Friedrich Hebbel
Gyges und sein Ring
Friedrich Hebbel

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Erster Akt

Halle.

Kandaules und Gyges treten auf. Kandaules schnallt sich das Schwert um, Thoas folgt mit dem Diadem.

Kandaules.
Heut sollst du sehn, was Lydien vermag! –
Ich weiß, ihr Griechen, wenn auch unterwürfig,
Weil ihr nicht anders könnt, tragt knirschend nur
Das alte Joch und spottet eurer Herrn.
Auch wird nicht leicht was auf der Welt erfunden,
Das ihr nicht gleich verbessert: wär's auch nur
Der Kranz, den ihr hinzufügt, einerlei,
Ihr drückt ihn drauf und habt das Ding gemacht!

Thoas (reicht ihm das Diadem).

Kandaules.
Das neue Diadem! Was soll mir dies?
Hast du dich auch vielleicht im Schwert vergriffen?
Ja, beim Herakles, dessen Fest wir feiern!
Ei, Thoas, wirst du kindisch vor der Zeit?

Thoas.
Ich dachte –

Kandaules.         Was?

Thoas.                         Seit fünf Jahrhunderten
Erschien kein König anders bei den Spielen,
Die dein gewalt'ger Ahn gestiftet hat,
Und als du es das letzte Mal versuchtest,
Die alten Heiligtümer zu verdrängen,
Da stand das Volk entsetzt und staunend da
Und murrte, wie noch nie!

Kandaules.                               Nun meinst du denn,
Ich hätt's mir merken und mich bessern sollen,
Nicht wahr?

Thoas.                 O Herr, nicht ohne einen Schauder
Berühre ich dies Diadem, und nie
Hab ich dies Schwert am Griff noch angefaßt,
Das alle Herakliden einmal schwangen.
Doch deinen neuen Schmuck betracht ich ganz,
Wie jedes andre Ding, das glänzt und schimmert,
Und das man hat, wenn man's bezahlen kann.
Nicht an Hephästos brauche ich dabei
Zu denken, der dem göttlichen Achill
Die Waffen schmiedete, und in dem Feuer,
Worin er Zeus die Donnerkeile stählt,
Auch nicht an Thetis, die durch ihre Töchter
Ihm Perlen und Korallen fischen ließ,
Damit es an der Zierde nicht gebreche:
Ich kenn den Mann ja, der das Schwert geliefert,
Und jenen, der das Diadem gefügt!

Kandaules.
Nun, Gyges?

Thoas.                 Herr, die Treue spricht aus mir,
Bin ich zu kühn, so bin ich's deinetwegen!
Und glaube mir: die vielen Tausende,
Die hier zusammenströmen, wenn sie auch
In feinrer Wolle gehn und leckrer essen,
Sind ganz so töricht oder fromm, wie ich.
Dein Haupt und dieser Reif, das sind für sie,
Trau deinem Knecht, zwei Hälften eines Ganzen,
Und ebenso dein Arm und dieses Schwert.

Kandaules.
Das denken alle?

Thoas.                         Ja, bei meinem Kopf!

Kandaules
So darf's nicht länger bleiben! Nimm denn hin
Und tu, was ich gebot.

Thoas (mit dem alten Schmuck ab).

Gyges.                                 Du tatst ihm weh.

Kandaules.
Ich weiß, doch sprich: wie hätt' ich's ändern können?
Wahr ist, was er gesagt! Hier gilt der König
Nur seiner Krone wegen und die Krone
Des Rostes wegen. Weh dem, der sie scheuert,
Je blanker, um so leichter an Gewicht.
Allein, was hilft's, wenn man sich nun einmal
So weit vergaß, weil man's nicht mehr ertrug,
Bloß durch den angestammten Schmuck zu glänzen,
Zu gelten, wie geprägte Münzen gelten,
Die keiner wägt, und mit den Statuen,
Die in geweihten Tempelnischen stehn,
Die schnöde Unverletzlichkeit zu teilen:
Man kann doch nicht zurück?

Thoas (kömmt mit dem neuen Schmuck).

Kandaules.                                     So ist es recht!

(Er setzt das Diadem auf.)

Das sitzt! Und alles, was mein Königreich
Im Schacht der Berge und im Grund des Meeres
An Perlen und Kleinodien nur liefert,
Nicht mehr, noch weniger, ist hier vereint:
Der Edelstein, den man bei uns nicht findet,
Und wär' er noch so schön, ist streng verbannt,
Doch freilich ließ ich auch für den noch Platz,
Den man in hundert Jahren erst entdeckt. –
Begreifst du nun?

(Zu Gyges.)

                            Das andre eignet sich
Für einen Riesenkopf, wie eure Bildner
Ihn meinem Ahnherrn wohl zu geben pflegen,
Wenn er im Löwenfell mit plumper Keule
Von eines Brunnens moos'gem Rand herab
Die Kinder euch erschrecken helfen soll.

(Er gürtet sich das Schwert um.)

Dies Schwert ist etwas leichter, wie das alte,
Doch dafür kann man's schwingen, wenn man muß,
Und nicht bloß draußen, unterm freien Himmel,
Wo die Giganten sich mit Felsen werfen,

(Er zieht's und schwingt's.)

Nein, auch in menschlich engem Raum, wie hier!
Drum, Thoas, spar dir ja die dritte Rede,
Die zweite hört' ich heut!

Thoas.                                       Vergib mir, Herr!
Doch weißt du: nicht die jungen Glieder sind's,
In denen sich ein Wittrungswechsel meldet,
Die alten Knochen spüren ihn zuerst! (Ab.)

Gyges.
Er geht betrübt.

Kandaules.                 Gewiß, er sieht's nicht gern,
Daß jetzt der nächste Donnerkeil mich trifft,
Und das steht fest für ihn, es wäre denn,
Daß mich die Erde früher schon verschlänge,
Wenn nicht der Minotaurus gar erscheint! –
So sind sie, denke darum aber nicht
Gering von ihnen! Nun, noch heute wirst du
Sie spielen sehn!

Gyges.                         Und wünsche, mitzuspielen.

Kandaules.
Wie, Gyges?

Gyges.                   Herr, ich bitte dich darum

Kandaules.
Nein, nein, du sollst an meiner Seite sitzen,
Damit ein jeder sieht, wie ich dich ehre,
Und wie ich will, daß man dich ehren soll.

Gyges.
Wenn du mich ehrst, so schlägst du mir's nicht ab.

Kandaules.
Du weißt nicht, was du tust! Kennst du die Lyder?
Ihr Griechen seid ein kluges Volk, ihr laßt
Die andern alle spinnen und ihr webt.
Das gibt ein Netz, wovon kein einz'ger Faden
Euch selbst gehört, und das doch euer ist!
Wie leicht wär's zugezogen und wie rasch
Die ganze Welt gefangen, wenn der Arm
Des Fischers nur ein wenig stärker wäre,
Der es regieren soll. Da aber fehlt's!
Ihr könnt durch keine Kunst die Nervenstränge
Uns aus dem Leibe haspeln, darum stellen
Wir uns viel blinder, als wir wirklich sind,
Und gehn zu unsrem eignen Spaß hinein:
Ein kleiner Ruck macht uns ja wieder frei.

Gyges.
Wir feiern diese Spiele auch.

Kandaules.                                     Ja, ja!
So unter euch! Da ringt der Dorier
Mit dem Ionier, und mischt am Ende
Gar der Böotier sich mit hinein,
So glaubt ihr, Ares selber schaue zu
Und merke sich mit Schaudern jeden Streich.
Gyges, und wenn du alle Preise dort
Errungen hättest, warnen müßt' ich dich,
Hier auch nur um den letzten mitzukämpfen.
Denn wild und blutig ging es immer her,
Doch würbest du, der Grieche und mein Günstling,
Auch nur um einen Zweig der Silberpappel,
Wie man sie heut zu Tausenden verstreut:
Du kämst mit deinem Leben nicht davon.

Gyges.
Nun habe ich dein ja, du kannst mir's jetzt
Nicht länger vorenthalten!

Kandaules.                                 Nimmst du's so?
Dann muß ich schweigen!

Gyges.                                     Herr, ich kam nicht bloß,
Zu bitten!

(Er zieht einen Ring hervor.)

                Nimm! Es ist ein Königsring!
Du siehst ihn an, du findest nichts an ihm,
Du staunst, daß ich ihn dir zu bieten wage,
Du wirst ihn nehmen, wie vom Kind die Blume,
Nur um die arme Einfalt nicht zu kränken,
Die dir sie brach, nicht, weil sie dir gefällt.
Unscheinbar ist er, das ist wahr, und schlicht,
Und dennoch kannst du für dein Königreich
Ihn dir nicht kaufen, noch ihn mit Gewalt
Trotz aller deiner Macht, dem Träger rauben,
Wenn er ihn dir nicht willig reichen will.
Trägst du ihn so,

(mit Zeichen und Gebärden)

                          daß das Metall nach vorn
Zu sitzen kommt, so ist er bloß ein Schmuck,
Vielleicht auch keiner, aber drehst du ihn
So weit herum, daß dieser kleine Stein,
Der dunkelrote, um sich blitzen kann,
So bist du plötzlich unsichtbar und schreitest,
Wie Götter in der Wolke, durch die Welt.
Darum verschmäh ihn nicht, denn noch einmal:
Es ist ein Königsring, und diesen Tag
Ersah ich längst, ihn dir zu übergeben,
Du bist der einz'ge, der ihn tragen darf!

Kandaules.
Von unerhörten Dingen kam auch uns
Die Kunde zu, man sprach von einem Weibe,
Medea hieß sie, welche Künste trieb,
Die selbst den Mond herab zur Erde zogen,
Doch nie vernahm ich noch von diesem Ring.
Woher denn hast du ihn?

Gyges.                                   Aus einem Grabe,
Aus einem Grabe in Thessalien!

Kandaules.
Du hast ein Grab erbrochen und entweiht?

Gyges.
Nein, König, nein! Erbrochen fand ich's vor!
Ich kroch nur bloß hinein, um mich vor Räubern
Zu bergen, die in großer Überzahl
Mir auf der Fährte waren und mich hetzten,
Als ich in abenteuerlichem Triebe
Das öde Waldgebirge jüngst durchstrich.
Die Aschenkrüge waren umgestoßen,
Die Scherben lagen traurig durcheinander,
Und in dem falben Strahl der Abendsonne,
Der durch die Ritzen des Gemäuers drang,
Sah ich ein Wölkchen blassen Staubes schweben,
Das vor mir aufstieg, als der letzte Rest
Der Toten, und so seltsam mich bewegte,
Daß ich, um meinesgleichen, meine Väter
Vielleicht, nicht unwillkürlich einzuatmen,
Den Odem lange anhielt in der Brust.

Kandaules.
Nun? Und die Räuber?

Gyges.                                 Hatten meine Spur
Verloren, wie's mir schien, denn fern und ferner
Verhallten ihre Stimmen, und ich glaubte
Mich schon gesichert, wenn ich auch noch nicht
Mein dämmriges Asyl verließ. Als ich
Nun so auf meinen Knieen kauerte,
Erblickte ich auf einmal diesen Ring,
Der aus dem wüsten Trümmerhaufen mir
Mit seinem Stein, wie ein Lebendiges,
Fast an ein scharfes Schlangen-Auge mahnend,
Entgegenfunkelte. Ich hob ihn auf,
Ich blies die Asche von ihm ab, ich sprach:
»Wer trug dich einst am längst zerstäubten Finger?«
Und, um zu sehen, ob's ein Mann gewesen,
Steckt' ich ihn an. Doch das war kaum geschehn,
So schrie man draußen: »Halt! dort muß er sein!
Siehst du das Grab? Heran, heran, Gefährten,
Wir haben ihn!« und rasch erschien der Trupp.
Ich aber, um nicht wehrlos, wie ein Tier,
Das man in eine Höhle trieb, geschlachtet
Zu werden, sprang hervor und stürzte ihnen
Entgegen, hoch in meiner Hand das Schwert.
Die Sonne war dem Untergange nah
Und strahlte, wie die Kerze, welche bald
Erlöschen soll, noch einmal doppelt hell.
Doch sie, als wär' für sie allein die Nacht
Schon eingebrochen, stürmten, grimmig fluchend,
An mir vorbei und reihten sich ums Grab.
Das ward nun streng durchsucht, und als sie mich
Nicht fanden, höhnten sie: »Was tut's, er trug
Wohl auch nichts bei sich, als das trotz'ge Auge,
Das uns mit seinem kecken Blick so reizte,
Und dieses bläst ihm schon ein andrer aus!«
Nun abermals, doch langsam und verdrießlich,
Ja, spähend, und mir selbst ins Antlitz stierend,
An mir vorbei und wieder nicht gesehn!

Kandaules.
Da dachtest du –

Gyges.                       Nicht an den Ring! Noch nicht!
Ich glaubte, daß ein Gott mich durch ein Wunder
Gerettet, auf die Kniee warf's mich nieder,
Und zu dem Unsichtbaren sprach ich so:
Ich weiß nicht, wer du bist, und wenn du mir
Dein Antlitz nicht enthüllst, so kann ich dir
Das Tier nicht opfern, das dir heilig ist,
Allein zum Zeichen, daß ich dankbar bin
Und nicht des Muts ermangle, bring ich dir
Den wildesten von diesen Räubern dar,
Dies schwör ich hier, wie schwer es immer sei.
Nun eilt' ich ihnen nach und mischte mich
In ihren Haufen, und ein Grauen faßte
Mich vor mir selbst, wie sie mich nicht allein
Gar nicht bemerkten, sondern durch mich hin,
Als wär' ich bloße Luft, zusammen sprachen,
Ja selbst das Brot sich reichten und den Wein.
Mein Blick umflorte sich und schweifend fiel
Er auf den Stein des Ringes, der mir rot
Und grell von meiner Hand entgegen sprühte
Und rastlos quellend, wallend, Perlen treibend
Und sie zerblasend, einem Auge glich,
Das ewig bricht in Blut, was ewig raucht.
Ich drehte ihn, aus Notwehr möcht' ich sagen,
Aus Angst, denn alle diese Perlen blitzten,
Als wären's Sterne, und mir ward zumut,
Als schaut' ich in den ew'gen Born des Lichts
Unmittelbar hinein, und würde blind
Vom Übermaß, wie von der Harmonie
Der Sphären, wie es heißt, ein jeder taub.
Da aber fühlt' ich kräftig mich gepackt,
Und: »Was ist das? Ei, wer hielt ihn versteckt?,
Der Spaß ist gut!« erklang's um mich herum.
Zehn Fäuste griffen nun mir nach der Kehle,
Zehn andre rissen am Gewande mir,
Und, blieb die plumpste für den Ring nicht übrig,
So war ein schmählich Ende mir gewiß.
Doch plötzlich hieß es: »Ei, der ist nicht arm,
Das ist ein guter Fang, seht, blankes Gold,
Sogar ein Edelstein, nur her damit!«
Allein fast in demselben Odemzug
Erscholl's: »Ein Gott! Ein Gott ist unter uns!«
Und alle lagen mir zu Füßen da.

Kandaules.
Sie hatten, wie sie an dem Ring dir zerrten,
Ihn wieder umgedreht und schauderten,
Als du verschwandest, wie ein Wolkenbild.

Gyges.
So muß es sein. Ich aber drehte ihn,
Jetzt endlich eingeweiht in sein Geheimnis,
Stolz und verwegen noch einmal und rief:
Ein Gott, jawohl, und jeder büßt mir nun!
Dann drang ich auf sie ein, und sie, entsetzt,
Als hätte ich den Donner in den Händen
Und tausend neue Tode mir zur Seite,
Behielten kaum zur Flucht noch Mut und Kraft.
Doch ich verfolgte sie, als müßte ich
Für die Erinnyen den Dienst versehen,
Und nicht ein einziger kam mir davon!
Dann wollt' ich mit dem Ring zurück zum Grabe,
Allein obgleich ich mir mit blut'gen Leichen
Den Weg bezeichnet hatte: nicht am Abend
Und nicht des Morgens ließ es sich mehr finden,
Und wider meinen Willen blieb er mein.

Kandaules.
Das ist ein Schatz, wie keiner!

Gyges.                                             Sagt' ich's nicht?
Ein Königsring! Drum, König, nimm ihn hin!

Kandaules.
Erst nach dem Kampfe!

Gyges.                                   Herr, ich trug ihn nie
Seit jenem Tag und trag ihn niemals wieder!
Bist du mit Holz so geizig? Keines Waldes
Bedarf es ja zu meinem Scheiterhaufen,
Ein Baum genügt, und traue diesem Arm,
Er wird dir auch wohl noch den Baum ersparen!

Kandaules.
So gib! Ich prüf ihn!

Gyges.                             Und ich wappne mich!

(Beide ab.)


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