitän in kürzester Frist ein Schiff herbeischaffte.

Dergleichen aber war hier schwer zu haben; jedenfalls mußte man sich an den König wenden, denn auf Bali hat der Fürst nicht allein den Verstand für seine gesammten Untertanen, sondern auch die alleinige Macht, um etwas Außergewöhnliches zu Stande zu bringen.

Der Zug setzte sich also nach dem Pallaste in Bewegung. Herr Elster hatte angeordnet, daß Jeder ein Geschenk in Händen trug, um den König gleich bei der ersten Begegnung günstig zu stimmen. So schritten sie denn einer hinter dem andern in einer lang gedehnten Reihe auf den Pallast zu und ließen ihre reichen Gaben schon von Weitem in der Sonne blitzen.

Die Annäherung so vieler Fremder mußte vom Pallaste aus mit Besorgniß bemerkt worden sein, denn vor demselben standen einige hundert Mann der königlichen Leibwache aufgepflanzt, die geladene Flinte an der Backe.

Da konnte natürlich sehr leicht ein Mißverständniß entstehen; deßhalb commandirte der Kapitän Halt, wedelte zum Zeichen des Friedens mit seinem Taschentuche und schritt allein voraus. Als er weit genug war, um verstanden zu werden, erhob er seine Stimme und theilte den Leuten mit, daß sie gekommen seien, den König zu beschenken.

Wahrscheinlich hatte man ihnen schon früher in ähnlicher Weise Fallen gelegt, denn Keiner von ihnen rührte sich vom Platze oder ließ auch nur den Flintenlauf sinken.

Er mußte in die Mitte treten und sich die Hände binden lassen; dann durchsuchte ihn ein Malaye, der wahrscheinlich Offiziersrang besaß, alle Taschen. Erst als sich hier nichts Gefährliches vorfand, wurde er von zehn Mann in den Schloßhof escortirt.

Hier mußte er warten, bis der König benachrichtigt war. Angenehm war diese Zeit des Wartens nicht, denn die wachhaltenden Malayen hielten ihm die blanken Dolche entgegen und harrten nur des königlichen Befehles, um ihn niederzustoßen.

Auf seine Frage, warum sie gegen einen wehrlosen Mann so feindselige Absichten an den Tag legten, gaben sie zur Antwort, gegen Holländer müsse man immer auf der Hut sein, denn sie brüteten stets Verrath gegen Bali.

Aber wir sind keine Holländer! sprach der Kapitän, sondern Deutsche, welche Schiffbruch gelitten haben und nun für gute Bezahlung ein Schiff nach Java suchen.

Das wurde dem Könige hinterbracht und nun kam schnell die Antwort, daß der Kapitän eintreten dürfe.

Der Fürst hatte sich während dieser Zeit in den Rock des Steuermannes gekleidet und auf eine Erhöhung, welche einen Thron vorstellen sollte, mit gekreuzten Beinen niedergelassen.

Ehe der Kapitän noch sein Anliegen vorgebracht hatte, griff er nach dem Geschenke, welches in nichts Geringerm als einem großen Krystallbecher bestand, der zufällig mit in das Rettungsboot gelangt war.

Der Becher war ihm jedenfalls etwas Neues, denn er betrachtete ihn schmunzelnd nach allen Seiten und stieß ein so fröhliches Lachen aus, daß der Kapitän mit einstimmen mußte. Der Zweck des unbekannten Geräthes aber wurde ihm sogleich klar, denn er befahl einem Sclaven, den durchsichtigen Kürbis mit Palmwein zu füllen. Auf einen Zug trank er denselben bis zur Hälfte aus und überreichte die andere Hälfte dem Bittsteller.

Nun mochte ihm wohl ein Zweifel aufstoßen, ob der Kapitän den Becher auch zurückgeben werde, denn kaum hatte dieser ihn mit den Lippen berührt, als er ihn wieder an sich riß und heftig fragte: Was willst du auf Bali?

Der Kapitän setzte ihm den Zweck seines Kommens auseinander und erbot sich zu reichen Gegenleistungen.

Da lachte der König und sprach: So hat auch der Fremdling gesprochen, welcher schon viele Monde als Gast an meinem Tische saß, aber nachher erwies sich Alles als eitel Lug und Trug. Willst du mich auch betrügen? Es wird dir nicht gelingen, denn wir sind auf unserer Hut und stark genug, euch Alle zu tödten.

Nachdem der Kapitän mit einem mächtigen Schwure bekräftigt hatte, daß sie mit redlichen Absichten gekommen seien, gestattete er, daß einer nach dem andern gebunden in den Pallast geführt werde.

Der alte Elster, dessen Gicht merkwürdiger Weise wie weggeblasen war, konnte sich nur schwer zu einer solchen Erniedrigung verstehen, aber Balduin bat ihn so flehentlich, daß er doch zuletzt nachgab.

Der König legte eine unbändige Freude über die reichen Geschenke an den Tag. Mit den noch nachträglich hinzugefügten Kleidungsstücken konnte er seinen königlichen Leib wenigstens dreimal in verschiedene Farben kleiden. Uebrigens wußte er doch nicht vollkommen Bescheid in der Toilette, denn er zog das Hemd über die Jacke.

Der Kapitän wollte ihn unterweisen, daß das Hemd auf den nackten Leib gehöre. Dagegen protestirte er, weil man dann nur einen kleinen Theil davon sehen könne.

Mit dem langen Hemde angethan und einem Schifferhut auf dem Kopfe begab er sich in das größte Gemach seines Schlosses und ließ die ganze Hofhaltung zusammenrufen, damit sie ihn bewunderte.

So war es allerdings damals noch auf der Insel Bali; heute aber, wo die Bewohner mit fast allen Nationen verkehren, verstehen sie sehr wohl den Gebrauch der Kleidungsstücke, und sie wissen sich so gut zu schmücken, wie die Europäer.

Die behemdete Majestät wollte nun auch ihrerseits etwas thun, um sich den Fremdlingen freundlich zu erweisen, weßhalb er befahl, auf den Abend ein Festessen herzurichten. Dann empfahl er sich und überließ Herrn Dionisius Elster und seine Begleitung der Ruhe, welche ihnen sehr noth that.

Veronika und Babette befanden sich während dieses Auftrittes in den Gärten des Königs, welche sich hinter dem Schlosse ausdehnten. Dort saßen sie unter den Palmbäumen und trauerten über die nie endende Haft in diesem wilden Lande.

Da kam ein kleines Mädchen daher gesprungen, welches sie liebte, weil sie so gut und freundlich mit ihm waren. Es sind weiße Männer zum Könige gekommen, sprach es; sie schlafen jetzt alle; aber auf dem Abend werden sie beim Essen sein und dann müßt ihr sie sehen.

Man kann sich denken, daß diese Nachricht eine außerordentliche Wirkung auf sie hervorbrachte, denn von welcher Nation diese Ankömmlinge auch immer sein mochten, sie hofften Hilfe von ihnen. Fieberhaft aufgeregt erhoben sie sich, um die Europäer schon jetzt zu sprechen; aber der König hatte Befehl gegeben, daß sich Niemand dem Hause nahen dürfe, wo sie schliefen.

Nun eilten sie zum Steuermanne, welcher in einem andern Theil des Gartens mit Sclavenarbeit beschäftigt war. Dieser hatte kaum die frohe Nachricht vernommen, als er die Gießkanne aus der Hand warf und sich anschickte, in's Schloß zu eilen; aber sein Wächter drohte mit dem Bambusrohr, dessen Wucht er allzugut kannte, um sich freiwillig einer Mißhandlung auszusetzen. Muth, Muth! flüsterte er, wir werden sie ja später sehen und sprechen. Wenn sie keine Teufel in Menschengestalt sind, so müssen sie uns mitnehmen – und sie werden's.

Die Mädchen hatten nirgends Ruhe; bald waren sie hier, bald dort, unaufhörlich nach der Sonne spähend, die heute ihren Bogen gar nicht vollenden wollte. Babette redete sich schließlich ein, die Europäer seien am Ende keine andern als Herr Cornelius Schwerdtlein mit der Bemannung der Veronika, welche gekommen seien, um sie aufzuheben und unschädlich zu machen.

Das kam auch Veronika nicht unwahrscheinlich vor, aber sie vertraute in diesem Falle auf den Edelmuth des Königs, der sich ihnen gegenüber bisher wie ein Mann von Ehre und Zartgefühl benommen hatte.

Endlich kam der Abend und mit ihm ging die Trommel, welche die Hofbedienten und die fremden Gäste zum Mahle rief.

Nun war aber in Bali der Brauch, daß die Frauen mit den Männern nicht gemeinsam zu Tische saßen, sondern erst am Ende der Mahlzeit im Saale erscheinen durften, um die Gesellschaft durch ihre künstlichen Tänze zu erfreuen.

Ach, wie sehnten die Mädchen dieses Ende herbei! Wie sehr verlangten sie nach dem Tanze, dem sie sonst niemals beiwohnten!

Endlich kam auch dieser ersehnte Augenblick; die Thüre des Hauses öffnete sich und der König gab eigenhändig das Zeichen zum Eintritt.

Die Frauen von Bali sind um kein Haar weniger neugierig, als diejenigen vom Rheine und von der Donau; eine jede von ihnen wollte die Fremden zuerst sehen; sie drängten und stießen sich vor dem Eingänge und schoben die beiden Weißen unsanft zurück. Als sich die letzte Malayin hineingezwängt hatte, schlüpften sie hinterher, konnten aber nicht in die vordere Reihe gelangen, weil die Malayinnen, aus Furcht, verdrängt zu werden, fest zusammenhielten.

So kam es denn, daß sie vor der Hand nichts sahen, als die Diener, welche die Fackeln von Palmblättern hielten und den Raum dürftig erleuchteten. Als aber der Tanz begann und die Malayinnen in künstlichen Verschlingungen ihre Springfertigkeit zeigten, da gewannen sie Platz und konnten den Boden, wo die Gäste auf Matten saßen, der ganzen Länge nach übersehen.

Das Fackellicht kann sich mit unsern Gasflammen bei Weitem nicht messen; es leuchtete kaum genug, um die weiße von der braunen Farbe zu unterscheiden. Veronika mußte sich deßhalb anstrengen, um ihren Augen die gewünschte Befriedigung zu geben. Es wanderte von einem zum andern; wo sie in den Zügen eines Holländers einige Gutmüthigkeit entdeckte, da haftete ihr Blick länger auf diesem und sie nahm sich vor, einen günstigen Augenblick wahrzunehmen, um mit ihm zu sprechen.

In der Nähe des Königs herrschte eine größere Dunkelheit, weil die Fackel des dort stehenden Sclaven fast ganz niedergebrannt war; sie konnte deßhalb auch die Züge der Männer, welche bei ihm saßen, nicht unterscheiden.

Jetzt zündete der Sclave eine neue Fackel an, die Flamme flackerte hoch empor und beleuchtete die Männer. Da schreckte Veronika plötzlich zusammen, denn sie hatte ein wohlbekanntes Gesicht gesehen, das ihres Vaters.

Das konnte jedenfalls nur eine schmerzliche Täuschung sein, denn wie sollte ihr Vater aus Nürnberg hieher kommen? Um sich von der Täuschung loszumachen, schaute sie auf den Mann an der andern Seite des Häuptlings. Da zuckte sie noch einmal zusammen, denn sie hatte den Bruder erkannt.

Auch jetzt konnte sie sich noch nicht dem Glauben hingeben, daß die geliebten Personen wirklich zugegen seien. Sie hatte seit Jahr und Tag so ausschließlich an Vater und Bruder gedacht, hatte sie so oft in ihren Träumen lebhaft vor sich gesehen, daß sie sich auch jetzt noch in einem solchen Traume befangen glaubte. Unwillkürlich fuhr sie mit der Hand über die Augen, um besser zu sehen.

Ihr Blick wanderte von einem zum andern, ihre Brust hob und senkte sich unter schweren Seufzern; da richtete der Vater absichtslos sein Auge nach der Stelle, wo sie stand. Mit diesem einen Blicke fiel der Zauber, der sie umstrickte. Die Arme weit ausbreitend, stürzte sie vorwärts und schob die Tänzerinnen bei Seite, während sie mit lauter, ängstlich tönender Stimme ausrief: Vater, Balduin!

Die gewaltige Anstrengung ihrer Nerven hielt den Sturm, welcher ihr Herz durchtobte, nicht aus; mitten zwischen den Tänzerinnen brach sie zusammen. Das gab begreiflicher Weise ein großes Aufsehen; die Malayen sprangen von ihren Plätzen auf und umringten das ohnmächtige Mädchen. Der König aber, welcher die Worte »Vater!« und »Balduin« nicht verstand, runzelte sehr unzufrieden die Stirne, denn es war ihm sehr unlieb, daß Veronika die Ungeschicklichkeit begangen hatte, seinen Gästen auf eine so seltsame Art das Vergnügen zu verderben.

Auch Dionisius Elster und sein Sohn waren aufgesprungen, denn der Ruf des Mädchens weckte längst verklungene Laute in ihren Ohren. Von der Ahnung des wahren Sachverhaltes waren sie natürlich weit entfernt, aber daß hier etwas vorging, was sie sehr nahe berührte, das fühlten sie in allen Nerven.

Balduin arbeitete sich hastig durch den Menschenknäuel und der Vater folgte ihm auf dem Fuße. Eben jetzt hoben ein paar Malayen-Mädchen die Ohnmächtige auf. Da that sie einen tiefen Athemzug, schlug die Augen auf und seufzte: Ach, ach, ich glaubte den Vater und den Bruder zu sehen!

Jetzt war das Schreien und Aufjauchzen an den beiden Nürnbergern. »Veronika, Veronika!« tönte es von beiden Lippen; »bist du es wirklich?«

Und ohne erst die Antwort abzuwarten, preßten sie das Mädchen in ihre Arme, abwechselnd jauchzend, lachend, weinend.

Die Malayen standen verwundert um sie herum und fragten den Kapitän, was das zu bedeuten habe.

Er erklärte es ihnen, so gut er es selber errieth, denn daß Elster hier seine verlorene Tochter wiedergefunden hatte, war ihm nach Allem, was er aus dem Munde der Betheiligten vernommen, auf den ersten Blick klar.

Jetzt machten die Malayen Gesichter; sie begriffen zwar nicht vollauf, welch ein großer Vortheil es denn eigentlich sei, ein Kind wiederzufinden, weil sie die ihrigen jeden Augenblick bereitwilligst verhandelten, aber daß diese weißen Menschen außerordentlich glücklich waren, das verstanden sie doch. Ja, als die Umarmungen, die Küsse, das Händedrücken und das Weinen gar kein Ende nehmen wollten, da erweichten sich auch ihre Herzen und sie weinten mit.

Der König wollte jetzt seinen Glückwunsch anbringen, aber die Elsters hatten für Niemanden Ohren und Augen, als für sich selbst. Sogar Babette, die das Taschentuch gar nicht von den Augen bekam, stand unbeachtet ihnen zur Seite.

Endlich fühlte Elster, daß er den guten Leuten eine Erklärung schuldig sei. Er ließ durch den des Malayischen kundigen Kapitän Veronika's Geschichte mit kurzen Worten erzählen und bat dann, sich zurückziehen zu dürfen, um seinem Kinde zu leben.

Das wurde ihm zugestanden; nun erinnerte sich Veronika auch ihrer Leidensgefährtin und stellte sie dem Vater und Bruder vor, die sie mit herzlicher Freude begrüßten.

In Veronika's Zimmer saßen die Glücklichen die ganze Nacht zusammen und wurden des Erzählens und Berichtens nicht müde. Die Malayen aber tanzten und schmausten bis an den hellen Morgen; sie wollten das Fest der wiedergefundenen Tochter auch mitfeiern.


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