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Großmutters Whistkränzchen.

. Als mein Großvater, der Oberförster von Stetten, im achtundsiebzigsten Lebensjahre starb, siedelte seine zweiundsiebzigjährige Witwe in unser Haus über, also in das Haus ihrer ältesten Tochter die in Nähe von Lenkwitz, in Belstedt, an einen Arzt verheiratet war. Mein Vater hatte der alten Dame die hübsche Parterrewohnung, die links vom großen Hausflur gelegen ist, eingeräumt; rechts davon hatte er sein Warte- und Sprechzimmer. Großmütterchen kam gern zu uns; auf Lenkwitz, das ihrem ältesten Sohn gehörte, der die prächtige Besitzung von seiner Pate Dorothea Kornemann geerbt hatte, mochte sie nicht bleiben.

»Es ist zu nahe der Stätte, wo ich meine glücklichsten Jahre verlebte,« sagte sie wehmütig. »Ich würde nur den ganzen Tag am Fenster stehen und nach den Dächern der Oberförsterei hinüber schauen – das taugt nicht. Ich will keine lästige alte Frau sein, ich will, daß man mich noch ein bißchen lieb hat. Stetten sehe ich wieder, er ist nur vorausgegangen, und sobald Gott es beschließt, reise ich ihm nach. Bis dahin will ich meinen Kindern leben und meinen alten Freunden; nach Lenkwitz werde ich jeden Sonntag fahren und Stettens Grab besuchen, das soll mein Gottesdienst sein, ein Dankgottesdienst, daß er mir den besten, liebsten Mann auf Erden gab und so lange gelassen hat.«

So that sie. Sie war eine liebenswürdige alte Frau, die Großmama Anita, selbstlos, klug, an allem Interesse nehmend, für jeden ein freundliches Wort findend und einen Rat. Die Dämmerstunden in ihrem behaglichen Witwenstübchen gehören zu meinen trautesten Lebenserinnerungen.

Großmutter war immer gleichmäßig heiter. Sie führte ihren kleinen Haushalt mit der nämlichen Sorgfalt wie früher den großen im Lenkwitzer Forsthause, mit Hilfe ihrer alten Köchin Kathrin. Sie trippelte jeden Sonntag zur Kirche, besuchte hie und da ein Konzert, spielte selbst noch auf dem dünnklingenden tafelförmigen Klavier, das sie zum zwanzigsten Geburtstag von ihrem Manne erhalten hatte, ihren geliebten Mozart, that unendlich viel Gutes, hatte es gern, wenn alte und junge Freunde und Freundinnen sie besuchten, und – dies war der Hauptglanzpunkt ihres stillen Daseins – spielte alle acht Tage am Mittwoch eine Partie Whist mit drei sonderlich guten alten Freunden.

Das heißt, zwei von ihnen waren Freundinnen, nur einer vom »stärkeren Geschlecht«, der fürstliche Oberforstrat a.D. Karl von Rieben, ein stattlicher alter Herr von fünfundsiebzig Jahren, dessen blaue Augen unermüdlich scharf und blitzend unter den starken weißen Brauen hervorlugten. Man sah ihnen heute noch an, daß sie einstmals den Bussard im Aether erspähen konnten, so hoch, wo ein andrer ihn nicht mehr gewahrte. Haar und Bart waren so silberweiß, wie ich nie wieder ähnliches erblickte, es leuchtete förmlich und war doch einst, wie Großmutter versicherte, so schön kastanienbraun.

Herr von Rieben wohnte seit seiner Pensionierung in Belstedt in einem uralten Fachwerkbau, über dessen großer eisenbeschlagener Hausthür ein mächtiges Hirschgeweih prangte. Das Haus hatte er den Erben einer alten Dame abgekauft; es gefiel ihm, neumodische Gebäude mochte er nicht. Und dahinein war er gezogen, als er vor zehn Jahren den Dienst quittierte, mit seinen unzähligen Rehkronen, seinen Gewehrschränken, Jagdbildern und alten Möbeln, die noch von seiner Mutter selig stammten, dem alten Wieschen, seiner Wirtschafterin, und dem noch älteren Diener, und sie befanden sich alle drin so mollig wie der Hamster im Bau.

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Er kam zu den Whistpartien immer ein Viertelstündchen vor der festgesetzten Zeit, und nie erschien er, ohne eine zarte Aufmerksamkeit für seine verehrte Freundin zu haben. Je nach der Jahreszeit brachte er der alten Dame eine Hyazinthe, Apfelsinen, die ersten Erdbeeren, die ersten Rosen oder frühreife Trauben mit, und das überreichte er mit so strahlenden Augen und einem so ritterlichen Handkuß, daß es eine wahre Freude war, dem zuzuschauen. Großmutter konnte bei solchen Gelegenheiten noch rot werden wie ein junges Mädchen, drohte ihm wohl lächelnd mit dem Finger und nannte ihn einen unverbesserlichen Verschwender.

Dann setzten sich beide ans Fenster und sprachen über Tagesneuigkeiten und machten Politik, diese beiden alten hochkonservativen Seelen, denen die neue Zeit so unverständlich geblieben war.

Viel Jahre sind seitdem schon wieder verflossen, und die beiden ruhen längst, aber mir ist es doch, als sei es gestern gewesen, daß ich sie noch so nebeneinander sah. Wenn ich zurückdenke, dann wird mir so traut, so heimlich zu Mute, dann sehe ich das nette Großmutterstübchen vor mir, die weißen Vorhänge der Fenster, die Hyazinthen darin, den Stuhl vor dem Nähtischchen, die Bilder an den Wänden, das riesige Sofa, auf dem bequem drei Personen sitzen konnten, und davor den Spieltisch mit eingelegtem Rokokomuster, spiegelblank; die silbernen Leuchter stehen sich schräg gegenüber, daneben die massivsilberne Lichtputzschere, die Karten sind bereits in einem Halbkreis ausgebreitet. Im Kachelofen knattern die Buchenscheite und draußen wirbelt großflockiger Schnee.

Großmutter hat schon ein paarmal verstohlen nach der Uhr gesehen. Ich sitze mit der Häkelarbeit an einem Fenster und sehe in dem außerhalb angebrachten Spiegel, der das Bild der Straße getreulich zurückwirft, ein paar wunderliche Gesellen auf dem Bürgersteig dahergewandelt kommen. Ich, als älteste Enkelin, mußte nämlich ein für allemal die Herrschaften bedienen bei dieser Whistpartie, zuerst mit Kaffee und Zwieback, mit Fußbänkchen und Rückenkissen, dann mit Aufheben der hingefallenen Karten, mit Lichtputzen und schließlich beim höchst einfachen Abendbrot.

Meine Schwestern neideten mir dieses Amt nicht. Es müsse tödlich langweilig sein, meinten sie, und ahnten gar nicht, wie interessant es tatsächlich für mich war. Die ganze Zeitperiode des Anfangs unsres Jahrhunderts, der Abglanz einer klassischen Zeit, waltete um diese vier alten Menschen, der Zeit, die sie mit Goethe, Napoleon dem Ersten, der holden Königin Luise teilten. Das genügte ja allein, um ein junges Herz zu begeistern.

An jenem Tage, von dem ich erzählen will, dem Tage, als der Oberforstrat mit Großmama auf dem Sofa saß und der zwei Partnerinnen wartete, die ich auf der Straße dahertrippeln sah, erfuhr ich etwas ganz besonders Interessantes, und das will ich hier erzählen.

»Sie kommen schon,« sagte ich aufstehend zu der alten ungeduldigen Dame. Und nach einigen Minuten hörten wir denn auch die Hausthürklingel tönen, und nach weiteren zwei Minuten traten die beiden sehnlichst Erwarteten, nachdem sie sich noch eine Weile vor der weit geöffneten Stubenthür mit den zierlichsten Redensarten' um die Ehre des Vortrittes bekomplimentiert hatten, in das Zimmer, das schon von einer leichten Dämmerung erfüllt war, obgleich es jetzt, Anfang März, bereits bis sechs Uhr hätte hell sein müssen.

Die eine war lang und hager und hatte eine spindeldürre Taille; sie trug eine Brille in Gold gefaßt; das Gestell war ein »Erbstück vom seligen Väterchen«, wie jedermann erzählt wurde. Sie erschien ein für allemal im Blondenhäubchen mit lila Band, das unter dem Kinn sorgfältig zu einer Schleife gebunden war, und im grauen Lüsterkleid, eine mächtige Brosche vorgesteckt, die aus Haarblumen auf weißem Atlasgrund in goldenem Rähmchen gebildet wurde. Sie trug Filet-Halbhandschuhe und hieß Fräulein Dorette Walter. Bei feierlichen Gelegenheiten prangte an dem grauen Gewand der Luisenorden.

Sie war die Aelteste der Herrschaften, schien ganz aus Sehnen und Knochen zu bestehen, hatte einen gewissen grimmigen Ausdruck zu eigen und liebte das Militär schwärmerisch. Daß Blücher mit ihr gesprochen, daß er sogar zu ihr gesagt hatte: »Wenn man von solchen Händen gepflegt wird, so nimmt man gern eine Wunde in Kauf!« – das war der Glanzpunkt ihres Lebens, und die Geschichte kannte jedermann im Städtchen, vom Greise bis zum kleinsten Schulbuben. An jenem Tage war Dorette Walter etwa achtzig Jahre alt.

Die andre war Frau Wilhelmine Brenken, geborene Otterstedt aus Jestedt, Anfang der Siebziger, stark, leicht gerührt, noch gern nach der Mode sich kleidend und mit einer so wundervollen schwarzen Perücke geschmückt, daß sie von einer gewissen Entfernung aus noch für eine Fünfzigjährige gelten konnte.

Großmutter, die Jüngste von ihnen, war eben erst achtundsechzig geworden.

Diese vier alten Leute nun tranken an diesem Tage wie gewöhnlich ihren Kaffee, bevor sie das Spiel begannen, wobei von diesem und jenem gesprochen wurde. Der herrliche Kamelienstock, den der Herr Oberforstrat heute Großmutter verehrt hatte, wurde gebührend bewundert, und dann erhob man sich und ging an den Spieltisch, während ich leise das Kaffeegeschirr abräumte, die Vorhänge schloß und mich an dem runden Tisch in der Nähe des Ofens niederließ, um meine Stickerei zur Hand zu nehmen. Großmutter und Frau Wilhelmine saßen sich gegenüber, der Forstrat spielte mit Fräulein Dorette; es war alles wie jeden Mittwoch, dieselben Reden, dieselbe Berechnung.

Plötzlich hörte ich das hohe Kichern von Fräulein Dorette Walter. »Nein, mein lieber Herr Oberforstrat,« und sie schlug mit ihrer knochigen Hand auf den Tisch, »das ist ja unerhört! Wenn ein unverheirateter Herr und eine alte Jungfer zusammen spielen, so sollen sie dem Sprichwort zufolge wenigstens Glück im Spiel haben – und wir werden Schlemm!«

»Ja – hm,« brummte er und mischte die Karten von neuem, während Frau Minchen – so wird sie von den Damen genannt – erzählte, daß sie nur gewinne, wenn Coeur Atout sei, und daß sie eben die ganze »Flöte« darin besessen hätte. »Ja, und überhaupt« – setzte er hinzu, während Fräulein Dorette gibt und sich zweimal vergibt. was von allen mit himmlischer Geduld ertragen wird – »und überhaupt, wenn Herz Atout ist, habe ich die Karten.«

Ich saß da, ohne recht acht auf das Gespräch zu geben, und ich würde dies auch noch nicht gethan haben, wenn ich nicht zufällig gesehen hätte, wie Großmutter ihren alten Freund anschaute mit ihren dunklen Augen, die so merkwürdig jung geblieben waren bis heute. Die alte Dame wandte mir ihr Gesicht voll zu, und plötzlich legte ich die Arbeit Zur Seite und sah sie atemlos am Es lag etwas in ihrem Blick – ja, was denn nur? – Bittendes, Schalkhaftes und doch Trauriges, und er – er nickte ihr nur zu, streichelte leise ihre kleine, noch immer hübsche Hand und sagte bedächtig:

»Ja, ja, Frau Anita – heute ist der achte März und heute sind's zweiundfünfzig Jahre!«

»Was ist denn zweiundfünfzig Jahre her?« rief Frau Minchen und spielte aus. »Ach, Sie meinen doch nicht die alberne Geschichte, wo die Anita und ich – Sie – – Lieber Himmel, Dorette, was machen Sie denn? Stechen in zweiter Hand, im Anfang des Spieles? – Haben Sie denn kein Atout? Was ist denn zweiundfünfzig Jahre her?«

»Nichts meint er,« sagte Großmutter kurz und nahm den Stich; aber ich sah, wie sie blaß geworden war und wie ihre Finger, die die Karten hielten, leise zitterten.

Und nun achtete ich nur noch auf die beiden alten Leute. Großmutter blieb still für den Nest des Abends; selbst bei dem einfachen, aus Butterbrot und kaltem Aufschnitt bestehender: Nachtessen wollte keine rechte Stimmung aufkommen. Und als um halb neun Uhr der letzte Robber gespielt worden war und die Gäste sich verabschiedeten, da sah ich, wie Großmutter und ihr alter Freund sich abermals so eigenartig wie vorhin anblickten.

»Der achte März,« wiederholte er, »und Sie mögen es mir glauben oder nicht – ich streiche ihn auch heute noch rot an im Kalender, so ein unverbesserlicher alter Kerl bin ich – ja – ja! Gute Nacht, meine liebe Freundin, auf Wiedersehen heut über acht Tage! Vielleicht komm' ich auch schon früher einmal vor.«

Er zog ihre Hände, eine nach der andern, an seine Lippen, nickte ihr noch einmal zu, und indem er sich zu mir wandte, um Gute Nacht! zu wünschen, sagte er: »Schauen Sie doch, meine liebe Frau Anita, mit welch verwunderten Blicken das Kind uns beobachtet! Es wird Ihnen nichts übrigbleiben, als dem kleinen Fräuleinchen die Geschichte vom achten März zu erzählen, zu Nutz und Frommen junger Mädchen. Schlafen Sie wohl – eine geruhsame Nacht! Geruhsamer als heute vor so und so viel Jahren!«

Wir standen ganz still im Zimmer, hörten, wie seine Tritte auf der Treppe verhallten und wie Kathrine die Hausthür hinter ihm schloß; und dann wandte Großmutter sich um und stellte sich vor das Bild ihres seligen Mannes, und als sie nach einer langen Weile mir wieder ihr Gesicht zeigte, da hatte sie Thränen an den Wimpern hängen.

»Na,« begann sie ärgerlich, »was sollst du nun davon denken, du thörichtes Mädel? Und was wahr ist, bleibt wahr – er hat recht, er ist ein ganz dummer, unverbesserlicher Mensch, auch heute noch, der Karl von Rieben.«

Sie ging ein paarmal im Zimmer auf und ab und sagte endlich: »Nun denn, schraube die Lampe herunter und setze dich auf den Schemel neben meinem Stuhl am Ofen – ich möchte nicht, daß sich dein Kindskopf einen Roman ausdenkt, in dem etwa gar deine alte Großmutter eine wunderliche Rolle spielt. Ich will nicht hoffen, daß du unehrerbietige Gedanken hegst über sie? Uebermütig ist sie gewesen, aber Böses hat ihr meilenfern gelegen, der Anita von Stetten. Freilich, mit dem Uebermut, das hat auch so seinen Haken. – Nimm dir eine Lehre aus meiner Geschichte; ein unüberlegter Scherz hat schon manches Glück zerstört.«

Gehorsam setzte ich mich, obgleich es jetzt mit hellen Schlägen zehn Uhr schlug, der Hausordnung nach die Schlafenszeit. Aber was schadete es denn, wenn ich ein Stündchen später in unser Mädchenstübchen droben schlich? Großmutter hatte recht. ich würde kein Auge zuthun können, bevor ich nicht erfahren, was zwischen ihr und ihrem alten Freunde einst vorgefallen.

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Großmutter hatte sich zurückgesetzt in ihren alten, mit grünem Saffian bezogenen Stuhl und strich mit der Hand wie verlegen über ihre schwarze Taffetschürze.

Wie soll ich denn eigentlich anfangen? murmelte sie. Das beste wäre, man sagte gar nichts darüber. denn so, wie es war. kann man es doch nicht beschreiben, kann ihn doch nicht herzaubern, den rosigen Jugendglanz, die goldigen Sonnenstrahlen des Glückes. Die Coulissen, vor denen sich einst dies Stückchen Leben abspielte, das alte stille Haus, der knospende Frühlingswald – es ist alles verblaßt, alles anders geworden, wie wir selbst, kaum ein Schemen von dem, was wir waren, kaum im stände, heute noch zu begreifen, was wir damals fühlten. –

Du weißt, Kind, ich war sehr jung noch, als ich deinen Großvater heiratete, eben siebzehn Jahre alt. Ernster hätte ich sein können nach den trüben Erfahrungen meines jungen Lebens, aber ich war keine Deutsche, in mir pulsierte italienisches Blut, und wenn das Glück ein deutsches Mädchen still selig und träumerisch stimmt, so war ich wie trunken davon, war in einem steten Springen, Lachen und Singen. Deinem Großvater habe ich das Leben sauer gemacht, ich konnte nicht anders, ich mußte ihn necken – auf kindische Weise. Ich versteckte mich, wenn er aus dem Walde zurückkam, setzte ihm mittags, wenn er zärtlich fragte, was ich heute gekocht habe, Wassersuppe vor, das heißt – unverfälschtes Brunnenwasser. Ich buk ihm Sandtorten, zu denen ich das »Mehl« aus der Lenkwitzer Sandgrube geholt hatte, setzte ihm abends im Dämmerlicht den ausgestopften Hasen in den Schnee unsres Gartens und freute mich wie ein König, wenn er die Flinte von der Wand riß und ans Fenster stürzte, um den armen Lampe noch einmal zu morden.

Dorothea Kornemann konnte, glaube ich, nicht fassen, daß ich ihm gegenüber eine Neckerei wagte. Für sie stand er so hoch, sie verehrte ihn in aller Demut und sah es mit Bangen und Mißfallen, daß ich den Verkehr mit ihm auf Gleichberechtigung gestimmt hatte mit Lachen, Scherzen und Tändeln und ein klein wenig den Pantoffel schwang, wie es junge, zärtlich geliebte Frauen so gern thun. Kurz und gut, meine Schwiegermutter und Dorothea sorgten sich damals um meinen Heinrich, ob ich wohl die Rechte und ob ich wohl im stande sei, ihn zu beglücken. Sie haben es mir auch später ehrlich eingestanden, nachdem sie sich überzeugt hatten, daß wir zwei für einander geschaffen waren.

Ach, Kind, wir waren so überselig, und doch hätte mein Uebermut beinahe dieses Glück vernichtet.

Im November 1803 hatten wir Hochzeit gehalten, und über uns und unsre Seligkeit vergaßen wir in dem einsamen Forsthause fast die ganze Welt. Da, ein paar Monate später, zu Ende Februar, kommt ein Befehl Sr. Durchlaucht, daß Stetten ihn auf einer Reise nach Stuttgart begleiten solle, wohin der Herzog Friedrich – damals war Württemberg noch nicht zum Königreich erhoben – ihn eingeladen hatte; Stetten solle sich am siebenten März bei Durchlaucht melden. Der alte pensionierte Oberförster Gregorius aus Steckelnfelde werde Stetten während der Dauer seiner Abwesenheit, die einige Wochen währen könnte, vertreten.

Da saßen wir nun und ließen die Köpfe hängen, schließlich machte ich eine leidenschaftliche Scene und weinte mich satt an seiner Brust. Aber das alles half ja nicht, Stetten blieb sehr ruhig, und ich machte die überraschende Erfahrung, daß er sich trotz seines jungen Eheglückes, trotz meines Schmerzes sogar auf diese Reise und die damit verbundene Auszeichnung freute. Das that mir bitter weh, rüttelte mich aber zu gleicher Zeit auf; ich begann mit leidlich guter Haltung ihm bei seinen Reisevorbereitungen zu helfen, und je eifriger ich dies that – ich wollte ihm nämlich zeigen, daß es mir nicht so arg zu Herzen gehe, wenn er fort müsse – , desto fröhlicher wurde er und lobte mich und küßte mich und sagte, ich sei seine vernünftige, liebe kleine Frau.

Ich war innerlich ganz trostlos, aber nach außen hin zeigte ich ein lächelndes Gesicht und bemerkte seelenvergnügt, ich freue mich, einmal wieder so recht nach Herzenslust musizieren zu können. Du mußt nämlich wissen, Kind, Großvater liebte die Musik nicht, höchstens eine Jagdfanfare oder ein Posthorn aus weiter Ferne, und als ich das erste Mal in der Absicht, ihn zu erfreuen, zur Guitarre griff – ein Klavier war für mich bisher ein unerfüllbarer Wunsch geblieben – und dazu ein Liedchen sang, da wurde er ganz ungemütlich, rückte auf dem Stuhle hin und her und verließ, noch bevor ich geendet hatte, die Stube. Ich war damals auf dem Punkte, es übelzunehmen; als er aber bat, ich möge doch verzeihen, er könne keine Guitarre, überhaupt keine Zimmermusik hören, ohne ein ganz eigentümlich scharfes Kopfweh zu bekommen, wurde es mir auch nicht schwer, mich in diese seine Eigentümlichkeit zu schicken. Ja, der Wahrheit die Ehre, ich hatte dann das Instrument kaum vermißt.

Nun, wie ich ihm beteure, daß ich mich so auf ein bißchen Musik freue, sah er mich ganz wunderlich an und sagte: »Es freut mich auch, daß du ein wenig Zeitvertreib hast, singe und springe in Gottes Namen; vielleicht gewöhne ich mir mit der Zeit auch noch meine thörichten Kopfschmerzen ab und lerne es ertragen.«

»Mit der Guitarre allein halte ich es aber auch nicht aus,« fuhr ich fort, »ich werde mir Minchen Otterstedt einladen.«

»Aber Rita, wie kommst du auf Minchen?«

»Ich kenne hier kein andres junges Mädchen,« antwortete ich, »ich muß doch mal mit jemand reden können.«

»Du brauchst doch nur nach Lenkwitz hinüber zu huschen, wenn du reden willst, zur Mutter und – wie würde sich Dorothea freuen, wenn du ihr zuweilen ein Stündchen schenktest.«

»Ja, gewiß, das werde ich thun. Du mußt aber bedenken, daß sie beide leidend sind und daß ich die langen Abende hier ganz einsam sitze; bei dem bloßen Gedanken daran graut mir schon. Minchen ist lustig und Minchen ist – «

»Thöricht und gefallsüchtig und denkt nur über eins nach, darüber, wie sie es anfängt, einen Mann zu bekommen!«

»Schadet mir nichts, Heinrich, ich habe ja einen Mann, und kurz und gut – ich mag nicht allein sein mit deinem bärbeißigen alten Stellvertreter!«

Er schwieg und ich auch und war lustig und guter Dinge bis zu dem Augenblick, wo der Wagen, der ihn hinwegführte, um die Gartenmauer bog und meinen Blicken entschwand; dann kehrte ich, leise schluchzend, in das stille Haus zurück nur mit dem einen Trost, daß er wenigstens nicht gemerkt hatte, wie sehr schwer mir der Abschied von ihm wurde. Thatsächlich war er, je näher die Zeit der Abreise kam, um so stiller und trauriger geworden, mein zur Schau getragenes heiteres Wesen mochte ihn wohl geschmerzt haben.

Der Zurückkehrende Wagen brachte mir nach Tische Minchen Otterstedt, denn mein Mann war selbst zu ihr gefahren und hatte von ihrer Mutter die Erlaubnis zu diesen: Besuch erbeten.

Demoiselle Minchen war mir eigentlich grenzenlos gleichgültig, und ihre Anwesenheit so lange ertragen müssen, dünkte mich in meinem Abschiedsschmerz kaum möglich. Indessen, ich hatte es so gewollt, und nun war sie da. Sie saß in großen: Staat und großer Herrlichkeit im Wagen, in einen: rosa Seidenhut mit grünem Schleier und einem grünen Wollatlaskleid, von dem Sammetspenzer zu geschweige; eine Boa hatte sie, die sie dreimal um den Hals geschlungen trug und die doch noch bis auf die respektabel großen Spannbänderschuhe hinunterhing. Ihr rotes frisches Gesicht guckte wie ein Vollmond unter dem Rund des Hutes hervor. Damals hatte sie braune Locken anstatt der schwarzen Perücke, aber du kannst es glauben, Kind, sie hat sich eigentlich wenig verändert.

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Nun machte ich gute Miene zum bösen Spiel, führte sie hinauf in das Giebelstübchen, wo sie wohnen sollte, denn im ersten Stock waren damals die Fürstenzimmer, und half ihr sich einrichten. Dann tranken wir im Wohnzimmer drunten Kaffee und aßen selbstgebackenen Kuchen dazu, sprachen von meiner Hochzeit, bei der sie als Brautjungfer gewesen war, und als die Unterhaltung stockte, führte ich sie voller Stolz in meiner jungen Wirtschaft umher, zeigte ihr den Wäscheschrank und die Vorräte, die Hochzeitsgeschenke und die Prunkstube, kurz meine ganze bescheidene Herrlichkeit. Demoiselle Otterstedt sah sich das alles seufzend an, sie ward stiller und stiller, und als wir wieder im Wohnzimmer anlangten und nun auf dem Fenstertritt uns gegenübersaßen, jede mit einer Handarbeit, da kam sie auf ihr Lieblingsthema, auf ihre Eroberungen und Heiratsanträge zu sprechen, und daß sie sich bis jetzt noch immer nicht habe entschließen können, einen schmachtenden Seladon zu erhören und – man denke, sie war schon zwanzig!

Ich hörte das thörichte Geschwätz eine ganze Weile ruhig an und sagte, um sie zu trösten: »Nun, Minchen, es ist auch nicht immer ganz leicht, verheiratet zu sein, und man muß manche bittere Pille hinunterschlucken.« Und dabei dachte ich an Heinrich, und daß er sich hatte freuen können, mit Durchlaucht nach Württemberg zu reisen, anstatt außer sich zu sein, daß er mich verlassen mußte.

»Ach, Anita, du hast's doch wie im Himmelreich, und der Stetten – weißt du – Stetten würde mir auch gefallen haben; und dann hier so als Herrin zu schalten und zu walten – «

»Nun, es ist gar beschwerlich, in einem einsamen Försterhause zu wirtschaften,« wandte ich kurz ein.

»Romantisch! Romantisch – willst du sagen, Anita!« verbesserte sie.

»Und ich möchte gleich noch einmal meine Freiheit haben,« log ich, um größeren Schmerzausbrüchen über ihr Ledigsein vorzubeugen.

»Und ich – ich tausche gleich mit dir,« behauptete sie.

Auf einmal schoß mir ein Gedanke durch den Kopf, dieser unglückliche Gedanke, der mich nachher so viele Thränen gekostet hat. »Probier's einmal, Minchen, spiel die Frau Oberförsterin!« Und voll Jubel setzte ich hinzu: »Der alte Oberförster kennt uns ja beide nicht, wie wär's mit der Komödie?

Und wahrhaftig, Kind, die Mine geht auch auf den dummen Handel ein und ich springe vor Vergnügen im Zimmer umher, und weil ich ein Häubchen trug auf meinem à la Titus zugestutzten Kindskopf, so nahm ich es schleunigst herunter und schmückte Minchen damit und borgte ihr eine Schürze und hing ihr das Schlüsselbund in den Gürtel, und mich selbst putzte ich mit einem blaßblauen Band, das mir Minchen um die krausen Locken schlang. Und wir amüsierten uns und jubelten wie die Kinder. Karline, dem Mädchen, und David, dem Knecht, wurde in der Küche eingeschärft, Mine als Madame von Stetten und mich als Demoiselle Otterstedt anzureden, und wir übten uns gegenseitig auch in den veränderten Namen. Die große stattliche Mine machte sich ganz ausgezeichnet als Hausfrau, und wie die Dämmerung niedersank und der Tisch im Wohnzimmer gedeckt war für das arme Opfer unsres Uebermuts, da waren wir schon völlig sicher in unsern Rollen und lachten Thränen bei dem Gedanken, dem alten durch seine Münchhausengeschichten weit über die Grenze hinaus berühmten Nimrod auch unserseits etwas aufbinden zu können.

Und auf einmal fuhr draußen ein Wagen vor, so im schlanken Trabe, so elegant, wie nur die Wagen Sr. Durchlaucht sonst anfahren, und ich gab Minchen einen kleinen Stoß, daß sie sich rüste, den Herrn Oberförster zu begrüßen. Sie erhob sich denn auch sehr würdig und trat in die geöffnete Stubenthür, ich neben sie, halb verdeckt von ihrer mächtigen Gestalt.

Aber, was mußten wir erleben!

Ein schlanker junger Mann trat in den Hausflur, riß, als er uns erblickte, seinen grauen Hut vom lockigen Scheitel, schritt auf Minchen zu, die ihm ganz fassungslos entgegenstarrte, und ihre Hand ergreifend, um sie an die Lippen zu pressen, sagte er: »Sie werden sich wundern, Madame, den Jagdjunker von Rieben anstatt des Oberförsters Gregorius zu sehen; der alte Herr ist erkrankt, und da ich längst den Wunsch hegte, im Lenkwitzer Revier eine Schnepfe zu schießen, so genehmigte der Hofjagdmeister, daß ich der Stellvertreter Ihres Herrn Gemahls werde. Ich hoffe, ich derangiere die Damen nicht zu sehr.«

Was in Minchens Seele während dieser Vorstellung vorging, konnte ich mir ja denken: sie war rasend, auf den Scherz eingegangen zu sein einem so schönen jungen Kavalier gegenüber, möglicherweise einem Freier. Sie trat unwillkürlich einen Schritt zurück, und da packte mich wieder das Uebermutsteufelchen, ich gab ihr diesmal einen sehr deutlichen Rippenpuff, so daß sie merkte, sie müsse weiter in ihrer Rolle, und ein Kompliment hinsetzte, das ihm ein Lächeln abnötigte, so schief und drollig sah es aus. Zum Ueberfluß wandte sich David schmunzelnd an sie mit der Frage, ob Madame befehle, daß er des Herrn Jagdjunkers Gepäck in das Kavalierzimmer hinauftrage.

Sie nickte wie mit Blut übergossen, und auf die Bitte des jungen Mannes, ihn vorzustellen, sagte sie: »Meine Freundin Minna Otterstedt.« Und auch ich machte ein Kompliment.

Ihr Heutigen, ihr wißt gar nicht mehr, wie entzückend so eine damalige Verbeugung aussah, was man da alles hineinlegen konnte an Ehrerbietung, Grazie und Schelmerei.

Unter der Decke des weiten Flurs brannte die Hängelampe schon, von draußen flutete die bläuliche Dämmerung des Lenztages herein, und in diesem Schein sah ich seine Augen auf mich gerichtet, große, blaue, bewundernde Augen. Unwillkürlich trat ich zurück, und im nächsten Augenblick eilte er die Treppe empor und Minchen und ich standen nun in der Wohnstube vor dem gedeckten Tisch und schauten uns einen Augenblick ratlos an. Dann lachte ich, lachte, daß mir die Thränen aus den Augen rollten, bis Minchen mit imponierender Bestimmtheit erklärte, sie denke gar nicht daran, meine Rolle weiter zu spielen!

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Ein schlanker junger Mann trat in den Hausflur.

Ich wußte natürlich – weshalb, und gedachte, sie etwas zu peinigen. »Aber das wäre ja ganz feige!« rief ich, »und jetzt wird es doch erst recht amüsant!« Außerdem – könnte der Herr höchst beleidigt sein, daß wir ihn mystifiziert haben, und jedenfalls sei er uns noch zu fremd, um ihm den Streich so mir nichts dir nichts einzugestehen; vielleicht könnte man das morgen oder übermorgen. Und sie, die Mine, mache sich so reizend als »junge Frau«, ganz bezaubernd und – kurz und gut – heute müsse sie noch die Frau Oberförsterin sein. Sie ließ sich endlich auch wirklich bereden, und ich freute mich innig, ihre Qualen mit anzusehen. Sie, die Heiratslustige, gegenüber einem schönen, jungen, vornehmen Herrn, der sie für verheiratet hält – das konnte reizend werden! An mich dachte ich nicht, ich war ja gefeit durch die Liebe zu meinem Heinrich, und er, der Jagdjunker – ja, Kind, ich wußte wohl, daß ich eine hübsche Frau war. Aber daß sich Hals über Kopf gleich einer in mich verlieben könnte, dieser Gedanke tauchte nicht in meinem Koboldsgehirn auf, sonst – ja wahrhaftig, ich wäre schlechter als schlecht gewesen.

Nein, in aufrichtiger, völliger Harmlosigkeit spielte ich nun vor ihm das »junge Mädchen«, und die verzweifelte Anstrengung Minchens, die sich ihm gegenüber bei Tische als liebenswürdige Wirtin zu zeigen bestrebte, war meine einzige Belohnung für die Abtretung meiner Würde, denn ein kleines Eifersuchtsgefühl auf meine junge Hausfrauenherrlichkeit war doch nicht abzuleugnen. Minchen zu beobachten, zu sehen, war ja nun freilich unbezahlbar, wie sie bei seinen Fragen nach dem Leben im Lenkwitzer Forsthause und nach verschiedenen Vorkommnissen in Stettens Dienstthätigkeit aus einer Verlegenheit in die andre fiel; und unbezahlbar war Karlinens Gesicht, die, puterrot vor unterdrücktem Lachen, kaum den gebratenen Hahn auf den Tisch stellen konnte.

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Beim Nachtisch erbarmte ich mich Minchens fast unerträglicher Lage, indem ich meine Guitarre holte und fragte, ob der Herr Jagdjunker Musik liebe. Und wie sehr! Ich sang – das Singen liegt den Italienern im Blute und ich hatte eine italienische Mutter, ach, und mit welcher Herzenslust habe ich an jenem Abend gesungen, ich hatt's so lange entbehrt.

Ich sang thatsächlich nur für mich, ich bemerkte nicht, daß Minchen mit langem, verdrießlichem Gesicht in der Sofaecke lehnte, und daß ein fremder Mann in dem dämmerigsten Winkel der Stube saß und zu mir herüberschaute, unverwandt und mit Blicken, wie eine verheiratete Frau nicht angesehen werden darf.

Aber davon hatte ich ja keine Ahnung! Erst als Herr von Rieben sich von uns trennte und feurig und doch zaghaft meine Hand küßte und seine Augen dabei sich in die meinen senkten, beredter als alle Worte, erst da packte es mich wie eine kalte Hand und schüttelte mich vor Schrecken, und wie von einem Blitz die nächtliche Landschaft erhellt wird, so sah ich mit einem Schlage, daß mein Uebermut Unheil geschaffen hatte.

Wie betäubt lehnte ich am Tisch, nachdem er uns verlassen, und Minchens weinerliches Sprechen, daß der Scherz nun aufhören müsse, klang mir wie aus weiter Ferne.

»Ich werde morgen mit ihm reden,« murmelte ich, »geh nur schlafen, Mine.«

Sie ging seufzend und schmollend, nachdem sie feierlich mein Häubchen und die Schlüssel auf den Tisch gelegt hatte; und ich trat in mein Schlafzimmer und saß da auf dem Bette mit einem zu Boden drückenden Schuldbewußtsein sondergleichen.

Was war mir denn aber auch nur in den Sinn gekommen, so etwas einzufädeln? In diesem Augenblick begriff ich meine Laune selbst nicht mehr. Natürlich, morgen früh mußte es das erste sein, ihn um Entschuldigung für unsern Uebermut zu bitten, und zwar mußte ich dies thun. Aber bei dem Gedanken an seine Augen überkam mich ein Zittern – ich wollte ihm lieber schreiben.

Ich ging zurück in die Wohnstube, um mein Vorhaben auszuführen; ganz in aller Frühe sollte David ihm das Schreiben geben. Karline hatte hier den Tisch abgeräumt, die Lampe ausgelöscht und ein Fenster geöffnet. Stetten liebte es, das Fenster während der Nacht offen stehen zu lassen; eine Gefahr war nicht dabei, denn sehr feste, kunstreich geschmiedete Eisengitter schützten uns gegen etwaige Diebe.

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Du kennst ja die Eckstube, Kind! Zwei Fenster nach vorn heraus, eins nach der Giebelseite, in dessen Nähe damals der sogenannte Sekretär stand. Draußen war ein fast blendender Mondschein, und in diesem bläulich grellen Licht sehe ich, als ich den Schreibtisch aufschließen will, Herrn von Rieben draußen stehen, gelehnt an den Stamm einer der alten Linden, und zu dem Giebel hinaufstarren, in dem Minchen wohnte. Woher er so bald erfahren, daß dort mein Fremdenstübchen sei, weiß ich nicht; vielleicht von David, der ihn in sein Zimmer begleitet hatte. –

Deutlich, ganz deutlich konnte ich erkennen, daß er lächelte. Er war barhäuptig, hielt den Hut in der Hand, als stünde er vor seiner Fürstin, und auf einmal sehe ich etwas von oben herabfliegen, sehe ihn darauf zustürzen und es aufheben und an seine Lippen pressen und – ja, weiter sah ich nichts, denn mir wankten die Kniee und ich sank auf den nächsten Stuhl unter der Wucht meiner Gedanken.

Um Gottes willen – die Minna! Sie spielt auf deine Kosten einen Roman, vielleicht in der Hoffnung, daß er, wenn er morgen die Wahrheit erfährt, von ihrem Interesse für ihn sich überzeugt, seine Aufmerksamkeit ihr zuwendet, oder – ach, ich wußte nicht, was! Jedenfalls hatte sie ihm ihr Sträußchen Schneeglöckchen hinuntergeworfen, mit denen sie sowohl, wie ich, uns geschmückt hatten am Nachmittag, und er – er dachte, ich gäbe ihm das Zeichen!

Ach, wenn Stetten das erführe! O dieses entsetzliche, heiratslustige Minchen. – O über unsre Thorheit!

Ich war schlechterdings nicht fähig, zu schreiben, warf mich auf mein Bett und ängstigte mich und schämte mich bis zu Thränen. Ich will es ihm sagen, will ihn um Verzeihung bitten, beschloß ich, noch ehe Minchen aufgestanden ist.

Weiß Gott, nie habe ich schlechter geschlafen als in jener Nacht. Erst gegen Morgen überfiel mich ein tiefer, dumpfer Schlaf, der mich, die Frühaufsteherin, im Banne hielt bis gegen acht Uhr, was kaum jemals vorgekommen in meinem Leben. Als ich erwachte, schwer in Kopf und Gliedern, stand Karline mit ängstlichem Gesicht an meinem Bette.

»Nee – aber – nee – haben Sie geschlafen! Und hier ist ein Brief an Demoiselle Otterstedt, was Madam ja woll nu vorstellt?«

Zu Tode erschreckt nahm ich das Billet. »Es ist gut,« sagte ich mühsam, »der Spaß hört übrigens auf, Karline.«

»Schön, Madam – und der Herr Jagdjunker kommen erst gegen Abend zurück, läßt er Madam sagen.«

Gottlob! Bis dahin konnte ich mich gesammelt haben!

Als das Mädchen gegangen war, öffnete ich das Schreiben, denn leider war es ja für mich bestimmt. Und da – aber warte, mein Kind, unterbrach sich die alte Dame, du sollst es im Original sehen.

Sie erhob sich, trippelte nach ihrem Schreibtisch, und dort griff sie ein Stammbuch heraus und entnahm ihm einen mürben, verblichenen rosa Briefbogen, vielseitig eingerissen. Geh an die Lampe und lies, forderte sie mich auf, indem sie mir das Schriftstück einhändigte, dann wirst du ermessen können, wie mir zu Mute war.

Ich entfaltete den Brief. Lies laut, Kind, sagte Großmutter, die wieder in ihrem Winkel am Ofen saß, und ich begann:

»Mademoiselle!

Bis vor wenig Stunden noch würde ich denjenigen verlacht haben, der mir prophezeit hätte, daß ich mein Herz beim ersten Sehen an ein Mädchen zu verlieren im stande sei. Jetzt nun würde ich ihm recht geben müssen, denn ich lernte Sie, bestes, teuerstes Mädchen, lieben mit aller Tiefe und Glut der Empfindung, deren mein Herz fähig ist, sobald ich Ihre himmlische Erscheinung mit meinen entzückten Augen erfassen durfte. Und was der Seligkeit die Krone verlieh, ist die Gewißheit, daß auch Sie mich nicht gleichgültig anschauten, Wilhelmine – oder muß ich die Blumen, die Sie mir zuwarfen, anders deuten?

Nein, das ist nicht möglich! Es wäre eine Grausamkeit des Schicksals ohnegleichen! Ihre Augen können nicht lügen!

Ich bin nicht fähig. Sie heute früh zu sehen; gleichmütig von ferne zu stehen, wo ich vor Ihnen niederknieen möchte. Ich suche auf einem Pirschgang die Ungeduld meiner Seele zu bezwingen, denn Sie dürfen Zeit fordern zur Ueberlegung, ob Sie die angebetete Gattin werden wollen

Ihres

Sie zärtlich liebenden
Karl von Rieben,
Fürstl. B. Jagdjunker.

Der, falls Sie ihn zum glücklichsten Sterblichen machen, sofort zu Dero Eltern sich begeben wird, um ihren Segen zu erbitten.«

 

Großmutter schwieg. Nach einer Weile erst begann sie wieder: Ich hätte lächeln mögen beim Lesen dieses geschraubten, der damaligen Zeit entsprechenden Liebesbriefes, wäre er nicht so voll wahren, ernsten Gefühles gewesen und so zart trotz alledem.

Ach Gott, Großmama, sagte ich, was hast du nun gethan?

Ja, wenn ich das genau wüßte! – Zuerst half ein Zufall mich von Minchens Gegenwart befreien, gegen zehn Uhr nämlich kam ihr Bruder und holte sie heim, weil ihre Mutter an der Grippe erkrankt war. Sie schien trostlos darüber zu sein, und nur mein Versprechen, nach erfolgter Aufklärung in Begleitung des Jagdjunkers einen Besuch in Jestedt zu machen, beruhigte sie. Sie war einmal wieder felsenfest überzeugt, in »ihm« den Künftigen erblickt zu haben. – Von seinem Briefe erfuhr sie nie etwas.

Als sie fort war, kam die Wucht der peinlichen Situation mit verstärkter Gewalt über mich. Ich war so jung noch, so allein, und ich fürchtete mich vor dem Abend, wenn er wiederkommen mußte, um das Ja! zu hören und dann zu erfahren, daß er das Opfer einer tollen Laune gewesen sei. Und mir graute, dies ihm klar zu machen. Ich dachte an seine Blicke, und, so unerfahren ich war, das wußte ich mit untrüglicher Gewißheit, daß er ernsthaft liebe, daß es sich nicht nur eine leichte Courmacherei handle. Es mußte ihn schwer treffen – wie schwer, das ahnte mir nicht. Ich redete mir auch ein, für einen Mann bedeute das weiter nichts, er werde daran nicht zu Grunde gehen. – Aber wie würde er über mich denken? Er mußte mich ja verachten!

Ich überlegte, ob ich mich meiner Schwiegermutter anvertrauen solle, verwarf den Gedanken aber sofort, denn dann hätte Heinrich es auch erfahren, und das sollte er nicht, nie! Es würde ihn mißtrauisch gemacht haben, er würde mich der Gefallsucht, des Leichtsinns beschuldigen können, und mit Recht! Nein, sein Friede sollte nie getrübt werden.

Ich hatte mir die Suppe eingebrockt, ich mußte sie auch ausessen.

Hundert verschiedene Anreden an den jungen Mann dachte ich mir aus, und alle verwarf ich wieder; hundert Pläne machte ich, um ein erträgliches ferneres Beisammensein in unserm einsamen Hause zu ermöglichen – es schien mir undenkbar, nachdem ich das Geständnis seiner Liebe schwarz auf weiß erhalten hatte. Endlich beschloß ich – nach erfolgter Aufklärung – meine Schwiegermutter auf alle Fälle zu mir zu bitten; sie würde kommen, denn es war doch immerhin unschicklich, so allein mit einem jungen Kavalier das Haus zu teilen.

Ich weiß nicht mehr, wie der Tag hinging. So würdig wie möglich benahm ich mich den Leuten gegenüber, schrieb einen Brief an meinen Mann, daß ich seine Mutter eingeladen habe, mich für die Dauer seiner Abwesenheit zu besuchen, und daß Minchen abberufen sei; ich schrieb an erstere und bat sie, aus oben angedeuteten Gründen zu mir zu kommen; verlassen könne ich das Haus nicht, denn der fremde Herr müsse verpflegt werden. Ich saß dann am Fenster und filierte an einem Tabaksbeutel für Stetten, und dabei immer das dumpfe, bange Herzklopfen, das sich verstärkte, je mehr der trübe, feuchte Lenztag zur Neige ging. Zuletzt war ich fast krank vor Angst und meinte, die Wände müßten über meinem Kopf zusammenfallen.

So nahm ich denn ein Tuch und trat ins Freie hinaus, wohl in der Hoffnung, ihn zu treffen, und weil sich solche Sachen am besten unter Gottes freiem Himmel sagen lassen. Ich trug mein Häubchen wieder, und der Schlüsselbund klirrte leicht am Gürtel, als ich dahinschritt außerhalb des Gartens, unter den knospenden Buchen am Waldessaum. Eine weiche, träumerische Luft, herbes Duften der jungen Triebe der Hagerosen; wie schwermütig und ahnungsvoll erschauerten die hohen Bäume über mir; eine Stimmung herrschte in der Natur, wie sie mein junges Herz zu der Zeit empfand, als ich Stetten zu lieben begann und noch nicht wußte, ob auch er mich liebte. Mich überkam eine Sehnsucht nach ihm in dieser Stunde, die ich kaum meistern konnte – wenn doch Gott ein Wunder thäte, wenn Heinrich plötzlich vor mir stünde, auf ewig wollte ich ihm danken dafür! Dann wäre ich geborgen, und nie – nie wieder würde ich übermütig sein! –

.

Je näher der Augenblick der Beichte heranrückte, desto qualvoller wurde mein Gemütszustand. Ich war wieder zurückgewandert und stand nun still der Einfahrt der Oberförsterei gegenüber unter den Buchen und starrte ratlos zu dem Fenster hinauf, aus dem Minchen ihm gestern abend den Blumengruß zugeworfen hatte, und von da auf die Fenster unsrer Wohnstube, der Stätte unsres Glückes, und endlich auf den in blasser Dämmerung licht schimmernden Fahrweg, der unten um die Gartenmauer sich biegt. Und auf einmal fühlte ich, der Moment ist da! Um die Ecke kamen ein paar Gestalten – natürlich Herr von Rieben mit irgend einem Förster, der ihn pflichtschuldigst bis an die Pforte unsres Hauses begleitete.

Unwillkürlich trat ich etwas hinter einen der hundertjährigen Buchenstämme zurück, die gleichsam zum Schutz der Försterei gehegt und geschont worden waren, und lugte den Kommenden entgegen. Und da – ja war es denn möglich? – Ich traute meinen Augen nicht, ich schloß sie und sah dann wieder hin – da ging ja Stetten neben dem Jagdjunker!

Ich wunderte mich nicht, ich überlegte nicht – mit einem Schrei, der mir die Brust befreite von aller Qual, flog ich ihm entgegen und, unbekümmert um den Fremden, an seine Brust, in seine Arme und brach in leidenschaftliches Weinen aus.

»Aber Anita – aber Frauchen!« das war alles, was mein Ohr vernahm, und als ich mich endlich unter seinem Zureden aufrichtete und mich scheu umsah, da waren wir allein in der tiefen Dämmerung und seine gute, traute Stimme fragte: »War dir so bange, Kind, hattest du schon heute so große Sehnsucht?«

Von seinem Arm umschlossen wanderten wir dem Hause zu, und er erzählte, daß Durchlaucht, im Begriff, den Reisewagen zu besteigen, eine Absage vom Herzog von Württemberg erhalten habe, der einer Unpäßlichkeit wegen verhindert sei, den Gast zu empfangen. So erhielt Stetten die Erlaubnis, wieder zurückzukehren.

»Da ich nun,« schloß er, »einmal in der Residenz war, so habe ich den heutigen Tag benutzt, einige Besuche zu machen, unter andern beim Oberforstmeister, bin dann mit der gewöhnlichen Post bis Belstedt gefahren und von dort nach hier gegangen; der Koffer kommt morgen nach. Am Hainbruch traf ich zusammen mit Herrn von Rieben, und – – «

Ich sah ihn ängstlich an. »Und – ?«

»Und das erzähle ich dir später; nun wollen wir zu Abend essen und dem liebenswürdigen Jungen zu Ehren eine Flasche Rheinwein trinken – . David, bitten Sie den Herrn Jagdjunker zu Tische! Und wo ist denn das ›holdselige‹ Minchen – die Elfe, die Göttin – das süßeste Mädchen unter der Sonne?«

Er lächelte verschmitzt dabei und sah mich an. »Hätt's wahrhaftig nicht für möglich gehalten – indessen das ist Geschmacksache.«

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Ich überlegte nicht – mit einem Schrei flog ich ihm entgegen, an seine Brust.

»Sie ist heute früh abgereist – wenn du Minchen Otterstedt meinst,« stotterte ich.

»Ach herrje, armer Rieben!« Und er nahm mich in die Arme, und indem er mir lächelnd in die Augen sah, sagte er: »Der unglückliche Mann! Es gibt ein Sprichwort, Anita, das heißt: die Liebe fällt nicht immer auf ein Rosenblatt u. s. w. u. s. w. – Jedenfalls hat es ihn gepackt – er will sie heiraten, das Minchen, trotz seines Adels, trotz seiner Stellung, trotz alledem, und ist obendrein noch so blind, daß er sie für die Schönste auf der Welt hält, und das neben dir, neben dir! Hat mir alles erzählt, hat ihr schon seine Liebe gestanden und will morgen nach Belstedt und um sie anhalten; wir sollen auf der Hochzeit tanzen – . Aber wo bleibt er denn eigentlich?«

Und Stetten ging hinaus und fragte nach Herrn von Rieben und stieg die Treppe hinauf und sah in seine Stube und suchte im Garten, überall, überall – vergeblich: Herr von Rieben war fort, sein Hut fehlte und seine Büchse fehlte, und als es Mitternacht schlug, war er noch nicht heimgekehrt.

Ach, Kind, auch diese Nacht schlief ich nicht. Ich dachte mir, er sei tödlich beleidigt bis zur Poststation gegangen, weil er mich, die ich ihn so schmählich belogen, nie wiedersehen wollte.

Ja, auf die Poststation war er gegangen, nicht tödlich beleidigt, aber krank im Herzen und völlig verzweifelt.

Am andern Morgen kam ein Briefchen aus Belstedt, ein Junge brachte es meinem Mann. Darin bat Herr von Rieben um Entschuldigung, daß er ohne Abschied gegangen – eine Erklärung könne er nicht einmal geben dafür. Er sei ein sonderbarer Mensch, rasch von Entschlüssen und ebenso rasch wieder andern Sinnes. Er bitte den Herrn Oberförster, ihm den plötzlichen Aufbruch nicht nachzutragen; und bitte ferner auch, den Schreiber dieses der Frau Gemahlin zu empfehlen. Er werde die vierundzwanzig Stunden im Lenkwitzer Hause sicher nie vergessen. –

»Na, da wäre ja ein Unglück verhütet,« lachte Stetten vergnügt, »Gott weiß, wodurch ihm noch zur rechten Zeit die Binde von den Augen gefallen ist. Aber, was meinst du, Schatz, was wird Minchen sagen, daß ihr auch der durch die Lappen gegangen ist?«

Ich habe nicht geantwortet, was sollte ich auch erwidern, ohne eine Lüge zu thun.

Jahrelang noch gab es mir einen Stich ins Herz, wenn ich den Namen »Rieben« hörte, und ich hörte ihn oft, ein Wiedersehen wurde mir jedoch immer erspart. So oft auch Durchlaucht in Lenkwitz einkehrte, der Jagdjunker und spätere Forstmeister begleitete ihn nie; er hat sich stets fernzuhalten gewußt. Ich aber kam mit der Zeit zu der Ansicht, er habe das kleine fatale Abenteuer längst vergessen, es habe ihm überhaupt nie sonderlich die Seele getrübt. So gingen fünfzehn Jahre vorüber, und Minchen Otterstedt hatte endlich ihren Rittmeister Brenken gefangen, einen Invaliden von der Schlacht bei Leipzig, mit einem Arm, und die Hochzeit sollte in Jestedt sein. Da kam mir am Vorabend dieses Festes die ganze Geschichte so deutlich wieder in Erinnerung, und obenein sagte Stetten noch: »Na, diesmal wird's wirklich was, Anita – freilich ein andrer Freier als der Rieben; da wär' sie jetzt Frau Forstmeisterin. Zu sonderbar war's doch, daß er damals so plötzlich abschwenkte.«

Wir saßen in der Wohnstube, abends nach Tische, die Kinder schliefen schon alle, die großen und die kleinen, und ich nähte Spitzen an ein blaues Seidenkleid, das ich morgen tragen wollte zu Minchens Ehrentage. Da schien mir die Zeit zur Beichte gekommen; ich drehte die Lampe herunter, legte das Kleid auf einen Stuhl und setzte mich neben ihn ins Sofa.

»Willst du wissen, Heinrich, warum er Minchen nicht nahm?« fragte ich.

»Ja, weißt du es denn?«

»Ja!«

»Na, dann erzähle!«

.

Und den Kopf an seinen Arm gelehnt, erzählte ich. Als ich zu dem Moment kam, wo ich gesungen in der Rolle Minchens und der Junker mich so brennend, so heiß angesehen, fühlte ich, wie Stetten zuckte, dann hörte er regungslos zu bis zum Schluß, bemerkte aber keine Silbe, als ich geendet, sondern erhob sich, nahm die Mütze vom Rehgeweih und ging hinaus, wie er immer that, wenn ihn etwas bewegte, das er mit sich allein durchkämpfen wollte. Als er nach einer Stunde zurückkehrte, begann er ruhig:

»Du hast eine große Schuld auf dich geladen, das ist dir doch klar, Anita!«

»Ach, sag das nicht, Stetten,« bat ich, »er lebt ja doch ganz fidel am Hofe!«

»Und allein!« ergänzte er.

»Er hätte doch heiraten können!«

»Er hat's aber nicht gethan

»Warum nicht?«

»Weil er dich nicht vergessen konnte!«

»Aber Heinrich,« rief ich entrüstet, »in betreff deiner Frau scheinst du an Größenwahn zu leiden!«

»Doch nicht,« gab er zurück, »ich will dir auch erzählen, wie ich zu diesem Schluß komme. Vor einigen Jahren hatte die Fürstin eine Hofdame, ein Fräulein von Zenkendorf, ein schönes, liebes, kluges Mädchen, mit Geld obenein; und dieses schöne, kluge Mädchen hat eine tiefe Neigung zu dem Forstmeister im Herzen getragen und ist schließlich krank darüber geworden. Da hat die Fürstin ihrem Liebling helfen wollen und hat den Herrn Forstmeister von Rieben bitten lassen, zu ihr zu kommen, und hat ihm klaren Wein eingeschenkt, so und so – um den kurzen Bescheid entgegenzunehmen: Durchlaucht möge in jeder beliebigen Weise über sein Leben und seine Freiheit verfügen, nur in dieser einzigen Hinsicht nicht; er werde sich nie verheiraten. ›Aber warum nicht, lieber Rieben?‹ hat sie teilnehmend gesprochen. ›Durchlaucht, weil ich einst geliebt habe und die Erfahrung, die ich in dieser Liebe machte, mir ein für allemal den Mut nahm, ein zweites Mal mir die Flügel zu verbrennen‹ – – Nun, was sagst du, Anita?«

»Daß das eine Hofanekdote ist, und daß es persönliche Liebhaberei von ihm ist, wenn er ledig blieb – das sage ich, du eingebildeter Mensch! Erzähle mir lieber, daß du mir nicht nachträglich noch böse bist.«

Und als er Thränen in meinen Augen sah, sagte er nur: »Du wirst genug darunter gelitten haben!«

Und diese Worte haben jahrelang in mir nachgeklungen. Ich wies heimlich die Annahme zurück, daß Herr von Rieben um meinetwegen einsam geblieben sei, und konnte doch nicht hindern, daß ich mir die Möglichkeit zugestand. Und mitten im Glück, an einem Weihnachtsabend z. B., wo alle meine Kinder um mich versammelt waren, oder an meinem Geburtstage oder wann ich sonst eine Freude an den Lieben erlebte, die Gott mir geschenkt, dann packte mich der Gedanke an den Einsamen und verstimmte mich, und mehr und mehr wuchs der Wunsch in mir empor: Wenn du noch einmal mit ihm sprechen könntest, ihn fragen könntest, ob er dir vergeben hat, ob er glücklich ist!

.

Ich zählte vierundfünfzig Jahre, da ward mir dieser Wunsch erfüllt. Stetten und ich waren mit unsrer Jüngsten, der Isotta, zu Hofe befohlen, bald nach der Verlobung Isottas mit dem Botterode – du weißt ja. Und da – hatte ich ihn als Tischnachbar. Ein paar gealterte Menschen sahen sich in die Augen, und beide gedachten ihrer Jugend und des Tages, da sie sich das einzige Mal gesehen. Ich weiß, Kind, ich bin rot geworden, und er wurde blaß, aber wir haben miteinander geredet, so gut es gehen wollte. Nach dem Diner war Spiel und da wieder war er mein Partner beim Whist. Kein Wort von früher. – Als wir uns verabschiedeten, küßte er mir die Hand und sagte:

»Grüßen Sie mir die alte Oberförsterei – ich sehe sie noch oft im Traume.«

Und Stetten, der herzutrat, bemerkte unbefangen: »Sie sollten, Herr Forstmeister, sich das alte Nest mal wieder ansehen.«

»Ja,« stimmte ich zu, »wenn Sie wirklich noch zuweilen an dasselbe denken, dann kommen Sie, es wird Sie empfangen als lieben Freund.«

»Wirklich?« fragte er, aber er antwortete nicht.

Aber, siehe da, am nächsten Sonntag kam ein Wagen vorgefahren, und der Herr Forstmeister von Rieben stieg aus. Es war zur Kaffeezeit und draußen lag der Schnee.

Wir sprachen von allem möglichen, und die Isotta mußte zum Lenkwitzer Pastor schicken; aber ein wenig befangen war das Ganze doch. Ich zeigte ihm alle Silhouetten meiner Kinder, Schwiegerkinder und Enkel, und dann ließ er seine Blicke im Zimmer umherschweifen, und sie blieben an der alten Guitarre hängen, die noch immer dort ihren Platz hatte. Und auf das rote Band zeigend, sprach er: »Damals war es ein blaues, ein ganz hellblaues.« Dann gingen wir zum Kartentisch.

Von der Zeit an begann unsre stehende Whistpartie. Als ich fortzog von Lenkwitz, nun allein, ohne meinen guten Mann, da wohnte Rieben schon hier. Wir mußten uns nun nach neuen Mitspielern umsehen und fanden sie in Fräulein Walter und in derjenigen Person, die damals mitgewirkt hatte in der Komödie, die so scherzhaft begann, um so ernst zu enden. Minchen aber erinnert sich nur noch undeutlich der Geschichte als eines dummen Spaßes.

An meinem letzten Geburtstage erst kam es zu einer Aussprache und da erfuhr ich von ihm, daß er mich nie hat vergessen können, daß der Augenblick, als ich ihm entgegengetreten bin auf der Schwelle der Lenkwitzer Wohnstube, für sein Schicksal entscheidend gewesen sei. »Gestorben bin ich nicht daran, liebe Freundin,« tröstete er, »aber zu leben verstand ich auch nicht mehr, heute darf ich Ihnen das wohl sagen, heute, wo wir beide schon mit großen Schritten in den Pfad eingebogen sind, der zum Kirchhof führt. Der Moment, als ich Sie an jenem Märzabend in die Arme Stettens fliegen sah, Sie, die ich für – ach, noch heute zittert jeder Nerv in mir. – Aber denken Sie nicht, daß ich mein ganzes Leben wie ein Duckmäuser gesessen habe, liebe Frau Anita; nein, ich war ein viel zu frischer, kerniger Gesell, und Amt und Stellung erforderten viel Kraft und haben mir Ehr und Freude gebracht. Ich habe auch noch mancher schönen Frau in die Augen gesehen, o ja! Aber die Lust zum Heiraten, die haben Sie mir genommen, meine liebe Freundin.«

Und was hast du erwidert, Großmutter?

Ich habe ihn um Verzeihung gebeten, nach fünfzig Jahren, und auf gute Freundschaft bis zum Tode angestoßen. – Nun kennst du den Roman vom 8. März, und nun wirst du dich nicht mehr wundern, wenn er mich ansieht mit Blicken, die dir seltsam scheinen. Weißt du, so etwas vergißt sich nicht und – köstlich ist es, vom sicheren Hafen aus Rundschau halten zu können auf bewegte Lebensflut. –

Als acht Tage später Whistpartie war, fragte der alte Herr, indem er bedächtig ein Osterei aus rosa Atlas dem Seidenpapier entnahm und es Großmama auf den Tisch legte: »Nun, haben Sie unsrer Kleinen die große Begebenheit erzählt?«

Die alte Dame nickte.

Er setzte sich und schaute mich an. »Nicht wahr,« sagte er neckend, »so etwas hätten Sie nicht gedacht von der Frau Großmama? Ich auch nicht, lernte ich sie erst heute kennen. Aber damals! Wetter nicht noch mal, da war sie – – ach, so was gibt's gar nicht mehr, so etwas Wundernettes, Schönes, Süßes – «

»Lieber Rieben, Sie sind ein ganz unverbesserlicher Mensch,« schalt Großmama, »und übrigens höre ich eben Ihre alte Flamme, Minchen Otterstedt, kommen. Und wenn Sie nicht artig sind, so verrate ich noch heute das Geheimnis von dem Heiratsantrag, den Sie ihr machten – verstanden? Ich habe das Schriftstück noch.«

Und sie lächelte, und er lächelte, und der blasse, friedliche Sonnenschein des Alters lag auf ihren lieben, runzelvollen Gesichtern. Und dann spielten sie ihr Whist und ich glaube, diesmal wurden sie miteinander Großschlemm, und auch dazu lächelten sie.

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