Wilhelmine Heimburg
Aus dem Leben meiner alten Freundin
Wilhelmine Heimburg

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Ich blieb zurück mit Angst um sie im Herzen. Man ging nicht eben zart mit ihr um, Schmerz und Freude wurden ihr ohne viel Federlesens entgegengebracht. Diesmal aber war es die Fülle der Liebe, die den Baron so handeln ließ, und der große, starke Mann mochte wohl kaum begreifen, daß auch zu viel Freude solch starke Konstitution angreifen könnte, es lag so in seinem Charakter.

Eine halbe Stunde verging. Da flogen leichte Schritte den Korridor entlang, die Tür öffnete sich, und mit geröteten Wangen und freudeverklärten Augen stand Hanna vor mir. »Gretchen, mein Gretchen, wie glücklich bin ich, du mußt kommen, du mußt ihn sehen. Ach, sag mir doch, ist es denn möglich?« Sie zog mich mit sich fort. »Wußtest du denn darum und sagtest mir nichts, du Böse?«

»Ja, ich kann ja nicht sprechen, du erstickst mich, Hanna. Aber sprich, hast du dich nicht sehr erschreckt?«

»Nein, bewahre, als du mir zuflüstertest, ich solle an meinen heißesten Wunsch denken, da – da wußte ich es, und als mich Papa vor seiner Stube auf die Erde setzte und sagte: »Nun geh hinein und sieh dir dein Geschenk an«, da rief ich schon auf der Schwelle »Heinrich!« und er war es wirklich.

Ja, er war es wirklich und sah strahlend aus, als er, den Arm um seine Braut geschlungen, zu mir sagte: »Nun hat sich alles doch so gut gefügt.«

Der Baron ging im Zimmer auf und ab und rieb sich die Hände. »Nur eins ist mir unbegreiflich«, meinte er, »Hanna war gar nicht verwundert.«

»Nein, Papa«, lächelte sie, »es mußte ja so kommen, ich wäre sonst gestorben.«

»Nun, wie Sterben siehst du heute nicht aus! Was doch so ein bißchen Freude tut«, bemerkte er.

Frau v. Bendeleben war die einzige, die an diesem Tage kein glückliches Gesicht machte. Zwar zwang sie sich zum Lächeln, aber man sah, es kam ihr nicht aus dem Herzen, und als später die Rede auf die Hochzeit gebracht wurde, schlug sie einen ganz ungewöhnlich frühen Termin vor, als wollte sie alles so bald wie möglich abgetan haben und los sein.

Heute abend sahen die alten bezopften Götter im Speisesaal auf glückliche Gesichter, denn auch ich saß neben Wilhelm v. Eberhardt und konnte heimlich meine Hand in die seine legen. Er war noch geritten gekommen, um sich mit eigenen Augen von dem Stande der Dinge zu überzeugen.

Beinahe wäre ich neidisch geworden, als ich sah, wie Hanna und Bergen so glücklich miteinander verkehrten. Sie hatte tausend kleine Aufmerksamkeiten für ihn, die er wieder mit ebensoviel feurigen Blicken und Worten lohnte, und ich mußte jede Handlung und jedes Wort abwägen und durfte nur scheu und versteckt einmal den Druck der lieben Hand erwidern. Ich glaube, ich sagte auch Eberhardt so etwas, als er mich später ins Nebenzimmer zum Flügel führte.

»Gretchen«, bat er vorwurfsvoll, »singe nur, du sollst nachher von mir auch ein Lied hören, das präge dir fest ein.«

Als ich Hannas Lieblingslied gesungen, es lautete:

Sie saßen im duftenden Garten
Unter dem Fliederbaum,
Die scheidende Sonne färbte
Golden der Wolke Saum.

Sie hatte ihr blondes Köpfchen
An seine Brust geschmiegt.
Es hatten sich ihre Hände
Fest ineinander gefügt.

Sie waren beide so glücklich
Und beide so still zugleich
Ist doch die Sprache der Liebe
So arm – und dennoch so reich!

und nun wieder in den Speisesaal zurückgekehrt war, setzte er sich an den Flügel, und von seiner schönen Stimme klang mir das reizende Bachsche Lied entgegen:

Willst du dein Herz mir schenken.
So fang es heimlich an.
Daß unsrer beider Denken
Niemand erraten kann.

Behutsam sei und schweige
Und traue keiner Wand,
Lieb' innerlich und zeige
Dich außen unbekannt.

Die Liebe muß bei beiden
Allzeit verschwiegen sein.
Drum schließ die größten Freuden
In deinem Herzen ein.

Es war gut, daß Frau v. Bendeleben sich nicht im Saale befand, daß das Brautpaar sich nur mit sich beschäftigte und dem Baron das Verständnis für solche Dinge abging. Ich glaube, man hätte es mir ansehen können, daß dies Lied mir galt. Von dem Moment an nahm ich mich aber sehr zusammen, und niemand war imstande, etwas zu merken.

Durch diese glückliche Wendung der Dinge auf Schloß Bendeleben hatte ich Gelegenheit, meinen heimlich Verlobten öfter zu sehen. Bergen kam häufig herüber und jeden Sonnabend regelmäßig, und Eberhardt verfehlte natürlich nie, ihn zu begleiten. Hanna blühte wie ein Röschen auf. Sie lachte und scherzte beinahe den ganzen Tag. Wir trieben tausend Heimlichkeiten zum Weihnachtsfeste, schlossen uns stundenlang in unserer Stube ein, und selbst Frau v. Bendelebens keineswegs befriedigtes Aussehen vermochte nicht unsere glückliche Stimmung zu stören.

Um diese Zeit wurde Hanna gemalt. Der Künstler, ein alter Mann, der beinahe ganz gebückt ging, kam dazu von der Stadt herüber. Er sah mich öfter und bat schließlich, auch ich möchte ihm sitzen. Der Baron, der gerade zugegen war, stimmte lebhaft bei, und so kam das kleine Miniaturbild zustande, das ich auf Wunsch des Barons meinem Vater schicken sollte. Zum ersten Male sagte ich eine Unwahrheit, indem ich dies versprach. Ich schenkte es Wilhelm v. Eberhardt als Christgabe.

Es war eine wunderschöne Zeit, die Hanna und ich jetzt durchlebten. Der Jubel, wenn Sonnabends gegen Abend die Hunde auf dem Schloßhofe anschlugen und Hanna mit dem Rufe: »Gretchen, sie kommen!« die Treppe hinunter und dem kleinen Bergen entgegenflog, der zuweilen wie ein Schneemann aussah und dem das blonde Schnurrbärtchen erst auftauen mußte. Und hinter ihm stand die hohe Gestalt Eberhardts und die lieben Augen suchten beim Schein der Laterne, bis sie an mir hängen blieben. Und dann die Abende im warmen Zimmer vor dem Kamin. Der Baron braute bedächtig einen Punsch, um die erfrorenen Reiter aufzutauen. Es wurde gesungen und gelacht, und es wäre noch schöner gewesen, wenn nicht zu oft die schlanke, schwarze Gestalt des jungen Pastors in unserem Kreise erschienen wäre. Es verging kaum eine Woche, ohne daß er ein paar Abende im Schlosse zugebracht hätte, und Frau v. Bendeleben protegierte ihn sichtlich.

Da gab es wegen der Christbescherung für arme Kinder lange Konferenzen. Bald waren Neuerungen in betreff des Schulunterrichts nötig, kurz, er hatte immer irgendeinen Grund, im Schlosse zu verkehren. Ich beachtete ihn wenig, und das, was er mit mir sprach, betraf unbedeutende Dinge. Oft war von meinem Vater die Rede, und ich beantwortete ihm freundlich seine Fragen nach dessen Ergehen. Um so unangenehmer berührte es mich, daß Frau v. Bendeleben zuweilen ein neckendes Wort hinwarf, das darauf deutete, der junge Pfarrer interessiere sich für mich. Ich mied seine Nähe, soviel ich konnte. Zu seiner Mutter war ich nie wieder gegangen, und wenn ich Kathrin besuchte, sah ich nie zu den Fenstern des schmucken Häuschens hinüber, um nicht genötigt zu sein zu grüßen.

Kathrin hatte die Nachricht von Hannas Verlobung und baldiger Hochzeit freudig aufgenommen. Sie sah mit Beruhigung die letzte Schranke fallen, die zwischen mir und dem Vaterhause gestanden hatte. Sie dachte ganz richtig: was soll Gretchen noch auf dem Schlosse, wenn die Freundin nicht mehr dort ist, und sie wunderte sich, daß ich Hannas bevorstehenden Verlust mit solch heiterer Ruh« zu tragen schien.

Das Weihnachtsfest kam allmählich heran. Frau v. Bendeleben kehrte öfter aus der Stadt mit hochbepacktem Wagen zurück, und prachtvolle Geschenke für die Gräfin Satewski in Wien wurden abgesandt, die übrigens auf die Anzeige von Hannas Verlobung einen sehr kühlen Glückwunsch schrieb, der zwar ganz nach Frau v. Bendelebens Geschmack zu sein schien, die glückliche Braut aber nicht im mindesten aus der Fassung bracht«. Am Tage vor dem Heiligen Abend kamen Bergen und Eberhardt gerade noch recht zur Bescherung der Dorfkinder, die im großen Saal, die Augen erwartungsvoll auf die Tafeln und den brennenden Weihnachtsbaum gerichtet, mit ihren hohen Stimmchen – wobei ich noch den ganzen Gesang halten mußte –

»Vom Himmel hoch da komm' ich her«

ertönen ließen. Pastor Renner sprach einige hübsche Worte, und dann krabbelten die Kleinen durcheinander und suchten ihre Plätze an den Tafeln. Hanna und ich waren mitten zwischen ihnen, indem wir hier einem kleinen Mädchen die Puppe und den Stollen einpackten, dort einem stämmigen Jungen mit Flachshaaren, der sich Übergriffe in seines Nachbars Nüsse erlaubte, einen Schlag auf die Finger gaben und ihm drohten: »Na wart, du Bösewicht, im nächsten Jahre gibt's nichts!« Eberhardt half getreulich mit, sein Lachen über die drolligen Danksagungen der Kinder tönt mir noch in den Ohren. Endlich verließ uns die jubelnde Schar, und es wurde wieder Ruhe.

»Das war eine Arbeit!« stöhnte der Baron. »Gut, daß es vorbei ist.« Frau v. Bendeleben hatte schon wieder die Schlüssel in der Hand, und heute mußte selbst Hanna ihren Heinrich auf ein »Wiedersehen bei Tische« vertrösten. Es ging hinunter in die große, gewölbte Speisekammer. Dort wurden die Stollen für die Dienerschaft mit Namen versehen, Äpfel und Nüsse abgezählt, eine Tonne Bier für die Feiertage mit einem großen Kreidestrich bezeichnet, Kisten mit feinem Gebäck und Konfitüren für den Weihnachtstisch ausgepackt und große Portionen Schweinefleisch und Sauerkraut für das morgige Festessen in der Gesindestube ausgegeben.

Dann wurde bestimmt, wer die Postsachen morgen zu holen habe, wer Weihnachtsabend und Weihnachtsmorgen zur Kirche gehen solle, und die Leute tummelten sich noch einmal so flink wie sonst. Endlich war alles geordnet, und der Heilige Abend, das wunderschöne Fest für groß und klein, kam im blendendweißen Gewande. Es war kalt und der Schnee glitzerte und blitzte in der Sonne auf den Dächern und Wegen. Die liebe Jugend mit ihren rohgezimmerten Schlitten machte Weg und Steg so glatt, wie ein Parkett im Schlosse, und die warmen, neuen Pelzhandschuhe, die sie gestern abend bekommen, leisteten die vortrefflichsten Dienste beim Aufbau des großen Schneemannes.

Im Saale wirtschaftete Frau v. Bendeleben bei verschlossenen Türen. Hanna und ich hatten unsere Geschenke in zierliche Körbe gepackt, um sie noch rasch auf den Weihnachtstisch legen zu können. Dann waren wir im Stalle gewesen und hatten unsere Pferde mit Zucker gefüttert, und nach dem Kaffee sagte Frau v. Bendeleben: »So, nun habt ihr nur noch die Gaben an die alte Werner und den alten Thomas und Lange zu tragen. Ich denke, das laßt ihr euch auch in diesem Jahre nicht nehmen. Johann trägt die Körbe, und du, Gretchen, gehst wohl auch einen Augenblick zur Kathrin, und wenn ihr dann noch die Kirche besucht, so kommt ihr hier gerade recht zur Einbescherung. Heinrich und Wilhelm, ihr braucht wohl nicht erst darum gebeten zu werden, die Mädchen zu begleiten«, wendete sie sich an die beiden jungen Offiziere, die nur zu gern bereit waren.

Es dunkelte bereits, als wir durch die große Kastanienallee hinschritten, der Schnee knarrte unter unseren Füßen, und die Sterne am Himmel blitzten durch die kalte, klare Winterluft. Hanna ging plaudernd am Arm ihres Bräutigams voran. Im Dorfe war schon hier und da ein Fenster hell, und jubelnde Kinderstimmen begrüßten den Weihnachtsbaum. Unsere warmen Kleidungsstücke, Äpfel und Stollen hatten wir bald an die alte Frau und die beiden alten Männer ausgeteilt, und »Gottes reichster Segen vergelt's!« tönte uns aus der niedrigen Haustür nach. Johann trug den Korb mit den Geschenken für Kathrin. »Geh nur immer hinein, Gretchen«, sagte Hanna zu mir, »in einer Viertelstunde läutet es zur Christmesse, wir spazieren hier so lange auf und ab.« Der Diener hatte auf meinen Wink den Korb auf die Stufen unseres Hauses gestellt. Ich wollte ihn eben ergreifen:

»Darf ich den Korb hineintragen?« fragte Eberhardt leise. Er bückte sich und setzte flüsternd hinzu: »Bitte, laß mich mit hineingehen in deines Vaters Haus, Gretchen, bitte!«

Dann öffnete er die Tür, und ich trat, ohne eigentlich zu wissen, was ich machen sollte, hinein, gefolgt von ihm. »Bleib wenigstens hier«, flüsterte ich ihm auf dem Flur zu. Ich hatte Angst vor Kathrin.

Ich ließ die Tür der Wohnstube trotz der Kälte offen und ging hinein. Kathrin saß am Tische und las im Gesangbuch, ein Päckchen schneeweißer Leinwand, mit rotem Bande gebunden, lag daneben. Die kleine Öllampe warf einen hellen Schein auf das alte, runzelige Gesicht und die gefalteten Hände.

»Guten Abend, Kathrin, ich bringe dir meinen Heiligen Christ«, sagte ich. Sie blickte über ihre Brille hinweg und stand auf. »Guten Abend, Kind! Na, da bist du ja. Aber schließ die Tür, es wird ja kalt hier.«

Sie wollte hin und die Tür zumachen, da trat Wilhelm über die Schwelle der niedrigen Stube. Er hatte den großen Mantel im Flur gelassen und die Mütze unter den Arm genommen, als machte er der vornehmsten Dame seine Aufwartung.

Kathrin trat zurück und knickste unwillkürlich, als sie die hohe, imponierende Gestalt im dunklen Rahmen der Tür erscheinen sah. Dann heftete sie einen fragenden, mißtrauischen Blick auf mich, die ich wirklich verlegen dastand und meine Nachgiebigkeit bereute.

»Guten Abend«, sagte er und bot der Alten die Hand, indem er den schweren Korb auf den Tisch stellte. »Ich trug dem Fräulein den Korb hier herein, er ist ein bißchen zu schwer für sie.« Freundlich lächelnd sah er auf Kathrin herab, die offenbar peinlich berührt war von diesem unerwarteten Besuch. Wie er so dastand, kam mir unabweislich der Gedanke, daß dies« hohe Gestalt nicht in das ärmliche Zimmer passe. Ein beklommenes, ängstliches Gefühl und Kathrins Schweigen machten die Szene noch peinlicher. Ich nahm mich zusammen und sagte in möglichst unbefangenem Tone: »Der Herr ist der Neffe der Frau Baronin. Und nun komm und sieh dir deine Sachen an, gute Kathrin.« Und mit größter Eile fing ich an auszupacken.

Die Alte sprach gar nicht. Sie strich wohl mit der Hand über das warme Kleid und die nette Haube, aber die Verlegenheit ließ sie nicht recht Worte finden. »Ich danke schön! Ach, es ist alles zu gut.« Dann nahm sie die Leinwand. »Kind, ich habe sie selbst gesponnen und gebleicht, sie ist für deine Aussteuer.«

Ich ergriff ihre Hand: »Du gute Kathrin«, und ich drückte einen Kuß auf den alten Mund.

»Ich werde das Päckchen aufheben«, sagte sie dann. »Wenn du erst hier bist, wollen wir nähen davon.«

Eberhardt hatte unterdessen die ärmliche Umgebung gemustert. Ein weiches Lächeln legte sich um seinen Mund. Da klangen durch den stillen Winterabend die Glocken der Kirche und mahnten zur Andacht.

»Leb wohl, Kathrin«, sagte ich, »feiere fröhliche Weihnacht. In den Festtagen komme ich einmal zu dir.«

»Behüt dich Gott«, erwiderte sie leise, und ihr Auge war schon wieder auf sein Gesicht gerichtet, als wollte sie die Züge enträtseln und sich für immer einprägen.

»Adieu, Kathrin«, sagte auch er und bot ihr die Hand. »Adieu«, murmelte sie und blickte ihm starr ins Gesicht. Die dargebotene Hand wollte sie nicht sehen oder hatte sie nicht bemerkt, und er zog sie wieder zurück.

Stumm gingen wir nebeneinander zur Kirche. Hanna und Bergen waren schon voran, wir sahen sie nicht mehr. Die Fenster des kleinen Gotteshauses schienen hell in den Winterabend hinein. Es war so still, so feierlich, keinen Tritt hörte man auf der weichen Schneedecke, und

»Euch ist ein Kindlein heut geboren«

tönte es uns entgegen, als wir über den kleinen Kirchhof schritten. Dort hinten ragte auch das weiße Kreuz empor von dem Grabhügel meiner Mutter. Ich deutete mit der Hand hinüber: »Meine Mutter!«

»Wir wollen hingehen«, sagte er. Bald standen wir an dem stillen Grabe. Die Tränen drängten sich mir in die Augen: »Meine Mutter tot, mein Vater so weit!« – Da faßte er meine Hand: »Sieh, Gretchen, das ist die richtige Stunde, um dir mein Weihnachtsgeschenk zu geben.« Ein kleiner, funkelnder Goldreif blinkte mir entgegen. »Der soll dir Vater und Mutter ersetzen«, fügte er leise hinzu. Und an dem kalten Grabsteine meiner Mutter reichten wir uns die Hände zu einem Bunde, der, wie ich wähnte, ewig sein sollte. Der Abendstern blinkte über uns, und aus dem kleinen, erleuchteten Kirchlein tönte ein jubelnder Weihnachtsgesang. Ich aber preßte den Ring an meinen Mund und trat, ein Dankgebet auf den Lippen, zu Hanna und Bergen in den Kirchstuhl.

Was sollte mir auch noch Übles begegnen? Er stand ja hinter mir, der schlanke Mann, der mich an sein Herz genommen, um mich vor allem Sturm zu schützen. Ich war so sicher, so ruhig, als wäre ich schon im Hafen angelangt. Ich dachte an meinen Vater im fernen Rom, ich dachte an eine glückliche, sonnige Zukunft, und dazwischen tönte die klare, weiche Stimme des jungen Pastors: »Und es waren Hirten auf dem Felde, die hüteten des Nachts ihre Herde. – Siehe, ich verkündige euch große Freude.«

Im Schlosse war alles erleuchtet, nicht lange brauchten wir mehr im dunklen Zimmer zu warten. Ich hatte kaum Zeit, Eberhard das kleine Päckchen mit meinem Bilde in die Hand zu legen, da öffneten sich die Flügeltüren, und der helle Glanz des Christbaumes strahlte uns entgegen, und unter ihm lagen reiche Geschenke für jeden. Hanna schlug die Hände zusammen vor Freude über die Menge schöner Dinge, mit denen sie ihr eigenes Heim schmücken sollte. Auf meinem Platz lag neben einem schwarzseidenen Kleide eine prachtvolle Bilderbibel.

»Ich denke«, flüsterte mir Frau v. Bendeleben zu, »eine Bibel ist ein schöner Schmuck für jedes Haus und für ein Pastorenhaus das allerschönste!«

Ich sah sie erschrocken an, aber aus diesen unbewegten Zügen konnte ich nicht herauslesen, ob sie das Haus meines Vaters meinte, oder ob es ein neuer Hinweis auf seinen jungen Nachfolger sei. Unruhig dachte ich darüber nach, da fiel mir der kleine Ring ein, den ich seit einer Stunde an einer Schnur auf der Brust trug, und die ängstlichen Gedanken schwanden. – Warum sollte nicht die schöne Bibel auch eine Zierde für jeden andern Haushalt bilden?

Nein, ich wollte nicht grübeln, es war ja zu wunderschön heute abend. Die vielen Kerzen des Baumes strahlten zurück aus glücklichen, dankerfüllten Augen, sie vergoldeten mit ihrem Schein Gegenwart und Zukunft – dieser eine köstliche Weihnachtsabend steht in meiner Erinnerung als der Gipfelpunkt des süßesten Glückes, das mir je zuteil geworden, dieser kurzen, und doch so unvergeßlichen Zeit!

Wie rasch verfliegt sie aber, wenn man glücklich ist! Der schöne Abend war dahingegangen in der fröhlichsten Stimmung. Frau v. Bendeleben allein hatte keine ganz ungetrübte Freude gehabt, sie hatte vergeblich auf ein Lebenszeichen aus Wien gewartet. Nun tröstete sie sich mit der Hoffnung auf morgen – es konnten verschneite Wege an dem glücklichen Eintreffen der Post hinderlich gewesen sein. Es war ja undenkbar, daß ihr Lieblingskind die Eltern am Weihnachtsabend vergaß. So tröstete sie sich, und so trösteten sich der Baron und Hanna. Endlich ging man zur Ruhe, nachdem nochmals Dankesworte nach allen Richtungen hin und her geflogen waren.

Der andere Tag verfloß in Stille und Gemütlichkeit. Morgens gingen wir zur Kirche, und nachher gab es allerlei zu besorgen für den zweiten Festtag, wo man zum ersten Male nach langer Zeit große Gesellschaft auf Schloß Bendeleben empfangen wollte. Die zahlreichen Einladungen waren sämtlich zustimmend beantwortet worden.

Wir freuten uns wohl, aber doch nicht so, wie es früher der Fall gewesen. Fast glaubte ich, Hanna teilte meinen Geschmack und wäre lieber mit ihrem Bergen en famille geblieben. Meinen Vorsatz, heute Kathrin zu besuchen, brachte ich nicht zur Ausführung – die Wahrheit zu gestehen: ich hatte Angst, sie würde mich wegen des unvermuteten Erscheinens Eberhardts aufs Gewissen fragen. Sie hatte ihn zu durchdringend angesehen, auch heute wieder in der Kirche, und ich war ihr nach dem Gottesdienst sozusagen unter den Fingern entschlüpft, obgleich ich ihr ansah, daß sie mich gern gesprochen hätte. Ich nahm mir vor, sie morgen vor dem Beginn des Festes zu besuchen. Wie gern verschiebt man Unangenehmes.

Als ob Kathrin Ruhe gehabt hätte! Sie wartete den ganzen Tag, und als ich nicht gekommen war, da machte sie sich den folgenden Tag auf den Weg und kam zu mir aufs Schloß, zum zweiten Male aus Angst um mich! Das alte, treue Herz trieb sie zu dem geliebten Pflegekinde.

Es dunkelte bereits, die Vorbereitungen zu dem am Abend stattfindenden Feste waren beendet. Der Gärtner, der den Tanzsaal mit Orangenbäumen geschmückt hatte, war belobt worden. Das Silber auf dem Büfett blitzte in tadellosem Glanz, die Tafel im Speisesaal schimmerte im reichsten Schmuck, und nur die Diener gingen noch leise ab und zu. Es war endlich Ruhe eingetreten und man konnte noch ein paar Stunden ungestört verplaudern. Als ich die Treppe hinaufging, um in unser Turmstübchen zu gelangen, und eben überlegte, ob ich bei dem schlechten Wetter, das sich seit Mittag eingestellt hatte, es wagen dürfte, in das Dorf hinabzugehen – da stand in einer Fensternische Eberhardt, als hatte er mich erwartet.

»Ich bitte um den ersten Tanz heute abend«, sagte er leise, nachdem er sich vorsichtig nach allen Seiten umgesehen hatte, und hielt mir ein Paar frischer, wunderschöner Rosen hin. »Aber nicht vergessen, mein Lieb« – dann schritt er rasch weiter, mir im Umwenden noch einen Kuß zuwerfend.

Ich nickte ihm freundlich zu, da fühlte ich mich plötzlich am Arme ergriffen: »Gretchen, ich dachte mir's doch!« Ich wandte mich um und starrte in Kathrins schmerzlich verzogenes Gesicht.

»Es ist zu spät«, fuhr sie fort, »es hilft nichts mehr, ich kann nur wieder gehen.« Sie drehte sich um und schritt zurück.

»Kathrin, so hör mich doch, geh nicht fort, du sollst ja alles wissen!« rief ich, hinterher eilend und sie am Tuche haltend.

»Ich brauche nichts mehr zu wissen«, schalt sie und zog heftig ihr Tuch aus meinen Händen. »Vorgestern abend mit dir in unserem Hause – jetzt die Rosen und der Kuß, den er dir zurückwarf, ob das noch nicht klar genug ist! – Ach, meine Ahnung, meine Angst! Warum hast du nicht geglaubt, was ich dir sagte?« fragte sie schmerzlich bewegt und ging die Treppe hinunter. »Armes Kind!« hörte ich sie noch murmeln. Unwillkürlich blieb ich stehen, ein Schauer durchzuckte mich und ließ mich fröstelnd zusammenfahren, dann trat ich ans Fenster, wo vorhin Eberhardt gestanden. Da ging sie eben die Allee entlang: der Sturm peitschte ihre Kleider, sie hatte Mühe vorwärts zu kommen. Ein gelblicher Schein beleuchtete die ganze Gegend, schwere, schwarze Wolken jagten dahin. Der Anhang war von den Bäumen verschwunden, der Sturm hatte ihn herabgeweht. Heulend und pfeifend fuhr er durch den Wald und schlug die kahlen Äste zusammen, und ich konnte mich eines bangen, unheimlichen Gefühls nicht erwehren, wenn ich an die alte, treue Kathrin dachte.

»Schrecklicher Sturm heute!« sagte Hannas Kammerjungfer, ein freundliches, stilles Mädchen. »Da kommen gewiß manche von den Gästen gar nicht. Hören Sie nur, Fräulein Gretchen, wie es heult in der Luft! Gestern so schön und heute dieses Unwetter.«

Ich nickte ihr zerstreut zu und ging in unser Zimmer. Der letzte falbe Abendschein fiel auf die weißen Kleider, die dort ausgebreitet lagen für unsere Balltoilette – wie häßlich sahen sie aus! Die Rosen in meiner Hand zeigten ein gelbliches Rot – es war in diesem fahlen Zwielicht alles so unglaublich unheimlich. Kathrins Worte »armes Kind« kamen mir nicht aus den Ohren: ich hätte hinlaufen mögen und ihr sagen: »Kathrin, er liebt mich ja wirklich, sieh hier den Ring und schilt nicht mehr, freue dich mit mir!« – »Ob ich es tue?« fragte ich mich nach einer Weile, während es völlig dunkel geworden war. Schon erhob ich mich, um mein Tuch überzuwerfen, da fuhr ein Windstoß mit furchtbarer Heftigkeit an die alte Mauer, dem ein Krachen und Prasseln vom Dache folgte.

»Herr Gott, Gretel, was ist das für ein Unwetter!« rief Hanna, die eben zur Tür hereintrat. »Wir werden wohl heute abend unser Souper allein verzehren können, bei dem Sturm traut sich ja kein Mensch aus dem Hause. Mama ist in verdrießlicher Stimmung, weißt du, von Ruth noch kein Brief, und dann die Ungewißheit, ob bei dem Wetter die Gäste kommen. Na, die Nächsten werden schon erscheinen, aber Nordhelms und Belaus und die G...er Offiziere schwerlich, wenn sie nicht schon unterwegs sind.«

»Um halb sieben müssen wir aber doch auf alle Fälle angezogen sein«, plauderte sie weiter, während ich Licht anzündete, »damit wir Mama beim Empfang helfen können, und dann möcht' ich mich auch noch ein wenig von Heinrich bewundern lassen. Aber was ist dir denn? Du siehst ja ganz blaß aus, bist du krank?« fragte sie.

»Nein, o nein, ich war nur ein bißchen in Gedanken. Ja, du hast recht, wir »vollen uns anziehen. Sieh, wie hübsch die weißen Kleider bei Licht aussehen, aber vorhin – hör nur, Hanna, als ob unser alter Turm hier umgerissen werden soll, das ist zum Fürchten unheimlich, dies Heulen und Pfeifen in der Luft –«

»Ich mach', daß ich fertig werde und hinunter komme«, sagte Hanna, mit größter Eile an ihre Toilette gehend. Sie löste ihre langen blonden Locken auf, und sie mutwillig schüttelnd, summte sie neckisch vor sich hin:

Wenn's regnet, wenn's schneit,
Wenn's donnert, wenn's blitzt.
So fürcht' i mi nit,
Wenn mei Schatz bei mir ist.

»Denk doch, Gretel, ich hab' ja noch nicht mit ihm getanzt.« Dann trällerte sie wieder eine Tanzmelodie. »Auf meiner Hochzeit soll auch getanzt werden, unsere Leute sollen tanzen. – Gelt, Liesel?« wendete sie sich an die Kammerjungfer, die eben eintrat, um zu helfen. »Das wird eine Lust!«

Warum konnt' ich nur nicht mit einstimmen in den vergnügten Ton? Kathrin war schuld, die mein Geheimnis entdeckt hatte. Sie würde es ja doch erfahren haben, und ich werde ihr morgen alles gestehen. Eberhardt muß es erlauben, wenn ich ihm mitteile, daß sie uns auf dem Korridor belauschte, sie ist ja treu und verschwiegen. – Mit Gewalt versuchte ich, das bange Gefühl zurückzudrängen, es ging nicht.

Hanna schalt auf meine schlechte Laune: »Ich glaube, du hast Gesellschaftsfieber, meine schöne Grete. Pfui, Hasenherz, das ist bei dir nicht nötig. Wenn ich's noch wär', aber ich brauch's auch nicht. Ich lasse Heinrich nicht los, und da bin ich geborgen.«

Ich war fertig angezogen und steckte die beiden Rosen in den Gürtel. Da brach die eine ab und fiel zur Erde. Traurig hob ich sie auf – auch das noch!

Als wir in unseren duftigen weißen Kleidern in den bekannten kleinen Salon traten, empfing uns der Baron mit lauter Bewunderung. Bergen fand seine Braut über alle Beschreibung lieblich und Eberhardts Augen sahen flammend in die meinen. Frau v. Bendeleben, in schwerer, seidener Robe, zupfte hier und da noch etwas zurecht an unseren Anzügen. Sie war offenbar sehr verstimmt. Das Unwetter draußen hatte sich verschlimmert, und sie sagte in ärgerlichem Tone: »Es ist merkwürdig, was wir für Unglück haben mit unseren Einladungen! Einmal kommt Trauer, wie diesen Sommer, als wir das Fest im Park zu geben beabsichtigten, und jetzt erlebe ich wirklich, daß außer dem jungen Pastor kein Mensch erscheint.«

»Na, zu verdenken wäre es niemandem, Klothilde«, erwiderte der Baron. »Ich überlegte mir die Sache auch noch, wenn ich ausgebeten wäre. Man riskiert ja, daß der Sturm den Wagen zerbricht. Es ist übrigens kein Unglück. Wer kommt, ist doppelt angenehm, und wenn niemand kommt, so tanzen wir allein, nicht wahr, Gretchen? Wir geben ein stattliches Paar.«

Hanna lachte glücklich auf und meinte, der Vater müsse Wort halten und tanzen heute abend, ganz gleich, ob jemand gekommen sei oder nicht. Frau v. Bendeleben fand die Scherze nicht nach ihrem Geschmack. Sie schritt durch die Zimmerreihe. Die Diener fingen an, die Kerzen anzuzünden, der Baron folgte ihr, und da das Brautpaar eifrig flüsternd und lachend am Kamin stand, so näherte sich mir Eberhardt, und ich konnte ihm erzählen von Kathrin und sagen, daß ich so bange sei, als müsse mir etwas Schreckliches passieren.

»Gretel, du bist wohl abergläubisch?« neckte er. »Wenn du dich sehen könntest – du siehst aus wie eine Fee, die alle Menschen glücklich machen, der aber nichts Böses ankommen kann. Kathrin – die Alte – hat eine rührende Liebe zu dir, erzähle ihr alles, sie ist wert, dein Vertrauen zu besitzen, und sie wird dann beruhigt sein. Nun blicke wieder fröhlich, Gretel, du mußt nicht trüb aussehen – zwar bist du auch so wunderhübsch, aber am allerschönsten doch, wenn deine Augen so heiter und neckisch mich anschauen. Nimm dir ein Beispiel an Hanna. Die Kleine ist wie ausgewechselt, seit sie ihren blonden Bergen zur Seite hat. Sie trällert und singt den ganzen Tag. Sei auch so und laß dir nicht die Fröhlichkeit durch Ahnungssorgen verkümmern. Das ›Heute‹ ist unser und kein Grund vorhanden, um nicht fröhlich zu sein.«

Ich lächelte ihm dankbar zu: »Ich will es versuchen.«

Die Reihe der Zimmer strahlte im hellsten Glanze der Kronleuchter und Lampen, und draußen rollte, trotz Sturm und Regen, ein Wagen nach dem andern vor. Die Säle füllten sich. Mit verbindlichstem Lächeln ging Frau v. Bendeleben den Gästen entgegen und versicherte, wie sie es doppelt hoch aufnehme, daß man bei diesem Unwetter das sichere Heim verlassen habe, um ihr ein paar Stunden zu schenken.

»Es war aber wirklich eine tolle Fahrt, die wir gemacht haben, meine Gnädige«, sagte ein kleiner, dicker Herr im dunkelblauen Frack mit Goldknöpfen. »Ich versichere Sie, die Pferde konnten kaum weiter, als wir die Hälfte des Weges hatten. Ich beruhigte aber meine Frau und schrie dem Kutscher zu: ›Hau drauf! Hin müssen wir, bis morgen früh wird sich der Sturm gelegt haben!‹ Bei Wieblitz mußten wir aber erst eine Zeit halten und Leute holen, weil uns eine umgestürzte Pappel den Weg versperrte.«

»Um so glücklicher bin ich, Sie unversehrt hier zu sehen, Herr v. Nordheim«, entgegnete Frau v. Bendeleben und winkte dem Diener mit dem Präsentierteller voll heißer Getränke. Sie sagte den jungen Damen Komplimente über ihr frisches Aussehen und stellte Bergen als Schwiegersohn vor.

Die G...er Offiziere, der Oberst v. Rosenberg und seine Frau sowie der dicke Hauptmann und der morose Oberleutnant unter ihnen, waren ebenfalls eingetroffen, und Eberhardt stellte mir die Herren vor. Ich fing an, mich wieder behaglicher zu fühlen. In dieser Fülle von Licht und dem heiteren, bunten Treiben wichen die trüben Gedanken. Ich konnte scherzen und lachen und hatte sogar ein freundliches Wort für Pastor Renner, der nun auch zu mir trat, um mich zu begrüßen. Ich unterstützte nach Möglichkeit die Frau v. Bendeleben bei den anstrengenden Pflichten der Wirtin. Sie hatte mich darum gebeten, da Hanna nach ihrer Meinung doch nicht dazu zu gebrauchen sei. Und sie hatte recht. Hanna ließ keinen Augenblick Bergens Arm los, und mir blieb die Aufgabe, die jungen Damen ins Nebenzimmer zu führen, zu erzählen, daß getanzt würde, und die Artigkeiten der jüngeren und älteren Herren anzuhören.

Beim Souper hatte ich glücklicherweise meinen Platz neben Eberhard, allerdings saß auf der andern Seite Pastor Renner, der gar seltsam gegen die ausgelassene lustige Jugend abstach. Um den ernsten, feinen Mund zuckte selbst bei dem gelungensten Scherz kein Lächeln, er sprach wenig und schien sich nicht gerade wohl zu befinden an seinem Platze, den er Frau v. Bendeleben verdankte.

Man saß lange bei Tische, die Stimmung wurde immer angeregter, und zuletzt flogen Neckereien und Wortspiele wie Raketen durch die Luft. Es wurden Toaste ausgebracht und Gesundheiten getrunken. Ein alter Edelmann der Nachbarschaft, der die Jugend und den Scherz liebte, klopfte an sein Glas und sprach, als alles schwieg:

»Wo sprühende Augen und rosige Wangen,
Wo Jugendkraft, Mut und feurig Verlangen,
Wo in den Kehlen glüht purpurner Wein,
Dort an der Seite der schönsten Frauen
Laßt uns der Freude Tempel erbauen.
Vive la joie! stimmt alle mit ein:
Vive la joie! und nimmer soll schweigen
In diesem Hause der Freude Reigen!«

»Hoch! Es lebe die Freude!« klang es von allen Lippen, und die Freude legte ihre berauschende Fessel um Alter und Jugend, sie legte sich als glückliche Erinnerung auf die Stirne der Alten und glänzte aus den Augen der Jungen, flüsterte ihre wunderbaren Rätsel in das Ohr der hübschen Mädchen und der stattlichen Männer, sie perlte im Champagner und strich mit leiser Hand alle trüben Gedanken aus dem Herzen. Vive la joie! – › Und nun zum Tanze!

Wer tanzte nicht gern mit achtzehn Jahren? Die ernsten Augen des Geistlichen sahen mich an, als ich so lebhaft meine Freude äußerte. Was kümmerte es mich, ich sollte ja mit ihm tanzen!

Wir wollten in den Saal gehen. Die alte Gotthardten, die, ihre Tänze spielend, von Ort zu Ort zog, stimmte bereits ihre Harfe, und der lahme Werner, ihr steter Begleiter, strich den Bogen mit Kolophonium – da fiel mir ein, ich hatte meinen Fächer oben im Turmstübchen liegen lassen, den ich für unentbehrlich hielt. So nahm ich ein leichtes Tuch um, lief hinauf, fand ihn glücklich im Dunkeln und kam, ein Liedchen vor mich hinsummend, die hellerleuchtete Treppe wieder hinabgesprungen. Mir glühten die Wangen vor Aufregung und Lust. Rasch wollte ich durch die Halle eilen, schon klangen die ersten Töne der Musik mir entgegen – oh, wie schön ist doch das Leben! – da war es mir, als hörte ich einen Wagen auf dem Steinpflaster vor das Portal rollen und anhalten. Erstaunt blieb ich stehen – wer konnte noch in so später Stunde kommen?

Ich glaubte, ich hätte mich getäuscht. Von den Dienern sah ich keinen, sie waren alle in den Zimmern beschäftigt. Eben wollte ich weiterschreiten, da flog die schwere eichene Tür auf, ein Windstoß fuhr herein, daß die Hängelampen des Hausflurs an ihren Ketten schwankten – eine schwarze Frauengestalt trat in die Halle. Der Wind hob den Schleier von ihrem Gesicht, ein Paar großer, dunkler Augen schauten mich an. Ein namenloser Schreck durchfuhr mich, und mit dem Aufschrei »Ruth!« blieb ich regungslos stehen und starrte sie an.

Ich glaubte bestimmt, ich sähe eine Erscheinung, und war keines klaren Gedankens fähig, da fiel die Tür dröhnend hinter ihr ins Schloß. Sie schritt wankend auf mich zu, ihre Lippen bewegten sich, als wollte sie sprechen, die Augen irrten scheu in der Halle umher, und die Lampen warfen ein unruhiges Licht auf das bleiche Gesicht. Dann faßte sie mich am Arm: »Meine Mutter, wo ist meine Mutter?« Ich stürzte davon wie gejagt. Zitternd und leichenblaß stand ich plötzlich im Saal, es war mir, als hätte ich die Sprache verloren. Ich suchte nach Worten und fand sie nicht, ich vermochte zuerst nur mit der Hand nach draußen zu zeigen, dann stammelte ich zu Frau v. Bendeleben, die besorgt zu mir trat: »Ruth ist draußen in der Halle!« Sie sah mich an, als ob ich irrsinnig geworden sei. Die Musik verstummte, und die gespannte Aufmerksamkeit der Gesellschaft konzentrierte sich auf mich, die ich, am ganzen Körper zitternd, vergeblich versuchte, Herr meines Schreckens zu werden.

Da flog die nach dem Korridor führende Flügeltür auf, und über die Schwelle schritt Ruth. Ich sehe sie noch vor mir, unheimlich schön sah sie aus, als sie mit beinahe geistesabwesenden Augen ihre Mutter suchte. Ein langes, schwarzes Trauerkleid umhüllte die zierliche Gestalt, die dunklen Haare waren unter der Witwenhaube versteckt, von der ein langer, schwarzer Kreppschleier herniederhing. Das wunderbar schöne Gesicht zeigte keine Spur von Leben. »Mutter!« rief sie mit erlöschender Stimme. »Mutter!«

Einen Augenblick stand alles starr und still, dann kam Leben in die Mutter, und mit dem Ausruf: »Ruth! Allmächtiger Gott, was ist geschehen?« zog sie die Tochter in ihre Arme.

»Er ist tot, Mutter!« sagte sie leise und tonlos und legte den Kopf an ihre Schulter.

Kaum vermag ich diese Szene zu beschreiben. Vorhin und Jetzt erschien wie ein Traum. Die Gäste zogen sich in die Nebenzimmer zurück, der Baron stand wie betäubt, und Hanna hatte die Hand ihrer Schwester ergriffen. »Ruth, liebste Ruth, sprich doch, sei nicht so starr – bringt sie doch auf ein Sofa, hilf doch, Heinrich, Vater! O Gott, was ist nur geschehen?« Totenstill war es im Zimmer geworden, die Kerzen gossen ihr Licht auf die bleiche Frau in der prachtvollen Seidenrobe und auf die schlanke, schwarze Gestalt in ihren Armen. Die Blumen dufteten süß, und draußen raste der Sturm und pochte an die Fensterscheiben, und wieder klang es tonlos von ihren Lippen: »Er ist tot, Mutter!«

Still gingen Bergen und Eberhardt hinaus und schlossen die Türen, man hörte nur leises Sprechen nebenan, und endlich ertönte die Stimme der Frau v. Bendeleben: »Ruth, armes, armes Kind!«

Auch ich zog mich zurück und trat in den Speisesaal. Oh, meine Ahnung! – Bergen und Eberhardt begleiteten eben die letzten Gäste zu den Wagen. Das Unwetter tobte wie am Nachmittage. – Hier standen noch die Tafeln, wie wir sie verlassen, die Stühle abgerückt, Blumen und Orangenschalen auf dem Fußboden verstreut. Hier hatte die Hausfrau gesessen und mit frohen Blicken über die heitere Gesellschaft geschaut, während ihr Kind in Nacht und Sturm zu ihr flüchtete, und von dort oben lächelten die Götter unbekümmert ihr Vive 1a joie herab. – Wo war sie geblieben, die Freude? Scheu hatte sie sich geflüchtet, als die schwarze Frauengestalt in ihrem Bereiche erschien. Wie flatterhaft ist das Glück!

»Was kann nur passiert sein?« fragte Bergen. »Warum wurde der Tod nicht sofort brieflich angezeigt? Es ist seltsam und unheimlich, nicht wahr, Fräulein Gretchen?«

»Ich weiß nichts«, sagte ich. »Aber ich fürchte mich. Ich hatte eine Ahnung, daß etwas Schreckliches passieren müsse. Herr v. Eberhardt hat mich zwar ausgelacht –«

»Ja, ich lächle auch jetzt noch über Ahnungen, ich bin nicht abergläubisch«, erklärte er.

Da kam Hanna zu uns und warf sich, in Tränen ausbrechend, in die Arme ihres Bräutigams. »Sie ist wie abwesend«, klagte sie. »Das einzige, was wir von ihr erfahren haben, ist, daß er im Duell gefallen, und daß sie von der Leiche fort in den Reisewagen gestiegen und abgereist ist. Sie hat kaum etwas genossen, während der ganzen Fahrt nicht geschlafen. Oh, was für ein schrecklicher Tag ist dies!«

Ein schrecklicher Tag, ja, in Wahrheit schrecklich! Eberhardts liebevollste Worte konnten mich nicht beruhigen. Ich bebte im Fieber, und erst gegen Morgen schloß ich die Augen neben Hanna, die sich in den Schlaf geweint hatte. Unheimliche Träume verfolgten mich, in denen Kathrin und Ruth seltsame Gespräche führten, und dann hörte ich wieder Eberhardts Stimme: »Wie hübsch siehst du heute aus, mein geliebtes Mädchen.«

Genau habe ich nie erfahren, was dort in Wien vorgefallen war. Nur aus unzusammenhängenden Brocken konnte ich das Folgende zusammensetzen. Die schöne Gräfin war eines Morgens aufgewacht von ungewohntem Laufen und Tumult in dem Palaste. Sie war aufgestanden, hatte ein leichtes Gewand übergeworfen und nach ihrer Zofe geschellt. Da war diese schreckensbleich hereingestürzt, und durch die geöffnete Tür hatte Ruth die Bahre mit ihres Gatten totem, starrem Körper erblickt. Sie hatte sich verzweifelt über ihn geworfen. Ihr wurde mitgeteilt, daß er im Duell mit Herrn v.T. gefallen sei. Über die Ursache dieses blutigen Ereignisses weiß ich nichts, nie wurde in Bendeleben eine Andeutung darüber gemacht. Nur das erfuhr ich nachher, daß, als die junge Witwe am späten Nachmittage desselben Tages in die Gemächer ihrer Schwiegermutter kam, um bei dieser Trost zu suchen, die Kammerfrau ihr sagte, die gnädige Gräfin wolle die Frau ihres verstorbenen Sohnes nicht sehen. Da hatte sich die junge Witwe sofort in ihren Reisewagen geworfen und war zu ihren Eltern geflohen.

Weshalb die alte Gräfin die einst so vergötterte Schwiegertochter nicht hatte empfangen wollen, ob sie glaubte, daß sie schuld an dem Zweikampfe gewesen, oder ob überhaupt schon in der letzten Zeit das Verhältnis erschüttert war, wer mag es wissen? Die Zeitungen brachten nur einen kurzen Bericht über die unglückliche Geschichte. Der Grund des Duells zwischen diesen sonst so befreundeten Herren sei vollständig unbekannt, hieß es darin.

Der Baron reiste nicht nach Wien zur Beisetzung. Es wurden viele Briefe gewechselt und Ruth blieb bei ihren Eltern. Frau v. Bendeleben sah unendlich niedergeschlagen aus, und ihre Augen richteten sich zuweilen mit einem Ausdruck von Bitterkeit auf das Antlitz der jungen Witwe. Des Barons heitere Laune war gewichen, er sah meist ärgerlich und verstimmt aus. Ein großer Kummer ist ja auch der Verlust eines Schwiegersohnes und wohl imstande, den Frohsinn für lange Zeit aus dem Hause zu bannen. Es war, als ob mit dem plötzlichen Einzuge der verwitweten Tochter ein unheimlicher Druck auf dem ganzen Hause lag. Kein frohes Wort wurde mehr gehört, kein Gesang von mir verlangt. Ruhig und scheinbar in alter Weise bewegte sich alles, und doch ohne Lust und Leben. Selbst die Dienerschaft sprach nur flüsternd miteinander, und Frau v. Bendeleben schien ihre ganze Elastizität eingebüßt zu haben.

Ruth selbst, nachdem sie während der ersten acht Tage kaum für einen von uns sichtbar geworden war, hatte sich ziemlich gefaßt gezeigt. Sie war viel auf ihrem Zimmer, und Hanna erzählte mir, daß sie meistens mit einem Buche auf dem Sofa liege, später erschien sie mittags und abends zu Tische. Der unheimlich starre Ausdruck ihres Gesichts, mit dem sie an jenem Gesellschaftsabend in den glänzenden Saal getreten, war gewichen, und um den reizenden kleinen Mund lag wieder wie früher ein Zug, halb kokett und halb gelangweilt. Aber schön war sie, wunderschön. Das Witwenhäubchen auf dem dunklen Haar lieh dem Gesichte mit dem durchsichtigen Teint einen lebenswarmen Ausdruck, noch gehoben durch den dunklen Grund des Kreppschleiers, mit dessen Schwärze die großen Augen wetteiferten. Ich schaute ihr oft bewundernd nach, wenn sie in ihrem langen schwarzen Schleppkleide durchs Zimmer schritt. Wie eine Göttin der Trauer sah das reizende Geschöpf aus.

Hannas Hochzeit, die vor dem Beginn der Fasten sein sollte, hatte man anfänglich aufgeschoben. Später hatte man auf Ruths Bitten sich entschlossen, den Termin beizubehalten. Die Aussteuer wurde besorgt, freilich nicht so in freudiger Hast wie für die schöne Frau dort. Aber Hannas stillseliges Gesicht hauchte einen Schimmer von Glück über die Vorbereitungen. Wir saßen viel allein, Hanna und ich. Ruth beachtete mich möglichst wenig, nur hatte sie einmal wider Willen geäußert, daß sie nicht gedacht habe, ich würde so hübsch werden. Es war so ziemlich dasselbe Verhältnis zwischen uns beiden wie früher, und ich dachte ernstlich daran, in meine Heimat überzusiedeln, sobald Hanna ihrem Manne gefolgt sei; um so lieber, da mein Vater zu Ostern wieder in unser Dorf zurückkehren wollte.

Bei Kathrin war ich schon in den ersten Tagen nach Ruths plötzlichem Eintreffen gewesen. Ich hatte ihr so viel zu erzählen, aber sie wollte nichts hören. Die Sanftmut, mit der sie mich in letzter Zeit behandelt hatte, war geschwunden, die Entdeckung auf dem Korridor im Schlosse hatte sie wieder vollständig gegen mich eingenommen. »Ich will nichts wissen«, erklärte sie barsch. »Mach, was du willst, komm her oder bleib dort, meinetwegen. Du undankbares, ehrvergessenes Mädchen, schämen solltest du dich!«

»Schämen soll ich mich?« hatte ich gerufen; mein ganzes Ehrgefühl war bei den harten Worten aufgestachelt. »Warum soll ich mich schämen? Wilhelm v. Eberhardt liebt mich, ich werde sein Weib – und darum soll ich erröten!«

»Warum schreibt er nicht an deinen Vater? Warum nimmt er dich nicht an der Hand und sagt: ›Seht, Leute, dies ist meine Braut!‹« fragte Kathrin. »In was für ein Licht bringt er dich durch diese Heimlichtuerei? Aber die Angst läßt ihn nicht dazu kommen, das Rechte zu tun. Die Tante würde ihm auch bald klarmachen, was für eines Vergehens er sich schuldig macht, wenn er die Gretel Siegismund da unten aus dem Dorfe in seine Familie bringt.«

»Kathrin, er liebt mich!«

»Dann laß es ihn beweisen, indem er es öffentlich sagt.«

»Er kann es jetzt nicht.«

»Weil er sich fürchtet vor seiner adligen Sippschaft! Wahre Liebe hat nicht Angst vor Feuer und Wasser. Des Mädchens Ehre geht einem Manne, der es ehrlich meint, über alles«, erklärte die Alte mit überlegener Miene.

»Kathrin, du bringst mich zur Verzweiflung. Ich weiß es, daß er mich liebt, die Zeit wird es lehren. Kein Wort mehr davon, du hast kein Recht, eine solche Sprache gegen mich zu führen.« Und dann war ich gegangen, tief gekränkt in meinem Mädchenstolze.

Eberhardt tröstete mich zwar in seinen Briefen, die nach wie vor pünktlich durch Anne Maries Hand gingen, und wenn er kam, so sagte er: »Die längste Zeit ist ja nun schon überstanden! Denk doch, wie bald wird es Frühling, und im Sommer schon weiß es alle Welt, daß du mein bist.«

»Was wird aber alle Welt sagen?« fragte ich. »Was deine Tante und die Gräfin Satewski, wenn Mamsell Siegismund auf einmal in ihre Familie tritt?«

»Ängstige dich nicht, wir heiraten so rasch wie möglich, und ich will sehen, wer der Frau v. Eberhardt den schuldigen Respekt verweigert.« Seine dunklen Augen blitzten zornig auf. »Ich bitte dich, denke jetzt nicht daran und gräme dich nicht, sondern vertraue auf mich«, setzte er hinzu und fuhr mit der Hand über die Augen, als wollte er die unangenehmen Bilder, die sich ihm aufdrängten, verscheuchen.

Ruth hatte sich die ersten Male, als Bergen und Eberhardt nach jenem ereignisvollen Abend wieder hier waren, nicht gezeigt. Die Herren hatten sie nur damals gesehen, als sie bleich, verstört und von dem blutigen Drama ergriffen in das elterliche Haus zurückkehrte. Was dieses Sichzurückziehen, sobald ihr Vetter und ihr Schwager erschienen, eigentlich bedeuten sollte, konnte sich weder Hanna noch ich erklären. Hanna nahm es förmlich übel, daß die Schwester gar kein Verlangen trug, ihren Bräutigam kennenzulernen.

An einem Sonnabendabend waren die Herren wieder gekommen, um den Sonntag hier zu verleben. Wir saßen glücklich und heiter vor dem Kamin in dem kleinen Salon, sprachen von Hannas nahe bevorstehender Hochzeit, und ich fühlte mich für eine bange Zeit voll ahnungsvoller Sorgen durch die Nähe des geliebten Mannes entschädigt. Da tat sich die Tür auf, und Ruth schritt herein. Es war ziemlich finster im Zimmer, wir hatten uns in die Dämmerung hineingeplaudert. Nur der Schein des Feuers im Kamin warf ein schwaches, rötliches Licht auf die nächsten Gegenstände. Man konnte das Gesicht der jungen Frau nicht sehen, aber die unvergleichlich klare, süße Stimme, die sich unwillkürlich in Ohr und Herz schmeichelte, so daß Eberhardt, lebhaft aufhorchend, den Kopf nach ihr wandte, sagte: »Oh, wie dunkel, und ich wollte doch so gern meinen Herrn Schwager und den alten, guten Vetter Wilhelm sehen.« Es klang so naiv, so kindlich, als hätte es ein Kind gesprochen.

»Ruth!« rief Eberhardt und faßte, aufspringend, ihre Hand, »so müssen wir uns wiedersehen!« Er hatte in warmem Tone gesprochen, und Bergen fügte einige Worte der Teilnahme hinzu. Man sah einen Augenblick das weiße Tuch vor ihren Augen; dann sagte sie leise: »Bitte, sprecht nicht mehr davon, ich kann es nicht ertragen«, und ließ sich m den herbeigeschobenen Sessel fallen. Nach einer Pause wendete sie sich zu Eberhardt: »Ja, es waren schöne Zeiten, Wilhelm, als wir noch in Bonn unsere ersparten Schätze beim Konditor anlegten. Weißt du noch, die Ladenmamsell kannte uns zuletzt schon, wenn wir kamen, und einmal fragte sie uns: ›Ihr seid wohl am Ende gar Braut und Bräutigam?‹«

Sie lachte glockenrein, und eben noch waren Tränen um den verlorenen Gatten in ihren Augen gewesen.

Eberhardt mußte unwillkürlich mitlachen. »Ja, ja, das weiß ich noch. Mein Gott, wie die Zeiten sich ändern! –«

Da brachte ein Diener Licht. Der Schein der hohen Bronzelampe fiel voll und hell auf Ruth, die uns gegenübersaß. Sie sah wunderschön aus, die dunklen Locken quollen unter den Spitzen der schwarzen Haube hervor. Die großen, selten schönen Augen schimmerten in feuchtem Glanze unter den langen Wimpern, der kleine, rote Mund zeigte, noch vom Lachen halb geöffnet, die Reihe blendend weißer Zähnchen, das lange tiefschwarze Gewand umschloß die reizendste Figur, und sie lag in dem Sessel, als habe sie keine Ahnung von dem entzückenden Bild, das sie darbot. Ich war selbst in ihren Anblick versunken, und erst Eberhardts plötzliches Verstummen ließ mich zu ihm hinschauen. Er sah seine Cousine mit unverhohlener Bewunderung an, und auch Bergen schaute ganz frappiert zu ihr hinüber.

Ruth ihrerseits hatte nur einen vorübergleitenden Blick für die beiden Herren gehabt und spielte gleichgültig weiter mit dem Ende ihres langen, schwarzen Kreppschleiers, den sie, etwas phantastisch arrangiert, von ihrem Winterhäubchen herabwallen ließ. Sie hatte sich in den Salons in Wien den elegantesten Weltton angeeignet, und würde selbst ihren Vetter nicht mit einem neugierigen Blick belästigt haben. Ebensowenig schien sie die Bewunderung zu bemerken, die man ihrem Anblick zollte.

Es gab mir einen kleinen Stich ins Herz, als ich den Eindruck gewahrte, den die Schönheit meiner heimlichen Feindin auf Eberhardt machte. Doch es war nicht anders möglich, man mußte überrascht sein, wenn man sie zum ersten Male oder nach langer Zeit wiedersah. Bergen war ja wie geblendet gewesen, und ich hörte nachher, wie er zu seiner Braut sagte: »Deine Schwester ist eine Schönheit ersten Ranges, ich möchte sagen, eine vollendete Schönheit, wie ich noch nie etwas Ähnliches sah.«

»Nein aber, du angehender Don Juan«, scherzte Hanna.

»Aber du gefällst mir doch noch besser, mein Herz, aus deinem Gesichtchen sieht die Herzensgüte heraus, die die Frau, die sie besitzt, zur schönsten auf Erden macht«, setzte er hinzu und küßte die Stirn seiner Braut.

Das tröstete mich, die Herzensgüte mußte Eberhardt bei Ruth auch vermissen, und er liebte mich ja. Mochte er sie ansehen, soviel er wollte, sein Herz war unwiderruflich mein. Dies Gefühl ließ es mich auch neidlos mit ansehen, wie Ruth, als man zu Tische ging, mit ihrem süßesten Lächeln zu Eberhardt sagte: »Deinen Arm, Vetter.« Ich folgte allein und unbeachtet hinterher, leise drückte ich meinen Ring an das Herz, während die hohe Gestalt Eberhardts mit ritterlicher Aufmerksamkeit die schöne Frau am Arme führte. In der Tür des Speisesaales sah sie sich um. »Ach, Gretchen, so allein? Ich werde dafür sorgen, daß morgen auch ein Kavalier für Sie da ist. Mama mag Pastor Renner einladen, er soll ja wohl ein netter Mann sein!« Dabei blitzten mich die schönen Augen an.

Eberhardt hatte sich gleichfalls rasch umgewendet und schien auf das, was ich entgegnen würde, gespannt zu sein. Ich überhörte den »Kavalier für morgen« und sagte ganz ruhig: »Ihre Frau Mutter schätzt den Herrn Pastor sehr hoch, Gräfin, ein sicherer Beweis, daß er ein netter Mann ist.«

Ich redete Ruth stets »Frau Gräfin« an, sie hatte es mir deutlich zu verstehen gegeben und mich sofort »Sie« genannt. Wenn Frau v. Bendeleben zu mir von Ruth sprach, so sagte sie stets: »Die Gräfin Satewski ist nicht wohl«, oder: »Die Gräfin sagte mir« usw.

Die Gräfin wandte sich ob meiner herben Antwort mit einem Aufzucken ihres kleinen Mundes ab und bemerkte zu Eberhardt: »Elle sait bien déguiser ses pensées.«

Ja, ich wußte meine Gedanken zu verbergen, aber andere Gedanken, als sie meinte. Warum wurde mir doch immer dieser junge Nachfolger meines Vaters entgegengestellt! Bei Tische war die Unterhaltung so lebhaft, wie wohl selten in unserem kleinen Kreise. Die junge Gräfin war nicht allein schön, sie war auch geistreich, und hatte jene leichte Unterhaltung gelernt an den Teetischen der schönen Welt Wiens. Man sprach über die Hochzeit Hannas und kam von da auf Hochzeiten und Ehen im allgemeinen.

»Eine glückliche Ehe kann nur die sein«, erklärte Ruth zu Hanna gewendet, »wo die Frau es versteht, ihrem Manne nie langweilig zu werden, wo sie immer Neues entfaltet, seien es auch manchmal kleine Launen und Kapricen. Er wird sich dann glücklicher fühlen, wie mit einer sogenannten guten, gehorsamen Frau, die ihm stets den Wunsch an den Augen abliest und ihm nie Gelegenheit gibt, sich über sie zu wundern, zu ärgern oder zu freuen. Ich rate dir, Schwesterchen, laß nie in deinem Hause alle Uhren richtig gehen, alle Zimmer aufgeräumt sein – der gute Mann findet das bald langweilig, lieber tue ihm nichts zu Willen.«

»Die glücklichste Ehe ist die, wo Mann und Frau sich ineinander schicken und fügen, und wo weder er noch sie sich durch Kapricen und Launen aufs neue interessant machen müssen. Ich wäre nicht der Mann, der sich durch solche Mittel fesseln ließe. Mir scheint an einer Frau nichts mehr entstellend, als gewisse kokette Kapricen. Und ist der Mund noch so hübsch, den sie schmollend verzieht, und sind die Füßchen, mit denen sie im Zorne auftritt, die zierlichsten der Welt, ich würde das nie bewundern. Anstatt daß die Langeweile mir verginge, würde der Unmut bei mir einziehen. Glücklich könnte ich mich dabei nie fühlen.« Bergen hatte diese Worte ernst und etwas erregt gesprochen und erfaßte die Hand seiner Braut.

Ruth lächelte etwas spöttisch. »Da haben Sie eine glückliche Wahl getroffen, Leutnant v. Bergen. Meine sanfte Schwester wird weder den Mund schmollend verziehen noch mit den Füßen auftreten. Wenn sie etwas erreichen will – so wird sie Kopfschmerzen bekommen und Migräne. Auch das ist Abwechslung, wenn auch im Grunde nur Laune und Unart, c'est tout à fait égal – so oder so, aber immer noch besser als ewig gutes Wetter.«

»Wenn Hanna etwas erreichen will«, sagte Bergen, dem diese Auseinandersetzungen der schönen Frau unangenehm zu sein schienen, »so wird sie es mir mitteilen, und wenn ihre Wünsche erreichbar sind, woran ich nicht zweifle, so hat sie nicht nötig, Migräne zu bekommen, wozu sie, Gott sei Dank, auch keine Anlagen zu besitzen scheint.«

»Wenn ihre Wünsche vernünftig sind!« lachte die schöne Frau. »Als ob ein Mann jemals einen Wunsch seiner Frau vernünftig gefunden hätte! Will sie ausfahren bei warmem Wetter, so staubt es zu sehr. Ist es kühl, so holt man sich den Schnupfen. Hat man Lust, in die Oper zu gehen, so ist das Stück jedesmal uninteressant. Kurz und gut, sobald man nicht stets mit einstimmt, wenn dem Gebieter etwas paßt, ist man unbequem und langweilig, und stimmt man ihm bei, so ist man erst recht langweilig. Also amüsiere ich mich doch lieber und quäle ihn mit ein paar Launen, dann ist die Langeweile doch nicht ganz so langweilig.« Sie hielt die kleine, schmale Hand vor den Mund und verbarg ein Gähnen.

Bergen sah ärgerlich aus und bemerkte etwas scharf: »Sie müssen traurige Erfahrungen gemacht haben, Gräfin.« Dann sah er seine Braut an, als wollte er sagen: »Wir werden uns nie miteinander langweilen.«

Ruth warf ihm einen finsteren Blick zu für seine Bemerkung und wollte eben den Mund zu einer bitteren Entgegnung öffnen, als Eberhardt, der bis dahin einen stummen Zuhörer, wie wir anderen, abgegeben hatte, sagte: »Die Langeweile, von der du sprichst, Ruth, kann doch nur da vorkommen, wo ein Ehepaar keine andere Beschäftigung hat, als nur sich zu leben, das heißt, wo der Mann keine Stellung und kein Amt besitzt, als etwa seine Renten einzuziehen und seine Zinsen zu berechnen, und die Frau ihrem Hause nicht vorzustehen braucht, weil sie sich Leute genug halten kann, nur Toilettensorgen hat und Bälle und Gesellschaften besucht. Wenn aber der Mann ein Amt bekleidet, die Frau wirklich Hausfrau ist, das heißt ihrem Haushalt vorsteht, teilnimmt an der Wirtschaft, für Mann und Kinder sorgt, da sind die wenigen Stunden, die sie zusammen verleben, für den müdegearbeiteten Mann Erholungsstunden, und ich glaube nicht, daß die Langeweile einkehren wird.«

Bergen nickte ihm zu, aber Ruth bemerkte nachlässig, an solch bürgerliche Verhältnisse habe sie nicht gedacht.

»Ja, ich denke mir es wenigstens so«, meinte Eberhardt, ihre Bemerkung überhörend, »und wenn ich verheiratet sein werde und, müde und bestaubt vom Dienste, in mein behagliches Heim komme, wo meine Frau mich empfängt, so bin ich überzeugt, daß ich nie Langeweile verspüren werde.«

Ruth machte eine abwehrende Bewegung mit der Hand, als wollte sie sagen: »Hör auf! hör auf!« und der Baron mischte sich in das Gespräch: »Nun ist's genug des Disputierens. Ihr sprecht wie Blinde von der Farbe. In der Ehe kommt alles mögliche vor, auch Langeweile. Bergen nimmt es förmlich übel, daß man an die Möglichkeit denkt, Hanna könnte sich mit ihm langweilen. Wilhelm rollte eine wahre Idylle vor unseren Augen auf – man sieht ihn schon von einem anstrengenden Marsch sich auf das Sofa strecken, und die allerliebste Frau bringt ihm eine Tasse Kaffee – nur Grete sagt nichts. Was meinst du denn dazu, kleine Weisheit?«

Ich saß stillselig dabei, präsentierte wirklich in Gedanken Eberhardt eine Tasse Kaffee und wischte ihm den Staub von der Stirn. Oh, was für ein reizendes Bild hatte er da hingezaubert!

»Was ich dazu sage? Ich denke, wenn sich ein Paar Menschen recht liebhaben, dann ist alles wunderschön, sogar die Langeweile!«

Ein freudiger Blick Eberhardts lohnte mir, der Baron und Hanna lachten, nur Frau v. Bendeleben und die schöne Witwe schienen längst an etwas anderes zu denken. Ruth erhob sich, erklärte, sie sei angegriffen, und zog sich zurück, nachdem sie nochmals Eberhardt freundlich zugelächelt hatte, als er ihr die dargereichte Hand küßte. Mich hatten die einfachen Worte Eberhardts so glücklich gemacht, daß ich am anderen Tage ohne Neid mit ansah, wie Gräfin Satewski mein Pferd bestieg, um mit dem Brautpaar und Eberhardt bei der ungewöhnlich milden Luft einen Spazierritt zu machen. Es war kein drittes Damenpferd im Stall, und da die schöne Frau durchaus Luft schöpfen wollte und den Vorschlag des Barons, zu fahren, mit Achselzucken ablehnte, so wußte man keinen anderen Rat, als mich pro forma zu ersuchen, Frau v. Bendeleben Gesellschaft zu leisten, während die anderen ausritten.

Ich sah, wie Eberhardt ihr die Hand bot, wie sie das Füßchen hineinsetzte und sich dann mit der Grazie einer vollendeten Reiterin in den Sattel schwang. Meine hübsche Suleika bäumte sich hoch auf, so energisch ergriff die kleine Hand den Zügel. Sie ritten nebeneinander, Bergen und Hanna waren schon voran, und ich stand am Fenster und fing den Gruß Eberhardts auf. Wie stattlich sah er aus!

Als sie nach zwei tödlich langen Stunden zurückkamen, die ich mit der seit ihrer Tochter Heimkehr merkwürdig schweigsam gewordenen Frau v. Bendeleben verlebt hatte, sah die schöne, junge Frau rot und ärgerlich aus. Sie ging sofort in ihr Zimmer und kam erst zum Abendessen herüber. Hatte sie geweint? Es war, als ob die großen, dunklen Sterne noch in Tränen blitzten.

Pastor Renner war erschienen. Eberhardt schritt diesmal rasch an seiner Cousine vorbei und bot mir den Arm. Sie ging mit dem »für mich eingeladenen Kavalier« zu Tische. Das amüsierte mich. Als im Laufe des Abends Eberhardt Gelegenheit hatte, mit mir einige Worte leise zu sprechen, sagte er: »Man scheint hier Pläne für deine Zukunft zu schmieden, nimm dich in acht.«

Ich verstand ihn damals nicht recht, und erst als Hanna mir später, kurz vor der Hochzeit, erzählte: »Gretel, unten haben sie heute nachmittag Heiratspläne für dich gemacht«, ging mir ein Licht auf.

»Wer hat diese Plane gemacht?« fragte ich.

»Nun, Mama, Papa und Ruth.«

»Wen soll ich, und wer soll mich denn beglücken?« »Na, Gretel, welche Frage! Es gibt nur einem, und dieser eine ist der Pastor, Mamas erkorener Liebling.«

Ich mußte doch lächeln, obgleich ich mich ärgerte, aber ich dankte Gott, daß ich nun wußte, wie es stand. Ruth hatte mich in letzter Zeit mit herablassender Freundlichkeit behandelt. Sie war launisch wie immer, hatte meistens Kopfschmerzen, und hielt es nur dann der Mühe wert, einigermaßen liebenswürdig zu sein, wenn Bergen und Eberhardt erschienen. Von ihrer Absicht, nach Wien zurückzukehren, sobald die tiefste Trauer vorüber sei, sprach sie nicht mehr. Auf die vielen Briefe an die alte Gräfin Satewski war nämlich anfänglich keine Nachricht, dann aber ein Brief ihres Sekretärs an die verwitwete Gräfin Satewski, Hochgeboren, eingelaufen, mit der untertänigsten Benachrichtigung, daß die Frau Gräfin Mutter noch zu sehr von dem Schmerz um den so plötzlich dahingeschiedenen Sohn ergriffen sei, als daß sie die fortwährende Erinnerung, die das Dortsein seiner jungen Witwe mit sich bringen würde, zu ertragen vermöchte. Die Frau Gräfin wolle bestimmen, was sie von ihren Sachen, Dienerschaft, Equipagen und Pferden nachgesandt zu haben wünsche, es werde sofort zu ihrer Verfügung stehen.

Den Inhalt dieses Briefes erfuhr ich durch Hanna, die ganz verwundert meinte, die alte Gräfin müsse doch eine sonderbare Frau sein.

Frau v. Bendeleben wurde, wenn möglich, noch schweigsamer. Ruth sprach mit etwas erzwungener Gelassenheit von den Zimmern, die sie sich in dem Flügel des Schlosses, wo die Fremdenstuben lagen, einzurichten gedenke, und meinte, daß sie um jeden Preis ihre Lady Arabella, ein englisches Pferd, und die Josepha, ihre Kammerjungfer, haben müsse.

»Deine Möbel und das Pferd laß kommen, die Zimmer sollen dir eingerichtet werden. Aber deine Wiener Kammerjungfer bleibt, wo sie ist«, erklärte der Baron sehr kühl. Ruth weinte einen halben Tag über diese Abfertigung und bestürmte dann die Mutter mit Bitten. Als diese nicht zu erweichen war – weshalb, weiß ich nicht – beruhigte sie sich und schrieb an ihren cher cousin Eberhardt, ob er ihr nicht eine passende Person als Zofe in G. ausfindig machen könnte. Die Antwort war sehr kurz. »Er bedaure, er habe gar keine Gelegenheit, sich nach einer solchen umzusehen.«

Sie erzählte diese lakonische Antwort ganz empört bei Tische. »Wie ist's möglich, so ungalant zu sein!« rief sie. »Oh, mein schönes Wien, das wäre mir dort nicht geboten worden!«

Inzwischen war der Hochzeitstag Hannas, der 5. Februar, immer näher gekommen. Die Trauung sollte im Schlosse stattfinden, und nur ein paar Kameraden Bergens, der Oberst v. Rosenberg mit Frau und Nordheims zugegen sein.

Wir alle waren eine Woche vorher nach G. gefahren, um die neu eingerichtete Wohnung des jungen Paares zu sehen. Hanna allein blieb zu Hause, sie sollte ja überrascht werden. Die Wohnung lag im zweiten Stock eines ganz hübschen Hauses, aber steile Treppen, niedrige Zimmer und wenig Räume. Hannas Zimmer, Bergens Zimmer, ein Salon, ein Schlafzimmer und Wirtschaftsräume – das war alles.

Ich konnte kaum einen Ausruf des Entzückens unterdrücken. Wie gemütlich, wie traut und zierlich sah das alles aus! Man sah, Bergen hatte alles überwacht und angeordnet, jedem Möbel und Bilde, jeder Statuette seinen Platz angewiesen. – Wie reizend dort das Plätzchen am Eckfenster, der zierliche Nähtisch mit dem Sessel davor, halb versteckt hinter duftigen, weißen Vorhängen. Hier wird sie sitzen, die niedliche, blonde Frau, und aufpassen, wenn er vom Dienste nach Hause kommt. Ein sehnsüchtiges Verlangen, auch so nahe am Ziele zu sein, erfaßte mich. Ich sah mich um nach Eberhardt: da stand er, und halb gerührt, halb freudig bewegt, schaute er zu mir herüber. Oh, ich wußte, er dachte dasselbe wie ich.

Die schöne Frau in den schwarzen Kleidern betrachtete sich dieses gemütliche Heim mit einer Miene, die erstaunt und geringschätzig zugleich war. Sie blickte zur niedrigen Decke empor und riß den Samtpelz auf, indem sie tief Atem holte, als müsse sie ersticken. Sie sah aus, als wolle sie jeden Augenblick etwas von bürgerlichen Verhältnissen sagen. Auch Frau v. Bendeleben schien sich hier nicht wohl zu fühlen und äußerte verschiedene Male zu Bergen, sobald sich eine bequemere und elegantere Wohnung finde, müsse er diese wieder aufgeben. »Wie wird sich Hanna in diesen kleinen Räumen gewöhnen?« fragte sie Ruch.

»Ausgezeichnet gut, natürlich!« entgegnete diese. »Hanna paßt wie geschaffen für eine –« sie verschluckte das letzte Wort und schwieg, aber der Zug um den Mund war noch spöttischer geworden. Bergen strahlte vor Glück und schien gar nicht zu bemerken, daß die beiden Damen nicht in meine laute Bewunderung mit einstimmten. Er zeigte mit der Miene eines kleinen Krösus alle seine Schätze, und war völlig derselben Meinung wie ich, daß es auf der ganzen Welt nichts Gemütlicheres und Trauteres geben könne als dieses kleine Heim.

Die acht Tage vergingen rasch, und am Vorabend der Hochzeit stiegen wir beide, Hanna und ich, zum letzten Male zusammen die Treppen hinan zu unserem Turmstübchen. Ich war unendlich wehmütig gestimmt. Mit Hannas Fortgehen brach für mich ein ganz anderes Leben an. Wir hatten uns sehr lieb, und wenn sie auch nicht die Vertraute meiner Liebe war, so wußte ich doch, daß sie an allem, was mich betraf, den innigsten Anteil nahm. Auch sie hatte Tränen in den Augen, als wir uns oben in unserem kleinen Heim befanden. Nach langem Blick überschaute sie das Gemach und schien von jedem Möbel Abschied nehmen zu wollen. Arm in Arm standen wir so, dann sagte sie leise: »Gretel, nun ist es das letztemal, daß wir hier vereint sind. Ich gehe einer glücklichen Zukunft entgegen, und ich will dir offen gestehen, der Abschied von dir und vom Elternhause wird mir zwar recht schwer – aber seit Ruth wieder da ist, liegt ein solcher Druck auf der ganzen Atmosphäre hier, daß ich in einer anderen Luft ordentlich aufatmen werde. Wenn ich nur nicht um dich Sorge hatte! Ich weiß nicht, wie du es hier aushalten willst, meine gute, liebe Gretel?«

Ich weinte leise. »Ich gehe zu meinem Vater zurück, Hanna, sorge dich nicht um mich. Ich werde dich ja manchmal wiedersehen, und später –«

»Nun, und später?« fragte Hanna.

»Ich meine nur«, sagte ich verlegen, »du wirst oft hierherkommen und mich auch einmal besuchen da unten im Dorfe.«

»Natürlich, Gretchen, jedesmal. Und du kommst eine Zeitlang zu mir in die Stadt, das versteht sich von selbst. Und nicht wahr, Gretchen, morgen weinst du nicht so viel! Mach mir den Abschied nicht so schwer und hab' noch einmal tausend Dank für alle deine Freundschaft und Liebe in guten und bösen Tagen. Könnt' ich es dir je vergelten! Du wirst mir stets die schönste Erinnerung sein aus der Mädchenzeit, und nie werde ich unsere Streifereien durch Wald und Feld zu Pferde vergessen, bei denen du so wunderschön gesungen hast. Ach, Gretchen, ich wünschte nur eins für dich: ich möchte dich auch bald so glücklich wissen, wie ich es bin.«

Ich küßte gerührt die klaren blauen Augen. »Weißt du, ich habe dir für vieles zu danken, für alles, Hanna! Du hast mir Mutter und Vater ersetzt, weil ich dich liebhaben durfte, und weil du mich wieder liebhattest.« –

Der feierliche Tag war gekommen, der Hanna aus dem Elternhause führen sollte. Die Dienerschaft hatte es sich nicht nehmen lassen, zu Ehren der jungen Braut das ganze Schloß mit Tannenreisern auszuschmücken, wo es nur anzubringen war. Von unserem Zimmer über die Treppe, durch die Halle bis an den Saal, wo die Trauung stattfinden sollte – überall lagen Blumen und Grün gestreut. Lisel und der alte Johann hatten ganz verweinte Gesichter. Sie war von allen geliebt worden im ganzen Hause, die kleine, sanfte Hanna, von der brummigen Schließerin bis zum Stalljungen. Aller Herzen hatte sie erobert, manch gutes Wort für diesen oder jenen eingelegt, und nun wollten ihr die Leute zeigen, wie groß die Verehrung war und wie ungern man sie scheiden sah.

Oben saß sie zum letzten Male in unserer Mädchenstube, und Lisel frisierte ihr die schönen blonden Locken. Ich stand im einfachen weißen Kleide und hielt den Myrtenkranz in der Hand, den sie von mir aufgesetzt haben wollte. – Mit aller Gewalt preßte ich die Tränen zurück, wähnend ich den bedeutungsvollen bräutlichen Schmuck in die vollen Haare drückte. Als sie sich erhob und der Schleier über die schweren Falten des langen, weißen Gewandes herabrieselte, da hielten wir uns einen Augenblick fest umschlungen und flüsterten ein inniges Lebewohl, Lebewohl! Sie sah so wunderlieblich aus, diese kindliche Braut. Das blasse Gesichtchen zeigte Rührung und Glück, ihre Hände zitterten, als sie das prächtige Brautbukett ergriff, und die Bedeutsamkeit des Schrittes, den sie im Begriff war zu tun, übermannte sie beinahe. Zögernd stand sie mitten in der Stube, da hörten wir einen sporenklirrenden Tritt auf dem Korridor.

»Er wartet schon«, sagte ich leise. »Komm, Hanna.« Richtig, es klopfte, draußen stand Bergen. Strahlend vor Glück richtete er seine Augen auf die liebliche Braut und reichte ihr den Arm. Ich schritt hinter ihnen die Treppe hinunter. Die ganze Dienerschaft befand sich in der Halle und schaute bewundernd dem Paare nach. Der alte Johann öffnete die Flügeltüren, das Brautpaar trat zu dem mit Orangenbäumen geschmückten Altar, um den bereits im Halbkreise die Angehörigen und die wenigen zu der Feier geladenen Fremden sich versammelt hatten. Heller Sonnenschein flutete durch die hohen Fenster und ließ den Glanz der zahlreichen Kerzen matt erscheinen. Und vom Altar her tönte die Stimme des Geistlichen: »Sei getreu bis in den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben, das ist der Spruch, den ich euch, geliebtes Brautpaar, auf den Lebensweg mitgeben möchte.«

Ein schöner Spruch fürwahr und schöne Worte waren es, die der junge Pastor darüber sagte. Von den Wangen der Braut rann Träne um Träne, und um Frau v. Bendelebens Lippen zuckte es wie von Schmerz und Freude zugleich. Ruth sah marmorbleich aus, schöner als je in der tiefschwarzen Spitzenrobe. Ich stand neben ihr, und als das Brautpaar hinkniete, um den Segen zu empfangen, faßte die kleine Hand krampfhaft in die duftigen Falten des schwarzen Gewandes und ein tiefer, ängstlicher Seufzer entschlüpfte ihren Lippen.

Ob sie an ihre Hochzeit gedacht? Wie sie vor so kurzer Zeit erst dasselbe Gelübde ausgesprochen, das nun der Tod gelöst hatte? Wer weiß es! – Als die Zeremonie beendet war, und das junge Paar beglückwünscht wurde, war diese Erregung wieder verschwunden. Sie küßte kalt die junge Frau v. Bergen auf die Stirn, und beim Hochzeitsmahl war sie die lebhafteste von allen. Es schien, als spräche sie gerade deshalb so viel, um böse Gedanken zu verscheuchen, die sich ihr beim Anblick des Brautpaares immer wieder aufdrängten.

Sie saß neben Wilhelm v. Eberhardt, ich ihnen gegenüber neben dem jungen Pastor. Es war keine vergnügte Tafelrunde, es hätte von Rechts wegen auf einer Hochzeit fröhlicher zugehen müssen. Die Unterhaltung schleppte sich so weiter, die Hausfrau sprach wenig, dem Baron ging der bevorstehende Abschied von seinem Liebling nahe. Der alte Nordheim ließ zwar in einer hübschen Rede das Brautpaar leben, es kam aber doch keine Munterkeit in die Gesellschaft. Die Leute, der alte Johann an der Spitze, traten mit gefüllten Gläsern ein: »Wir wollten der jungen, gnädigen Frau v. Bergen unsere besten Segenswünsche bringen«, sagte der alte, ehrliche Mann mit den treuherzigen Augen. »Möge es ihr Wohlergehen allezeit, und möge sie, wenn sie der Heimat gedenkt, auch unser nicht vergessen, wie wir das Andenken an die gütige Herrin, die unter unseren Augen groß geworden ist, nie vergessen.« Große Tropfen rannen aus den Augen der jungen Frau, als sie dankend dem alten Diener die Hand reichte. »Nein, Johann«, fügte sie hinzu, »ich vergesse euch alle nicht, wie könnt' ich das?«

Es war dämmerig geworden, als Bergen sich mit seiner jungen Frau zurückzog, ich folgte ihnen und half den pelzgefütterten Mantel um ihre Schultern legen. Noch einmal umarmten wir uns, und dann hob sie ihr Mann in den Wagen, die vier Pferde zogen an, und der Kutscher, in großer Livree mit der bandgeschmückten Peitsche, fuhr mit einer prachtvollen Schwenkung über den Schloßhof. Noch einmal winkte die kleine Hand heraus aus dem Wagen – und ich stand allein in dem kalten Winde.

Die Dienerschaft, die alte Schließerin und Lisel, alle weinten, als ob jemand gestorben wäre. »Die hat ein Herz wie Gold«, sagte der alte Johann. »Der Mann ist glücklich zu preisen!« Auch ich fühlte mein Auge feucht werden. Mit Hanna war mir so vieles entschwunden.

Im Saal war man schon von der Tafel aufgestanden. Die fremden Gäste empfahlen sich bald, und Frau v. Bendeleben zog sich zurück. In dem kleinen Salon wurde uns Tee serviert. Der Baron sah sich im Zimmer um, als müßte jeden Augenblick das blonde Köpfchen Hannas in der Tür erscheinen und ein herzliches neckendes Wort hereinrufen. Ruth lag im Sessel. Durch das schwarze Spitzengewebe ihres Gewandes schimmerte der schneeweiße Hals, die weiten Ärmel waren zurückgeschoben und zeigten die schönsten Arme der Welt. Eberhardt stand am Flügel und sah zu ihr hinüber, seine Stirn in finstere Falten gezogen, die Lippen aufeinander gepreßt.

Ich sehnte mich nach einem freundlichen Blick von ihm. Er hätte mir wohl einen kleinen Trost für Hannas Fortgehen geben können. Aber ich wartete vergebens, seine Blicke hingen starr an der schönen Frau im Sessel. Traurig setzte ich mich in die tiefe Fensternische.

»Gretel«, bat der Baron, der ruhelos auf und ab wanderte, »weißt du, singe mir ein Lied.« Ich erhob mich, auch Ruch stand auf.

»Die Trauerzeit kann doch wohl abgewartet werden, ehe man mir zumutet, lustige Lieder mit anzuhören«, sagte sie in tiefgekränktem Tone. »Doch ich werde hinübergehen in mein Zimmer, dann mag sie singen, soviel sie will.«

Der Baron war erstaunt stehengeblieben, Eberhardt drehte sich um und sagte zu mir: »Fräulein Siegismund wird nicht singen, wenn sie dich damit aufregt, liebe Ruth«, und warf mir dabei einen befehlenden Blick zu.

Mir war, als hörte ich nicht recht. War das wirklich Wilhelm v. Eberhardt, der so zu mir sprach? Der Wilhelm, der mich liebte, mein Wilhelm? Ich wollte ihm noch einmal in die Augen sehen, doch er hatte sich schon wieder gewandt und blickte auf Ruth, die wie ein Kind, das seinen Willen ertrotzt hat, ihren Platz wieder einnahm.

Der Baron hatte eine scharfe Bemerkung auf seinen Lippen, die Ader auf der Stirn war gewaltig angeschwollen. Aber er bezwang sich, schritt zur Tür und ging hinaus.

Ruch sah ihm gleichgültig nach. »Papa ist furchtbar schlechter Laune«, sagte sie. »Sein blondes Nesthäkchen fehlt ihm überall. Das kleine Schmeichelkätzchen verstand es, ihm die Grillen zu vertreiben.« Eberhardt antwortete nicht, und sah, wenn möglich, noch finsterer aus als vorhin.

»Nun, cher cousin, warum so nachdenklich?« fragte sie wieder und warf ihm kokett eine Blume zu, mit der sie gespielt hatte. Die Blume fiel zur Erde, er machte eine Bewegung, als ob er sich danach bücken wollte. Dann zog er die Hand zurück und blieb in seiner vorigen Stellung. Da trat ich vor, nahm die Blume auf und legte sie neben ihm auf den Tisch, dann verließ ich das Zimmer.

Ich ging hinauf in mein einsames Turmstübchen. Wie wundersam war mir zu Sinne! Etwas wie Eifersucht packte mich, ich wußte ihn dort unten allein mit der schönen, koketten Frau, rief mir zurück, wie er sie angeschaut, und konnte mir nicht erklären, warum er gar keinen freundlichen Blick, kein liebes Wort heute für mich gehabt hatte. Er war sonst damit nicht karg gewesen, noch gestern abend hatte er mir zugeflüstert, daß nun der Tag nicht mehr fern sei, der auch uns für immer vereinigen sollte – und nun kein Blick, kein Wort und diese finstere Miene? Ich hätte doch nicht fortgehen sollen. Ruth, die schöne Ruth, mit ihr saß er dort unten, und sie schaute er an – es war zum Verzweifeln! Ich schlich mich wieder hinunter und wollte in das Zimmer gehen. Als ich vor der Tür stand, machte ich mir Vorwürfe, daß ich mißtrauisch sei. Ich sagte mir, daß ich kein Recht habe, an ihm zu zweifeln, daß jeder Mann einmal verstimmt sein könne. Ich wollte ihn morgen fragen, ob ich etwas Unrechtes getan, ob ich ihn unwissentlich beleidigt hätte. Dann mußte sich ja alles finden.

Ich ging zurück und legte mich auf das Sofa, zog den Ring an der Gummischnur hervor und steckte ihn an den Finger. Ein beruhigendes Gefühl kam über mich. Er war ja mein, er liebte mich ja! Warum sollte ich zweifeln?

Es war fast, als sei mit Hanna mein guter Engel fortgegangen. Es kam eine Zeit, wo ich wie ein Kätzchen behandelt wurde, mit dem man spielt und schön tut, das man aber, wenn es unbequem wird, fortjagt.

Eberhardt war am nächsten Tage wieder der alte, mich über alles liebende Bräutigam. Ich kam gar nicht dazu, ihn nach dem vorhergehenden Abend zu fragen. Er war zärtlicher als je und wünschte die Zeit seiner Volljährigkeit immer dringender herbei. Wie leicht ist man doch besänftigt! Ich war herzensfroh, daß ich mich getäuscht hatte, und erwähnte, daß ich daran dächte, da mein Vater in einigen Tagen zurückkehre, in mein elterliches Haus zu gehen.

Der Baron ließ vor Staunen die Zeitung sinken. »Was fällt dir ein, Gretel, wie? Du scherzest!«

Ich lachte. »Nein, Hanna ist nun fort, und ich habe meinem Vater versprochen, zu ihm zu kommen, sobald er wieder da ist.«

Frau v. Bendeleben meinte, es werde ihr sehr schwer, mich fortzulassen. Sie hoffe aber, ich käme jeden Tag ein Stündchen aufs Schloß.

»Aber das kommt ja wie ein Blitz aus heiterem Himmel!« sagte der Baron. »Gretel, du undankbares Ding, wer soll mir abends den Tee einschenken, die Pfeife stopfen und mit mir Schach spielen? Nein, Klothilde«, wandte er sich an seine Frau, »warum hast du nie früher etwas davon gesagt, ich hätte ja stets abgeredet.«

»Gretchen hat schon öfter davon gesprochen, Bernhard«, erwiderte diese. »Der Herr Pastor ist nicht mehr der Jüngste, die alte Kathrin ist auch schon recht stümperig, da finde ich es sehr natürlich, daß sie das Verlangen hat, zu ihrem Vater zu gehen. Sie kommt gewiß recht oft und spielt Schach mit dir. Aber gegen diese Gründe kannst du doch nichts einwenden.«

»Die Gründe sind hoch zu achten«, erwiderte der Baron, »aber leid tut es mir doch, es ist, als ob ich noch eine Tochter weggeben sollte.«

»Wer weiß, was noch für Gründe mitspielen«, sagte Ruth mit schalkhafter Miene; »man hat da von dem alten Hause eine wunderschöne Aussicht –«

Ich wurde, glaube ich, dunkelrot. Aber zu glücklich, um etwas übelzunehmen, begnügte ich mich, einfach zu tun, als hätte ich die Anspielung nicht gehört. Der Baron blieb verstimmt, und ich sah ihn am Nachmittag den Weg nach dem Dorfe einschlagen. In vierzehn Tagen wollte ich das Schloß verlassen und schrieb an Kathrin, die ich nicht wieder besucht hatte, auf einem Zettel, sie möge sich einrichten, ich käme dann und dann. Eine Antwort erhielt ich nicht, hatte sie auch nicht erwartet.

Eberhardt kam wieder, aber allein. Hanna fehlte mir in jeder Weise, ich fühlte mich überhaupt ungemütlich. Hätte mich nicht der Gedanke getröstet: es ist ein Übergang, so wäre es mir doch sehr schwer geworden, von dem Schlosse zu scheiden, schon um des Barons willen.

Ruth schien sehr gelangweilt, und in diesem Stadium ließ sie sich sogar herab, mich zu bitten, sie in ihrem Zimmer zu besuchen. Sie lag dann gewöhnlich im reizenden, bequemen Hauskleid auf einem Sofa und hielt ein Buch in der Hand, das dann bald auf den Teppich geworfen wurde. Sie zeigte mir ihre Kästen voll Garderobe, jene prachtvollen, seidenschimmernden Gewänder, mit denen sie bei irgendeinem Hoffeste erschienen war, ließ mich ihre Nippsachen bewundern und plapperte von lauter unbedeutenden Dingen. Über einem kleinen, vergoldeten Schreibtisch hing in ovalem Rahmen das lebensgroße Bildnis des verstorbenen Grafen Satewski. Sie hatte eine Schleife von schwarzem Krepp darüber gehängt, und das eine Ende derselben fiel gerade über das kecke Gesicht mit den lebenslustigen Augen, als ob sie nicht sehen sollten, wie seine junge Witwe so sehr wenig traurig aussah.

Sie konnte lange Geschichten erzählen, was die Prinzeß A. zu ihr gesagt und wieviel Rosenbuketts ihr im Winter der Fürst S. geschickt habe, und zuckte mitleidig die Achseln, wenn Hannas und Bergens glückliche Briefe ankamen. »Kann man sich einen faderen Menschen denken, wie meinen teuren Schwager? Und dann seine ewigen Moralpredigten! Da ist doch Vetter Eberhardt ein anderer Mann, nicht, Fräulein Margarete?«

Sie lag dabei auf dem Sofa und aß Bonbons. »Ein schöner Mann, der Eberhardt«, fuhr sie in ihrem Gespräche fort. »Ich wüßte kaum einen, der so hübsch wäre. Aber galant ist er nicht, das könnte man nicht gerade behaupten.«

Und gerade dies schien ihr zu gefallen; denn als Eberhardt am nächsten Sonnabend nicht kam, fuhr sie Sonntag nach G., unter dem Vorwande, etwas besorgen zu müssen. Sie erzählte nachher sehr komisch, daß Bergens sich fürchterlich erschreckt hätten, als sie plötzlich erschienen sei, und daß Hanna unter der Haube ganz leidlich ausgesehen habe, Bergen aber schrecklich würdig den Hausherrn repräsentiere. Sie habe sich nicht zu lange dort aufgehalten, und sobald sie ihre Besorgungen abgemacht, wobei Vetter Wilhelm ihr geholfen habe, sei sie wieder abgefahren.

Merkwürdigerweise schrieb mir Eberhardt kein Wort davon, seine Briefe waren überhaupt nicht mehr so ausführlich wie sonst. Er habe soviel Dienst, entschuldigte er sich, und sei dann zu müde, um lange Seiten vollzuschreiben. Ich ließ es gelten. Mich machte ja schon jedes Wort von ihm glücklich.


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