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Nachworte

Betreffend das siebente Gespräch

Kurz vor Abschluß der Drucklegung der vorliegenden vierten Auflage wurden von »wissenschaftlicher« Seite mehrere eingehende Kritiken des Buches veröffentlicht. Um in dem bereits genügend dicken Bande Raum für die auf Seite 685 bis 736 mitgeteilte Entgegnung auf die unverantwortlichsten der vorgebrachten Einwände zu schaffen, mußte das siebente Gespräch der früheren Auflagen, das sich mit Friedrich dem Großen in mehr sinnbildlicher Weise beschäftigt, hier ausgelassen werden. Dieses siebente Gespräch (enthaltend: »das Sühnopfer«, »der preußische Messias« und »der Sühnopferstreit«) wird in dem in Vorbereitung befindlichen Buche: »Napoleon oder der »Kniefall vor dem Heros«« neu erscheinen, das bereits auf den Seiten 68, 232 und 414 erwähnt wurde.

Dem Einwande, die hier versuchte Erörterung des Falles Friedrich II. sei allzu umfangreich, möge hier entgegnet werden, daß Carlyles Buch über Friedrich sechsmal und Kosers Buch dreimal so umfangreich ist. Nachdem hundertundfünfzig Jahre lang ganze Bibliotheken mit Unwahrheiten über Friedrich den Großen gefüllt wurden, ist es schwer, die Wahrheit kurzerhand zu entdecken, aufzuzeigen und glaubhaft zu machen.

 

Nachwort zur ersten Auflage

Wenige Tage nach den hier mitgeteilten Gesprächen über das Königsopfer trat ich die Reise nach den Vereinigten Staaten an, um mich dort der städtebaulichen Praxis zu widmen, für die ich von Manfred Ellis und einer ihm nahestehenden großen Landerschließungsgesellschaft verpflichtet worden war.

Die Unterhaltungen mit Manfred und seinen Freunden hatten mich einigermaßen verwirrt. Während den Qualen der Seekrankheit verzerrt sich mir Manfreds vor kurzem noch so gewinnende Erscheinung in das Bild eines Mephisto, der in der Schatzkammer meiner Ideale und der »deutschen Denkbarkeiten« (vgl. oben S. 300 f.) und Liebhabereien eingebrochen war, und der drinnen mit seinem Wedel hauste, als sei er in eine Hexenküche geraten, wo nur Vorurteil und Hexeneinmaleins gebraut werden:

Entzwei! entzwei!
Da liegt der Brei!
Da liegt das Glas!
Es ist nur Spaß,
Der Takt, du Aas,
Zu deiner Melodei!

Als ich mich von der Seekrankheit erholt hatte, maß ich den Manfredschen Anregungen wiederum weniger Bedeutung bei; aber ich benutzte die verbleibenden schönen Tage der Überfahrt – die in Italien anlaufenden Dampfer brauchen zwei Wochen – um verabredungsgemäß die flüchtigen Aufzeichnungen, die ich von den Gesprächen besaß, in lesbare Form zu bringen. Manfred, der diese Aufzeichnungen bei der Arbeit an dem Aufsatze über das Königsopfer, den er damals plante, benutzen zu können hoffte, hatte mir eigens einen der Hilfsarbeiter mitgegeben, die ihm stets in fast unbeschränkter Zahl zur Verfügung standen. Mit Hilfe dieses in Kurz- und Maschinenschrift gewandten Deutsch-Amerikaners gelang es mir, das umfangreiche Manuskript vor der Ankunft in New York fertigzustellen.

Da ich weiter über meine von Manfred angeregten Zweifel nachzudenken beabsichtigte, ersuchte ich ihn durch seinen Sekretär, der mit dem nächsten Dampfer nach Neapel zurückkehrte, mir in einem der Durchschläge des Manuskriptes genauere Angaben über den Ursprung der zahlreichen Zitate zu machen, die er in den Gesprächen als beweiskräftig herangezogen hatte. Ich habe dann später von Manfred eine Abschrift erhalten, in die er den genauen Wortlaut der von mir nur ungefähr angedeuteten Zitate hatte eintragen lassen. Da meine Zeit durch die Ausübung eines praktischen Berufs in der Folgezeit stets stark in Anspruch genommen wurde, war es mir aber nicht möglich, die zahlreichen literarischen Quellen, die mir Manfred angegeben hat, ausnahmslos nachzuprüfen.

Betreffend das umfangreiche Manuskript, das Manfred von mir erhalten hatte, antwortete er mir ziemlich wortkarg mit einem Briefe, der folgenden Satz enthält:

»Sie haben mich erschreckt durch die Redseligkeit, an der mich Ihre Aufzeichnungen leiden lassen, und ich verspreche, mich in Zukunft goldeneren Schweigens zu befleißigen. Was den Inhalt der Aufzeichnungen betrifft, möchte ich wagen, frei nach Goethe (vgl. oben S. 115) zu versichern: Wir wollen die Umwälzungen nicht wünschen, die in Deutschland Zweifel und Erwägungen, wie ich sie aussprach, zweckmäßig erscheinen lassen könnten. Unter den gegenwärtigen Verhältnissen werden Sie sicher mit mir übereinstimmen, daß eine Veröffentlichung dieser und ähnlicher Betrachtungen am besten unterbleibt.«

Nachdem Manfred seit dem spurlosen Verschwinden des Dampfers Alsatia, auf dem er sich Anfang 1916 im Dienste des deutsch-amerikanischen Roten Kreuzes eingeschifft hatte, verschollen blieb, sind in Deutschland vielleicht einige der Umwälzungen erfolgt, die Manfred nicht herbeiwünschte, die aber der von Manfred fast wie ein göttliches Orakel verehrte Goethe zornig als die Vorbedingung für die erfreulichere Gestaltung des deutschen Geisteslebens bezeichnet hat. Jedenfalls hielt ich es unter den veränderten Umständen für meine Pflicht, meinen Landsleuten die von Manfred vorgetragenen Bedenken gegen die friderizianische Legende mitzuteilen. Ich wünsche von Herzen, daß diese Bedenken sachkundige und gründliche Widerlegung finden.

 

Zusammenfassung

Nachdem mehr als zehn Jahre seit der Aufzeichnung dieser Gespräche verstrichen sind, stellt sich mir ihr beunruhigender Inhalt, über den ich mit vielen Sachverständigen gesprochen habe, zusammengefaßt etwa folgendermaßen dar.

Das unerfreuliche Ergebnis der in diesem Bande mitgeteilten Betrachtungen wird niemand in Erstaunen setzen, der weiß, wie immer mühevoller es während der letzten Jahrzehnte für die preußische Geschichtschreibung geworden ist, Friedrich dem Großen gegenüber ihre Pflicht zu erfüllen. »Die geschriebene Geschichte ist ein großer Euphemismus«, sagte Goethe und würdigte damit lächelnd die Aufgabe der Historiker, ihrem Volke eine oft geschmacklose Vergangenheit schmackhaft zu machen, oder wenig Erhabenes aus dem Staub zu ziehen. Aber »Euphemismus« (der fremdwortfeindliche Ellis übersetzte: Mohrenwäsche oder Schönfärberei) betreffend Friedrich den Großen erforderte nachgerade übermenschliche Kräfte. Schon Schiller hatte daran verzweifelt; als er 1791 seinen Versuch einer poetischen Verherrlichung Friedrichs II. aufgab, schrieb er an Körner: »Friedrich II. ist kein Stoff für mich …; Ich kann diesen Charakter nicht liebgewinnen; er begeistert mich nicht genug, die Riesenarbeit der Idealisierung an ihm vorzunehmen«. Aber seit Schillers Zeit hat das allmählich unvermeidliche Öffnen der alten Archive immer abenteuerlichere Belastungsstücke und Anklagen gegen den »großen König« zutage gefördert und jugendliche oder undisziplinierbare Heißköpfe (zum Beispiel der heute rechtsradikale Maurenbrecher, oder der linksradikale Mehring, oder der gelehrte Biograph des über Friedrich II. entrüsteten Freiherrn von Stein, Professor Max Lehmann-Göttingen, oder der »Welfe« Onno Klopp, dessen Schriften dem sonst so belesenen Manfred Ellis ganz unbekannt geblieben sind, sowie viele andere) waren unbesonnen genug, die breite Masse darüber aufklären zu wollen, daß in der Bewunderung des großen Königs Maß zu halten ratsam ist. Der Verfasser der vorliegenden Aufzeichnungen, der im volkstümlichen Friedrichskult aufgewachsen ist, lauschte offengestanden selten anders als mit Entsetzen den Antworten, die ihm manche unserer angesehensten Historiker gaben, als er ihnen mit den im vorliegenden Buch mitgeteilten Ketzereien von Manfred Ellis etwas wie »Enthüllungen« über Friedrich den Großen zu unterbreiten meinte. Professor Gerhard Ritter, die Leuchte der neuen Universität Hamburgs, schrieb ihm, Ellis tische nur »altbekannte Tatsachen« auf. Professor Cartellieri, der das vorliegende Buch den Schülern des von ihm geleiteten historischen Seminars der Universität Jena als Lesebuch empfahl, erklärte: »Den Fachleuten sagt das Buch natürlich wenig Neues.« Hermann Oncken-München sagte: »Friedrich II. ist bisher meist nur als positive Erscheinung gewertet worden. Ich würde mich nicht wundern, wenn bei der Eröffnung eines Gegenkontos ein überraschendes Ergebnis herauskäme.« Professor Oncken sagte mir ferner: »Selbstverständlich ist Friedrich II. als Wirtschaftspolitiker nicht mehr zu halten;« er erinnerte ferner an die scharfe Ablehnung Friedrichs II. durch die großen preußischen Reformer der Freiheitskriege und fuhr fort: »Selbstverständlich ist Friedrich nur dann groß zu nennen, wenn man Bismarck als seine Legitimierung gelten zu lassen gewillt ist.« Als ob so geniale Köche und Taschenspieler wie Bismarck (oder Napoleon) nicht auch aus den übelbestelltesten Vorratskammern etwas hervorzuzaubern vermöchten, was Kurzsichtigen das Bild einer nahrhaften und gar leckeren Mahlzeit, wenigstens für ein kleines Weilchen vorspiegelt. Der neuerliche Zusammenbruch der preußisch-kleindeutschen Schöpfung, die Friedrich II. und Bismarck an Stelle des großen Mitteleuropäischen Reiches Prinz Eugens und Maria Theresias zu setzen bemüht waren, hat auch eingefleischte Opportunisten zum Nachdenken darüber angeregt, ob das deutsche Volk, als es seine wichtigsten Erweiterungsgebiete von sich stieß oder durch Zollschranken von sich trennte, auf dem richtigen Wege zur Erhaltung oder gar Entwicklung seiner einst überragenden Macht gewesen ist. »Der große Osten, den Deutschland durch Friedrichs II. eitle Quertreibereien eingebüßt hat,« so sagte Ellis, »bedeutete für Deutschland mehr als Indien für England; er war das deutsche Indien, Kanada und Australien vereint. Deutschland wird auch ohne den Osten und trotz Friedrich II. gedeihen, wie auch Schweden trotz der Torheiten Karls XII. gedeiht; aber weder Schweden noch Deutschland können je wieder eine Großmacht ersten Ranges werden, wie etwa England, Rußland oder Amerika es sind.«

Im Drange des Weltkrieges machte Deutschland den Versuch, plötzlich und ohne genügende Vorbereitung das durch Friedrich II. in seinen Grundlagen und Entwicklungsmöglichkeiten für immer zerstörte deutsche Mitteleuropa wieder zusammenzufassen. Aber die Sünden von 1740 bis 1914 plötzlich als nichtgeschehen ansehen zu wollen, war ein aussichtslos romantischer, ein sinnlos blutiger Streich.

Wenige der nichtgelehrten Bewunderer des »großen Königs« wissen, wie lange schon und wie fast einmütig preußische Geschichtschreiber die uns teure Auffassung über Bord warfen, Friedrich der Große habe große (oder irgendwelche) deutsch-nationalen Ziele verfolgt. Man könnte fast sagen, daß man heute den zünftigen Bewunderer Friedrichs, d. h. den preußischen Historiker, im Gegensatz zu den unzünftigen Bewunderern Friedrichs II., an der Entschlossenheit erkennen kann, mit der er – unter vier Augen – den »großen König« vor jedem Verdachte deutschfreundlicher Gesinnung zu schützen bereit ist.

In diesem Zusammenhang verdient der folgende Auszug aus einer Schrift des Berliner Professors Hans Delbrück besondere Beachtung. Geheimrat Delbrück schrieb in seinem »Ursprung des Siebenjährigen Krieges« (vgl. »Erinnerungen und Aufsätze«, 2. Aufl. Berlin, 1902) unter anderem folgendes:

»Koser und Naudé, die vorzüglichsten Spezialkenner der friderizianischen Geschichtsepoche, …; haben nachgewiesen, daß nicht, um Hannover und Deutschland vor der französischen Invasion zu schützen, Friedrich die Westminster-Konvention geschlossen hat, sondern ganz umgekehrt, daß Friedrich es gewesen ist, der die Franzosen wiederholt aufgefordert hat, die Invasion in Hannover zu machen.

»Das Charakterbild des Königs ist hiermit von Grund aus verwandelt. Großartig und zugleich mit einem Schimmer des nationalen Idealismus verklärt erschien es bei Ranke …; Friedrich empfindet bereits die Identität des preußischen und des deutschen Interesses; um die deutschen Grenzen zugleich mit den seinen zu hüten, nimmt er die Position, die ihm endlich die allgemeine Feindschaft der großen Kontinentalmächte zuzieht.« Delbrück fährt fort:

»Nach Koser und Naudé hat Friedrich von allen diesen Aufgaben keine Vorstellung gehabt oder wenn er sie gehabt hat, nicht den Willen, dafür etwas zu tun. Obgleich er erst 34 Jahre alt ist, als er aus dem zweiten Schlesischen Kriege heimkehrt, hat er die wirkliche Ausbildung einer preußischen Großmacht seinen Nachfolgern hinterlassen wollen. Um sich selbst zu schützen, hat er die Franzosen eingeladen, in ein anderes deutsches Land einzufallen, und als diese Gefahr wieder die Russen ins Land zu ziehen droht, schließt er die Konvention, die ihm endlich die Russen und Franzosen beide auf den Hals zieht. Es wird noch schlimmer dadurch, daß nunmehr Bailleu nachgewiesen hat (D. Rundschau, Februar 1895), daß diese Politik des Stellungswechsels, erst die Franzosen aufzufordern zur Invasion, dann mit den Engländern einen Vertrag zu schließen zum Schutze dagegen, durch die Lage keineswegs geboten war. Was die Zeitgenossen von der Veränderlichkeit und Unzuverlässigkeit der friderizianischen Politik zu tadeln wußten, sagt der genannte Forscher, scheint mir nur zu wohlbegründet. Sie war argwöhnisch und leichtgläubig, kurzsichtig und überstürzend. Wo zwei fremde Staatsmänner die Köpfe zusammensteckten, vermutete er das Werden einer Koalition. Wo man von Truppenmärschen hörte, argwöhnte er einen Angriff auf Preußen. Auch Naudé tadelt die nicht wenigen Fehler als Diplomat und als Feldherr, die der König damals begangen, und gibt zu, daß Kaunitz auf diplomatischem Gebiet den preußischen König vollständig besiegt habe.« Delbrück fährt fort:

»Dieses Urteil dürfte eher noch zu milde als zu strenge sein.

»Jede einzelne Maßregel, auch die militärischen, die der König vor dem Ausbruch des Siebenjährigen Krieges ergreift, zeugen von einer vollendeten Kopf- und Urteilslosigkeit – unter den von Koser und Naudé angenommenen Voraussetzungen – und der König erscheint um so armseliger, als ihm nicht einmal irgendein großes Ziel vorschwebt: nichts als Frieden, Frieden, Ruhe …;« Delbrück fährt fort: »Noch ehe diese fürchterliche Deklassierung des großen Königs, diese capitis deminutio maxima, den Forschern selbst, noch viel weniger den weiteren Kreisen zum vollen Bewußtsein gekommen ist, ist bereits die Reaktion dagegen erschienen.«

Hans Delbrück und Max Lehmann glauben, im Gegensatz zu vielen der führenden preußischen Geschichtschreiber, die Ehre Friedrichs des Großen als Staatsmann und Feldherrn lasse sich durch die Annahme retten, er sei in den Siebenjährigen Krieg nicht gegen seinen Willen hineingetrieben worden, sondern habe ihn zielbewußt herbeigeführt (vgl. oben S. 394).

Delbrück fährt fort:

»Die Lösung ist: Friedrich hat allerdings nichts von einem idealen Vorkämpfer deutscher Interessen in sich verspürt, aber er ist sich völlig darüber klar gewesen, daß es seine Aufgabe sei, eine widerstandsfähige Großmacht Preußen zu schaffen, und zu diesem Zwecke hat er mit der tiefsten Verschlagenheit auf einen großen Krieg hingearbeitet, der seinem Staate Sachsen und Westpreußen bringen sollte …;«

Bismarck scheint Delbrücks Auffassung der Politik Friedrichs II. nicht geteilt, oder wenigstens diese Politik nicht gebilligt zu haben. Jedenfalls sagte Bismarck (Ges. Werke VIII, 210) am 30. Juni 1877 zu Dr. Lucius: »Eine Politik, wie Friedrich II. bei Beginn des Siebenjährigen Krieges, machen wir nicht – den sich zum Angriff vorbereitenden Feind plötzlich zu überfallen. Es hieße auch in der Tat die Eier zerschlagen, aus welcher sehr gefährliche Küken kriechen könnten.«

Professor Delbrück führt weiter aus:

»Diejenigen, die Friedrich die« (zum Ausbruch des Siebenjährigen Krieges führende) »halbe Mobilmachung zum Zwecke einer Demonstration machen lassen, machen aus dem König das wahre Gegenteil eines Staatsmannes, einen nervösen haltlosen Schwächling. Wollte der König den Frieden erhalten, so mußte er entweder ganz still sitzen, um den Gegnern den Vorwand zu nehmen, oder er mußte ganz mobil machen und zuschlagen, ehe sie selbst völlig einig und gerüstet waren. Es genügt nicht, zu sagen, der König habe aus übergroßer Friedensliebe Fehler begangen; diese Fehler würden so ungeheuer, die Kopflosigkeit der halben Mobilmachung so handgreiflich sein, daß man nicht mit einem milden Zugeständnis darüber hinwegkommen kann. Ja, um die Torheit auf den Gipfel zu bringen, bestimmte Friedrich für den Marsch gegen die Russen noch gar Regimenter in Berlin und an der sächsischen Grenze und ließ dafür andere aus Hinterpommern zurückmarschieren. Man mag mit seinen neuesten Beurteilern die staatsmännischen Eigenschaften des Königs noch so sehr heruntersetzen; wir haben doch nicht das Recht, auch nur in einem einzigen Fall Friedrich für einen kompletten Narren zu halten.«

Delbrücks mangelnde Bereitschaft, die »komplette Narrheit« Friedrichs II. als die einleuchtendste Deutung aller friderizianischen Ungereimtheiten gelten zu lassen, erinnert an die bekannte Geschichte von dem Bauer, dem sein Pfarrer das Buch vom Till Eulenspiegel anvertraut hatte. Der Bauer las es und meinte: »Wenn ich nicht wüßte, daß mir der Herr Pfarrer hier Gottes eigene heilige Schrift zum Lesen gegeben hat, dann müßte ich manchmal laut auflachen.« Wer weniger befangen urteilt als dieser Bauer, sollte das Lachen nicht unterdrücken.

Die Professoren Delbrück und Lehmann haben, wie schon erwähnt, die wissenschaftliche Welt nicht von der Haltbarkeit ihrer Ehrenrettung Friedrichs II. zu überzeugen vermocht. Die Folgerung, die Manfred Ellis aus dieser Ablehnung (die er mitmachte) zog, war die von Delbrück angedeutete, daß eben Friedrich der Große nur als das zu erklären sei, was Delbrück einen »kompletten Narren« nennt.

Es muß der preußischen Wissenschaft überlassen bleiben, eine andere Erklärung zu finden. Wenn eine derartige Erklärung versucht wird, muß sie wohl in anderem Geiste unternommen werden als dem Friedrich Meineckes, der in seinem gerade erschienenen Buche »Die Idee der Staatsraison in der neueren Geschichte« (Berlin 1924) »Friedrich dem Großen« 84 Seiten gewidmet hat. Meinecke versucht dabei, die verschiedenen staatsphilosophischen literarischen Übungen und Äußerungen Friedrichs II. ernst zu nehmen oder zusammenzureimen, und kommt dabei in ähnliche Schwierigkeiten wie die von Mark Twain reizend erfundenen und lustig verspotteten sechsbeinigen kleinen Gelehrten der Insektenwelt, welche sich darauf versteifen, eine aus einem Eisenbahnzug herausfallende Schnapsflasche erstaunt als »einen Meteor« zu erklären. Friedrich Meinecke kommt aus dem Erstaunen und Erklärenwollen gar nicht heraus und scheut sich nicht, dabei seinen großen König bald »beinahe komisch« (S. 361 Die Zahlenangaben der folgenden 13 Zeilen beziehen sich auf das genannte Buch von Meinecke.), bald »inkonsequent«, oder »naiv unvermittelt« (S. 362), oder »auffallend naiv« (S. 372) und ähnliches mehr zu nennen, oder gar von Friedrichs »genuiner Naivität« zu sprechen, oder mit ernster Miene zu erklären: »Friedrich fühlte denn auch etwas den Widerspruch«, oder: »es ist ganz eigen und merkwürdig, daß dem König verborgen blieb« usw. Es ist in der Tat vieles »ganz eigen und merkwürdig« bei einem König von Ohnesorg, dessen These, der Fürst müsse »seine Person und seine Privatethik dem Heile seiner Untertanen opfern« (S. 376, 383, 384), Meinecke trotz vieler »leisen, aber nicht unwichtigen Varianten und Verfeinerungen dieser Kasuistik« (S. 381) ausführlichst überzeugend zu machen versucht.

Auch über Friedrich den Großen als Feldherrn streiten sich die Gelehrten in einem erheiternd wirkenden Streite, ob er ein großer Stratege im neuzeitlichen Sinne war, der aber nur ein einziges Mal (1756-57) Gelegenheit fand sich zu bezeugen, oder ob er etwa als »Ermattungsstratege« Vergebung für zahllose Verstöße gegen die Kriegskunst, wie sie heute verstanden wird, beanspruchen darf. Auch entschlossene Verteidiger der friderizianischen Feldherrntugenden geben zu, daß ihr König überraschende Fehler gemacht hat. Aber selbst die schärfsten Verurteiler der feldherrlichen Leistung Friedrichs II. müssen anerkennen, daß unter den Staatsgedanken, die er väterlicherseits ererbte, der wichtigste für seine »Größe« der Gedanke des preußisch gedrillten Heeres war. Der preußische Drill war damals etwa gleichbedeutend mit der überraschenden Einführung einer ganz neuen Waffe, die – ähnlich wie im Weltkriege die Einführung des Unterseebootes und des Gaskampfes – vorübergehend große Wirkungen ausübte. Wie das Kastrieren von Knaben ungewöhnlich hohe Stimmen erzeugt, so erzeugte die verschärfte preußische Prügelzucht, die Spießrute auf dem Rücken eines geistig widerstandslosen Sklavenheeres, jene Höchstleistungen, die den Sklavenhalter zum begehrtesten Freunde, zum gefürchtetsten Feinde, und die ihn zum »großen« und umbuhlten Feldherrn schon nach der Schlacht von Mollwitz machten, aus der er selbst geflohen war (vgl. oben Seite 383 und 387). »Meine Soldaten müssen ihre eigenen Offiziere mehr fürchten als den Feind«, schrieb Friedrich II. in sein Testament, und er hätte, wie Moritz von Sachsen prophezeite, unter allen Umständen gesiegt, hätten seine Geistesgaben als Feldherr und Diplomat entfernt mit der technischen Überlegenheit seines Heeres Schritt zu halten vermocht, und wäre er nicht auch im Feldlager und bei der diplomatischen Verhandlung durch das, was Bismarck »hypothekarische Belastung durch Eitelkeit« nannte, und durch literarischen Ehrgeiz gehemmt und irregeführt worden.

Auf dem Gebiete der inneren Verwaltung hat Friedrich II. sich bemüht, im Geiste seines haushälterischen Vaters weiterzuregieren und dessen hartstirnige Beschränktheit durch die freiere Auffassung der Aufklärungszeit zu überwinden. Nur Voreingenommenheit kann behaupten, Friedrich II. habe hier mehr geleistet als Maria Theresia oder Katharina die Große, oder wesentlich mehr als ein Durchschnittsfürst der Aufklärungszeit. Im Gegenteil sind Mißgriffe wie seine Vernachlässigung des Erziehungswesens, seine »Regie« und sein Kampf gegen den Danziger und den Schelde-Handel zu verhängnisvoll geworden, als daß ihm wenigstens die Harmlosigkeit eines Durchschnittsfürsten zugestanden werden dürfte.

 

Friedrich der Große als vaterländischer Dichter

Wenn man sucht, wo Friedrichs II. Ruhm noch nicht zu wanken angefangen hätte, lenken sich die Blicke auf seine Beziehung zu Literatur und Dichtkunst. Den Leuten, die noch heute Friedrichs des Großen Bemerkung über die »ekelhaften Plattheiten« Goethes mit Friedrichs Unkenntnis entschuldigen und von Goethes vernichtender Abwehr des friderizianischen Versuchs die deutsche Literatur zu behelligen, keine Kenntnis nehmen, ist von Ellis genügend geantwortet worden. Aber Friedrichs des Großen eigener Dichtkunst (auf französisch also), die selten jemand ernst zu nehmen vermochte, sind seit der ersten Veröffentlichung der vorliegenden Aufzeichnungen Verteidiger erwachsen. Ihnen sollte jeder die größte Beachtung schenken, der aus dem allgemeinen Zusammenbruch der friderizianischen Legende etwas retten möchte, und der sich über die hervorragende und meist unterschätzte Rolle klar ist, die das Dichten in der täglichen Arbeitsleistung des großen Königs spielte. Unter den plötzlich erstandenen Verteidigern des gekrönten Dichters verdient ein Professor Carl Meißner besondere Aufmerksamkeit, weil die »Deutsche Allgemeine Zeitung« sein umfangreiches Sprachrohr wurde (D. A. Z. Nr. 591, 16. Dez. 1924). In seiner Ehrenrettung: »Friedrich der Große als vaterländischer Dichter« versichert uns Professor Meißner, Friedrich II. werde künftig als vaterländischer Dichter genießbar sein, weil Börries von Münchhausen und andere die französischen Gedichte des Königs »durch treue, oft glänzende Übersetzungen« in eine »geschliffene und vervollkommnete Sprache übertragen und damit für jedermann klar gemacht hätten, daß die Gesinnung des Königs so preußisch-deutsch-germanisch war, wie es unsere Vaterlandsliebe nur irgend wünschen kann«. Professor Meißner war vorsichtig genug, einige Proben dieser »preußisch-deutsch-germanischen« Dichtkunst des gekrönten Nachahmers Voltaires vorzulegen, und man versteht in der Tat sofort, daß die Gedichte Friedrichs des Großen ihrer geistigen Verwandtschaft nach vielfach nichts mit Frankreich zu tun haben (Voltaire nannte sie »schmutzige Wäsche«), sondern wenn auch nicht nach Weimar, so doch vielleicht nach Bayern weisen. Oder erinnern friderizianische Verse wie die folgenden nicht ganz an Ludwig, den königlichen Dichter der Bayern? Unter den Blüten friderizianischer Kunst, die Professor Meißner den Lesern der Deutschen Allgemeinen Zeitung zur Bewunderung aussuchte, liest man:

»Der Baum steht da von Blättern bloß,
Der Garten kahl und blütenlos.«

Und wer läse nicht ohne Erschütterung die poetische Schilderung, die Friedrich II. von den Folgen seiner unermüdlichen, nicht gegen die Feinde des Deutschen Reiches, sondern gegen den deutschen Kaiser gerichteten Raubkriege gemacht hat? Professor Meißner zitiert bewundernd aus Friedrichs »Ode an die Deutschen« (1760):

»Ewig Wehgeschrei erschüttert eure Lüfte allerenden,
Langer Kämpfe Schreckensmale euren Heimatboden schänden,
Eure Fluren Wüsteneien, eure Städte Haufen Schuttes,
Unter eurer Waffen Wüten rinnen Ströme roten Blutes.«

Und Prof. Carl Meißner schließt seine Ehrenrettung »Friedrich der Große als vaterländischer Dichter« mit dem Ausruf: »In dieser geschliffenen und vervollkommneten Sprache gehört Friedrich der Große als vaterländischer Dichter jetzt uns, und seine besten Strophen sollten heute dröhnen.«

Sie dröhnen, heute, und die so erzeugte Musik (»Unter eurer Waffen Wüten rinnen Ströme roten Bluttes«) vermehrt die Zahl der Geräusche, die es heute ernsteren Menschen schwer machen, die Größe Friedrichs des Großen zu würdigen.

 

Geothes »Fritzische Gesinnung« und Friedrich der Große in Italien

Angesichts der Goetheschen Würdigung des Euphemismus der Geschichtschreiber wäre es hart, die preußischen Euphemisten allein für die politische Denkunfähigkeit der Deutschen verantwortlich machen zu wollen. Die preußisch-deutschen Historiker fühlen sich augenscheinlich nicht berechtigt, ihrem zu wirklichem politischen Denken ungeeigneten Volke seine politischen Wahnvorstellungen, seine »Illusionen« zu rauben. Eine ganze Reihe von Gelehrten, Erich Marcks und viele andere, haben das vorliegende Buch geradezu als gefährlich bezeichnet, weil die Deutschen so arm an großen politischen Erscheinungen seien, daß sie den Glauben an ihren »großen König« schwer entbehren würden (vgl. unten S. 735 f.). Doch konnte man in der standbilderlustigen »deutschen« Reichshauptstadt bisher ein Denkmal des Prinzen Eugen entbehren, den Friedrich II. »den Helden Deutschlands« genannt hat.

Die preußischen Historiker, soweit sie ernst zu nehmen sind, gleichen also dem Arzte, der einem tödlich Erkrankten nicht nutzlos liebe Wahnvorstellungen zerstört und seelische Erschütterungen bereitet. Einen solchen Arzt einen Quacksalber oder Dummkopf zu nennen, wäre geschmacklos. Selbst fromme Lügen sind einem solchen Arzte gestattet. Zu den »frommen« Lügen muß es wohl gerechnet werden, wenn preußische Historiker gern darauf hinweisen, daß doch auch Goethe sich zu »fritzischer Gesinnung« bekannt habe; als weise Ärzte rechnen sie mit der Unfähigkeit ihrer Kranken, Goethe zu lesen und zu wissen, daß Goethe in »Dichtung und Wahrheit« allerdings erklärte, als Kind »fritzisch« gesonnen gewesen zu sein, daß er aber ausführte, warum er später an Friedrich »zweifeln, ja verzweifeln« lernte, und daß die Gründe, die Goethe für das »Erkalten« seiner Verehrung Friedrichs II. anführt, heute durch die Quellenforschung erschreckend gerechtfertigt wurden. Aber die kindlichen Verehrer Friedrichs beharren lieber bei Goethes Kinderweisheit. Daß die größte und nachhaltige politische Anstrengung, die Goethe in seinem Leben gemacht hat, gegen Friedrich II. gerichtet war (vgl. oben S. 190 ff.), ist durch Professor Ottokar Lorenz-Jena vor Jahrzehnten nachgewiesen worden. Beachtung hat es bei den Deutschen nicht gefunden; ihnen blieb Goethe nach wie vor »fritzisch« gesonnen. Als einen weiteren Beweis für Goethes »fritzische« Gesinnung verwies man den Verfasser der vorliegenden Aufzeichnungen oft auf einen Zwischenfall während der »Italienischen Reise«; in einem sizilischen Marktflecken hatte Goethe Schwierigkeiten gehabt, Quartier zu finden. Er berichtet: »Endlich bequemte sich ein älterer Bürger« usw. und führte uns »auf den Markt, wo die angesehensten Einwohner nach antiker Weise umhersaßen, sich unterhielten und von uns unterhalten sein wollten. Wir mußten von Friedrich II. erzählen, und ihre Teilnahme an diesem großen Könige war so lebhaft, daß wir seinen Tod verhehlten, um nicht durch eine so unselige Nachricht unseren Wirten verhaßt zu werden.«

Was tut ein hungriger Wandersmann nicht alles für ein erträgliches Abendbrot? Diese Goethesche Eulenspiegelei ruft die viel leidenschaftlichere Bewunderung ins Gedächtnis, die dem großen Könige in Venedig zuteil wurde, v. Archenholtz erzählt in seiner »Geschichte des Siebenjährigen Krieges«, daß die friderizianische Begeisterung der Mönche des venezianischen Klosters S. Giovanni »in Wut ausbrach. Die Mönche schlugen sich im Speisezimmer zu Ehren der Maria Theresia und Friedrichs tapfer herum, wobei Teller, Schüsseln und Becher zu Waffen dienten. Die Partei des Königs war jedoch in Venedig fast immer die stärkere«. Daraus muß für den echten preußischen »Historiker« folgen, daß Friedrich II. ein »großer« König war. Mit den gebildeteren Vertretern Italiens haben diese »Historiker« nicht gern etwas zu tun, sonst könnten sie das Urteil des italienischen Dichters Vittorio Alfieri anführen, von dem ihr berühmter Kollege Bernhard Erdmannsdörfer schrieb: »Das italienische Risorgimento unseres Zeitalters ist ohne Alfieri nicht zu denken …; Sein Grab wurde ein Wallfahrtsort, zu dem in den folgenden Zeiten der Unterdrückung Generationen gepilgert sind, schwermütig, aber mit den unauslöschlichen Hoffnungen im Herzen, für welche Alfieri zuerst den Mut und das Wort gefunden hatte.«

Auch zu einem Worte über Friedrich II. hat Graf Alfieri »den Mut gefunden«. Alfieri schrieb nämlich über seinen Besuch Berlins im Jahre 1769: »Die Staaten des großen Friedrich muteten mich wie eine einzige große Kaserne an. Es verdoppelte und verdreifachte sich in mir das Grauen gegen diesen ruchlosen Militarismus, der die einzige Quelle der willkürlichen Gewalt und immer die notwendige Folge so vieler Tausender von Söldlingen ist. Ich wurde dem Könige vorgestellt. Ich empfand bei seinem Anblick keine Regung von Bewunderung oder Achtung, sondern Entrüstung, ja Wut, und diese Empfindungen wurden täglich stärker bei mir, je mehr ich von den Zuständen sah, die nicht sind, wie sie sein sollten, deren falsche Maske aber Ruhm vortäuscht, der ungerechtfertigt ist. Der Minister des Königs, Graf Fink, der mich vorstellte, fragte mich, warum ich, der ich doch im Dienste meines Königs käme, an diesem Tage keine Uniform trüge.(!) Ich antwortete: »Weil mir an diesem Hofe bereits genug Uniformen zu sein scheinen.« Der König sagte mir die üblichen formellen Phrasen. Ich beobachtete ihn genau; ich bohrte ihm achtungsvoll meine Augen in die seinigen, und ich dankte dem Himmel, der mich nicht als den Sklaven dieses Mannes geboren werden ließ.« Professor Erdmannsdörfer, bei dem niemand zweifeln darf, daß er ein entschlossener Bewunderer Friedrichs II. ist, fügt dem Berichte über Alfieris preußische Eindrücke folgendes hinzu: »Auf dem Schlachtfeld von Zorndorf, das Alfieri besucht, macht er bei dem Anblick der noch erkennbaren großen Massengräber seine Betrachtungen über das Verbrechen des Krieges und über die Stupidität der Sklaven, die sich dazu mißbrauchen lassen …; Seinen Haß gegen Friedrich den Großen hat Alfieri durch sein ganzes Leben festgehalten, und noch in späten Jahren kommt er in einer seiner Satiren auf die Begegnung mit ihm zurück und macht seiner ungeschwächten Abneigung in einigen Blättern voll giftiger Terzinen Luft.« B. Erdmannsdörfer, Kleinere historische Schriften. Verlag Deutsche Bücherei, Berlin.Goethes Wirte in dem sizilischen Marktflecken hatten das friderizianische Preußen nicht selbst gesehen und konnten es deshalb besser würdigen als ihr berühmter Freiheitsdichter Alfieri, dessen Urteil stark an das Arndts erinnert.

Noch genügsamer als die preußischen Bewunderer der Goetheschen Eulenspiegelei in Sizilien erschien mir der preußische Geschichtsprofessor, den es dankbar begeisterte, daß Goethe am 17. Mai 1778 in Berlin den preußischen Staat ein »großes Uhrwerk« und Friedrich II. »die große alte Walze« genannt hat.

Auf seine alten Tage hat Goethe noch den preußischen Kronprinzen, den späteren Friedrich Wilhelm IV., kennen gelernt und schließlich auf ihn »große Hoffnung« gesetzt. Die Goetheworte, die Eckermann (1828) darüber berichtet, enthalten vor allem eine Würdigung Napoleons; sie könnten fast als eine Kritik Friedrichs II. und des friderizianischen Preußen aufgefaßt werden. Sie klingen, als habe Goethe angesichts des preußischen Gesinnungswechsels, den der junge Kronprinz darstellte, sich bereit gefunden, mit dem lebenslänglich gemiedenen Preußen Frieden zu schließen. Goethe ahnte nicht, daß die unpreußischen Geistesblitze, die er beim preußischen Kronprinzen bemerkte, eine Ankündigung von Wahnsinn bedeuteten.

 

Entgegnungen an einige Kritiker der ersten Auflage

Von den Einwänden, die ich gegen Ellis' Gedankengänge zu hören bekam, erscheinen mir die des hochverdienten Berliner Geschichtsforschers Erich Marcks als die wichtigsten. Wenn ich Herrn Professor Marcks richtig verstehe, wirft er Ellis vor, er messe Friedrich den Großen nach heutigen Maßstäben, statt ihn aus seiner Zeit heraus zu verstehen; es sei eine geschichtliche »Ungerechtigkeit«, von Friedrich II. deutsche Politik zu verlangen; es habe zur Zeit Friedrichs II. keine deutschen Ziele, sondern nur die dynastischen Vorteile der verschiedenen Hausmächte gegeben.

Ich wünsche von Herzen, verstehen zu können, wie diese Trennung von deutschem und dynastischem Vorteil die Ehre Friedrichs II. als Staatsmann (oder gar als Nationalheld?) retten kann. Im Geiste Manfred Ellis' ließe sich entgegnen: Kommt es denn in der Politik darauf an, welchen Namen man einer Sache gibt? oder kommt es auf die Sache an? Tatsache bleibt doch, daß die »dynastischen Hausmachtziele« der großen Maria Theresia mächtig auf Erhaltung Belgiens beim Deutschen Reich, Expansion nach Osten und Wiedergewinnung von Elsaß-Lothringen drängten (wie Friedrich II. das oft betont hat; vgl. S. 427 ff.), während die »dynastischen Hausmachtziele« Friedrichs II. (wie er nachdrücklich versichert hat; vgl. S. 432) leider »nicht erlaubten, daß man den Franzosen Elsaß oder Lothringen abnimmt«. Dieselben Ziele ließen Friedrich den Großen wünschen, die Franzosen möchten auch Belgien vom Deutschen Reiche lostrennen, und es gelang ihm sogar, wenigstens vorübergehend, die deutsche Kaiserin zum Verzicht auf diesen wichtigen Besitz zu zwingen.

Friedrich II. hat sich oft gerühmt, daß er den Franzosen Elsaß und Lothringen »gerettet« hat. Wenn es ihm schließlich nicht gelang, ihnen auch Belgien zu verschaffen, so war doch nach dem endgültigen Verluste von Elsaß und Lothringen (den er bewirkt hat) dann auch Belgien nicht mehr länger zu halten – für das Deutsche Reich, oder meinetwegen für Österreich, wenn das Herrn Professor Marcks »gerechter« klingt.

Das Bestreben, »gerecht« zu sein, wird schließlich auch die preußische Geschichtschreibung zu dem Eingeständnisse zwingen, daß Elsaß, Lothringen und Belgien für eine mitteleuropäische Großmachtstellung wichtig (wenn nicht gar notwendig) sind, und daß die Versuche, das durch Friedrichs II. gerühmte Verdienste Verlorene wiederzugewinnen, bisher tatsächlich gescheitert sind. Leichtsinnig vergeudetes Gut kehrt nicht leicht zurück, wie heiß der Vergeuder es auch nachträglich wünschen mag. Das mußten die Deutschen erkennen, die bei dem Versuche, das Vergeudete zurückzugewinnen, in flandrischen Schützengräben lebendigen Leibes verfaulten; war diesen unfruchtbar geopferten Brüdern etwa der Gedanke eine Genugtuung, daß der Nationalheld Friedrich II. weitblickend Belgien den Franzosen und nicht den großen östreichischen Haubitzen und dem »Hausbesitze« Maria Theresias gesichert wissen wollte?

Bismarck nannte es treffend eine »seltsame Bescheidenheit, daß man sich nicht entschließen kann, Österreich für eine deutsche Macht zu halten« (vgl. S. 156). Aber es muß zugegeben werden, daß es Friedrich dem Großen gelungen ist, diese »deutsche Macht«, die im Osten und Westen die äußersten Vorwerke des Deutschtums verteidigte, zu einer partikularistischen Macht mit engeren, dynastischen Absichten herabzudrücken und so dem preußischen Staate fast gleichzumachen, dessen »Auflehnung gegen das gesamtdeutsche Gemeinwesen« und dessen »schädlichen und gefährlichen Partikularismus« Bismarck ebenso »ungerecht« wie Ellis getadelt hat (vgl. S. 628, 697). Wenn Goethe seinen Götz »wie Cherubim mit flammenden Schwertern, vor die Grenzen des Reichs gegen die Wölfe, die Türken, gegen die Füchse, die Franzosen lagern und zugleich unsers teuern Kaisers sehr ausgesetzte Länder und die Ruhe des Reiches beschützen« (vgl. S. 440) lassen wollte, so war das nicht etwa ein durch Friedrich II. angeregter Gedanke, sondern die genaue Beschreibung dessen, was Österreich unter Prinz Eugen getan hat, bis Friedrich II. diese großartige Verteidigung des Deutschen Reiches unmöglich machte.

Erst Friedrichs II. und seines Nachfolgers hartnäckige Kämpfe von 1740 bis zur geheimen preußisch-französischen Konvention vom 5. August 1796 und ihren verhängnisvollen Folgen (1806, 1807, 1809 und 1815: endgültiges Opfer von Elsaß-Lothringen und Belgien) konnten unser altes Kaiserhaus Österreich zwingen, im Westen keine politischen Ziele mehr zu verfolgen. Mit diesem durch preußische Kurzsichtigkeit verstümmelten Österreich konnte Bismarck wie mit einem Reichsfremden abrechnen, bevor er es – sehr unfriderizianisch – wenigstens als treuen Bundesgenossen wieder für das Reich gewann. Sind nicht die Kritiker, die Ellis geschichtliche »Ungerechtigkeit« vorwerfen, vielmehr selbst »ungerecht«, wenn sie annehmen, Friedrich II. habe sich Österreich gegenüber bereits in derselben Zwangslage befunden wie Bismarck. Diese Zwangslage hat Friedrich II. erst geschaffen; es ist falsch, ihn aus dem Geiste des neunzehnten Jahrhunderts oder gar nur aus der Lage von 1850 heraus beurteilen zu wollen.

Dagegen ist es richtig, daß im achtzehnten Jahrhundert niemand an das »deutsche« Reich dachte. In der Tat, man dachte nur an das »Reich«! Voltaire schrieb keine Annalen des »deutschen« Reiches, sondern »Annalen des Reichs«, ohne aber dabei etwa an das russische, preußische oder österreichische Reich zu denken. Das »Reich«, bis zur vollen Auswirkung der verhängnisvollen friderizianischen Sezessionskriege, war der Name für Mitteleuropa, das damals unter der geistigen Führung der Deutschen stand. Dieses deutsche Mitteleuropa hat Friedrichs II. verantwortungsloser Partikularismus zerrissen und unmöglich gemacht – wenn das von manchen Gelehrten auch erst 1918 bemerkt zu werden anfing. Viele dieser Herren sind jetzt »für den Anschluß«. Nachdem während ihres Gezänks der Schinken vom Feinde verzehrt wurde, möchten sie sich wenigstens noch des Knochens bemächtigen, an dem der Schinken einst wuchs. Aber 1770 konnte Kaunitz noch dem damals Freundschaft heuchelnden Friedrich II. erklären, Österreich werde den Russen kein Überschreiten der Donau gestatten. Und Friedrich behandelte 1775 in einer seiner französischen Stilübungen den Entwurf einer preußisch-östreichischen Zurückeroberung von Elsaß-Lothringen und – erklärte seinen Kartoffelkrieg gegen den deutschen Kaiser. Eine mitteleuropäische Großmacht aufrichten zu wollen auf einer anderen als der von Maria Theresia verteidigten und von Friedrich II. zerstörten Grundlage, eine Großmacht ohne die Schätze und Ausdehnungsmöglichkeiten Österreichs und ohne die flandrischen Häfen, das ist der »Affenstreich«, von dem Friedrich II. 1781 sprach, als er sich selbst verspottete (vgl. S. 142): »Wir äffen die Großmächte nach, ohne eine zu sein.« Daß aber das »Reich«, welches Friedrich II. zerstört hat, Belgien zu halten, Elsaß und Lothringen zurückzuerobern, ja Rom wieder zur Hauptstadt zu machen fähig gewesen wäre, wenn sich nicht Friedrich II. mit dem größten Heere seines Zeitalters dagegengestemmt hätte, das hat in klaren Augenblicken Friedrich II. alles ausdrücklich versichert (vgl. S. 140 ff.), und viele große französische Politiker haben davor gezittert und deswegen Preußens »Größe« gefördert.

Derartige Eingeständnisse und Selbstentlarvungen Friedrichs II. dürfen nach Auffassung mancher Kritiker Manfred Ellis' nicht allzu ernst genommen werden. So will z.B. Herr Professor Erich Marcks Friedrichs II. Erkenntnis seines » Affenstreichs « nur als Zeichen seiner » etwas bösen Berliner Zunge «gelten lassen. Ist da nicht Professor Marcks »ungerecht«, sowohl gegen seinen großen König, der sich gern täglich drei bis sechs Stunden lang (vgl. S. 88 ff.) das Mittagsmahl mit solchen Äußerungen würzte, als auch gegen die Berliner, deren Witz doch dafür berühmt ist, die Dinge beim rechten Namen zu nennen?

Die Dinge beim rechten Namen zu nennen, ist nicht jedem gegeben, und für Staatsmänner ist es nicht einmal immer statthaft. (Goethe hat sich von Napoleon überzeugen lassen, daß große Staatsmänner, wie Mahomet, nicht übel von sich selbst reden. Weil sie zu klug sind? oder weil ihr Vertrauen auf ihren Beruf es ihnen unmöglich macht?)

Daß Schweigen Gold sei, versicherte mir ein anderer Kritiker der »Gespräche über das Königsopfer«, ein angesehener deutscher Tagespolitiker, dessen Namen ich verschweigen möchte. Dieser weder ganz rechts noch sehr weit links stehende Parlamentarier sagte: »Ellis mag recht haben mit seinem vernichtenden Urteile über den Alten Fritz. Aber meine Partei ist zu oft der »zersetzenden Kritik« beschuldigt worden, als daß es klug für uns sein könnte, das nationale Idol Friedrich II. anzutasten.«

Dieser Politiker wußte wohl nicht, daß viel zersetzender als alles, was seine machtlose Partei tun und sagen kann, der »Zyniker auf dem Thron« gewirkt hat, vor dem Lessing und Arndt so dringend warnten und um den es sich hier handelt.

An den Folgen des friderizianischen Wirkens, die Ellis beklagte, wird es auch kaum viel ändern, daß im Zirkus Busch ein Friedrich der Große als Held eines »Manege-Schaustücks« »die Deutschen vor innerer Zwietracht und Zerspaltung warnt«, eine Warnung, die seine eigenen sechsundvierzigjährigen Bemühungen gegen die deutschen Kaiser und Verteidiger der heute verlorenen West- und Ostmarken nie im Zaume hielt.

 

Der Feldzug des »geistigen Leibregiments« gegen »Fridericus«.

Der Marschbefehl des Generals von Zwehl

Musis et mulis

»Den Musen und den Maultieren« war der vom Berliner Volkswitz verliehene Wappenspruch des Berliner Marstall- und Akademiegebäudes, in dem Friedrich II. seine Pferde und Gelehrten einquartierte. Seiner Akademie hatte er als einziges Einkommen den Ertrag aus dem Vertriebe schwindelhafter Kalender verliehen, mit denen die Akademie nach ihrem eigenen Zugeständnisse das preußische Volk »hinters Licht führte«. (Vgl. oben S. 216 f.)

Den ersten beiden Auflagen dieses Buches war fast ausschließlich Beifall, manchmal wärmster Art, zuteil geworden. Wenn Andersdenkende vorhanden waren, hielten sie schweigende Duldung für angemessen. Die Ordre zur Bekämpfung meines Buches scheint veranlaßt worden zu sein durch ein Wort, das der österreichische Feldmarschall-Leutnant Hoen in der »Österreichischen Wehrzeitung« (gelegentlich einer Besprechung dieses Buches »Fridericus«) schrieb: »Wer sich von der geschminkten Geschichtsauffassung freimachte, mußte wohl längst zur Erkenntnis gelangen, daß Friedrich II. mit der Entfesselung der Schlesischen Kriege (der »deutschen Bürgerkriege«, wie sie Ellis-Hegemann nennt) und mit seinem steten Kampf gegen die kaiserliche Macht das Deutsche Reich schwer schädigte, seinen Niedergang wesentlich beschleunigte. Eine lobpreisende Geschichtschreibung wollte darin einen notwendigen Zerstörungsprozeß erkennen, um einem stärkeren Hohenzollern-Deutschland freie Bahn zu schaffen. In weiterer Verfolgung dieses Gedankens kommt man allerdings zu dem Schlusse, daß diese freie Bahn des fortwirkenden friderizianischen Geistes zwangsläufig zum Frieden von Versailles führen mußte.«

Die eben angeführten Worte der österreichischen Exzellenz von Hoen (des früheren Direktors des Kriegsarchivs) nannte die preußische Exzellenz General v. Zwehl im Berliner »Militärwochenblatt« Nr. 30, 1925 (unter der Überschrift »Schmähungen des Großen Königs«) einen »Anwurf« und fuhr (zart den »Anschluß« vorbereitend) fort: »Man kann nicht von jedem Angehörigen des ehemaligen österreichischen Heeres, das so oft und schwer unter der preußischen Faust gelitten hat, eine bedingungslose Bewunderung des Großen Königs erwarten …; Ich möchte nicht noch deutlicher werden …;« Der so angegriffene Österreicher schloß seine liebenswürdig-versöhnliche Entgegnung (unter der Überschrift: »Die preußisch-deutsche Mentalität« in der »Österreichischen Wehrzeitung« vom 8.Mai 1925) mit den treffenden Worten: »Trotzdem muß es als eine spezifische Leistung der preußisch-deutschen Mentalität gewertet werden, daß es ihr nach vier Jahrzehnten bereits gelungen war, sich die ganze Welt zu Feinden zu machen, sogar die traditionellen Gegner Frankreich und England unter einen Hut zu bringen.«

Lustiger als diese peinliche Auseinandersetzung zwischen hohen militärischen Würdenträgern ist ihr Streit über die Frage, ob »Friedrich der Große wegen seines Hochverrates in der elsaß-lothringischen Frage hätte gehängt werden müssen«. Es ist unmöglich, hier auf die Für und Wider einzugehen, welche von dem preußischen und von dem österreichischen Generale in dieser schwierigen Streitfrage vorgebracht werden. Da aber beide Herren zugestandenerweise an ein Wort von Ellis anknüpfen (vgl. oben S. 432), sei hier versichert, daß Ellis durchaus die Schwierigkeit würdigte, einen Aufrührer zu bestrafen, der sein Erbe – die größte militärische Maschine und den größten Kriegsschatz der Welt – in den Dienst seiner nervösen Eitelkeit stellen konnte, und der sich skrupellos mit aus- und inländischen Reichsfeinden zusammentat.

Alles, was Ellis mit seinem von den Generalen aufgegriffenen Scherze andeuten wollte, war, daß die rechtzeitige Beseitigung Friedrichs II. von unendlichem Segen für die Ausdehnung Deutschlands im Westen und im Osten gewesen wäre. Wie weit Ellis hier recht hat, ist eine Frage, die heute von der Wissenschaft noch nicht einmütig beantwortet wird.

 

So wie es damals war, muß es wieder werden

Ganz einmütig aber ist heute wohl die Wissenschaft (soweit sie den entferntesten Anspruch deutsch zu sein machen darf) darüber, daß der preußische General v. Zwehl sich gründlich irrt, wenn er sagt: »So wie es damals war, muß es wieder werden. Fridericus rex unser Alter Fritz, war ein Symbol seiner Zeit, auf das auch wir nach mehr als 150 Jahren mit bewundernder Begeisterung blicken.« Die Preußen werden bewundern und begeistern, wo sie können; aber kein Deutscher kann sagen: »So wie es damals war, muß es wieder werden.« Nein! Nie wieder darf ein deutsches Brudervolk, das erfolgreich uraltes deutsches Land zurückerobert, »schwer unter der preußischen Faust leiden«, wie (nach Herrn v. Zwehls eigenen geschmackvollen Worten) die Österreicher litten, als sie 1743 das Elsaß siegreich zurückeroberten. Niemals auch sollen Deutsche wieder gegen Deutsche »für welfisch-habsburgische und für hohenzollernsche Interessen aufeinander schießen«, wie es nach Bismarcks scharfem Worte seit (und dank) Friedrich II. immer wieder geschehen ist. Nie wieder sollen Deutsche auf irgendjemand schießen, wenn »nichts als die Furcht« sie dazu treibt, wie nach Friedrichs II. eigener Feststellung die geprügelten friderizianischen Soldaten kämpften. Nie soll Preußen »das sklavischste Land Europas« sein, wie es das unter Friedrich II. nach Lessings Feststellung gewesen ist. Nie sollen so wesentliche Teile unseres Steuerwesens wieder in französische Hände gelegt werden, wie Friedrich II. das für angebracht hielt. Nie soll Deutschland wieder von Männern regiert werden, die allem Deutschen so blind und feindlich gegenüberstehen wie Friedrich II. Nie soll uns ein Mann in führender politischer Stellung wieder mit so verständnisloser Fremdheit von den »ekelhaften Plattheiten« Goethes reden, wie Friedrich II. das tat. Nie soll bei uns wieder einem Winckelmann eine Gehaltsforderung ausgeschlagen werden, die unbedeutenden ausländischen Höflingen des Königs anstandslos bewilligt wurde; nie soll der Mann, der über die Verteilung dieser Löhne bestimmt, aus dem Dünkel seiner Deutschfeindlichkeit heraus erklären: »Für einen Deutschen ist die Hälfte genug.« Nie soll bei uns wieder ein Lessing verhungern, weil der politische Herr des Landes, dem man ihn als Bibliothekar aufdrängen will, hämisch ausruft: »Ich kann auch ohne Deutsche auskommen.« Selbst Friedrich II. wurde endlich »müde, über Sklaven zu herrschen«. Nie wieder darf die Zeit kommen, in der das deutsche Volk nicht müde war, von einem Sklaven des Auslandes beherrscht zu werden. Schließlich wird dann auch General v. Zwehl erkennen, daß seine friderizianische Dienstfertigkeit der letzten und größten Erkenntnis seines Königs unwürdig ist.

 

Art des Angriffs und Warnung an den Leser

Damit die nachfolgend angeführten Stellen der dritten Auflage (1925) auch von den Lesern der hier erweitert vorliegenden vierten Auflage nachgeprüft werden können, sind die Zitate doppelt gegeben. Es bezieht sich also z. B. III, 277 auf Seite 277 der dritten Auflage; dagegen wird der Hinweis auf dieselbe Stelle in der vorliegenden vierten Auflage mit IV, 425 gegeben.

Die vorstehende Antwort an den General von Zwehl kam in der vorigen (dritten) Auflage dieses Buches zum Abdruck und hat die Zustimmung Deutschgesinnter gefunden. Sie fand nicht die Zustimmung der noch immer weitverbreiteten Sekte kleindeutsch-preußischer Akademiker und Friedrichverehrer, die im Gegenteil den Schlachtruf des Generals von Zwehl: »So wie es damals war, muß es wieder werden!« marschbereit als Befehl zur Eröffnung eines Feldzuges gegen mein Buch auffaßten. Diese Marschbereitschaft erklärt sich eindeutig aus dem unsterblichen Worte des berühmten Berliner Universitätsprofessors Emil Du Bois-Reymond, der in seiner akademischen Rede vom 3. August 1870 das stolze Bekenntnis tat: »Die Berliner Universität, dem Palaste des Königs gegenüber einquartiert, ist das geistige Leibregiment des Hauses Hohenzollern.« Musis et Mulis!

Die Vorhut des mich angreifenden »Regiments« führte Professor H. F. Helmolt, der Herausgeber einer neunbändigen Geschichte der ganzen Welt und Verfasser eines Buches über Friedrich den Großen. In dem zweiten seiner gegen mich gerichteten Aufsätze (»Literarische Wochenschrift«, 10. X. 25; der erste erschien in »Der Westen«, 25. VII. 25) nannte er meinen »Fridericus« »ein überaus merkwürdiges Buch, dessen aufreizende Tendenz und aufregenden Inhalt keine bloß wegwerfende Geste beseitigen kann«. Statt mit der »bloß wegwerfenden Geste« versuchten er und andere akademische Kritiker es mit seitenlangen Beschimpfungen meines Buches und meiner Person. Diese unverständige Kampfesweise verdiente mit Schweigen übergangen zu werden. Da aber die eigentümliche Geistesart dieser Vorkämpfer der »preußisch blickenden Geschichtsauffassung« dem Unbefangenen schwer glaublich erscheinen muß, möchte ich sie meinem Leser an lebenden Beispielen der Gattung vorführen und ihn von Fall zu Fall selbst urteilen lassen, ob die von Manfred Ellis vorgetragene Auffassung Friedrichs II. durch ihre Gegner in irgend einem Punkte entkräftet werden konnte.

Auf den einzigen sachlichen Einwand, den Herr Helmolt gegen die Manfredsche Auffassung vorbrachte, hat allerdings Manfred selbst in meines Erachtens so schlagender Weise geantwortet, daß ich den Leser bitten möchte, diese Entgegnung (oben S. 409-10) nachzulesen. Gegen einen der unsachlichen Einwände aber, die Herr Helmolt gegen Manfred erhebt, möchte ich meinen gastfreien Freund hier eingangs auch verteidigen. Herr Helmolt nennt Manfred einen »unheimlich beschlagenen Amerikaner«, wirft ihm aber vor, er wohne »in einer Protzenvilla«. Ich kann versichern, daß Manfreds Villa Boccanera, ein vornehm einfaches Haus aus dem Anfang des achtzehnten Jahrhunderts, gar nichts von dem besaß, was man mit dem Begriffe »Protzenvilla« verbindet. Helmolt gibt zu, daß Manfred seine Villa »mit einer fabelhaften Bücherei ausgestattet« hat, daß er sie »mit fürstlicher Gastfreundschaft bewirtschaftete« und daß sich dort »geistreiche« Gäste von »ungewöhnlicher Belesenheit« »zu ebenso geistreichen Gesprächen versammelten«. Auch Professor Wilhelm Boehms »scharfe« Ablehnung meines Buches in der »Deutschen Rundschau« (Mai 1926) gibt die »fabelhafte Bildung und Lebenskunst« meines amerikanischen Freundes zu. Alle diese hochgegriffenen Ausdrücke der Anerkennung stammen von meinen Kritikern, nicht von mir. Mir aber scheint, nur wenn eine »fabelhafte Bücherei« oder die »unheimliche Beschlagenheit und fürstliche Gastfreundschaft« ihres Besitzers (was erfährt der Leser sonst von der beanstandeten »Protzenvilla«?) Zeichen von »Protzerei« sind, kann der unvorsichtige Professor Helmolt sicher sein, nicht selbst für einen »Protzen« gehalten zu werden. Ich bedaure die peinlichen Schlüsse, zu denen ich hier und im folgenden durch die eigentümliche Logik meiner akademischen Kritiker gezwungen werde, und ich muß hier meine Leser warnen: »Die › Conservation der Untertanen‹ war der Magnet, der die Schläge seines landesväterlichen Herzens anzog und bestimmte«; dieser Satz über den »Soldatenkönig« ist eine Probe (aus Herrn Helmolts eigenem Buche über »Friedrich den Großen«) von »bestimmt« nicht »anziehendem«, ja mir scheint etwas »protzen«haftem Gelehrtendeutsch. Aber nur in der verschrobenen Bildersprache dieses Satzes kann ich die nachfolgende, mir im höchsten Maße peinliche Auseinandersetzung mit meinen professorialen Kritikern ankündigen. Ich tue es also mit folgenden bedauernden Worten: »Die Conservation meiner akademischen Kritiker ist der Magnet, der mein Herz zu unväterlichen Krückstockschlägen anziehungsvoll ein- und entlädt.« Ich mußte diese Warnung vorausschicken, damit jeder das Buch zuklappen kann, der etwa in dem hier folgenden Nachweise der ausnahmslosen Nichtigkeit aller von Berliner »Professoren«-Seite gegen mein Buch gemachten Einwände etwas Unterhaltsames suchen wollte.

Noch weiter muß ich die Kampfesweise meiner Gegner kennzeichnen und vorweg Verdächtigungen Manfreds und meiner Person ablehnen, die – wenn ich sie unbeantwortet ließe – den Boden, auf dem gefochten werden soll (nicht etwa den Amerikaner Manfred oder mich) beschmutzen könnten. Daß Kritiker, welche geistreiche Gastfreundschaft nicht von »Protzerei« zu unterscheiden wissen, durch die Erscheinung eines Mannes wie Manfred Ellis aus dem Häuschen und in abenteuerliche Widersprüche getrieben werden, zeigt folgende Nebeneinanderstellung von einigen ihrer Äußerungen.

Der »unheimlich beschlagene Amerikaner« der »Literarischen Wochenschrift« verwandelt sich trotz »fabelhafter Bildung, verblüffender Belesenheit und fanatischem Scharfblick«, die ihm die »Deutsche Rundschau« zubilligt, für die ungeschliffeneren »Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte« des Herrn Volz in einen Mann mit »keinerlei Sachkenntnis«, dem in der »Deutschen Literaturzeitung« des Herrn Hartung »jedes historische Verständnis fehlt«, ja, der »ganz töricht redet« und »kritiklos bewundert«. Sogar die ganze Erscheinung Manfreds und seine Gespräche werden in der »Deutschen Literaturzeitung« als »geschickte Einkleidung« bezeichnet, für die ich verantwortlich wäre, weil mir »der Mut« fehlt. Wenn etwa Ungeschicklichkeit und Mut eng zusammenhängen, werde ich im folgenden mehrfach beweisen, daß der schmähende Herr Hartung ein ungewöhnlich »mutiger« Mann ist. Geschickter als Herrn Hartungs »Deutsche Literaturzeitung« (die ich hier ausschließlich nach Herrn Hartungs Beitrag beurteile) ist ihr sonst kongeniales Schwesterblatt, die »Deutsche Tageszeitung«. Ihr Gewährsmann, Herr Professor Carl Meißner, ist der bekannte Bewunderer friderizianischer Dichtkunst, dessen Verdienste bereits oben (III, 515 f.; IV, 671 f.) ausführlich gewürdigt wurden. Professor Meißner läßt zwar den Amerikaner Manfred Ellis als einen »gescheiten Mann« gelten und nimmt ihn sogar in Schutz gegen mich, den er treffend – ich gebe es zu – »weniger klug« nennt. Aber ähnlich wie das früher schon Professor Gerhard Ritter-Hamburg tat, wirft Professor Meißner dem Amerikaner Ellis »österreichische Ressentiments« vor. Mich dagegen nennt Herr Meißner nicht nur einen »unschöpferischen Schwätzer«, sondern gar einen »Sachsen«. Nach den oben mitgeteilten Worten des Generals von Zwehl (»ich möchte nicht noch deutlicher werden!«) kann kaum Zweifel sein, daß »Österreicher«, »Schwätzer« und »Sachse« im Munde dieser Art Preußen Schimpfworte vorstellen sollen. Ich muß deshalb folgendes feststellen. Daß Manfreds Verständnis für großdeutsche Fragen sich zum Teil daraus erklärt, daß er mütterlicherseits von den Fürsten de Ligne abstammt, daß er also allerdings flämisch-österreichisches Blut in seinen Adern hatte, habe ich in meinem Buche keineswegs zu verschleiern versucht. Mir schien es im Gegenteil ein Ehrentitel. Seine Unbefangenheit wäre mir durch seine Eigenschaft als Ausländer und durch seine hohe Bildung trotzdem gewahrt erschienen, wenn es mir nicht eigentlich mehr auf seine Belesenheit und seinen Widerspruchsgeist angekommen wäre als auf seine Unbefangenheit. Dieser Widerspruchsgeist machte eine vielseitige Beleuchtung der behandelten Probleme möglich. Es ist nicht angängig, daß Herr Hartung, der nicht gern in seiner Einseitigkeit gestört wird, mich trotz meiner wiederholten Verwahrung (vgl. III, 22, 125; IV, 27, 162) für alle von Manfred vorgebrachten Einwände verantwortlich macht. Es handelt sich vielmehr darum, die Einwände Manfreds zu widerlegen, und das ist m. E. den Herren Hartung, Meißner, Volz etc. ebensowenig geglückt wie mir. Herrn Meißner muß ich versichern, daß ich selbst leider keinen Tropfen österreichischen, ja, nicht einmal sächsischen Blutes in meinen Adern habe. Ich habe also weder wie Manfred die Ehre, »Repräsentant und Erbe der alten deutschen Macht zu sein, die oft und glorreich das deutsche Schwert geführt hat« (wenn ich mich eines Bismarckschen Wortes über Österreich bedienen darf; vgl. oben III, 121; IV, 156), noch bin ich der engere Landsmann Lessings oder Bachs. Ich stamme mütterlicher- und väterlicherseits von westfälischen Bauern.

Aber zur Sache! Ich beginne mit einigen Widersprüchen meiner Kritiker, die sich ohne mein Zutun erledigen.

 

Friedrichs II. »deutscher« Fürstenbund?

In der wichtigen Fürstenbundfrage setzt sich Professor Meißner in seiner Kritik meines Buches so sehr in Widerspruch zu meinem anderen Kritiker, Herrn Hartung, daß ich die Antwort Herrn Hartung überlassen kann. Professor Meißner behauptet nämlich: »Die preußischen Historiker haben stets zugegeben, ja betont, daß Friedrich der Große bis zum Fürstenbund hin preußische und nicht deutsche Politik gemacht hat.« Daß die preußischen »Historiker « das weder stets betont noch stets überhaupt zugegeben haben, hätte Herr Meißner, wenn er lesen könnte, aus meinem Buche (III, 510; IV, 202, 665) erfahren. Daß andererseits aber auch gerade Friedrichs II. Fürstenbund von 1785 nicht – wie Herr Meißner andeutet – deutsche, sondern auch nur wie alle frühere Politik Friedrichs II. kurzsichtigste preußische Politik war, das kann er bei Professor Hartung nachlesen, der – nicht wenn er mich kritisiert, sondern wenn er seine »wissenschaftlichen« Werke unter Ausschluß der Öffentlichkeit veröffentlicht – folgendes zugesteht Fritz Hartung, Das Großherzogtum Sachsen unter der Regierung Carl Augusts 1775-1828. Weimar 1923. S. 189 f.: »Der deutsche Fürstenbund war und blieb trotz allen Hoffnungen und Bemühungen Carl Augusts und Herders, ihn zu einem Mittelpunkt für die Erneuerungen des staatlichen und politischen Lebens in Deutschland ausgestalten zu können, bloß ein Werkzeug der auswärtigen Politik Preußens und wurde von diesem aufgegeben, sobald sich ihm günstigere Aussichten boten.« Herr Hartung hätte hinzufügen können, daß diese »günstigeren Aussichten« Preußens sich als Bündnisse mit der Türkei und mit Frankreich gegen das Deutsche Reich entpuppten, die alle friderizianischen Bündnisbestrebungen zum furchtbarsten und nie wieder gutzumachenden Schaden für Deutschland verwirklichten. Trotz Herrn Meißner nähert sich jedenfalls mein Kritiker, Herr Hartung, erstaunlich der Auffassung Manfreds, der mit Ernst Moritz Arndt den »deutschen« Fürstenbund Friedrichs II. »nur eine politische Posse gegen Österreich« nannte. Auf Bismarcks vernichtendes Urteil über Friedrichs II. »elende Politik nach 1778« werde ich nachher (S. 714) noch zurückkommen müssen. Herrn Hartungs Verzweifeln an der Deutschheit des »deutschen« Fürstenbundes Friedrichs II. wird auch Professor Volz nicht leugnen können, der als Kritiker meines Buches in Kaiser Josephs Kampf gegen Friedrichs II. politische Posse nichts »anders als Hausmachtpolitik« sehen zu können erklärt. Daß Kaiser Josephs damalige Politik sehr geschickt war, das hat Ranke zugegeben (vgl. oben S. 207 und 211), daß es aber großartige deutsche Politik war, die Kaiser Joseph damals gegen die nicht scharf genug zu brandmarkenden Quertreibereien Friedrichs II. verfocht, das hat Ranke in mir unverzeihlich erscheinender Weise verkannt oder verschleiert. Kurz: Österreichs »Hausmachtpolitik« drang damals auf wünschenswerte und damals noch durchführbare Ausdehnung (im Osten und im Westen!) des Deutschen Reichs, während Preußens »Hausmachtpolitik« gleichbedeutend war mit Schwächung des Deutschen Reiches und mit Hintertreibung seiner Ausdehnung (im Osten und im Westen!). Das alles wird die hier (in der 4. Auflage) veröffentlichte Fassung des Gesprächs über »Goethe, Fürstenbund und Verlust Belgiens« (IV, 190-234) hoffentlich auch denen beweisen, die durch die frühere gekürzte Fassung (in der 3. Auflage) noch nicht ganz überzeugt wurden. Ob Professor Meißner den von ihm vorgetragenen Irrtum Rankes noch nicht wie Herr Hartung als Irrtum erkannt hat oder ob er sich zu Ehren unwissender Leser seiner »Deutschen Tageszeitung« weniger wissend stellt, als er ist, das ist eine Frage, die meine Neugier nicht reizt und die schwer entscheidbar ist, solange auch die Professoren Hartung und Volz in den angeblich wissenschaftlichen »Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte« (Bd. 39, Heft 1, S. 154-162) und in dem Schwesterblatte der »Deutschen Tageszeitung«, der »Deutschen Literaturzeitung« (1926, 1008-11), Unwahrheiten veröffentlichen, die nur aus verknöchertem Festhalten an der friderizianischen Überlieferung des Trompeur-Spielenwollens (vgl. oben S. 51 f., 209, 518) historisch erklärt, kaum aber je entschuldigt werden können.

 

Fritz Hartungs »kritiklose Bewunderung Ludwigs XIV.« und »Widerspruch gegen Delbrück«

Wie wäre es zum Beispiel zu entschuldigen, daß ein nüchterner Mensch in einer angeblich wissenschaftlichen Zeitung Unwahrheiten vorträgt wie Professor Hartung, der behauptet, ich sei ein »kritikloser Bewunderer Ludwigs XIV. und Ludwigs XV.«? Wenn Herr Hartung lesen könnte, was er kritisieren möchte, dann hätte er nicht die von mir wiedergegebene seitenlange Kritik Ludwigs XIV. übersehen (III, 294-96; IV, 446-48), und er hätte auch nicht übersehen, daß über den Abgott Friedrichs II. sich in meinem Buche Stellen verstreut finden wie diese: »Friedrich II. versuchte in der inneren Politik demütig die mißverstandenen absolutistischen Schnörkel und Irrwege Ludwigs XIV. nachzuirren, obgleich alle Welt und vor allem Ludwigs Nachfolger auf dem französischen Thron den gefährlichen Irrtum des Absolutismus längst erkannt hatte.« (III, 346; IV, 510). Rührend ist Herrn Hartungs Geständnis, daß er Manfreds Spott über Ludwig XV. für »kritiklose Bewunderung« hält. Manfred schloß seine spottende Beschreibung mit den Worten: »Kurz, dieser Ludwig XV., wenn er auch noch über die Weisheit und Tatkraft Bismarcks verfügt hätte, würde alle Tugenden Kaiser Wilhelms I. besessen haben.« Es ehrt das zollerntreue »Handlanger«-Gemüt des Berliner Professors, der in einem Vergleiche mit Kaiser Wilhelm dem Großen selbstverständlich den Gipfel »kritikloser Bewunderung« entdeckt. Weniger ehrenvoll für Herrn Hartung ist es, wenn er meinem Buche vorwirft: »Der wissenschaftliche Widerspruch, den Delbrücks Kritik (am Feldherrntum Friedrichs) gefunden, wird nicht erwähnt.« Eigentümliche Leseunfähigkeit eines kritikbereiten »Professors«! Ich gab im Gegenteil (z.T. mit Kosers Worten! III, 239; IV, 379) die offizielle Auffassung von Friedrichs II. Feldherrnkunst und gab dann als Widerspruch dazu die Delbrücksche Auffassung. Nicht nur wird »der wissenschaftliche Widerspruch, den Delbrücks Kritik fand«, von mir erwähnt (III, 511-13; IV, 666-69), sondern der Protagonist meiner Gespräche schließt sich diesem Widerspruch sogar an, und Manfreds Spott über Delbrücks Kritik veranlaßte mich in meinem Buche (III, 251; IV, 393) zu dem Schlusse: »Mir wollte fast scheinen, als würden die Thesen Delbrücks in diesem Lachen öffentlich verbrannt«. Aber Herr Hartung, der in seiner Kritik meines Buches für sich »wissenschaftliche Kritik« und »sachliche Kritik« in Anspruch nimmt, tut so, als hätte ich Delbrücks Kritik am Feldherrntum Friedrichs zu der meinen gemacht.

 

Friedrich II. als »Erster Rebell« und des »Großen« Kurfürsten »böse Durchsteckereien mit dem Ausland«

Mit derselben professorenhaft-anmaßenden Oberflächlichkeit erklärt Herr Hartung: »Wie ungeschichtlich Hegemann vorgeht, zeigt er mit der völligen Ignorierung der Reichsgeschichte, dadurch gewinnt er freilich den Vorteil, daß Friedrich als der erste Rebell gegen das Kaisertum erscheint.« Wenn Professor Hartung mein Buch, über das zu reden er sich befähigt glaubt, nicht auch hier » völlig ignorierte«, dann wüßte er, daß meine Hinweise auf frühere Rebellionen deutscher Kurfürsten zu den »unablässigen Wiederholungen« gehören, die mir sein Kollege Professor Volz vorwirft, die aber augenscheinlich nicht »unablässig« genug waren, wenn sie in Professorenköpfe Hartungscher Dicke eindringen sollten. Gelegentlich des Goetheschen Kampfes gegen den »deutschen« Fürstenbund und gegen die damit verbundene deutschfeindliche Politik Friedrichs II. sagte Manfred (III, 115; IV, 206): »Die bayrischen Kurfürsten haben jahrhundertelang gegen den deutschen Kaiser gekämpft. Die preußischen Geschichtsklitterer müssen noch fleißig weiterklittern, bevor man ihnen glaubt, daß Bayerns Unabhängigkeit vom Kaiser der deutschen Sache genützt habe«. Folgt daraus, daß ich Friedrich II. »als den ersten Rebellen gegen das Kaisertum erscheinen« lassen will? Weiter: Manfred schilderte an anderer Stelle (III, 217 ff.; IV, 348 ff.) Friedrichs II. Versuche von 1757, die englischen Bundesgenossen zu verraten und heimlich zu den Franzosen überzugehen, während gleichzeitig auf der englischen Seite Pitt die mustergültigste »Nibelungentreue« bewahrte. Dabei ließ Friedrich II., wie Manfred aus der »Politischen Correspondenz« zitierte, den französischen Feldmarschall an die großen Vorteile erinnern, die schon Ludwig XIV. aus den hochverräterischen Diensten des »Großen« Kurfürsten zu ziehen verstand. Manfred wies ausdrücklich darauf hin, daß recht eigentlich der »Große« Kurfürst den Franzosen Straßburg verschaffte. Daraus folgert der »wissenschaftliche Kritiker« Hartung, daß Manfred Friedrich II. für einen früheren Rebellen als den »Großen« Kurfürsten hält. Ich gebe zu, daß der »Große« Kurfürst seinen Kaiser nicht plötzlich mit den Waffen in der Hand überfiel, wie Friedrich der »Große« das tat. Ich gebe noch mehr zu: wenn mein Buch nicht von Friedrich II., sondern zum Beispiel vom »Großen« Kurfürsten handelte, hätte ich hinzufügen können, daß im Jahre 1891 der Redakteur W. Hopf von preußischen Staatsanwälten verklagt wurde, weil er in seiner Zeitung festgestellt hatte: »Der sogenannte Große Kurfürst habe fort und fort böse Durchsteckereien mit dem Auslande getrieben«. Die von Dr. Paul Bartels herausgegebene Veröffentlichung der Prozeßakten unter dem Titel: »Die preußische Geschichte vor den Schranken der Justiz« (Hannover, 1921) ist eines der merkwürdigsten Büchlein, die ich kenne.Der preußische Staatsanwalt zog als Sachverständigenden Hohenzollern-Lieb-Koser hinzu, und der Prozeß wurde wegen »Majestätsbeleidigung« und, wie versichert wird, auf unmittelbare Veranlassung Kaiser Wilhelms II. – durch alle denkbaren Instanzen bis zum Reichsgericht getrieben. Aber Redakteur Hopf mußte immer wieder und schließlich endgültig freigesprochen werden, denn – so drückte sich das Reichskammergericht aus –: »Der Angeklagte hat für alle in dem Artikel angeführten Tatsachen zutreffende Belege beigebracht.« Jeder aufrichtige Kenner der Berliner Verhältnisse wird bestätigen müssen (III, 102; IV, 80, 108, 314), daß eine derartige Prozeßentscheidung zur Zeit Friedrichs II. nicht möglich gewesen wäre, weil der Angeklagte lange vorher einen »Sprung nach Spandau« gemacht hätte. Aber unter der Regierung unseres großherzigen Kaisers Wilhelm II. (er lebe hoch in Holland!) war dieser Prozeß möglich. Und Herr Hopf konnte mit ausdrücklicher Zustimmung des Sachverständigen Koser und aller richterlichen Instanzen einschließlich des Reichsgerichts urkundlich feststellen, daß der »Große« Kurfürst durch seine jeweils gegen hohes Entgelt geschlossenen geheimen franco-borussischen Verträge von 1656, 1658, 1664, 1665, 1667, 1669, 1673, 1678, 1679, 1681, 1682, 1683 »fort und fort böse Durchsteckereien mit dem Auslande getrieben hat«, daß er sich insbesondere verpflichtete, den Franzosen ihren Raub eines Achtels des Deutschen Reiches zu schützen (der Erfolg dieses groß-kurfürstlichen Landesverrrates ist bis heute offenbar!) und bei einer Neuwahl des deutschen Kaisers seine »große« Kurfürstenstimme »niemandem als dem Könige von Frankreich zu geben …; als dem durch seine persönlichen Eigenschaften und seine Macht Geeignetsten«. Man ermesse, wie »groß« Ludwig XIV. gewesen sein muß, daß wir in Deutschland selbst seine Vasallen, Handlanger und Mietlinge wie den Kurfürsten von Brandenburg »groß« nennen!

Diese aus Raummangel unterlassene Ergänzung meines Buches hätte vielleicht sogar Herrn Hartung klar gemacht, daß ich Friedrich II. nicht »als den ersten Rebellen gegen das Kaisertum erscheinen« lassen will. Immerhin hätte Herr Hartung seine » völlige Ignoranz« meines Buches, da er es besprechen wollte, nicht bis zum »völligen« Übersehen des von mir (III, 439; IV, 628) gegebenen langen Zitates aus Bismarcks »Gedanken und Erinnerungen« treiben dürfen. Bismarck sagt da nämlich: »Auch der preußische Partikularismus ist entstanden in Auflehnung gegen das gesamtdeutsche Gemeinwesen, gegen Kaiser und Reich, im Abfall von beiden, gestützt auf päpstlichen, später französischen, in der Gesamtheit welschen Beistand, die alle dem deutschen Gemeinwesen gleich schädlich und gefährlich waren.« Im weiteren Verlauf dieser von mir mitgeteilten Schilderung früherer Rebellionen geht Bismarck bis auf die Zeit der Hohenstaufen zurück. Wenn daraus Herr Hartung folgert, daß ich Friedrich II. von Hohenzollern »als den ersten Rebellen gegen das Kaisertum erscheinen« lasse, wirft er im Dunkel seines Professorengehirnes diesen preußischen Friedrich II. vielleicht mit Friedrich II. von Hohenstaufen (?) durcheinander, was bei einem Friedrichverehrer um kein Haar erstaunlicher ist, als daß Professor Volz mir wichtig erklärt, bei dem von mir angeführten Worte über den »Partikularismus« habe Bismarck »vor allem Gegenwart und Zukunft vor Augen«. In demselben wichtig belehrenden Tone fragt Herr Volz, warum ich keine Zitate aus Friedrichs »Politischer Correspondenz« gebracht hätte, und gibt mir bibliographische Weisungen über die Zahl der veröffentlichten Bände und so weiter. Herr Volz, der mich »einen durch keinerlei Sachkenntnis beschwerten Dilettanten« nennt, wurde durch das Kritisierenwollen meines Buches so beschwert, daß er darin die mehr als zehn Seiten lange Verspottung nicht bemerken konnte, die Manfred dieser phantastischen »Politischen Correspondenz« angedeihen ließ (III, 217 ff.; IV, 348 ff.).

 

»Die bekannte Schmähliteratur« und sodomitische und homosexuelle Anwandlungen Friedrichs II.

Wie Kraut und Rüben passen auch die Urteile zusammen, die meine Kritiker über die von mir benutzten Quellen bekanntgeben. Ich habe weitgehenden Gebrauch von Friedrichs II. »geheimen« Testamenten und von Bismarcks Schriften gemacht. Herr Hartung bemerkte das und zerbricht sich den Kopf darüber, wie »Manfred Ellis vor 1914 die ganzen politischen Testamente Friedrichs und den dritten Band der ›Gedanken und Erinnerungen‹ Bismarcks zu Gesicht bekommen habe?«; dann folgert er, mein Buch sei »aus schlechtestem Material gezimmert«; Herr Volz dagegen hat nicht bemerkt, daß ich die »ganzen« Testamente verwertete, und empfiehlt mir, wieder altklug, die Lektüre der »bereits seit 1920 vollständig gedruckt vorliegenden politischen Testamente«, denn: »Hegemann kennt nur die früher veröffentlichten Auszüge«. Noch schlimmer geht es mir mit Bismarck, bei dessen Schriften mir Herr Volz nicht ihre Unkenntnis, sondern die »Unterschlagung« von zwei wichtigen Stellen vorwirft, an denen Friedrich II. von Bismarck belobigt wurde. Ich habe längst nicht alle Stellen angeführt, wo Friedrich II. von Bismarck getadelt wird. Wenn aber Herr Volz gelernt hätte, Bücher zu lesen, zu denen er seinen Senf beisteuern möchte, dann würde er gefunden haben, daß ich beide von ihm vermißten Lobesworte Bismarcks zitiert (III, 266, 399; IV, 412, 574) und eines davon seitenlang besprochen habe (sogar unter Zuziehung Kaiser Wilhelms II.!). Es ist also Herr Volz, der »unterschlägt«, nicht ich. Bei » völliger Ignorierung« der Tatsachen behaupten dann die drei Professoren Hartung, Meißner, Volz denselben Unsinn über meine Quellen: »Die bekannte Schmähliteratur gegen Friedrich den Großen ist eifrig benutzt worden« (Hartung). »Diese zweifelhafte und trübe Quelle wird als lauter und gültig genommen« (Meißner). »So gilt von vornherein als unantastbarer Kronzeuge, wer gegen den König aussagt. Und nur Zeugen dieser Gattung kommen zu Worte« (Volz). Daraus möge ein Schriftsteller, der gewitzigter ist als ich, entnehmen, wie ein Buch beschaffen sein darf, das in den »Forschungen« oder der »Deutschen Tageszeitung« oder der ebenbürtigen »Deutschen Literaturzeitung« von »Historikern« besprochen und wahrscheinlich bewundert werden soll. Daß der Witz, der meinem Buche den Beifall literarisch Ernstzunehmender sicherte, gerade darin beruht, daß es die »bekannte Schmähliteratur gegen Friedrich II.« gänzlich vermeidet, daß also mein Buch sein Verdammungsurteil über Friedrich II. ganz aus Quellen schöpft, die von preußischen Hurrah-»Historikern« selbst gutgeheißen werden, das haben diese literarisch Blinden gar nicht bemerkt. Meine »Schmähliteraten« heißen Bismarck, Lessing, Schiller, Friedrich II. und die Leute, die in seiner unmittelbaren Nähe weilten und von den »Historikern« ausdrücklich als zuverlässig empfohlen werden, Empfehlungen, die von mir in zweifelhaften Fällen ausdrücklich abgedruckt wurden. Ich war allerdings nicht darauf gefaßt, daß jetzt »Historiker« vom Schlage der Meißner und Volz den Gesellschafter Friedrichs II. de Catt als einen »Ordensschwindler« und als »zweifelhafte und trübe Quelle« bezeichnen und die unhaltbare Behauptung aufstellen würden, ich hätte »allein« de Catts »Memoiren« und nicht seine »Tagebücher« benutzt. Ich durfte glauben, daß Reinhold Koser, der diesen »Historikern« als Autorität gilt, ihnen hier den Mund gestopft hätte, als er in seinem Versuche, das oft peinliche Zeugnis de Catts zu entkräften, die Legende von de Catts »Ordensschwindel« als zweifelhaft bezeichnen und weiter sagen mußte: »de Catts Darstellung (in den ›Memoiren‹!) beherrscht der Ton der Ergebenheit, der Anerkennung, der Bewunderung; der Verfasser hat es meisterhaft verstanden, die Figur seines Helden mit dem Schimmer der Liebenswürdigkeit zu umgeben, die Sympathien des Lesers für diese Individualität zu wecken …;« Und über diese von Volz und Meißner geschmähten »Memoiren«, die ich statt der »Tagebücher« »allein« benutzt haben soll, schrieb Koser weiter: »In bezug auf formale Behandlung befinden sich die Memoiren in entschiedenem Vorteile vor den Tagebüchern des Verfassers, deren oft sybillinische Kürze und Abgerissenheit vielfach erst durch die Memoiren eine authentische Interpretation erhält …; Die Memoiren lassen den König vieles sagen, was er an Ort und Stelle nicht gesagt hat, kaum etwas, was er nicht hätte sagen können, was in seinem Munde unmöglich gewesen wäre«. Nach diesem Zugeständnis des Führers der Fridericologen wäre ich wohl berechtigt gewesen, die »Memoiren« ungekürzt zu benutzen.

Trotzdem habe ich es nicht getan. Wie jeder, der weniger oberflächlich als die Herren Volz, Meißner, Hartung zu lesen versteht, sich überzeugen kann (III, 71; IV, 84), habe ich von den »Memoiren« nur die »kritisch festgestellte Auswahl« benutzt, die der Fridericologe Fritz Bischoff 1885 für »den weiteren Leserkreis« d. h. also in usum Delphini veröffentlichte. Nur »Historiker« können das alles übersehen.

Gegen das von mir benutzte Zeugnis Lucchesinis wagt selbst Herrn Volzens eifernde Kritik nichts einzuwenden, obgleich doch Herr Volz gerade die Forderung meines Buches nach einer Veröffentlichung des Originaltextes neulich erfüllt hat und Lucchesinis Buch also vielleicht kennt. Ich fordere die Herren Volz oder Hartung auf, mir doch eine Probe der »bekannten Schmähliteratur« nachzuweisen, die ich »eifrig benutzt« haben soll. Da aber die Behauptungen der Herren Volz und Hartung, ich hätte nicht nur die »bekannte Schmähliteratur eifrig benutzt«, sondern ich hätte sie sogar ausschließlich benutzt, mehr als schwindelhaft, nämlich auch unverschämt sind, will ich dem Leser einiges mitteilen, was ihn, wenn er kein »Historiker« ist, überraschen wird. Das Wort »bekannte Schmähliteratur« enthält von vornherein und ganz unter der Hand einen dreisten Irreführungsversuch: es gibt nämlich gar keine »bekannte Schmähliteratur gegen Friedrich den Großen«. Wenn der diesen Ausdruck prägende Professor nicht ebenso unaufrichtig wäre, wie er oberflächlich ist, dann hätte er höchstens folgendes behaupten – wenn auch keineswegs beweisen! – können: »Hegemann benutzte die von uns ängstlich und mit Erfolg geheimgehaltenen Dokumente, die wir Schmähliteratur nennen, weil sie Ungünstiges über unseren Abgott Friedrich enthalten.« Ich behaupte dagegen:

  1. daß diese sogenannte »Schmähliteratur« nicht »bekannt« ist;
  2. daß es geradezu ein Verdienst wäre, wenn sich einmal jemand die Mühe nähme, diese Literatur »bekannt« zu machen und nachzuweisen, wie viel davon gar nicht »Schmähliteratur«, sondern zuverlässiges, aber für Friedrich II. schwer belastendes Material darstellt;
  3. daß ich diese sogenannte »Schmähliteratur« nirgends benutzt habe;
  4. daß ich weit entfernt, den »großen« König schmähen zu wollen, ihn im Gegenteil gegen die »bekannten Schmähungen« in Schutz genommen habe;
  5. daß die »bekannten Schmähungen« Friedrichs II. (zum Beispiel der Nachweis seiner sodomitischen und homosexuellen Anwandlungen) sich auf Dokumente stützen lassen, die auch die Verteidiger Friedrichs II. nicht »Schmähliteratur« nennen.

Hier nur einige Worte zur Erklärung meiner fünffachen Behauptung. Gewiß erwähnte ich in meinem Buche auch Äußerungen der Geschwister Friedrichs II., und ich weiß, daß fast jedes Mitglied der Familie Friedrichs II. von seinen »Historikern« unter die »Schmähliteraten« gerechnet wird. Aber es gehört der Scharfsinn professorialer »Historiker « dazu, nicht zu bemerken, daß ich die Bedenken gegen die Glaubhaftigkeit dieser Zeugen ausdrücklich erwähnte und daß ich diese Zeugen nur dann zu Worte kommen ließ, wenn bekannte Friedrichverehrer mich dazu zwingen (zum Beispiel III, 188 f.; IV, 303 f., wo Wilhelmine von Carlyle zitiert wird; III, 238; IV, 378, wo Prinz Heinrich von Delbrück zitiert wird; III, 37; IV, 50, wo Prinz Heinrich durch den Mund der Kaiserin Katharina aus den »Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte« zitiert wird). Selbst »Historiker« müßten begreifen, daß zum Beispiel das Urteil des von ihnen als »Schmähliteraten« abgelehnten Prinzen Heinrich selbst in ihrem engen Kreis wieder etwas Gewicht gewinnen muß, wenn Delbrück oder Katharina, die Großen, dieses Urteil für zutreffend halten. Statt das zu begreifen, wirft mir zum Beispiel der Herr »Historiker« Volz ausdrücklich vor: »Sorgfältig werden gehässige Äußerungen des Prinzen Heinrich registriert«. Im Gegenteil vermied ich »sorgfältig« selbst so treffende Äußerungen wie zum Beispiel folgendes Wort des Prinzen: »Ich habe kein Vertrauen in die Nachrichten, die er (Friedrich II.) gibt, sie sind immer widerspruchsvoll und unsicher wie sein Charakter. Er hat uns in diesen grausamen Krieg gestürzt …; Seitdem er zu meinem Truppenteil gekommen ist, hat er ihn in Unordnung und Unglück gebracht« ( Oeuvres XXVI, 203). Ich zweifle nicht, daß hier Prinz Heinrich richtig urteilte. Ebenso überzeugend scheint mir der Bericht des Prinzen Heinrich über Friedrichs II. Flucht aus der Schlacht von Lobositz, wo es sich um eine genaue Wiederholung von Friedrichs Flucht aus der Schlacht von Mollwitz handelt, nur daß Friedrich 1741 fast allein floh, während er 1756 gewitzigter war und starke Bedeckung mitnahm. Prinz Heinrichs Bericht ist bestätigt durch die Aufzeichnungen des Prinzen August Wilhelm (vgl. »Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte«, IV, 228 ff.) und den Bericht des Junkers von Lemcke, wie er sich abgedruckt findet in den »Urkundlichen Beiträgen und Forschungen zur Geschichte des preußischen Heeres, herausgegeben vom Großen Generalstab« (4. Heft, Berlin 1902). Dort heißt es: »Der König befahl dem Herzog von Bevern, noch einmal sein Bestes zu versuchen, um alsdann zu retoriren. Der König selbst nahm ein Bataillon und ging damit zurück.« In Abwesenheit des Königs konnte dann der Sieg erfochten werden; der Bericht geht weiter: »Dem Könige wurde sogleich durch einen Major der Sieg benachrichtigt, welcher sogleich wieder umkehrte.«

(Wie man derartige Dinge berichten muß, um den herzlichen Beifall von Herren wie Hartung, Meißner, Volz zu finden, zeige folgende echt preußische Stilblüte aus »Friedrich der Große« von Generalmajor C. von Zepelin und Professor, Hauptmann L. von Scharfenort, Vorstand der Bibliothek der Kgl. Preuß. Kriegsakademie! [Berlin, 1912.] Da heißt es [S. 118]: »Der König setzte sich schonungslos, im Reiterkampf vom Gewühl mit fortgerissen, so sehr der Gefahr aus, in Gefangenschaft zu geraten, daß, als die Schlacht eine ungünstige Wendung anzunehmen schien, er den Bitten Schwerins und seiner Adjutanten nachgab und mit wenigen Begleitern das Schlachtfeld in der Richtung auf Löwen verließ.« So schonungslos, daß er verließ. Wer hämisch veranlagt ist, vergleiche die Schilderung des königlichen Löwenmutes und »Nachahmung der Griechen« in der Autobiographie des Generalquartiermeisters Grafen v. Schmettau [herausgegeben 1806 von seinem Sohn]. Da sie von den Friedrichverehrern zur »Schmähliteratur« gerechnet wird, habe ich mich gehütet, sie zu benutzen.)

Der Bericht des Prinzen August Wilhelm, der dem Könige 1756 von der Flucht abriet, wird von den Friedrichbewunderern m. E. zu Unrecht in Zweifel gezogen. Wenn man auf irgendein Mitglied der merkwürdigen, jenseits von Gut und Böse stehenden Fürstengruppe, wie sie die Hohenzollern des achtzehnten Jahrhunderts darstellen, die bürgerliche Bezeichnung »anständig« anwenden dürfte, dann ist sicher August Wilhelm eher »anständig« zu nennen als der »trompeur et demi«, der den Antimachiavel verfaßte.

Ich kenne viele ähnlich ungünstige Berichte über Friedrich II., die ich in meinem Buche »sorgfältig« vermied, wenn sie nicht von einem im übrigen als Lobredner Friedrichs II. bekannten Manne oder von einem Beurteiler stammen, den entweder Friedrichs Lobredner zuverlässig nennen, oder den sie wie Katharina, Malmesbury, Voltaire, Lessing, Klopstock, Goethe, Schiller, Arndt, Bismarck und viele andere nicht mit ihrer dreisten, »bloß wegwerfenden Geste beseitigen« können, wie sie es mit den Geschwistern Friedrichs II. versuchen.

So habe ich z. B. die Tagebücher des Grafen Lehndorff in den früheren Auflagen »sorgfältig« nur da erwähnt, wo sie nichts Ungünstiges über Friedrich II. aussagen. Wenn ich in der vorliegenden vierten Auflage auch andere Stellen verwendete, so geschah das nur, nachdem mein Kritiker Professor Helmolt selbst, in seinem neuen Buche über Friedrich II., diese Stellen für glaubwürdig erklärt hat.

Herr Volz behauptet, ich hätte Dampmartins »Klatsch« (über Friedrichs Bemühungen um verbesserte Zuchtwahl) erwähnt. Auch das ist eine Irreführung seiner Leser. Denn das Verdammungsurteil »Klatsch« fällte gerade mein eigener Gewährsmann Manfred über Dampmartins Mitteilung (III, 37; IV, 50). Das Beachtenswerte, das sich dabei ergab, hat Herr Volz wohl nicht verstanden? Manfred sagte: »Da sich Friedrich II. nachweislich und wiederholt mit derartigem Klatsch beschäftigt hat, gewinnt sogar Dampmartins Bericht etwas Glaubwürdigkeit.« Den erwähnten Nachweis brachte Manfred aus Lucchesinis Tagebüchern, und da Herr Volz den Marquis Lucchesini als Zeugen gelten läßt, wird es ihm schwerfallen, sich dem Zwange der Schlußfolgerung Manfreds zu entziehen. Wenn Volz statt des Wunsches, die Wahrheit zu verschleiern, Sachkenntnis besäße, hätte er Manfred aber folgenden Fehler nachweisen können: Statt Dampmartin hätte Manfred Lehndorffs Tagebücher als viel ältere und zuverlässigere Quelle nennen sollen, weil dort der Zuchtwahl-»Klatsch« viel glaubhaftere Formen annimmt (Schmidt-Lötzens Ausgabe von 1907, S. 488). Der Frage der Zuchtwahl haben Plato und Darwin die allerhöchste Bedeutung zuerkannt. Die hier erörterte Frage, ob nämlich die Berichte über Friedrichs Menschenzüchtungsversuche ernst zu nehmen sind, und ob die erste Gemahlin König Friedrich Wilhelms II. zu Recht oder Unrecht behauptete: »der König (Friedrich II.) habe gewünscht, sie solle durch Edelsheim Nachkommenschaft erzielen«, wird – angeregt durch Herrn Volz – vielleicht einmal einen so »eifrigen Benutzer der bekannten Schmähliteratur« wie die Leser der »Deutschen Literaturzeitung« ihn zu brauchen scheinen, zu überraschenderen Untersuchungen veranlassen, als sie von mir angestrebt wurden. Wenn die Herren Volz und Hartung den Mund gehalten hätten, dann wäre ich, der alle »Schmähliteratur« in meinem Buche vermied, nicht einmal gezwungen worden, darauf hinzuweisen, daß die Kunde von Friedrichs Bemühungen, die Begattung zu beeinflussen und dabei auch Tiere mit Menschen zu kreuzen, sich durchaus nicht nur auf »die bekannten Schmähliteraten« zu stützen braucht, von denen Retif de la Bretonne berichtet, der König habe besonderen Erfolg mit Schweinen gehabt (vgl. Preuß I, 367). Nein, der zuverlässige de Catt berichtet Friedrichs Äußerung vom 21. Juli 1759 (»Tagebücher« von mir nicht benutzt?!). »Er wollte einen Menschen mit einem Affen kreuzen …; das gäbe eine Art ganz vergeistigter Wesen, gute Kanzler, Staatsminister, Sekretäre.« Vielleicht sogar Professoren? Auch schrieb Friedrich am 8. August 1739 aus Ostpreußen an Jordan: »Ich bin an der Spitze fast aller Eheangelegenheiten des Landes. Sie wissen, daß ich bisher die Vaterschaftsbescheinigungen unterzeichnet habe; ich bin jetzt bereit, ins Gestüt zu gehen, wo alles gratis Nachkommen zeugen wird; so werde ich für die Vermehrung der Geschöpfe unserer Staaten, Menschen wie Tiere sorgen. Wenn Sie hier wären, gäbe ich Ihnen die Wahl zwischen dem hübschesten litauischen Mädchen und der schönsten Stute des Gestütes.« Man sage nicht, diese friderizianische Weisheit habe keine Nachfolge gefunden oder sei gar nur als Scherz zu verstehen. In seinem »geheimen« Testamente von 1768, das die meisten Leser noch hochernst nehmen, schrieb Friedrich II. über dieselben Ostpreußen: »Das Volk ist nicht schlecht. Das Schlimmste, was verübt wird, ist das Abtreiben der Leibesfrucht durch die Mädchen, und das Liebkosen der Kühe durch die jungen Leute.« Bei der Beurteilung der sodomitischen Anwandlungen Friedrichs II. darf man übrigens nicht vergessen, daß sich »Monsieur«, der Gemahl der Liselotte (da es ihm sein Bruder, Ludwig XIV., nicht gestattete sich anderweitig auszuzeichnen) als Sodomit die staunende Aufmerksamkeit seiner Zeitgenossen erwarb. Bei Friedrichs II. früh nach Paris »lauschendem« Beifallsbedürfnis ist es fast selbstverständlich, daß er auch diese vornehme Möglichkeit versuchte, sein »Verlangen nach Ruhm« zu befriedigen. Er fand nach der Thronbesteigung auffallendere und blutigere Mittel.

Es ist eine sehr lächerliche Behauptung der Professoren Hartung-Meißner-Volz, daß man »die bekannte Schmähliteratur gegen Friedrich den Großen benützen« müsse, um über diesen merkwürdigen Fürsten abenteuerliche Tatsachen in Hülle und Fülle veröffentlichen zu können. Es ist auch nur eine plumpe Irreführung der öffentlichen Meinung, wenn der »Schmähliterat« Voltaire als die einzige Quelle für das Bekanntwerden der homosexuellen Neigungen Friedrichs II. bezeichnet wird. Der preußische Historiograph Preuß (I, 363-65) sagt von Baron Diebitschs »Spezieller Zeiteinteilung Friedrichs II,« (vgl. III, 309 ff.; IV, 459 ff.), »daß sie unverkennbar das Gepräge des treuen Berichterstatters an sich trägt«. Baron Diebitsch berichtet darin ganz ähnlich wie Voltaire über Friedrichs homosexuelle Spielereien. Nachdem Preuß das Urteil Voltaires als befangen abgelehnt hat, fährt er fort: »Ungern dagegen nennen wir in diesem Zusammenhange zwei andere Männer«, nämlich den Prediger Formey, Sekretär der Akademie, und den Geographen Oberkonsistorialrat Büsching, die beide von der Homosexualität Friedrichs sprechen. Über Büsching sagt Preuß: »Er spricht mit der zuversichtlichsten Bestimmtheit. In Unwillen kann er eigentlich nicht gegen Friedrich schreiben; denn der König ist ihm, wie dem Prediger Formey, stets besonders gnädig begegnet.« Ich selbst habe die meisten dieser Dinge in meinem Buche völlig unerwähnt gelassen. Manfred hat sie sogar ausdrücklich als belanglos erklärt. Manfred sah in der Homosexualität eine Mode des achtzehnten Jahrhunderts, die der »beifallsbedürftige« Friedrich II. genau so mitmachen mußte wie die damals modische »Metromanie« und das zynische Philosophieren, ohne aber wirkliche Begabung und Kraft dafür zu haben. Damit zeigte Manfred den Friedrichbewunderern den einzigen Weg, auf dem sie um die ihnen unbequemen Tatsachen herumkommen können. (Denselben Weg beschritt mit großem Erfolge Bruno Frank in seinem Buche »Tage des Königs«.) Zum Dank wird Manfred – oder ich! – von den Fridericologen unter die »Schmähliteraten« eingereiht.

 

Friedrich II. »rettet« das Elsaß und »hütet die deutschen Grenzen«

Herr Hartung kann sich als wohlbestallter Professor nicht vorstellen, wie ein Mann eine Meinung vertreten mag, ohne dafür bezahlt zu sein. In seiner Kritik meines Buches scheut er sich nicht, bei dem von mir angeführten deutschen Patrioten Jacob Stählin, von dem er nichts weiß, als daß er eine deutsch-patriotische Ansicht geäußert hat, unverzüglich von »bestellter Arbeit« zu sprechen. Selbst Hartungs Kollege Professor Karl Stählin sah sich, wohl als Verwandter des Beleidigten, genötigt, in der Historischen Zeitschrift (Bd. 135, H. 1) gegen Hartungs »allzu voreiligen Schluß« Einspruch zu erheben. Gegen weitere »allzu voreilige Schlüsse« Herrn Hartungs muß ich mich selbst wenden. Er wirft mir vor: »Bei der Erwähnung der für die Nachbarn Preußens gewiß unbequemen Wirtschaftspolitik Friedrichs fehlt natürlich jeder Hinweis darauf, daß alle großen Staaten der damaligen Zeit, vor allem auch Österreich, eine merkantilistische Schutzpolitik trieben.« Daraus, »daß alle großen Staaten« eine solche Politik trieben, schließt der voreilige Professor also, daß ein kleiner Staat wie Preußen sie ungestraft auch treiben durfte und daß dann der König, der sie trieb, »groß« sei. Höchst einfach! Friedrich, der nicht ganz so einfach veranlagt war wie Herr Hartung, erklärte: »Wir äffen die Großmächte nach, ohne eine zu sein« (vgl. III, 90; IV, 142). »Einfach«-heit ist ein Vorwurf, den Herr Hartung mir macht. Er verlangt auch von mir, ich solle »die habsburgische Politik des 17. und 18. Jahrhunderts mit dem gleichen Maßstab messen wie die preußische«. Man braucht den von Friedrich II. gewählten Affenvergleich nur zu verfolgen, um Herrn Hartungs Hirnlosigkeit bedauern zu müssen; der Affe, der das Feuermachen seines Herrn nachäfft und dabei das Haus in Brand steckt, soll also »mit dem gleichen Maßstab gemessen« werden wie der Herr des Hauses, der mit aller Kraft für die Rettung des Hauses kämpft? Aber nein! es war ja nicht Maria Theresia, die das Elsaß »rettete«, sondern Friedrich II. (oder der »große« Kurfürst?) »rettete« es, wie er sich selbst rühmte – für die Franzosen! Nur wenn »das größte Unglück für Frankreich, das Aussterben der königlichen Familie eintritt; dann wird niemand Österreich verhindern können, Elsaß-Lothringen zurückzuerobern«, niemand, nicht einmal der König von Preußen; so klagte Friedrich II. in seinem Testament von 1752, weil er Herrn Hartungs »historische Rheinpolitik« noch nicht kannte. Herr Hartung schreibt nämlich: »Die historische Rheinpolitik der Franzosen kennt Hegemann so wenig, daß er behauptet, wenn Friedrich nicht 1743 die rechtzeitige Rückeroberung von Elsaß-Lothringen verhindert hätte, dann wäre diese alte deutsche Provinz heute wieder 170 Jahre lang deutsch.« Woraus wohl ein weniger »voreiliger« Leser schließen muß, daß Herr Hartung die historische Politik Ludwigs XV. oder Ludwigs XVI. sehr genau kennt und daß er überzeugt ist, einer dieser Könige würde Elsaß ohne die Hilfe Friedrichs II. oder gar gegen den gemeinsamen Widerstand von Österreich und Preußen zurückerobert haben. Friedrich II. war genau entgegengesetzter Ansicht (III, 116, 282 f.; IV, 149, 433). Oder glaubt Herr Hartung, daß das besiegte Frankreich auf dem Wiener Kongreß einen Anspruch auf ein erst von Napoleon besetztes deutsches Elsaß-Lothringen gegen Österreich und Preußen hätte durchsetzen können?

Da Herrn Hartungs Besprechung meines Buches nur dreieinhalb Spalten lang ist, ist es ihm nicht möglich geworden, so viele Torheiten wie sein Kollege Volz auf seiner mehr als sieben Seiten langen Besprechung auszupacken. Während Hartung für sich die »ernsthafte und die wissenschaftliche Kritik« in Anspruch nahm, bescheidet Herr Volz sich mit der »sachlichen Kritik«. Friedrichs Kriegserklärung zur »Rettung des Elsaß« für die Franzosen versucht Volz folgendermaßen zu rechtfertigen: »Verbündete Friedrich sich 1744 mit Frankreich, um den im Elsaß vorgedrungenen Österreichern in den Rücken zu fallen, – geschah es nicht, nachdem Maria Theresia bereits 1743 das Wormser Bündnis geschlossen hatte, das seine schlesische Eroberung bedrohte?« Herr Volz hält also beinahe genau, wie Friedrich II. selbst es tat: »Elsaß-Lothringen und Schlesien für zwei Schwestern, von denen Frankreich die ältere und Preußen die jüngere geheiratet hat«. Daraus folgert Herr Volz einfachst, daß Preußens Anspruch auf Schlesien berechtigt und nötig war und daß Österreichs erfolgreiche Rückeroberung des Elsaß von Preußen hintertrieben werden mußte? Die Früchte dieser friderizianisch-volzschen Weisheit genießen wir heute. Besonders höhnisch glaubt Herr Volz von dem sprechen zu dürfen, was ich über Preußens »angebliches deutsches Grenzwächteramt« sagte. Herr Volz schreibt: »Diese herrliche Erfindung seines eigenen Geistes, dieses angebliche deutsche Grenzwächteramt, bezeichnet Hegemann als wichtigste Behauptung der preußischen Legende!« Statt dessen habe ich »dieses angebliche deutsche Grenzwächteramt eine wichtige Behauptung der preußischen Legende« (III, 233; IV, 367) genannt und führte das Zeugnis Delbrücks an (III, 510), der Rankes irrige Auffassung des friderizianischen Wirkens folgendermaßen kennzeichnet: »Friedrich empfindet bereits die Identität des preußischen und des deutschen Interesses: Um die deutschen Grenzen zugleich mit den seinen zu hüten, nimmt er die Position, die ihm endlich die Feindschaft der großen Kontinentalmächte zuzieht.« Muß ich jetzt Herrn Ranke verklagen, weil er mir »diese herrliche Erfindung meines eigenen Geistes, dieses angebliche Grenzwächteramt« gestohlen hat? Da es, nach Herrn Volz zu urteilen, auch nur Zufall war, daß eines der Eingangskapitel von Kosers »Friedrich der Große« die Überschrift trägt »Zur Memel und zur Maas« (oder muß ich Herrn Volz darauf aufmerksam machen, daß unsere Nationalhymne ähnliche Töne anzustimmen wagt?), kann Herr Volz mit gutem Gewissen verteidigen, daß »Friedrich in dem von Hegemann geschmähten Friedensentwurf von 1759 den Austausch seiner östlichen und westlichen Grenzlande erwog, um das preußische Staatsgebiet zu ›konsolidieren‹«. Im »Testament« von 1768 schildert Friedrich II., wie er die Festungen seiner westlichen Provinzen rasiert, um sich im Kriegsfalle schneller zurückziehen zu können. Da Herr Volz versichert, daß Preußens deutsches Grenzwächteramt nur eine Erfindung Hegemanns sei, muß dieser Hegemann künftig also noch nachdrücklicher als bisher darauf hinweisen, daß das deutsche Grenzwächteramt, das heißt der Kampf gegen Türken, Russen und Franzosen nicht von Preußen, sondern nur von demselben Österreich geleistet werden konnte, das 1743 zum Entsetzen Friedrichs II. Elsaß zurückeroberte und das, wie Bismarck betonte, »eine alte deutsche Macht« war, »die oft und glorreich das deutsche Schwert geführt hat«, bis vor allem der Hochverrat des »Großen« Kurfürsten und die von Friedrich II. entfachten Bürgerkriege diese »alte deutsche Macht« und damit das seit 1648 wieder aufstrebende Reich schwächten und schließlich vernichteten.

 

Bismarck als Herrn Volzens Einfaltspinsel

Bismarck wird von Herrn Volz greulich zugerichtet. Herr Volz schreibt: »Alle Angriffe, die Hegemann (wegen Friedrichs ›Vasallentum gegenüber Frankreich‹) gegen Friedrich richtet, sind ebenso töricht wie die Behauptung, er habe durch die Injurien gegen die Zarin Elisabeth und die Pompadour sich die Kaunitzsche Koalition auf den Hals gezogen.« Dieser Vorwurf der »Torheit« trifft leider nicht mich, sondern den armen Bismarck, von dem ich in dem von Herrn Volz getadelten Zusammenhang das Wort zitiere: »Wir leben nicht mehr in der Zeit, wo verletzende Witze Friedrichs des Großen die Kaiserin Elisabeth und die Frau von Pompadour, also damals Frankreich, zu Gegnern Preußens machten.« Oder weiß Herr Volz noch nicht, daß Elisabeth und Pompadour unentbehrliche Glieder der Kaunitzschen Koalition waren? Aber Bismarck ist in den Augen des Herrn Volz nicht nur »töricht«, sondern ein unfaßlicher Einfaltspinsel. Herr Volz hat nämlich entdeckt, daß das Ungünstige in der Kritik Friedrichs, die Bismarck nach einem fünfundsiebzigjährigen Leben in seinen »Gedanken und Erinnerungen« niederlegte, im wesentlichen als Folge einer Art von Druckfehler anzusehen ist. Herr Volz erklärt: »Friedrichs Umdichtung der Rousseauschen Ode ist mit der falschen Überschrift Corrigé la veille de la bataille de Zorndorf in die Ausgabe der Oeuvres de Frédéric le Grand aufgenommen worden. Daher stammt der Vorwurf des Beifallsbedürfnisses, den Bismarck, diesem Irrtum zum Opfer fallend, in seinen ›Gedanken und Erinnerungen‹, Bd. II, S. 288; Bd. III, S. 124, gegen den König erhebt.« Mit andern Worten: Herr Volz glaubt, Bismarck urteile und zitiere so »voreilig« und oberflächlich wie ein preußischer »Historiker«. In seiner voreiligen Oberflächlichkeit schrieb Bismarck: »Friedrich der Große war nicht frei von Eitelkeit. Sein erster Tatendrang entsprang dem Verlangen nach historischem Ruhm, ob diese Triebfeder gegen das Ende seiner Regierung, wie man sagt, degenerierte, ob er dem Wunsche innerlich Gehör gab, daß die Nachwelt den Unterschied zwischen seiner und der folgenden Regierung merken möge, lasse ich unerörtert. Eine dichterische Ergießung datierte er von dem Tage vor einer Schlacht und teilte sie brieflich mit der Unterschrift mit: Pas trop mal à la veille d'une bataille. Eine Eitelkeit der Art war dem Kaiser Wilhelm I. durchaus fremd«. Im dritten Bande seiner »Gedanken« (S. 123 ff.) kommt Bismarck auf dieses ihm besonders wichtige (weil besonders widerliche) Thema mit folgenden Worten zurück: »Im Gegensatz gegen seinen Vater hatte Friedrich II. …; ein Beifallsbedürfnis, das sich früh im Kleinen verriet. In seinem Briefwechsel mit dem Grafen Seckendorff sucht er diesem alten Sünder durch Exzesse auf dem geschlechtlichen Gebiet und daraus folgenden Krankheiten zu imponieren, und seinen Aufbruch nach Schlesien gleich nach dem Regierungsantritt bezeichnet er selbst als das Ergebnis seines Verlangens nach Ruhm. Er versandte Gedichte aus dem Felde mit der Unterschrift: › Pas trop mal pour la veille d'une grande bataille‹.« Im weiteren Verlauf dieser Ausführungen setzt Bismarck bei Friedrich II. das »Groß« in Anführungszeichen und fährt fort: »Die Eitelkeit an sich ist eine Hypothek, welche von der Leistungsfähigkeit des Mannes, auf dem sie lastet, in Abzug gebracht werden muß, um den Reinertrag darzustellen, der als brauchbares Ergebnis seiner Begabung übrigbleibt. Bei Friedrich II. waren Geist und Mut so groß, daß sie durch keine Selbstüberschätzung entwertet werden konnten und daß man Übertreibungen seines Selbstvertrauens wie bei Kolin und Kunersdorf, bei der Vergewaltigung des Kammergerichts in dem Arnoldschen Prozesse und bei der Mißhandlung Trencks ohne Schaden für das Gesamturteil in den Kauf nimmt.« (Man mag nebenbei fragen, warum »Geist und Mut«, die Bismarck bei Friedrich II. gelten lassen will, gerade die Tugenden sind, die nach dem Urteile Berenhorsts, der ein Zeitgenosse und genauer Kenner Friedrichs II. war, von diesem Könige nicht gepflegt wurden. Berenhorst, den Hans Delbrück und Major C. von der Goltz einmütig als hervorragenden militärischen Kritiker rühmen – vgl. oben S. 601–603 – schrieb: »Ich vermag nicht zu entscheiden …; ob königliche Fahrlässigkeit und Geringschätzung daran schuld waren; aber es leuchtet hervor, daß Mut und Geist, der innere Wert ohne gesunde Pflege blieben, denn Schauspielerstücklein und Flitterfedern können wir nicht in Anschlag bringen. Er [Friedrich II.] untergrub vielmehr durch widerwärtige oder fremdartige Sitten eine Volksbeschaffenheit, welche besser auszubilden sein Jahrhundert ihn aufforderte.« Das nur nebenbei.)

Man mag fragen, welche Art von Mut und Geist es eigentlich war, die Bismarck bei Friedrich II. gelten lassen wollte, wenn sie im dritten Kapitel der »Gedanken« Bismarck schreibt: »Die alte preußische Einfachheit, die Friedrich der Große seinem Vertreter in London mit der Redensart empfahl: »Sage Er, wenn er zu Fuß geht, daß 100 000 Mann hinter ihm gehn«, bezeugt eine Renommage,die man dem geistreichen Könige nur in einer der Anwandlungen von übertriebener Sparsamkeit zutraun kann.«]] mit »Redensarten«, » Renommage« und »übertriebener«, das heißt also urteilsloser Sparsamkeit vereinbar gedacht werden. Ja, man mag fragen, wie Bismarck im achten Kapitel von dem angeblich mut- und geistreichen Könige folgendermaßen sprechen konnte: »Etwas Elenderes als die Politik Preußens von 1778 bis zur französischen Revolution hat es nie gegeben; ich erinnere an die Subsidien, die Friedrich II. an Rußland zahlte, die einem Tribut gleichkamen, an den Haß gegen England.« (Vgl. S. 200.)

So also hat für Bismarck der schließliche Triumph des friderizianischen Preußens ausgesehen? Mit dem größten Heere der Welt war es dem gegen den deutschen Kaiser rebellierenden »großen« Könige geglückt, sein Preußen zum tributpflichtigen Vasallenstaate Rußlands zu machen. Dazu hatte das furchtbare zehnjährige Blutvergießen gedient! Dazu lohnte es sich, »das sklavischste Land Europas« und das geprügeltste zu sein?

»Etwas Elenderes hat es nicht gegeben«! mit diesem verheerenden Urteile fegt Bismarck auch die kritiklose Bewunderung beiseite, die Berliner Professoren vom Range der Ranke und Meißner Als diese Seiten bereits in die Presse gingen, hörte ich, daß Herr Carl Meißner noch gar nicht Berliner Professor ist. Da aber nach den Leistungen der Herren Hartung und Volz das wahllose Vorbringen von Torheiten den Anwärtern und Trägern dieses Titels nicht schadet, im Gegenteil, vielleicht geradezu einen Anspruch auf diesen Titel gewährt, wird Herr Meißner ihm kaum entgehen können. Nur dieser Titel kann ihn vor dem Verdacht der Sachkenntnis schützen.]] für Friedrichs des »Großen« »deutschen« Fürstenbund empfinden, der uns als Prophetie der Bismarckschen Reichsgründung aufgeschwatzt werden soll, obgleich Bismarck am 22. Juli 1854 schrieb: »Wir müssen einen Fürstenbund schließen, ganz anders und fester als der von Friedrich II. war.«

Aber gleichviel, ob Bismarck in der Frage von Friedrichs II. »Mut und Geist« recht hat, sicher hat Herr Volz unrecht, wenn er sich oder seinen Lesern vortäuscht, Bismarck habe sozusagen nur infolge eines Druckfehlers Anlaß zur Kritik an Friedrich II. gefunden. Selbst wenn Bismarcks ungünstige Urteile über Friedrich II. nicht zahlreich genug wären, dann bliebe noch Herrn Volzens echt professorenhafte Annahme lächerlich, Bismarck habe (ähnlich wie etwa Herr Volz »wichtig« in »wichtigst« verdreht) das Corrigé la veille de la bataille verdreht in Pas trop mal pour la veille d'une grande bataille. Dieser Einfall kann nur einem »Historiker« kommen, der weder Friedrich II. noch Bismarck kennt. Gerade wenn Bismarcks zweimalige Behauptung, Friedrich habe Briefe mit » Pas trop mal pour la veille d' une bataille« unterschrieben, nicht im wörtlichen Sinne stimmen sollte (was nachzusuchen des Herrn Friedrich-»Spezialisten« Volz Geschäft ist) gerade dann zeugte sie von wirklich geistreicher literarischer Einsicht, wie sie Bismarck ja auch an andern Stellen bewiesen hat. Es trifft sich nämlich, daß nicht nur ein Brief aus dem Felde von Friedrich II., etwa in einer einmaligen, zufälligen Laune, mit Pas trop mal etc. unterschrieben wurde, sondern daß beinahe alle Briefe, die Friedrich II. an Jordan oder im Tone seiner Jordanbriefe an andere geschrieben hat, in dieser von Bismarck mißbilligten eiteln Laune verfaßt sind. Die Behauptung Herrn Volzens, Bismarck sei bei seiner wichtigen Feststellung der Eitelkeit Friedrichs II. einem »Irrtum zum Opfer gefallen«, verdient so sehr zurückgewiesen zu werden, daß ich einige Proben, die mir zufälligerweise in Erinnerung sind, geben möchte, weil sie Bismarck glänzend rechtfertigen und Herrn Volz so albern wie üblich erscheinen lassen. Am 17. Juli 1736 bereits schrieb Kronprinz Friedrich an Manteuffel: »Ach, daß ich Ihnen aus einem Friedenslager schreiben muß und daß ich niemals meine Briefe von einem Schlachtfelde datieren kann!« Als ihm dann endlich sein eiteler Wunsch, Briefe an seine Freunde »von einem Schlachtfelde datieren zu können«, in Erfüllung gegangen war, machte er von dieser Möglichkeit besonders dann gern Gebrauch, wenn er seinen Briefen reichlich das beigeben konnte, was Bismarck »dichterische Ergießungen« nannte. Um sich davon zu überzeugen, braucht man sich nicht auf die Aufzeichnungen zu verlassen, die Kaiserin Katharina auf Grund der mündlichen Mitteilungen des Prinzen Heinrich hinterlassen hat (vergl. oben III, 37 f.; IV, 50 f.), sondern man braucht nur Friedrichs Briefe an Jordan, Voltaire, d'Argens und andere durchzublättern, um am Schlusse der langen Gedichte Friedrichs II. immer denselben Refrain zu finden: »Wir sind am Vorabende ( à la veille) von großen Ereignissen« (2. IV. 1742). »Meine Verse wären vielleicht besser, wenn sie in einer ruhigeren Zeit geboren wären« (22. X. 1762); oder »Wir liegen dicht vor dem Feinde. (Der feindliche General) Neuperg wagt nicht vor uns zu …;, ohne zu fürchten, daß wir ihn hören; die Schlacht ist also wahrscheinlicher als je« (15. IX. 1741), oder »Ich kann heute keine Verse machen, denn wir marschieren …;« dann folgen lange »dichterische Ergießungen« und der übliche Refrain: »Hier sind Verse, die mir, ich weiß nicht wie, in die Feder gekommen sind und die Ihnen, glaube ich, schlecht vorkommen werden« (8. IV. 1742). Hunderte derartige Beispiele ließen sich geben, denn Friedrich wurde geschüttelt von der Leidenschaft des Provinzbewohners für die bis zu ihm durchgesickerte Pariser Tagesmode, die er selbst die »Metromanie« nannte« was Bismarck treffend mit »Eitelkeit« übersetzt hat. Bismarck verstand darunter Friedrichs Wunsch zu dichten und hinzufügen zu können: »Wir stehen dicht vor einer Schlacht, bei der es sich um die Interessen von ganz Europa handelt …;« (an Algarotti 20. III. 1742). Es folgt die »dichterische Ergießung«, die mit den Versen schließt: »Alle Welt erwartet von unseren Armeen ihren Ruhm oder ihr Verderben« und dann folgt in Prosa der übliche Refrain: »In einer Krisis von einer solchen Bedeutung werden Sie mir hoffentlich einige Nachlässigkeiten in meinen Versen verzeihen«. Ich bin bereit, beliebig viel Beispiele dieser Art beizubringen, um dadurch zu beweisen, daß Bismarck nicht der Einfaltspinsel war, den Herr Volz als würdiger Vertreter des »geistigen Leibregiments« und der Un-»Wissenschaft« aus ihm machen möchte. Die von mir gegebenen Beispiele mögen aber auch andeuten, wie falsch eine andere Behauptung des Herrn Volz ist, der mir entgegenhält, Friedrich II. habe sich nicht »in den Tagen vor und während des Überfalls bei Maxen mit Dichten beschäftigt …; Tatsächlich geschah das erst, wie de Catts Tagebuch erzählt, nach eingetretener Katastrophe, als Friedrich seine Gedanken abzulenken versuchte.« Wenn Herr Volz sich entfernt so gut wie Bismarck auf Friedrichs Eitelkeit verstünde, wüßte er, daß dem »großen« Könige das Dichten zu irgendeiner Tages- oder Nachtstunde vor, während oder nach einer Schlacht zu untersagen geradezu Majestätsbeleidigung genannt werden muß. Es gibt keine Schlacht, vor der Friedrich nicht gedichtet hätte; und ganz besonderes Pech hat Herr Volz mit seinem Beispiel von Maxen, indem diese Schlacht vielleicht die einzige ist, bei der sich Friedrich II. selbst über sein Dichten vor der Schlacht nachweisbar geschämt hat. Nicht nur dichtete Friedrich vor seiner von ihm selbst verschuldeten schmählichen Niederlage von Maxen (»Um diesen Schandfleck auszulöschen, sind Jahrhunderte nötig«, rief Friedrich nach der Schlacht; vgl. III, 234; IV, 368), sondern er dichtete sogar ein Siegeslied vor der Schlacht und mußte deswegen nach der Schlacht an d'Argens (22. XI. 1759) schreiben: »Die kleine Hymne an die Fortuna (Epistel vom 15. IX.), die ich Ihnen geschickt habe, war zu voreilig verfertigt; vor dem Siege muß man nicht ›Viktoria‹ rufen«. »Der König schrieb nachher unter dieses Gedicht: ›Sechs Tage vor dem Vorfall bei Maxen‹« (Rödenbeck, I, 398). Das alles dichtete und schrieb der tückische Friedrich II. hinter dem Rücken des Friedrich-»Spezialisten« Volz, der – wie viele andere Opfer friderizianischer Tücke – Beileid verdient.

 

Bismarck über »Mißhandlung Trencks«

Als eine »Fälschung« kann es in der lärmenden Sprache des Herrn Volz auch bezeichnet werden, wenn dieser Herr an Bismarcks Feststellung der »Mißhandlung Trencks« folgende Bemerkung knüpft: »Die auch von Hegemann treulich gebuchte Legende von Trencks Mißhandlung ist durch meine kritische Untersuchung über Trenck und mein Buch ›Friedrich der Große und Trenck‹ widerlegt.« Erstens nämlich habe ich die »Legende« von »Trencks Mißhandlung« nicht treulich gebucht, sondern im Gegenteil berichtet, wie Manfred sie mit einem wegwerfenden Satze ablehnte, indem er von v. Trenck als einem »angeblichen« Liebhaber Amaliens sprach und hinzufügte: »Die Einzelheiten dieses friderizianischen Gefängnisses Trencks sind so widerlich, daß ich es immer als selbstverständlich ansah, es müsse sich hier um böswilligen Hintertreppenschwindel handeln, bis ich vor kurzem entdeckte, daß Bismarck unter den Übertreibungen des Selbstvertrauens, die man dem Geist und Mut Friedrichs II., zugute halten müsse, auch diese Mißhandlung Trencks aufzuzählen für nötig befindet.« Angesichts dieser Worte Manfreds behauptet Herr Volz nicht nur, Manfred habe den von Bismarck erwähnten »Geist und Mut« Friedrichs unterschlagen, sondern auch, er (Herr Volz) habe die von Bismarck erwähnte »Legende« von »Trencks Mißhandlung« widerlegt. Genau das Gegenteil ist der Fall. Mir wenigstens hat erst Herr Volz die vielen langen Briefe bekannt gemacht, in denen Friedrich der »Große« bei seiner unerbittlichen Verfolgung Trencks auch folgendes schrieb:

»Um aber mit diesem haupt malicieusen und gefährlichen Menschen noch bessere mesures als bisher zu nehmen und sich seiner gewiß zu versichern, so wird es das beste sein, daß Ihr dessen prison verändert und solchen nach dem Fort Bergen, wo der Walrave sitzet, in ein besonderes, durch und durch sehr wohlverwahrtes Gefängnis, so ganz abgelegen und wohin keine oder sehr wenige passage ist, bringen lasset, damit er dergestalt aus aller bisherigen, etwaigen connexion komme und diejenigen, so mit ihm briguiret haben, nicht wissen, wo er eigentlich geblieben sei. Allda er dann mit Ketten an Hand und Fuß an eine Mauer fest und wohlverwahret angeschlossen werden soll, daß er gar nicht an das Fenster noch an einige Türen kommen, mithin neue practiques machen könne …;« (29. IV. 1755 an Bonin.)

Am 1. November schrieb Friedrich II. an den Prinzen Ferdinand von Braunschweig: »Weil in Magdeburg verschiedene Staatsgefangene sind, so müssen des Prinzen Liebden darauf halten, daß solche sorgfältig bewahret bleiben, und daß sonderlich der Trenck nicht von der Kette kommet.« Herr Volz hat also bewiesen, daß Friedrich II. den Baron von der Trenck lebenslang »mit Ketten an Hand und Fuß fest an eine Mauer geschlossen« sehen wollte, und auf dem Umschlage des Volzschen Buches sieht man gar den unseligen Trenck sich in seinen Eisen winden; das Bild zeigt Eisen um den Hals, um die Weichen, um die Arme, um die Hände. Die Füße zeigt das Bild nicht. Aber die Eisen, welche man sieht, sind durch Ketten und Quereisen eng verbunden. Dazu versichert Herr Volz behaglich, er habe die »Legende von Trencks Mißhandlung widerlegt«. Da ich nicht einmal einem Menschen, der mich einen Fälscher nennt, Ketten (und gar derartige Ketten!) wünsche, muß ich also den menschenfreundlichen Wunsch aussprechen, daß Herr Volz – »mißhandelt« werden möge? Oder verdient er vielleicht wegen Roheit oder Urteilslosigkeit seinem »großen« Friedrich zur Nicht-Mißhandlung empfohlen zu werden? Zu solch haarsträubender Logik wird gezwungen, wer sich mit Fridericologen einläßt.

Herr Volz hat mir aber durch die glänzenden Antworten, die sein ungeschicktes Buch über Trenck hervorrief (namentlich von Bruno Franck im »Berliner Tageblatt« vom 4. VIII. 26 und von Major Max Wild in der »Täglichen Rundschau« vom 5. IX. 26) bewiesen, daß vertrauliche Beziehungen zwischen Trenck und Friedrichs II. Schwester Amalie bestanden haben. Das erklärt mir die Tücke, mit der Friedrich II. den harmlosen Trenck verfolgte, und das erklärt auch den von Herrn Volz veröffentlichten französischen Brief Friedrichs II. vom 1. November 1754, in dem Friedrich dem französischen Gesandten im zweimal erbetenen tiefsten Geheimnis »Gelegenheit gibt, mir eine große Genugtuung zu verschaffen …; Da ich wünsche, eine günstige Gelegenheit zu finden, mit der ich ohne Aufsehen diesen Menschen (Trenck) nach Indien schaffen könnte, wäre ich entzückt, wenn Sie nach Frankreich schreiben wollten, um ausfindig zu machen, ob man ihn (Trenck) wohl nach Ostindien oder nach Französisch-Amerika schaffen wolle. Er wird dort nicht ganz unbrauchbar sein, da er ein Mann des Degens ist, dem weder Mut noch Geist mangeln. Ich hoffe, daß Sie sich bereit finden lassen werden, mir dieses Vergnügen zu verschaffen …;«.

Friedrich der Große als Kolonisator! Und man bemerke: »Mut und Geist«, die Bismarck bei Friedrich II. suchte, wo Berenhorst sie nicht fand, waren nach Friedrichs eigenster Feststellung wenigstens bei Trenck zu finden. Aber Herr Volz möchte uns glauben machen, Trenck sei nur ein Deserteur gewesen. Max Wild, der als Major mehr von solchen Dingen zu verstehen scheint, erklärt dazu: »Ich möchte das verneinen. Er wurde als achtzehnjähriger Kornett nach Glatz gebracht, und kein Urteilsspruch erfolgte, obgleich er wiederholt hierum bat. Also Kabinettsjustiz.«

Ich möchte die »Mißhandlung Trencks« nicht verlassen, ohne eine Äußerung mitzuteilen, in der Manfred einmal erklärte, warum er Trenck nur den »angeblichen« Liebhaber Amaliens nannte. Manfred sagte: »Möglich, daß der achtzehnjährige Kornett für die Prinzessin schwärmte; wozu wären denn Kornetts und Prinzessinnen sonst da? Aber daß Amalie für den Kornett geschwärmt hätte, glaube ich nimmermehr; diese rabiateste unter den Geschwistern Friedrichs II. war genau wie ihr Bruder zu kaltherzigem Altjungferntum geboren und viel zu hochnäsig, als daß sie sich zu einem deutschen Kornett herabließ.« So teilte also Manfred die Auffassung des ihn deswegen befehdenden Herrn Volz, der den Nachweis führen möchte, daß Amalie sich nicht zu dem Kornett herabließ.

 

Hartungs »bedenklich stimmender« »harter erdrückender Zwang« statt deutscher Kolonisation

Friedrichs II. gescheiterter Versuch, Indien und Amerika durch den »Mut und Geist« des Barons von der Trenck kolonisatorisch zu befruchten, »stimmt bedenklich«! Man bedenke in der Tat, welche fast unübersehbaren Flotten der »große« Preußenkönig in den Dienst seiner berühmten kolonisatorischen Tätigkeit hätte stellen können, wenn er sich bemüht hätte, alle angeblichen oder wirklichen Deserteure seines Heeres wie den Baron von der Trenck nach Indien und Amerika zu verschiffen. Noch »bedenklicher stimmt« mich die tief pessimistische Beurteilung der deutschen Fähigkeiten, näher- und nächstliegende politische Ziele zu erreichen, wie sie Herr Hartung und vorher (IV, S. 409–10) Herr Helmolt ausgesprochen haben und wie sie Herr Hartung auch der von mir erwähnten Möglichkeit eines Mitteleuropa unter deutscher Führung entgegensetzt. Er gibt zu verstehen, daß ihn »die Fülle fremdartiger Bestandteile in diesem Reich angesichts des Schicksals des Habsburgerstaates bedenklich stimmt«. Herrn Hartung gehen augenscheinlich die mathematischen Fähigkeiten ab, die ihm zu berechnen erlauben würden, daß die Minorität der Deutschen im »Habsburgerstaat« nur eine verhängnisvolle Folge dessen ist, was Arndt die »große Szission« von 1740 nannte und für die Arndt Friedrich den Großen verantwortlich machte. Wenn Friedrichs II. Kriegs- und Werbeunwesen die Deutschen nicht zu Hunderttausenden an die Schlachtbank oder – wenn sie »Mut und Geist« besaßen – als Deserteure ins Ausland getrieben hätte (III, 271; IV, 420 f., 601), dann wäre auch dem Deutschland des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts eine großartige kolonisatorische Tätigkeit im Osten möglich geworden, wie sie dem mittelalterlichen Deutschland selbst von denjenigen »Historikern« nachgerühmt wird, denen Herr Hartung nicht wie mir »jedes historische Verständnis« abstreitet. Daß Friedrich II. und sein Nachfolger die deutsche Kolonisation im Osten (in einer selbst vom kolonialblinden Bismarck nicht gebilligten Weise) verhindert hat, ist meines Erachtens ein Hauptgrund für Deutschlands Scheitern als Weltmacht.

Ganz wie Herr Volz behauptet, »der Vorwurf des Beifallsbedürfnisses, den Bismarck gegen den König erhebt«, sei Folge eines Irrtums des Herausgebers der Werke Friedrichs des Großen, ebenso keck behauptet er auch, E. M. Arndt wäre mein »Kronzeuge, weil er den König der Ausländerei beschuldigt«. Herr Volz »fälscht« wieder. Arndt ist allerdings einer meiner Zeugen, den ich anführe, weil die Friedrich-Bewunderer bisher noch nicht gewagt haben, ihn unter die »Schmähliteraten« einzureihen. Aber schwindelhaft ist Herrn Volzens Versuch, Arndts Kritik am »großen« König harmlos zu machen durch die Behauptung, Arndt habe den König nur »der Ausländerei beschuldigt«. Mit diesem Kunststückchen glaubt Herr Volz die Tatsache wegklittern zu können, daß Arndt außer dem Vorwurfe der Ausländerei noch viele andere Vorwürfe gegen Friedrich II. vorgebracht hat. So beschuldigt Arndt den König zum Beispiel »des strengsten Eigensinns, des wildesten Despotismus, des erbarmungslosesten Zertretens der zarten Keime der menschlichen Gefühle« und noch vieler anderer Dinge, die ich den Leser, dem sie sich nicht mit Flammenschrift eingeprägt haben, nachzulesen bitte (III, 429 ff.; IV, 618 f.). In diesem Zusammenhang ist – nebenbei – bemerkenswert, daß Arndt, wenn er dem Staate Friedrichs vorwirft: »Nur Maschine! ja, Maschine! Aus dem Toten wird nur Totes geboren, und hohl und gespenstisch mit dem Abscheu der Zukunft wird das Kunstgerüst zusammenbrechen«, durchaus nicht nur als Prophet von 1806 zu verstehen ist. Noch 30 Jahre später, als »der harte, die Persönlichkeiten erdrückende Zwang des alten Preußen …; trotz dem feierlichen Versprechen, das König Friedrich Wilhelm III. am 22. Mai 1815 seinem Volk gegeben hatte«, (– diese Zugeständnisse stammen von meinem Kritiker, Herrn Hartung! Hartung, Deutsche Geschichte usw. (Bonn u. Leipzig, 1924) S. 3,4.]]) sich längst folgerichtig zu dem System entwickelt hatte, das Erich Marcks (in seiner Biographie Wilhelms I.) das »System des dumpfen Druckes und Zwanges« genannt hat, also noch im Jahre 1833 sprach der gewiß nicht kritische Königlich preußische Historiograph Preuß Preuß, Friedrich der Große, III, 144.]] von der »alles wie eine Maschine bewegenden Selbstherrschaft« Friedrichs II. Dieses scheußliche »Maschinen«-»System« ist es, welches heute Leuten vom Schlage des Generals von Zwehl und seinem »geistigen Leibregimente der Hohenzollern« den begeisterten Ausruf eingibt: »So wie es damals war, muß es wieder werden!«

Herr Volz ist entrüstet darüber, daß ich dieses System nicht bewundern kann, und ruft: »Ja, weiß denn Hegemann nicht, daß Friedrichs Regierungssystem auf schriftlichen Verkehr eingestellt war, daß er seine Minister nur bei wichtigen Fragen zu sich berief?« Ich muß Herrn Volz antworten, daß ich das nicht nur wußte und in meinem Buche lang und breit behauptet habe, sondern daß ich sogar weiß, daß Philipps II. von Spanien »Regierungssystem« genau dasselbe war und daß ich es für ebenso verfehlt halte wie das Friedrichs II. Wenn Herr Volz mein Buch gelesen hätte, statt es zu besprechen, hätte er vielleicht sogar bemerkt, daß Bismarck die Auffassung des Generals von Zwehl: »So wie es damals war, muß es wieder werden« nicht teilte und daß ich folgendes Bismarck-Wort zitierte (III, 308; IV, 457 f.): »Die heutige Politik eines deutschen Reiches mit freier Presse, parlamentarischer Verfassung im Drange der europäischen Schwierigkeiten läßt sich nicht im Stile einer durch Generale ausgeführten königlichen Order betreiben.« Wenn also Herr Volz den Eisernen Kanzler zu würdigen versuchte, statt ihn einem »Irrtum« des Herausgebers der Werke Friedrichs des Großen »zum Opfer fallen« zu lassen, dann würde er mir helfen, die Friedrich-Sehnsucht unpraktischer alter Generale zu bekämpfen, statt sich zu ihrem Korporal zu machen.

 

Selbstmorddrohungen und Übersetzungskünste bei Herrn Volz

Hoffnungslos mißversteht Herr Volz seinen »großen« König, wenn er behauptet, »Friedrich habe seine Selbstmorddrohungen nur einem kleinen vertrauten Kreise mitgeteilt«. Oder gehörte etwa Voltaire, den Friedrich II. wegen der Frankfurter Mißhandlungen noch nicht um Verzeihung gebeten hatte, 1758 zu »einem kleinen vertrauten Kreise«? Hat Herr Volz übersehen (was ich in meinem Buche III, 226; IV, 359 abdruckte), daß »Friedrichs Selbstmorddrohung vom 28.September 1758 mit dem Verdacht schließt, d'Argens könnte versäumt haben, Friedrichs gereimte Verteidigung des Selbstmords an Voltaire zu senden, oder Voltaire könne sie aus einem anderen Grunde nicht erhalten haben. Der König ›fleht‹ darum die Schwester an, eine Abschrift an Voltaire zu senden, und versichert, daß er auch selbst noch eine an Voltaire gesandt habe«. Wenn Herr Volz sich im Laufe seines Friedrich-Spezialistentums eines Tages auch einmal mit Voltaire (einem französischen Schriftsteller, dessen Werke in 93 Bänden gedruckt vorliegen – in diesem Tone erteilt Herr Volz seine Belehrungen) beschäftigen sollte, dann wird er finden, daß die Übermittlung eines traulichen Geheimnisses an Voltaire als gleichbedeutend aufgefaßt werden muß mit dem Wunsche, dieses Geheimnis an alle Höfe Europas verbreitet zu sehen. Wenn Herr Volz das nicht begreifen kann, muß er sich die Tatsache genügen lassen, daß Voltaire das »vertraute« Geheimnis der angeblichen Selbstmordabsichten Friedrichs II. wirklich in der angedeuteten Weise verbreitet und namentlich auch an den damals wichtigsten Richelieu weitergegeben hat, der wohl auch kaum zu dem »kleinen vertrauten Kreise« Friedrichs II., wie Herr Volz ihn sich vorstellt, gehörte. Herr Volz wird vielleicht entsetzt sein, daß der arme gute Friedrich von dem bösen Voltaire trotz der guten Frankfurter Behandlung so treulos hintergangen worden sei. Aber Herr Volz wird sich damit trösten müssen, daß Friedrich selbst, der viel schnöder hinterging (vgl. III, 353; IV, 518) vielleicht gar nicht so blind war, wie Herr Volz es ist. Am 2. Oktober 1758, also genau in den Tagen, auf die es hier ankommt, schrieb de Catt in seinem »Tagebuch« (!): »Der König las einige Stücke von Voltaire, an den er geschrieben, und wovon ich Abschriften genommen hatte. Seine Majestät sagte mir: ›Behalten Sie eine Abschrift, denn Voltaire ist ein gefährlicher Mensch!‹«

Herr Volz erklärt weiter: »Völlige Unkenntnis verrät Hegemann, indem er von zweierlei Briefen an die Markgräfin Wilhelmine spricht, chiffrierten und unchiffrierten, von denen die letzteren ostensibel zur Weitergabe an Voltaire bestimmt gewesen seien. Vielmehr enthielten die chiffrierten Briefe Nachrichten, die unter allen Umständen geheim bleiben sollten, während der König in den unchiffrierten seiner Schwester das Herz ausschüttete …;« Die Frage, auf die es hier vor allem ankommt und die Herr Volz deshalb übersieht, ist die: Habe ich recht oder nicht, daß die chiffrierten und die nichtchiffrierten Briefe einander widersprechen? In den unchiffrierten versichert Friedrich immer wieder, er wolle sich ermorden; in den chiffrierten Briefen versichert Friedrich das Gegenteil. So schreibt er in seinem chiffrierten Geheimbrief vom 18. September: » Je prévois que les meilleurs conditions qu'on pourra obtenir de ces gens-là (das heißt den Franzosen) seront humiliantes et affreuses; mais on se tue de me dire que le salut de l'Etat l'exige, et je suis obligé d'en passer par là«, woraus ich schloß, daß Friedrich bereit war, auch schmachvolle Bedingungen der Franzosen anzunehmen, wie er es ja auch tatsächlich in seinem Friedensvorschlage von 1759 bewiesen hat. Herr Volz klagt mich der »Fälschung« an, Friedrich sei nicht »bereit« gewesen, denn in dem französischen Text stehe nur: » Je suis obligé d'en passer par là«. Da majestätsbeleidigt also Herr Volz? Friedrich erklärte ausdrücklich: Ich bin » verpflichtet«, die französischen Bedingungen anzunehmen, weil das Staatswohl es erfordert. Will Herr Volz sagen, daß Friedrich der Große nicht »bereit« gewesen wäre seine »Pflicht« zu erfüllen? Das wäre empörend!

Herr Volz treibt seinen Zynismus so weit, anzunehmen, nur ein »Übersetzungsfehler« könne es rechtfertigen, daß ich bei Friedrich II. eine Bereitschaft zur Pflichterfüllung annehme, und streitet mir dann auch diese Möglichkeit mich zu entschuldigen ab, indem er hinzufügt: »Bei der doppelten Wiederholung dieses Übersetzungsfehlers tritt die Tendenz zutage.« Der Unterschied zwischen der Auffassung des Herrn Volz und der meinen erklärt sich sehr einfach aus dem, was er über Friedrichs II. penser, vivre et mourir en roi sagt. Er verteidigt nämlich die Auffassung, daß dieses friderizianische Wort nichts zu tun hat mit den Versen des von Friedrich bewunderten Racine: De vivre, de combattre et de mourir pour lui und Périssez du moins en roi s'il faut périr; denn, so erklärt Herr Volz, »es kommt nicht nur auf das Leben und Sterben an, sondern auch auf das Denken«. Da scheint mir Herr Volz sehr recht zu haben, denn nur er und seine Freunde vermögen zu leben ohne zu denken.

Diese Gedankenlosigkeit macht es auch Herrn Volz unmöglich, sich daran zu erinnern, daß Friedrich der »Große« in seinen berühmten Montesquieu-Noten den Streit um das penser en roi und ob er sich ermorden oder ob er sich nicht ermorden wollte, bereits im Jahre 1746 klipp und klar und mit der bemerkenswert realpolitischsten Hausbackenheit entschieden hat (vgl. Hist. Zeitschr. N. F., XI, S. 273). An der Stelle, wo Montesquieu den »hochherzigen Entschluß« Ludwigs XIV. schildert, der sich »lieber unter den Trümmern seines Thrones begraben wollte, als Friedensbedingungen annehmen, die ein König nicht hören darf«, schrieb Friedrich höchst verständnisvoll an den Rand: »Das ist gut gedacht für einen großen Fürsten, der sich gleichzeitig seinen Feinden entgegenstellen kann; aber ein Fürst mit schwächerer Kraft und Macht muß sich der Zeit und den Umständen anpassen.« Diese urgemütliche Auffassung des berühmten » penser et mourir en roi« erinnert an die Bemerkung des süddeutschen Bauern, der 1849 den unter Wilhelm I. (damals noch »Kartätschenprinz«) einrückenden und um sich schießenden Preußen empfahl: »Dort hinüber dürft Ihr nicht schießen, da stehen ja Leut.« Wenn Herr Volz aufmerksamer gewesen wäre, als man es von ihm erwartet, hätte er sogar bemerkt, daß Friedrich II. in seiner Montesquieu-Note das penser eigentümlich buchstabiert, er schreibt nämlich pencer, wahrscheinlich weil er unwillkürlich an pincer (kneifen?) dachte. Seine »Verschlagenheit« ist bekannt.

Wenn meine Annahme friderizianischer Bereitschaft zur Pflichterfüllung nicht einmal durch einen »Übersetzungsfehler« zu entschuldigen ist, muß ich einen anderen Verweis für meine mangelhaften Übersetzungskünste noch kleinlauter einstecken. Herr Volz schreibt: »Noch ein drolliges Mißverständnis! Hegemann führt wiederholt auch Schiller gegen Friedrich ins Feld, der den König nicht zum Gegenstand eines Epos machen wollte, da dieser ihn nicht genügend begeistere, ›die Riesenarbeit der Idealisierung an ihm vorzunehmen‹. Hegemann versteht darunter Mohrenwäsche oder Schönfärberei, während Schiller nach seiner geistigen Einstellung damit nichts anderes sagen wollte, als daß er ablehne, den König ›zum Träger einer Idee zu machen‹.« Mit dieser Volzschen Auslegung Schillers erkläre ich mich einverstanden. Ich behaupte sogar, daß es nicht einmal den schönstfärbenden Professoren gelingen wird, diesen »König zum Träger einer Idee zu machen«. Wo nichts ist, kommt nichts hin. In das Wesen dieses Königs kann nicht einmal ein Professor eine Idee hineintragen, denn dazu müßte er selbst eine haben. Die Erkenntnis der Ideenlosigkeit Friedrichs scheint bei Herrn Volz selbst die begrüßenswertesten Fortschritte zu machen. Noch im »Hohenzollern-Jahrbuch« von 1916 begeisterte Herr Volz die im Schützengraben liegenden deutschen Truppen zum Durchhalten, indem er ihnen die acht verschiedenen Fassungen einer friderizianischen Verherrlichung des Sonnenkönigs Ludwig XIV. zugänglich machte und seine Bewunderung der dichterischen Leistung Friedrichs in die andächtigen Worte faßte: »Hier ist der schaffende Künstler am Werke!« Seitdem scheint Herr Volz aus meinem kritischen Buche über Friedrich II. doch schon so viel Belehrung gezogen zu haben, daß er in seiner Kritik dieses Buches versichert: »Für uns sind diese Poesien von hohem Werte, nicht als dichterische Leistung, sondern vor allem, weil in ihnen seine Weltanschauung niedergelegt ist, und weil sie seine Seelenstimmungen höchst lebendig widerspiegeln.« Waren es vielleicht gerade Friedrichs II. Bewunderungsgesänge an Ludwig XIV., von denen mein Kritiker Herr Professor Meißner sagte (III, 514 f., 325; IV, 671 f., 482): »Friedrich der Große als vaterländischer Dichter gehört jetzt uns, und seine besten Strophen sollten heute dröhnen?«

Herr Volz tröstet sich über die ihm aufdämmernde Erkenntnis der Nichtigkeit friderizianischer Dichtkunst damit, daß »Voltaire vor dem Bruch in einem vertraulichen Brief an seinen Freund d'Argental zugestanden hat, ›daß jener ausgezeichnete Verse schreibe, wenn er sich nur die Mühe gebe, sie zu feilen‹. 20. VIII. 1750.« Wenn Herr Volz sich eines Tages einmal etwas eingehender mit Voltaires Briefen aus jenen Tagen beschäftigen wird, dann wird er – falls er sie versteht – schnell aufhören, sie zu Ehren des »großen« Königs zu zitieren. Gewiß versuchte sich Voltaire auch in seinem diplomatischen Brief vom 20. August 1750 an den in Versailler Hofkreisen wirksamen d'Argental »mit Tränen in den Augen« über seine Mißerfolge in Paris und Versailles (III, 349-53; IV, 514-18) durch Verherrlichung Friedrichs II. zu trösten, der ihn seit einem Monate mit Schmeicheleien überschüttete. »Seit einem Monat bin ich wie auf der Folter, ich bin ganz krank davon«, so schilderte er die Qualen, die ihm der Gedanke, »dem Könige von Frankreich in der Person des Königs von Preußen dienen« zu müssen, bereitete. Er hoffte immer noch, nach Paris zurückgerufen zu werden. Zwei Tage später schrieb er seiner Nichte – ihr konnte er ohne Hinterhalt schreiben – was er von dem ihm drohenden Schicksal hielt. Dem Grafen d'Argental gegenüber hatte er die Feste Friedrichs II. gepriesen und mit denen von Paris verglichen. An die Nichte schrieb er über eine Vorstellung in Friedrichs Opernhaus (dem Bau des mißhandelten Knobelsdorff): »Ich habe noch nie etwas so Flaches in einem so schönen Saal gesehen. Das wirkte wie ein griechischer Tempel, in dem man Tartarenwerke aufführt.« Voltaire sprach dabei nicht von der Musik, sondern von dem Text, der vom königlichen Hofpoeten (dessen schlechte Bezahlung Voltaire rügt) eigens den Wünschen Friedrichs angepaßt worden war. Voltaire schilderte das ihm drohende Schicksal folgendermaßen: »Die meisten Höfe Deutschlands sind alte Schlösser, in denen man sich amüsieren möchte. Es gibt schöne Ehrendamen und schöne Junggesellen, und man läßt sich Spaßmacher kommen.« Und was der Geschmack der Späße war, die man von ihm erwartete und die besonders Friedrich II. liebte – der es witzig fand, seinen Hunden das Heilige Abendmahl zu verabreichen: »Schmähliteratur?« – das schilderte Voltaire wieder zwei Tage später (24. VIII. 50) seiner Nichte, indem er ihr eine der bei Friedrich beliebten Montperniaden erzählte; der berühmte Höfling Montperni, der mit seiner Markgräfin Wilhelmine zu Besuch gekommen war, hatte das Heilige Abendmahl als Klistier einnehmen wollen. Darüber liefen Verse um, die man Voltaire zuschrieb. Voltaire beschloß seinen Brief mit den Worten: »Die Sprache, die hier am wenigsten gesprochen wird, ist das Deutsche. Ich habe noch niemanden ein Wort davon vorbringen hören. Unsere Sprache und unsere Literatur haben mehr Eroberungen gemacht als Karl der Große. Wie Sie sehen, tue ich was ich kann, um mich zu rechtfertigen; aber ich mache mir deswegen nicht geringere Gewissensbisse darüber, daß ich Sie verließ. Das Schicksal spielt mit uns. Ich suche Heiterkeit beim Abendmahl der Königinnen, und wenn ich nach Hause komme, finde ich Trauer. Meine Unruhe raubt mir den Schlaf. Ich erwarte Ihren nächsten Brief, um meiner Seele Halt zu geben, die nicht mehr weiß, wo sie ist.« Das von Herrn Volz begierig aufgegriffene Lob, das Voltaire, – »um sich zu rechtfertigen« und um den Voltaire-Verächter Ludwig XV. zu beschämen – den Versen Friedrichs II. spendete, »wenn der König sich nur die Mühe gebe, sie zu feilen«, sagt im Grunde nichts anderes, als was den eiteln König so beleidigt hatte, daß es sich nämlich bei diesen Versen um »schmutzige Wäsche« handelte, die mit Voltaires Hilfe gewaschen werden mußte. Herrn Volzens Freude darüber ist gerade so lächerlich wie die Abbildung auf Seite 79 von Professor Kanias anbetungstriefendem Werke: »Friedrich der Große – Potsdam«. Diese Abbildung zeigt in Faksimiledruck Voltaires Bemerkungen zu einem Gedichte, das Friedrich »eigenhändig« geschrieben und verbessert hat. Voltaire schrieb an den Rand: » vous avez corrigé divinement ce morceau. Courage. Empressez, continuez«, was Herr Professor Dr. Kania dankbar übersetzt mit: »Sie haben dieses Stück geradezu göttlich verbessert. Mut, bemühen Sie sich, fahren Sie so fort!« Der so aufgemunterte Schüler Friedrich II. war damals 37 (siebenunddreißig) Jahre alt. Bei bürgerlichen Menschen würde man in ähnlichen Fällen von Zurückgebliebenheit sprechen. In jeder Pariser Kunstschule gibt es Schüler, vor deren Arbeiten der Lehrer beim täglichen Rundgang – solange das Schulgeld pünktlich einläuft – nur die Worte wiederholt: vous avez corrigé divinement ce morceau! Courage! Empressez! Continuez! (Bei Schülern aus dem Bürgerstand pflegt das divinement weggelassen zu werden). Verständige Schüler wählen dann bald einen anderen Beruf; andere beharren, wie Friedrich II., lebenslang bei der – Kunst.

Ebenso schön wie seine Entdeckung des pflichtvergessenen Friedrich II. ist der Vorwurf, den Herr Volz mir daraus zu machen wagt, daß ich die alte Anekdote vom Wachtfeuer nach der Schlacht bei Torgau verspottet habe, wo Friedrich seine Giftpillen aus der Tasche rollen ließ und sie seinen mitfühlenden Grenadieren zeigte. Der Friedrich-»Spezialist« Volz hat nämlich ein Buch entdeckt, in dem diese Anekdote anders erzählt wird, und wirft mir deshalb – hopla! schon wieder – »Fälschung« vor. Wenn man versucht, Herrn Volz ernst zu nehmen (eine Ehre, die ihm außerhalb seines »Professoren«-Kreises hier wohl zum erstenmal widerfährt), dann muß man fragen, welche der folgenden vier Möglichkeiten dem schmähenden Herrn vorschwebt.

1) Weiß Herr Volz nicht, daß beinahe alle Anekdoten über Friedrich II. reine oder, besser, sehr unreine Erfindungen sind? Dann kann er versichert sein, daß sein weiteres Studium auf seinem Sondergebiete der »Fridericologie« ihn schließlich auch mit dieser allgemein bekannten Tatsache vertraut machen wird.

2) Oder kennt Herr Volz die von mir erwähnte Fassung der Torgauer Anekdote wirklich nicht? Dann wäre es dankenswert, wenn er als Friedrich-»Spezialist« einmal nachforschte, wie es möglich ist, daß ein so unerfinderischer Kompilator wie Vehse diese Anekdote seit 1850 dem deutschen Volke in immer neuen illustrierten und Luxusauflagen seines Werkes vorzusetzen vermochte.

3) Oder weiß Herr Volz nicht, daß es gut erfundene und schlecht erfundene Friedrich-Anekdoten gibt und daß die von mir berichtete Torgauer Anekdote zu den gut erfundenen gehört, weil sie »die geschichtlichen Verhältnisse« in scharfem Abriß wiedergibt, während zum Beispiel, wie vielleicht sogar Herr Volz schon weiß, die Anekdote vom Müller von Sanssouci oder von »Kerls, wollt ihr denn ewig leben?« zu den schlecht erfundenen Anekdoten gerechnet werden müssen, weil sie die »geschichtlichen Verhältnisse«, wie Herrn Volzens Gesinnungsgenosse, Professor Kania, es einmal ausdrückte, »geradezu auf den Kopf stellen«? (Kania, »Friedrich der Große-Potsdam« S.38.)

4) In diesem vierten Falle möchte ich Herrn Volz das nähere Studium der Verhältnisse vor, während und nach Torgau empfehlen, und er wird zweierlei finden: Friedrich hat kurz vor und kurz nach der Schlacht schriftliche Versicherungen seiner Selbstmordlust abgegeben, und Friedrich hat in den Stunden, in denen er am Abend nach der (durch seinen verfrühten Angriff) so gut wie verlorenen Schlacht bange die Nachricht erwartete, ob sein furchtbar blutendes Heer (Verlust 17 000 Mann!) diesmal wieder für ihn nachträglich (und trotz des Feldherrn!) doch noch gesiegt hätte, allerlei kostenlose Anbiederungen mit seinen geprügelten Militärsklaven gemacht.

Nachdem Herr Volz bewies (vgl. oben S. 710), daß er noch nicht einmal den Unterschied zwischen dem positiven »wichtig« und dem superlativen »wichtigst« kennt, darf man seine Einfalt wohl nicht übelnehmen, wenn er mich einen Fälscher nennt, weil seine liebe Unschuld augenscheinlich nicht weiß, was fälschen heißt. Vielleicht sollte ich ihm folgendes erklären: »Ich schrieb, Preußens Grenzwächteramt sei eine wichtige Behauptung der preußischen Legende, und Sie, Herr Volz, zitierten in Ihrer »sachlichen Kritik«, ich hätte es die wichtigste Behauptung der preußischen Legende genannt. Jeder, der Lust hat, Ihre jugendlich lärmende Sprache zu gebrauchen, kann Sie also einen wichtigtuenden Fälscher nennen. Wenn aber jemand Sie deswegen gleich den wichtigsten Fälscher nennen wollte, so wäre das eine geschmacklose Übertreibung, die ich ablehnen müßte, weil ich die Geschichtsfälschungen Ihres Lehrers Treitschke kenne, die Ihre Hauptnahrung zu sein scheinen.« Verstehen Sie jetzt?

Außer »Fälschungen« wirft mir Herr Volz auch »Unfläterei« vor. Er bezieht sich dabei auf meine Feststellung (III, 322; IV, 477), daß Friedrich II. seinem Freunde Algarotti die Zuhälter empfahl und dann versuchte, die Zuhälter entbehrlich zu machen und statt ihrer höchstselbst den Freund mit einer königlichen Tänzerin zu verkuppeln. Bei dem Verweise, den mir Herr Volz für diese Feststellung erteilt, entpuppt er sich noch einmal als ein Übersetzungskünstler, der mir augenscheinlich weit überlegen ist. Friedrichs II. Schreiben vom 25. IX. 1749, auf das ich mich stütze, enthält nämlich den Satz: » Je souhaite que vous ayez moins besoin de médecins que de maquereaux«. Der überlegene Übersetzungskünstler, Herr Volz, hat wohl in Anbetracht der puritanischen Sittenreinheit des großen Königs erkannt, daß das Wort maquereaux in dem Munde unseres tugendhaftesten Königs nicht etwa (wie ich im Hinblick auf sein Dichtwerk »Palladion« und andere umfangreiche Schlüpfrigkeiten des Philosophen von Sanssouci fürchtete annehmen zu müssen), mit »Zuhältern« übersetzt werden darf, sondern daß es sich hier um »Makrelen« (eine bekömmliche Art von Fisch) handelt, die der in Heilkunst fleißig dilettierende König der Diät seines Freundes empfahl. Auch die Sache mit der Tänzerin Denis klärt sich völlig harmlos und rein diätetisch auf, indem der König durch seine schelmische Anspielung auf diesen Backfisch andeuten wollte, in welcher Form die Makrelen zugerichtet werden sollen. Ich gebe zu, daß mir die Form des friderizianischen Witzes keineswegs geistreich erscheint, aber ich habe bemerkt, daß Herr Volz andere und vielleicht sittlichere Maßstäbe handzuhaben versteht.

Wenn man die edle Moralität und die Übersetzungskünste dieser allerdings nicht ganz zuverlässigen preußischen Gelehrten bewundert, wird man nicht ohne Unbehagen an den Aufsatz erinnert (»Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte« Bd. II, 2), in dem der preußische Professor Berner folgendes beachtenswerte Urteil angesehener französischer Gelehrter über die preußische Geschichtswissenschaft berichtete: »Heute bezeichnet selbst ein Mann wie Monod unsere bedeutendsten Historiker als mameluks de la politique prussienne und Lavisse spricht von der argen Betrunkenheit dieser Narren«. So berichtet der preußische Professor Berner nicht ohne Stolz. Was ist los mit unseren »bedeutendsten Historikern«?

»Wir dürfen die Abwehr der Pseudohistorie nicht dem Auslande überlassen«, mit diesen Worten warnte Max Lehmann vor der Gefahr, daß uns vom Auslande peinliche Aufklärungen über unseren »großen« König zuteil werden könnten, falls wir nicht selbst uns ernsthafter mit seiner Geschichte beschäftigen. Die preußischen Geschichtschreiber berufen sich gern auf Carlyle, und mein Kritiker, Herr Volz, wirft mir vor, ich habe Carlyle »ins Lächerliche gezogen«. Als wenn es nötig wäre, Carlyle, den Nietzsche einen »Murr- und Wirrkopf« nannte, ins Lächerliche zu ziehen! Falls Herr Volz aber besonderen Wert auf englische Urteile legt, wird er kaum mit Genuß das neueste englische Werk über Friedrich den Großen von Norwood Young (London 1919) lesen, das mir gerade beim Abschluß der vorliegenden vierten Auflage noch in die Hand fällt. Young übernahm noch manches von den überkommenen Vorurteilen über den »großen« König; aber er schließt mit den Worten: »Als Friedrich vom Tode der Kaiserin Maria Theresia hörte, schrieb er an d'Alembert: ›Sie hat ihrem Thron und ihrem Geschlecht Ehre gemacht. Ich habe Krieg gegen sie geführt, aber ich war niemals ihr Feind.‹ Der höfliche Straßenräuber leugnete alle persönliche Feindschaft gegen die Schwester-Königin. Mit einer Hand nahm er höflich den Hut ab, während er mit der anderen Hand nach der Börse des Opfers griff. Maria Theresia pflegte Friedrich einen ›bösen Mann‹ zu nennen. Er war mehr, er war nicht nur ein Übeltäter und gefährlich, er war, was wir einen schlechten Menschen nennen.« So schließt Norwood Youngs » The life of Frederick the Great«, das heute in England die Carlylesche Verherrlichung verdrängt.

In der »scharfen« Ablehnung meines Buches, die Wilhelm Boehm in der »Deutschen Rundschau« veröffentlichte, schrieb er auch: »Volkstümlich kann das Buch mit seiner Hochkultur nicht werden …; aber wer dem Schriftstellerischen dieser Leistung als Leser gewachsen ist, der wird der Tendenz gegenüber kritisch bleiben …; Man darf sich (von Hegemann) gar nicht überzeugen lassen. Dies Buch verträgt sich nicht mit einem ringenden Staatsbewußtsein.« Dr. Boehm meint aber: »Wäre dieses Buch vor dem Kriege als eine Kritik des Wilhelminischen Zeitalters erschienen, so wäre es eine Tat gewesen, die dem Verfasser möglicherweise eine Märtyrerkrone hätte einbringen können oder aber den Schmachfrieden – vielleicht – mit aufgehalten hätte!« Wilhelm Boehm glaubt augenscheinlich, das deutsche Volk habe mit dem Schmachfrieden bereits den Kelch seiner Leiden geleert. Ist nicht aber schmachvoller als ein Schmachfrieden die Furcht vor der Wahrheit, wie sie Herr Boehm und viele andere predigen: »Man darf sich gar nicht überzeugen lassen«? Um uns vor der Wahrheit zu schützen, wurde das heilige Amt der Wahrheitskündung – »den Söhnen und Enkeln zum Verständnis der Vergangenheit und zur Lehre für die Zukunft« – an »Historiker« übertragen, die urteilslos sind und die fern von kritischen Fähigkeiten und richterlicher Würde nicht einmal »dem Schriftstellerischen als Leser gewachsen sind«, nicht einmal einer so bescheidenen Leistung wie der meinen. Es ist unmöglich, gegen solche Leute mit den Waffen des Geistes zu kämpfen. Sie gehorchen nur den Waffen ihres Friedrich, der genau wußte, wie mit seinen Sklaven umgesprungen werden muß. Ich schließe deshalb – sicher ungern – mit einem Worte ihres »großen« Königs. Friedrich II. machte die preußische Verdummung, vor der er sich selbst durch »Verkehr mit ausländischen Schöngeistern« zu schützen suchte, zu einer dauernden Staatseinrichtung, indem er am 19. Juni 1751 den Besuch auswärtiger Universitäten bei lebenslänglichem Ausschluß von allen Ämtern und Confiscation des Vermögens verbot (Preuß I, 291), nachdem er schon am 14. September 1742 dem Oberkuratorium der preußischen Universitäten geschrieben hatte:

»Sie haben aber zu viel Professores …;
Pedanten und faule Bäuche schaden mehr als sie nützen.«

 

Ende


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