Friedrich Hebbel
Michel Angelo
Friedrich Hebbel

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Zweiter Akt.

(Ausgrabung auf dem Kapitol. Viel Volk.)

Battista. Eins ist und bleibt doch höchst kurios!

Matteo. Was denn?

Battista.                   Daß unsrer Erde Schoß
Uns niemals Gold und Silber zeigt.

Matteo. Ich bin den Steinen auch geneigt.

Battista. Ei freilich, freilich, sie haben Wert
Und werden darum mit Recht verehrt,
Da stimm' ich bei, ich meine nur,
Man sieht da was von einer Spur,
Daß die Barbaren –

Matteo.                           Was hältst du ein?

Battista. Sie können nicht Esel gewesen sein!
Sie nahmen das Beste mit sich fort
Und ließen nur die Blöcke am Ort.

Matteo. Die holen sie jetzt zu unserm Glück
Und bringen das Geld dafür zurück!

Battista. Doch nur die Franzosen. Sprich: Denkst du dir nicht
Die Deutschen mit einem behaarten Gesicht,
Mit einem natürlichen rauhen Fell
Und einer Stimme, wie Hundegebell?
Ich meine die alten, von denen es heißt,
Daß sie – (Er macht die Bewegung des Hauens.)

Matteo.           Was du nicht alles weißt!

Annunziata (zu Battista). Ach, edler Herr, erbarmt Euch mein!

Battista. Warum muß ich's denn grade sein?

Annunziata. Ach, Herr, ich bin in bittrer Not,
Drei Tage lang kein Bissen Brot!

Battista (nestelt an seinem Beutel).
Nun, das ist hart.

Annunziata.               Gott weiß, wie sehr!
Und wenn ich's nur noch alleine wär'!
Doch Vater und Mutter hungern mit mir.

Battista (knüpft den Beutel auf).
Die leben noch?

Annunziata (zeigt auf drei zerlumpte Kinder, die, wie sie beim Umblicken bemerkt, zufällig hinter ihr herkommen, denen sich aber, wie sie nicht mehr bemerkt, bald noch ein halbes Dutzend zugesellen.)
                            Ach, und die Kinder hier!

Battista. Auch die sind dein, so jung du bist?
Das nenn' ich Segen! (Er greift in den Beutel.)

Annunziata.                     Mein Gatte ist
Ermordet worden!

Battista.                       Wie viele denn nur?
    (Er zieht Geld hervor.)

Annunziata. Ach, alle!

Matteo.                         Verfluchte Kreatur,
Mein eigner Enkel ist mit dabei!

Annunziata (sieht sich wieder um).
So? – Nun, ich meinte diese drei!

Matteo. Heran, ihr Buben!

Annunziata (fortlaufend).     Du Klumpen Speck!

Matteo. Nicht eins gehört ihr!

Battista.                                   Das nenn' ich keck!

Matteo. Drei Tage hungern! Wär fände denn nicht
In einem Kloster ein schmales Gericht!
Nur, wer sich in keins mehr hineingetraut.

Battista. Es gibt doch manch verwünschtes Kraut!
Aus Mitleid bestimmte ich ihr dies,
Weil Gott mich noch nicht fasten ließ,
Als wenn's auch der Papst und der Kaiser tut.
    (Zu Onuphrio.)
Nimm, Alter!

Onuphrio.             Herr! (Wirft ihm das Geld vor die Füße.)

Battista (hebt's wieder auf). Gerätst du in Wut,
Weil ich dir was schenke?

Onuphrio.                                 Zum Teufel mit Euch,
Was, seh ich einem Bettler gleich?
Sprach ich Euch an?

Battista.                           Nicht mit dem Mund,
Doch mit dem Rock! Drum kauft zur Stund'
Euch einen neuen, wenn Ihr nicht wollt,
Daß man Euch herzliches Mitleid zollt.

Matteo. Ein reicher Filz! Ich kenn' ihn wohl,
Er schacherte früher am Kapitol.

Battista. Almosen steck' ich nicht wieder ein,
Die Münze soll des Nächsten sein.

Ein Arbeiter (in der Grube).
Ein Fund! (Reicht eine Lampe herauf.)

Pancrazio.       Mir her! Durch meine Hand
Geht alles zuerst wie euch bekannt.
    (Er nimmt die Lampe.)
Eine köstliche Lampe, in der Tat,
Was die wohl einst beschienen hat!

Pandulpho (nähert sich).
Wie edel die Form, wie sicher der Schwung!
Wer sähe sie ohne Begeisterung!
Erlaubt Ihr? Nur für einen Kuß!

Pancrazio. Nein! Oculis, non manibus!

Pandulpho. Neidhart! Verfluchter! Er weiß recht gut,
Daß nichts mir so erwärmt das Blut,
Als zu berühren, was tausend Jahr
Im Schoß der Erde verborgen war.

Der Arbeiter (in der Grube).
Noch eine!

Pandulpho (drängt sich durch).
                  Die ergreife ich! (Tut's.)

Pancrazio. Herr, Herr!

Pandulpho (gibt sie zurück). Da ist sie! Nun strafet mich,
Herr Haushofmeister: so grimmig Ihr seid,
Ich bleibe der erste in Ewigkeit!

Battista (zu Matteo).
Siehst du nun was Besondres daran?

Matteo. Ich bin ein unstudierter Mann!
Man muß in Bologna gewesen sein,
Um so am Rost sich zu erfreun!

Pandulpho (zu Pancrazio).
Doch wär't Ihr gescheit, so gäbet Ihr mir
Sie mit nach Hause, dann wüßtet Ihr
In einigen Monden, woher sie stammt,
Und ob sie vielleicht dem Horaz geflammt.
Nun, kommt der Herzog, so bitt' ich ihn,
Er hat mir schon ähnliche Gnaden verliehn!

Giovanni (tritt zu Pandulpho hastig heran, packt seinen Arm und führt ihn beiseite).
Herr, wollt Ihr eine?

Pandulpho.                       Wer bist du, Freund?

Giovanni. Von jedem, der so fragt, ein Feind!
Sprecht, sprecht, ich liefre Euch, was Euch gefällt,
Die alte Ware für neues Geld!
Geht ins Museum und sucht Euch aus,
Ich folg' Euch, Ihr nickt mir, ich schaff's Euch ins Haus!

Pandulpho. Das wär' gefährlich!

Giovanni.                                     Alter Tor,
Fehlt dir die Courage? (Zeigt ihm einen Dolch.)
                                      So sieh dich vor! (Entspringt.)

Pandulpho. Gibt's solche Gesellen? So muß ich auch
Kollegen haben, die Gebrauch
Von ihnen machen! Die spür' ich auf! –

Eine junge Fruchthändlerin. Orangen, frische, guter Kauf!
Zwei für den Bajocco!

Matteo (tritt zu ihr heran).     Zwei brauch' ich nicht,
Ich esse nur eine!

Die Fruchthändlerin (während er sich aussucht und ihr Geld gibt).
                              Mir aber gebricht
Die kleine Münze! So bet' ich für Euch
Drei Vaterunser!
    (Sie verliert sich, das Vaterunser betend, unter der Menge.)

Matteo (essend).         Saftig und weich!

Ein Mönch (tritt auf und klappert mit einer Büchse).
Der arme Sünder wird eben geköpft!
Geld, Geld zu Messen!

Matteo (gibt).                       Schon wieder geschröpft!

Battista (gibt gleichfalls).
Da geb' ich gern! Fällt solch ein Kopf,
Stehn unsre fester, sei doch kein Tropf!
Kurios, die heilige Kirche erhält,
Was jener Filz verschmähte, das Geld!

(Der Mönch verliert sich sammelnd unter der Menge; während man ihn noch erblickt, kommt)

Ein Knabe. Der Mörder entsprang den Sbirren, ist frei!

Battista. War denn kein deutscher Landsknecht dabei?

Der junge Orsini. Schämt euch, ihr Bürger, tut eure Pflicht,
So braucht ihr die deutschen Söldner nicht.
Einst habt ihr die Welt erobert, und jetzt
Seid ihr vor den eigenen Mäusen entsetzt
Und ruft den Löwen als Katze ins Haus?
Pfui, streckt doch selber die Tatze aus!

Signora Julia (tritt aus ihrem Hause, ein Diener folgt ihr, sie geht langsam über den Platz).

Der junge Orsini. Signora Julia? Schon Messe-Zeit?
    (Er folgt von ferne.)

Battista. Ein zweiter Cäsar! Er bringt es weit!
    (Deutet auf die Signora.)
Da siehst du seine Germania,
Sein Rheinstrom ist die Gosse da!

Der Arbeiter (in der Grube).
Juchhe! Juchhe! Wir haben Glück!
Eine Statue!

Pancrazio.           Was? (Guckt in die Grube.)
                              Und welch ein Stück!
Da muß ich zum Herzog! (Ab.)

Pandulpho (drängt sich zur Grube). Nun gibt es für mich
Auf Jahre Arbeit, denn hoffentlich
Ist's keine, die Attribute hat!

Battista. Gottlob, die Mittagsstunde naht!
Bleibst du noch länger? Ich geh' nach Haus,
Wie dehnt sich doch ein Morgen aus!
So auf dem Buckel den Sonnenschein,
Man kann nicht schwerer beladen sein! (Geht.)

Matteo. Man sieht's, daß das ein Lombarde ist,
Der seinen Magen nie vergißt!
Jetzt fortzulaufen!

Viele Stimmen.           Seht hin! Seht hin!

(Die Statue Michel Angelos wird aus der Grube gehoben und aufgestellt.)

Viele Stimmen. Ein Jupiter!

Pandulpho.                           Ein schöner Gewinn!
Der Pöbel erkennt's auf den ersten Blick
Und hat auch recht! Das nenn' ich mir Glück!
    (Er tritt vor die Statue hin.)
Ein Jupiter! Freilich! Ist bald gesagt!
Die Blinden sehen's! Doch weiter gefragt:
Ist's griechisch? Ist's römisch? In welchem Stil?
Aus welchem Jahrhundert? Auch Kinderspiel?
Ein Jupiter! Weisheit! Warum nicht:
Ein Statue, der ein Arm gebricht!

Prospero. Ein Meisterwerk auf jeden Fall!

Pandulpho. Mein Freund, auch das ist leerer Schwall!
Nichts andres geht aus der Erde hervor.

Battista. Der Herzog!

Prospero.                     Und mit ihm ein ganzer Chor
Von Künstlern!

Der Herzog tritt mit Gefolge auf. Ihn begleiten unter anderen Bramante und Sangallo. Er betrachtet die Statue.

Der Herzog.             Das ist doch wunderbar!
Wie ich ihn bestellte! Ganz und gar!
Nun wahrlich, ein Meister hat dich gemacht,
Doch ich hab' tief, wie er, gedacht. –
Was sagt Ihr, Pandulpho?

Pandulpho.                               Ein rarer Fund!

Der Herzog. Und griechisch?

Pandulpho.                               Das bezweifl' ich mit Grund!
Nur römisch, doch aus der besten Zeit!

Bramante. Gelahrter Herr, da fehlt Ihr weit!
So griechisch, wie nur irgend was,
Doch nicht aus der Zeit des Phidias.

Pandulpho. Warum, Herr Artist?

Bramante.                                   Den ersten Punkt
Entscheidet mein Auge!

Pandulpho.                           Geprahlt und geprunkt!

Bramante. Den zweiten: nun, der Künstler wich
Ab vom Homer, und sicherlich
Hätt' er das nimmermehr getan,
Wenn Phidias ihm die beßre Bahn
Nicht schon durch seinen Koloß verlegt!

Sangallo. Lebendig ist's als ob sich's regt'.

Bramante. Und doch gebunden im tiefsten Kern!
Der könnte nur wandeln, wie ein Stern.

Prospero (für sich). Der Grieche hat ein Modell gehabt,
Wie's jetzt kein Teufel mehr erschnappt.
Ich freue mich, daß ich ein Maler bin,
Bildhauer haben schlechten Gewinn,
Sie tun, was sie können, und dann reißt die
    (Er zeigt mit dem Fuß auf die Erde.)
Den Rachen auf und verspottet sie!

Der Herzog. Ruft mir den Michel Angelo her!

(Pancrazio ab.)

Bramante. Ich fürchte, dem wird der Weg zu schwer!

Der Herzog. Warum?

Bramante.                   Nun, wie die Sachen stehn:
Ein Meister soll kommen, als Schüler zu gehn!
Wie hoch er sich auch immer vermißt,
Jetzt wird er sehen, was er ist!
Denn dieses Werk ist eigner Art,
Hier scheint zum Alten alles gepaart,
Was man bei den Neueren Gutes trifft,
Gebt acht, das wirkt auf ihn, wie Gift!
Der Mann versteht Anatomie:
Der Grieche auch, doch zeigte er sie?
    (Er befühlt die Statue.)
Hier hat das Fleisch noch wieder Haut,
Keine Stelle, wo man den Knochen schaut,
Doch freilich merkt man's den Linien an,
Daß man ihn drunter finden kann,
Und so viel Härte soll auch sein,
Denn Butter ist Butter, und Stein ist Stein!

Sangallo. Ich stimm' Euch bei, Ihr habt ganz recht,
Versteh' ich mich auch aufs Reden schlecht,
So hab' ich doch einen Blick, wie Ihr,
Und wie es Euch dünkt, dünkt's auch mir!

Prospero. Was bückt' ich mich vor dem Kerl so tief?
Es steht mit ihm ja mehr, als schief!
Nun, Mütze, von heut' an schon' ich dich,
Will er gegrüßt sein, so grüße er mich!
Sein Bettel ist schon aufgedeckt,
Wer aber weiß, was in mir noch steckt!

Sangallo. Er kommt!

Bramante.                 Und drüben der Raphael auch,
Nun sehn wir gleich, was Künstlerbrauch.

Michel Angelo tritt rechts auf, von seinen Schülern begleitet.
Raphael Sanzio tritt links auf, auch von seinen Schülern begleitet.

Raphael (Nachdem beide in der Mitte des Platzes zusammengetroffen sind und einander gegenüber stehen.)
Ich grüße dich!

Michel Angelo.         Ich danke dir!

Raphael (bemerkt den Herzog und verneigt sich tief).
Verzeiht, Herr Herzog!

Michel Angelo (ebenso).       Verzeiht auch mir!

Der Herzog. Was sagt ihr? Ist euch das Kommen leid?

Michel Angelo (zu Raphael).
Sprich du zuerst!

Raphael.                     Ich brauche Zeit!
Dies Werk – Ich weiß nicht!

Michel Angelo (für sich).               Mein ganzer Plan
Kann scheitern an dem!

Raphael.                               Es ist dein Ahn,
Der es gemacht hat! Du solltest knien!
Ich geh'!

Michel Angelo (für sich). Ein Auge ist ihm verliehn!

Raphael. Doch freilich kehr' ich wieder zurück,
Denn immer bleibt es ein Meisterstück,
Und müßt' ich nicht aufs Quirinal,
Ich würde verweilen! (Ab mit seinen Schülern.)

Der Herzog.                       Nun sag' einmal,
Wie siehst du's an, daß so mein Scherz
Zur Wahrheit ward?

Michel Angelo.               Ganz ohne Schmerz!

Der Herzog. Wagst du nun auch noch einen Versuch?

Michel Angelo. Ihr habt wohl an einem Zeus genug!

Der Herzog. Ich hätte Platz für zwei und drei,
Doch frag' dich: kämst du diesem bei?

Michel Angelo. Wer weiß!

Der Herzog.                       Wer weiß?

Michel Angelo.                                     Nun ja, wer weiß?

Der Herzog. Am Ende gewinnst du noch gar den Preis?

Michel Angelo. Warum nicht? Eh' er am Boden liegt,
Glaubt jeder Kämpfer, daß er siegt!
Und dieses Werk – Nun, rund herum
Stehn Kenner, wie Pilze: was sind sie stumm?
Ich frage sie, ob es so einzig ist,
Daß man sich gleich zu viel vermißt,
Wenn man es zu erreichen hofft?
Bramante, mutig sah ich dich oft,
Traust du dir nicht dasselbe zu?

Bramante. Nein, Michel, ich bin kein Tor, wie du!
Ich schlug vor dir die Augen zwar nie
Zu Boden, doch hier senk' ich sie,
Und so gewiß es ist, daß ich
Dir ziemlich gleich bin, so sicherlich
Steh' ich weit hinter dem zurück,
Der das gemacht, und weiß es zum Glück!

Michel Angelo. Ihr hörtet, wie der Raphael sprach!

Sangallo. Sein kühles Wesen gereicht ihm zur Schmach!
Wir sind uns keines Neides bewußt,
Drum loben wir aus voller Brust!

Michel Angelo. Ihr Herrn, ich kenn' euch heute nicht,
Wo blieb denn euer scharfes Gesicht?
Es prüfe doch jeder, so gut er kann:
Entdeck' ich allein denn Fehler daran?

Bramante. Du hast dich etwas schief gestellt:
Wer seine Fehler für Tugenden hält,
Der muß die Tugenden anderer auch
Für Fehler halten!

Michel Angelo (für sich). Du windiger Schlauch,
Wie sollst du mir büßen! – Ihr Freunde, ihr seid
Besessen, doch habt ihr's zum Arzt nicht weit!
    (Zu Pandulpho.)
Ihr seid ja weise, wie Sokrates,
Gelehrter, wie Aristoteles,
Der viel zu früh gestorben ist,
Um alles zu wissen, was Ihr wißt,
Ihr tragt den Bart, wie Plato, kraus
Und habt vor ihm die Brille voraus:
Archäolog, wie noch keiner war,
Stich diesen hier, oder auch mir, den Star!
Stellt Ihr das Werk so hoch, wie sie?

Pandulpho. Du wenigstens erreichst es nie!

Michel Angelo. Also antik, unzweifelhaft?

Pandulpho. Welch eine Frage!

Michel Angelo.                         So fühl' ich mir Kraft,
Es der Antike gleich zu tun!

Der Herzog. Läßt dich dein Hochmut noch nicht ruhn?
Ich zahle die ganze Statue dir,
Verhilfst du auch nur zum Arme ihr.

Bramante. O, der Gedanke ist Goldes wert,
Den hat Apoll Euch selber beschert!
Ja, mache den Arm, und wenn er dir glückt,
Ohrfeige ich jeden, der dir sich nicht bückt!

Michel Angelo (zieht den Arm der Statue unterm Mantel hervor).
So tu's! Und fange an bei dir!
Der Arm, den du verlangst, ist hier!
Schau her! Was sagst du?

Papst Julius tritt im Hintergrund mit Raphael während der ersten Pause des allgemeinen Erstaunens auf, wehrt, wie er von Einigen bemerkt wird, alle Ehrenbezeigungen ab und verfolgt mit gespannter Aufmerksamkeit den Verlauf, ohne von den handelnden Personen bemerkt zu werden.

Bramante.                               Unmöglich!

Michel Angelo.                                           Mit Gunst!
    (Er hält den Arm an die Statue.)
Er paßt, wie gegossen! Gefällt euch die Kunst?

Der Herzog. Was ist denn das?

Michel Angelo.                           Ich hab' sie gemacht
Und ließ sie vergraben bei dunkler Nacht!
Sie stand schon ganz vollendet da,
Als ich euch gestern bei mir sah.
Doch dem, der die Geige spielen kann,
Vertraut ihr gern die Flöte an,
Darum verstellt' ich mich gegen euch,
Und was ihr jetzt tut, gilt mir gleich!
    (Zu den Andern.)
Nun werdet ihr sicher die Fehler sehn,
Doch, was geschehn ist, ist geschehn,
Und selbst der Allerfrechste muß
Jetzt schweigen und würgen an seinem Verdruß!
    (Pause.)
Ihr großen Meister, die ihr seid,
Ihr weisesten Richter von weit und breit,
Nun wißt ihr, wie es mit euch steht,
Doch eins vernehmt noch, eh' ihr geht!
Glaubt nicht, daß ich, weil euer Verstand
Mein armes Werk für antik erkannt,
Es selbst so hoch halte, o nein, ich weiß,
Wieviel ihm noch mangelt zum höchsten Preis!
Doch weiß ich auch: mehr fehlt mir nicht
Zum Phidias, als euch gebricht,
Um mir zu gleichen, und wie ich ihn,
So habt ihr mich zu ehren! Wir knien
Nicht bloß vorm allerhöchsten Gott
Und treiben mit seinen Heiligen Spott.
Wir beugen uns nicht dem Kaiser allein
Und werfen auf den, der ihm folgt, den Stein:
Wir fangen beim jüngsten Heiligen an
Und ehren den Kaiser im letzten Mann.
Und sträubt sich einer, so denkt der Wicht:
Herrgott und Kaiser begegnen mir nicht,
Und beug' ich mich vor denen bloß,
So komm' ich leichten Kaufes los
Und schone die Kniee, wie das Genick,
Doch solch ein Hund verdient den Strick.
Dem Wicht seid ihr so ziemlich gleich,
Denn an die Alten hängt ihr euch,
Um allen Neuern den schuldigen Zoll
Zu unterschlagen, von Scheelsucht voll.
Ich aber verkünd' euch zu dieser Frist,
Wie denen das Opfer willkommen ist:
Ihr tragt die Schuld an jenen ab,
Der euch zunächst steht, und als Stab
Euch dienen soll, der an seinem Ort
Dem Höhern und so fort und fort,
Bis es der Höchste den Göttern bringt,
Und wer ein Glied nur überspringt
In dieser Kette, der zeigt auch klar,
Daß er von jeher ein Heuchler war.
Ja, der sogar, der an seinem Platz
Den Zoll nicht fordert, ist ein Fratz;
Er soll ihn verlangen, er hat nicht das Recht,
Auf ihn zu verzichten, er selbst wird schlecht,
Wenn er's mit heimlichem Murren tut,
Weil sich's auf dem Lorbeer dann besser ruht;
Er soll, sobald ein Tor sich bläht,
Mit des Gesetzes Majestät
Ihn niederschmettern, wenn auch der Wicht
Ihn später dafür in die Fersen sticht,
Da dem, der umsonst nach der Löwenklau lechzt,
Ein Schlangenzahn gewöhnlich wächst!
Denn selbst der Richter am Tribunal
Läuft die Gefahr und schleudert den Strahl
Des Blitzes trotzdem mit eherner Hand,
Sobald er es als Pflicht erkannt.
Bescheidenheit gegen den Vordermann!
Denn fängt man bei dem Hinteren an,
So stellt man ja sich und die Welt auf den Kopf,
So pflanzt man ja eben dem armen Tropf,
Was man ersticken will, selber ein.
Den leeren Dünkel auf hohlen Schein!
Und denke nur keiner, daß dabei
Der Stolz des ersten zu fürchten sei,
Denn zwischen ihm und dem Höchsten bleibt
Die Kluft, wie weit er's immer treibt,
Stets größer, als die, die den letzten trennt
Von ihm, und weil ihn das ewig brennt,
Geht er gerade am tiefsten gebückt,
Wenn er auch nicht nach hinten blickt!

Bramante. Vortrefflich gepredigt! Nur ohne Grund!
Dein Werk ist gut! Doch sei dir kund:
Ein gleiches hast du noch nie gemacht!

Michel Angelo. Die Antwort hab' ich mir gedacht!
Auch glückt's mir nicht zum zweitenmal,
Nicht wahr? Das hilft euch aus der Qual!
Denn, komm ich wieder, was bringt's für Not?
Ihr schlagt mit der Rose die Lilie tot,
Ihr fordert die Kirsche vom Feigenbaum,
Und selbst der Garten verwirrt euch kaum,
Der alle Früchte, die ihr verlangt,
Auf einmal beut, und daneben prangt
Mit allen Blumen: Ihr beugt euch nur
Dem Baum, der das tut, und da die Natur
Dies Wunder nirgends geschaffen hat,
So wißt ihr euch auch immer Rat.

Der Papst (tritt mit Raphael vor und tickt Michel Angelo auf die Schulter).
Erhitze dich nur nicht zu sehr,
Recht hast du freilich! Doch höre mehr!
Der Herr hat mitten in die Welt
Den Feind, den Teufel, hineingestellt.
Der dient ihm auch, doch mit Verdruß,
Und da er's nur tut, weil er muß,
Bringt er sich um den Lohn, und Gott
Wird ihm nichts schuldig, als Hohn und Spott.
So ist und bleibt er denn der Tor,
Der seine Mühe noch stets verlor,
Und wenn er auch der letzte ist,
Er beichtet noch einst, und wird ein Christ.
Er sieht den Weizen lustig gedeihn,
Ihn ärgert's, da sät er sein Unkraut hinein:
Was schadet's dem Feld? Man ackert's um,
Und bald ruft Satan: wie war ich dumm!
Denn nun erst regt sich jede Kraft,
Es schießt der letzte Keim in Saft,
Und zog der Pflüger murrend aus,
Der Schnitter kommt mit Jubel nach Haus!
Der Vogel würde bis zur Stund'
Die Flügel nicht kennen, hätte der Hund
Nie nach ihm geschnappt und ihn aufgejagt:
Glaubst du, daß er sich drob beklagt?
Dich fällt der Schwarm der Neider an;
Was tut's? Vom Prickeln stirbt kein Mann,
Er wendet dem Wespen- und Horniß-Ort
Gelassen den Rücken, und schreitet fort,
Den Berg hinauf, in dessen Tal
Er ruhen wollte, zwar erst mit Qual,
Doch, eh' er's denkt, ist der Punkt erreicht,
Wo all dies Volk von selbst entweicht,
Und oben sieht er, was er nie
Gesehen hätte ohne sie,
Da ruft er denn wohl, und es ziemt sich für ihn:
Ich dank' euch nicht, doch euch sei verziehn!

Michel Angelo. So sei's! Aus schuldigem Respekt!
Ich pardoniere jedes Insekt,
Ich fordre nicht mehr, es wär' ja toll,
Daß eins sich selber knicken soll,
Und da es nun freilich auch leben will,
So stech' es nur fort, ich halte still!

Der Papst. Das ist noch nicht die rechte Art!
Hast du dich denn so rein bewahrt,
Daß dich nicht das geringste drückt?
Hast du mit zu dem Kranz gepflückt,
Der (Er faßt Raphael bei der Hand.)
            Deines Bruders Stirne krönt?
Bist du nur jetzt mit ihm versöhnt?
Er aber trieb mich so eifrig hieher,
Als ob hier ein Wunder zu schauen wär'!

Michel Angelo. Wir beide sind nun einmal zwei!

Der Papst. Steht's denn dem Zwillingspaar nicht frei,
Wenn's nimmer eins auch werden kann,
Sich zu umarmen? – Nun?

Michel Angelo.                         Wohlan!

(Er schreitet auf Raphael zu. Dieser fällt ihm in die Arme.)

Der Papst (ritt hinter sie und erhebt segnend die Hände).
So recht! Jetzt öffn' ich euch die Bahn! (Zu Raphael.)
Du gierst mir meinen Vatikan, (Zu Michel Angelo.)
Du schmückst mir in Sankt Peters Haus
Die prächtigste Kapelle aus!
Und was ihr mit vereinter Kraft
Dort Schönes und Erhabnes schafft,
Wird hehr sein, wie der hehre Dom,
Und ewig wie das ew'ge Rom!


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