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Die Verständigung mit Frankreich über die türkischen Eisenbahnfragen

Die neuen Verträge, in Verbindung mit der vorausgegangenen Gewährung der Anleihe, hatten in der Tat die Wirkung, die Lage zu klären. In England wurde es für einige Zeit ganz still über die Bagdadbahn. Rußland hatte sich durch die Potsdamer Abmachung desinteressiert. Frankreich, dessen Vorstoß gegen das Bagdadunternehmen nun endgültig abgewiesen war, suchte jetzt »Kompensationen« für die von uns erzielten Erfolge auf andern Gebieten; es begann Verhandlungen über Eisenbahnkonzessionen erheblichen Umfanges in der europäischen Türkei und in Nordost-Anatolien und stellte der Türkei für den Fall eines günstigen Ergebnisses eine große Anleihe in Aussicht.

 

Französische Politik

Auch diese neuen französischen Wünsche kollidierten in wichtigen Punkten mit älteren Rechten der Anatolischen und der Bagdadbahn; aber dieses Mal versuchte die französische Gruppe sich in Güte mit der deutschen Gruppe zu verständigen. Es kam zu Besprechungen, die – über die einzelnen strittigen Punkte hinaus – sich auf die Gesamtheit der beiderseitigen Wirksamkeit in der Türkei erstreckten und die Möglichkeit der Aufstellung eines Programms für eine vernünftige, die wirtschaftlichen Bedürfnisse und die finanzielle Leistungsfähigkeit der Türkei berücksichtigende Arbeitsverteilung im Ausbau des türkischen Eisenbahnnetzes erörterten. Mit die größte Schwierigkeit bildete die unklare und unbefriedigende Stellung der französischen Gruppe im Bagdadunternehmen. Die französische Gruppe war nach wie vor mit 30 Prozent an dem Unternehmen beteiligt, während die noch kurz zuvor von Herrn Pichon als Minister des Auswärtigen neu verkündete Sperre des französischen Marktes für die Bagdadwerte ihr die aktive Mitwirkung an der Finanzierung des Geschäftes unmöglich machte. Ich hatte im Juni 1911 in Konstantinopel mit dem neuernannten Generaldirektor der Ottomanischen Bank, Herrn Revoil, früher französischer Gesandter in Tanger und Botschafter in Madrid, bekannt durch seine scharfe Vertretung des französischen Standpunktes in der Marokkofrage, mehrfache Unterredungen über diesen Gegenstand. Ich drang dabei auf eine Klarstellung der französischen Politik im Bagdadgeschäft: entweder wolle man die französische Beteiligung aufrechterhalten, dann müßten die Hindernisse einer effektiven französischen Mitwirkung an der Aufbringung der finanziellen Mittel und die offizielle Gegnerschaft der französischen Regierung gegen das Bagdadunternehmen beseitigt werden. Oder aber letzteres sei nicht möglich; dann seien wir bereit, die französische Beteiligung zurückzunehmen. Herr Revoil erklärte sich damals noch mit großer Entschiedenheit gegen ein Ausscheiden der französischen Gruppe aus dem Bagdadunternehmen, mit dem Hinzufügen, daß auch seine Regierung das Verbleiben der französischen Gruppe im Bagdadgeschäft wünsche. Es müsse auf andere Weise versucht werden, unsern Wünschen, deren Berechtigung er nicht bestritt, gerecht zu werden.

Diese kaum begonnenen Besprechungen wurden durch das Erscheinen des »Panther« vor Agadir und die sich daran anschließende kritische Zuspitzung des deutsch-französischen Verhältnisses unterbrochen. Dann ließen der türkisch-italienische Krieg und der Balkankrieg ein weiteres Zuwarten als geboten erscheinen. Erst im Frühjahr 1913 konnten die Fäden mit Nutzen wiederaufgenommen werden.

Meine Anwesenheit in Paris gab Gelegenheit, die deutschfranzösische Verständigung über die türkischen Geschäfte wieder in Fluß zu bringen. Die Vorfrage der französischen Stellung im Bagdadgeschäft wurde dieses Mal zu einer klaren Entscheidung gebracht. Nachdem ich Herrn Revoil erneut die Alternative: »ou collaboration loyale, ou Separation nette« gestellt hatte, erklärte dieser, mir nach Befragung des Ministers des Auswärtigen eine klare Antwort geben zu wollen. Nach einigen Tagen brachte er mir den Bescheid des Quai d'Orsay; er lautete – wie mir Herr Revoil versicherte, zu seinem großen persönlichen Bedauern – auf »Separation nette«.

Auf Grund der damit gegebenen Entscheidung wurden dann die Verhandlungen über den ganzen Fragenkomplex in Berlin unter Mitwirkung des französischen Botschafters, eines Vertreters des französischen Ministeriums des Auswärtigen und des Vizegouverneurs der Bank von Frankreich fortgesetzt. Am 15. Februar 1914 konnten die Verträge paraphiert werden. Sie trafen Vereinbarungen über das Ausscheiden der französischen Gruppe aus dem Bagdadunternehmen und über den Ausbau der von beiden Gruppen in der asiatischen Türkei betriebenen und geplanten Eisenbahnsysteme, ferner Bestimmungen über die Anschlußpunkte, über die das gemeinschaftliche Interesse beider Eisenbahnsysteme berührenden Tariffragen, über eine den finanziellen Kräften der Türkei angepaßte zeitliche Staffelung der Ausführung neuer Eisenbahnbauten und schließlich über ein Zusammenwirken bei der Sicherung der infolge des Balkankriegs gefährdeten türkischen Anleihen und bei der Konsolidierung der türkischen Finanzen. Das Inkrafttreten des Abkommens war abhängig gemacht von dem Zustandekommen der Abmachungen, über die damals sowohl von der deutschen wie auch von der französischen Gruppe mit der türkischen Regierung verhandelt wurde. Ferner bestand natürlich ein enger Zusammenhang zwischen den deutsch-französischen Abmachungen und den Vereinbarungen, die damals zwischen Deutschland und England in Sachen der beiderseitigen Unternehmungen in Kleinasien und Mesopotamien zur Diskussion standen.


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