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Siebentes Kapitel.
Saturn tritt in das Zeichen der Fische

Sowie die Bibliothek am nächsten Morgen geöffnet wurde, kehrte der Doktor dorthin zurück. Er bestellte die Bücher von gestern wieder, aber als er sie glücklich hatte, schlug er sie nicht einmal auf. Er wog sie in der Hand, wie man die Würfel vor einem neuen Wurf wiegt, von dem man sich nichts erhofft. Was gab es wohl in diesen fünf Editionen Marco Polos zu entdecken, das er nicht schon am Tage vorher entdeckt hätte? Er war viel zu scharfsinnig und methodisch, um sich etwas entgehen zu lassen. Eine neue Jagd durch die Seiten nach den Spuren der Studien des anderen würde vergeblich sein, das wußte er schon im vorhinein. Und also?

Er sah Monsieur Halberlé den Saal auf dem Weg zu seiner privaten Studierkammer passieren. Eigentlich, dachte der Doktor, müßte er in einem Weinkeller sitzen und arbeiten, nicht in einer Bibliothek. Sollte er ihn zum zweiten Male stören? Vielleicht hatte er sich doch im Laufe der Nacht an irgendein neues Detail erinnert –

Er ließ den Gedanken wieder fahren. Monsieur Halberlés nächtliche Eingebungen galten dem Ruhm der Elsässer Weine und nichts anderem. Er hatte erzählt, was er wußte: Graf Passano beschäftigte sich tagaus, tagein mit nichts anderem als Marco Polo – haha! Warum war ihm das nicht schon früher eingefallen? Ein Studium Marco Polos konnte ja auch die Literatur über Marco Polo umfassen! Natürlich! Vielleicht war die Bibliothek im Besitz irgendeines seltenen oder ungewöhnlichen Kommentars! Ich bin wie die Henne, die sich an einem Kreidestrich blind starrt, dachte er und sprang auf, um den großen Katalog zu Rate zu ziehen.

Auf dem Wege von seinem Platz sah er Signor della Croce wieder in ein Gespräch mit dem Oberbibliothekar vertieft. Aber ebensogut wie ein Gespräch konnte man es ein Handgemenge nennen. Beider Arme gingen im Takt auf und nieder wie Kolben, die Signor della Croces beweisend, die des Oberbibliothekars gegenbeweisend; beider Handflächen arbeiteten in rasendem Tempo, die des Italieners daran, Schwierigkeiten zu glätten, die des Franzosen, neue Schwierigkeiten aufzutürmen; und beider Augenbrauen schienen für alle Zeit den Platz verlassen zu haben, den die Natur ihnen im Antlitz des Menschen angewiesen hat. Der Doktor, dessen Sinn für Komik größer war als seine Lebensart, brach in ein glucksendes Lachen aus. Dann vergrub er schleunigst den Kopf im Katalog, so wie der Strauß seinen im Sand vergräbt. Aber als er über den Rand des Buches lugte, fand er die Augen des Italieners mit einem unergründlichen Ausdruck auf sich gerichtet. Kurz darauf verschwand er. Das Lachen des Doktors schien wie eine kalte Dusche auf ihn gewirkt zu haben.

Aber der Doktor sollte bald selbst eine kalte Dusche erhalten. Das Verzeichnis des Katalogs über die Literatur, die Marco Polo direkt oder indirekt berührte, umfaßte fünf Seiten! ›Die Geschichte Venedigs‹ vom Grafen Daru, ›Das Privatleben in Venedig‹ von Molmenti, ›Venedig bis zum Jahre 1200‹ von Cecchetti, ›Venedig, die edle und seltsame Stadt‹ von Sansovino. Sanudo: ›Das Leben der Dogen‹. Rossi: ›Die Trachten in Venedig‹. Cecchetti: ›Die ärztliche Kunst in Venedig‹. Lattes: ›Die Geschichte der Banken in Venedig‹ – und so weiter, und so weiter bis zu Neri: ›Die berühmten Kurtisanen der Stadt Venedig und ihre Geschichte‹.

Der Doktor raufte sein spärliches Haar. Wenn er seinen Nachforschungen nicht ein Jahr opfern wollte, und das wollte er ja doch nicht, mußte er eine rasche Auswahl aufs Geratewohl treffen. Er tat es, und die Zeit bis zum Lunch genügte, um ihm zu zeigen, daß die drei Bände, die er gewählt, ihm nichts zu bieten hatten. Worte, Worte, Worte, aber nichts Neues! Alte Tatsachen in neuen Zusammenstellungen, nichts anderes! Und nirgends eine Spur, ein Bleistiftstrich, ein Ausrufungszeichen, das darauf deutete, daß er, der andere, vor ihm diese Buchstabenwüsteneien durchwandert hatte! Was war da zu tun? Sollte er das Ganze aufgeben?

Er begoß seinen Lunch mit einer Flasche von Graf Passanos Lieblingsmarke, dem von Monsieur Halberlé besungenen Goxwiller, und vielleicht schwebte ein Hauch vom Geiste seines Vorgängers über diesem Wein. Denn der Nachmittag war Zeuge seines Sieges, und dieser Sieg beruhte auf einer Inspiration, die man mindestens ebensogut dem Wein zuschreiben konnte wie irgend etwas anderem.

Als er seine drei Bände zurückgab und den Blick von neuem über die Seiten des Katalogs irren ließ, fiel sein Auge sofort auf einen Namen: Rusticiano. Er dachte nach. Wo hatte er den Namen Rusticiano schon gesehen? Plötzlich kam es ihm zum Bewußtsein, wo er ihn gesehen hatte und wer Rusticiano war: der Name stand im Prolog zu den ›Reisen‹, und der Mann, der ihn trug, war Marco Polos Mitgefangener in Genua. Er war es, der nach Messer Marcos Diktat die ganze Reiseschilderung niederschrieb – der erste mit Namen genannte Sekretär der Welt! Aber hier war er mit einer anderen Arbeit vertreten.

Fatti memorabili della vita di Messer Rusticiano gentiluomo pisano stand im Katalog. Und dann ein Hinweis: siehe Verzeichnis der Manuskripte, Pergamente und Palimpseste, M 33 in 9 b 28.

Das bedeutete, daß Messer Rusticianos Arbeit im Manuskript, nicht in Buchform vorlag. Was bedeutete es ferner?

Ein Magnesiumlicht blitzte im Hirn des Doktors auf – wenigstens empfand er es so.

Denn die Stelle im Prolog, wo der Name des alten Pisaners erwähnt stand, war die Stelle in Bürcks Ausgabe, unter der eine fremde Hand – seine Hand – einen doppelten Strich gezogen hatte! Und am Rande vor jener Stelle hatte eine fiebernde Feder die Worte hingekritzelt: ›Da! Natürlich da! Geduld! Ich – ‹

Im übrigen zeigte das Buch keine Spuren einer weiteren Lektüre; – es hatte eher den Anschein, als wäre es in aller Eile zugeklappt worden –, als hätte sich sein Leser in ein anderes, lohnenderes Studium gestürzt!

Und welches Studium? Was konnte es sein, wenn nicht das Studium von Messer Rusticiano, dessen Name so energisch unterstrichen war? Seine Memorabilien, die der andere eben im Katalog entdeckt hatte, oder die er vielleicht schon früher gesehen, aber deren Bedeutung ihm erst jetzt aufging! Diese Memorabilien, die die Bibliothek im Manuskript hatte, die vielleicht gar nicht in Buchform erschienen waren, die vielleicht in der ganzen Welt ein Unikum darstellten.

Er eilte in das Sekretariat, nur um von dem Amanuensis mit einem Achselzucken empfangen zu werden. M 33 in 9 b 28? Das fiel nicht in sein Ressort. Um das zu bekommen, mußte man sich an den Unterbibliothekar wenden. Der Doktor tat es. Der Unterbibliothekar empfing ihn mit Wohlwollen, aber kaum hatte er das Begehren des Doktors gehört, als auch er zu Achselzucken überging. M 33 in 9 b 28? Das zu verleihen, fehlte ihm die Befugnis.

»Wieso?«

»Das gehört zu unseren Originalmanuskripten, die nur unter ganz bestimmten Bedingungen ausgeliehen werden.«

Der Doktor fühlte ein leichtes Pochen an den Schläfen.

»Ist das etwas so ganz Besonderes?«

Der Unterbibliothekar nickte.

»Soviel man weiß, ist es überhaupt das einzige Exemplar.«

»Ist es sehr interessant?«

Die Stimme des Doktors zitterte unwillkürlich. Aber der Unterbibliothekar lächelte, ein gleichgültiges Katalogisatorenlächeln.

»Interessant? Ja, wenn Sie der Familienklatsch aus dem vierzehnten Jahrhundert interessiert, dann ...«

»Alles, was diese Zeit angeht, interessiert mich«, sagte der Doktor mit erkämpfter Ruhe. »Aber wenn Sie das Manuskript nicht ausleihen können, wie soll ich es da lesen?«

Der Unterbibliothekar wies ihn an den Oberbibliothekar. Aber der Empfang, den er bei diesem fand, war nicht gerade ermutigend.

»M 33 in 9 b 28!« rief er. »Aber das ist ja eine Manie!«

»Was ist eine Manie?« fragte der Doktor verblüfft.

»M 33 in 9b 28 zu verlangen!« rief der Oberbibliothekar. »Was sage ich, eine Manie! Es ist eine Besessenheit!«

»Ich verstehe wohl nicht recht«, murmelte der Doktor etwas wirr im Kopfe.

»Sie verstehen nicht? Ich sollte doch meinen, daß ich mich genügend deutlich ausdrücke. Vorgestern, gestern und heute rennt man mir das Haus ein und quält mich mit Bestellungen von M 33 in 9 b 28! Das wird mir ein bißchen zu bunt! Ich sage Ihnen, mein Herr, was ich dem anderen sagte: Als ein Originalmanuskript von historischem Wert kann dieses Manuskript nur gegen die Garantie eines oder zweier bekannter Gelehrten ausgeliehen werden!«

»Dem anderen?« wiederholte der Doktor blinzelnd und grimassierend. »Wer war dieser andere, wenn ich fragen darf?«

»Ein Italiener«, knurrte der Oberbibliothekar und runzelte zornig seine weißen Augenbrauen. »Ein grüner Junge, der behauptet, daß er das Manuskript zu Familienstudien braucht, daß er es um jeden Preis lesen muß, und der mich stundenlang mit seinen Erklärungen aufhielt. Als ob mich seine Familienstudien etwas angingen! Als ob es mir einfallen könnte, ihm zuliebe, die Regeln zu durchbrechen, und ohne weiteres ein Manuskript auszuleihen, das die letzten zwanzig Jahre nicht verliehen wurde!«

Die Augenlider des Doktors flatterten auf und nieder wie die Flügel eines erschreckten Vogels. Es war Signor della Croce, den der Bibliothekar meinte! Der junge Italiener und er waren auf der Jagd nach demselben Manuskript! Aber der Italiener hatte nicht erst lange Katalogstudien gemacht, bevor er M 33 in 9 b 28 bestellte – er hatte auf eigene Faust gewußt, was er haben wollte! Wie kam das? Was steckte dahinter? Der Zufall oder die Zukunft mußte es erweisen. Jetzt galt es vor allem, ihm zuvorzukommen – und dann über noch einen Punkt Klarheit zu schaffen.

»Das Manuskript ist seit zwanzig Jahren nicht verliehen worden«, wiederholte er. »Wäre es – wäre es möglich, in Erfahrung zu bringen, wer es sich zuletzt ausgeborgt hat?«

Der Oberbibliothekar, dessen Seele noch frische Narben aus dem Kampfe mit Signor della Croce trug, zuckte zusammen. Er hatte jetzt schon genug Diskussionen über das Manuskript M 33 in 9 b 28 gehabt, um noch mehr zu wünschen.

»Glauben Sie wirklich, daß ich meine Zeit für so etwas opfern kann?« fragte er mit blitzenden Augen. »Mein Herr, ich wünsche Ihnen einen guten ...«

Dr. Zimmertür hob demütig beschwörend seine kleine gepolsterte Hand.

»Was Sie wünschen, ist die Garantie von einem oder zwei bekannten Gelehrten?« fragte er.

»Ja. Ich verstehe, daß Sie diese als Ausländer nicht beibringen können, aber ich muß an dieser Formalität festhalten ...«

»Genügt eine Garantie von Professor Bonvalot in Paris?«

»Bonvalot? Gabriel Bonvalot?«

»Ja. Wenn seine Garantie nicht ausreichend sein sollte, so wird vielleicht Professor Beauchamps Bürgschaft ...«

»Beauchamp? Hippolyte Beauchamp?«

»Ganz richtig. Genügt ihre Garantie?«

Der Oberbibliothekar putzte sich zuerst die Nase, dann die Augengläser.

»Hm, ja, ja, das genügt. Wer sind Sie, mein Herr? Entschuldigen Sie, wenn ich nicht ...«

Der Doktor lächelte seraphisch und verbeugte sich mit ausgebreiteten Handflächen.

»Zimmertür!« krächzte er. »Doktor Zimmertür aus Amsterdam. Nur ein unbedeutender Kollege der großen Gelehrten, aber vielleicht doch nicht ganz von ihnen vergessen. Kann ich mir ihre Bürgschaft telegraphisch verschaffen oder ...«

Der Oberbibliothekar hatte sich gefaßt. Seine Augen drückten wiederum einen Argwohn aus, den er vergeblich zu verbergen suchte.

»Ich werde selbst telegraphieren«, sagte er. »Ich habe das Vergnügen, die beiden großen Männer zu kennen, und ...«

Er sprach den Satz nicht zu Ende, doch sein Gesicht sagte deutlicher als Worte: Und ich will sicher sein, daß das Telegramm von ihnen kommt und nicht von irgendeinem anderen!

Der Doktor verbeugte sich.

»Vergessen Sie den Namen nicht, Zimmertür, Doktor Joseph Zimmertür!«

»Ich werde ihn schon nicht vergessen«, murmelte der Oberbibliothekar. »M 33 in 9 b 28 – aber das ist ja eine Manie, eine Besessenheit!«

Der Doktor ließ sich abwartend an seinem Tisch nieder. Es waren noch einige Stunden, bis die Bibliothek geschlossen wurde. Und der Bibliothekar konnte noch ganz gut vorher Antwort haben. Das plötzliche Gefühl, daß jemand ihn fixierte, ließ ihn aufblicken. Sehr richtig. Einige Tische entfernt, scheinbar in ein Konversationslexikon vertieft, saß Signor della Croce. Über dem Rand des dicken Bandes ruhten seine braunen Samtaugen auf dem Doktor unverhohlener denn je. Der Doktor starrte wild grimassierend zurück, und der Italiener senkte hastig den Blick auf das Lexikon. Was wollte der Mann? Spionierte er? Aber einen Augenblick später hatte der Doktor Herrn della Croce komplett vergessen. Denn ihm war ein Idee gekommen.

Er hatte sich gefragt, welchen Sinn seine, des anderen, Studien vor zwanzig Jahren gehabt haben mochten. Auf diese Frage hatte er keine Antwort finden können. Er hatte vergeblich versucht, die Anzeichnungen im Text mit einem wissenschaftlichen Interesse in Einklang zu bringen. Aber wer hatte denn gesagt, daß gerade ein wissenschaftliches Interesse hinter den Studien des Grafen Passano stecken mußte? Wenn man alle seine Notizen, Unterstreichungen und Ausrufungszeichen zu einem Ganzen sammelte, ergab sich ein klares und deutliches Bild der Ideen, die ihn während der Lektüre beherrscht hatten!

Diese Ideen waren nicht wissenschaftlicher Natur. Ihr Inhalt ließ sich in einem einzigen Worte ausdrücken: Reichtum!

›Marco Polo hatte viele Jahre am Hofe des großen Khan gelebt und sich große Reichtümer erworben ...‹ – ›Kublai Khan untersagte seine Abreise und bot ihm das Doppelte dessen, was er bereits an Gold und Schätzen besaß‹ ... ›Er reiste ab, überhäuft mit Rubinen und anderen Edelsteinen, Geschenke des großen Khans‹ ... ›Er langte in Venedig an, frisch, gesund, und mit großen Reichtümern ... ‹

Das war es, was die Notizen und Unterstreichungen besagten. Aber inwiefern konnten Marco Polos mittelalterliche Schätze einen Leser des zwanzigsten Jahrhunderts interessieren? Die Augen des Doktors quollen aus den Höhlen und wurden apisgleich, während er diese Frage vor sich hin murmelte.

Die Einzelheiten von Marcos Reisen, die Aufschlüsse, die er über die damaligen Sitten und Gebräuche, über Länder und Völker gab – all dies war von Interesse und wurde noch heute überall in der Welt eifrig studiert. Aber seine persönliche Ausbeute der Reise nach Xandu und Kambalu – gab es etwas Gleichgültigeres, nachdem sich der Staub von sechs Jahrhunderten auf seinem Grabe gelagert hatte?

Nein. Und doch sah es aus, als hätte jemand eine andere Auffassung gehabt – der Vorgänger des Doktors! Aber was, was, was war der Sinn eines solchen Interesses? Wie oft sich der Doktor diese Fragen gestellt hatte, wußte er nicht, als er plötzlich unterbrochen wurde. Der Oberbibliothekar selbst stand an seinem Tisch. Sein Gesicht war ein einziges Lächeln.

»Es ist Antwort auf die Telegramme gekommen«, sagte er. »Sowohl der liebe Professor Bonvalot wie mein hochgeschätzter Freund, Professor Beauchamp, haben Sie auf das wärmste empfohlen und lassen Sie bestens grüßen. Verzeihen Sie, daß ich Ihrem Ansuchen nicht sofort entsprach – aber was wollen Sie, man ist Beamter, man ist ein Automat, der sich nur einem reglementmäßigen Sesam öffnet! Ich bitte Sie nochmals, es mir ...«

»Aber Herr Bibliothekar!« rief der Doktor. »Keine Entschuldigungen! Natürlich müssen Sie sich an das Reglement halten! Wie würde es gehen, wenn Sie ohne weiteres Ihre kostbaren Manuskripte an –« er sah sich um, aber Signor della Croce war nicht zu sehen – »an jeden x-beliebigen verleihen würden! Darf ich fragen, wieviel ich für die Telegramme schuldig bin?«

Der Bibliothekar machte mit beiden Händen Abwehrbewegungen.

»Eine Bagatelle! Ein Nichts! Ich setze sie dem Staat als Diensttelegramme auf Rechnung. Ich habe mir die Freiheit genommen, Ihnen das Manuskript gleich mitzubringen.«

Der Doktor zuckte zusammen. Erst jetzt sah er, daß der Bibliothekar ein kleines, in Leder gebundenes Bändchen in der Hand hielt. Er nahm es mit leicht zitternden Fingern.

»Gestatten Sie mir eine Frage«, sagte der weißhaarige Beamte lächelnd, »eine Frage, die – ich gebe es zu – neugierig und indiskret ist! Die beiden Gelehrten, auf die Sie sich beriefen, sind Spezialisten für seelische Erkrankungen und psychische Phänomene. Ich ziehe also die Schlußfolgerung, daß Sie selbst einer sind. Aber welches Interesse kann ein Buch wie dieses für einen Psychiater haben? Das ist ja eine kleine Klatschchronik aus dem 14. Jahrhundert, nichts anderes!«

Der Doktor murmelte etwas von historisch-psychopathischem Interesse. Der Oberbibliothekar empfahl sich, kam aber unvermutet wieder zurück.

»Ja richtig«, sagte er, »Sie fragten, ob es möglich sei, in Erfahrung zu bringen, wer diesen Band zuletzt entliehen hat. Ich habe mich der Mühe unterzogen nachzusehen. Wir führen über alle selteneren Bücher Protokoll. Und ich kann Ihnen also sagen, daß die letzte Entlehnung des Buches vor zwanzig Jahren stattgefunden hat, und daß der, der es sich auslieh, ein Italiener war, ein Graf Luigi di Passano.«

»So?« murmelte der Doktor bleich vor Erregung. »Ich danke Ihnen, Herr ...«

»Aber bitte sehr! Es scheint übrigens eine sehr kurze Entlehnung gewesen zu sein. Das Buch steht als am 23. Oktober spät nachmittags entliehen, und noch am selben Tag zurückgegeben notiert. Eine weitere Entlehnung hat nicht stattgefunden.«

»So?« murmelte der Doktor. Er wußte, was den anderen verhindert hatte, seine Studien fortzusetzen. Am 23. Oktober! Das war gerade der Tag, an dem er gefordert wurde. Am nächsten Morgen fand das Duell statt, und dann kam die Flucht, die Flucht vor der Polizei ...

»Ich hoffe, Sie werden das Manuskript interessanter finden als Ihr Vorgänger!« lächelte der Bibliothekar und verschwand.

Der Doktor sank auf seinen Stuhl, mit der gemurmelten Versicherung, daß das sicherlich der Fall sein werde, aber in seinem Innern wußte er, daß dies eine Phrase war. Wie groß seine Spannung auch war, konnte sie sich doch sicherlich nicht mit der des anderen messen. Sein ganzes Interesse lag darin, der Fährte des anderen zu folgen, aber er, der andere hatte – soviel war ihm schon klar – irgendeine Idee gehabt, irgendeine These, eine verrückte Theorie, derzufolge dieses Buch für ihn die Lösung eines ganzen Mysteriums war. Wenn seine Studien so kurz gedauert hatten, so war nicht Mangel an Interesse daran schuld gewesen! Wenn sie nie wieder aufgenommen worden waren, so lag dies ausschließlich an der totalen Unmöglichkeit, sie wieder aufzunehmen! Er konnte ja nicht in die Stadt zurückkehren! Ja nicht einmal in das Land, zu dem die Stadt gehörte, ohne wegen seines Duells verhaftet zu werden! Doch genug! Der Doktor hatte nicht die Zeit, seinem Unglücksschicksal noch weitere Gedanken zu opfern. Es galt zu erforschen, was sein Lebensinteresse gewesen war.

Behutsam öffnete er das kleine Bändchen.

Das erste, das er konstatierte, war, daß es wirklich ein Manuskript enthielt. Es war auf dünnem Pergament geschrieben, mit der im Mittelalter häufigen sogenannten karolingischen Minuskelschrift. Dieser Schrifttypus ist in der Regel ungemein klar und leicht leserlich, und für den Doktor, der selbst Sammler war, bot er keine Schwierigkeiten. Die Sprache war italienisch, hie und da mit Latein gemischt.

Er begann zu lesen. Es dauerte nicht lange, und er fragte sich, ob er vielleicht einen falschen Band bekommen hatte. Die Denkwürdigkeiten Messer Rusticianos aus Pisa waren genau so, wie sowohl der Unter- wie der Oberbibliothekar sie bezeichnet hatten, Klatschgeschichten aus dem vierzehnten Jahrhundert. Er erzählte ausführlich von seinen Reisen in Frankreich und anderen Ländern, von großen Männern, die er kennengelernt hatte, und von ihren Familienverhältnissen. Ab und an kam eine naive Reflexion, die amüsierte, so wenn er zum Beispiel bei Gelegenheit seines Besuches in Frankreich – am Hofe Philipps des Schönen – sagte: ›Die Franzosen eignen sich zweifelsohne vortrefflich zu kriegerischen Taten und der Einnahme befestigter Plätze, aber wenig zur Eroberung des Herzens einer schönen Dame. Da haben wir Italiener einen gewaltigen Vorsprung vor ihnen.‹ – Aber in der Regel war der Stil trocken und die ›Denkwürdigkeiten‹ ganz danach angetan, bald in Vergessenheit zu versinken.

Warum waren sie von dem Vorgänger des Doktors vor zwanzig Jahren so heiß begehrt worden? Ja warum?

Von seiner Begegnung mit Marco Polo im Gefängnis von Genua erzählte der Pisaner eigentlich nur ganz nebenbei. Marco Polo war Befehlshaber auf einem venezianischen Kriegsschiff in der Seeschlacht bei Curzola an der dalmatinischen Küste gewesen, wo die Flotten der beiden Handelsrepubliken am 7. September im Jahre des Heils 1298 zusammenstießen. Im Gefängnis traf er Messer Rusticiano, und auf seinen Wunsch ließ Marco seine Reiseaufzeichnungen aus Venedig kommen – die Formen der Gefangenschaft waren damals offenbar milder als sechshundert Jahre später – und diktierte dem Pisaner sein Buch. Am 25. Mai 1299 wurde der Friede zwischen Genua und Venedig unterzeichnet, und kurz darauf wurden die beiden Gefangenen freigelassen.

All dies wußte die Wissenschaft aus anderen Quellen. Es war dem Doktor wohlbekannt, sicherlich war es auch dem anderen bekannt gewesen. Hier konnte die Erklärung für sein Interesse nicht liegen. Aber wo dann?

Der Doktor las Seite für Seite durch – eine streckenweise recht mühselige Arbeit –, aber vergeblich spähte er nach einem Detail, das seinen Vorgänger interessiert haben konnte. Kleine Anekdoten und Betrachtungen, Hofklatsch und vornehmer Familienklatsch – die Worte der beiden Bibliothekare paßten haargenau. Jetzt waren kaum mehr zehn Seiten übrig. Und plötzlich kam das, wonach er gesucht hatte. Eine Sensation? Er wußte es nicht; aber er fühlte nur, wie eine Überzeugung plötzlich in ihm auftauchte und sein Inneres wie eine Überschwemmung durchflutete, die Überzeugung, daß es dies war, wonach er gesucht und was der andere geahnt und wovon er vielleicht einen flüchtigen Schimmer erblickt hatte, ehe der Zufall oder sein Unglücksschicksal ihn für alle Zeit von dem Baume der Erkenntnis vertrieb.

Die Stelle in Messer Rusticianos Buch lautete folgendermaßen:

›In diesem Jahre, das das Jahr 1324 nach Christi Geburt war, kam ich nach Venedig. In Wahrheit, dies ist die Hauptstadt des Handels, an der gemessen alle anderen Städte klein sind. Ich sah Schiffsladungen kostbarer Waren aus Cypern und Alexandria und dem Schwarzen Meer in die Stadt verfrachtet werden. Und wie es natürlich war, lenkte ich meine Schritte zu dem Hause, in dem Messer Marco Polo lebte.

Nur mit großer Schwierigkeit konnte ich ihn wiedererkennen. – ›Ha! Messer Marco, wohl war das Gefängnis in Genua schlimm, aber ein noch schlimmeres habt Ihr durchgemacht, will es mich bedünken.‹ – ›In Wahrheit, Messer Rusticiano, ich kenne ärgere Gefängnisse als jenes, welches wir in der glorreichen Republik Genua teilten.‹ – ›Und welches?‹ – Er erwiderte: ›Wenn nicht diese Stadt schon an sich ein Gefängnis wäre, so wäre dieses Haus ein hinlängliches!‹ – Ich staunte, denn alles im Hause sprach von Wohlstand. Sollte die Republik Venedig nicht den Mann ehren, den der Herrscher der Tataren geehrt und der durch drei Jahre eine Provinz regiert hatte? Messer Marco sagte: ›Diese Stadt hat vierhundert Brücken und ist unermeßlich stolz auf sie. Wenn man ihren Einwohnern von Städten mit zwölftausend Brücken erzählt, wie der glorreichen Stadt Quin-sai, hohnlachen sie. Wenn man ihnen erzählt, daß die Einkünfte des großen Khan allein aus der Provinz Quin-sai sich auf zweihundert Millionen Dukaten belaufen, kommen sie sich selbst arm vor und werden ungehalten. Diese Stadt ist ein Gefängnis, o Rusticiano!‹ – Messer Marco verstummte und sagte dann noch: ›Oft und oft habe ich daran gedacht, wieder nach dem Osten zu ziehen, aber der große Kublai Khan ist tot, und niemand weiß, ob sein Nachfolger Timur mir gewogen sein würde. Doch, wäre er auch mein Feind, er könnte mir keine größeren Qualen bereiten als die, welche ich in dieser Stadt und in diesem Hause erleide.‹ – Messer Marco schwieg und sagte dann später: ›Als ich in den Ländern der Gelben weilte, o Rusticiano, lernte ich ihre Schriftzeichen verstehen. Sie haben ein besonderes Zeichen für das Wort Weib. Wisse, daß, wenn dieses Zeichen verdoppelt wird, es einen anderen Sinn bekommt und Zank und Streit bedeutet. Im Jahre des Heils 1300 vermählte ich mich und nun, o Rusticiano, habe ich vier Weiber im Hause, eine Frau und drei Töchter. Wenn ich noch im Lande der Gelben wohnte, müßte das erwähnte Schriftzeichen vierfach über dem Eingang meines Hauses stehen. Wahrlich, die Zeichen der Tataren sind sehr sinnreich, und dieses Haus ist ein noch ärgeres Gefängnis als die Stadt Venedig. Wie mögen wohl die Länder im Westen sein, die ich nicht kenne?‹ – Da erzählte ich ihm vom Lande der Franken und von Deutschland. Aber er hörte nicht recht hin. Bald begann er wieder: ›Mein Alter ist gekommen, und ich werde im Gefängnis sterben. Aber vorher werde ich mein Testament machen, und das wird gerecht sein, wie es einem Manne geziemt, sei er nun Christ, Sarazene oder Heide. Jenen, die mich im Gefängnis bewachten, das Gefängnis mit allem, was darin ist! Mögen sie es in Frieden genießen! Aber möge der, der kühn und klug zugleich ist und nicht fürchtet, das Neue zu glauben, weil es abenteuerlich klingt, möge er es in Besitz nehmen!‹ Messer Marco gab sich seiner Heiterkeit so lange hin, daß ich staunte, und sprach dann weiter: ›Diese Stadt ist die Stadt der Tauben, und die Tauben bewachen das, was die größte Ehre und der größte Schatz der Stadt ist. Die Taube ist scheu. Möge der, der weniger scheu ist als die Taube, die Taube überlisten, ihr Nest plündern und ihre Eier rauben! Vielleicht bedarf es dazu der List der Schlange, von der der heilige Markus spricht. Vielleicht auch des Mutes des Löwen, der der Schutzpatron des heiligen Markus und der Stadt Venedig ist!‹ Abermals überließ sich Messer Marco seiner Heiterkeit, und da ich nun merkte, daß er im Fieberwahn redete, oder so wie jene sprechen, die ihr Ende herannahen fühlen, nahm ich mit vielen herzlichen Worten von ihm Abschied, und er geleitete mich zu seiner Türe, an der seine Frau, Monna Donata und seine drei Töchter saßen, und er sprach zu mir: ›Fahr wohl, o Rusticiano, und wenn du von meinem Tode hörst, so gedenke dessen, was ich heute gesagt habe!‹ Kurz darauf, als ich in Verona weilte, wo Can Grande della Scala Hof hielt, erreichte mich die Nachricht von seinem Tode, der am St. Januariustag im Jahre des Heils 1325 eintrat.‹

Das war alles. Der Rest des Buches enthielt nur gleichgültige Dinge über die übrigen Reisen des Pisaners. Doktor Zimmertür hob den Kopf und richtete sich auf. Er hatte mit dem ganzen Oberkörper über dem Buche gelegen wie ein Junge über einem Indianerroman. Seine Augen waren noch von dem Licht der grünen Leselampe geblendet; er schloß sie und legte mechanisch die Hand über die Augenlider, während er nachdachte. Was bedeutete das, was er gelesen hatte? Waren es diese Aufschlüsse über Marco Polo, denen der andere so eifrig nachgejagt hatte? War es Messer Rusticianos Buch, auf das die Worte gemünzt waren: ›Da! Natürlich da! Geduld, ich ...‹?

So mußte es sein; eben diese Aufschlüsse mußten es sein, nach denen der andere mit Lichtern und Laternen gefahndet hatte. Aber wenn sie eine Bedeutung hatten, die so großen Erwartungen entsprach, so war diese Bedeutung dem Doktor wenigstens im Augenblick nicht klar. Daß Marco Polos Familienleben unglücklich gewesen war, wußte man aus anderen Quellen; daß er sogar erwogen hatte, Venedig zu verlassen, um Reisen in das Abendland zu unternehmen, wußte man ebenfalls. Es war anzunehmen, daß seine Gefühle für seine Heimatstadt und seine Familie genau so gewesen waren, wie die ›Denkwürdigkeiten‹ andeuteten. Aber die Ausdrucksformen dieser Gefühle, so wie das Buch sie zitierte, machten auf den Doktor denselben Eindruck, den sie auf den Verfasser des Buches gemacht hatten: Messer Marco sprach im Fieberwahn, oder wie einer, der sein Ende herannahen fühlt. Und wie konnten seine Worte unter irgendwelchen Umständen für einen Menschen des zwanzigsten Jahrhunderts Bedeutung haben?

Der Doktor nahm die Hand von den Augen und starrte zu den Kronleuchtern empor. Dann senkte er den Blick zum Tisch. Das nächste, was er tat, war, von dem Stuhl aufzuspringen. Das nächste, wieder auf den Stuhl niederzusinken und sich nach allen Seiten umzusehen.

Das Manuskript war fort. Messer Rusticianos ›Denkwürdigkeiten‹ waren von dem Tisch verschwunden.

Das war unmöglich! Es war kaum eine Minute her, seit er den Kopf von den Blättern des Buches erhoben hatte! Wie konnte es verschwinden? Wie sollte das zugegangen sein?

Wie es zugegangen sein konnte, war gleichgültig. Das Manuskript lag nicht da, wo er es zuletzt gesehen hatte, es hatte sich auch nicht zwischen die übrigen Bücher geschoben, es war einfach fort –

Ein Wutgeheul erstickte in des Doktors Kehle. Wie war es zugegangen? Er hatte die Hand über die Augen gelegt, während er nachdachte, und diese kurze Minute, die er so dasaß, hatte jemand benützt, um die ›Denkwürdigkeiten‹ zu stehlen. Jemand! Und wer? Wer konnte es sein, wenn nicht der elende Italiener, der den Band selbst entleihen wollte, es aber nicht durchgesetzt hatte, Herr della Croce, den er zuletzt in dem Augenblick gesehen hatte, als der Oberbibliothekar ihm M 33 in 9 b 28 brachte – und der jetzt fort war!

Ja, er war fort. Die Blicke des Doktors schweiften hastig rings um den Saal. Keine Spur von Signor della Croce! Er dachte blitzschnell nach. Was war zu tun? Dem Oberbibliothekar das Verschwinden melden? Er war die Liebenswürdigkeit selbst gewesen, als er ihm den kostbaren Band überreichte – aber vorher hatte er sich abweisend, um nicht zu sagen mißtrauisch verhalten. Würde er dem Doktor die Geschichte glauben? Würde er nicht eher in Herrn della Croce einen Komplizen sehen, dessen Aufgabe es gewesen war, das Manuskript für Rechnung des Doktors zu stehlen? Das war durchaus nicht unwahrscheinlich – und eine Sache war noch wahrscheinlicher, nämlich daß der Doktor inzwischen in den Arrest wandern mußte. Ganz richtig, die Professoren Bonvalot und Beauchamp konnten für seine Makellosigkeit garantieren, aber bis sie es getan hatten, oder bis das Manuskript mit Hilfe der Polizei zutage kam, würde der Doktor sitzen müssen.

Aber das Manuskript kam nicht mit Hilfe der Polizei zutage, davon war der Doktor überzeugt.

Signor della Croce würde einen zu guten Vorsprung haben. Straßburg lag nicht weit von der Grenze, und ...

Hier war nur eines zu tun. Er mußte selbst die Jagd auf Herrn della Croce aufnehmen! Noch waren seit dem Diebstahl nicht viele Minuten verstrichen, noch war die Fährte frisch, noch konnte man das Manuskript wiederbekommen und die Sache in aller Stille ordnen. Es war eine Stunde bis zur Sperrstunde der Bibliothek. Bis dahin würde man seine Abwesenheit nicht bemerken.

Er fackelte nicht lange. Auf raschen, diskreten Sohlen huschte er durch den Saal, in der Garderobe bekam er seinen Überrock und benützte die Gelegenheit zu einer hastigen Anfrage. Ja, ein Herr mit dem Exterieur, wie es der Doktor beschrieb, war vor zwei oder drei Minuten herausgekommen, hatte seinen Überrock genommen und war die Treppe hinuntergestürmt. Ob er etwas in der Hand getragen hatte? Nein, das hatte man nicht gesehen. Vermißte der Doktor etwas? War etwas verschwunden?

»Aber nein, aber nein!« rief der Doktor und verschwand im Eilmarsch über die Stiege. Erst jetzt, wo er seinen Entschluß zu realisieren begann, merkte er, wie ernst das Ganze war. Er war die unfreiwillige Ursache, daß ein ungelegenes, aber kostbares Dokument aus dem Besitz des französischen Staates verschwunden war. Er hatte den Diebstahl nicht gemeldet. Er hatte selbst die Jagd nach dem Dieb aufgenommen. Schön – aber bis zu dem Augenblick, wo er M 33 in 9 b 28 wieder auf den Tisch der Bibliothek legen konnte, war er Herrn della Croces Mitschuldiger.

Er glaubte schon, verfolgende Schritte hinter seinem Rücken zu hören. Sollte er umkehren? Den Vorfall rapportieren, seinen plötzlichen Impuls erklären und die Folgen auf sich nehmen?

Die Folgen waren Arrest, daran war nicht zu zweifeln. Und er wollte nicht in den Arrest. Hingegen wünschte er lebhaft, Herrn della Croce zwischen vier solide Wände und hinter eine verriegelte Tür zu placieren. Er biß die Zähne zusammen und öffnete das Eingangstor.

Plötzlich erinnerte er sich des Briefes des Astrologen vom vorhergehenden Tage.

»Saturn, der über Gefängnisse und Einkerkerung herrscht, beherrscht in voller Aszension Ihren Geburtsstern Merkur, der sich in dem Hause seiner Erniedrigung, den Fischen, befindet«, murmelte er vor sich hin und schlug das Tor des Bibliotheksgebäudes krachend hinter sich zu.

Und so kam es, daß eine Stunde später die Arme des Oberbibliothekars wie Kolben auf und nieder gingen; daß zwei Expreßtelegramme die Professoren Bonvalot und Beauchamp in Paris unterrichteten, wie unangebracht es ist, Schlangen an seinem Busen zu nähren, und daß bei der Straßburger Polizei eine Anzeige gegen Dr. Zimmertür aus Amsterdam wegen Diebstahls und Entführung von französischem Nationaleigentum erstattet wurde.


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