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VI.

Vater Eustach im Tempel des Oro. Auf der furchtbaren Felsnadel.


Durch den wiedereröffneten Eingang standen sie nun mit der äußern Welt in Verbindung, aber nur Vater Eustach verließ auf Stunden das Thal, um die Umgebung zu durchstreifen.

Eines Tages nahm er feierlich Abschied von den Neubekehrten, indem er ihnen verkündigte, daß es seine Pflicht sei, ohne Aufschub Bexore aufzusuchen. Tupia und seine Frau beschworen ihn, zu bleiben, und sein Leben nicht in Gefahr zu bringen. Die beiden Mädchen aber stimmten ihm bei und hätten ihn am liebsten begleitet, um Antheil an seinen Arbeiten zu nehmen. Dem aber wehrte er und sprach: Noch ist für euch die Zeit nicht gekommen, wo ihr Zeugniß ablegen sollt; aber die Stunde wird schlagen und dann stehet fest im Glauben.

Vater Eustach verließ das Thal und wanderte geraden Weges auf das Dorf zu, aus dem er vor einigen Monaten vertrieben worden war.

Alle Einwohner waren um die Stunde seiner Ankunft im Tempel versammelt, wo sie vor den scheußlichen Gestalten ihrer Götzen auf dem Angesichte lagen. Vor dem Bildnisse des Oro aber stand Bexore's Tochter Jane, Hand in Hand mit dem jungen Häuptlinge Baptas, dessen Weib sie heute werden sollte. Bexore strahlte vor Entzücken, denn diese Verbindung sicherte ihm die Macht über ganz Eimeo.

Die Trauung war vorüber und die Hochzeitsgäste tanzten mit rasendem Geheul um die Bildnisse der Götzen, als die Thüre des Tempels aufging und Vater Eustach auf der Schwelle erschien.

Langsam schritt er die Halle hinauf, ging an den Tänzern vorüber und trat Bexore entgegen. Dieser, welcher den Priester unter den Guavagesträuchen längst vermodert glaubte, erschrack über seine plötzliche Erscheinung; das Blut wich aus der braunen Haut zurück und seine Hände zitterten.

Doch bald ermannte er sich wieder, streckte seine Hand aus und schrie mit einer furchtbaren Stimme unter die Tanzenden: Der Tempel Oro's ist entheiligt!

Die Hochzeitsgäste, welche den Priester nicht bemerkt hatten, standen stille und die Augen Aller richteten sich auf Vater Eustach. Ein rasendes Geschrei folgte der ersten Ueberraschung; mit wildem Ungestüm drängten sie sich um ihn und gaben die deutlichsten Zeichen von sich, daß sie nur auf das Wort ihres Häuptlings warteten, um ihn zu tödten.

Bexore's Augen flammten, sein Mund zuckte; aber seine Zunge fand noch keine Worte. Endlich erscholl ein wildes Lachen aus seinem Munde. Freunde, rief er, Jane's Hochzeit soll ein Opfer haben; dieser Fremdling ist gekommen, um zu den Füßen Oro's sein Blut zu verspritzen. Der rothe Strom wird ihr Glück bringen. Auf, gehen wir zum Opfer!

Der Befehl war kaum gegeben, als des Priesters Hände gefesselt wurden. Mit dem Rücken gegen die Bildsäule Oro's gestellt, sollte er den Todesstreich empfangen.

Vater Eustach stand mit aufrechtem Haupte inmitten der tobenden Menge; lächelnd blickte er auf die erhitzten Gestalten und sprach mit seiner sanften klagenden Stimme, die Niemand hören konnte, ohne tief bewegt zu werden: Freunde, ihr seid im Begriffe, mich zu tödten, um Jane's Ehe glücklich zu machen. Wahrlich, Niemand in diesem Tempel wünscht ihr Wohlergehen mehr als ich, und wenn mein Blut nothwendig ist, um dasselbe zu befestigen, so mag es fließen. Ich habe das weite Meer durchschifft, um euch Gutes zu bringen. Ich liebe euch Alle, also auch Jane, und wenn ich etwas dazu beitrage, ihr frohe Tage zu verschaffen, so ist meine Reise nicht nutzlos gewesen.

Bei diesen Worten legte sich der Tumult; sie hatten Heulen, Wehklagen und Beschwörungen erwartet und hörten statt dessen die sanften Worte eines Mannes, der sein Leben für das Glück eines Andern hingeben wollte.

Der Priester benutzte diese Ruhe und sprach weiter: Ich sah es mit Gewißheit voraus, daß ich auf dieser Insel meinen Tod finden würde; aber ich glaubte, es würde mir vergönnt sein, nicht einem allein, sondern Allen nützlich zu werden. Ich wollte euch in das Land führen, wo der ewige Friede herrscht, wo das wahre Glück niemals durch einen Schatten getrübt wird, wo das Füllhorn des Ueberflusses sich niemals leert, wo das Dasein ein Festtag ohne Ende ist. Doch ihr habt es anders beschlossen; ich fürchte nur, daß später die Reue über euch kommen wird und ihr den Todten zurückwünscht, wenn die Winde seinen Staub über die Wälder verweht haben.

Todtenstille herrschte im Tempel, auch Bexore schwieg und neigte das Haupt. Du sprichst von einem schönen Lande, sprach er endlich, indem er sein Haupt erhob, aber es liegt jenseits des Meeres. Wer weiß, ob die Stürme nicht unsere Pirogen auseinander reißen, ehe wir dasselbe erreicht haben. Und wenn wir glücklich daselbst ankämen, so wird schon ein anderer Häuptling in demselben herrschen, und ich, der Herr über Alle ist, soll ihm unterthan sein. Nein, ich bleibe auf Eimeo. Dein Blut, das du so gerne für meine Tochter vergießest, soll also das heutige Fest besiegeln.

Der Oro-Priester, welcher bis dahin aus Ehrfurcht vor dem Häuptlinge geschwiegen hatte, erhob nun auch seine Stimme und rief: Er sterbe!

Ja, ja, er sterbe! schrieen nun Alle, die schon lüstern nach dem schönen Lande gewesen waren.

Die junge Braut, welche nicht ohne Rührung seine Bereitwilligkeit, für sie zu sterben, vernommen hatte, durchbrach plötzlich die Menge, riß den Kranz von ihrem Haupte und setzte ihn auf den Scheitel des Priesters, indem sie sprach: Er lebe! der Braut darf keine Bitte versagt werden.

Der Häuptling, den bereits die Ungeduld über die lange Rede des Priesters übermannt hatte, war eben im Begriffe gewesen, dem Oropriester den Befehl zum Zuschlagen zu geben, als diese plötzliche Wendung eintrat.

Mit einem rohen Fluche streckte er seine Hand aus, den Kranz von Eustach's Haupte zu reißen, aber er besann sich, daß er sein Kind für das ganze Leben unglücklich machen werde, wenn er ihr die erste Bitte versagte, welche sie am Hochzeitstage aussprach.

Die Hand sinken lassend, sprach er mit finsterer Miene: Du sollst deinen Willen haben, Jane; aber der Fremdling wird noch wünschen, den Tod gefunden zu haben. Auf, Männer, bringt ihn nach jenem Felsen, welcher wie eine Nadel über dem Meere hängt.

Die Insulaner verließen mit ihrem Gefangenen den Tempel und das Dorf. Am Ausgange desselben eröffnete sich eine Schlucht, die zu einem Gewirre von zerklüfteten Felsen hinaufführte. Schon nach wenigen Schritten mußten die Begleiter zurückbleiben, denn die Schlucht wurde so enge, daß nur ein einziger Mann sich durch dieselbe zwängen konnte. Der Oropriester ergriff den Strick, an welchen Vater Eustachius gebunden war und erkletterte die Felsgraten.

Da Eustachius, weniger gewandt und geschickt, nicht im Stande war, dem Priester so rasch zu folgen, so erndtete er Flüche und Schläge in reicher Fülle. Mit jedem Schritte wurde der Weg mühsamer und hörte endlich ganz auf; nur ein einziger, wie ein schmaler Balken wagerecht über dem Meer vorspringender Stein diente zur Unterlage.

Der Oropriester rutschte auf diesem Steine weiter. Am äußersten Ende desselben befestigte er das Seil, band dem Gefangenen die Hände auf dem Rücken zusammen und sprang dann höhnisch lachend in die See hinab.

Vater Eustach, welcher sich auf der scharfkantigen Felsnadel nur mit Mühe aufrecht halten konnte, wollte einige Schritte rückwärts machen, um sich an den aufrechtstehenden Theil der Felsen zu lehnen, aber das Seil war zu kurz. So blieb ihm also nur die schreckliche Aussicht, auf diesem schmalen Steinstreifen allmählig die Kräfte zu verlieren, bis er vor Mattigkeit hinabstürzte und, an dem Seile hängend, einen langsamen und schmerzvollen Tod finden würde.

Der Oropriester hatte ihm angekündigt, daß ihm keine Nahrung gereicht würde. Er schaute sich deßhalb um, ob nirgends Früchte und Beeren wüchsen, die er erreichen könne.

Rechts und links ragten allerdings reich tragende Fruchtbäume empor, aber da seine Hände gefesselt waren, so konnte er die Zweige nur aufrecht stehend mit dem Munde erreichen. Schwankte er dabei nur ein Wenig, so war es um sein Leben geschehen.

Dennoch verlor Vater Eustach den Muth nicht. Du hast den Elias durch einen Raben gespeist, mein Herr und mein Gott, sprach er mit zum Himmel gewandten Augen; du wirst auch mich nicht zu Grunde gehen lassen, wenn es dein Wille ist, daß ich diesem armen Volke den Weg zu dir weise.

Eine Stunde hatte er aufrecht auf den scharfen Steinkanten gestanden, die Füße schmerzten ihn und wenn er in die Tiefe sah, wo das Meer seine gekräuselten Wellchen um den Fuß des Gesteins rollte, so schwindelte ihm und er glaubte hinabzustürzen.

Unter ihm belebte sich jetzt das Wasser, Piroge um Piroge wurde sichtbar; allen voran fuhr der Häuptling Bexore, welcher gekommen war, den armen Vater Eustach zu verspotten und mit seinen Leiden ringen zu sehen.

Inmitten der Pirogenflotte befand sich ein Fahrzeug, welches sich durch reichen Schmuck auszeichnete. Die Braut und der Bräutigam saßen in demselben.

Aber während Alle mit lautem Geschrei zu der Felsnadel emporschauten und Einige sogar ihre Pfeile nach dem Unglücklichen abschossen, wandte sie sich um und barg den Kopf in ihren Händen.

Baptas, ihr Bräutigam, dagegen theilte die boshafte Lust der Insulaner und wurde nicht müde, hinauf zu zielen. Ein wahrer Pfeilregen schwirrte jetzt durch die Luft, aber nur ein einziger traf ihn in die Lenden. Das Blut floß auf die Felsnadel und tropfte langsam in das Meer hinab. Ein lauter Jubelschrei begrüßte dieses Ereigniß.

Anfangs hatte den in den Lüften schwebenden Priester Kleinmuth ergriffen, aber mit dieser Wunde senkte sich Furchtlosigkeit und Standhaftigkeit in seine Brust. Aufrechten Hauptes und furchtlosen Auges schaute er die Tiefe und hub an, mit weithin schallender Stimme das Evangelium zu verkündigen.

Die Insulaner, in der Meinung, er werde um Gnade flehen, hielten mit ihrem wüsten Geschrei inne, und lauschten hinauf. Bald überzeugten sie sich, daß der Inhalt seiner Rede ein anderer war, aber sie blieben ruhig und horchten aufmerksam, denn seine Worte hatten eine so überwältigende Macht, daß sie gegen ihren Willen an seinem Munde hängen mußten. Auch Jane hatte sich umgewandt und schaute empor.

Je länger er sprach, desto leuchtender wurde ihr Auge, desto mehr vergaß sie ihren Hochzeitstag, desto tiefer wurde sie ergriffen. Unwillkürlich hatte sie sich von ihrem Sitze erhoben und streckte wie in heißem Verlangen die Arme nach dem begeisterten Priester empor.

Bexore, welcher mit tiefem Unmuthe sah, welch einen Eindruck die Rede auf sie machte, fürchtete, sie werde vom Glauben der Götter abfallen. Fluchend gab er den Befehl zum Rückzüge und verbot seinen Unterthanen bei Strafe des Todes, so lange der Priester lebe, die Meeresbucht zu besuchen.

Bald war das letzte Cannot vom Meere verschwunden; Vater Eustachius befand sich auf seinem Felsen allein. Erschöpft und vom Blutverluste geschwächt, ließ er sich rittlings auf die Felsnadel nieder und drückte das Haupt an den kalten Stein.

Schnell brach die Nacht ein und mit ihr erhob sich ein Sturm, welcher das Meer peitschte, daß der Gischt zischend an dem Gestein hinauffuhr. Auch in der Höhe tobte er und erschütterte die schmale Unterlage, auf welcher er ruhte, so daß er jeden Augenblick fürchten mußte, hinabgeworfen zu werden. Und doch konnte er sich nicht einmal seiner Hände bedienen, um sich fest zu klammern.

Bis auf die Haut von dem strömenden Regen durchnäßt, kalt und frierend, befahl er Leib und Seele in den Schutz Gottes und wartete geduldig des Augenblicks, wo seine letzte Stunde schlagen werde.

Je weiter die Nacht vorrückte, desto mehr verließen ihn seine Kräfte, bis ihm zuletzt das Bewußtsein schwand.

Am nächsten Morgen ging die Sonne mit einer Pracht auf, die auch das nüchternste Auge berauschen mußte. Eustach erwachte von ihren wärmenden Strahlen. Verwundert blickte er umher, denn er hielt es kaum für möglich, daß er sich noch unter den Lebendigen befand. Die Nacht, welche ihm den Tod bringen sollte, hatte ihn gestärkt; er fühlte neue Kraft in seinen Gliedern, nur quälten ihn Hunger und Durst. Letztem konnte er ein wenig überwinden, indem er an seinen nassen Kleidern sog.

Langsam und vorsichtig erhob er sich jetzt und näherte sich der Stelle, wo sich die Fruchtbäume aus Felsspalten erhoben und ihm ihre Zweige entgegenstreckten.

Mehrere Versuche, einen Blätterbüschel mit dem Munde zu erhaschen, mißlangen, weil er sich nicht im Gleichgewichte halten konnte. Neigte er den Kopf nur einen Zoll weiter über, so mußte er in die Tiefe stürzen und, zwischen Himmel und Wasser schwebend, des Todes gewärtig sein.

Wie er schon gestern gebetet hatte, so that er es auch heute und ergab sich ohne Murren in den Willen Gottes. Da bog ein barmherziger Windstoß einen Zweig gegen seinen Standpunkt. Nicht ohne Gefahr nahm er den günstigen Augenblick wahr und trat ihn mit dem Fuße nieder.

Nur wenige saure Beeren konnte er im Fluge erhaschen; aber sie reichten wenigstens hin, um ihn vom Hungertode zu retten. Zwei Tage und zwei Nächte vergingen dem armen Vater Eustach unter namenlosen Leiden; längst hatte er sich in seinen Tod ergeben, aber die Hand Gottes hielt ihn noch immer von dem Sturze in den Abgrund zurück, obschon seine Füße nur noch eine große Wunde, seine Hände eine hoch angeschwollene Masse waren.

Stehen konnte er nicht mehr, und damit war auch die Möglichkeit verschwunden, seinen Hunger und Durst durch einige Beeren zu letzen. Wäre noch einmal ein Windsturm über die Felsen gefahren, so hätte ihm die Kraft gemangelt, demselben zu widerstehen.

Dennoch sollte er gerettet werden und zwar von einer Seite, woran er selbst nicht dachte. Im folgenden Kapitel werden wir hören, wie sich Alles zugetragen.


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