Thomas Theodor Heine
Die Märchen
Thomas Theodor Heine

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V
Professore Asino

Herr Oberlehrer Dr. Stöttritz aus Leipzig hielt sich in den grossen Ferien in Florenz auf. Er studierte die Kunstschätze und Altertümer Italiens, über die er einige Abhandlungen zu veröffentlichen gedachte.

Als er eines Morgens am Marktplatz herumging, hörte er das jämmerliche Schreien eines Esels und gewahrte einen Bauern, der mit erbarmungslosen Stockhieben das alte, unter seiner Last erschöpft zusammengesunkene Tier weitertrieben wollte. Dr. Stöttritz versuchte, dem Bauern das Unmenschliche seines Beginnens darzustellen, stiess aber nur auf höhnische Ablehnung, während der Esel immer stärkere Schläge zu erdulden hatte und bereits aus vielen Wunden blutete. Das arme Geschöpf blickte den Oberlehrer so hilfesuchend an, dass ein grosser Entschluss in diesem reifte. »Halt!« rief er, »keinen Schlag weiter! Was kostet der Esel?« Sofort liess der Peiniger von seinem Opfer ab. Es wurde über den Preis verhandelt, und bald war Herr Dr. Stöttritz Besitzer eines Esels. 40

Das war nun nicht so leicht für ihn. Was sollte er mit seinem Schützling beginnen? Er mochte ihn nicht anderen Peinigern überlassen. Zudem sagten ihm die dankbaren Augen des Tieres, dass es erwarte, bei ihm bleiben zu dürfen. So nahm er es mit in sein Albergo, liess ihm ein Unterkommen in einem Stall geben und Futter reichen.

Am Abend suchte er den Esel dort auf und sagte: »Na, wie geht's Alterchen?« Zu seinem masslosen Erstaunen antwortete der: »Ich danke, es geht schon besser. Sie sind ein edler Mensch. Ich werde mich dankbar erweisen. Ich will Ihnen ein Geheimnis verraten. Wenn Sie Geld brauchen, so rufen Sie: »Eslein streck dich«, und ziehen mich dreimal am Schwanz.« »Geld kann man immer brauchen, besonders auf der Reise,« meinte der Oberlehrer und tat, wie der Esel angegeben.

Der Esel rief: »Yah«, und hob den Schwanz, und unter diesem fielen Hundertlire-Scheine herab, bis Herr Dr. Stöttritz sagte: »Genug für heute. Wir müssen auch für morgen ein Pensum übrig lassen.« Er hob die Scheine auf und zählte sie. Es waren fünfzig Stück. Zwei davon behielt er bei sich. Die übrigen brachte er 41 anderntags auf die Bank und setzte seine antiquarischen Studien fort. Von Florenz aus reiste er nach Rom und noch nach vielen anderen Städten Italiens, immer in Begleitung seines Esels. Wenn ihm das Studium Zeit dazu liess, machte er auch Spaziergänge in seiner Gesellschaft. Erst nachdem ihn der Esel dringend dazu aufgefordert hatte, bediente er sich seiner auch als Reittier. Dr. Stöttritz wurde in ganz Italien eine bekannte komische Figur und galt als unermesslich reich. Illustrierte Zeitungen brachten das Bild des »Professore Asino.« Besonders in Neapel wurde er mit Halloh begrüsst.

Man bot ihm dort die merkwürdigsten Tauschgeschäfte an. Ein verdächtig aussehender Mann wollte ihm den alten Esel gegen eine junge Ziege eintauschen, einer sogar gegen einen kleinen Knaben. Der Oberlehrer wunderte sich und fürchtete schon, sein Geheimnis sei verraten, besonders als er bemerkte, dass man immer wieder versuchte, ihn bei den abendlichen Zusammenkünften mit dem Esel zu 42 belauschen. »Eslein streck' dich« funktionierte andauernd tadellos.

Aber eines Tages, als Dr. Stöttritz wieder einen Posten Hundertlire-Noten auf der Bank deponieren wollte, bat man ihn in das Direktionszimmer zu kommen und befragte ihn, woher er die Scheine habe. Er wurde sehr verlegen und wollte sein Geheimnis nicht verraten. Man sagte ihm auf den Kopf zu, dass das Geld gefälscht sei. Ein Detektiv brachte ihn zur Polizei. Zwei Monate sass er in dem schmutzigen Gefängnis, dann war die Gerichtsverhandlung. Da blieb ihm nichts übrig als den Zusammenhang aufzuklären. Er erbot sich, das Esleinstreckdich seine Kunst vorführen zu lassen. Aber man lachte ihn aus. Ausserdem war der Esel längst gestohlen worden. Sachverständige stellten einwandfrei fest, dass sämtliche Scheine falsch waren. 43

Herr Oberlehrer Dr. Stöttritz wurde zu langjähriger Zuchthausstrafe verurteilt.

Und wenn er nicht gestorben ist, sitzt er heute noch. 44

 


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