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Tausend und eine Nacht. Band III
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Geschichte des Königs Omar en-Noomân und seiner Söhne Scharrkân und Dau el-Makân.

Dieser große arabische Ritterroman, die längste der Erzählungen in »Tausend und eine Nacht«, etwa ein Achtel des gesamten Werkes umfassend, fehlt in der Breslauer Ausgabe. Wenn schon der Inhalt desselben vor die Regierungszeit des Chalifen Abd el-Melik, des fünften Omajjaden (685–704) verlegt wird, so finden wir hier doch zweifellos einen Nachhall der Ritterromantik der Kreuzzüge. Der Name des Königs lautet nach der Kalkuttaer Ausgabe wohl richtiger Omar, Sohn des Noomân. Die Bulaker Ausgabe läßt ihn in Damaskus regieren, was jedoch mit dem Folgenden im Widerspruch steht. Vielleicht mochte dem Schreiber bekannt gewesen sein, daß Bagdad erst unter den Abbassiden seine große Bedeutung als Hauptstadt des Chalifats erhielt, während zuvor Damaskus die Residenz der Omajjaden gewesen war.

»Glückseliger König, ich vernahm, daß vor dem Chalifate des Abd el-Melik, des Sohnes des Merwân, zu Bagdad ein König, Namens Omar en-Noomân, lebte, welcher einer der mächtigen Recken war und die Chosroenkönige und die Kaiser bezwungen hatte. Es war mit ihm nicht zu streiten, und niemand wagte es sich mit ihm auf dem Kampfplatz zu messen, da er in seinem Zorne aus den Nüstern Feuer schnob. Er hatte alle Himmelsstriche erobert, seine Macht über alle Flecken und Städte ausgebreitet, und Gott hatte ihm alle seine Diener unterthan gemacht. Seine Heere zogen zu den fernsten Ländern, das Morgen- und Abendland gehorchte seinem Befehle und alle Länder die dazwischen liegen, Hind und Sind, China, El-Jemen, El-Hidschâs, Habesch, der Sudan, Syrien, Rûm, Dijâr Bekr, die Inseln des Meeres und alle die berühmten Ströme auf der Erde wie der Sihon, 6 Dschihon, Nil und Euphrat. Er schickte seine Gesandten zu den fernsten Bewohnern, daß sie ihm über den wahren Zustand der Dinge Nachricht brächten, und sie kehrten zurück und meldeten ihm, daß sich alle Menschen ihm gehorsam fügten, und die Recken insgesamt vor seiner Majestät sich beugten. Er umfaßte sie alle mit seiner Huld und Güte und verbreitete wegen seiner hohen Macht Gerechtigkeit und Sicherheit unter ihnen. Von allen Orten trafen Geschenke bei ihm ein, und die Steuern wurden in der Länge und Breite der Erde für ihn eingesammelt.

Dieser König hatte einen Sohn, welchem er den Namen ScharrkânUnheil ist geschehen. gegeben hatte, dieweil er zu einem der Schrecken der Zeit erstand, die Kämpen niederzwang und die Gegner vernichtete. Sein Vater liebte ihn deshalb so stark, wie er es nur vermochte, und hatte ihm auch die Regierung nach seinem Tode bestimmt.

Als dieser Scharrkân das Mannesalter erreicht hatte und zwanzig Lebensjahre zählte, hatte ihm Gott alle seine Diener um seiner großen Stärke und seines trotzigen Mutes willen unterthan gemacht.

Sein Vater Omar en-Noomân aber hatte nach Schrift und Tradition vier Frauen, doch hatte er außer Scharrkân keinen Sohn erhalten; eine derselben hatte ihn geboren, die andern waren unfruchtbar, und hatte er von keiner derselben ein Kind erhalten. Außer diesen vier Frauen hatte er jedoch dreihundertundsechzig Kebsweiber nach der Zahl der Tage des koptischen Jahres, die aus allen Menschenrassen stammten. Er hatte für jede derselben ein abgeschlossenes Gemach gebaut, deren alle sich in dem Bezirk seines Palastes befanden, und zwar in der Weise, daß er zwölf Schlösser nach der Zahl der Monate des Jahres in seinem Palastbezirk erbaut hatte, von denen ein jedes dreißig Gemächer enthielt, so daß es im ganzen dreihundertundsechzig Gemächer waren, von 7 denen jede Sklavin eins bewohnte. Für jede derselben hatte er eine Nacht verordnet, während welcher er bei ihr zubrachte, so daß er erst wieder nach Ablauf eines vollen Jahres sie besuchte.

In dieser Weise hatte er geraume Zeit verbracht, als sein Sohn Scharrkân sich zu seiner Freude in allen Landen berühmt machte und zunahm an Kraft, so daß er alles Maß überstieg, trotzig einherfuhr, die Burgen brach und die Länder eroberte. Da fügte es sich nach dem vorausbestimmten Ratschluß, daß eine der Sklavinnen Omar en-Noomâns schwanger wurde, und daß ihre Schwangerschaft bekannt wurde. Als der König hiervon Nachricht erhielt, freute er sich mächtig und sprach: »Vielleicht werden alle meine Sprossen und Kinder Söhne.« Dann verzeichnete er den Tag ihrer Schwangerschaft und bewies ihr seine Huld.

Fünfundvierzigste Nacht.

Als Scharrkân jedoch hiervon Kunde erhielt, erzürnte er sich und empfand es übel, indem er bei sich sprach: »Nun ist einer gekommen, der mir das Königreich streitig machen wird. Bringt jenes Mädchen,« so plante er in seiner Seele, »einen Knaben zur Welt, so bringe ich ihn um.« Doch verbarg er dieses bei sich.

Soviel was Scharrkân anlangt; was aber die Sklavin anbetrifft, so war dieselbe eine Griechin, welche der König von Rûm, der Herr von Cäsarea, dem Könige Omar en-Noomân als Geschenk nebst vielen andern Kostbarkeiten übersandt hatte. Ihr Name war Sophia, und sie war die schönste aller Sklavinnen, mit dem holdseligsten Gesicht, und am meisten von allen auf ihren Ruf bedacht, ausgestattet mit reichem Verstand und leuchtender Anmut.

In der Nacht, welche der König bei ihr zugebracht hatte, hatte sie ihn bedient und zu ihm gesagt: »O König, ich erflehe von dem Gott des Himmels, daß er dir von mir einen Knaben schenkt, damit ich ihn dir schön erziehen und ihm 8 voll Sorgfalt feines und artiges Betragen beibringen kann.« Der König war hierüber erfreut und dessen zufrieden gewesen, sie aber hatte nicht aufgehört also zu beten, bis ihre Monate erfüllt waren, und sie sich auf den Wehenstuhl setzte, und Gott es ihr in Erhörung ihrer Bitte leicht machte.

Der König hatte aber einen Eunuchen zu ihr entsandt, um zu erfahren, ob sie einen Knaben oder ein Mädchen zur Welt brächte, und ebenso hatte Scharrkân jemand geschickt, der ihm hierüber berichten sollte. Als nun Sophia ihr Kind geboren hatte, und die Wehmütter es betrachteten, fanden sie, daß es ein Mädchen war mit einem Angesichte leuchtender als der Mond, und teilten es den Anwesenden mit. Der Bote des Königs kehrte darauf zurück und teilte es ihm mit; desgleichen auch der Bote Scharrkâns, und Scharrkân freute sich mächtig.

Als die Eunuchen jedoch fortgegangen waren, sagte Sophia zu den Wehmüttern: »Lasset mir noch Zeit, ich spüre noch etwas in meinem Schoße.« Darauf klagte sie und die Wehen überkamen sie von neuem; Gott aber machte es ihr leicht, und sie gebar ein zweites Kind. Wie nun die Wehmütter dieses Kind betrachteten, fanden sie, daß es ein Knäblein war, das dem Vollmonde glich, mit weißglänzender Stirn und rosenroten Wangen. Da freute sich Sophia, und es freuten sich die Eunuchen, die Dienerschaft und alle Anwesenden. Als nun das Jubelgeschrei im Palaste erscholl, und die andern Sklavinnen die Freudenbotschaft vernahmen, empfanden sie Neid, der König Omar en-Noomân aber erhob sich sofort erfreut, als er die frohe Botschaft erhielt, trat zu ihr ein, küßte ihr Haupt und besah sich das Kind; dann neigte er sich über dasselbe und küßte es, und die Sklavinnen schlugen die Tamburins und spielten auf Musikinstrumenten.

Hierauf befahl der König den Knaben Dau el-MakânDas Licht des Ortes. und seine Schwester Nushet es-SamânDie Wonne der Zeit. zu nennen; und 9 sie antworteten: »Wir hören und gehorchen,« und vollzogen seinen Befehl. Dann bestimmte der König zu ihrer Bedienung Ammen, Eunuchen, Dienerschaft und Wärterinnen und verordnete ihnen ein Bestimmtes an Zucker, Getränken, Salben und dergleichen, deren Beschreibung der Zunge zu schwer fällt.

Da nun das Volk von Bagdad von den Kindern vernahm, die Gott dem Könige geschenkt hatte, schmückte es die Stadt und bezeugte laut seine Fröhlichkeit; die Emire aber, die Wesire und Großen des Reiches beglückwünschten den König Omar en-Noomân zur Geburt seines Sohnes Dau el-Makân und seiner Tochter Nushet es-Samân, und der König dankte ihnen hierfür, legte ihnen Ehrenkleider an und machte ihnen außerdem huldvolle Geschenke; allen Anwesenden, Hoch und Gering, bezeugte er seine Gunst und verfuhr in dieser Weise, bis vier Jahre darüber hingestrichen waren, während welcher Zeit er unablässig in Zwischenräumen von wenigen Tagen sich nach Sophia und ihren Kindern erkundigte. Nach Ablauf der vier Jahre befahl er dann zu ihr Kleinodien, Schmucksachen, Gewänder und Geld in großer Menge hinüberzuschaffen und legte ihnen ans Herz die beiden Kinder zu erziehen und ihnen die beste Bildung angedeihen zu lassen.

Alles dies geschah, ohne daß Scharrkân erfuhr, daß seinem Vater Omar en-Noomân ein Knabe geschenkt war, und nur von Nushet es-Samâns Geburt wußte er. Die Geburt Dau el-Makâns wurde ihm auch fernerhin verheimlicht, und Tage und Jahre verstrichen darüber, während welcher Zeit er beschäftigt war die Tapfern zu bekämpfen und die Ritter zum Zweikampf herauszufordern.

Während nun der König Omar en-Noomân eines Tages dasaß, siehe, da traten plötzlich die Kämmerlinge bei ihm ein, küßten die Erde vor ihm und sagten: »O König, von dem Könige von Rûm, dem Herrn von dem hohen Konstantinopel, sind Gesandte eingetroffen, welche wünschen Zutritt zu dir zu erhalten und vor deinen Befehlen zu erscheinen. 10 Wenn es der König ihnen verstattet, so führen wir sie herein, wenn nicht, so giebt es keine Widerrede gegen seinen Befehl.«

Nachdem der König ihre Worte vernommen hatte, befahl er ihnen sie vorzulassen. Als sie zu ihm eingetreten waren, neigte er sich ihnen zu, empfing sie freundlich und fragte sie nach ihrem Auftrag und der Ursache ihres Kommens. Da küßten sie die Erde vor ihm und sprachen: »Ruhmvoller König und Herr des langen Armes, wisse, wir sind zu dir entboten von dem König Afrīdûn,Afrīdûn oder Feridûn ist ein alter persischer König und hat nichts mit Konstantinopel zu thun. dem Herrn des jūnânischenJūnân bezeichnet in erster Linie die alten Griechen (Ionier) dann Griechen überhaupt. Landes und der nazarenischen Heerscharen, welcher fest thront im Königreiche Konstantinopels; derselbe thut dir zu wissen, daß er zur Stunde in heißem Kampfe steht mit einem Tyrannen und Rebellen, mit dem Herrn von Cäsarea, und die Ursache davon ist folgende: Einer der Könige der Araber war bei einem seiner Siege auf einen Schatz von alters her aus IskendersAlexander. Zeit gestoßen und hatte aus demselben zahlloses Geld gehoben; in dem gesamten Funde waren auch drei runde Edelsteine von der Größe eines Straußeneies und von edelster weißer und reiner Substanz gewesen, dergleichen nicht mehr zu finden ist. Auf jedem dieser Edelsteine stehen in jūnânischer Schrift geheimnisvolle Sachen eingegraben, und sie besitzen nutzbringende Eigenschaften und viele Kräfte, deren eine darin besteht, daß jedes Kind, welchem einer dieser Edelsteine umgehängt wird, so lange der Edelstein an ihm hängt, weder von Schmerzen betroffen noch von Fieber oder Krankheit befallen wird.

Als er nun seine Hand an die Edelsteine gelegt und sie genommen und ihre geheimnisvollen Kräfte erfahren hatte, schickte er dem Könige Afrīdûn Geschenke, bestehend aus 11 Kostbarkeiten und Geld, unter deren Masse sich auch die drei Edelsteine befanden. Er rüstete zwei Schiffe aus, von denen das eine das Geld trug, in dem andern aber Mannschaften untergebracht waren, um jene Geschenke gegen alle, die ihnen auf dem Meere in den Weg treten könnten, zu schützen, obwohl er annahm, daß sich keiner seinen Schiffen in den Weg legen würde, da er doch der König der Araber war, und überdies der Weg der Schiffe, in denen sich die Geschenke befanden, durch das Meer, welches zum Königreiche von Konstantinopel gehört, führte, und sie zu dem König von Konstantinopel selber steuerten, und auch an den Gestaden dieses Meeres nur seine Unterthanen wohnten.

Nachdem er also die beiden Schiffe ausgerüstet hatte, segelten sie von dannen, bis sie schon nahe an unser Land gekommen waren. Da aber zogen einige Piraten von jenem Lande wider dieselben aus, unter denen sich auch Truppen von dem Herrn von Cäsarea befanden, nahmen alles, was in den Schiffen an Kostbarkeiten, Geld und Schätzen lag, darunter auch die drei Edelsteine, und schlugen die Mannschaft tot. Als die Kunde hiervon unsern König erreichte, schickte er ein Heer wider sie aus, doch schlugen sie es in die Flucht; darauf schickte er ein stärkeres Heer wider sie aus, aber auch dieses schlugen sie in die Flucht. Da ergrimmte der König und schwur in eigener Person mit seiner gesamten Streitmacht wider sie ausziehen und nicht eher von ihnen nach Hause zurückkehren zu wollen, als bis er Cäsarea verwüstet und das Land und alle Städte, denen der König Cäsareas gebietet, zu einer Wüstenei verwandelt hätte. Nun geht unsere Bitte an den Herrn der Kraft, den Sultan und König Omar en-Noomân, dahin, daß er uns seinerseits mit einer Streitmacht zu Hilfe kommt und er so Ruhm von dannen trägt. Auch hat unser König an dich durch uns etzliches an Geschenken gesandt und erbittet von deiner Huld ihre Annahme und freundwillige Hilfeleistung.« 12

Sechsundvierzigste Nacht.

Hierauf küßten die Gesandten vor dem Könige Omar en-Noomân die Erde und machten ihn mit dem Geschenk bekannt, welches aus fünfzig Sklavinnen aus der Auslese des Königreiches Rûm und aus fünfzig Mamluken bestand, die in Mäntel aus Brokat mit Gürteln von Gold und Silber gekleidet waren und im Ohre goldene Ringe mit je einer Perle trugen, die tausend Goldmithkâl wert war. In gleicher Weise waren die Sklavinnen geschmückt und trugen Stoffe, die ein schweres Geld kosteten.

Als der König dieselben sah, freute er sich, nahm sie in Empfang und befahl die Gesandten ehrenvoll aufzunehmen; dann empfing er seine Wesire, um mit ihnen des Rates zu pflegen, was zu thun sei. Da erhob sich unter ihnen ein Wesir, der ein alter Scheich war, DendânEin persisches Wort: Zahn. geheißen, küßte die Erde vor dem Könige Omar en-Noomân und sprach: »O König, es ist in der Angelegenheit nichts besseres zu thun, als daß du ein starkes Heer ausrüstest und zu seinem Führer deinen Sohn Scharrkân machst, als dessen Diener wir bereit stehen. Dieser Rat ist der beste aus zwei Gründen: Einmal, weil der König von Rûm dich um Schutz angegangen und dir ein Geschenk geschickt hat, das du angenommen hast; das andere Mal, daß der Feind keinen Einfall in unser Land macht. Wenn dann dein Heer den Feind vom Könige von Rûm abgewehrt und ihn in die Flucht geschlagen hat, so wird dir das zum Ruhme angerechnet werden; es wird sich über alle Himmelsstriche und Länder verbreiten, und insbesondere, wenn die Kunde zu den Inseln des Meeres gelangt und das Volk des MoghrebDas Abendland; speciell Tripolis, Tunis, Algier und Marokko. davon hört, so werden sie dir Geschenke, Kostbarkeiten und Gelder schicken.« 13

Als der König diese Rede vom Wesir Dendân vernommen hatte, gefiel sie ihm und hielt er seinen Rat für den richtigen. Er legte ihm deshalb ein Ehrenkleid an und sagte: »Einen Mann wie dich sollten die Könige zum Berater nehmen; dir kommt es zu die Vorhut des Heeres zu führen, und mein Sohn Scharrkân soll die Nachhut befehligen.«

Hierauf gab der König Befehl seinen Sohn herbeizuholen und trug ihm, nachdem er erschienen war, die Angelegenheit vor, indem er ihm sowohl den Auftrag der Gesandten als auch die Worte des Wesirs Dendân mitteilte und ihm gebot das Kriegszeug hervorzuholen, sich zum Marsche zu rüsten und dem Wesir Dendân in keinem seiner Ratschläge zu widersprechen. Außerdem befahl er ihm aus seinem Heere zehntausend vollgerüstete und sturmfeste Reiter auszulesen. Scharrkân machte sich sofort auf den Befehl seines Vaters Omar en-Noomân zu vollziehen und wählte aus seinem Heere zehntausend Reiter aus. Dann begab er sich in sein Schloß, holte eine große Geldsumme hervor, verteilte das Geld unter sie und sagte zu ihnen: »Ich gewähre euch eine Frist von drei Tagen.« Darauf küßten sie die Erde vor ihm, gehorchend seinem Befehle, und gingen hinaus um sich zu rüsten und zurecht zu machen. Scharrkân aber ging in die Rüstkammern, nahm alles, was er an Waffen und Rüstung brauchte, und begab sich von dort in den Marstall, wo er sich gestempelte Pferde und andere auserwählte.

Hernach, als die drei Tage verflossen waren, zogen die Truppen aus der Stadt, und der König Omar en-Noomân zog hinaus, um von seinem Sohne Scharrkân Abschied zu nehmen. Scharrkân küßte die Erde vor ihm, und der König überreichte ihm sieben ChasnenChasne bedeutet Schatz, Schatzkammer; dann aber auch eine Geldsumme von tausend Kîs (Beutel); ein Kîs = hundert Mark. Geld. Dann empfing er den Wesir Dendân und empfahl ihm das Heer seines Sohnes Scharrkân, worauf der Wesir die Erde vor ihm küßte und sprach: »Ich höre und gehorche.« Darauf empfing er noch 14 einmal seinen Sohn Scharrkân und empfahl ihm den Wesir Dendân in allen Angelegenheiten um Rat zu fragen; Scharrkân stimmte zu, und nun kehrte sein Vater wieder zurück in die Stadt.

Nunmehr befahl Scharrkân den Heeresobersten Truppenschau zu halten, und es betrug die Anzahl der Streiter zehntausend Mann zu Roß außer dem Troß. Dann wurde aufgepackt, die Trommeln wirbelten, das Horn schmetterte, die Banner und Fahnen wurden entrollt, Scharrkân, der Sohn des Königs, sprang in den Sattel, und ihm zur Seite ritt der Wesir Dendân, während die Banner über ihren Häuptern lustig flatterten. So zogen sie ohne Unterbrechung fort unter der Führung der Gesandten, bis daß der Tag sich wendete und die Nacht hereinbrach. Dann lagerten sie sich und rasteten die Nacht über. Am andern Morgen saßen sie wieder auf und ritten in einem fort, während die Gesandten ihnen den Weg wiesen, zwanzig Tage lang, bis sie am einundzwanzigsten Tage zur Nachtzeit zu einem breiten, mit Bäumen und Pflanzen reich bestandenen Wadi gelangten. Hier befahl ihnen Scharrkân Halt zu machen und drei Tage zu verweilen. Die Truppen stiegen ab und schlugen die Zelte auf, das Heer breitete sich nach rechts und links aus, und auch der Wesir Dendân lagerte sich samt den Gesandten Afrīdûns, des Herrn von Konstantinopel, in der Mitte jenes Wadis, während der König Scharrkân während der Zeit, daß das Heer anlangte, hinter ihnen eine Weile Halt machte, bis sie alle abgestiegen waren und sich zwischen den Lehnen des Wadis zerstreut hatten. Dann ließ er die Zügel seines Rosses locker, um das Wadi auszukundschaften und die Wache wegen der Ermahnung seines Vaters selber zu übernehmen, da sie nunmehr die Grenze des Landes Rûm und das Gebiet des Feindes erreicht hatten. Nachdem er seinen Mamluken und seinem Gefolge befohlen hatte sich bei dem Wesir Dendân zu lagern, zog er auf dem Rücken seines Rosses allein zwischen den Lehnen des Wadis hin, bis der vierte 15 Teil der Nacht verstrichen war, und er müde wurde. Der Schlaf überkam ihn so stark, daß er nicht mehr imstande war sein Roß anzuspornen, und, da es seine Gewohnheit war, auf dem Rücken seines Rosses zu schlafen, sank er in Schlummer, als ihn die Müdigkeit überfiel. Sein Roß aber schritt in einem fort bis Mitternacht weiter, bis es in ein Dickicht geriet. Hier erwachte Scharrkân erst, als das Roß mit dem Hufe über den Boden stolperte, um sich zwischen Bäumen zu finden, während der Mond über ihm aufgegangen war und sein Licht über den Osten und Westen ergoß. Als Scharrkân nun sah, daß er sich an solcher Stätte befand, sprach er bestürzt das Wort, das keinen, der es ausspricht, zu Schanden macht, und das da lautet: Es giebt keine Macht und keine Kraft außer bei Gott. Während er in solcher Weise besorgt vor dem wilden Getier weiter zog und in seiner Ratlosigkeit nicht wußte, wohin er sich wenden sollte, sah er eine vom Mond beglänzte Wiese, die einer der Wiesen des Paradieses glich, und vernahm liebliche Stimmen und lautes Rufen und Lachen, das eines Mannes Verstand gefangen nehmen konnte. Da stieg der König Scharrkân zwischen den Bäumen von seinem Rosse und schritt vorwärts, bis er zu einem fließenden Bach kam, und nun eine Frau in arabischer Sprache sagen hörte: »Beim Messias, das ist nicht hübsch verborgen. Jede, die noch ein Wort spricht, werfe ich zu Boden und schnüre ihr die Hände auf dem Rücken mit ihrem Gürtel zusammen.« Alles dies geschah, während Scharrkân in der Richtung der Stimme vorwärts schritt, bis er an den Rand des Dickichtes gelangte. Wie er nun ausspähte, sah er einen Bach dahin schießen, und erblickte wandelnde Gazellen, weidendes Wild und lustig flatternde fröhlich zwitschernde Vögel, während die Wiese mit einem bunten Blumenteppich übersponnen war, wie folgende beiden Verse solche Schönheiten beschreiben:

Schön ist die Erde nur in ihrem Blütenschmuck,
Wenn ihre Quellen durch die Fluren ziehn; 16
In seiner Allmacht hat sie der hohe Gott erschaffen,
Er, der die Gaben giebt, der Spender alles Guten.

Außerdem aber gewahrte Scharrkân dort ein Kloster und innerhalb seiner Mauern eine Burg, welche hoch gen Himmel im Mondenschein ragte und in ihrer Mitte von demselben Bach durchströmt wurde, dessen Wasser auf die Auen floß. Hier stand eine Frau und vor ihr zehn Mädchen gleich Monden, alles reizende Jungfrauen mit den mannigfachsten Schmucksachen und Gewändern geschmückt, welche die Blicke des Beschauers bestricken mußten.

Als Scharrkân diese Mädchen betrachtete, gewahrte er unter ihnen eines, das dem Vollmond glich, mit verlängerten Brauen,Nämlich durch Schminke verlängert. weißer Stirn, langbewimperten Augen und Locken an den Schläfen, die Skorpionsschwänzen glichen, vollkommen in ihrem Wesen und ihren Eigenschaften, wie der Dichter von einem Mädchen gleich ihr folgende Verse sprach:

Wunderbar glänzende Blicke warf sie auf mich,
Und ihre schlanke Gestalt beschämte den Lanzenschaft.
Mit rosenroten Wangen erschien sie vor uns,
Auf denen der Anmut lieblichste Reize lachten;
Die Locken ihrer Stirne waren dunkel wie die Nacht,
Aus denen ein Morgen voll herrlichster Freuden tagte.

Dieses Mädchen nun hörte Scharrkân zu den andern sagen: »Kommt her, daß ich mit euch ringen kann, bevor der Mond untergegangen ist, und der Morgen naht.« Darauf trat eine jede von ihnen an sie heran, und sie warf sie sofort zu Boden, schnürte ihnen die Hände mit ihren Gürteln auf dem Rücken zusammen, und hörte nicht eher auf mit ihnen zu ringen und sie zu Boden zu werfen, bis sie alle niedergeworfen hatte. Da wendete sich zu dem Mädchen eine Alte, welche sich unter den andern befunden hatte, und sprach zu ihr wie im Zorne: »Schamlose Dirne, freust du dich darüber, daß du die Mädchen zu Boden geworfen hast? 17 Siehe, ich bin eine alte Frau und habe sie vierzigmal zu Boden geworfen, was rühmst du dich also dessen? Wenn du aber die Kraft dazu hast, so ringe mit mir. Wenn du es willst und dich aufmachst mit mir zu ringen, so mache ich mich an dich und lege dein Haupt zwischen deine Füße.« Da lächelte das Mädchen, obwohl sie innerlich über sie voll Zorn war, trat zu ihr heran und sagte: »Meine Herrin Zāt ed-Dawâhī,Unheilbringerin. beim Messias, willst du in Wahrheit mit mir ringen oder beliebt es dir nur mit mir deinen Scherz zu treiben?« Sie aber entgegnete: »Nein, ich will im Ernst mit dir ringen.«

Siebenundvierzigste Nacht.

Da sagte das Mädchen: »So komm' und ringe mit mir, wenn du die Kraft dazu hast.« Als die Alte dies von ihr vernahm, ergrimmte sie gewaltig, daß sich das Haar an ihrem Leibe wie die Borsten eines Stachelschweines sträubten. Wie nun das Mädchen an sie herantrat, sagte sie: »Beim Messias, ich ringe mit dir nur nackend, du schamlose Dirne.« Darauf nahm die Alte, nachdem sie ihre Hosen geöffnet hatte, mit den Händen unter die Kleider gefahren war und dieselben vom Leibe heruntergerissen hatte, ein seidenes Tuch, wickelte es zusammen und band es um ihren Leib, so daß sie wie eine unbehaarte Ifrîte oder eine gefleckte Schlange aussah. Dann bog sie sich vorn über zu dem Mädchen und sagte zu ihr: »Thue ebenso wie ich es gethan habe.«

Alles dieses aber geschah vor Scharrkâns Augen, welcher beim Anblick der häßlichen Gestalt der Alten in Lachen ausbrach.

Nachdem nun die Alte dieses gethan hatte, erhob sich das Mädchen lässig, nahm ein jemenisches Tuch, faltete es zweimal zusammen und schürzte ihre Hosen auf, wobei sie zwei marmorweiße Schenkel entblößte, über denen ein weicher und rundlicher, krystallfarbener Hügel sichtbar wurde und ein Leib, 18 welcher aus seinen Falten Moschusdüfte aushauchte, als ob er ganz mit Anemonen besetzt gewesen wäre, während aus der Brust zwei Hügelchen wie zwei große Granatäpfel standen. Jetzt bog sich die Alte zu ihr herüber, und sie packten einander; Scharrkân aber erhob sein Haupt gen Himmel und erflehte von Gott, daß das Mädchen die Alte bezwingen möchte. Da schlüpfte das Mädchen unter die Alte, packte sie mit der linken Hand an ihrem Tuch, mit der Rechten um Hals und Nacken und hob sie mit beiden Händen hoch. Wie nun die Alte sich loszumachen trachtete, kam sie auf den Rücken zu liegen, daß ihre Beine hoch in die Luft ragten, so daß Scharrkân vor Lachen auf den Boden fiel. Hierauf erhob er sich wieder, zog seinen Stahl aus der Scheide, wendete sich nach rechts und links und sprach bei sich, als er niemand weiter als die Alte sah, die auf ihrem Rücken dalag: »Der, welcher dich Zāt ed-Dawâhī, die Unheilsbringerin, genannt hat, hat nicht gelogen.« Dann trat er näher herzu, um zu hören, was zwischen beiden vorgehen würde.

Nun trat das Mädchen an die Alte heran, warf einen dünnen seidenen Schleier über sie, zog ihr wieder ihre Kleider an und entschuldigte sich bei ihr mit den Worten: »Meine Herrin Zāt ed-Dawâhī, ich wollte dich nur zu Boden werfen und hatte das andere, das dir widerfuhr, nicht beabsichtigt; es kam nur daher, daß du dich meinen Händen entwinden wolltest. Gott sei Lob, daß du wohlbehalten geblieben bist.« Die Alte aber erhob sich, ohne ihr eine Antwort zu geben, und machte sich beschämt fort, bis sie den Blicken entschwunden war. Wie nun nur die gefesselten und am Boden liegenden Mädchen übrig geblieben waren, und das Mädchen allein dastand, sprach Scharrkân bei sich: »Jedes Geschenk hat seinen Grund. Nur zu meinem Glücke hat mich der Schlaf überwältigt, und ist der Gaul mit mir hierher gewandert; vielleicht fällt mir das Mädchen und die andern, die bei ihr sind, als Beute in meine Hand.« Dann bestieg 19 er sein Roß, spornte es an und schoß mit ihm vorwärts wie ein Pfeil vom Bogen, in der Hand den blanken Stahl haltend und laut rufend: »Allāh Akbar!«Der Schlachtruf der Moslems: Gott ist groß.

Als das Mädchen ihn erblickte, sprang sie auf, setzte ihre Füße auf das Ufer des Baches, dessen Breite sechs Ellen betrug, und sprang hinüber auf das andere Ufer. Dann stellte sie sich hin und rief mit lauter Stimme: »Wer bist du, der du unser Vergnügen störst? Mit deinem gezückten Stahl siehst du aus, als ob du ein Heer angreifen wolltest. Woher kommst du und wohin willst du? Sprich die Wahrheit, denn die Wahrheit bringt dir Gewinn; lüge nicht, denn die Lüge ist gemeiner Gesellen Eigenschaft. Kein Zweifel, du bist in dieser Nacht vom Wege abgeirrt, daß du an diesen Ort kamst, von dem das Entrinnen für dich deine beste Beute wäre; denn wisse, du stehst auf einer Wiese, auf welcher bei einem einzigen Schrei von uns viertausend BitrîkenBitrîk = Patricius ist der Titel eines christlichen Befehlshabers von zehntausend Mann. zu unserer Hilfe kommen. Sag' also an, was dein Begehr ist. Wünschest du, daß wir dich auf den rechten Weg geleiten, so werden wir es thun oder heischest du Hilfe von uns, so sollst du sie haben.«

Als Scharrkân ihre Worte vernahm, rief er zu ihr hinüber: »Ich bin ein Fremdling, ein Moslem, und bin in dieser Nacht auf eigne Faust ausgezogen, um Beute zu machen. Nun habe ich heute in der Mondscheinnacht keine bessere Beute als diese zehn Mädchen gefunden; ich will sie mir erbeuten und mit ihnen zu meinen Gefährten heimkehren.« Darauf entgegnete ihm das Mädchen: »Wisse, nicht um der Beute willen bist du hergekommen; die Mädchen aber, bei Gott, sie werden dir nicht in die Hand fallen. Habe ich dir nicht gesagt, daß die Lüge schändlich ist?« Scharrkân erwiderte ihr: »Glücklich ist, wer sich Gottes allein genügen läßt.« Das Mädchen versetzte darauf: »Beim Messias, müßte 20 ich nicht deinen Untergang von meiner Hand befürchten, ich stieße einen einzigen Schrei aus, welcher die Erde mit Rossen und Reitern wider dich wimmeln ließe; doch ich habe Mitleid mit den Fremdlingen. Willst du Beute machen, so fordere ich dich auf, von deinem Roß abzusteigen und mir bei deinem Glauben zu schwören, daß du mir nicht mit irgend einer Waffe zu nahe kommen willst; dann wollen wir beide miteinander ringen, und, hast du mich zu Boden geworfen, so leg' mich auf dein Roß und nimm uns alle als Beute mit. Habe ich dich jedoch zu Boden geworfen, so bist du in meine Gewalt gefallen. Schwöre es mir, denn ich hege Furcht vor deiner Verräterei; ist uns doch ein Wort überkommen: Wo Verräterei angeboren, ist das Vertrauen verloren. Hast du mir geschworen, so komme ich zu dir herüber und trete heran zu dir.« Scharrkân, der sie zu fangen trachtete, sprach bei sich: »Sie weiß nicht, daß ich ein Degen unter den Degen bin,« und rief dann zu ihr hinüber: »Laß mich jeden Schwur schwören, der dir Sicherheit giebt, ich werde dir mit nichts zu nahe kommen, bevor du dich nicht zurechtgemacht und zu mir gesprochen hast: »Tritt heran zu mir, daß ich mit dir ringen kann«; erst dann will ich dir nahe kommen. Hast du mich zu Boden geworfen, so habe ich Geld genug mich von dir loszukaufen, habe ich dich aber zu Boden geworfen, so wird das die reichste Beute für mich sein.«

Da sagte das Mädchen: »Ich bin es zufrieden.« Verwundert hierüber entgegnete Scharrkân: »Beim Propheten – Gott segne ihn und spende ihm Heil! – ich bin es auch zufrieden.« Nun sagte sie zu ihm: »Schwöre mir jetzt bei dem, welcher die Seele in den Leib gefügt und uns Gesetze vorgeschrieben hat, [Ergänzung nach der Kalkuttaer Ausgabe.daß du ohne den Glauben des Islams sterben willst, falls du mir außer im Ringkampf irgend welches Leid zufügst.« Scharrkân antwortete ihr: »Bei Gott, 21 selbst der Oberkadi würde mich, wenn er mich schwören ließe, nicht solchen Eid schwören lassen.« Doch schwor er ihr alles, was sie verlangt hatte, und band dann sein Roß an einen Baum, indem er, versunken im Meer der Gedanken, sprach: »Preis Ihm, der sie aus verächtlichem Wasser gebildet hat!«Vgl. Koran, Sure 22, die Wallfahrt. Hierauf gürtete er sich, machte sich zum Ringen zurecht und sagte zum Mädchen: »Spring' über den Bach.« Sie entgegnete ihm jedoch: »Mir kommt es nicht zu, zu dir hinüberzuspringen; komm' du zu mir herüber.« Scharrkân antwortete: »Ich vermag es nicht.« Da sagte das Mädchen: »Dann will ich zu dir hinüber, mein Junker.« Darauf hob sie den Saum ihres Kleides und sprang zu ihm auf die andere Seite des Baches. Nun trat er an sie heran, bog sich vorn über und klatschte in die Hände, doch war er von ihrer Schönheit und Anmut ganz verwirrt, da es ihm deuchte, als ob ihre Gestalt von der Hand der Allmacht mit den Blättern der Dschânn gefärbt und von der Hand der Gnade wohlgefügt worden wäre, als ob der Zephyr des Glückes sie angehaucht, und ein segenbringendes Gestirn sie bei ihrer Erschaffung begrüßt hätte. Das Mädchen aber trat nun ebenfalls an ihn und rief ihm zu: »Moslem, heran zum Ringen, ehe das Morgenrot aufgeht,« indem sie dabei den Ärmel zurückstreifte und einen Arm entblößte, der so weiß wie frischer Käse erschien, so daß von seinem Scheine der ganze Ort erhellt wurde. Ganz verwirrt hiervon bog sich Scharrkân vorn über und klatschte in die Hände; das Mädchen klatschte gleichfalls in die Hände, und nun packten sich beide, umfaßten und umschlangen sich und rangen miteinander, bis seine Hand ihre schlanke Taille zu fassen bekam, und seine Fingerspitzen ihren weichen Leib berührten; da erschlafften seine Glieder, und seufzend erbebte er wie das persische Rohr im brausenden Sturm. Sie aber hob ihn hoch auf, warf ihn auf die Erde und setzte sich mit ihrem Gesäß, schwer wie 22 ein Sandhaufen, auf seine Brust, so daß er die Besinnung verlor. Dann sagte sie zu ihm: »Moslem, da es bei euch erlaubt ist Christen zu töten, was sagst du dazu, wenn ich dir nun das Leben nehme?« Scharrkân antwortete: »Meine Herrin, wenn du davon sprichst mich zu töten, so ist dies nicht erlaubt, denn unser Prophet Mohammed – Gott segne ihn und spende ihm Heil! – hat uns verwehrt Frauen, Kinder, Greise und Mönche zu töten.« Da entgegnete sie: »Ist eurem Propheten diese Offenbarung zu teil geworden, so ziemt es auch uns Gleiches mit Gleichem zu vergelten; steh' darum auf, ich schenke dir dein Leben, Güte ist niemals an den Menschen verloren.« Hierauf erhob sie sich von der Brust Scharrkâns, und Scharrkân stand auf und schüttelte den Staub von seinem Haupte gegen die Geschöpfe der krummen Rippe. Sie aber sagte zu ihm: »Schäme dich nicht: wer aber kommt auch ins Land Rûm, um Beute zu machen und Königen wider Königen beizustehen, und hat nicht einmal Kraft genug sich gegen ein Geschöpf der krummen Rippe zu verteidigen!« Scharrkân antwortete ihr: »Nicht wegen meiner geringen Kraft kam dies, und nicht deine Stärke, sondern nur deine Schönheit hat mich zu Boden geworfen. Wolltest du mir noch einen Gang gewähren, so wäre das ein Geschenk deiner Gunst.« Lachend erwiderte sie: »Ich willige ein, doch sind die Mädchen schon zu lange gefesselt, und ihre Arme und Seiten ermüdet, es ist daher nur billig, daß ich ihnen die Fesseln löse, da möglichenfalls dieser Ringgang mit dir lange dauert.« Darauf schritt sie zu den Mädchen, löste ihnen die Fesseln und sagte zu ihnen in der Rûmīsprache: »Geht jetzt an einen sichern Ort, bis daß ich das Verlangen dieses Moslems nach euch gedämpft habe.« Als dann die Mädchen fortgegangen waren, während Scharrkân sie betrachtete, und sie nun den beiden zusahen, trat jeder wieder an seinen Gegner heran und preßte Leib an Leib. Als aber sein Leib den Leib des Mädchens berührte, und sie es spürte, hob sie ihn schneller als der blendende 23 Blitz auf und warf ihn zu Boden, daß er auf den Rücken fiel. Dann sagte sie zu ihm: »Steh' auf, ich schenke dir zum zweitenmal das Leben. Das erste Mal habe ich es dir um deines Propheten willen geschenkt, da er Frauen zu töten verboten hat, jetzt zum andern Male schenke ich es dir wegen deiner Schwachheit und Halbwüchsigkeit, und weil du hierselbst in der Fremde bist. Doch trage ich dir auf, wenn es im Heere der Moslems, das von Omar en-Noomân dem Könige von Konstantinopel zu Hilfe entsandt ist, einen stärkeren Ritter als dich giebt, so schicke ihn hierher und erzähle ihm von mir; denn im Ringen giebt's verschiedene Arten, Künste und Griffe, wie Finten, den Vorgriff, den Vollgriff, den Fußgriff, den Schenkelbiß, den Fußstoß und den Beinverschluß.«

Scharrkân antwortete ihr, während ihm der Zorn über sie schwoll: »Bei Gott, meine Herrin, wäre ich Meister Es-Safdī oder Meister Mohammed Kīmâl oder der Sohn Es-Saddīs, wie sie im Flor standen, ich hätte nichts von alledem, was du mir da genannt hast, behalten; denn, meine Herrin, bei Gott, du hast mich nicht durch deine Kraft zu Boden geworfen, sondern mir allein die Sinne durch dein Gesäß benommen; wir vom Volke des IrâkMesopotamien. lieben die feisten Schenkel. Nach den Regeln dieser Kunst bleibt mir nun noch ein Gang übrig; ich habe jetzt meine Frische völlig wiedererlangt.« Als sie seine Worte vernahm, sagte sie: »Was willst du mit diesem Ringen, Überwundener? Komm' her, aber wisse, mit diesem Gange hat es ein Ende.« Darauf bog sie sich wieder vorn über und forderte Scharrkân zum Kampf heraus; ebenso neigte sich Scharrkân vorn über, mit allem Ernst sich vor dem Unterliegen in acht nehmend. Als sie eine Weile miteinander gerungen hatten, und das Mädchen jetzt größere Kraft in ihm als zuvor verspürte, sagte sie zu ihm: »Moslem, jetzt bist du auf deiner Hut.« Er 24 antwortete ihr: »Gewiß, du weißt, daß mir nur noch dieser eine Gang mit dir übrig bleibt, und hernach geht jeder von uns wieder seines Weges.« Da lachte sie ihn an, und er lachte ihr gleichfalls ins Gesicht; in demselben Augenblicke aber packte sie unversehens seinen Schenkel und warf ihn zu Boden, daß er auf den Rücken fiel. Lachend über ihn, sagte sie: »Bist du etwa ein Kleiefresser? Wenn nicht, so bist du doch wie eine Beduinenkappe, die umfällt, wenn man sie anstößt, oder wie der Vater der Winde,Ein Kinderspielzeug. den jeder Lufthauch umbläst. Pfui über dich, Unseliger! Mach' dich fort zum Heere der Moslems und schick' uns einen andern her, dieweil du solch ein Schwächling bist, und laß unter den Arabern, den Persern, Türken und DeilamitenDeilam, die Landschaft südlich vom Kaspischen Meere. ausrufen, daß jeder, der Kraft in sich verspüre, sich wider uns aufmache.]

Hierauf sprang sie wieder auf das andere Ufer und sagte lachend zu Scharrkân: »Es kommt mir hart an, mich von dir trennen zu müssen, mein Herr; doch gehe nun fort zu deinen Gefährten, bevor der Morgen anbricht, daß die Bitrīken nicht über dich kommen und dich mit den Spitzen ihrer Lanzen aufspießen. Wenn du nicht einmal die Kraft hattest ein Weib abzuwehren, wie wolltest du dich dann gegen Ritter verteidigen!« Darauf kehrte sie ihm den Rücken und ging in der Richtung zum Kloster fort; Scharrkân aber rief ihr bestürzt nach: »Meine Herrin, willst du fortgehen und den Fremdling, den in deiner Liebe Gefesselten, den Elenden mit gebrochenem Herzen, allein lassen?« Da wendete sie sich lachend zu ihm um und sagte: »Wonach steht dein Verlangen? Ich gewähre dir deine Bitte.« Scharrkân erwiderte: »Wie konnte ich meinen Fuß auf dein Land setzen und die Süße deiner Huld kosten, um wieder heimzukehren, ohne von deiner Speise genossen zu haben, wo ich doch nunmehr einer deiner Sklaven geworden bin?« Sie entgegnete 25 ihm darauf: »Nur der Gemeine verweigert die gastliche Aufnahme. So beliebe es dir denn im Namen Gottes, auf mein Haupt und mein Auge! Steig' auf dein Roß und reite am Ufer des Baches entlang auf der andern Seite von mir, du bist jetzt mein Gast.«

Erfreut eilte Scharrkân nun zu seinem Roß, setzte sich auf und ritt so lange auf der andern Seite des Baches, bis er an eine Zugbrücke aus Pappelholz gelangte, welche an stählernen Ketten und Rollen hing und mit Haken und Schlössern befestigt war. Wie nun Scharrkân diese Brücke betrachtete, sah er dort die Mädchen, mit welchen sie zuvor gerungen hatte, sie erwartend dastehen. Als sie ihnen nahe gekommen war, redete sie eins derselben in der Rûmīsprache an und sagte zu ihr: »Geh' hin zu ihm, faß' das Pferd an den Zügel und führe ihn ins Kloster.« Während nun das Mädchen ihm über die Brücke voranschritt, sprach Scharrkân, verwirrt von allem, was er sah, bei sich: »Wenn doch auch der Wesir Dendân hier bei mir wäre und seine Augen diese schönen Mädchen sehen könnten!« Dann wendete er sich zu dem Mädchen und sagte zu ihr: »O Wunder der Anmut, nunmehr habe ich zwei Anrechte auf dich; einmal das Anrecht der Kameradschaft und zum zweiten ziehe ich in deine Behausung ein und empfange deine Gastfreundschaft. Da ich nun aber unter deinem Befehl und in deinem Schutze stehe, so gewähre mir noch die Huld und folge mir in das Land des Islams, schau' deine Lust an all den löwenmutigen Männern daselbst und erkenne auch, wer ich bin.«

Als sie seine Worte vernommen hatte, ward sie zornig und sagte zu ihm: »Beim Messias, ich hielt dich für einen Mann von Verstand und Einsicht; nun aber sehe ich, welcher Falsch in deinem Herzen ruht. Wie kannst du dich vermessen eine solche Sprache zu führen, welche deine Verräterei offenbart! Wie könnte ich das wohl thun, da ich weiß, daß ich, sobald ich in euer Reich gekommen bin, vom König Omar en-Noomân nicht mehr loskomme, weil er in all seinen 26 Schlössern kein Mädchen wie mich hat, mag er auch Herr von Bagdad und Chorasân sein und sich zwölf Schlösser nach der Zahl der Monate erbaut und in jedem derselben dreihundertundsechzig Mädchen nach der Zahl der Tage im Jahre untergebracht haben. Komme ich zu ihm, so läßt er mich um eures Glaubens willen nicht los, da es euch freisteht ein Mädchen gleich mir festzuhalten, wie es in euren Schriften heißt: Oder solche, welche eure Rechte erobert hat.Vgl. Koran, Sure IV, Die Weiber. Bei dem Citat ist zu ergänzen: dürft ihr zu Frauen nehmen, selbst wenn sie vorher vermählt waren. Wie sprichst du also solches Wort zu mir? Was aber dein anderes Wort anlangt, daß ich meine Lust schauen soll an den Tapfern unter den Moslems, so hast du, beim Messias, die Unwahrheit gesprochen. Habe ich doch euer Heer vor zwei Tagen gesehen, als ihr unserm Boden und unserm Lande euch nähertet. Ich sah eueren Zug nicht wie ein königliches Heer geordnet, sondern sah nur zusammengebrachte Horden. Wenn du schließlich sagtest, ich sollte dann erkennen, wer du seiest, so bin ich nicht etwa um deinetwillen freundlich zu dir gewesen, sondern habe dies nur aus Stolz und um meinetwillen gethan. Ein Mann wie du darf solches zu einem Mädchen wie ich es bin, nicht sagen, und wäre er auch Scharrkân, der Sohn des Königs Omar en-Noomân, der heutigentags einen stolzen Namen hat.«

Da sprach Scharrkân bei sich: »Vielleicht weiß sie um die Ankunft des Heeres, weiß auch, daß es zehntausend Mann zu Pferd sind, und weiß, daß mein Vater mich mit ihnen dem König von Konstantinopel zu Hilfe entsandt hat.« Dann sagte er zu ihr: »Meine Herrin, ich beschwöre dich bei deinem Glauben, sag' mir den Grund hiervon an, daß ich die Wahrheit von der Lüge unterscheiden kann, und erkenne, bei wem die Schuld liegt.« Sie erwiderte ihm darauf: »Bei meinem Glauben, müßte ich nicht fürchten, daß es bekannt wird, daß ich zu den Töchtern Rûms gehöre, ich 27 wagte mein eigenes Leben im Einzelkampf gegen die zehntausend Reiter, ich fällte ihren Führer, den Wesir Dendân, und brächte ihren Helden Scharrkân in meine Gewalt; keine Schande sollte mich hierbei treffen, denn ich las die Bücher und lernte seine Sitte in arabischer Sprache. Doch habe ich es nicht nötig dir meine Tapferkeit zu beschreiben, da du selber meine Kunst und Stärke im Ringkampf erprobt hast. Wahrlich, wäre heute Nacht Scharrkân selber an deiner Stelle gewesen und wäre ihm geheißen: »Springe über diesen Bach,« er hätte es nicht vermocht und hätte sein Unvermögen bekannt. Ich aber bete zum Messias, daß er ihn mir nur einmal im Kloster hier in die Hand geben möchte und ich gegen ihn in Mannestracht treten könnte; ich wollte ihn fesseln und in Ketten legen.«

Achtundvierzigste Nacht.

Als das nazarenische Mädchen also zu Scharrkân gesprochen, und er es vernommen hatte, wallten Stolz, Ehrgefühl und ritterliche Eifersucht in ihm auf; schon wollte er sich ihr zu erkennen geben und sie mit Gewalt packen, doch da hielt ihn wieder das Übermaß ihrer Schönheit und ihre wunderbare Anmut davon zurück, und er sprach den Vers:

»Mag sich die Schönheit auch in einem Punkt vergehn,
In ihren Reizen stehn ihr tausend Advokaten bei.«

Wie sie nun ihm voranschritt, und er, ihr nachfolgend, ihren Rücken sah, und seine Blicke auf ihre Hüften fielen, die wie die Wogen in brandender Flut hin und her wogten, sprach er folgende Verse:

»In ihrem Angesicht ist ein Fürsprecher, der ihre Sünden auslöscht,
Daß aller Herzen seine Fürsprache annehmen müssen.
Da ich sie schaute, rief ich entzückt: Sieh da der Mond,
In der Nacht seiner Vollendung steht er am Himmel.
Wenn selbst der Ifrît der BilkîsBilkîs oder Balkîs ist die Königin von Saba. Der Ifrît der Bilkîs ist jener Ifrît, welcher auf Salomos Begehren ihren Thron in einem Augenblicke aus Saba vor ihn brachte. Vgl. Koran, Sure 27 v. 38–39. mit ihr ränge,
Trotz seiner Riesenstärke läge er im Nu am Boden.« 28

Als sie nun zu einem von marmornem Bogen überwölbten Thor kamen, öffnete das Mädchen dasselbe, worauf Scharrkân mit ihr in eine lange, auf zehn miteinander verbundenen Arkaden ruhende Halle eintrat, an jeder von denen eine krystallene Lampe hing, die hell wie die Sonne strahlte. Am Ende der Halle empfingen sie die Mädchen mit parfümierten Wachskerzen, auf dem Kopfe Turbane mit reichstem Edelsteinbesatz tragend; dann schritten die Mädchen ihr voran, und Scharrkân folgte ihr nach, bis daß sie ins Kloster selber gelangten, in welchem er rings im Kreise Sofas stehen sah, eins immer gegenüber dem andern, und alle mit goldverzierten Vorhängen überhangen. Der Fußboden war in Marmormosaik gearbeitet, mitten im Saale stand ein Wasserbecken mit vierundzwanzig goldenen Röhren, welche das Wasser in silbernen Strahlen springen ließen, und auf dem gegenüberliegenden Ende des Saales gewahrte er ein Sofa, welches mit Seide, so kostbar sie nur in einem Königspalaste zu schauen ist, überzogen war.

Als sie hier angelangt waren, sagte das Mädchen zu ihm: »Mein Gebieter, laß dich auf diesem Sofa nieder.« Scharrkân gehorchte ihr, und nun ging sie fort. Da sie aber lange fortblieb, fragte er einige der Diener nach ihr; dieselben gaben ihm zur Antwort: »Sie ist in ihr Schlafgemach gegangen, doch stehen wir, ihren Befehlen gehorchend, zu deinen Diensten.« Darauf brachten sie ihm auserlesene Gerichte, und er aß, bis er genug hatte. Dann stellten sie ihm ein Becken und einen Eimer, beide aus Gold, vor ihn, und er wusch sich, doch war sein Herz voll Unruhe über sein Heer, da er nicht wußte, was während seiner Abwesenheit mit ihm vorgefallen war. Ebenso gedachte er des Auftrags seines Vaters, den er vergessen hatte, so daß er bestürzt wurde und Reue über sein Thun empfand. Seufzend und im Meere des Kummers versunken, sah er die Morgenröte anbrechen und den Tag nahen und sprach die Verse: 29

»Klugheit ist's nicht, an der mir's gebricht,
Doch weiß ich in meiner Lage nicht aus noch ein.
Wollte nur jemand den Bann der Liebe von mir nehmen,
Durch meine eigene Kraft und Stärke würde ich mich befreien;
Doch mein Herz ist völlig der Thorheit der Liebe verfallen,
Und nur auf Gott hoff' ich in meiner Not.«

Als er seine Verse beendet hatte, sah er ein stolzes Gepränge nahen und siehe! da waren's mehr als zwanzig Mädchen gleich Monden, welche ihre Gebieterin rings umgaben wie die Sterne den Vollmond; sie hatte eine Königskrone aufgesetzt und trug um ihren Leib einen mit allerlei Edelsteinen besetzten Gürtel, welcher ihre Taille eng zusammenschnürte, so daß das Gesäß wie ein krystallener Hügel unter einem silbernen Schaft, an dem die Brüste wie große Granatäpfel prangten, hervorragte. Als Scharrkân dieses sah, flog ihm fast der Verstand vor Freude fort; er vergaß Heer und Wesir und betrachtete nur ihren Kopf, auf welchem sie ein Perlennetz mit Edelsteinbesatz trug. Wie sie nun wunderbar schwebend und von den Mädchen gefolgt, die ihre Schleppe trugen, herankam, sprang Scharrkân in ehrfürchtiger Bewunderung ihrer Schönheit und Anmut auf und rief: »Ach, der bestrickend schöne Gürtel!« und sprach die Verse:

»Mit schwerem Gefäß und schwank wie ein Reis,
Mit zarten, schwellenden Brüsten kommt sie genaht;
Ihrer Liebe Verlangen verbirgt sie tief,
Wo die Glut meines Herzens lodernd flammt.
Ein Troß von Dienern umschwirrt sie bunt,
Wie Perlen, bald locker bald aufgereiht.«

Das Mädchen aber betrachtete ihn lange und immer wieder, bis sie ihrer Sache sicher war und ihn erkannt hatte; dann trat sie zu ihm heran und sagte: »Fürwahr, dem Platz ist durch dich Ehre widerfahren, Scharrkân; wie hast du deine Nacht verbracht, mein Held, nachdem wir fortgegangen waren und dich verlassen hatten?« Hierauf fügte sie noch hinzu: »Die Lüge ist bei Königen ein Makel und eine Schande, besonders aber bei den großen unter den Königen, der du 30 Scharrkân bist, der Sohn Omar en-Noomâns; verleugne drum nicht deine Person und deinen Adel, verbirg' deine Sache nicht vor mir und laß mich hinfort nichts als die lautere Wahrheit vernehmen, denn die Lüge schafft Haß und Feindschaft. Bist du doch schon von dem Pfeil des Schicksals durchbohrt und kommt dir stille Ergebenheit zu.«

Als Scharrkân ihre Worte vernahm und die Nutzlosigkeit weiteren Leugnens einsah, that er ihr die Wahrheit kund und sagte: »Ja, ich bin Scharrkân, der Sohn Omar en-Noomâns, den die Zeit gestraft und an diesen Ort geworfen hat. Was du thun willst, das thue jetzt.« Da senkte sie den Kopf geraume Zeit zu Boden; dann redete sie ihn an und sagte: »Sei guten Mutes und kühlen Auges,Das »heiße Auge« ist das zornige oder weinende Auge. du bist mein Gast, und Brot und Salz, Rede und Verkehr haben uns schon verbunden. Du stehst hinfort unter meinem Schutz und Schirm und darfst sicher sein. Beim Messias, wenn die ganze Welt sich aufmachte dir ein Leides zu thun, so sollten sie nicht eher an dich kommen, als ich für dich mein Leben gelassen habe, da du unter dem Schutze des Messias und dem meinigen stehst.«

Hierauf setzte sie sich an seine Seite und scherzte mit ihm, bis ihm alle Furcht entschwunden war, und er einsah, daß sie, wenn es ihre Absicht gewesen wäre ihn zu töten, es in der verflossenen Nacht gethan hätte. Nun gab sie einem Mädchen in der Rûmīsprache einen Auftrag, worauf dieselbe fortging und nach kurzer Abwesenheit mit Trinkgeschirr und einem Tisch mit Speisen wiederkam. Scharrkân zauderte jedoch zu essen, indem er bei sich sprach: »Vielleicht hat sie etwas an die Speisen gethan.« Seine Gedanken durchschauend, wendete sie sich zu ihm und sagte: »Beim Messias, nichts dergleichen ist geschehen und nichts von dem, was du besorgst, ist an den Speisen. Wäre es mir in den Sinn gekommen dich zu töten, so hätte ich es doch vorher gethan.« 31 Dann trat sie an den Tisch und aß von jeder Speise einen Bissen, worauf Scharrkân nun ebenfalls aß, und das Mädchen erfreut mit ihm speiste, bis sie sich satt gegessen hatten. Nachdem sie sich dann die Hände gewaschen hatten, stand sie auf und befahl einem Mädchen duftige Kräuter und goldene, silberne und krystallene Trinkbecher zu holen und auch Wein der verschiedensten Farben und köstlichsten Sorten vorzusetzen. Als sie alles Verlangte gebracht hatte, füllte das Mädchen den ersten Becher und leerte ihn, bevor sie ihn Scharrkân überreichte, wie sie es zuvor mit den Speisen gethan hatte, dann füllte sie einen zweiten und reichte ihn Scharrkân. Nachdem er ihn getrunken hatte, sagte sie zu ihm: »Moslem, schau', wie du nun herrlich und in Freuden lebst,«

Neunundvierzigste Nacht.

und ließ nicht ab mit ihm zu trinken und ihm einzuschenken, bis er, von Wein und Liebe berauscht, die Herrschaft über seine Sinne verlor. Dann befahl sie dem Mädchen: »Mardschâne,Koralle. bring' uns einige Musikinstrumente.« Das Mädchen antwortete: »Ich höre und gehorche,« ging fort und kam nach einem Augenblicke mit einer DschillckerDschillik, altes Wort für Damaskus. Laute, einer persischen Harfe, einer tatarischen Flöte und einer ägyptischen Zither. Nun nahm sie die Laute zur Hand, stimmte ihre Saiten und begleitete ihr Spiel mit sanfter Stimme, schmeichelnder wie der Zephyr und süßer als das Tasnîmwasser,Tasnîm, eine Quelle im Paradiese. indem sie, ihre Hörer entzückend, die Verse sang:

Gott verzeih' deinen Augen, die Ströme von Blut vergossen,
Den glänzenden Blicken, die so viel Pfeile entsandt.
Das Herz, das hart in der Liebe, sei mir gepriesen,
Milde und Mitleid sei in der Liebe verwehrt.
Heil dem Auge, das zur Nacht durch dich keinen Schlummer findet,
Und Heil dem Herzen, das am Tage dein Sklave ward!
Du hast mir den Tod verhängt, mein Herr und mein Gebieter,
Und siehe, mit meinem Leben lös' ich dich aus. 32

Hierauf stand eines der Mädchen auf, nahm ein Instrument, spielte und trug dazu Verse in der Rûmīsprache vor, daß Scharrkân ganz bezaubert wurde. Dann sang ihre Herrin ebenfalls in derselben Sprache ein Lied und fragte ihn: »Moslem, verstandest du meine Worte?« Er antwortete: »Nein, doch deine schönen Fingerspitzen haben mich bezaubert.« Da versetzte sie lachend: »Was würdest du thun, wenn ich dir ein arabisches Lied vortrüge?« Er entgegnete: »Dann würde ich völlig meinen Verstand verlieren.« Nun nahm sie ein Musikinstrument, änderte das Spiel und trug in arabischer Sprache ein Lied vor, welches eine Klage über die Trennung von dem Geliebten und die Bitterkeit eines solchen Loses enthielt.

Als sie dann nach Scharrkân hinsah, fand sie, daß er völlig geistesabwesend war und der Länge nach zwischen den Mädchen dalag. Sobald er aber wieder zu sich kam und sich des Gesanges erinnerte, packte ihn neues Entzücken. Hierauf machten sich das Mädchen und Scharrkân von neuem an den Wein und hörten nicht auf zu spielen und zu scherzen, bis der Tag mit dem Abend gewichen war und die Nacht ihre Fittiche ausspannte, worauf sich das Mädchen wieder in ihr Schlafgemach begab. Als er sich nach ihr erkundigte, sagten sie ihm: »Sie ist in ihr Schlafgemach gegangen,« und Scharrkân setzte hinzu: »Unter Gottes Schutz und Schirm.«

Am andern Morgen kam eins der Mädchen zu ihm und sagte: »Meine Herrin ladet dich zu sich ein.« Scharrkân erhob sich und folgte ihr; wie er dann nahe an ihr Gemach kam, empfingen ihn die Mädchen und geleiteten ihn in festlichem Zuge mit Pauken und Gesang, bis er an eine große elfenbeinerne, mit Perlen und Edelsteinen besetzte Thür gelangte. Durch dieselbe eintretend, sah er sich nun in einer großen Halle, auf deren gegenüberliegender Seite sich ein großer Līwân befand, dessen Boden mit den verschiedensten seidenen Decken belegt war, und der rings herum aus offenen Fenstern auf Bäume und Bäche Aussicht gewährte. Im 33 Innern standen menschliche Figuren, durch welche die Luft blies, so daß in ihrem Innern Instrumente in Bewegung gesetzt wurden, und der Beschauer sie sprechen zu hören glaubte. Als das Mädchen, das auf sie wartend dagesessen hatte, Scharrkân erblickte, stand sie auf, faßte ihn an die Hand und ließ ihn an ihrer Seite Platz nehmen; dann fragte sie ihn, wie er die Nacht zugebracht hätte, und er wünschte ihr Gottes Segen. Wie sie nun saßen und miteinander plauderten, sagte sie zu ihm: »Weißt du nicht etwas, was auf Liebende Bezug hat, die in den Fesseln der Liebe schmachten?« Scharrkân erwiderte: »Jawohl, sogar in Versen.« Da sagte sie: »So laß es mich hören.« Hierauf trug ihr Scharrkân einige Verse des Dichters El-Kuthajjir vor, in denen er seine Geliebte Asse besungen hatte. Als sie die Verse vernommen hatte, sagte sie: »El-Kuthajjir besaß in der That eine bewundernswerte Sprache und außerordentliche Beredsamkeit in der Schilderung von Asses Reizen, und auch Asse soll ein Wunder von Schönheit und Anmut gewesen sein. Vielleicht aber, mein Prinz, kannst du uns noch etwas von Dschamîl vortragen?« Scharrkân erwiderte: »Gerade von ihm weiß ich mehr als jeder andere,« und trug die Verse Dschamîls vor:

Sie rufen: Zum heiligen Kampfe, Dschamîl!
Doch mit Schönen nur führ' ich den heiligen Kampf.
Ihr holdes Geplauder ist Glück mir und Lust,
Und Märtyrer jeder, den je sie gefällt.
Und klag' ich: »Butheine, was bricht mir das Herz?«
So sagt sie: »Die Liebe, die dauert und wächst.«
»Zum Leben nur laß mir ein Restchen Verstand!«
So sagt sie: »Der ist dir für immer geraubt.«
»Ich weiß es, ich weiß es, du willst meinen Tod,
Und sieh', ich begehre nichts andres als dich.«

Als sie seine Verse vernommen hatte, sagte sie: »Das hast du gut gemacht, mein Prinz; doch was wollte Butheine mit Dschamîl thun, daß er den Halbvers sprach: Ich weiß es, ich weiß es, du willst meinen Tod?« Scharrkân 34 erwiderte ihr: »Meine Herrin, sie wollte dasselbe mit ihm thun wie du mit mir, und auch damit bist du noch nicht zufrieden.« Bei diesen Worten Scharrkâns lachte sie; dann tranken sie wieder, bis der Tag sich wendete, und die Nacht mit ihrem Dunkel hereinbrach, worauf das Mädchen sich erhob und sich zur Ruhe nach ihrem Schlafgemach begab, und auch Scharrkân in seinem Gemach ruhte, bis der Morgen kam. Als er dann erwachte, kamen die Mädchen wieder mit Tamburins und Musikinstrumenten, küßten die Erde vor ihm und sagten: »Beliebe es dir, unsere Herrin entbietet dich zu ihr.« Darauf erhob sich Scharrkân und schritt von den Mädchen umgeben, welche die Tamburins und die Musikinstrumente schlugen, bis er aus jenem Saal in einen andern gelangte, der noch größer war als der erste, und mit Bildern und Figuren von Vögeln und wildem Getier in unbeschreiblicher Weise geschmückt war, so daß Scharrkân über all die Kunst, die hier zu schauen war, erstaunte. Als ihn das Mädchen erblickte, faßte sie ihn an die Hand, ließ ihn an ihrer Seite Platz nehmen und sagte zu ihm: »Da du der Sohn des Königs Omar en-Noomân bist, kannst du wohl gut Schach spielen?« Scharrkân antwortete: »Gewiß.«

Da setzte sie ein Schachbrett vor ihn und spielte mit ihm; so oft er aber nach ihrem Zuge sehen wollte, blieben seine Blicke an ihrem Antlitz haften, so daß er das PferdDas Pferd ist der Springer, der Elefant der Läufer. mit dem Elefanten und den Elefanten mit dem Pferde vertauschte. Lachend sagte sie: »Wenn du so spielst, so verstehst du nichts vom Schach.« Scharrkân erwiderte: »Urteile nicht nach dem ersten Spiel.« Als sie ihn nun besiegt hatte, stellte sie die Figuren von neuem auf; als sie ihn aber auch im zweiten, dritten, vierten und fünften Spiele mattgesetzt hatte, sagte sie: »Du bist in allem unterlegen.« Doch Scharrkân versetzte: »Ach, meine Herrin, von dir besiegt zu werden ist schön.« Hierauf befahl sie die Speisen zu bringen. Nachdem 35 sie dann gegessen und sich die Hände gewaschen hatten, befahl sie Wein zu bringen, und sie tranken. Dann griff sie zur Zither, die sie herrlich zu spielen wußte, und trug dazu Verse vor. In dieser Weise brachten sie wieder die Zeit hin, bis die Nacht kam und den Tag abschloß, der noch schöner als der erste gewesen war. Nachdem sie dann beide ihr Lager aufgesucht und bis zum andern Morgen geruht hatten, kamen die Mädchen wieder mit Tamburins und Musikinstrumenten zu ihm und geleiteten ihn wie zuvor zu dem Mädchen, das bei seinem Anblick aufstand, ihn an die Hand faßte und an ihrer Seite Platz nehmen ließ, worauf sie ihn nach seiner Nachtruhe fragte. Scharrkân wünschte ihr langes Leben, und nun nahm sie die Laute und trug die beiden Verse vor:

Denk' nimmer ans Scheiden, denn Scheiden schmeckt bitter,
Die Sonne wird gelb auch vor Kummer beim Scheiden.

Da wurden sie plötzlich von lautem Lärm unterbrochen und erblickten, als sie sich umwendeten, einen heranstürmenden Haufen von Streitern, Knappen und Bitrîken mit gezückten blitzenden Schwertern, die in der Rûmīsprache riefen: »Nun bist du uns in die Hände gefallen, Scharrkân; sei deines Todes gewiß!« Als Scharrkân dies vernahm, sprach er bei sich: »Hat dieses hübsche Mädchen mich etwa doch betrogen und mich so lange hingehalten, bis ihre Mannen kamen, jene Bitrîken, mit denen sie mir bange machen wollte? Doch ich habe mir dies allein eingebrockt und mich ins Verderben gestürzt.« Wie er jedoch sich zu ihr wendete, um sie zu schelten, sah er, daß sich ihr Antlitz völlig verfärbt hatte; nun sprang sie auf und rief ihnen zu: »Wer seid ihr?« Der Anführer antwortete: »Vieledle Königin und kostbare Perle, weißt du nicht, wer bei dir weilt?« Sie erwiderte: »Ich weiß es nicht; wer ist's?« Der Bitrîk antwortete: »Das ist der Länderverwüster und Degen kühnster, das ist Scharrkân, der Sohn des Königs Omar en-Noomân, der Burgenzertrümmerer und Platzerstürmer; der König Hardûb hörte von Zât ed-Dawâhī, der Alten, daß er hier weilt, und dein 36 Vater, unser König, vernahm von ihr, daß du Rûms Heer durch die Gefangennahme dieses verderblichen Löwen errettet hast.«

Als sie diese Worte des Bitrîken vernommen hatte, blickte sie ihn an und fragte ihn: »Wie heißest du?« Er antwortete: »Ich heiße Māsûre, der Sohn deines Sklaven Mūsûre, des Sohnes des Kāscharde, der Bitrîkenbitrîk.« Nun fragte sie: »Und wie kamst du ohne meine Erlaubnis hier herein?« Er antwortete: »Meine Herrin, als ich hier anlangte, hinderte mich weder ein Kämmerling noch ein Thorwächter, vielmehr erhoben sich alle Thorwächter und gingen uns voran, gemäß ihres Amtes, nach welchem sie nur andere an der Thür stehen lassen, bis sie die Erlaubnis zu ihrem Eintritt erwirkt haben; doch ist dies nicht die Zeit für lange Reden, da der König auf unsere Rückkehr mit diesem Könige wartet, der da ist der Funken von der Kohle der Heerschar des Islams, daß er ihn töte und sein Heer dorthin jage, von wannen es gekommen ist, ohne daß die Plage des Kampfes mit ihnen nötig ist.«

Als das Mädchen diese Worte von ihm vernahm, sagte sie: »Das sind keine guten Worte; Zât ed-Dawâhī, die Alte hat gelogen und windiges Zeug geschwätzt, da sie nicht weiß, wie die Wahrheit um ihn steht. Beim Messias, der, welcher bei mir weilt, ist weder Scharrkân noch ist er gefangen; es ist vielmehr ein Mann, der zu uns kam und uns um Gastfreundschaft anging, die wir ihm gewährten. Wären wir aber auch dessen sicher und gewiß, daß es Scharrkân ist, und wäre kein Zweifel daran, so ziemte es nicht meiner Ehre, daß ich ihn in eure Hände auslieferte, da er unter meinen Schutz und Schirm getreten ist. Lasset mich also nicht zum Verräter an meinem Gastfreund werden und entehrt mich nicht vor aller Welt, sondern zieh' heim zum Könige, meinem Vater, küsse die Erde vor ihm und vermelde ihm, daß sich die Sache ganz anders verhält als Zât ed-Dawâhī, die Alte, angegeben hat.« 37

Der Bitrîk Māsûre erwiderte ihr jedoch: »Abrîse, ich darf zum Könige ohne seinen Widersacher nicht heimkehren.« Da sagte sie erzürnt: »Weh dir, wie darfst du solche Worte wagen! zieh' mit dieser Antwort heim, dich soll kein Tadel treffen.« Māsûre aber erwiderte: »Ich darf nur mit ihm heimkehren.« Da wechselte sie die Farbe und sagte zu ihm: »Mach' nicht so viel Worte und schwatz' nicht so viel Unsinn; dieser Mann wäre nicht zu uns gekommen, wenn er sich nicht vertraute, hundert Rittersleute allein bestehen zu können; und, wenn ich zu ihm sagte: »Du bist Scharrkân, der Sohn Omar en-Noomâns,« so würde er es bejahen. Ihr vermögt es nicht ihm den Weg zu verstellen, denn wolltet ihr euch dessen unterfangen, so würde er nicht eher von euch ablassen, bis er alle von euch, die ihr hier stehet, erschlagen hätte. Seht, hier ist er, und hier stelle ich ihn vor euch mit Schwert und Tartsche gewappnet.«

Der Bitrîk Māsûre erwiderte ihr darauf: »Wäre ich auch sicher vor deinem Zorn, so bin ich doch nicht sicher vor dem Zorne deines Vaters. Sehe ich ihn, so winke ich den Bitrîken, und sie fesseln ihn und führen ihn in Schimpf und Schmach vor den König.« Als sie dies vernahm, sagte sie: »Das wird nicht geschehen, da es ein schamloses Beginnen wäre. Ist er doch ein einzelner Mann und ihr seid hundert Bitrîken. Wollt ihr ihn bestehen, so berennet ihn einer nach dem andern, daß der König erkennen mag, welcher unter euch der weidlichste Held ist.«

Fünfzigste Nacht.

Darauf antwortete der Bitrîk Māsûre: »Beim Messias, du hast die Wahrheit gesprochen, und niemand anders als ich selbst soll zuerst antreten.« Das Mädchen antwortete: »So warte nur noch, bis ich zu ihm gegangen bin und ihm den Stand der Dinge mitgeteilt habe, und du seine Antwort erschaust. Willigt er ein, so sei es also, wenn nicht, so werdet ihr nimmer an ihn kommen, da ich selbst mit 38 allen Leuten und Mädchen im Kloster sein Lösegeld sein will.« Hierauf ging sie zu Scharrkân und meldete ihm den Stand der Dinge. Scharrkân lächelte, da er nun sah, daß sie keinen Verrat an ihm geübt, und daß die Kunde von ihm ohne ihr Wissen und Willen dem König zu Ohren gekommen war. Wiederum aber machte er sich Vorwürfe und sprach bei sich: »Wie konnte ich mein Leben im Lande Rûm aufs Spiel setzen!« Darauf sagte er zu dem Mädchen: »Wenn sie einer nach dem andern gegen mich antreten, so dürfte ihnen das übel bekommen; sie sollen immer zehn auf einmal gegen mich anrennen.« Dann sprang er auf und eilte in Wehr und Waffen zu ihnen. Als ihn der Bitrîk erblickte, sprang er auf ihn los und berannte ihn, Scharrkân aber empfing ihn wie ein Löwe und versetzte ihm einen Schwertstreich auf die Schulter, daß der Stahl blitzend aus seinen Eingeweiden herausfuhr. Als das Mädchen dies sah, stieg Scharrkân hoch in seinem Werte bei ihr, und sie erkannte, daß sie ihn nicht durch ihre Kraft, sondern allein durch ihre Schönheit und Anmut niedergerungen hatte. Nun trat sie an die Bitrîken heran und rief ihnen zu: »Nehmt Rache für euern Gefährten!« Da trat der Bruder des Erschlagenen wider ihn heraus, ein trotziger Recke, und rannte wider Scharrkân, aber Scharrkân versetzte ihm ohne Gnadenfrist einen Schwertstreich auf die Schulter, daß der Stahl blitzend aus seinen Eingeweiden herausfuhr. Da rief das Mädchen von neuem: »Ihr Diener des Messias, nehmet Rache für eure Gefährten!« und einer nach dem andern rannte wider Scharrkân, dessen Schwert mit ihnen spielte, bis er fünfzig Bitrîken erschlagen hatte, während das Mädchen dem Kampfe zuschaute. In die Herzen der übrigen aber warf Gott solchen Schrecken, daß sie zurückwichen und nicht mehr im Einzelkampfe wider ihn vorgingen, sondern insgesamt auf ihn losstürzten. Er aber rannte gleichfalls wider sie mit einem Herzen härter als Felsen, zermahlte und zerdrasch sie und raubte ihnen Sinn und Seele, bis das Mädchen die andern Mädchen fragte: 39 »Wer ist noch im Kloster übergeblieben?« und sie antworteten: »Nur noch die Thorwächter sind übrig geblieben.« Dann schritt ihm die Königin entgegen und zog ihn an ihre Brust, worauf beide nach Beendigung des Kampfes zum Schlosse gingen.

Einige von ihnen waren jedoch übrig geblieben und hatten sich in den Zellen des Klosters versteckt. Als sie dieselben gewahrte, verließ sie Scharrkân; nach kurzer Zeit aber kehrte sie zu ihm in engmaschigem Ringpanzer zurück, in der Rechten einen indischen Stahl schwingend, und sagte: »Beim Messias, ich will gegen meinen Gastfreund nicht mit mir selber geizen und ihn im Stich lassen, mag ich deswegen auch im Lande Rûm zum Schandfleck werden.« Darauf musterte sie die Bitrîken und fand ihrer achtzig erschlagen und zwanzig entronnen. Als sie so sah, wie er mit dem Volke verfahren war, sagte sie zu ihm: »Ein Held wie du darf gern der Ritter Stolz und Ruhm sein, gesegnet seist du von Gott, Scharrkân!« Er aber stand auf, wischte das Blut der Erschlagenen von der Klinge seines Schwertes und sprach die Verse:

»Wie viele Scharen schon hab' ich berannt,
Gefällt ihre Helden zum Löwenfraß!
Fragt nur die Kämpen nach mir, wenn ihr wollt;
Die Löwen der Schöpfung, ich hab' sie gestreckt
An dem Tage der Walstatt auf glühenden Sand;
Dort ruhn sie gebettet auf weitem Plan.«

Als er seine Verse beendet hatte, trat das Mädchen lächelnd an ihn heran, küßte seine Hand und legte ihren Panzer wieder ab. Er aber fragte sie: »Meine Herrin, weshalb hattest du den Ringpanzer angelegt und dein Schwert gezogen?« Sie antwortete: »Aus Furcht für dich um dieser Elenden willen.« Dann rief sie die Thorwächter und sagte zu ihnen: »Wie konntet ihr die Boten des Königs mein Haus ohne meine Erlaubnis betreten lassen?« Sie antworteten: »O Königin, es ist doch nicht unser Brauch für 40 die Boten des Königs deine Erlaubnis zu erwirken, insbesondere wenn es der Großbitrîk ist.« Sie aber entgegnete: »Mir deucht es, ihr wolltet nichts anderes als meine Schande und den Tod meines Gastfreundes.« Dann befahl sie Scharrkân ihre Köpfe springen zu lassen. Als er ihren Befehl vollzogen hatte, sagte sie zu den übrigen ihrer Diener: »Sie hätten noch mehr als das verdient.« Darauf wendete sie sich zu Scharrkân und sagte zu ihm: »Nunmehr ist dir bekannt geworden, was verborgen war, und nun will ich dir auch meine Geschichte kundthun. Wisse, ich bin die Tochter Hardûbs, des Königs von Rûm, und heiße Abrîse; die Alte aber, Zât ed-Dawâhī genannt, ist meine Großmutter, die Mutter meines Vaters; sie ist's, die meinem Vater von dir vermeldete, und sicherlich plant sie jetzt mein Verderben, zumal da du die Bitrîken meines Vaters erschlagen hast, und es ruchbar wird, daß ich für die Moslems Partei genommen habe. Das richtige ist nun, daß ich mich von hier fortmache, so lange Zât ed-Dawâhī hinter mir her ist, und daher heische ich von dir, daß du mir dieselbe Freundlichkeit zu teil werden lässest, wie ich sie dir zu teil werden ließ. Da nunmehr Feindschaft zwischen mir und meinem Vater erstanden ist, so unterlaß nichts von meinen Worten, denn alles dies ist nur um deinetwillen geschehen.«

Als Scharrkân diese ihre Worte vernahm, flog ihm der Verstand vor Freude fort; seine Brust dehnte sich weit und froh, und er sagte: »Bei Gott, keiner soll dir nahen, so lange noch Odem in meinem Leibe ist; wirst du es aber ertragen können dich von deinem Vater und deiner Sippe zu trennen.« Sie antwortete: »Ja;« da schwor ihr Scharrkân, was sie von ihm verlangte, und beide schlossen Bund und Gelöbnis darauf. Dann sagte sie: »Nun ist mein Herz wieder in Frieden, doch bleibt dir noch eine Aufgabe zu thun übrig.« Er fragte: »Welches ist sie?« Sie antwortete: »Du mußt mit deinem Heere in dein Land heimkehren.« Da sagte Scharrkân zu ihr: »Meine Herrin, siehe, mein Vater Omar 41 en-Noomân hat mich ausgesandt wider deinen Vater zum Streit um des Gutes willen, das er geraubt hat, unter welchem sich auch drei Edelsteine von hohen Segnungen befinden.« Sie antwortete ihm jedoch: »Sei guter Dinge und kühlen Auges; ich will dir sagen, was es mit ihnen auf sich hat, und dir auch die Ursache unserer Feindschaft mit dem Könige von Konstantinopel erzählen. Die Sache steht so: Wir haben ein Fest, das da heißt das Klosterfest, an welchem sich alljährlich die Könige aus allen Ländern, die Töchter der Großen und Kaufleute versammeln und sieben Tage dasselbe feiern, zu denen ich auch gehörte. Als nun aber Feindschaft zwischen uns entstand, hielt mich mein Vater von dem Besuche jenes Festes sieben Jahre lang zurück. Da traf es sich nun eines Jahres, daß die Töchter der Großen von allen Seiten aus ihren Ortschaften wie üblich zu diesem Feste zum Kloster kamen, unter denen sich auch die Tochter des Königs von Konstantinopel, Sophia geheißen, befand. Nachdem sie sechs Tage lang im Kloster verweilt hatten, und die Leute am siebenten Tage heimzogen, sagte Sophia: »Ich will nach Konstantinopel nur zur See heimkehren.« Darauf wurde ihr ein Schiff ausgerüstet, und sie stieg mit ihrem Gefolge hinein. Als sie aber die Segel ausgespannt hatten und aufs Meer hinausgezogen waren, blies ihnen ein widriger Wind entgegen, welcher das Schiff aus seinem Kurs warf, und sie nach dem Schicksal und Verhängnis einem nazarenischen Schiffe von der Kampferinsel, das mit fünfhundert bewaffneten Franken besetzt war, und schon längere Zeit auf dem Meere gelauert hatte, in den Weg trieb. Als dieselben das Segel des Schiffes, auf welchem sich Sophia mit ihren Mädchen befand, erblickten, setzten sie ihm mit voller Kraft nach und holten es in kurzer Zeit ein, worauf sie die Enterhaken auf dasselbe warfen, es ins Schlepptau nahmen und mit vollen Segeln ihrer Insel zustrebten. Schon waren sie derselben ganz nahe gekommen, als der Wind umsprang, ihre Segel zerriß, und sie nahe unserer Küste auf 42 ein Riff warf. Wir aber machten uns auf, indem wir sie für eine gute Strandbeute erachteten, nahmen sie gefangen, erschlugen die Männer und nahmen als Beute alles Geld, alle Kostbarkeiten und die Mädchen samt der Königstochter Sophia, deren Anzahl vierzig betrug. Dann führten wir die Mädchen zu unserm Vater, ohne daß wir wußten, daß sich unter ihnen auch die Tochter des Königs Afrīdûn von Konstantinopel befand. Mein Vater wählte sich nun zehn Mädchen aus, darunter auch die Tochter des Königs, und verteilte die andern unter seine Umgebung; fünf aber von den zehn Mädchen, darunter auch die Tochter des Königs, sonderte er ab und übersandte sie deinem Vater Omar en-Noomân mit Tuchen, Wollenstoffen und griechischen Seidenzeugen als Geschenk. Dein Vater nahm das Geschenk an und wählte für sich selber Sophia, die Tochter des Königs Afrīdûn, aus den fünf Mädchen aus. Zu Anfang dieses Jahres nun schickte ihr Vater an den meinigen ein Schreiben, dessen Worte zu erwähnen nicht für mich notwendig sind; er suchte ihn jedoch mit diesem Schreiben zu schrecken und machte ihm Vorwürfe, indem er schrieb: »Vor zwei Jahren habt ihr ein Schiff von uns genommen, das sich in der Hand einer Schar fränkischer Räuber befand, auf welchem nebst sechzig andern Mädchen auch meine Tochter Sophia war, und habt mir niemand geschickt, der es mir ansagte. Ich aber konnte die Sache aus Furcht, daß mir unter den Königen dadurch Schande erwüchse und ich meiner Tochter Ehre bloßstellte, nicht ruchbar machen. Nachdem ich darüber bis zu diesem Jahre Schweigen beobachtet hatte, kam ich in der Weise dahinter, daß ich an jene Seeräuber schrieb und bei ihnen nach meiner Tochter Erkundigungen einzog; ich stellte ihnen eine Falle, indem ich sie aufforderte ihr nachzuforschen und mir dann Nachricht zu geben, bei welchem der Inselkönige sie weilte; darauf erwiderten sie mir, daß sie, bei Gott, meine Tochter nicht aus meinem Lande geraubt hätten.« Des weitern schrieb er dann noch in seinem Briefe 43 an meinen Vater: »Wenn du nicht Feindschaft zwischen mir und dir bezweckst, und weder mir Schmach noch meiner Tochter Schande bereiten willst, so sendet unverzüglich nach Empfang meines Schreibens meine Tochter heim; mißachtet ihr aber mein Schreiben und widersetzt ihr euch meinem Befehle, so soll euch für euer schimpfliches Thun und euer schandbares Vergehen Gleiches mit Gleichem vergolten werden.« Als dieses Schreiben meinem Vater zu Händen kam, und er es gelesen und Kenntnis von seinem Inhalt genommen hatte, bedrückte es ihn und er bedauerte nicht gewußt zu haben, daß sich die Tochter des Königs, Sophia, unter den Mädchen befunden hatte, um sie ihrem Vater wieder zurücksenden zu können. In seiner Verlegenheit und nicht imstande nach so langer Zeit von dem Könige Omar en-Noomân ihre Rücksendung zu erbitten, zumal da wir vor kurzer Zeit vernommen hatten, daß dem Könige Omar en-Noomân von seiner Sklavin Sophia, der Tochter des Königs Afrīdûn, Kinder geschenkt waren, und wir uns dessen vergewissert hatten, erkannte mein Vater, daß dieser Brief das größte Unglück bedeutete, und fand keinen andern Ausweg als daß er sich bei dem Könige Afrīdûn in seiner Antwort entschuldigte und ihm unter Eiden beteuerte nichts davon gewußt zu haben, daß sich unter den Mädchen auf jenem Schiffe auch seine Tochter befunden hätte. Des weitern teilte er ihm auch mit, daß er sie dem Könige Omar en-Noomân geschickt hätte, und daß diesem von ihr Kinder geschenkt seien.

Als nun das Schreiben meines Vaters dem Könige Afrīdûn von Konstantinopel zu Händen kam, sprang er auf, setzte sich, tobte, schäumte und rief: »Wie! soll meine Tochter wie eine Sklavin in die Gefangenschaft geschleppt werden, unter Königen von Hand zu Hand gehen und ohne Ehekontrakt ihr Lager teilen? Beim Messias und dem lautern Glauben, ich darf mich über diese Sache nicht hinwegsetzen; ich muß Blutrache nehmen, die Schande auslöschen und eine That thun, von der man nach mir singen und sagen soll.« 44

So hielt er an sich, bis er Listen geschmiedet und große Ränke ersonnen hatte und zu deinem Vater Omar en-Noomân Gesandte schickte, die ihm das vortrugen, was du selber gehört hast, damit dein Vater dich um ihretwillen mit deinen Truppen ausrüstete, und du zu ihm kämest, daß er dich mit deinem ganzen Heere gefangen nähme.

Was aber die drei Edelsteine anlangt, von denen sie deinen Vater durch sein Schreiben in Kenntnis setzten, so ist die Geschichte nicht wahr. Seine Tochter Sophia hatte dieselben allerdings bei sich, doch nahm sie mein Vater ihr fort, als er sie nebst den andern Mädchen in seine Gewalt bekam, und schenkte sie mir; ich habe sie jetzt bei mir. Du aber kehre jetzt zu deinem Heere zurück und führe es heim, bevor es tiefer ins Land der Franken und Griechen eindringt. Denn seid ihr erst tiefer in ihr Land eingedrungen, so engen sie euch auf dem Zuge ein, daß ihr nicht eher als am Tag der Belohnung und Vergeltung aus ihren Händen entkommt. Ich weiß, daß deine Truppen noch an ihrem Platze halten, da du ihnen eine Rast von drei Tagen befahlst, zumal da sie dich diese ganze Zeit über vermißten und nicht wissen, was sie thun sollen.«

Als Scharrkân dieses vernahm, versank er eine Weile in tiefes Nachdenken; dann küßte er die Hand der Königin Abrîse und sagte: »Lob sei Gott, der dich mir geschenkt hat und dich zur Ursache meiner Errettung und der Errettung der Meinigen gemacht hat. Doch kommt es mir schwer an mich von dir zu trennen, ohne zu wissen, wie es dir ferner von mir ergehen mag.« Sie antwortete ihm darauf: »Geh' nur jetzt zu deinem Heer zurück und führe es heim; wenn aber die Gesandten noch bei euch sind, so lege Hand an sie, daß euch die Wahrheit offenbar wird, wo ihr noch in der Nähe eures Landes seid. Nach dreien Tagen werde ich zu euch stoßen; ziehet nicht eher in Bagdad ein, bis ich bei euch eingetroffen bin und wir alle zusammen einziehen können.«

Als er sich nun zum Aufbruch wenden wollte, sagte sie: 45

»Vergiß nicht den Pakt zwischen uns beiden;« dann stand sie mit ihm auf, um Abschied zu nehmen, einander zu umarmen und das Feuer der Sehnsucht auszulöschen. Ihr Weinen hätte Steine erweichen können, und ihre Thränen flossen wie Regenschauer. Als Scharrkân ihr Weinen und ihre Thränen sah, schwoll ihm das Herz von Leid und Liebe; er schöpfte den Brunnen seiner Thränen beim Abschied aus und sprach die beiden Verse:

»Scheidend wischte ich mit der Rechten die Thränen vom Auge,
Mit der Linken umarmte ich sie und preßte sie fest an mein Herz.
Da fragte sie mich: »Sorgst du dich nicht um die Schande?«
»Nein,« sagt' ich, »der Tag der Trennung ist Liebender Schande allein.«

Hierauf trennte sich Scharrkân von ihr und verließ das Kloster; das Pferd wurde ihm vorgeführt, und er bestieg es und zog hinaus in der Richtung der Zugbrücke. Als er über dieselbe geritten war, kam er wieder in den Wald; als er nun aber aus den Bäumen herauskam und über die Wiese dahinzog, ward er plötzlich dreier Reitersleute gewahr. Sorgsam auf der Hut, zog er sein Schwert blank und ritt weiter, bis sie nahe an ihn herangekommen waren und sie einander ins Auge faßten; da erkannten sie einander und er sah, daß es der Wesir Dendân in Begleitung zweier Emire war. Sobald diese ihn erkannten, sprangen sie vom Sattel, begrüßten ihn und der Wesir Dendân fragte ihn nach dem Grunde seiner Abwesenheit. Da erzählte er ihm alles, was ihm mit der Königin Abrîse von Anfang bis zu Ende begegnet war, und der Wesir Dendân lobte Gott, den Erhabenen, dafür und sagte: »Laßt uns sofort aus diesem Lande ziehen, weil die Gesandten, die mit uns gekommen sind, sich von uns fortgemacht haben, um ihrem Könige unsere Ankunft zu hinterbringen. Sie könnten uns sonst überfallen und uns gefangen nehmen.« Da befahl Scharrkân seinem Heere zu satteln. So sattelten sie denn allzumal und zogen im Eilmarsch, bis sie wieder die Sohle des Wadis erreichten. Die Gesandten aber hatten sich inzwischen zu ihrem Könige 46 davon gemacht und ihm die Ankunft Scharrkâns hinterbracht, worauf dieser ein Heer wider ihn ausrüstete, um ihn mit allen seinen Truppen gefangen zu nehmen.

Scharrkân ritt nun mit seinem Heere fünf Tage lang, bis sie zu einem baumreichen Wadi gelangten und dort eine Weile Rast machten. Hierauf brachen sie wieder auf und zogen ohne Aufenthalt fünfundzwanzig Tage lang weiter, bis sie die Grenze ihres Landes erreichten. Als sie hier angelangt waren und sich nun in Sicherheit befanden, lagerten sie sich, um sich auszuruhen, und die Bewohner jener Gegend kamen zu ihnen heraus und brachten gastliche Gaben und Proviant für ihre Pferde. Nach einer Rast von zwei Tagen sattelten sie wieder, um nun heimzuziehen, Scharrkân aber blieb mit hundert Mann zurück, nachdem er zuvor den Wesir Dendân zum Emir über alle seine Truppen bestellt hatte. Als dann der Wesir Dendân mit seinem Heere einen Tagemarsch weiter gezogen war, setzte sich Scharrkân mit seinen hundert Mann wieder in den Sattel und ritt zwei Parasangen,Ein uraltes, noch heute gebräuchliches persisches Wegmaß, etwa der deutschen Wegstunde entsprechend. bis er in eine enge Schlucht zwischen zwei Bergen gelangte und hier plötzlich vor sich dunkle Staubwolken aufwirbeln sah. Infolgedessen hielten sie die Rosse so lange an, bis sich der Staub verzog, und sie nun darunter hundert Reiter, trotzig dreinschauende Löwen, starrend in Waffen und Wehr erblickten. Als dieselben nahe an Scharrkân und seine Begleiter gekommen waren, schrieen sie ihnen entgegen: »Bei Johannes und Maria, haben wir endlich unseren brennenden Wunsch erreicht! Nacht und Tag sind wir euch nachgesetzt, bis wir euch hier einholten; nun herunter von euren Rossen, her mit euren Waffen und ergebt euch, daß wir euch das Leben schenken.«

Als Scharrkân diese Worte vernahm, rollten seine Augen, seine Wangen brannten lichterloh, und er rief ihnen als Antwort zu: »Ihr Nazarenerhunde, wie erfrecht ihr euch bei 47 uns einzudringen, in unser Land zu kommen und es zu durchziehen? Nicht genug aber, daß ihr das gethan habt, führt ihr auch noch solche Sprache gegen uns? Glaubt ihr etwa unsern Händen zu entrinnen und wieder in euer Land heimzukehren?« Dann rief er den hundert Reitersleuten, die er bei sich hatte, zu: »Vorwärts wider diese Hunde! Sie sind in eurer Zahl.« Darauf zog er sein Schwert und stürmte mit seinen hundert Mann ihnen entgegen. Aber die Franken empfingen sie mit Herzen härter als Felsen, daß Mann gegen Mann prallte und Held gegen Held stieß; heiß ward der Kampf und hitzig das Gefecht, groß der Schrecken und eitel die Rufe von hüben und drüben. So tobte die Schlacht, Stoß wider Stoß, Hieb wider Hieb, bis der Tag zur Rüste ging und das Dunkel der Nacht sie umfing.

Als sie nun voneinander abließen und Scharrkân die Seinigen versammelte, fand er keinen Verwundeten unter ihnen, nur daß vier Mann von ihnen leichte Schrammen davongetragen hatten. Da sagte Scharrkân zu ihnen: »Mein Lebenlang hab' ich durchwatet des Kampfesmeeres brandendes Schwertergewoge und Männer bestanden, doch nimmer zuvor noch, bei Gott, traf ich Helden, standhafter wider Stahl und Mann, als diese hier.« Seine Mannen erwiderten ihm darauf: »O König, unter ihnen ist ein fränkischer Ritter, ihr Anführer, ein Degen kühner Art, des Lanzenstich grimm durch den Panzer frißt; doch achtet er keines, der ihm in den Weg fällt, und läßt ihn mit dem Leben davonkommen. Bei Gott, wenn er gewollt hätte, hätte er uns allen insgesamt den Tod zu schmecken gegeben.«

Als Scharrkân dies von ihnen vernahm, ward er bestürzt und sagte: »Morgen wollen wir uns in Schlachtreihe aufstellen und Mann gegen Mann kämpfen; sie sind hundert und wir sind hundert; und wollen von dem Herrn des Himmels den Sieg erflehen.« Mit solchem Entschluß verbrachten sie die Nacht. Die Franken aber hatten sich ebenfalls um ihren Führer geschart und sagten zu ihm: »Heute haben wir 48 an ihnen noch nicht unser Ziel erreicht.« Der Anführer aber entgegnete ihnen: »Morgen wollen wir uns in Schlachtreihe aufstellen und Mann gegen Mann einer nach dem andern kämpfen;« dann verbrachten sie nach solchem Entschluß ebenfalls die Nacht.

Wie nun der Tag anbrach und sein Licht hell ausgoß, und die Sonne über die Gipfel der Hügel stieg und in die Gründe schaute und Mohammed begrüßte, den Schmuck des Guten, stieg der König Scharrkân mit seinen Mannen wieder zu Roß und zog auf das Blachfeld hinaus. Als er dort die Franken bereits in Schlachtordnung aufgestellt fand, sagte er zu seinen Gefährten: »Unsere Gegner stehen schon bereit, vorwärts zum Kampfe wider sie, Mann gegen Mann!« Da trat jedoch ein Herold der Franken hervor und rief: »Heute soll der Kampf in der Weise sein, daß einer nach dem andern kämpft und Kämpe gegen Kämpe ins Feld tritt.« Infolgedessen trat einer der Mannen Scharrkâns vor, sprengte zwischen die beiden Reihen und rief: »Wer wagt den Gang mit mir, wer tritt hervor auf den Plan? Kein Feigling sei's und kein Schwächling heute!« Noch hatte er seine Trutzrede nicht beendet, da trat wider ihn ein fränkischer Ritter ins Feld, starrend in Waffen und Wehr, in goldgewirktem Mantel auf grauem Roß mit flaumlosen Wangen. Sein Roß antreibend, setzte er mitten auf den Plan und bedrängte ihn so heftig mit Hieb und Stich, daß er ihn schon nach kurzer Frist kopfüber aus dem Sattel stach; dann legte er ihn in Banden und führte ihn fort in Schanden zu seinen Leuten, die ihn jauchzend empfingen aber ihm wehrten noch einmal auf dem Plane zu erscheinen, und nun einen andern entsendeten. Sofort trat auch von den Moslems ein anderer, und zwar der Bruder des Gefangenen, vor und stellte sich ihm auf dem Plan. Eine kurze Weile kämpften diese wider einander, da überlistete der Franke den Moslem durch scheinbare Flucht und stach ihn mit der Lanzenferse kopfüber aus dem Sattel, worauf er ihn gefangen nahm. In dieser Weise 49 trat einer nach dem andern von den Moslems gegen die Franken heraus, die alle hintereinander gefangen nahmen, bis der Tag zur Rüste ging und das Dunkel der Nacht sie umfing, und im ganzen zwanzig Reiter von den Moslems gefangen genommen waren. Als Scharrkân dieses sah, ward er niedergedrückt; er versammelte seine Gefährten um sich und sagte: »Was für ein Unheil hat uns da befallen! Morgen will ich selber auf den Plan treten und den Führer der Franken zum Kampfe herausfordern, daß ich sehe, was ihn bewogen hat in unser Land zu kommen, und ihn warne sich mit uns in Kampf einzulassen. Folgt er nicht, so bekämpfen wir ihn, will er aber Frieden mit uns haben, so machen wir Frieden mit ihm.«

Mit solchem Beschlusse verbrachten sie die Nacht, bis der Tag anbrach und sein Licht hell ergoß. Dann setzten sich die beiden Parteien wieder in den Sattel und stellten sich in Schlachtordnung auf. Als Scharrkân aber nun auf den Plan hinausritt, sah er, daß mehr als die Hälfte der Franken vor einem ihrer Reitersleute zu Fuß herankam, bis daß sie mitten auf dem Plane angelangt waren. Bei genauerem Zusehen erkannte er in dem Reitersmann den Führer der Franken, der einen blauen Atlasmantel trug und ein Antlitz gleich dem Vollmond hatte. Um seine Brust hatte er einen engmaschigen Ringpanzer, in der Hand ein indisches Schwert, seine Wangen waren flaumlos, und sein Roß war ein Rappe mit einer Blässe wie ein Dirhem groß. Nun spornte er sein Roß, bis es mitten auf dem Plan stand; dann gab er den Moslems ein Zeichen und sprach zu ihnen in fließendem Arabisch: »Scharrkân, du Sohn Omar en-Noomâns, der du die Burgen erstürmst und die Städte eroberst, heran mit dir zum Kampf und zum Stechen, daß du dich missest mit dem, der den Plan mit dir hälftet! Du bist der Fürst deiner Schar und ich der Fürst der meinigen; wer von uns beiden seinen Gegner bezwingt, der nehme ihn und seine Schar in Gehorsam.« 50

Noch hatte er nicht seine Worte beendet, da setzte Scharrkân auch schon zornerfüllten Herzens wider ihn ins Feld und trieb sein Roß vorwärts auf den Plan wider den Franken. Dieser wich aus und sprang dann vorwärts wie ein grimmer Löwe, ihn mit Rittershieben bedräuend, und nun hoben sie an zu stechen und hauen, daß sie sich auf dem weiten Blachgefild wie zwei Hügel dröhnend gegeneinander türmten oder gleich zwei Meeren zusammen stürmten, und ließen nicht ab zu fechten und kämpfen und ihren Schlachtenmut zu dämpfen, bis der Tag zur Rüste ging und sie das Dunkel der Nacht umfing. Dann schieden sie voneinander und jeder kehrte zu seinen Leuten zurück.

Als Scharrkân sich nun wieder mit seinen Gefährten vereint hatte, sagte er zu ihnen: »Niemals noch habe ich einen Ritter wie diesen gesehen; er hat eine Eigentümlichkeit, die ich noch bei keinem andern fand. Gewahrt er nämlich an seinem Gegner eine tödliche Blöße, so kehrt er die Lanze um und stößt ihn mit ihrer Ferse, so daß ich nicht weiß, was mit ihm und mir geschehen wird. Doch wünschte ich, wir hätten in unserm Heere solche Kämpen wie ihn und seine Gefährten.«

Am nächsten Morgen kam der Franke wieder gegen Scharrkân heraus und stieg mitten auf den Plan hinunter. Scharrkân zog ihm gleichfalls entgegen, und nun hoben sie wieder an aufeinander zu hauen und stechen, sich weit umherzutummeln und die Hälfte wieder einander zu recken, bis der Tag zur Rüste ging, und das Dunkel der Nacht sie umfing. Dann schieden sie voneinander und kehrten zu ihren Leuten zurück, und es berichtete jeder von ihnen seinen Gefährten wie es ihm mit seinem Gegner ergangen war. Der Franke aber sagte zu seinen Gefährten: »Morgen kommt die Entscheidung.« So verbrachten sie die Nacht bis zum Morgen, wo die beiden wieder zu Roß stiegen und bis zum Mittag kämpften. Da griff der Franke zu einer Finte, indem er sein Roß anspornte und es dann mit den Zügeln zurückriß, daß 51 es strauchelte und ihn abwarf. Schnell stürzte sich Scharrkân auf ihn und wollte ihn mit dem Schwerte niederhauen aus Furcht noch länger mit ihm kämpfen zu müssen, da rief ihm der Franke zu: »Scharrkân, das ist unritterlich; so handelt nur einer, der von Frauen überwunden ist.« Als Scharrkân von dem Ritter diese Worte vernahm, richtete er den Blick auf ihn, faßte ihn scharf ins Auge und erkannte nun in ihm die Königin Abrîse, mit welcher ihm das Abenteuer im Kloster zugestoßen war. Als er sie erkannte, warf er sein Schwert aus der Hand, küßte die Erde vor ihr und fragte sie: »Was hat dich zu diesem Kampfe bewogen?« Sie antwortete ihm: »Ich wollte dich auf dem Plan erproben und deine Ausdauer im Kampf und im Lanzenstechen schauen; jene meine Leute dort sind alles Mädchen und alle Jungfrauen, die im offenen Plan deine Reitersleute bezwungen haben; wäre nicht mein Roß gestürzt, so hättest du auch meine Kraft und Kunst erschaut.« Da lächelte Scharrkân über ihre Worte und sagte zu ihr: »Gott sei Lob für das gute Ende und unsere Wiedervereinigung, o Königin der Zeit.« Hierauf rief die Königin Abrîse ihre Mädchen heran und befahl ihnen die zwanzig Gefangenen von den Leuten Scharrkâns zu befreien und sich dann marschbereit zu machen. Nachdem sie ihren Befehl vollzogen hatten, küßten sie die Erde vor ihr, und Scharrkân sagte zu ihnen: »Euresgleichen sollten Könige für die Stunden der Not auf Lager haben.« Dann gab er seinen Gefährten ein Zeichen die Königin Abrîse zu begrüßen, worauf alle abstiegen und die Erde vor ihr küßten. Hierauf stiegen die zweihundert Reiter wieder auf und ritten Nacht und Tag sechs Tage lang, bis sie nahe an Bagdad gekommen waren.


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