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Tausend und eine Nacht. Band III
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Einundfünfzigste Nacht.

Alsdann befahl Scharrkân der Königin Abrîse und ihren Mädchen ihre Rüstung abzulegen und die Kleidung der Töchter Rûms anzulegen. Als sie es gethan hatten, schickte er 52 eine Anzahl seiner Begleiter nach Bagdad, um seinem Vater Omar en-Noomân seine Ankunft zu vermelden und ihm kund zu thun, daß die Königin Abrîse, die Tochter des Königs von Rûm, mit ihm gekommen sei, damit er ihr ein Ehrengeleit entgegensendete. Hierauf lagerten sie sich zur selben Zeit und Stunde an dem Orte, an welchem sie angelangt waren, und übernachteten daselbst bis zum Morgen.

Als nun der Morgen anbrach, setzte sich der König Scharrkân mit den Seinigen in den Sattel, desgleichen die Königin Abrîse mit den Ihrigen, und zogen selbander der Stadt entgegen; plötzlich erschien der Wesir Dendân in der Mitte von tausend Reitern zum Empfang Scharrkâns und der Königin Abrîse nach dem Geheiß des Königs Omar en-Noomân auf Grund der Botschaft seines Sohnes Scharrkân. Als sie nahe an beide herangekommen waren, machten sie vor ihnen Front und küßten die Erde vor ihnen. Dann stiegen beide auf und zogen geleitet von ihnen in die Stadt vor den Königspalast. Hier begab sich nun Scharrkân zu seinem Vater, der sich vor ihm erhob, ihn umarmte und ihn nach dem Stand der Dinge fragte. Da berichtete er ihm alles, was er von der Königin Abrîse vernommen hatte, was ihm mit ihr begegnet war, und wie sie nun ihr Königreich und ihren Vater verlassen hatte. »Sie wünschte,« so erzählte er, »mit uns zu ziehen und bei uns zu bleiben, und der König von Konstantinopel wollte in der That uns um seiner Tochter Sophia willen eine Falle legen, weil ihm der König von Rûm ihre Geschichte mitgeteilt und ihm erklärt hatte, er hätte sie dir nur zum Geschenk gemacht, da er nicht gewußt hätte, daß sie die Tochter des Königs Afrīdûn von Konstantinopel gewesen sei. Hätte er es gewußt, so hätte er sie dir nicht zum Geschenk gemacht, sondern sie ihrem Vater wieder zugestellt. Wir aber,« so fuhr Scharrkân in seinem Bericht an seinen Vater fort, »sind nur durch die Königin Abrîse aus den Fallen und Schlingen des Königs von Konstantinopel entronnen und sahen keinen an Tapferkeit ihr gleich.« Zum Schluß erzählte 53 er dann noch alle seine Erlebnisse mit ihr von Anfang bis zu Ende, vom Ringkampf an bis zum Zweikampf.

Als der König Omar en-Noomân solches von seinem Sohne Scharrkân vernahm, stieg Abrîse hoch in seiner Achtung; er wünschte sie zu sehen und verlangte nach ihr, um Fragen an sie zu stellen. Infolgedessen begab sich Scharrkân hinaus und sagte zu ihr: »Der König entbietet dich zu sich.« Sie antwortete: »Ich höre und gehorche,« und Scharrkân führte sie seinem Vater vor, der auf seinem Throne saß und alle hinaustreten ließ, daß nur die Eunuchen bei ihm verblieben. Wie nun Abrîse bei dem König Omar en-Noomân eingetreten war, küßte sie die Erde vor ihm und redete ihn in gewähltester Form an, daß der König sich über ihre beredte Sprache verwunderte, ihr für ihren Dienst seinem Sohne Scharrkân gegenüber dankte und sie aufforderte sich niederzulassen. Wie sie sich nun gesetzt hatte und den Schleier von ihrem Gesichte hob, verlor er bei ihrem Anblick seinen Verstand. Er hieß sie näher kommen, bezeugte ihr seine Gunst, bestimmte ein eigenes Schloß für sie und ihre Mädchen und setzte ihr und ihren Mädchen Jahresgelder fest. Dann fragte er sie nach den früher erwähnten Edelsteinen, und sie erwiderte: »O König der Zeit, ich habe die Edelsteine bei mir.« Hierauf erhob sie sich, begab sich in ihr Gemach, öffnete dort einen Kasten, holte aus dem Kasten eine Schachtel, aus der Schachtel eine goldene Büchse, und aus dieser die drei Edelsteine hervor, worauf sie dieselben an sich nahm, sie küßte und dem Könige überreichte. Dann ging sie fort und nahm sein Herz mit sich.

Als sie von ihm fortgegangen war, ließ er seinen Sohn Scharrkân zu sich entbieten und gab ihm, als er vor ihm erschienen war, einen der drei Edelsteine. Wie nun Scharrkân nach den beiden andern fragte, sagte er zu ihm: »Mein Sohn, einen von ihnen will ich deinem Bruder Dau el-Makân, den andern deiner Schwester Nushet es-Samân schenken.« Als Scharrkân vernahm, daß er einen Bruder 54 Namens Dau el-Makân hätte, wo er bisher nur von seiner Schwester Nushet es-Samân gewußt hatte, wendete er sich zu seinem Vater, dem Könige Omar en-Noomân, und fragte ihn: »Mein Vater, hast du außer mir noch einen Sohn?« Der König antwortete: »Ja, und er ist jetzt sechs Jahre alt;« dann sagte er ihm, daß Dau el-Makân und Nushet es-Samân Zwillingsgeschwister wären. Diese Nachricht kam Scharrkân hart an, doch verbarg er sein Geheimnis und sagte zu seinem Vater: »Gottes, des Erhabenen, Segen über sie!« Darauf warf er den Edelstein aus der Hand und schüttelte den Staub von seinen Kleidern. Nun fragte ihn der König: »Wie kommt's, daß ich ein so verändertes Betragen an dir sehe, nachdem du diese Nachricht vernommen hast, wiewohl du doch der Herr des Königreiches nach meinem Tode bist, da ich die Emire des Reiches hierauf vereidet habe, und du von den drei Edelsteinen einen erhalten hast?« Scharrkân ließ den Kopf niederhängen, da er sich schämte mit seinem Vater zu streiten; dann erhob er sich, ohne zu wissen, was er in seinem heißen Zorne beginnen sollte, und wanderte so lange, bis er das Schloß der Königin Abrîse erreichte und hineintrat. Als sie ihn erblickte, erhob sie sich vor ihm, dankte ihm für alles, was er an ihr gethan hatte, und sprach einen Segenswunsch über ihn und seinen Vater. Dann setzte sie sich wieder und hieß ihn an ihrer Seite Platz nehmen. Als er sich nun gesetzt hatte, und sie in seinem Antlitz die Spuren des Zornes sah, fragte sie ihn nach seinem Befinden und nach der Ursache seines Zornes. Da teilte er ihr mit, daß sein Vater, der König Omar en-Noomân von Sophia mit zwei Kindern beschenkt wäre, einem Knaben, Namens Dau el-Makân, und einem Mädchen, Nushet es-Samân geheißen. Dann fuhr er fort: »Jedem der beiden hat er einen Edelstein geschenkt und mir den dritten, ich aber habe ihn liegen gelassen, und ich wußte von alledem nichts, bis ich es erst zu dieser Stunde erfuhr; darum erstickte mich der Zorn. Und nun habe ich dir die 55 Ursache von meinem Zorne mitgeteilt und habe dir nichts verheimlicht. Ich bin aber auch um dich besorgt, daß er dich heiraten will, denn ich merkte es ihm wohl an, daß er Lust hat, sich mit dir zu vermählen. Was sagst du dazu?«

Abrîse antwortete darauf: »Wisse, Scharrkân, dein Vater hat keine Macht über mich und kann mich nicht ohne meinen Willen nehmen; will er mich aber mit Gewalt nehmen, so nehme ich mir das Leben. Was jedoch die drei Edelsteine anlangt, so kam es mir nicht in den Sinn, irgend einen derselben seinen Kindern zu schenken; ich glaubte nichts anderes als daß er dieselben in seine Schatzkammern zu seinen Kostbarkeiten legen würde. Doch wünschte ich wohl, du wärest so gütig und schenktest mir den Edelstein, den dir dein Vater gegeben hat, falls du ihn von ihm angenommen hast.« Scharrkân antwortete: »Ich höre und gehorche.« Dann sagte sie zu ihm: »Besorge nichts,« und unterhielt sich eine Weile mit ihm, bis sie sagte: »Ich fürchte, daß, wenn mein Vater von meinem Aufenthalt bei euch hört, er danach trachten wird mich wieder in seine Hand zu bekommen und mit dem König Afrīdûn wegen seiner Tochter Sophia sich einigen wird mir Heeresmassen wider euch zu ziehen, und so ein großer Lärm entstehen wird.«

Als Scharrkân dieses vernahm, sagte er zu ihr: »Meine Gebieterin, wenn du bei uns zu bleiben beliebst, so bekümmere dich nicht um sie. Laß sie selbst alle zu Land und Meer wider uns zu Hauf bringen, wir wollen sie schon bewältigen.« Abrîse antwortete: »Es ist gut; behandelt ihr mich freundlich, so bleibe ich bei euch, fügt ihr mir aber Übles zu, so ziehe ich von euch fort.« Hierauf befahl sie ihren Mädchen etwas zum Essen vorzusetzen und sie trugen den Speisetisch vor. Scharrkân aß jedoch nur wenig und ging dann bedrückt und bekümmert nach Haus.

Soviel was Scharrkân anlangt. Was aber seinen Vater Omar en-Noomân betrifft, so erhob sich derselbe, als ihn sein Sohn Scharrkân verlassen hatte, und begab sich mit 56 den zwei Edelsteinen zu seiner Sklavin Sophia. Bei seinem Anblick stand sie vor ihm auf und wartete, bis er sich gesetzt hatte, worauf seine Kinder Dau el-Makân und Nushet es-Samân ankamen. Als er sie sah, küßte er sie und hängte jedem von ihnen einen Edelstein um, worüber sie ihm voll Freuden die Hände küßten und dann zu ihrer Mutter liefen, die sich ebenfalls freute und dem Könige langes Leben wünschte. Der König aber fragte sie: »Weshalb sagtest du mir nicht, daß du die Tochter des Königs Afrīdûn von Konstantinopel bist, daß ich dich mehr auszeichnete und deinen Rang erhöhete?« Als Sophia dies vernahm, sagte sie: »O König, wie sollte ich mir noch eine höhere Auszeichnung wünschen als diesen überhohen Rang, den ich bei dir einnehme, wo ich durch deine Huld und Freigebigkeit überhäuft bin, und Gott mir von dir zwei Kinder, einen Knaben und ein Mädchen, geschenkt hat?« Dem König Omar en-Noomân gefielen ihre Worte; eingenommen von der Süßigkeit ihrer Rede, der feinen Sprache ihres Mundes und der Eleganz ihrer Bildung und Kenntnisse, verließ er sie und bestimmte für sie und ihre Kinder ein wunderschönes Schloß. Außerdem bestellte er für sie Eunuchen, Dienerschaft, Doktoren der Schrift, Philosophen, Astronomen, Ärzte und Chirurgen, legte sie ihnen ans Herz, erhöhte ihre Jahresgelder und bezeugte ihnen seine äußerste Huld. Dann kehrte er in den Palast des Königreiches zurück und sprach Recht unter seinem Volk.

Soviel was sein Verhalten zu Sophia und ihren Kindern anlangt. Was aber seine Beziehungen zur Königin Abrîse betrifft, so ließ ihm die Liebe zu ihr keine Ruhe; Tag und Nacht quälte ihn das Verlangen und Nacht für Nacht besuchte er sie, plauderte bei ihr und machte ihr Anträge. Sie aber gab ihm kein Gehör, sondern sagte nur: »O König der Zeit, mir steht zur Stunde der Sinn nicht nach Männern.« Als er nun sah, daß sie sich unzugänglich gegen ihn erwies, wuchs seine Leidenschaft, und seine Glut und sein Verlangen 57 wurde immer heftiger, bis er, der Sache müde, seinen Wesir Dendân kommen ließ, ihm die Liebe in seinem Herzen zur Königin Abrîse, der Tochter des Königs Hardûb, entdeckte und ihm auch mitteilte, daß er sie nicht willig zu machen imstande wäre, und die Liebe ihn schon getötet hätte, ohne das Geringste von ihr zu erlangen.

Als der Wesir Dendân dies vernahm, sagte er zu dem Könige: »Wenn die Nacht dunkelt, so nimm ein Stück Bendsch in dem Gewicht eines Mithkâls mit dir, besuche sie und trinke mit ihr etwas Wein. Wenn dann die Zeit kommt das Trinken und die Gesellschaft abzubrechen, so reiche ihr den letzten Becher zu trinken, nachdem du das Stück Bendsch hineingethan hast. Ehe sie noch ihr Schlafgemach erreicht, wird der Bendsch seine Wirkung an ihr geübt haben, und du wirst deine Absicht an ihr erreichen. Das ist der Rat, den ich dir zu erteilen habe.«

Der König antwortete ihm darauf: »Ausgezeichnet ist dein Rat.« Darauf ging er in seine Schatzkammer und holte ein Stück konzentrierten Bendsch hervor, daß ein Elefant von einem Jahre zum andern hätte schlafen müssen, wenn er auch nur daran gerochen hätte. Dann steckte er es in seinen Busen, wartete bis ein wenig von der Nacht vergangen war, und begab sich nun in das Schloß der Königin Abrîse. Als dieselbe ihn erblickte, erhob sie sich vor ihm, bis er ihr die Erlaubnis gab sich zu setzen. Dann setzte sie sich und er nahm an ihrer Seite Platz und fing an mit ihr vom Trinken zu reden. Als sie das vernahm, trug sie den Trinktisch auf, stellte das Geschirr vor ihn, zündete die Kerzen an und befahl getrocknete Früchte, Obst und alles Erforderliche zu bringen; dann trank sie mit ihm und leistete ihm Gesellschaft, bis der Wein ihr nach und nach zu Kopfe stieg. Als der König Omar en-Noomân das bemerkte, holte er das Stück Bendsch aus seinem Busen hervor, nahm es zwischen die Finger und füllte den Becher für sich; nachdem er denselben geleert, füllte er ihn zum zweitenmal, warf das Stück 58 Bendsch, ohne daß sie es merkte, hinein und sagte zu ihr: »Nimm den Becher und trink' ihn.« Da nahm die Königin Abrîse den Becher, trank ihn, und schon in kürzester Frist übte der Bendsch seine Wirkung an ihr aus und benahm ihr die Sinne, daß sie sich in ihr Schlafgemach zurückzog. Er aber folgte ihr nach kurzer Zeit nach und fand sie nun in all ihrer Schönheit auf dem Rücken liegen, eine Kerze zu Häupten und eine zu Füßen. Da verlor er die Besinnung, der Satan machte ihm Einflüsterungen, und er verlor die Herrschaft über sich, so daß er sie vergewaltigte. Dann suchte er eins ihrer Mädchen, Namens Mardschâne, auf und sagte zu ihr: »Geh' zu deiner Herrin und sprich mit ihr.«

Als nun das Mädchen bei ihr eintrat und sie bewußtlos auf ihrem Rücken daliegen sah, blieb sie die Nacht über ihr zur Seite. Am andern Morgen wusch sie ihrer Herrin Gesicht, Hände und Füße, dann holte sie Rosenwasser und wusch ihr damit noch einmal das Gesicht und den Mund, worauf die Königin Abrîse nieste und das Stück Bendsch aus ihrem Magen in der Größe einer Pastille erbrach. Hierauf wusch sie sich Mund und Hände und fragte Mardschâne, was mit ihr vorgefallen wäre. Als sie nun hörte, daß sie bewußtlos seit dem Abend vorher dagelegen hätte, merkte sie, daß der König Omar en-Noomân ein Verbrechen an ihr begangen hatte. In tiefstem Kummer hierüber zog sie sich in ihre innersten Gemächer zurück und sagte zu ihren Mädchen: »Verwehret jedem, der mich besuchen will, den Eintritt und sagt ihm, ich sei krank, bis ich sehe, was Gott mit mir thut.«

Als nun dem Könige Omar en-Noomân die Kunde zu Ohren kam, daß die Königin Abrîse krank wäre, schickte er ihr in einem fort Scherbetts, Zuckersachen und Gebäck; sie aber hielt sich mehrere Monate lang zurückgezogen, während welcher Zeit das Feuer des Königs sich abkühlte, sein Verlangen nach ihr erlosch und er sich von ihr fern hielt. Die Königin Abrîse war jedoch von ihm schwanger geworden, und die Welt wurde ihr eng, als die Zeichen ihrer 59 Schwangerschaft sichtbar wurden. »Wisse,« sagte sie zu ihrem Mädchen Mardschâne, »nicht das Volk hat Gewalt an mir verübt, ich selber sündigte wider mich, indem daß ich Vater, Mutter und Heimat verließ; jetzt ist mir das Leben zum Ekel geworden, und mein Mut ist mir gebrochen. Von meinem Mute und meiner Kraft ist mir nichts mehr übrig geblieben; sonst, wenn ich mich aufs Roß schwang, hatte ich es in meiner Gewalt, jetzt aber kann ich es nicht einmal besteigen. Wenn ich nun bei ihnen gebäre, bin ich vor den Mädchen beschimpft, und alle Leute im Schlosse merken, daß ich mich von ihm habe schänden lassen. Kehre ich aber zu meinem Vater zurück, mit welchem Gesicht soll ich ihm entgegentreten und mit welchem Gesicht soll ich überhaupt zurückkehren? Wie treffend sagt doch der Dichter:

Was brächte wohl Trost dem Haus- und Heimatlosen,
Dem Bechergesell und Becher fehlt und ein schützendes Dach?«

Mardschâne antwortete ihr: »Du hast zu befehlen und ich zu gehorchen.« Da sagte sie: »Ich möchte noch heute mich heimlich fortmachen, daß es außer dir keiner weiß, und zu Vater und Mutter heimziehen, denn das Fleisch hat, wenn es stinkend geworden ist, nichts als seine eigene Sippe, und Gott wird mit mir thun, was er will.« Mardschâne antwortete ihr: »Wie schön, o Königin, ist deine Absicht!«

Darauf machte sie sich zurecht, verbarg ihr Geheimnis und wartete einige Tage, bis der König auf die Jagd auszog, und sein Sohn Scharrkân sich zu den Burgen begab, um dort eine Zeitlang zu bleiben. Dann ging sie zu ihrem Mädchen Mardschâne und sagte zu ihr: »Ich möchte heute Nacht aufbrechen; wie aber werde ich es in meinem Verhängnis anstellen, da schon die Zeit der Geburtswehen mir nahe gekommen ist, und ich hier niederkomme, wenn ich nur noch fünf oder vier Tage mich hier verweile, und dann nicht in mein Land zurückkehren kann? Doch dies stand auf meiner Stirn geschrieben und war mir im Verborgenen verhängt.« Darauf versank sie eine Weile in Nachdenken und sagte dann 60 zu Mardschâne: »Ersieh' uns einen Mann, der mit uns zieht und uns unterwegs bedient, denn ich habe nicht mehr die Kraft Waffen zu tragen.« Mardschâne antwortete ihr: »Bei Gott, meine Herrin, ich kenne niemand anders als einen schwarzen Sklaven, Ghadbân geheißen, einen der Sklaven des Königs Omar en-Noomân, der ein unerschrockener Mann und der Thorhüter unseres Schlosses ist. Der König hatte ihm befohlen uns zu Diensten zu sein und wir haben ihn in der That mit unserer Gunst überhäuft. Ich will zu ihm hinausgehen, mit ihm über diese Angelegenheit reden und zu ihm unter Verheißung einer Geldsumme sagen: »Willst du dann bei uns bleiben, so will ich dich mit wem du willst verheiraten.« Er sagte mir gestern, er sei früher ein Straßenräuber gewesen. Wenn er uns beisteht, so erreichen wir unser Vorhaben und gelangen in unser Land.«

Als die Königin Abrîse dies von ihr vernahm, sagte sie zu ihr: »Bringe ihn her zu mir, daß ich mit ihm sprechen kann.« So ging denn Mardschâne zu ihm hinaus und sagte zu ihm: »Ghadbân, Gott segne dich, wenn du den Worten meiner Herrin, die sie dir zu sagen hat, gehorchst.« Dann nahm sie ihn bei der Hand und führte ihn vor ihre Herrin. Als er sie erblickte, küßte er die Erde vor ihr, während ihr Herz bei seinem Anblick zurückbebte. Indem sie jedoch bei sich sprach: »Die Not spricht das Gebot,« empfing sie ihn freundlich, redete mit ihm zurückbebenden Herzens und sagte zu ihm: »Ghadbân, willst du uns wohl beistehen wider die Treulosigkeiten der Zeit und bei dir behalten, was ich dir mitzuteilen habe?« Als der Sklave sie aber angeschaut und ihre Schönheit gesehen hatte, eroberte sie sein Herz, und die Leidenschaft entflammte ihn zur selbigen Stunde, so daß er zu ihr sagte: »Meine Herrin, was immer du mir gebieten magst, ich werde dir gehorchen.« Da sagte sie zu ihm: »Ich wünsche von dir, daß du mich und dieses mein Mädchen unverzüglich nimmst, uns zwei Kamele und zwei von den Pferden des Königs sattelst, auf jedes Pferd einen 61 Reisesack mit Geld und etwas Zehrung legst, und dann mit uns in unser Land ziehst. Willst du dann bei uns bleiben, so wollen wir dich mit einem unserer Mädchen, das du dir erwählst, verheiraten. Willst du aber wieder in dein Land heimkehren, so wollen wir dir geben, was du willst, und du magst dann in dein Land heimziehen, nachdem du soviel Geld empfangen hast, daß du damit zufrieden bist.«

Als Ghadbân dies vernahm, freute er sich mächtig und sagte: »Meine Herrin, ich werde euch beiden mit meinen Augen dienen, werde euch begleiten und euch die Pferde satteln.« Alsdann ging er voll Freuden fort und sprach bei sich: »Von den beiden hab' ich schon erlangt, was ich will; sind sie mir aber nicht zu Willen, so schlag' ich sie tot und nehme all ihr Gut, das sie bei sich haben.« Doch verbarg er dieses bei sich und kam mit zwei Kamelen und drei Pferden wieder, auf deren einem er selber saß. An die Königin Abrîse herantretend, führte er ihr eines der Pferde vor und half ihr in den Sattel, wiewohl sie bereits von den Wehen litt und es vor heftigen Schmerzen nicht mehr aushalten konnte. Dann stieg Mardschâne auf das andere Pferd, und nun zog er mit ihnen Nacht und Tag, bis sie ins Gebirge gelangten und zwischen ihnen und ihrem Lande nur noch ein Tagesmarsch lag. Da aber überkamen sie die Wehen so stark, daß sie zu Ghadbân sagte: »Hilf mir beim Absteigen, die Wehen haben mich ergriffen.« Dann rief sie Mardschâne zu: Steig' ab, setz' dich neben mich und hilf mir beim Gebären. Infolgedessen stiegen Mardschâne und Ghadbân von ihren Pferden ab, Ghadbân band die beiden Pferde mit den Zügeln fest, und die Königin Abrîse stieg, fast besinnungslos von der Qual der Wehen, hinunter, während dem schurkischen Sklaven Ghadbân vor Brunst die Augen funkelten und die Nüstern sich bläheten.

Zweiundfünfzigste Nacht.

Plötzlich erhob sich eine Staubwolke und verhüllte den ganzen Horizont, bis sie sich wieder verteilte, und nun unter ihr eine große Heerschar sichtbar wurde. Als Ghadbân 62 dieselbe gewahrte und sah, daß ihm die Königin Abrîse verloren war, schlug er sie voll Grimm nieder, damit sie keinem andern in die Hände fiele, trieb ihr Roß mit ihren Schätzen vor sich her und flüchtete sich in die Berge, während die Königin Abrîse sterbend am Wege einem Knäblein das Leben schenkte und Mardschâne es ihr in den Schoß legte. Als sie jedoch merkte daß ihre Herrin tot war, schrie sie laut auf, zerriß ihre Kleider, streute sich Staub aufs Haupt, schlug sich ihre Wangen so heftig, daß ihr das Blut übers Gesicht strömte, und klagte: »Weh über den Jammer! Mußte meine Herrin in all ihrer Ritterschaft von einem elenden Sklaven erschlagen werden!« Während sie so weinte und klagte, war das Heer nahe herangekommen, und siehe, da war es das Heer des Königs von Rûm, des Vaters der Königin Abrîse. Der Grund hiervon aber war folgender: Als er vernommen hatte, daß seine Tochter mit ihren Mädchen nach Bagdad geflohen war, und daß sie dort bei dem Könige Omar en-Noomân lebte, war er mit seinen Kriegsleuten ausgezogen, um die Reisenden auszukundschaften, ob sie sie bei dem Könige Omar en-Noomân gesehen hätten, und von wannen sie kämen, daß er vielleicht etwas von ihr erführe. Da er nun die drei, seine Tochter, den Sklaven Ghadbân und ihr Mädchen Mardschâne von fern erblickte, ritt er auf sie zu, um sie auszufragen. Wie er jedoch seine Tochter tot am Boden liegen und ihr Mädchen über sie weinend daneben sitzen sah, stürzte er ohnmächtig vom Sattel zur Erde. Da stiegen alle seine Begleiter samt den Emiren und Wesiren von ihren Pferden ab, schlugen zwischen den Bergen die Zelte auf, errichteten für den König Hardûb einen Pavillon, und die Großen des Reiches stellten sich außerhalb desselben auf. Mardschâne aber weinte und klagte nur noch lauter beim Anblick ihres Herrn.

Als nun der König aus seiner Ohnmacht wieder zu sich kam und sie nach allem fragte, erzählte sie ihm die Geschichte und sagte: »Der Mörder deiner Tochter ist einer von den 63 schwarzen Sklaven des Königs Omar en-Noomân;« dann teilte sie ihm mit, wie der König Omar en-Noomân an seiner Tochter gehandelt hatte. Als der König Hardûb ihren Bericht vernommen hatte, ward die Welt schwarz vor seinem Angesicht, und er weinte bitterlich. Dann befahl er eine Sänfte zu holen, legte seine Tochter darauf, und zog nach Cäsarea zurück, woselbst sie die Königin Abrîse ins Schloß trugen. Hier angelangt, begab er sich zu seiner Mutter Zât ed-Dawâhī und klagte ihr: »Sollen die Moslems also mit meiner Tochter verfahren? Erst schändet sie der König Omar en-Noomân, und hernach ermordet sie einer seiner schwarzen Sklaven! Aber, beim Messias, ich will das Blut meiner Tochter an ihm rächen und den Schimpf von meiner Ehre tilgen, oder ich nehme mir mit meiner eigenen Hand das Leben!« Darauf weinte er bitterlich.

Seine Mutter Zât ed-Dawâhī sagte jedoch zu ihm: »Niemand anders als Mardschâne hat deine Tochter erschlagen, da sie sie im stillen haßte. Du aber, mein Sohn, laß dich nicht durch die Blutrache bekümmern; beim Messias, ich will nicht eher vom König Omar en-Noomân abstehen, als ich ihn und seine Kinder umgebracht habe, und will eine That an ihm vollstrecken, welche die Weisen und Helden zu Schanden machen, und von der man in allen Ländern singen und sagen soll, doch ist es erforderlich, daß du in allem, was ich dir sage, meinem Worte gehorchst; nur so kannst du deinen Wunsch erlangen.«

Der König Hardûb antwortete ihr: »Beim Messias, ich werde mich nimmermehr deinen Worten widersetzen.« Da sagte sie: »So schaffe mir jungfräuliche Mädchen mit knospendem Busen und die Gelehrten der Zeit herbei, mache ihnen reiche Geschenke, gebiete ihnen die Mädchen in der Philosophie und feinen Bildung, in der Unterhaltung und dem Verkehr mit Königen und der Poesie zu unterrichten und laß sie ihnen wissenschaftliche und erbauliche Vorträge halten. Die Gelehrten müssen aber Moslems sein, daß sie sie in 64 der Geschichte der Araber, in den Annalen der Chalifen und der Geschichte der verflossenen Könige des Islams unterweisen. Wenn wir auch in dieser Weise zehn Jahre zubringen sollten, und die Zeit dir lange währt, so harre aus; sagt doch einer der Araber: Blutrache selbst nach vierzig Jahren ist eine kurze Zeit. Haben wir die Mädchen ausgebildet, so erreichen wir an unserm Feinde, was wir wollen, weil seine schwache Seite die Mädchen sind. Dreihundertundsechzig Mädchen hat er bei sich, wir aber wollen ihm noch hundert auserlesene Mädchen von den Mädchen deiner in Gottes Barmherzigkeit eingegangenen Tochter dazu geben, und ich will selber, wenn die Mädchen die Kenntnisse, die ich dir erwähnte, gelernt haben, mit ihnen mich auf den Weg machen.«

Als der König Hardûb die Worte seiner Mutter Zât ed-Dawâhī vernommen hatte, freute er sich mächtig, küßte ihr das Haupt, und schickte noch zu derselbigen Zeit und Stunde Reisende und Kuriere nach allen Ländern aus, daß sie die Gelehrten des Moslems zu ihm holten; und die Boten vollzogen seinen Befehl, zogen nach fernen Ländern aus und brachten ihm die verlangten Gelehrten und Weisen. Der König aber ehrte sie, als sie bei ihm eintrafen, mit den höchsten Ehren, legte ihnen Ehrenkleider an, setzten ihnen Gehälter und Einkünfte fest und verhieß ihnen reichen Lohn, wenn sie seine Befehle ausgerichtet hätten.

Dreiundfünfzigste Nacht.

Alsdann führte er ihnen die Mädchen vor und legte ihnen ihre Unterweisung in der Philosophie und feinen Bildung ans Herz, und sie gehorchten dem Befehle.

Soviel, was den König Hardûb anlangt; was nun aber den König Omar en-Noomân anbetrifft, so fühlte sich derselbe schwer beunruhigt, als er von der Jagd ins Schloß zurückkehrte und die Königin Abrîse nicht vorfand, und auch keiner ihm von ihr Kunde geben konnte. »Wie konnte dieses 65 Mädchen,« so sprach er, »das Schloß verlassen, ohne daß es jemand bemerkte? Wenn mein Königreich in diesem Falle auf dem Spiel gestanden hätte, so wäre es um sein Wohl geschehen, und wäre keiner da es zu regieren; ich will hinfort nicht mehr auf die Jagd ausziehen, bevor ich nicht jemand die Obhut der Thore anvertraut habe.«

Während ihm nun in solcher Weise der Kummer wuchs und die Brust wegen der Trennung von der Königin Abrîse beklommen wurde, kam sein Sohn von seiner Reise zurück, welcher tief bekümmert wurde, als er von seinem Vater hörte, daß die Königin Abrîse während seines Jagdausfluges geflohen sei. Der König aber besuchte von nun an täglich seine Kinder und zeichnete sie mit seiner Huld aus, nachdem er schon früher für sie die Weisen und Gelehrten hatte kommen lassen, um sie in den Wissenschaften zu unterrichten, und denselben feste Einkünfte verordnet hatte.

Scharrkân entbrannte jedoch hierüber in heftigem Zorn und Neid gegen seine Geschwister, daß die Spuren seines Zornes in seinem Antlitz sichtbar wurden, und hörte nicht auf sich hierüber zu kränken, bis sein Vater eines Tages zu ihm sagte: »Wie kommt es, daß ich deinen Körper immer elender werden sehe, und daß deine Farbe immer gelber wird?« Scharrkân antwortete ihm: »Mein Vater, so oft ich dich mit meinen Geschwistern zärtlich thun und sie beschenken sehe, packt mich der Neid, so daß ich fürchte, der Neid möchte in mir so stark werden, daß ich sie umbringe, und du mir dann um ihretwillen das Leben nimmst, wenn ich sie erschlagen habe. Deswegen krankt mein Leib und hat sich meine Farbe verändert. Nun aber erbitte ich mir von deiner Güte, daß du mir eine deiner Burgen schenkst, und ich dort den Rest meines Lebens verbringen kann. Sagt doch jemand im Sprichwort: Besser und geziemender ist es für mich, mich von meinem Freunde zu trennen, denn was das Auge nicht sieht, kann auch das Herz nicht verbrennen.« Hierauf ließ er sein Haupt zu Boden sinken. 66

Als nun der König Omar en-Noomân seine Worte vernahm und die Ursache seiner Kümmernis erkannte, gab er ihm gute Worte und sagte zu ihm: »Mein Sohn, ich willige ein in deinen Wunsch; in meinem Königreiche habe ich keine größere Burg als die Burg zu Damaskus, ich schenke sie dir von Stund an.« Hierauf ließ er zur selbigen Zeit und Stunde seine Sekretäre kommen und befahl ihnen das Diplom der Investitur seines Sohnes mit der Statthalterschaft von Damaskus in Syrien auszufertigen. Nachdem sie ihm dasselbe ausgestellt hatten, rüsteten sie ihn aus, und er nahm den Wesir Dendân zu sich, betraute ihn mit dem Reich und der Regierung und übertrug ihm die Geschäfte des Staates. Dann nahm er von seinem Vater Abschied, die Emire und Großen des Reiches verabschiedeten sich von ihm, und er zog mit seinen Truppen nach Damaskus fort, wo das Volk ihn bei seiner Ankunft mit Paukenwirbeln und Trompetenfanfaren empfing, die Stadt ihm zu Ehren schmückte und ihn mit einem Ehrengeleite einholte, in welchem die Würdenträger der RechtenDiejenigen Würdenträger, welche vor dem Throne auf der rechten Seite zu stehen haben. zur Rechten und die Würdenträger der Linken zur Linken schritten.

Soviel, was Scharrkân anlangt; was nun aber seinen Vater Omar en-Noomân anbetrifft, so traten nach der Abreise seines Sohnes Scharrkân die Gelehrten vor ihn und sprachen zu ihm: »Unser Gebieter, deine Kinder haben nunmehr die Wissenschaften, Philosophie und feine Bildung erlernt.« Als der König Omar en-Noomân dies vernahm, und seinen Sohn Dau el-Makân herangewachsen und wohlgediehen und die Rosse tummeln sah, freute er sich mächtig und machte allen Gelehrten reiche Geschenke. Dau el-Makân aber, der jetzt vierzehn Jahre alt geworden war, widmete sich ganz der Gottesfurcht und dem Gottesdienst und liebte die Armen, die Gelehrten und Koranbeflissenen, und das Volk von Bagdad, Männer wie Frauen, liebten ihn in 67 gleicher Weise. Da begab es sich nun, daß der MahmilzugDer Mahmil ist das Gestell, auf welchem jedes Jahr die neue Seidendraperie für die Kaaba nach Mekka getragen wird. aus dem Irâk in Bagdad seinen Umzug hielt, um die Pilgerfahrt anzutreten und das Grab des Propheten – Gott segne ihn und spende ihm Heil! – zu besuchen. Als Dau el-Makân die Mahmilprozession erblickte, packte ihn das Verlangen, ebenfalls die Pilgerfahrt anzutreten; infolgedessen begab er sich zu seinem Vater und sagte zu ihm: »Ich bin zu dir gekommen, um die Erlaubnis zur Pilgerfahrt von dir zu erbitten.« Der König schlug es ihm jedoch ab, indem er sagte: »Warte bis zum nächsten Jahre, dann will ich selber die Pilgerfahrt antreten und dich mitnehmen.« Da ihm aber die Sache zu lange dauerte, ging er zu seiner Schwester Nushet es-Samân, die er gerade beim Gebet antraf. Als sie dasselbe beendet hatte, sagte er zu ihr: »Die Sehnsucht nach der Pilgerfahrt zum heiligen GotteshausDie Kaaba in Mekka. und dem Besuch des Grabes des ProphetenDas Grab des Propheten ist in Medina gelegen. – Segen und Heil über ihn! – bringt mich noch um, und mein Vater, den ich hierzu um Erlaubnis bat, hat es mir abgeschlagen. Es ist deshalb meine Absicht etwas Geld zu mir zu nehmen und heimlich mich zur Pilgerfahrt aufzumachen, ohne daß es mein Vater merkt.«

Als Nushet es-Samân dies vernahm, sagte sie: »Um Gott, mein Bruder, nimm mich mit dir und verwehre mir nicht den Besuch des Propheten – Gott segne ihn und spende ihm Heil!« Da sagte er zu ihr: »Wenn die Finsternis hereinbricht, so komm' von hier heraus und sprich zu keinem hierüber.«

Wie es nun Mitternacht geworden war, erhob sich Nushet es-Samân, steckte etwas Geld zu sich, legte Manneskleidung an und begab sich zum Schloßthor, wo sie ihren Bruder Dau el-Makân mit zwei Kamelen vorfand. Nun stieg er 68 auf, half seiner Schwester in den Sattel, und so reisten beide die Nacht über, sich unter die Pilger mischend, bis sie sich mitten in der Irâker Pilgerkarawane befanden, und zogen unablässig des Weges. Gott aber hatte ihnen das Heil verzeichnet, so daß sie das hochgelobte Mekka erreichten, am Berge ArafâtDer Berg Arafât liegt etwa 12 engl. Meilen ostwärts von Mekka, von den Arabern der Berg der Barmherzigkeit genannt. Als Adam und Eva von der verbotenen Frucht genossen hatten, stieg Eva auf den Berg Arafât, und Adam begab sich nach Ceylon. Hernach bekam er wieder Sehnsucht nach ihr und suchte sie, bis er sie endlich auf dem Berg der Erbarmung fand. Der Erzengel Gabriel aber befahl Adam, auf diesem Berge eine Betstelle zu errichten. Dann wohnten Adam und Eva hier bis zu ihrem Tode. standen und die Opferceremonien der Pilgerfahrt verrichteten. Alsdann machten sie sich auf zum Besuch des Propheten – Gott segne ihn und spende ihm Heil! – besuchten ihn und wollten nun wieder mit den Pilgern nach ihrer Heimat zurückkehren, als Dau el-Makân mit einem Male zu seiner Schwester sagte: »Meine Schwester, ich möchte auch noch Jerusalem besuchen und den FreundFreund, nämlich Gottes, ist ein stehendes Beiwort Abrahams, welcher nächst Mohammed von den Arabern am meisten verehrt wird. Sein Grab wird hier fälschlich nach Jerusalem verlegt. Abraham – Segen und Heil über ihn!« Sie antwortete: »Ich desgleichen.« Nachdem sie sich also geeinigt hatten, ging Dau el-Makân aus und mietete für sich und seine Schwester einen Platz bei den Pilgern von Jerusalem. Dann machten sie sich zurecht und reisten mit der Karawane ab. In jener Nacht aber bekam Nushet es-Samân einen Anfall vom kalten Fieber und erkrankte, doch genas sie wieder; nun aber erkrankte ihr Bruder, und sie pflegte ihn während der Krankheit, wobei sie fortwährend reisten, bis sie nach Jerusalem kamen, woselbst sie in einem Chan einkehrten, sich ein Zimmer mieteten und dort wohnten. Dau el-Makâns Krankheit wurde jedoch immer schlimmer und schlimmer, daß er ganz abmagerte und nichts mehr von sich wußte. Seine Schwester Nushet es-Samân bekümmerte sich hierüber schwer und rief: 69 »Es giebt keine Macht und keine Kraft außer bei Gott; das ist Gottes Ratschluß!« Sie blieb nun mit ihrem Bruder in jenem Hause, wartete seiner, während er immer kränker wurde, und gab für ihn und für sich Geld aus, bis alles Geld, das sie bei sich hatte, fort war und sie völlig mittellos ohne einen einzigen Dirhem dasaß. Da schickte sie den Burschen des Chans mit einigen ihrer Kleidungsstücke auf den Bazar, daß er sie verkaufte, und verwendete den Erlös dafür für ihren Bruder. Dann verkaufte sie weitere Sachen, Stück für Stück, von ihrer Habe, bis ihr nichts als ein zerschlissener Lumpen übrig geblieben war, und sie weinend sprach: »Gott ist der Gebieter über das Vergangene und Künftige.« Nun sagte ihr Bruder zu ihr: »Schwester, ich spüre jetzt die Genesung, und habe nach etwas Gebratenem Verlangen.« Wie sie das vernahm, klagte sie: »Ach mein Bruder, ich habe nicht das Gesicht zum Betteln, doch will ich morgen in das Haus eines der Großen gehen und durch Dienste etwas erwerben, wovon wir leben können.« In Nachdenken versinkend, sagte sie dann nach einer Weile: »Wahrlich, mir fällt es nicht leicht mich von dir zu trennen, wo du in solchem Zustande bist, doch heißt es jetzt trotz meiner Abneigung Brot zu verdienen.« Ihr Bruder versetzte darauf: »Gott behüte, du kommst in Schimpf und Schande, doch giebt es keine Macht und keine Kraft außer bei Gott, dem Hohen und Erhabenen!« Hierauf weinten beide, und sie sagte: »Ach, mein Bruder, wir sind hier fremd und wohnen hier schon ein volles Jahr, ohne daß jemand an unsere Thür gepocht hätte. Sollen wir etwa Hungers sterben? Ich weiß keinen andern Rat als daß ich ausgehe, mir Dienst suche und dir etwas bringe, wovon du leben kannst, bis du von deiner Krankheit genesen bist, und wir in unsere Heimat zurückkehren.«

Nach längerem Weinen erhob sich Nushet es-Samân, verhüllte ihr Haupt mit einem härenen Lumpen von den Kleidern der Kameltreiber, den der Eigentümer bei ihnen 70 vergessen hatte, küßte ihres Bruders Haupt, umarmte ihn und ging weinend fort, ohne zu wissen, wohin sie gehen sollte. Ihr Bruder wartete nun auf sie bis die Zeit des Abendessens kam. Da sie jedoch nicht kam, wartete er weiter, bis der Tag anbrach, und als sie auch dann nicht zu ihm zurückkehrte, wartete er zwei Tage lang, bis ihn dieses schwer beängstigte, und sein Herz für sie zitterte. Da aber sein Hunger immer stärker ward, verließ er das Zimmer und rief den Burschen des Chans, daß er ihn auf den Bazar trüge. Der Bursche that es und warf ihn im Bazar nieder, während sich das Volk Jerusalems um ihn versammelte und weinte, als es ihn in solchem Zustande sah. Als er ihnen nun ein Zeichen gab, daß er etwas zu essen wünschte, brachten sie ihm von einigen der Kaufleute im Bazar ein paar Dirhem, kauften ihm etwas dafür und gaben es ihm zu essen. Alsdann hoben sie ihn auf, legten ihn in einem Laden auf einer zerlumpten Matte aus Palmblättern nieder und stellten einen Eimer an sein Kopfende. Zur Nacht aber verließen ihn alle Leute, von Sorge um ihn bedrückt. Gegen Mitternacht gedachte er wieder seiner Schwester und die Schwäche überkam ihn so stark, daß er weder zu essen noch zu trinken vermochte und das Bewußtsein verlor. Da standen die Bazarleute auf, ließen sich von den Kaufleuten für ihn dreißig Dirhem geben, mieteten ihm dafür ein Kamel und sagten zu dem Kameltreiber: »Lade diesen da auf und schaffe ihn nach Damaskus ins Hospital, vielleicht wird er wieder gesund.« Der Kameltreiber antwortete ihnen: »Auf den Kopf,« doch sprach er bei sich: »Wie werde ich mit diesem halbtoten Menschen fortgehen!« Hierauf zog er mit ihm hinaus an eine Stätte, wo er sich mit ihm bis zur Nacht versteckte, warf ihn dann auf den MisthaufenIm Orient wird vielfach mit getrocknetem Mist geheizt. der Feuerstätte eines Bades nieder und ging seines Weges. Als nun am andern Morgen der Heizer des Bades zu seiner 71 Arbeit kam und ihn auf dem Rücken daliegen sah, sprach er bei sich: »Zu welchem Zwecke hat man diesen Toten hierher geworfen?« und gab ihm einen Fußtritt. Wie er jedoch sah, daß er sich regte, sagte der Heizer: »Einer von euch Haschischessern, der sich am ersten besten Platz niedergeworfen hat,« und blickte ihm ins Gesicht; da sah er seine flaumlosen Wangen und seine Schönheit und Anmut, so daß er, von Mitleid ergriffen und einen kranken Fremdling in ihm erkennend, rief: »Es giebt keine Macht und keine Kraft außer bei Gott! Hier habe ich mich wider diesen Knaben versündigt, da doch der Prophet – Gott segne ihn und spende ihm Heil! – Fremdlinge zu ehren befohlen hat, zumal wenn sie krank sind.« Hierauf lud er ihn auf, trug ihn nach seiner Wohnung und brachte ihn seiner Frau, der er befahl seiner zu warten und ihm einen Teppich auszubreiten. Die Frau that es, legte ihm ein Kissen unter den Kopf, wärmte ihm Wasser und wusch ihm damit Hände, Füße und das Gesicht, während der Heizer auf den Bazar ging und etwas Rosenwasser und Zucker für ihn holte. Nachdem er ihm das Rosenwasser ins Gesicht gesprengt und den Zucker zu trinken gegeben hatte, holte er ihm ein sauberes Hemd hervor und zog es ihm an, so daß Dau el-Makân den linden Hauch der Gesundheit roch, die Genesung ihm nahte, und er sich auf sein Kissen lehnte. Erfreut hierüber rief der Heizer: »Lob sei Gott für die Genesung dieses Knaben, o Gott, bei deinem verborgenen Geheimnis flehe ich dich an, laß diesen Jüngling durch meine Hand gerettet werden!«

Vierundfünfzigste Nacht.

In dieser Weise hörte der Heizer nicht auf drei Tage lang für ihn zu sorgen, indem er ihm Scherbetts und Weidenblüten- und Rosenwasser zu trinken reichte und ihn voll Liebe und Freundlichkeit pflegte, bis sich die Gesundheit durch seinen Körper ergoß, und er die Augen öffnete, als wieder gerade einmal der Heizer bei ihm eintrat. Als er ihn 72 aufrecht mit den Anzeichen der Genesung dasitzen sah, fragte er ihn: »Wie ist heute dein Befinden, mein Sohn?« Dau el-Makân antwortete: »Wohl und gesund,« und der Heizer lobte seinen Herrn und dankte ihm. Dann ging er hurtig in den Bazar, kaufte ihm zehn Hühner, brachte sie seiner Frau und befahl ihr: »Schlachte täglich zwei Hühner für ihn, eins früh am Tage und das andere zum Abend.« Da erhob sie sich, schlachtete ihm ein Huhn, sott es, brachte es ihm, reichte es ihm zu essen und gab ihm die Brühe zu trinken. Als er mit dem Essen fertig war, brachte sie ihm warmes Wasser und wusch ihm die Hände. Dann lehnte er sich aufs Kissen, und sie deckte ihn mit einer Decke zu. Nachdem er hierauf bis zur Zeit des Nachmittagsgebetes geschlafen hatte, erhob sie sich, sott ihm ein zweites Huhn, zerlegte es ihm und sagte zu ihm: »Iß, mein Sohn.« Wie sie ihm nun zu essen reichte, kam gerade ihr Mann herzu; indem er sich an seinem Kopfende niedersetzte, fragte er ihn: »Wie ist dein Befinden heute, mein Sohn?« Dau el-Makân antwortete: »Lob sei Gott für meine Genesung; Gott vergelte dir das Gute, das du an mir gethan hast!« Erfreut hierüber ging der Heizer aus, holte Veilchenscherbett und Rosenwasser und reichte es ihm zu trinken. Für einen Tageslohn von fünf Dirhem arbeitete der Heizer im Bade, und täglich kaufte er ihm für einen Dirhem Zucker, Rosenwasser und Veilchenscherbett und für einen Dirhem junge Hühner. So pflegte er ihn fort und fort einen Monat lang, bis die Spuren der Krankheit von ihm wichen, und er zu seiner Freude und zur Freude seiner Frau genesen war. Dann fragte er ihn: »Mein Sohn, hättest du nicht Lust mit mir ins Bad zu gehen?« Dau el-Makân antwortete: »Schön,« und nun ging er auf den Bazar, holte ihm einen Eseltreiber, setzte ihn auf den Esel und stützte ihn so lange, bis er beim Bade angelangt war, wo er ihn hineinführte und ihn im Innern des Bades niedersetzte. Dann ging er wieder auf den Bazar, kaufte Lotosblätter und Lupinenmehl und sagte zu ihm: 73 »Mein Herr, im Namen Gottes, ich will dir den Körper waschen.« Dann fing er an Dau el-Makân die Füße zu reiben und ihm den Leib mit den Lotosblättern und dem Lupinenmehl zu waschen. Mit einem Male kam der Badewärter an, den der Bademeister geschickt hatte; als er den Heizer Dau el-Makâns Füße reiben sah, trat er an ihn heran und sagte zu ihm: »Das ist eine Verkürzung der Rechte des Bademeisters.« Der Heizer antwortete: »Bei Gott, der Meister überhäuft uns mit seiner Güte.« Dann machte sich der Badewärter daran Dau el-Makân den Kopf zu scheren, und er und der Heizer wuschen ihn, bis der Heizer wieder mit ihm nach Hause zurückkehrte, ihm ein zartes Hemd anlegte, ihm eins seiner Gewänder und einen hübschen Turban gab und einen Gürtel schenkte, während seine Frau ihm inzwischen zwei Hühner schlachtete und kochte. Nachdem dann Dau el-Makân eingetreten war und sich auf sein Lager gesetzt hatte, erhob sich der Heizer, schmolz ihm Zucker in Rosenwasser und reichte es ihm zu trinken. Hierauf setzte er ihm den Speisetisch vor, legte ihm etwas von jenen Hühnern vor, reichte es ihm zu essen und gab ihm von der Brühe zu trinken, bis er sich gesättigt hatte, sich die Hände wusch und Gott, den Erhabenen, für seine Genesung pries. Dann sagte er zum Heizer: »Du bist es, den mir Gott geschenkt und durch dessen Hand er mich wieder hergestellt hat.« Der Heizer antwortete jedoch: »Laß diese Worte ruhen, sag' uns lieber, weshalb du nach dieser Stadt kamst und von wannen du bist, denn ich schaue in deinem Antlitz die Spuren des Wohlstandes.« Dau el-Makân entgegnete ihm: »Sag' du mir zuerst, wie du auf mich gestoßen bist, dann will ich dir meine Geschichte erzählen.« Da sagte der Heizer: »Was mich anlangt, so fand ich dich auf dem Misthaufen des Heizraums, als ich beim Anbruch der Morgenröte an meine Arbeit ging, ohne zu wissen, wer dich dorthin geworfen hatte, und nahm dich zu mir; das ist meine Geschichte.« Als Dau el-Makân dieses vernahm, rief er: »Preis Ihm, der die Gebeine lebendig 74 macht, auch wenn sie verfault sind! Du aber, mein Bruder, hast an keinen Unwürdigen deine Güte verschwendet und sollst die Frucht derselben ernten.« Dann fragte er den Heizer: »In welcher Stadt bin ich eigentlich?« Der Heizer antwortete ihm: »Du bist in der Stadt Jerusalem.« Als Dau el-Makân dieses vernahm, gedachte er seiner Fremdlingschaft und der Trennung von seiner Schwester; unter Thränen entdeckte er dem Heizer sein Geheimnis, erzählte ihm seine Geschichte und sprach darauf die Verse:

»Sie haben mich in der Liebe allzuschwer beladen,
Daß ich um ihretwillen des jüngsten Gerichtes Qualen erdulde.
O, ihr, die ihr mich flieht, habt Mitleid mit meinem Herzen,
Wo jeder Neidhart sich meiner erbarmt in meiner Verlassenheit.
Versagt mir nicht einen freundlichen Blick, der meine Schmerzen lindert,
Der das Übermaß meines Liebesleids stillt.
Zu meinem Herzen sprach ich: Ertrag' in Geduld die Trennung.
Doch mein Herz sprach: Hüte dich, Geduld ist nicht meine Art.«

Wie er nun nur noch heftiger weinte, sagte der Heizer zu ihm: »Weine nicht, preise vielmehr Gott für deine Rettung und Genesung.« Nun aber fragte ihn Dau el-Makân: »Wie weit ist es von hier nach Damaskus?« Der Heizer antwortete: »Sechs Tage.« Da sagte Dau el-Makân: »Hättest du wohl Lust mich dorthin zu schicken?« Der Heizer erwiderte: »Mein Herr, wie könnte ich dich allein fortziehen lassen, wo du doch so jung noch bist! Willst du nach Damaskus reisen, so bin ich derjenige, welcher dich begleiten wird; wenn aber meine Frau mir folgt und mit mir reist, so bleibe ich dort, denn, siehe, es fällt mir nicht leicht, mich von dir zu trennen.« Dann fragte der Heizer seine Frau: »Hast du Lust mit mir nach Damaskus in Syrien zu reisen oder willst du hier bleiben, bis ich diesen meinen Herrn nach Damaskus in Syrien gebracht habe und wieder zu dir zurückgekehrt bin? Er möchte gern dorthin reisen, mir aber, bei Gott, fällt es nicht leicht mich von ihm zu trennen, und bin ich um ihn der Straßenräuber wegen besorgt.« Seine Frau 75 erwiderte ihm darauf: »Ich will mit euch beiden reisen.« Da sagte der Heizer: »Lob sei Gott für deine Einwilligung!« worauf er sich aufmachte und seine Sachen und die Sachen seiner Frau verkaufte.

Fünfundfünfzigste Nacht.

Hierauf mietete er einen Esel, setzte Dau el-Makân auf und reiste mit ihm und seiner Frau ununterbrochen sechs Tage lang, bis daß sie in Damaskus einzogen und dort gegen Abend einkehrten. Hier angelangt kaufte der Heizer wie üblich etwas zum Essen und Trinken ein. Nachdem sie in dieser Weise fünf Tage verbracht hatten, erkrankte die Frau des Heizers und wurde schon nach wenig Tagen zur Barmherzigkeit Gottes, des Erhabenen, eingeführt. Dau el-Makân wurde hierdurch schwer bekümmert, da er sich ganz an sie gewöhnt, und sie ihn bedient hatte, und der Heizer betrauerte sie tief. Wie nun Dau el-Makân sich zum Heizer wendete und ihn so traurig fand, sagte er zu ihm: »Sei nicht traurig, denn wir alle müssen durch diese Pforte treten.« Auf diese Worte wendete sich der Heizer zu Dau el-Makân und sagte zu ihm: »Gott lohne es dir, mein Sohn! Gott, der Erhabene, wird uns in seiner reichen Gnade einen Ersatz geben und unsere Trauer uns nehmen. Möchtest du aber nicht mit mir ausgehen, mein Sohn, und dir Damaskus ansehen, damit du dein Gemüt erheiterst?« Dau el-Makân antwortete: »Der Beschluß ist der deine.«

Infolgedessen stand der Heizer auf, legte seine Hand in die Hand Dau el-Makâns und zog mit ihm die Straßen entlang, bis daß sie zum Stall des Wâlīs von Damaskus gelangten, wo sie mit Kisten, Teppichen, Brokatstoffen und dergleichen Dingen beladene Kamele, gesattelte Pferde, baktrische Dromedare und durcheinander rennende Sklaven, Mamluken und sonstiges Volk antrafen. Da sagte Dau el-Makân: »Ich möchte wohl gerne wissen, wem diese Mamluken, Kamele und Zeuge gehören,« und fragte einen der Eunuchen danach, welcher ihm zur Antwort gab: »Der 76 Emir von Damaskus will diese Sachen mit dem syrischen Tribut dem König Omar en-Noomân als Geschenk übersenden.« Als Dau el-Makân diese Worte vernahm, flossen seine Augen von Thränen über, und weinend sprach er die Verse:

»Wenn wir die Trennung beklagen, was sollen wir sagen?
Wenn uns die Sehnsucht verzehrt, wo bleibt der rettende Weg?
Wenn wir auch Boten senden als Mittler unsrer Gefühle,
Wo nähme ein Bote das Leid des Liebenden mit!
Und wenn wir geduldig uns fügen, ach! nach dem Verlust der Geliebten
Fügt sich mein Herz nur schwer in Geduld.«

Und folgende Verse:

»Fern ist sie den Lidern meiner Augen entschwunden,
Sie, deren Wohnung in meinem Herzen doch bleibt.
Seit ihr liebliches Antlitz mir fehlt, ist mein Leben verbittert,
Und meine Sehnsucht schläft nicht und stirbt nimmerdar.
Wollte Gottes Beschluß noch einmal uns wieder vereinen,
Wie wollt' ich in langen Mären meine Liebe erzählen!«

Als er nach diesen Versen von neuem zu weinen anhob, sagte der Heizer zu ihm: »Mein Sohn, du bist kaum genesen, fasse Mut und weine nicht, ich bin besorgt, daß du einen Rückfall bekommst.« In dieser Weise hörte er nicht auf ihn zu trösten und aufzurichten, während Dau el-Makân über seine Fremdlingschaft und die Trennung von seiner Schwester und seinem Lande stöhnte und seufzte und mit thränenüberströmten Augen die Verse sprach:

»Nimm aus der Welt dir Proviant, dieweil du von hinnen mußt,
Denn, wisse, der Tod steigt sicher zu dir herab.
Dein irdisches Gut ist Verblendung und Kummer,
Dein irdisches Leben ein nichtig Bemühn.
Eines Fahrenden Rastort dünkt mich die Welt,
Der am Abend sein Kamel lockt, daß es kniet,
Und am Morgen muß er von hinnen!«

Hierauf fing er von neuem an zu weinen und seufzen, daß auch der Heizer über die Trennung von seiner Frau weinen mußte, doch hörte er dabei nicht auf Dau el-Makân 77 Trost zuzusprechen, bis der Morgen tagte. Als nun die Sonne aufging, sagte der Heizer zu ihm: »Mir ist es als ob du Heimweh hast.« Dau el-Makân antwortete ihm: »Ja, und ich vermag es hier nicht länger auszuhalten; so will ich dich nunmehr in Gottes Schutz empfehlen und mit diesen Leuten reisen, bis ich nach und nach in mein Land gelange.« Da sagte der Heizer zu ihm: »Und ich ziehe mit dir, denn ich kann mich von dir nicht trennen. Habe ich dir Gutes erwiesen, so will ich auch meinen Dienst an dir vollenden.« Dau el-Makân antwortete ihm: »Gott lohne es dir mit Gutem« und war froh darüber, daß der Heizer mit ihm reisen wollte.

Der Heizer ging nun sofort aus, kaufte einen Esel, beschaffte Wegzehrung und sagte dann zu Dau el-Makân: »Reite unterwegs diesen Esel und steige ab und geh' zu Fuß, wenn du müde vom Reiten geworden bist.« Dau el-Makân entgegnete: »Gott segne dich und verhelfe mir dazu, es dir zu vergelten; du hast mir mehr Güte als ein Bruder dem andern erwiesen.« Alsdann warteten sie, bis die Finsternis hereinbrach, worauf sie den Esel mit der Reisekost und dem Gepäck beluden und abreisten.

Soviel was Dau el-Makân und den Heizer anlangt. Was nun aber seine Schwester Nushet es-Samân betrifft, so war dieselbe, nachdem sie sich in den härenen Lumpen gehüllt und von ihrem Bruder Dau el-Makân getrennt hatte, aus dem Chan, in welchem beide in Jerusalem wohnten, gegangen, um bei jemand zu dienen, daß sie ihrem Bruder etwas Gebratenes, wonach er Verlangen trug, kaufen könnte, indem sie dabei in einem fort weinte, da sie nicht wußte, wohin sie sich wenden sollte. Fortwährend in Gedanken bei ihrem Bruder und bekümmerten Herzens um ihre Angehörigen und ihre Heimat, betete sie flehentlich zu Gott, dem Erhabenen, um Abwehr dieser Heimsuchungen und sprach die Verse: 78

Die Nacht bricht herein, und es erwacht meiner Liebe Qual,
Und die Sehnsucht rüttelt in meiner Brust alle Schmerzen auf.
In meiner Seele hat das Leid der Trennung seine Wohnung aufgeschlagen,
Und die Qualen verzehren mich, daß ich mehr und mehr hinschwinde.
Kummer raubt mir die Ruhe, und das Feuer der Sehnsucht glutet in mir,
Und meine Thränen verkünden die Liebe, die ich so tief verbarg.
Vergebens sinn' ich auf Listen, mit ihm wieder vereinigt zu werden,
Daß ich all meines Herzens Leid aus meiner Brust verscheuche.
Das Feuer in meinem Herzen wird genährt durch die Sehnsucht,
Und ewig duld' ich die Strafe dieser Höllenglut.
O du, der du mich tadelst, daß mich alles dieses befallen hat,
Sieh', in Geduld ertrag' ich, was die Feder geschrieben hat.
Ich schwöre es bei der Liebe, nimmer werde ich Trost finden,
Und mein Schwur ist ohne Falsch, wie Liebender Schwur.
O Nacht, erzähl' von mir allen, die Liebesgeschichten schreiben,
Und bezeug' es, daß ich in dir keinen Schlummer fand.«

Wie nun Nushet es-Samân, die Schwester Dau el-Makâns, die Straße dahin schritt und sich dabei fortwährend nach rechts und links umschaute, kam ein Scheich aus der Wüste in Begleitung von fünf Beduinen des Weges gezogen. Als dieser sich zu Nushet es-Samân wendete und ihre Anmut sah, dabei aber um ihren Kopf ein härenes Tuchstück erblickte, verwunderte er sich über ihre Schönheit und sprach bei sich: »Das Mädchen da ist hübsch, doch schmutzig. Mag sie aber aus dieser Stadt oder fremd sein, gleichviel, ich muß sie haben.« Dann folgte er ihr Schritt für Schritt, bis er ihr auf der Straße an einer engen Stelle gegenübertrat und sie anrief, um sie auszufragen, und zu ihr sagte: »Töchterchen, bist du eine Freigeborne oder eine Sklavin?« Als sie seine Worte vernahm, schaute sie ihn an und sagte zu ihm: »Bei deinem Leben, vermehre nicht meine Trübsal.« Nun sagte er zu ihr: »Siehe, mir waren sechs Töchter geschenkt, von denen mir fünf gestorben sind; eine von ihnen, die jüngste, ist mir nur übriggeblieben und so komme ich zu dir und frage dich, ob du aus dieser Stadt oder fremd bist, daß ich dich mit mir nehme und dich als Gesellschafterin 79 zu meiner Tochter bringe, daß sie sich mit dir beschäftigt und den Kummer über ihre Schwestern vergißt. Hast du keine Angehörigen, so will ich dich wie eine Tochter halten, und sollst du mir wie eins meiner Kinder sein.«

Als Nushet es-Samân seine Worte vernahm, sprach sie in ihrem Innern: »Vielleicht kann ich mich diesem Scheich anvertrauen.« Dann senkte sie verschämt den Kopf und sagte: »Mein Oheim ich bin ein fremdes Mädchen und habe einen kranken Bruder. Ich will dir unter der Bedingung in dein Haus folgen, daß ich am Tage bei ihr bleibe und zur Nacht zu meinem Bruder gehe. Nimmst du diese Bedingung an, so gehe ich mit dir, denn ich bin fremd; ich war geehrt und bin nun gering und mißachtet. Ich und mein Bruder, wir kamen aus dem Lande El-Hidschâs, und fürchte ich, mein Bruder möchte nicht wissen, wo ich bin.«

Als der Beduine ihre Worte vernommen hatte, sprach er bei sich: »Bei Gott, ich habe meinen Wunsch erreicht.« Dann sagte er zu ihr: »Ich wünsche weiter nichts von dir, als daß du meiner Tochter am Tage Gesellschaft leistest und des Nachts zu deinem Bruder heimkehrst. Wünschest du es aber, so laß ihn zu uns schaffen.« In dieser Weise hörte der Beduine nicht auf ihr Herz zu trösten und ihr freundlich zuzureden, bis daß sie ihm zu dienen einwilligte. Während er ihr nun voranschritt und sie ihm folgte, wanderten sie des Weges unablässig zu seinen Leuten weiter, die bereits die Kamele zurechtgemacht, die Lasten aufgeladen und Wasser und Wegzehrung ihnen aufgepackt hatten. Der Beduine aber war ein Straßenräuber, ein Freundesverräter, ein Mensch voll List und Verschlagenheit, der weder einen Sohn noch eine Tochter hatte und dies nur gesagt hatte, um das unglückliche Mädchen zu fangen, wie Gott es ihr verhängt hatte. Unterwegs unterhielt er sich mit ihr in einem fort, bis er aus der Stadt Jerusalem herausgekommen war und wieder zu seinen Gefährten stieß, die inzwischen bereits die Kamele gesattelt hatten. Der Beduine bestieg nun ein Kamel 80 und ließ sie hinter sich aufsitzen; dann ritten sie den größeren Teil der Nacht über, so daß Nushet es-Samân merkte, daß die Worte des Beduinen eine Falle gewesen waren, und daß er sie überlistet hatte; sie weinte und schrie deshalb in einem fort unterwegs, während der Beduine, aus Furcht von jemand gesehen zu werden, die Richtung nach dem Gebirge einhielt. Erst als die Morgenröte anbrach stiegen sie von den Kamelen ab, und nun trat der Beduine an Nushet es-Samân heran und sagte zu ihr: »Was soll das Heulen Stadtmamsell? Bei Gott, wenn du nicht das Heulen lässest, schlage ich dich tot, du Stadtlumpen, du!« Als Nushet es Samân diese Worte vom Beduinen vernahm, ekelte sie das Leben und wünschte sie sich den Tod. Sich zu ihm wendend, sagte sie: »Du schurkischer Scheich und Höllenweißbart, wie konntest du mich, die ich mich in deinen Schutz begab, mit Falsch und List verraten!« Als der Beduine ihre Worte vernahm, sagte er zu ihr: »Du Stadtlumpen, hast du die Zunge, mir zu antworten?« Dann trat er mit einer Geißel an sie heran, prügelte sie und schrie: »Hältst du nicht das Maul, so schlag' ich dich tot.« Sie schwieg infolgedessen und weinte im stillen, ihres Bruders und seiner Krankheit gedenkend. Am zweiten Tage wendete sie sich wieder zum Beduinen und sagte zu ihm: »Wie konntest du mir nur diese Falle legen, daß du mich in diese kahlen Berge schlepptest, und was hast du mit mir vor?« Als er ihre Worte vernahm, härtete er sein Herz und sagte zu ihr: »Du Stadtlumpen, hast du die Zunge mit mir zu reden?« Dann nahm er die Geißel und zerbläute damit ihren Rücken, bis sie ohnmächtig auf seine Füße sank und sie mit Küssen bedeckte. Nun hörte er auf sie zu schlagen, schimpfte aber auf sie los und sagte: »Bei meiner Kappe, höre ich dich noch einmal weinen, so schneide ich dir die Zunge ab und stopfe sie dir in deinen Rachen, du Stadtlumpen.« Infolgedessen verstummte sie und gab ihm, von ihren Schlägen gepeinigt, keine Antwort mehr. Auf den Knieen hockend und dieselben mit den Händen 81 umschlingend, saß sie, den Kopf auf den Kragen gesenkt, still da und versank in Nachdenken über ihre und ihres Bruders Lage, über ihre Niedrigkeit nach aller Macht, über die Krankheit ihres Bruders, seine Verlassenheit und ihrer beider Fremdlingschaft; indem ihr die Thränen dabei über die Wangen liefen, sprach sie die Verse:

»Des Schicksals Weise ist ein Auf und ein Ab,
Und nichts hat Dauer im Leben der Sterblichen.
In dieser Welt hat jedes Ding seine Zeit,
Und zu Ende läuft eines jeden Frist.
Wie lange noch währt diese Folterqual?
Weh, all mein Leben ist Folter und Qual.
Gott segne nicht die Tage, da ich in Ehren stand!
In den Falten dieser Ehre barg sich die Schmach.
Meine Wünsche gingen zu Schanden und mein Hoffen trog,
Und die Trennung vereitelt jedes Wiedersehn.
Wer immer an meiner Wohnung vorüberkommt,
Der künd' ihr, daß meine Thränen ewig fließen.«

Als der Beduine ihr Lied vernahm, wurde er besänftigt; voll Mitleid sprach er ihr freundlich zu, trat an sie heran, wischte ihr die Thränen ab, gab ihr ein Gerstenbrot zu essen und sagte zu ihr: »Ich liebe es nicht, daß mir jemand antwortet, wenn ich zornig bin, antworte mir daher nicht mehr mit solchen frechen Worten; ich will dich auch einem trefflichen Manne gleich mir verkaufen, der ebenso gut an dir handeln wird wie ich es gethan habe.« Nushet es-Samân antwortete ihm darauf: »Deine Absicht ist sehr gut.« Als ihr dann die Nacht lang wurde und der Hunger in ihr brannte, aß sie ein wenig von dem Gerstenbrot, bis der Beduine seinem Trupp aufzubrechen befahl.

Sechsundfünfzigste Nacht.

Nachdem sie die Kamele bepackt hatten, bestieg der Beduine eins derselben und ließ Nushet es-Samân wieder hinter sich aufsitzen; dann brachen sie auf und reisten in einem fort drei Tage lang, bis sie in Damaskus anlangten 82 und dort im Sultanschan nahe beim Königsthor einkehrten. Nushet es-Samân aber hatte infolge ihrer Kümmernis ihre Farbe verloren, war von der Reise ermüdet und weinte fortwährend über ihr Mißgeschick, so daß der Beduine an sie herantrat und zu ihr sagte: »Du Stadtlumpen, bei meiner Kappe, wenn du dein Heulen nicht lässest, verkaufe ich dich einem Juden.« Hierauf erhob er sich, faßte sie bei der Hand, führte sie in ein Gemach und begab sich dann auf den Bazar, wo er bei den Kaufleuten, die in Sklavinnen handelten, die Runde machte und mit ihnen verhandelte, indem er zu ihnen sagte: »Ich habe ein Mädchen hergebracht, dessen Bruder erkrankte, und den ich deshalb zu meiner Familie nach der Stadt Jerusalem schickte, damit sie ihn pflegten, bis er gesund würde. Es ist nun meine Absicht das Mädchen zu verkaufen, das seit dem Tage der Erkrankung ihres Bruders weint und sich über die Trennung von ihm grämt. Ich wünsche jedoch, daß der, welcher sie von mir kauft, ihr freundlich zuspricht und ihr sagt, daß ihr Bruder bei mir in Jerusalem krank liegt; ich will ihm auch einen geringen Preis stellen.«

Hierauf trat einer der Kaufleute zu ihm heran und fragte ihn: »Wie alt ist sie?« Er antwortete ihm: »Sie ist eine eben erst mannbar gewordene Jungfrau, reich an Verstand, feiner Bildung und Scharfsinn, und geschmückt mit Schönheit und Anmut. Seit der Zeit aber, daß ich ihren Bruder nach Jerusalem schickte, grämt sich ihr Herz nach ihm, so daß ihre Schönheit gewichen und ihr Leib abgemagert ist.«

Als der Kaufmann dies vernahm, machte er sich mit dem Beduinen auf und sagte zu ihm: »Wisse, Araberscheich, ich will mit dir gehen und das Mädchen von dir kaufen, das du so sehr lobst und deren Verstand, feine Bildung, Schönheit und Anmut du rühmst. Ich will dir jedoch ihren Preis nur unter Bedingungen bezahlen, die ich dir zu stellen habe. Nimmst du dieselben an, zahle ich das Geld dir in bar aus, wenn nicht, so schicke ich sie dir zurück.« Der Beduine 83 antwortete ihm: »Wenn du es willst, so geh' mit ihr zum Sultan und stelle mir jede Bedingung, die du wünschest. Führst du sie dem König Scharrkân vor, dem Sohne des Königs Omar en-Noomân, des Herrn von Bagdad und Chorasan, so gefällt sie ihm sicherlich, daß er dir nicht nur ihren Kaufpreis bezahlt, sondern noch dazu einen großen Profit gewährt.« Der Kaufmann sagte hierauf: »Ich habe gerade eine Angelegenheit mit dem Sultan abzumachen; ich möchte nämlich eine schriftliche Empfehlung von ihm an seinen Vater Omar en-Noomân haben. Nimmt er das Mädchen von mir, so wäge ich dir ihren Preis sofort ab.«

Der Beduine antwortete: »Ich nehme diese Bedingung von dir an.« Hierauf schritten beide zu dem Hause, in welchem sich Nushet es-Samân befand; dort angelangt, stellte sich der Beduine an die Thür des Gemaches und rief: »Nâdschije!« So hatte er sie nämlich benannt. Als sie den Namen hörte, weinte sie, gab ihm jedoch keine Antwort. Da wendete sich der Beduine zum Kaufmann und sagte zu ihm: »Da sitzt sie, vorwärts, geh' zu ihr, schau sie dir an und sei freundlich zu ihr, wie ich es dir ans Herz gelegt habe.«

Als nun der Kaufmann an sie herantrat und sie in ihrer wunderbaren Schönheit und Anmut erblickte, zumal da sie Arabisch sprechen konnte, sagte er zum Beduinen: »Sie ist so, wie du es mir beschrieben hast, ich werde vom Sultan durch sie meinen Wunsch erreichen.« Dann wendete er sich an sie und sagte: »Frieden sei mit dir, mein Töchterchen! Wie geht es dir?« Da wendete sie sich zu ihm und sagte: »Dies stand in dem BuchDes Schicksals. geschrieben.« Wie sie ihn nun anblickte und sah, daß er ein Mann von respektvollem Äußern war und auch ein schönes Gesicht hatte, sprach sie bei sich: »Mir deucht, er ist gekommen, um mich zu kaufen. Wenn ich ihn zurückweise, so muß ich bei diesem Tyrannen bleiben 84 und werde von ihm totgeschlagen. Auf jeden Fall aber hat dieser Mann ein schönes Gesicht und läßt mich mehr Gutes als dieser rohe Beduine erhoffen. Vielleicht ist er nur gekommen, um mich sprechen zu hören; ich will ihm deshalb eine schöne Antwort geben.« Alles dies aber sprach sie bei sich mit niedergeschlagenen Augen.

Darauf richtete sie ihren Blick auf ihn und sagte zu ihm mit süßer Stimme: »Und Frieden auf dir und die Barmherzigkeit und die Segnungen Gottes, mein Herr! Solches hat der Prophet – Gott segne ihn und spende ihm Heil! – geboten.Koran, Sure 4, 88: »Wenn ihr freundlich gegrüßet werdet, so erwidert mit noch freundlicherem Gruß oder wenigstens auf dieselbe Weise; denn Gott vergilt alles.« Was aber deine Frage nach meinem Befinden anlangt, so würdest du, wenn du das Elend, das mich betroffen hat, wüßtest, dasselbe nur deinen Feinden wünschen!« Hierauf schwieg sie. Als aber der Kaufmann ihre Worte vernahm, flog ihm der Verstand vor Freude über sie in die Wolken; sich zu dem Beduinen wendend, fragte er ihn: »Wie hoch ist ihr Preis, denn, wahrlich, sie ist edel.« Der Beduine erzürnte sich jedoch hierüber und sagte zu ihm: »Willst du mir das Mädchen mit solchen Worten verderben? Wozu sagst du, daß sie edel ist, wo sie doch aus dem Gesindel stammt! Ich verkaufe sie dir nicht.« Als der Kaufmann seine Worte vernahm und erkannte, daß er wenig Verstand hatte, sagte er zu ihm: »Sei guter Dinge und kühlen Auges; ich will sie mit diesem von dir genannten Fehler kaufen.« Nun fragte der Beduine: »Und wieviel giebst du mir für sie?« Der Kaufmann entgegnete: »Nur der Vater soll dem Sohn den Namen geben; stelle deine Forderung.« Der Beduine sagte jedoch: »Nein, du allein sollst den Preis nennen.« Da sagte der Kaufmann bei sich: »Dieser Beduine ist ein dickschädliger Rüpel; ich weiß keinen Preis für sie und weiß nur soviel, daß sie mit ihrer süßen Rede und ihrem holden Antlitz mein Herz erobert hat. Wenn sie auch 85 noch schreiben und lesen kann, so wäre dies des Glückes vollstes Maß für sie und ihren Käufer. Doch dieser Beduine weiß nicht ihren Wert.« Dann wendete er sich zum Beduinen und sagte zu ihm: »Araberscheich, ich will dir für sie zweihundert Dinare gut und ganz einhändigen frei von Steuer und Sultansgefälle.« Als jedoch der Beduine dieses vernahm, ergrimmte er furchtbar und schrie den Kaufmann an: »Pack' dich deines Weges! Wolltest du mir zweihundert Dinare für den härenen Lumpen bieten, den sie umhat, so würde ich dir nicht einmal den dafür verkaufen. Ich werde sie nicht verkaufen, sondern bei mir behalten, daß sie die Kamele weidet und die Mühle mahlt.« Hierauf schrie er sie an: »Komm her, Stinkluder, ich verkaufe dich nicht.« Dann wendete er sich zum Kaufmann und sagte zu ihm: »Ich hielt dich für einen verständigen Menschen, aber, bei meiner Kappe, gehst du jetzt nicht von mir fort, so sollst du zu hören bekommen, was dir nicht gefällt.«

Wie der Kaufmann alles dieses vernahm, sprach er bei sich: »Wahrlich, dieser Beduine ist verrückt und kennt nicht ihren Wert, ich will ihm daher jetzt nichts von ihrem Preis sagen. Wenn er seinen Verstand besäße, würde er nicht sprechen: Bei meiner Kappe; bei Gott, sie ist eine Chasne Juwelen wert und ich habe ihren Preis nicht bei mir. Doch mag er von mir fordern, was er will, ich gebe es ihm, und sollte es mein ganzes Vermögen sein.« Dann wendete er sich zum Beduinen und sagte zu ihm: »Araberscheich, sei nicht so ungeduldig, und sag' mir, was für Sachen sie bei dir hat.« Der Beduine antwortete ihm: »Was hat dieser Abschaum von Dirne mit Sachen zu thun? Bei Gott, dieses härene Stück Tuch, in dem sie eingewickelt ist, ist noch zu viel für sie.« Nun sagte der Kaufmann: »Mit deiner Erlaubnis will ich ihr Gesicht entblößen und sie besichtigen, wie man Sklavinnen besichtigt, um sie zu kaufen.« Der Beduine antwortete ihm: »Los, und thu', was du willst; Gott wird deine Jugend hüten. Sieh' sie dir auswendig 86 und inwendig an; willst du es, so zieh ihr auch die Kleider vom Leibe und sieh sie dir nackend an.« Der Kaufmann erwiderte: »Gott soll hüten, ich will nur ihr Gesicht sehen.«

Siebenundfünfzigste Nacht.

Darauf trat er, verwirrt von ihrer Schönheit und Anmut, an Nushet es-Samân heran, setzte sich an ihre Seite und sagte zu ihr: »Meine Herrin, wie heißest du?« Sie erwiderte: »Fragst du nach meinem Namen, wie er jetzt lautet, oder nach meinem frühern Namen?« Nun fragte er sie: »Hast du denn einen neuen und einen alten Namen?« Da antwortete sie ihm: »Ja; mein früherer Name war Nushet es-Samân, das Entzücken der Zeit, mein neuer Name aber lautet Ghusset es-Samân, das Ersticken der Zeit.«

Als der Kaufmann diese Worte von ihr vernahm, schwammen seine Augen in Thränen, und nun fragte er sie: »Hast du einen kranken Bruder?« Da antwortete sie: »Ja, bei Gott, mein Herr, aber die Zeit hat uns beide getrennt, und er liegt in Jerusalem krank.« Verwirrt von ihrer süßen Rede sprach der Kaufmann bei sich: »Der Beduine hat thatsächlich die Wahrheit gesprochen.« Nushet es-Samân aber gedachte wieder ihres Bruders und seiner Krankheit und Fremdlingschaft, wie sie von ihm getrennt war, und er krank lag, ohne daß sie wußte, was mit ihm geschehen war. Ebenso gedachte sie an alles, was ihr von dem Beduinen widerfahren war, wie sie fern von Mutter, Vater und Heimat weilte, und sprach, indem ihr die Thränen in großen Tropfen über die Wangen liefen, die Verse:

»Wo immer du weilst, Gott schütze dich,
Du Wandersmann, der du im Herzen mir wohnst!
Wo immer als Fremdling du einkehren magst,
Gott hüte dich vor allem Verderben und dem Wechsel der Zeit!
Mein Auge trauert, seitdem du fortzogst,
Und meine Thränen fließen in Strömen.
Wüßte ich doch, in welchem Viertel, in welchem Land, 87
In welchem Haus und in welchem Stamme du weilst!
Ob du aus frischem Borne vom Wasser des Lebens trinkst,
Während mir zum Trank nur bittere Thränen fließen?
Ob du in friedlichem Schlummer liegst, wenn ich wache,
Als hätt' ich den Leib auf glühende Kohlen gebettet?
Alles ertrüge mein Herz leicht, nur die Trennung von dir fällt ihm schwer.«

Als der Kaufmann ihr Lied vernahm, weinte er und streckte seine Hand aus, um ihr die Thränen von ihrer Wange abzuwischen; sie verhüllte jedoch ihr Gesicht und sagte zu ihm: »Nicht doch, mein Herr.« Der Beduine aber, der dagesessen und beobachtet hatte, wie sie ihr Gesicht vor dem Kaufmanne verhüllte, als er ihr die Thränen von der Wange abwischen wollte, glaubte, sie wollte sich nicht von ihm besichtigen lassen; mit einem Kamelshalfter auf sie losstürzend, schwang er die Hand hoch und schlug sie so heftig auf die Schultern, daß sie aufs Gesicht zu Boden stürzte, und ein Kieselstein ihr die Stirn an der Augenbraue zerspaltete, daß ihr das Blut übers Gesicht strömte, und sie mit einem lauten Schrei weinend in Ohnmacht sank. Der Kaufmann weinte ebenfalls mit ihr und sagte: »Es geht nicht anders, ich muß das Mädchen kaufen und sie von diesem Tyrannen befreien, sollte ich sie auch mit Gold aufwägen.« Dann begann er den Beduinen auszuschimpfen, während sie noch in ihrer Ohnmacht lag.

Als sie nun wieder zu sich kam, wischte sie sich die Thränen und das Blut aus dem Gesicht, verband ihren Kopf, hob ihre Blicke gen Himmel, flehte zu ihrem Herrn aus bekümmertem Herzen und sprach die beiden Verse:

»Erbarmen für sie, die in Ehren stand
Und nun mit Schimpf und Schande behandelt wird!
Ihre Thränen strömen ihr über die Wangen,
Und sie klagt: Darf ein Versprechen voll Falsch sein?«

Als sie ihre Verse gesprochen hatte, wendete sie sich zum Kaufmann und sagte zu ihm mit verhaltener Stimme: »Um Gott, laß mich nicht bei diesem Tyrannen, der nichts von 88 Gott, dem Erhabenen, weiß; bleibe ich nur noch diese Nacht bei ihm, so nehme ich mir mit eigener Hand das Leben. Befreie mich von ihm, so wird Gott dich auch von allem befreien, was du im Diesseits und Jenseits befürchtest.« Da erhob sich der Kaufmann und sagte zum Beduinen: »Araberscheich, dieses Mädchen ist nicht nach deinem Geschmack, verkaufe sie mir so teuer wie du willst.« Der Beduine versetzte: »Nimm sie und gieb mir ihren Preis; wenn nicht, so nehme ich sie zu den Zelten und lasse sie dort den Mist sammeln und die Kamele weiden.« Da sagte der Kaufmann: »Ich gebe dir fünfzigtausend Dinare.« Der Beduine entgegnete jedoch: »Gott wird öffnen.«Mit dieser Phrase bedeutet man, daß der gebotene Preis zu gering ist. Ebenso weist man damit einen Bettler ab. Der Kaufmann sagte nun: »Siebzigtausend Dinare.« Aber der Beduine antwortete wieder: »Gott wird öffnen, soviel hat sie mir gerade gekostet, denn sie hat bei mir für siebzigtausend Dinare Gerstenbrot gegessen.« Der Kaufmann entgegnete ihm hierauf: »Du, deine Familie und dein Stamm, ihr habt alle zusammen euer ganzes Leben lang nicht für tausend Dinare Gerste gegessen: ich will dir aber ein einziges Wort sagen, und, bist du damit nicht zufrieden, so bringe ich dir den Wâlī von Damaskus auf den Hals, daß er sie dir mit Gewalt nimmt.« Da sagte der Beduine: »Sprich!« und der Kaufmann sagte: »Hunderttausend Dinare.« »Sie ist dir für diesen Preis verkauft,« sagte der Beduine; »ich werde mir mit ihrem Kaufpreis Salz kaufen können.« Als der Kaufmann dies hörte, ging er lachend in seine Wohnung, brachte ihm das Geld und händigte es ihm ein. Der Beduine nahm es und sprach bei sich: »Ich muß unbedingt nach Jerusalem gehen, daß ich ihren Bruder finde, ihn herbringe und ihn verkaufe.« Dann bestieg er sein Kamel und zog von dannen, bis er nach Jerusalem kam, wo er nach dem Chan ging und sich nach ihrem Bruder erkundigte; doch fand er ihn nicht. 89

Soviel, was den Beduinen anlangt; was aber den Kaufmann und Nushet es-Samân betrifft, so ging er mit ihr, nachdem er sie an sich genommen und ihr etwas von seinen Sachen übergeworfen hatte, nach seiner Wohnung, wo er sie in den prächtigsten Anzug kleidete.

Achtundfünfzigste Nacht.

Hierauf ging er mit ihr auf den Bazar, kaufte einen Juwelenschmuck für sie und steckte ihn in einen Beutel aus Atlas; dann legte er ihr denselben vor und sagte zu ihr: »Das alles ist für dich, und nichts weiter verlange ich dafür von dir als daß du dem Sultan und Wâlī von Damaskus, wenn ich mit dir zu ihm gegangen bin, den Preis nennst, für welchen ich dich gekauft habe, obschon er selbst für einen Fingernagel von dir zu gering ist. Hat er dich dann von mir gekauft, so erzähle ihm, was ich an dir gethan habe, und erbitte dir von ihm für mich ein königliches Schreiben mit einer Empfehlung, womit ich zu seinem Vater, dem Beherrscher Bagdads, dem Könige Omar en-Noomân, gehen kann, zu dem Zwecke, daß er meine Zeuge und alle Sachen, in denen ich Handel treibe, von den Abgaben befreit.«

Als Nushet es-Samân seine Worte vernahm, weinte und schluchzte sie, so daß der Kaufmann zu ihr sagte: »Meine Herrin, so oft ich den Namen Bagdad zu dir erwähne, sehe ich deine Augen in Thränen stehen. Lebt etwa einer deiner Lieben daselbst? Ist es ein Kaufmann oder etwas dem ähnliches, so sage es mir, denn, siehe, ich kenne alle Kaufleute oder dergleichen Leute daselbst? Hast du eine Botschaft auszurichten, so will ich sie ihm überbringen.« Da sagte Nushet es-Samân: »Bei Gott, ich kenne dort weder Kaufleute noch dergleichen; ich bin nur mit dem König Omar en-Noomân, dem Beherrscher Bagdads, bekannt.« Als der Kaufmann diese Worte von ihr vernahm, lachte er und freute sich mächtig, indem er bei sich sprach: »Bei Gott, ich komme zu meinem Wunsch.« Dann sagte er zu ihr: »Bist du ihm etwa 90 zuvor vorgeführt?« Sie antwortete: »Nein; vielmehr bin ich mit seiner Tochter erzogen und war ihm sehr wert. Wenn du bezweckst, daß der König Omar en-Noomân dir nach deinem Wunsche ein Schreiben ausstellt, so gieb mir Tinte und Papier, daß ich dir einen Brief schreibe. Bist du dann nach der Stadt Bagdad gekommen, so übergieb den Brief aus deiner Hand in die Hand des Königs Omar en-Noomân und sprich zu ihm: »Deine Sklavin Nushet es-Samân, siehe, die Wechsel der Nächte und Tage haben sie mit Hammerschlägen getroffen, so daß sie von Ort zu Ort verkauft ward und dir nun den Salâm entbietet.« Fragt er dich dann nach mir, so thue ihm kund, daß ich bei dem Vicekönig von Damaskus weile.«

Der Kaufmann, der über ihren gefälligen Ausdruck erstaunte und sie noch lieber gewann, versetzte darauf: »Ich glaube nichts anderes als daß man mit deinem Verstand gespielt hat, um dich für Geld zu verkaufen. Kannst du etwa auch den Koran auswendig?« Nushet es-Samân antwortete: »Gewiß, und dazu hab' ich Philosophie, Medizin, die Propädeutik der Wissenschaft, den Kommentar des Arztes Galenus über die Sektionen des Hippokrates studiert und ihn ebenfalls kommentiert, habe die Tezkire gelesen und den Burhân kommentiert, habe die Mufarradât des Ibn el-Beitâr durchgenommen und disputiere über den Kanon des Avicenna, löse Rätsel und lege Schwierigkeiten klar, spreche über Geometrie und bin in der Anatomie bewandert. Ich habe die Bücher der Schafliten,Eine der vier orthodoxen mohammedanischen Schulen. die Tradition von Mohammed und die Syntax gelesen, ich disputiere mit den UlemâDoktoren der Jurisprudenz und Theologie. und diskutiere über alle andern Wissenschaften. Ich bin vertraut mit Logik, Rhetorik, Arithmetik und Dialektik; ich kenne die Spiritualia und heiligen Zeiten und verstehe alle diese Wissenschaften.« Hierauf sagte sie: »Bringe mir Schreibzeug 91 und Papier, daß ich dir ein Schreiben aufsetze, welches dich auf den Reisen sichert und dich der Reisepässe überhebt.«

Als der Kaufmann diese Worte von ihr vernahm, rief er: »Bravo! Bravo! O über den Glücklichen, in dessen Schloß du kommst!« und holte ihr Tinte, Papier und einen Kalam aus Messing. Beim Überreichen der Sachen küßte er ehrerbietig die Erde vor ihr, Nushet es-Samân aber nahm die Rolle, langte zum Kalam und schrieb folgende Verse darauf:

Sag' an, was fehlt wohl meinem Schlaf, daß er mein Auge flieht?
Ist's, weil mein Auge dich nicht schaut, daß ewig wach mein Lid?
Sag' an, was tobt der Sehnsucht Glut in meiner Brust so wild?
Glüht noch ein liebend Herz wie dies, das auch die Zeit verriet?
Auf unsre Tage strömte einst ein Regen reich und süß,
Ach daß, noch eh' ich trank den Born, die Wolke von mir schied!
Nun fleh' ich schmeichelnd wohl zum Wind: O Wind, bring' Kunde mir
Von ihm, der Ketten schwer mir schlang um Seele, Sinn und Glied.
So klagt ein liebend Herz zu dir, das nirgends Hilfe schaut;
Glaub' mir's, der Trennung Weh zersprengt den härtesten Granit.

Nachdem sie dieses Lied niedergeschrieben hatte, setzte sie die Worte darunter: Also spricht sie, die überwältigt ist von Kümmernis und von Schlaflosigkeit verzehrt wird. In ihre Finsternis fällt kein Lichtstrahl, und Tag und Nacht sind ihr gleich düster. Auf dem Lager der Trennung wälzt sie sich und mit dem Stift der Schlaflosigkeit schminkt sie ihre Lider. Fürwahr, Kummer und Auszehrung haben sie hinschmelzen lassen, und ihres Zustandes Schilderung würde lange Zeit währen. Kein Helfer als allein ihre Thränen sind ihr verblieben, und sie spricht nur die Verse:

Weckt mich vom Busch im Frührotschein der Ringeltaube Klagesang,
So zuckt mein Leib in heißem Weh, wie wenn das Herz mir jäh zersprang;
Und hör' ich, wie ein liebend Herz nach dem Geliebten sehnend seufzt,
So weckt der Laut in meiner Brust ein Echo doppelt schwer und bang.

Hierauf zerfloß sie wieder in Thränen und setzte noch folgende zwei Verse hinzu: 92

Die Sehnsucht schlug mir Wunden tief, seid uns die Stunde schied,
Und wie ich floh, floh auch der Schlaf von meinem Augenlid.
Nun hat mein Leib sich ganz verzehrt, du kenntest nimmer mich,
Wenn nicht dies Klagelied allein mich deinem Ohr verriet.

Dann setzte sie unten auf das Papier die Schlußworte hinzu: Dies kommt von ihr, die so fern weilt von ihren Lieben und ihrer Heimat, und deren Herz und Geist von Trauer verhüllt ist – von Nushet es-Samân.

Neunundfünfzigste Nacht.

Hierauf faltete sie den Bogen zusammen und überreichte ihn dem Kaufmann; der Kaufmann nahm ihn, küßte ihn und rief erfreut, als er vom Inhalt Kenntnis genommen hatte: »Preis ihm, der dich geschaffen!« Den ganzen Tag über verdoppelte er seine Aufmerksamkeiten zu ihr und wußte sie nicht freundlich genug zu behandeln. Wie dann die Nacht kam, ging er auf den Bazar, besorgte etwas und gab es ihr zu essen. Alsdann führte er sie ins Bad, wo er ihr die Badewärterin holte und zu derselben sagte: »Wenn du mit dem Waschen ihres Kopfes fertig bist, und ihr ihre Kleider angelegt hast, so laß es mich wissen.« Die Badewärterin antwortete: »Ich höre und gehorche.« Darauf brachte er ihr Speisen, Obst und Kerzen und stellte alles auf die Bank vor dem Bade. Als nun die Badewärterin mit ihrer Reinigung fertig geworden war und sie angekleidet hatte, verließ sie das Bad und setzte sich auf die Bank, wo sie die Speisen vorfand. Sie speiste mit der Badewärterin von den Gerichten und dem Obst, dem Badewächter den Rest überlassend, und schlief dann die Nacht über bis zum Morgen allein, da sich der Kaufmann von ihr in ein anderes Gemach zurückgezogen hatte. Als derselbe am andern Morgen aus seinem Schlaf erwachte, weckte er Nushet es-Samân und brachte ihr ein zartes Hemd und ein Kopftuch für tausend Dinare, einen Anzug mit türkischer Goldstickerei und goldgestickte, mit Perlen und Edelsteinen besetzte Schuhe. In ihre Ohren hing 93 er ihr Ringe mit je einer Perle im Werte von tausend Dinaren und schlang ihr um den Nacken ein goldenes Halsband und eine Bernsteinkette, die ihr über die Brust bis tief auf den Leib fiel, an welcher zehn Kugeln und neun Halbmonde hingen, von denen ein jeder Halbmond einen Hyacinth umfaßte und jede Kugel mit einem Ballasrubin besetzt war, so daß der Preis dieser Halskette auf dreitausend Dinare zu stehen kam, und der ganze Anzug, mit welchem er sie ausstattete eine sehr bedeutende Geldsumme wert war. Hierauf befahl der Kaufmann ihr sich zu schmücken, und ging, nachdem sie dies in der prächtigsten Weise gethan hatte, mit ihr, ihr voranschreitend, fort. Alle Leute aber, die sie erblickten, verloren den Kopf über ihre Schönheit und riefen: »Gesegnet sei Gott, der herrlichste Schöpfer! Heil dem, zu welchem dies Mädchen kommt!« während der Kaufmann flott weiter marschierte, und Nushet es-Samân immer hinterdrein, bis er den Palast des Königs Scharrkân betrat. Nachdem er dort bei dem Könige eingetreten war, küßte er die Erde vor ihm und sprach: »Glückseliger König, ich habe dir zum Geschenk ein Mädchen mit seltenen Vorzügen gebracht, das seinesgleichen nicht findet in dieser Zeit und welches Schönheit und Güte in gleicher Weise in sich vereint.« Der König antwortete: »Ich will sie in Augenschein nehmen.« Da ging der Kaufmann hinaus, holte Nushet es-Samân und stellte sie vor ihn hin. Als aber der König Scharrkân sie erblickte, ward Blut zu Blut hingezogen; war sie doch seit ihrer Kindheit von ihm getrennt gewesen, und auch er hatte sie nicht gesehen, sondern nur längere Zeit nach ihrer Geburt gehört, daß er eine Schwester, Namens Nushet es-Samân, und einen Bruder, Namens Dau el-Makân, hätte, weswegen er wider seinen Vater aus Eifersucht über die Nachfolge in der Regierung heftig erzürnt geworden war.

Als nun der Kaufmann sie vor ihn gebracht hatte, und zu ihm sagte: »O König der Zeit, neben ihrer wunderbaren Schönheit und Anmut, durch welche sie in ihrer Zeit 94 unvergleichlich dasteht, hat sie auch alle heiligen und profanen samt den politischen und exakten Wissenschaften studiert,« sagte der König zu ihm: »Nimm ihren Preis entsprechend dem, was du für sie bezahlt hast, laß sie hier und geh deines Weges.« Der Kaufmann versetzte: »Ich höre und gehorche; doch fertige mir ein Patent aus, daß ich hinfort von allen Zehnten auf meine Handelswaren befreit bin.« Der König antwortete: »Ich will's thun, doch sage mir, was du für sie bezahlt hast.« Er erwiderte: »Ich zahlte für sie hunderttausend Dinare und ebenfalls hunderttausend Dinare für ihre Ausstattung.« Als der König dies vernahm, sagte er: »Ich will dir für sie einen höhern Preis zahlen.« Hierauf rief er seinen Schatzmeister und befahl ihm: »Gieb diesem Kaufmanne dreihundertundzwanzigtausend Dinare.« Dann ließ Scharrkân die vier KadisDie vier Kadis sind die Vertreter der vier orthodoxen Rechtsschulen. herbeikommen und sagte zu ihnen: »Ich nehme euch zu Zeugen, daß ich diese Sklavin freilasse, und sie zu heiraten begehre.« Da fertigten die Kadis die Freilassungsurkunde aus und setzten ihren Ehekontrakt auf, worauf der König Scharrkân über die Häupter der Anwesenden einen Haufen Gold ausstreute, und die Pagen und Eunuchen das vom König ausgestreute Gold aufsammelten. Dann befahl der König dem Kaufmanne ein königliches Patent auszufertigen, daß er, wie er es verlangt hatte, von allen Zehnten auf seine Waren befreit sei, und daß ihm niemand in seinem ganzen Reiche mit irgend welcher Schädigung in den Weg treten solle, und verlieh ihm ein prachtvolles Ehrenkleid.

Sechzigste Nacht.

Als hierauf alle Anwesenden mit Ausnahme der Kadis und des Kaufmanns fortgegangen waren, sagte er zu den Kadis: »Ich wünsche, daß ihr von dem Mädchen solch einen Vortrag anhört, welcher ihre Kenntnisse und feine Bildung 95 in all den Sachen erweist, die der Kaufmann ihr zuschreibt, damit wir die Richtigkeit seiner Behauptungen feststellen.« Die Kadis erwiderten darauf: »Das kann nichts schaden.« Nun befahl der König Scharrkân einen Vorhang zwischen ihm und denen, die bei ihm waren, und zwischen dem Mädchen und ihrer Umgebung niederzulassen. Alle Frauen aber, die bei ihr hinter dem Vorhang waren, begannen ihr Hände und Füße zu küssen, als sie erfuhren, daß sie die Gemahlin des Königs geworden war; dann umringten sie sie, machten sich daran sie zu bedienen und nahmen ihr etwas von der Last ihrer Kleidungsstücke ab, indem sie dabei ihre Schönheit und Anmut bewunderten.

Inzwischen war es auch den Frauen der Emire und Wesire zu Ohren gekommen, daß der König Scharrkân eine an Schönheit, Wissen und Bildung unvergleichliche Sklavin gekauft hatte, welche alle Wissensgebiete beherrschte, daß er dreihundertundzwanzigtausend Dinare für sie bezahlt, sie darauf freigelassen und den Ehekontrakt mit ihr hatte aufsetzen lassen, und daß nun die vier Kadis bei ihm weilten, um sie auf die Probe zu stellen, wie sie ihnen auf ihre Fragen antworten würde. Infolgedessen baten die Frauen ihre Männer um Erlaubnis nach dem Schlosse, in welchem Nushet es-Samân weilte, gehen zu dürfen, und fanden daselbst die Eunuchen vor ihr stehen. Sobald aber Nushet es-Samân die Frauen der Emire und Wesire eintreten sah, ging sie ihnen entgegen, und empfing sie freundlich, während die andern Sklavinnen zurückblieben, hieß sie willkommen und lächelte ihnen ins Angesicht, so daß sie ihre Herzen eroberte. Dann wies sie ihnen nach ihrem Range Plätze an, als ob sie mit ihnen erzogen wäre, während die Frauen sie wegen ihrer Schönheit und Anmut, ihres Verstandes und ihrer Bildung bewunderten und zu einander sprachen: »Das ist keine Sklavin, sondern eine Königin und eines Königs Tochter,« ihren Wert priesen und dann zu ihr sagten: »Unsere Stadt ist durch dich erleuchtet und unser Land und Reich 96 geehrt; das Reich ist dein Reich, das Schloß ist dein Schloß und wir alle sind deine Sklavinnen. Um Gott, schließ uns nicht aus von deiner Güte und dem Anblick deiner Schönheit.« Darauf dankte sie ihnen.

Alles dies aber trug sich zu, während der Vorhang zwischen Nushet es-Samân und den Frauen, die bei ihr waren, auf der einen Seite und dem Könige Scharrkân, den vier Kadis und dem Kaufmanne auf der andern Seite niedergelassen war. Nun rief sie der König Scharrkân an und sagte zu ihr: »Ruhmvollstes Mädchen deiner Zeit, der Kaufmann hat dich als kenntnisreich und feingebildet gerühmt und behauptet, daß du alle Wissensgebiete mit Einschluß der Syntax beherrschest; so laß uns doch von jedem Kapitel ein kurzes Stück hören.«

Als Nushet es-Samân seine Worte vernommen hatte, sagte sie: »Ich höre und gehorche, o König. Zuerst will ich mich auslassen über die Kunst der Regierung, die Pflichten der Könige und der Beamten, die mit der Durchführung der Gesetze betraut sind, und die ihnen unerläßlichen guten Qualitäten.

Wisse, o König, alles Streben der Menschen zielt in letzter Linie entweder auf Religion oder auf weltliche Dinge ab, weil niemand außer durch die Welt zur Religion gelangt, da die irdische Welt der schönste Weg zum Jenseits ist.

Die Angelegenheiten dieser Welt werden aber nur durch die Thätigkeiten ihrer Bewohner geordnet, und die Thätigkeiten der Menschen zerfallen in vier Arten, in Regiment, Handel, Ackerbau und Handwerk.

Das Regiment erfordert tadellose Amtsführung und unbestechliches Urteil, weil das Regiment die Achse der Welt ist, welche der Weg ist zum Jenseits, dieweil Gott, der Erhabene, die Welt für seine Diener als Wegzehrung für den Reisenden zur Erlangung seines Zieles gemacht hat, weshalb ein jeder Mensch von ihr ein solches Maß empfangen muß, daß er zu Gott gelangen kann, und nicht seinem eigenen 97 Belieben und seiner Begierde folgen darf. Wollten die Menschen in Billigkeit die Dinge der Welt sich aneignen, so wäre allem Streit ein Ende gemacht, aber sie greifen nach ihnen mit Gewalt und nach den Trieben ihrer Leidenschaft, so daß durch ihren Eifer hierin Hader verursacht wird, und sie eines Sultans bedürfen, der Gerechtigkeit unter ihnen aufrecht erhält und ihre Angelegenheiten ordnet. Würde der König die Leute nicht voneinander abwehren, so würde der Starke den Schwachen überwältigen. So hat denn auch ArdeschîrArtaxerxes; es ist Artaxerxes Babekan gemeint, der Gründer der Sassanidendynastie von Persien. gesagt: »Religion und Königtum sind Zwillingsgeschwister, denn die Religion ist ein Schatz und der König der Hüter desselben.« Sowohl die göttlichen Verordnungen als auch die Vernunft führen dahin, daß es für den Menschen notwendig ist sich einen Sultan zu geben, welcher den Unterdrücker vom Unterdrückten abwehrt und dem Schwachen wider den Starken zu seinem Recht verhilft und die Gewaltthätigkeit des Hochmütigen und Rebellen unterdrückt.

Wisse nun aber auch, o König, daß entsprechend den guten Qualitäten des Sultans auch die Zeit gut ist, denn der Prophet Gottes – Gott segne ihn und spende ihm Heil! – hat gesagt: »Zwei Klassen unter den Menschen giebt es; sind sie gut, sind auch die Menschen gut, thun sie übles, so thun auch die Menschen übles: die Ulemâ und die Emire.« Ebenso hat irgend ein Weiser gesprochen: »Es giebt drei Arten Könige; die Könige der Religion, die Hüter der verwehrten Dinge, und die Könige der Begierde.«

Der König der Religion wird seine Unterthanen zwingen ihren Glauben zu befolgen und wird der treueste Anhänger seines Glaubens sein müssen, da man sich nach ihm in den Sachen der Religion richten wird, und es Pflicht des Volkes ist ihm in seinen Befehlen Gehorsam zu leisten, die er in Gemäßheit der göttlichen Verordnungen erläßt. Doch soll der Unzufriedene und der Zufriedene bei ihm in gleicher 98 Achtung stehen um des Gehorsams willen rücksichtlich der Bestimmungen des Schicksals.

Was den König anlangt, der die verwehrten Dinge hütet, so wird er für die religiösen und profanen Angelegenheiten Sorge tragen, wird das Volk zwingen das göttliche Gesetz zu befolgen und die Humanität aufrecht zu erhalten und wird Kalam und Schwert vereinigen; denn wer da abweicht von dem, was der Kalam geschrieben hat, dessen Fuß ist gestrauchelt, und soll der König mit der Schärfe des Schwertes das Krumme wieder gerade machen und Gerechtigkeit über alle Geschöpfe ausbreiten.

Der König der Begierde endlich hat keinen andern Glauben, als daß er seiner Begierde folgt und nicht fürchtet seines Herrn Strafgericht, der ihn in sein Amt eingesetzt hat. Deshalb neigt sich sein Reich dem Untergang zu und der Ausgang seines Hochmuts ist das Haus der Vernichtung.Die Hölle.

Weiter sagten die Weisen: »Ein König bedarf vieler Unterthanen, sie hingegen nur eines Königs«. Deswillen ist es für den König erforderlich, daß er die Natur seiner Unterthanen kennt, daß er ihre Disharmonie in Harmonie umsetzt, daß er sie alle mit seiner Gerechtigkeit umfaßt und sie mit seiner Huld überschüttet.

»Wisse, o König, daß Ardeschîr, der dritte König von Persien, alle Klimate unterworfen und sie in vier Kreise zerteilt hatte. Er hatte sich deshalb vier Siegelringe machen lassen, für jeden Kreis einen Siegelring. Der erste Siegelring war der Ring des Meeres, der Polizei und des Rechtsbeistandes, und es stand darauf geschrieben: Wechsel. Der zweite war der Ring des Tributs und der einlaufenden Gelder, und darauf stand geschrieben: Kultur. Der dritte war der Ring der Vorräte, und darauf stand geschrieben: Überfluß. Der vierte endlich der Ring der Bedrückungen, und darauf stand geschrieben: Gerechtigkeit. Und diese Einrichtung blieb in Persien, bis daß der Islam offenbart wurde. 99

Der König ChosroesPersisch: Chusrav, arabisch: Kisra. Einige wollen das griechische Καισαρ Cäsar, Kaiser, auf diesen so alten persischen Königsnamen zurückführen, der ebenfalls schließlich zu einem Titel herabsank. schrieb einmal an seinen Sohn, der bei dem Heere weilte: »Sei nicht zu freigebig gegen dein Heer, daß es dich entbehren kann.

Einundsechzigste Nacht.

Gieb ihnen aber auch nicht zu knapp, daß sie wider dich murren. Gieb ihnen deine Gaben mit Maßen, gieb ihnen angemessen, gieb ihnen reichlich in der Zeit des Überflusses und gieb ihnen nicht knapp in der Zeit der Not.«

Es wird erzählt, daß einmal ein Beduine zu El-MansûrEl-Mansûr (Almansor), der zweite Abbassidenchalife 136–158 D. H. (754–775). kam und zu ihm sagte: »Laß deinen Hund hungern. so wird er dir folgen.« Als El-Mansûr diese Worte von dem Beduinen vernahm, erzürnte er sich über ihn. Abul-Abbâs aus Tûs aber sagte zu ihm: »Ich fürchte, daß, wenn ein anderer als du ihm ein Gerstenbrot hin hält, er von dir fortlaufen und ihm nachfolgen wird«. Da legte sich der Zorn El-Mansûrs, indem er erkannte, daß kein Vergehen in dem Worte lag, und verordnete für den Beduinen ein Geschenk.

Wisse, o König, Abd el-Melik, der Sohn des Merwân, schrieb an seinen Bruder Abd el-Asis, den Sohn des Merwân, zu jener Zeit, als er ihn nach Ägypten entsendet hatte: »Gieb acht auf deine Schreiber und Kämmerlinge; auf die Schreiber, weil sie dich mit dem Zustand der Dinge bekannt machen, und auf die Kämmerlinge, weil sie dich im Ceremoniell unterweisen, während deine Ausgaben dich mit deinen Truppen bekannt machen.«

Wenn Omar, der Sohn des Chattâb,Der zweite Chalife. 634–644. jemand in seine Dienste nahm, stellte er ihm vier Bedingungen, nämlich, daß er nicht auf den Packpferden ritte, daß er keine feinen Sachen trüge, daß er nicht von der Beute äße und 100 daß er das Gebet nicht auf eine spätere als die verordnete Zeit verschöbe.

Man sagt, es gäbe kein besseres Gut als den Verstand, keinen Verstand als Dispositionsfähigkeit und Klugheit, keine Klugheit als Frömmigkeit, keinen bessern Weg zu Gott als sittliche Qualitäten, kein Maß als Wohlerzogenheit, keinen Gewinn als Gottes Gnaden, kein Geschäft als gute Werke, keinen Verdienst als Gottes Vergeltung, keine Enthaltsamkeit als das Beharren innerhalb der Grenzen der Sitte, keine Wissenschaft als Meditation, keinen Gottesdienst als Erfüllung der göttlichen Gebote, keinen Glauben als Bescheidenheit, keinen Wert als Demut, keinen Adel als Wissen.

Hüte dein Haupt und was es in sich faßt, und deinen Leib und was er in sich birgt, und denke an den Tod und die Verwesung.

AlīDer vierte Chalife. sagte: »Hütet euch vor der Bosheit der Weiber und nehmt euch vor ihnen in acht; fragt sie in keiner Sache um Rat und karget nicht mit Gefälligkeiten gegen sie, daß sie nicht nach Listen trachten.Omar sagte: »Frage die Weiber um Rat und befolge das Gegenteil.«« Derselbe Alī sagte: »Wer das rechte Maßhalten außer acht lässet, dessen Verstand wird verwirrt.«

Omar – Gott hab' ihn selig! – sagte: »Es giebt drei Arten Frauen: die gläubige, gottesfürchtige, treuliebende, fruchtbare Frau, welche ihrem Manne wider das Geschick beisteht und nicht dem Geschick wider den Mann hilft, zweitens die Frau, die nur ihre Kinder und nichts weiter liebt, und drittens die Frau, welche Gott wem er will als eine Fessel auf den Nacken legt. Ebenso giebt es drei Arten Männer: den vernünftigen Mann, der seinen eigenen Verstand braucht; den vernünftigeren, der die Vernünftigen aufsucht, wenn ihn etwas befällt, dessen Ausgang ihm nicht klar ist, und bei ihrem Rat einkehrt, und den kopflosen 101 Mann, der den rechten Weg nicht zu finden weiß, und auch auf den Rat derer, die ihn zurechtweisen, nicht hört.

Gerechtigkeit ist in allen Dingen unumgänglich, so daß selbst Sklavinnen ihrer bedürfen; als Beispiel führt man deshalb selbst die Straßenräuber an, deren Gewerbe die Vergewaltigung der Menschen ist. Würden dieselben nicht in ihren Angelegenheiten untereinander Gerechtigkeit üben und nach Gebühr den Raub verteilen, so würde die Ordnung unter ihnen zerfallen. Kurz und gut, der edeln Eigenschaften Krone ist Großmut und Güte. Wie schön sagt der Dichter:

»Durch offne Hand und Milde lenkte der Jüngling sein Volk,
Sei du ihm gleich, es ist nicht schwer für dich.«

Hierauf ließ sich Nushet es-Samân über die Regierungskunst der Könige aus, bis die Anwesenden sagten: »Niemals hörten wir noch jemand wie dieses Mädchen über das Kapitel der Regierungskunst reden, aber vielleicht läßt sie uns nun auch noch etwas über ein anderes Kapitel hören.« Als Nushet es-Samân ihre Worte vernahm, sagte sie: »Was nun das Kapitel der Wohlerzogenheit anlangt, so ist der Umfang desselben groß, weil es das Gebiet der Vollkommenheiten umfaßt.

Es traf sich einmal, daß die Banû TamîmEin großer, angesehener arabischer Stamm. zu MoâwijeSechster Chalife 661–680, der Gründer der glänzenden Omajjadendynastie. kamen, unter denen sich auch El-Ahnaf, der Sohn des Keis, befand. Als nun der Kämmerling zu Moâwije eintrat, um eine Audienz für dieselben zu erwirken, und zu ihm sprach: »O Fürst der Gläubigen, das Volk vom Irâk wünscht eine Audienz bei dir, um mit dir zu reden; so höre ihre Rede!« sagte Moâwije: »Schauet nach, wer an der Thür ist.« Da sagte man ihm: »Die Banû Tamîm.« Als er das vernahm, sagte er: »Sie sollen eintreten.« Wie sie nun mit El-Ahnaf, dem Sohn des Keis, eintraten, sagte 102 Moâwije zu ihm: »Tritt heran zu mir, Vater des Meeres, daß ich dein Wort höre; was hast du mir zu raten, Vater des Meeres?« El-Ahnaf antwortete: »O Fürst der Gläubigen, scheitele dein Haar, stutze dir den Schnauzer, beschneide dir die Nägel, rupfe dir die Haare in der Achselhöhle aus, laß dir das Haar am Leibe scheren und brauche fortwährend deinen Zahnstocher, denn hierin liegen zweiundsiebzig Vortrefflichkeiten; vollzieh auch die Freitagswaschung als ein Sühnmittel für alles, was zwischen einem Freitag und dem andern geschehen ist.«

Zweiundsechzigste Nacht.

Hierauf sagte Moâwije zu ihm: »Wie ist dein Rat zu dir selber?« El-Ahnaf antwortete: »Ich setze meinen Fuß fest auf die Erde, hebe ihn langsam beim Gehen und behüte ihn mit meinem eigenen Auge.« »Wie hältst du es,« fragte Moâwije weiter, »wenn du einen deines Volkes besuchst, der nicht von Fürstenrang ist?« El-Ahnaf antwortete: »Ich neige mein Haupt bescheiden, spreche zuerst den Salâm, kümmere mich nicht um das, was mich nicht angeht, und mache wenig Worte.« »Wie aber,« fragte Moâwije, »hältst du es, wenn du zu deinesgleichen kommst?« El-Ahnaf antwortete: »Ich horche auf ihre Worte, wenn sie reden, und greife sie nicht an, wenn sie einen Irrtum begehen.« »Und wie hältst du es, wenn du zu deinen Herren kommst?« El-Ahnaf antwortete: »Ich begrüße sie, ohne ein Zeichen zu machen, und warte die Antwort ab. Heißen sie mich näher zu treten, so trete ich näher, heißen sie mich zurückzutreten, so trete ich zurück.« Darauf fragte Moâwije: »Und wie hältst du es mit deinem Weibe?« El-Ahnaf antwortete: »Erlaß mir dies, o Fürst der Gläubigen.« Moâwije entgegnete jedoch: »Ich beschwöre dich, sag' es mir.« Da sagte El-Ahnaf: »Ich benehme mich gütig gegen sie, vernachlässige sie nicht und gebe viel für sie aus, denn siehe, das Weib ist aus der krummen Rippe erschaffen.« Darauf erwiderte Moâwije: 103

»Du hast brav geantwortet; sag' nun dein Begehren.« El-Ahnaf erwiderte: »Ich begehre, daß du Gott fürchtest in deinen Unterthanen und gegen alle in gleicher Weise Gerechtigkeit übst.« Hierauf erhob er sich und verließ den Audienzsaal Moâwijes. Moâwije aber sagte, als er den Rücken gekehrt hatte: »Wenn der Irâk nur diesen einen hätte, so wäre das genug.«

Hierauf sagte Nushet es-Samân: »Dies ist nur eine flüchtige Skizze von dem ganzen Kapitel der Wohlerzogenheit. Wisse aber, o König, Moeikib war während des Chalifats des Omar, des Sohnes des Chattâb, Verwalter des Schatzhauses.

Dreiundsechzigste Nacht.

Da traf es sich eines Tages, daß er den Sohn Omars sah und ihm einen Dirhem aus dem Schatzhause schenkte. »Nachdem ich ihm aber den Dirhem geschenkt hatte,« so erzählt Moeikib, »mich in mein Haus begeben hatte und dort saß, kam mit einem Male ein Bote von Omar zu mir. Erschrocken begab ich mich zu ihm und fand ihn mit dem Dirhem in der Hand. Als ich vor ihm erschien, sagte er: »Wehe dir, Moeikib, ich habe etwas gefunden, was deine Seele angeht.« »Was ist es, o Fürst der Gläubigen?« fragte ich. Darauf antwortete er mir: »Du wirst mit der Gemeinde Mohammeds – Gott segne ihn und spende ihm Heil! – für diesen Dirhem am Tage der Auferstehung rechten müssen.«

Einmal schrieb Omar an Abū Mûsā El-Ascharī einen Brief des Inhalts: Wenn dieser Brief von mir zu dir gelangt, so gieb dem Volke, was ihm zukommt, und laß den Rest zu mir schaffen. Und er that es. Als nun Othmân im Chalifat folgte, schrieb er in demselben Sinne an Abū Mûsā und dieser that demgemäß und sandte Sijâd mit dem Tribut mit. Als dieser denselben vor Othmân niederlegte, kam dessen Sohn und nahm von dem Tribut einen Dirhem. Da weinte Sijâd, so daß Othmân ihn fragte: »Worüber 104 weinst du?« Sijâd antwortete: »Als ich einst zu Omar, dem Sohn des Chattâb, den Tribut brachte, und sein Sohn davon einen Dirhem nahm, befahl er ihm denselben aus der Hand zu nehmen; nun hat dein Sohn einen Dirhem genommen, ohne daß ich einen gesehen hätte, der ihm denselben aus der Hand genommen oder ihm auch nur ein Wort gesagt hätte.« Da versetzte Othmân: »Wo triffst du noch einen Mann, wie Omar es war!«

Seid, der Sohn des Aslam, berichtet von seinem Vater, daß derselbe erzählte: »Eines Nachts ging ich mit Omar aus und näherte mich mit ihm einem hellen Feuer. Da sagte Omar: »Aslam, ich glaube, da ist eine Gesellschaft, die von der Kälte leidet; wir wollen zu ihr gehen.« Wir gingen darauf auf sie zu, bis wir bei ihnen anlangten, und siehe, da war es ein Weib, welches unter einem Kessel ein Feuer anmachte und bei sich schreiende Kinder hatte. Omar begrüßte sie mit den Worten: »Frieden sei mit euch, ihr Leute des Lichts« um nicht den Ausdruck Leute des FeuersEin Ausdruck, welcher die zum höllischen Feuer Verdammten bezeichnet. zu gebrauchen – »was fehlt euch?« Das Weib antwortete ihm: »Wir leiden unter der Kälte und der Nacht.« Da fragte Omar: »Und was fehlt den Kindern, daß sie schreien?« Sie versetzte: »Sie schreien vor Hunger.« »Und was hat's mit diesem Kessel auf sich?« fragte er weiter. »Wasser ist darinnen,« antwortete sie, »womit ich sie beruhige. Gott aber wird Omar, den Sohn des Chattâb, der Kinder wegen am Tage der Auferstehung zur Rechenschaft ziehen.« Omar versetzte: »Und wie soll Omar etwas von ihrem Hunger wissen?« Das Weib aber entgegnete: »Wie kann Omar des Volkes Herrscher sein und sich nicht um sein Volk bekümmern?« Darauf, so erzählt Aslam, wendete sich Omar zu mir und sagte: »Komm'!« Da machten wir uns eilends auf zum Zahlhaus, wo er einen Sack Mehl und ein Gefäß 105 mit Fett herausholte und dann zu mir sagte: »Lade mir dies auf.« Ich erwiderte: »Ich will es für dich tragen, o Fürst der Gläubigen.« Omar aber antwortete mir: »Wirst du auch am Tage der Auferstehung meine Last für mich tragen?« So lud ich es ihm denn auf, und wir eilten zurück und warfen den Sack vor ihr nieder. Darauf holte er etwas Mehl heraus und sagte zu dem Weibe: »Überlaß es mir.« Dann begann er unter den Kessel zu blasen, und ich sah, wie der Rauch zwischen den Haaren seines langen Bartes aufstieg, bis es kochte, worauf er ein Maß Fett nahm und es hineinthat. Hierauf sagte er zu ihr: »Gieb es ihnen zu essen, während ich es ihnen abkühle.« In dieser Weise verfuhren sie dann, bis sie sich satt gegessen hatten, und er den Rest bei ihr zurückließ. Alsdann wendete er sich zu mir und sagte: »Aslam, ich sah, daß der Hunger sie weinen machte, und ich freue mich, daß ich nicht fortging, ehe mir die Ursache des Feuerscheines, den ich sah, klar war.«Omar, diese große, puritanische Chalifengestalt des frühesten Islams, mit dem Beinamen des Gerechten, fiel durch die Hand eines persischen Meuchelmörders.


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