Heinrich Heine
Englische Fragmente
Heinrich Heine

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VII. Körperliche Strafe in England

Ich kann nicht bestimmt genug versichern, wie sehr ich gegen Prügel im allgemeinen eingenommen bin, und wie sehr sich mein Gefühl empört, wenn ich geprügelte Nebenmenschen insbesondere sehe. Der stolze Herr der Erde, der hohe Geist, der das Meer beherrscht und die Gesetze der Sterne erforscht, wird gewiß durch nichts so sehr gedemütigt als durch körperliche Strafe. Die Götter, um den lodernden Hochmut der Menschen herabzudämpfen, erschufen sie die Prügel. Die Menschen aber, deren Erfindungsgeist durch den brütenden Unwillen geschärft wurde, erschufen dagegen das Point d'honneur. Franzosen, Japaner, indische Brahminen und das Offizierkorps des Kontinents haben diese Erfindung am schönsten ausgebildet, sie haben die Blutrache der Ehre in Paragraphen gebracht, und die Duelle, obgleich sie von den Staatsgesetzen, von der Religion und selbst von der Vernunft mißbilligt werden, sind dennoch eine Blüte schöner Menschlichkeit.

Bei den Engländern aber, wo sonst alle Erfindungen zur höchsten Vollkommenheit verfeinert werden, hat das Point d'honneur noch nicht seine rechte Politur empfangen. Der Engländer hält Prügel noch immer für kein so großes Übel wie den Tod, und während meines Aufenthalts in England habe ich mancher Szene beigewohnt, wo ich auf den Gedanken kommen durfte, als haben Prügel in dem freien England keine so schlimmen Wirkungen auf die persönliche Ehre wie im despotischen Deutschland. Ich habe Lords abprügeln gesehen, und sie schienen nur das Materielle dieser Beleidigung zu fühlen. Bei den Pferderennen zu Epsom und Brighton sah ich Jockeyen, die, um den Wettreitern Bahn zu machen, mit einer langen Peitsche hin und her liefen und Lords und Gentlemen aus dem Weg peitschten. Und was taten die solchermaßen berührten Herren? Sie lachten mit einem saueren Gesichte.

Ist also körperliche Strafe in England nicht so entehrend wie bei uns, so ist doch der Vorwurf ihrer Grausamkeit dadurch noch nicht gemildert. Aber dieser trifft nicht das englische Volk, sondern die Aristokratie, die unter dem Wohl Englands nichts anderes versteht als die Sicherheit ihrer eigenen Herrschaft. Freien Menschen mit freiem Ehrgefühl dürfte diese despotische Rotte nicht trauen; sie bedarf des blinden Gehorsams geprügelter Sklaven. Der englische Soldat muß ganz Maschine sein, ganz Automat, das aufs Kommandowort marschiert und losschießt. Daher bedarf er auch keines Befehlshabers von bedeutender Persönlichkeit. Eines solchen bedurften freie Franzosen, die der Enthusiasmus leitet, und die einst, trunken von der Feuerseele ihres großen Feldherrn, wie im Rausche die Welt eroberten. Englische Soldaten bedürfen keines Feldherrn, nicht einmal eines Feldherrnstab, sondern nur eines Korporalstocks, der die ausgerechneten Ministerialinstruktionen, wie es von einem Stück Holz zu erwarten steht, recht ruhig und genau ausführt. Und, o je! da ich ihn doch einmal rühmen muß, so gestehe ich, ein ganz vorzüglicher Stock solcher Art ist der . . . . . . . . . . Wellington, dieser eckig geschnitzelte Hampelmann, der sich ganz nach dem Schnürchen bewegt, woran die Aristokratie zieht, dieser hölzerne Völkervampyr mit hölzernem Blick (wooden look, wie Byron sagt), und ich möchte hinzusetzen: mit hölzernem Herzen. Wahrlich, Alt-England kann ihn zu jenen hölzernen Schutzmauern rechnen, womit es beständig prahlt.

General Foy hat in seiner Geschichte des Krieges auf der pyrenäischen Halbinsel den Kontrast des französischen und englischen Militärs und ihrer Mannszucht sehr treffend geschildert, und diese Schilderung zeigt uns, was Ehrgefühl und was Prügel aus dem Soldaten machen.

Es ist zu hoffen, daß das grausame System, welches die englische Aristokratie befolgt, sich nicht lange mehr erhält, und John Bull seinen regierenden Korporalstock entzweibricht. Denn John ist ein guter Christ, er ist milde und wohlwollend, er seufzt über die Härte seiner Landesgesetze, und in seinem Herzen wohnt die Menschlichkeit. Ich könnte eine hübsche Geschichte davon erzählen.

Ein andermal!


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