Wolfgang Hellmert
Fall Vehme Holzdorf
Wolfgang Hellmert

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90 VI.

Am Abend dieses Tages – es hatte soeben halb neun geschlagen – wurde der Politiker ans Telephon gerufen.

Es war sehr bergab gegangen mit ihm. Er laborierte an einer empfindlichen Erkältung, und seine Nerven waren krank und überreizt.

Er hegte, wie jedesmal, wenn das Telephon klingelte, die irrsinnige Hoffnung, Lehgarbe würde nach ihm verlangen. So sehr bin ich sein Geschöpf geworden, dachte er bitter, wenn es Lehgarbe wieder nicht gewesen war.

Er hatte seit jenem bösen Tage, an dem man ihm sozusagen die Tür gewiesen hatte, keine Fraktionssitzung mehr besucht, er war nicht mehr im Parteibureau gewesen, ja er hatte sich kaum mehr auf die Straße gewagt. Er wußte auch, daß man den Kopf schüttelte über ihn.

»Das Telephon«, fragte er, als die Wirtschafterin ihn hinausrief. »Wer wünscht mich denn so spät noch zu sprechen?«

»Ein Herr Frager ist am Apparat,« antwortete sie, »er sagt, daß seine Sache dringlich und wichtig sei.«

91 Frager, überlegte der Politiker enttäuscht, und ein peinliches Gefühl überkam ihn bei dem Namen. Frager? – –

Mein Gott, Frager, Das wird der Untersuchungsrichter Frager sein, dachte er dann erfreut. Er hatte ihn vor langer Zeit bei Lehgarbe gesehen und kennen gelernt.

Zu dumm, wie schlecht sein Gedächtnis jetzt war.

Lehgarbe wird einlenken wollen, dachte er aufjauchzend, und vor Aufgeregtheit sagte er seinen Namen stotternd in den Apparat.

Frager war von unüberbietbarer Höflichkeit. Er erkundigte sich sorgfältig nach des Politikers Befinden, wollte gehört haben, daß er an einem national-ökonomischen Buch arbeite, fragte, ob es denn vorwärts ginge mit dieser schriftstellerischen Betätigung. Ja, er versicherte, geradezu außerordentlich interessiert zu sein – und nannte ihn schließlich den zweifellos größten Theoretiker der Partei.

Der Politiker war davon angenehmst berührt. Er antwortete geziert und blumig, aber innerlich verging er vor Ungeduld. Er schmeichelt mir, um mich einem Ausgleich geneigter zu machen; ich werde aber trotzdem verlangen, daß sich Lehgarbe im mindesten entschuldigt für die Kränkungen, die er mir zugefügt hat, dachte er.

Inzwischen forschte Frager nach der Gesundheit eines Bruders des Politikers. Es war ein bekannterer, etwas altmodischer Universitätsprofessor, den er gelegentlich eines Balles kennengelernt haben wollte.

92 Dem Politiker zitterten vor Nervosität die Knie. Wenn er doch nur schon zur Sache reden wollte, fluchte er unaufhörlich in sich hinein.

Da glaubte auch Frager sich nicht länger bei Redensarten aufhalten zu müssen.

»Hören Sie, Herr Doktor,« sagte er, »wir haben heute einen jungen Menschen unter Mordverdacht verhaftet. Er heißt Holzdorf. Ich würde mich gerne eingehender mit Ihnen über diesen Fall unterhalten. Ich darf Sie wohl bitten, da in dieser Sache nicht viel Zeit zu verlieren ist, mich gleich in meiner Wohnung aufzusuchen.«

Ohne eine Erwiderung des Politikers abzuwarten, nannte er noch seine Adresse, wünschte freundlich und ehrerbietig einen guten Abend, wiederholte seine Bitte um den Besuch noch einmal, und hängte – der Politiker hatte mit brüchiger Stimme seine Zusage erteilt – die Hörmuschel wieder ein.

*

– – – Es mochte noch keine halbe Stunde vergangen sein, da stand der Politiker in Fragers Zimmer.

»Darf ich erfahren, womit ich Ihnen dienen kann, Herr Untersuchungsrichter«, sagte er zeremoniell, aber seine verstörten und wässernden Augen verrieten deutlich, wie sehr seine Haltung erkünstelt war.

93 Frager empfand sofort Mitleid. Der Mann mußte ihm zusammenbrechen, wenn er ihn auch nur eine Sekunde noch im unklaren ließ.

»Lieber Herr Doktor,« sagte er, »ich will die Karten nur gleich aufdecken. Wir haben uns vor einiger Zeit bei Lehgarbe kennengelernt, Sie dürfen daraus gern alle Rückschlüsse ziehen, die Sie zu ziehen geneigt sind. Ja, Sie dürfen daraus sogar entnehmen, daß ich, wenn ich so sagen darf, gewissermaßen als Freund zu Ihnen spreche. Sie sind heute – ich muß mir natürlich jede Stellungnahme dazu vorbehalten – von dem des Mordes an dem Zeitfreiwilligen Heinz Wiesel geständigen Herbert Holzdorf stark angeschuldigt worden. Ich möchte Sie nun ersuchen, sich zu diesen Anschuldigungen, mit deren Details ich Sie noch bekannt machen werde, zu äußern.«

Der Politiker hatte seine Hand schwer auf die Augen gelegt. Ein jäher Weinkrampf zwang ihn, den Oberkörper weit hinunterzubeugen. Nicht aufhaltbar sickerte das Wasser durch seine Finger.

»Es ist kein Wort davon wahr, Herr Untersuchungsrichter«, stotterte er endlich mühevoll. »Es ist alles erlogen. Bitte, bitte, glauben Sie mir.«

Frager wühlte schon zwischen Aktenstößen. »Aber so kommen wir nicht weiter, Herr Doktor«, meinte er freundschaftlich. »Sie müssen mir deutlich Rede und Antwort stehen.«

94 Aber der Politiker schluchzte nur noch heftiger. »Ich, ich rege mich so leicht auf«, sagte er und kämpfte mit den Tränen. »Ich, ich rege mich so leicht auf«, wiederholte er, als sei dieser Satz die geforderte Erklärung, als könne dieser dumme, nichtssagende Satz ihn vor allem Argen, das ihm bevorstand, bewahren.

Wie soll ich mich ihm nur verständlich machen, dachte Frager. Er sah blaß und angestrengt aus. »Sie dürfen mir glauben,« sagte er schließlich, und nun zitterte auch seine Stimme ein wenig, »daß ich einen politischen Skandal für untragbar erachte. Ruhe und Ordnung wären meiner Überzeugung nach nicht mehr aufrechtzuerhalten, wenn – – –«

Er brach ab und sah den Politiker aufmerksam an, weil er eine Antwort von ihm erwartete.

Aber als der nur schweigsam in seinem Sessel blieb, entschloß er sich weiterzusprechen. Mit einer überakzentuierten und gepreßten Stimme fuhr er fort: »Herr Doktor, Sie sind von Holzdorf der Anstiftung zum Morde beschuldigt. Er gibt weiter an, nach vollbrachter Tat von Ihnen begünstigt worden zu sein.«

Der Politiker schwieg trostlos.

»Herrgott,« sagte Frager ungeduldig, »verstehen Sie mich doch! Ich sagte Ihnen bereits, daß ich einen politischen Skandal für untragbar erachte . . . Ich werde die Staatsinteressen um jeden Preis zu wahren wissen.«

Der Politiker kaute an einem Satze.

95 »Ich möchte ja nichts weiter von Ihnen hören, als die Widerlegung der Holzdorfschen Aussagen«, beschwor ihn Frager.

Da sprang der Politiker hoch. »Ich habe ihn doch gekannt,« rief er erregt, »das ist doch nicht zu leugnen. Er war doch in der Mordnacht bei mir, das ist doch nicht abzustreiten.«

»Wann war er bei Ihnen?« unterbrach ihn Frager.

Der Politiker biß sich auf die Zunge. »Ja«, sagte er dumm und betreten.

»Wenn ich Sie recht verstanden habe, war also Holzdorf in der Nacht vom dreißigsten zum einunddreißigsten August bei Ihnen«, meinte Herr Frager.

»Unser Gespräch war kurz und nur harmloser Natur«, setzte der Politiker hinzu.

»Ich glaube Ihnen«, sagte Herr Frager sehr zitterig. »Ein Besuch in der Nacht erweist freilich auch gar nichts.«

Dem Politiker kehrten mit einemmal nun Gedächtnis und Redegewandtheit zurück. Eine Unmenge wußte er plötzlich über Holzdorf zu berichten. Eine Unmenge Bösartiges, Belastendes, Schwieriges in wohlgesetzten klangvollen Worten.

Und der Untersuchungsrichter hörte aufmerksam zu. In seinem Gesicht stand ein schwacher Widerwille.

– – – Die beiden saßen noch bis gegen vier Uhr morgens beisammen. Sie sprachen ununterbrochen. Als sie sich endlich trennten, hatten sie trockene Kehlen.

96 »Also«, sagte Frager im Flur noch einmal, »vergessen Sie nicht, ihm noch heute einen Rechtsanwalt zu besorgen. Der Junge begeht sonst die Dummheit, in seiner törichten Haltung zu verharren, dann allerdings könnte der Skandal unvermeidbar sein.«

Der Politiker hatte die Wohnungstür schon geöffnet.

»Bitte vergessen Sie's ja nicht,« rief Frager, »warten Sie um Gottes Willen nicht erst ab, daß die Verteidigung an einen Falschen gerät.«

»Ja ja,« murmelte der Politiker selig – Fragers Schritte hallten schon von unten herauf – »ich will alles tun, was Sie verlangen. Aber jetzt werde ich mich erst einmal ordentlich besaufen.« Dabei blieb es denn.

 

– – – Um halb zehn Uhr vormittags wurde Herbert aus seinem Schlafe geweckt. Er war unsagbar traurig und rieb sich müde die Augen.

Ein forsch aussehender, untersetzter, breitschulteriger Herr stand vor ihm. »Ich heiße Mörner«, stellte er sich vor. »Ich bin Ihr Rechtsanwalt.«

»Rechtsanwalt?« wiederholte Herbert. Aber er war nicht imstande, sich dabei etwas vorzustellen. »Das ist sehr nett von Ihnen«, sagte er schließlich, nur weil es so ruhig blieb. »Sehr nett; aber ich habe so gut geschlafen.« –

»Ich kenne Ihren Fall schon aus den Akten«, entgegnete Mörner eifrig. »Was Sie sagen, ist ganz gut und schön, aber ich möchte Ihnen dennoch raten, lassen 97 Sie diesen Unsinn mit der Anstiftungsgeschichte aus. Das glaubt Ihnen doch kein Mensch.«

»Was glaubt mir kein Mensch?« fragte Herbert zurück. Er war so müde, daß er kaum zugehört hatte; er war auch der Meinung, daß das Gespräch schon beendet sei.

»Mein Gott,« sagte Mörner, »man wird Ihnen nie im Leben glauben, daß ein so erfahrener und geschulter Mensch wie der Politiker eine so große Dummheit begeht und einen beliebigen Halbwüchsigen zu einem Verbrechen auffordert.«

Herbert war augenblicklich ermuntert. Vor Entrüstung wurde er blaß im Gesicht. »Ja wer sind Sie denn eigentlich,« schrie er zu dem Mann hinüber, der erschrocken einige Schritte zurücktrat, »wie dürfen denn Sie es wagen, an meinen Aussagen zu zweifeln?«

Der Rechtsanwalt blieb kaltblütig. »Ich habe die ganze Angelegenheit schon mit dem Untersuchungsrichter besprochen«, sagte er würdevoll. »Ich bin über Ihre Lage besser informiert als Sie selbst. Ich bin zu Ihrem Beistand bestellt und habe nur Ihr Bestes im Auge.«

»Sie haben mit dem Untersuchungsrichter gesprochen?« fragte Herbert. Er hatte alle Fassung verloren. Der Boden unter ihm schien sich fortzubewegen. Unablässig fort. Einem Hintergrunde zu, der sehr neblig wurde.

Mörner nickte mit dem Kopfe.

98 »Und der Untersuchungsrichter glaubt meinen Aussagen nicht?«

»Er hält alles – Wort um Wort – für erlogen«, sagte Mörner und wußte schon, daß er endgültig gesiegt hatte.

»Nein,« sagte Herbert, »das ist nicht wahr, das – das darf nicht wahr sein.« Plötzlich hatte er mit einem Gelächter zu kämpfen, das er selbst nicht verstand. Das sind die Nerven, dachte er und lachte schallend. Dann wurde es im Raume sinnlos still.

Jetzt muß etwas geschehen, dachte Herbert. Er erinnerte sich mit einem Male des furchtbaren Schweigens beim Führer. Diese Stille durfte um keinen Preis wieder aufkommen. Aus Ratlosigkeit begann er von neuem hastig zu lachen, aber seine Augen füllten sich diesmal unendlich mit Tränen.

Da beschloß Mörner wieder einzugreifen. »Nun,« sagte er, »Herr Holzdorf, wie haben Sie sich entschlossen?«

Herbert schwankte noch eine ganze Zeit so zwischen Lachen und Weinen. Dann sagte er, seine Stimme war von Grund auf verändert und zitterte beständig: »Ich muß sofort den Untersuchungsrichter sprechen.«

Herr Frager war zu einer Audienz durchaus bereit.

»Nun,« sagte er freundlich, »mein lieber Holzdorf, haben Sie sich endlich entschlossen, die Wahrheit zu sagen?«

99 Herbert taumelte zurück. »Sie – Sie haben mir also nicht geglaubt?« fragte er ganz tonlos.

»Aber,« meinte Frager, »wer soll denn auch solches Gerede für möglich halten? Ein erfahrener Mann, ein Politiker von höchsten Qualitäten soll sich soweit vergessen können, daß er den ersten besten unreifen Burschen mit der Ausführung eines Mordes betraut? Nein, das müssen Sie schon einem anderen erzählen, mein Bester.« – – –

In Herberts Gesicht war mit einem Male etwas, das den Untersuchungsrichter unsicher werden ließ. Schnell ein paar Worte, dachte er, aber er wußte nichts, das er noch hätte sagen können. Eine versöhnende Formel sollte sich doch finden lassen, ein Nachsatz, der beruhigte, der vielleicht ausdrückte: Nur nicht gleich ungestüm, wir sind ja in jeder Weise zu Verhandlungen geneigt.

Verflucht, dachte der Untersuchungsrichter, wie soll ich ihm nur alles beibringen; aber da schrie Herbert schon auf ihn ein.

»Herr Untersuchungsrichter,« die armselige kleine Jungenstimme überschlug sich fast, »ich habe zu Ihnen gesprochen wie ich noch zu keinem Menschen in meinem Leben gesprochen habe. Mein Innerstes habe ich vor Ihnen aufgeschlossen. Ich habe Ihnen und Ihnen allein das Recht zugestanden, über meinen Tod zu entscheiden und über mein Leben. Ich habe mich vor Ihnen klein gemacht wie noch vor keinem Menschen. Und Sie, Sie 100 stehen nun hier und haben ein würdiges Gewand an und wollen von alledem nichts gemerkt haben? Herr Untersuchungsrichter, ich erhebe hier laut den Vorwurf, daß Sie mir nicht glauben wollen, wider Ihr besseres Wissen, wider Ihr besseres Gefühl.«

Frager verlor jede Beherrschung. »Ruhe,« brüllte er zurück, »Ruhe – ich lasse Sie sofort abführen.« Er war auch ganz ernstlich gewillt, nach dem Wachtmann zu klingeln, aber dann meinte er, daß Holzdorf auf diese Weise zu billig davon käme. Dem wollte er es denn doch erst beweisen. »Regen Sie sich nur nicht noch großartig auf,« sagte er, »wir kennen den Schwindel mit den Vehmegeschichten zur Genüge. Ein ganzes Schock lebt heute davon. Man reist im weiten Deutschland umher und läßt sich von Gleichgesinnten, die auf einen hereinfallen, unterstützen. Man begeht ein gemeines Verbrechen, man sagt das Zauberwort ›Vehme‹, und hofft nun als Überzeugungsverbrecher abgeurteilt zu werden.«

Herbert hatte sich leicht vorübergebeugt. Er stand ganz still so und sehr schweigsam.

Ah, dachte Frager, nun höhnt er mich auch noch. Seine Verbitterung wuchs und ließ ihn das letzte Quentchen Klugheit vergessen. Er lachte gehässig und voller Gezwungenheit. »Tja,« sagte er und kostete die Worte bedächtig und fast genießerisch aus, »Sie tun gerade so, als ob mir in meiner Praxis noch nie zuvor ein homosexueller Eifersuchtsmord begegnet sei.«

101 Da war Herbert auf ihn zugesprungen. Zweimal schlug er hart und schallend in Fragers Gesicht, zweimal, ehe von draußen die Tür aufgestoßen werden konnte, und ihn jemand zurückriß. –

In die Zelle mußte er zurückgetragen werden, weil er plötzlich behauptete, nicht mehr gehen zu können. Auf dem Wege gab er sich geschwätzig, aber er sprach nur kindisches und unverständliches Zeug. Besonders von einem Schnürsenkel, der zur Unzeit aufgegangen war, war viel zu vernehmen. Dann ereiferte er sich gar derartig, daß ein weißlicher Schaum vor seinen Mund trat. Weil er sich auch, wohl vorher schon, auf die Zunge gebissen hatte, sah er kurios aus und unappetitlich.

Da man annahm, daß man es mit einem Simulanten zu tun hätte, ließ man ihn bald allein. Er schrie und tobte eine halbe Stunde lang.

Endlich schickte man nach einem Arzt. Der gab ihm ein Beruhigungspulver. »Es sieht nicht schön mit ihm aus,« sagte er dann, »er muß sofort hinüber ins Lazarett. Ich glaube, er ist tatsächlich verrückt geworden.«

– – – – Als der Politiker zu Frager kam, hatte der im Gesicht zwei brennend rote Male.

Er gab dem Politiker widerwillig die Hand. »Ich habe mich heute schlagen lassen müssen, Doktor«, sagte er ernst und böse. »Es ist nicht immer ein Vergnügen, seinem Lande zu dienen.«

Der Politiker nickte mit dem Kopf. »Ja,« meinte er pathetisch, »das Leben ist ein Kampf.« Aber seine 102 Gedanken waren bei anderen Dingen. »Was macht Holzdorf?« fragte er.

»Er liegt im Lazarett«, gab Frager zurück. »Die heutige Vernehmung hat ihm wohl den Verstand gekostet.«

Aber das ist famos, dachte der Politiker, ganz famos. Laut sagte er: »Das bringt uns ja mit einem Schlage aus allen Nöten. Nun ist seine Glaubwürdigkeit wohl restlos erschüttert.«

Da spie Frager aus.

Der Politiker sah es gar nicht. »Ich möchte den Angeschuldigten gern einmal sprechen«, bat er noch. »Wollen Sie mir bitte einen Erlaubnisschein dazu ausstellen?«

Frager kam dem Wunsche nach. »Hier,« sagte er schneidend kalt, »sehen Sie ihn nur an, wenn Sie es können. Wir – im übrigen – haben uns wohl nichts mehr zu sagen.«

Der Politiker dankte und ging. Nun schiebt auch er alle Schuld auf mich ab, dachte er, und so schuldig bin ich doch gar nicht gewesen. Wer kann schließlich dafür, daß mich der Bengel damals so falsch verstanden hat?

Er kramte besorgt in der muffigen Kiste seiner Erinnerungen. Ich habe doch nur gesagt: ›Wenn den Kerl doch bloß einer zum Teufel schicken möchte‹, fiel ihm ein. Und es freute ihn mächtig, daß er nur dieses, nichts Eindeutigeres, gesagt hatte, und daß es ihm noch rechtzeitig eingefallen war. Der Ton macht die Musik? 103 überlegte er. Ach Unsinn, Sprichwörter waren für alte Weiber da, und schließlich hörte wohl jeder den Ton, den er hören wollte.

Aber jetzt kam's ja nicht mehr drauf an. Jetzt war ja alles gut geworden. – – – –

*

Zunächst wollte man den Politiker nicht vorlassen. Erst als er sich auswies, erklärte man sich bereit, eine Ausnahme zu machen. Eine Ausnahme: »Für zehn Minuten und nicht länger.«

Herbert Holzdorf lag im Bett. Er hatte einen sonderbar starren und schielenden Blick. Sein Gesicht war entstellt und verzogen, aber unbeweglich im Ausdruck.

Er kannte den Politiker nicht. Als der ihn anredete, lachte er plötzlich hell auf, sprach eifrig eine Menge Dummheiten durcheinander und begann schließlich zu singen.

Einen Augenblick lang war der Politiker erschüttert. Dann wandte er sich der diensttuenden Krankenschwester zu: »Glauben Sie, daß er bald wieder gesund wird?«

Die Schwester schüttelte den Kopf. »Das läßt sich so schnell nicht entscheiden,« meinte sie, »aber der Doktor glaubt, daß es noch sehr lange dauern wird.«

Der Politiker drehte sich erleichtert zu dem Kranken zurück. Er war zwar nicht ganz glücklich, aber seine Brust schwellte ein Gefühl großer Sicherheit.

104 In diesem Momente richtete sich Herbert im Bette hoch und schlug seinen Blick voll zu ihm auf: »Weißt du,« sagte er und in seiner Stimme war eine peinliche Klarheit, »ich habe doch nie etwas aus mir heraus tun können, ich war immer wie ein Gefangener, immer habe ich mich irgendwem unterordnen müssen. Heute habe ich endlich ganz von selber etwas getan. Ich habe wieder mal einen Mann umgebracht. Der Kerl war zum Beispiel Untersuchungsrichter. Und ich habe diesmal eigentlich richtig gehandelt. Denn das mit der Heiligkeit des Menschenlebens ist nämlich auch nur ein Schwindel.«

Dann legte er sich bequem in die Kissen zurück und sang wieder.


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