Gerhart Hauptmann
Die Weber
Gerhart Hauptmann

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Fünfter Akt

Langenbielau. – Das Weberstübchen des alten Hilse. Links ein Fensterchen, davor ein Webstuhl, rechts ein Bett, dicht darangerückt ein Tisch. Im Winkel rechts der Ofen mit Bank. Um den Tisch, auf Rüsche, Bettkante und Holzschemel sitzend: der alte Hilse, seine ebenfalls alte, blinde und fast taube Frau, sein Sohn Gottlieb und dessen Frau Luise bei der Morgenandacht. Ein Spulrad mit Garnwinde steht zwischen Tisch und Webstuhl. Auf den gebräunten Deckbalken ist allerhand altes Spinn-, Spul- und Webegerät untergebracht. Lange Garnsträhne hängen herunter. Vielerlei Prast liegt überall im Zimmer umher. Der sehr enge, niedrige und flache Raum hat eine Tür nach dem »Hause« in der Hinterwand. Dieser Tür gegenüber im »Hause« steht eine andere Tür offen, die den Einblick gewährt in ein zweites, dem ersten ähnliches Weberstübchen. Das »Haus«, ist mit Steinen gepflastert, hat schadhaften Putz und eine baufällige Holztreppe hinauf zur Dachwohnung. Ein Waschfaß auf einem Schemel ist teilweise sichtbar; ärmlichste Wäschestücke, Hausrat armer Leute steht und liegt durcheinander. Das Licht fällt von der linken Seite in alle Räumlichkeiten.

Der alte Hilse, ein bärtiger, starkknochiger, aber nun von Alter, Arbeit, Krankheit und Strapazen gebeugter und verfallener Mann. Veteran, einarmig. Er ist spitznasig, von fahler Gesichtsfarbe, zittrig, scheinbar nur Haut, Knochen und Sehne und hat die tiefliegenden, charakteristischen, gleichsam wunden Weberaugen. – Nachdem er sich mit Sohn und Schwiegertochter erhoben, betet er. Du lieber Herrgott, mir kenn dir gar nich genug Dank bezeigen, daß du uns auch diese Nacht in deiner Gnade und Giete . . . und hast dich unser erbarmt. Daß mir auch diese Nacht nich han keen'n Schaden genommen. Herr, deine Giete reicht so weit, und mir sein arme, beese, sindhafte Menschenkinder, ni wert, daß dei Fuß uns zertritt, aso sindhaftich und ganz verderbt sein mir. Aber du, lieber Vater, willst uns ansehn und annehmen um deines teuren Sohnes, unsers Herrn und Heilands Jesus Christus willen. Jesu Blut und Gerechtigkeit, das is mein Schmuck und Ehrenkleid. Und wenn auch mir und mer wern manchmal kleenmietig under deiner Zuchtrute – wenn und der Owen d'r Läutrung und brennt gar zu rasnich heiß –, da, rech's uns ni zu hoch an, vergib uns unsre Schuld. Gib uns Geduld, himmlischer Vater, daß mir nach diesem Leeden und wern teilhaftig deiner ewigen Selichkeet. Amen.

Mutter Hilse, welche vorgebeugt mit Anstrengung gelauscht hat, weinend. Nee, Vaterle, du machst a zu a scheenes Gebete machst du immer.

Luise begibt sich ans Waschfaß, Gottlieb ins gegenüberliegende Zimmer.

Der alte Hilse. Wo is denn's Madel?

Luise. Nieber nach Peterschwalde – zu Dreißichern. Se hat wieder a paar Strähne verspult nächt'n Abend.

Der alte Hilse, sehr laut sprechend. Na, Mutter, nu wer ich d'rsch Rädla bringen.

Mutter Hilse. Nu bring 's, bring's, Aler.

Der alte Hilse, das Spulrad vor sie hinstellend. Sieh ock, ich wollt' d'rsch ja zu gerne abnehmen . . .

Mutter Hilse. Nee . . . nee . . . was tät' ock ich anfangen mit der vielen Zeit!?

Der alte Hilse. Ich wer d'r de Finger a bissel abwischen, daß nich etwa's Garn und wird fettig – heerscht de? Er wischt ihr mit einem Lappen die Hände ab.

Luise, vom Waschfaß. Wo hätt' mir ock Fettes gegessen?!

Der alte Hilse. Hab'n mer kee Fett, eß mirsch Brot trocken – hab'n mer kee Brot, eß mer Kartoffeln – hab'n mer keene Kartoffeln ooch nich, da eß mer trockne Kleie.

Luise, batzig. Und hab'n mer kee Schwarzmehl, da machen mersch wie Wenglersch unten, da sehn m'r dernach, wo d'r Schinder a verreckt Ferd hat verscharrt. Das graben m'r aus, und da leben mer amal a paar Wochen von Luder – aso mach mersch! nich wahr?

Gottlieb, aus dem Hinterzimmer. Was Geier hast du fer a Geschwatze!?

Der alte Hilse. Du sollt'st dich mehr vorsehn mit gottlosen Reden! Er begibt sich an den Webstuhl, ruft. Wollt'st m'r ni helfen, Gottlieb – 's sein ock a paar Fädel zum Durchziehn.

Luise, vom Waschfaß aus. Gottlieb, sollst Vatern zureechen.

Gottlieb kommt. Der Alte und sein Sohn beginnen nun die mühsame Arbeit des Kammstechens: Fäden der Werfte werden durch die Augen der Kämme oder Schäfte am Webstuhl gezogen. Kaum haben sie begonnen, so erscheint im »Hause« Hornig.

Hornig, in der Stubentür. Viel Glick zum Handwerk!

Der alte Hilse und sein Sohn. Scheen Dank, Hornig!

Der alte Hilse. Nu sag amal, wenn schläfst du d'n eegentlich? Bei Tage gehst uf a Handel, in d'r Nacht stehst de uf Wache.

Hornig. Ich hab' doch gar keen'n Schlaf ni mehr!?

Luise. Willkommen, Hornig!

Der alte Hilse. Na was bringst du Gudes?

Hornig. Scheene Neuigkeeten, Meester. De Peterschwalder hab'n amal'n Teiwel riskiert und haben a Fabrikant Dreißiger mitsamst der ganzen Familie zum Loche nausgejagt.

Luise, mit Spuren von Erregung. Hornig liegt wieder amal in a hellen Morgen nein.

Hornig. Dasmal nich, junge Frau! dasmal nich. – Scheene Kinderschirzl hätt' ich im Wagen. Nee, nee, ich sag' reene Wahrheet. Se haben 'n heilig fortgejagt. Gestern abend is a nach Reechenbach kommen. Na Gott zu dir! Da han s'n doch ni erscht amal wolln behalt'n – aus Furcht vor a Webern – da hat er doch plutze wieder fortgemußt uf Schweidnitz nein. –

Der alte Hilse, er nimmt Fäden der Werfte vorsichtig auf und bringt sie in die Nähe des Kammes, durch dessen eines Auge der Sohn von der anderen Seite mit einem Drahthäkchen greift, um die Fäden hindurchzuziehen. Nu hast aber Zeit, daß de ufheerscht, Hornig!

Hornig. Ich will ni mit heilen Knochen von d'r Stelle gehn. Nee, nee, das weeß ja bald jedes Kind.

Der alte Hilse. Nu sag amal, bin ich nu verwirrt, oder bist du verwirrt?

Hornig. Nu das heeßt. Was ich dir erzählt hab', das is aso wahr wie Amen in d'r Kirche. Ich wollte ja nischt sagen, wenn ich und ich hätte nich d'rbeigestanden, aber aso hab' ich's doch gesehn. Mit eegnen Augen, wie ich dich hier sehn tu', Gottlieb. Gedemoliert haben se'n Fabrikanten sei Haus, unten vom Keller uf bis oben ruf unter de Dachreiter. Aus a Dachfenstern haben se's Porzlan geschmissen – immer iebersch Dach nunter. Wie viel hundert Schock Parchent liegen bloß in d'r Bache?! 's Wasser kann ni mehr fort, kannst's glooben; 's kam immer ieber a Rand riebergewellt; 's sah orntlich schwefelblau aus von dem vielen Indigo, den se haben aus a Fenstern geschitt't. Die himmelblauen Staubwolken, die kamen bloß immer aso gepulwert. Nee, nee, dort haben se schonn firchterlich geäschert. Ni ock etwa im Wohnhause . . . in d'r Färberei . . . uf a Speichern . . . ! 's Treppengeländer zerschlagen, de Dielen ufgerissen – Spiegel zertrimmert – Sofa, Sessel, alles zerrissen und zerschlissen, zerschnitten und zerschmissen – zertreten und zerhackt – nee verpucht! – kannst's glooben, schlimmer wie im Kriege.

Der alte Hilse. Und das sollten hiesige Weber gewest sein? Er schüttelt langsam und ungläubig den Kopf. An der Tür haben sich neugierige Hausbewohner gesammelt.

Hornig. Nu, was denn sonste? Ich kennte ja alle mit Namen genenn'n. Ich fiehrt' a Landrat durchs Haus. Da hab' ich ja mit vielen gered't. Se warn aso umgänglich wie sonste. Se machten ihre Sache aso sachte weg, aber se machten's grindlich. D'r Landrat red'te mit vielen. Da warn se aso demietig wie sonste. Aber abhalt'n ließen se sich nich. Die scheensten Meebelsticke, die wurden zerhackt, ganz wie fersch Lohn.

Der alte Hilse. A Landrat hätt'st du durchs Haus gefiehrt?

Hornig. Nu, ich wer mich doch ni firchten. Ich bin doch bekannt bei den Leuten wie a beese Greschl. Ich hab' doch mit keen'n nischt. Ich steh' doch mit allen gut. Aso gewiß wie ich Hornig heeße, so wahr bin ich durchgegangen. Und ihr kennt's dreiste glooben: mir is orntlich weech worn hie rum – und'n Landrat, dem sah ich's wohl ooch an – 's ging'n nahe genug. Denn warum? – Ma heerte ooch noch nich amal a eenzichtes Wort, aso schweigsam ging's her. Orntlich feierlich wurd' een zumutte, wie die armen Hungerleider und nahmen amal ihre Rache dahier.

Luise, mit ausbrechender, zitternder Erregung, zugleich die Augen mit der Schürze reibend. Aso is ganz recht, aso muß kommen!

Stimmen der Hausbewohner. Hier gäb's o Menschenschinder genug. – Da drieben wohnt glei eener. – Der hat vier Pferde und sechs Kutschwagen im Stalle und läßt seine Weber d'rfiere hungern.

Der alte Hilse, immer noch ungläubig. Wie sollte das aso rauskommen sein, dort drieben?

Hornig. Wer weeß nu!? Wer weeß ooch!? Eener spricht so, d'r andre so.

Der alte Hilse. Was sprechen se denn?

Hornig. Na, Gott zu dir, Dreißiger sollte gesagt hab'n: de Weber kennten ja Gras fressen, wenn se hungern täten. Ich weeß nu weiter nich. Bewegung auch unter den Hausbewohnern, die es einer dem andern unter Zeichen der Entrüstung weitererzählen.

Der alte Hilse. Nu heer amal, Hornig. Du kennt'st mir meinsweg'n sagen: Vater Hilse, morgen mußt du sterben. Das kann schonn meeglich sein, werd' ich sprechen – warum denn ni? – Du kennt'st mir sagen: Vater Hilse, morgen besucht dich d'r Keenich von Preußen – aber daß Weber, Menschen wie ich und mei Sohn – und sollten solche Sachen haben vorgehabt – nimmermehr! Nie und nimmer wer ich das glooben.

Mielchen, siebenjähriges, hübsches Mädchen mit langen offenen Flachshaaren, ein Körbchen am Arm, kommt hereingesprungen. Der Mutter einen silbernen Eßlöffel entgegenhaltend. Mutterle, Mutterle! sieh ock, was ich hab'! Da sollst mer a Kleedl d'rfier koofen.

Luise. Was kommst'n du aso gejädert, Mädel? Mit gesteigerter Aufregung und Spannung. Was bringst'n da wieder geschleppt, sag emal. Du bist ja ganz hinter a Oden gekommen. Und de Feifel sein noch im Kerbel. Was soll denn das heeßen, Mädel?

Der alte Hilse. Mädel, wo hast du den Leffel her?

Luise. Kann sein, se hat'n gefunden.

Hornig. Seine zwee, drei Taler is der gutt wert.

Der alte Hilse, außer sich. Naus, Mädel! naus! Glei machst, daß d' nauskommst. Wirscht du glei folgen, oder soll ich a Priegel nehmen?! Und den Leffel trägst hin, wo d'n herhast. Naus! Willst du uns alle mitsammen zu Dieben machen, hä? Dare, dir wer ich's Mausen austreiben. Er sucht etwas zum Hauen.

Mielchen, sich an der Mutter Röcke klammernd, weint. Großvaterle, hau mich nich – mer – haben's – doch ge–gefunden. De – Spul . . . Spul–kinder – haben – alle – welche.

Luise, zwischen Angst und Spannung hervorstoßend. Nu da siehst's doch, gefunden hat sie's. Wo hast's denn gefunden?

Mielchen, schluchzend. In Petersch–walde haben – mersch ge–funden, vor Dreißigersch – Hause.

Der alte Hilse. Nu da hätt m'r ja de Bescheerung. Nu mach aber lang, sonster wer ich d'r uf a Trab helfen.

Mutter Hilse. Was geht denn vor?

Hornig. Itz will ich d'r was sag'n, Vater Hilse. Laß Gottlieben a Rock anziehn, a Leffel nehmen und ufs Amt tragen.

Der alte Hilse. Gottlieb, zieh d'r a Rock an!

Gottlieb, schon im Anziehen begriffen, eifrig. Und da wer ich uf de Kanzlei gehn und sprechen: se sollten's nich iebelnehmen, aso a Kind hätte halt doch no nich aso's Verständnis dervon. Und da brächt' ich den Leffel. Heer uf zu flerrn, Mädel!

Das weinende Kind wird von der Mutter ins Hinterzimmer gebracht, dessen Tür sie schließt. Sie selbst kommt zurück.

Hornig. Seine drei Taler kann der gutt Wert haben.

Gottlieb. Gib ock a Tiechl, Luise, daß a nich zu Schaden kommt. Nee, nee, aso, aso a teuer Dingl. Er hat Tränen in den Augen, während er den Löffel einwickelt.

Luise. Wenn mir a hätt'n, kennt mer viele Wochen leben.

Der alte Hilse. Mach, mach, feder dich! Feder dich aso sehr, wie de kannst! Das wär' aso was! Das fehlt mir noch gerade. Mach, daß mir den Satansleffel vom Halse kriegen.

Gottlieb ab mit dem Löffel.

Hornig. Na nu wer ich ooch sehn, daß ich weiterkomme. Er geht, unterhält sich im »Haus« noch einige Sekunden, dann ab.

Chirurgus Schmidt, ein quecksilbriges, kugliges Männchen mit weinrotem, pfiffigem Gesicht kommt ins »Haus«. Gu'n Morgen, Leute! Na, das sind m'r scheene Geschichten. Kommt mir nur! Mit dem Finger drohend. Ihr habt's dick hintern Ohren. In der Stubentür, ohne hereinzukommen. Gu'n Morgen, Vater Hilse! Zu einer Frau im »Hause«. Nu, Mutterle, wie steht's mit'n Reißen? Besser, wie? Na säht Ihr woll! Vater Hilse, ich muß doch ooch mal schaun, wie's bei Euch aussieht. Was Teuwel is denn dem Mutterle?

Luise. Herr Dokter, de Lichtadern sein er vertrockn't, se sieht gar gar nischt mehr.

Chirurgus Schmidt. Das macht der Staub und das Weben bei Licht. Na sagt amal, kennt ihr euch darieber'n Versch machen? Ganz Peterschwaldau is ja auf'n Beinen hier rieber. Ich setz' mich heut frieh in meinen Wagen, denke nischt Iebels, nicht mit einer Faser. Höre da fermlich Wunderdinge. Was in drei Teiwels Namen ist denn in die Menschen gefahren, Hilse? Wüten da wie'n Rudel Welfe. Machen Revolution, Rebellion; werden renitent, plündern und marodieren . . . Mielchen! wo is denn Mielchen? Mielchen, noch rot vom Weinen, wird von der Mutter hereingeschoben. Da, Mielchen, greif mal in meine Rockschöße. Mielchen tut es. Die Feffernisse sind deine. Na, na; nich alle auf einmal. Schwernotsmädel! Erst singen! Fuchs, du hast die . . . na? Fuchs, du hast die . . . Gans . . . Wart nur du, was du gemacht hast: du hast ja die Sperlinge uf'n Pfarrzaune Stengelscheißer genannt. Die haben's angezeigt beim Herr Kanter. Na nu sag bloß ein Mensch. An fünfzehnhundert Menschen sind auf der Achse. Fernes Glockenläuten. Hört mal: – in Reichenbach läuten sie Sturm. Finfzehnhundert Menschen. Der reine Weltuntergang. Unheimlich!

Der alte Hilse. Da kommen sie wirklich hier rieber nach Bielau?

Chirurgus Schmidt. Nu freilich, freilich, ich bin ja durchgefahren. Mitten durch a ganzen Schwarm. Am liebsten wär' ich abgestiegen und hätte glei jed'm a Pulwerle gegeben. Da trottelt eener hinterm andern her wie's graue Elend und verfiehren ein Gesinge, daß een fermlich a Magen umwend't, daß een richtig zu wirgen anfängt. Mei Friedrich uf'm Bocke, der hat genatscht wie a alt Weib. Mir mußten uns glei d'rhinterher'n tichtichen Bittern koofen. Ich meechte kee Fabrikante sein, und wenn ich gleich uf Gummirädern fahrn kennte. Fernes Singen. Horcht mal! Wie wenn man mit a Knecheln 'n alten, zersprungenen Bunzeltopp bearbeit. Kinder, das dauert nich fünf Minuten, da haben mer se hier. Adje, Leute. Macht keene Tummheiten. Militär kommt gleich dahinterher. Bleibt bei Verstande. Die Peterswaldauer hab'n a Verstand verloren. Nahes Glockenläuten. Himmel, nu fangen unsre Glocken auch noch an, da müssen ja die Leute vollens ganz verrickt werd'n. Ab in den Oberstock.

Gottlieb kommt wieder. Noch im »Hause«, mit fliegendem Atem. Ich hab' se gesehn, ich hab' se gesehn. Zu einer Frau im »Hause«. Se sein da, Muhme, se sein da! In der Tür. Se sein da, Vater, se sein da! Se haben Bohnenstangen und Stichliche und Hacken. Se stehn schonn beim oberschten Dittriche und machen Randal. Se kriegen, gloob' ich, Geld ausgezahlt. O Jes's, was wird ock noch werden dahier? Ich seh' nich hin. Aso viel Leute, nee aso viel Leute! Wenn die erscht und nehmen an Anlauf – o verpucht, o verpucht! da sein unsere Fabrikanten o beese dran.

Der alte Hilse. Was bist denn so gelaufen! Du wirscht aso lange jächen, biste wirscht wieder amal dei altes Leiden haben, biste wirscht wieder amal uf'n Ricken liegen und um dich schlagen.

Gottlieb, halb und halb freudig erregt. Nu ich mußte doch laufen, sonste hätten die mich ja festegehalten. Se prillten ja schonn alle: ich sollte de Hand auch hinrecken. Pate Baumert war ooch d'rbei. Der meent' ieber mich, hol d'r ock ooch an Finfbeehmer, du bist o a armer Hungerleider. A sagte gar: sag du's dein'n Vater . . . Ich sollt's Ihn sagen, Vater, Se sollten kommen und sollten mit helfen, a Fabrikanten de Schinderei heemzahlen. Mit Leidenschaft. 's kämen jetzt andre Zeiten, meent' a. Jetzt tat' a ganz andre Ding werden mit uns Webern. M'r sollten alle kommen und's mit helfen durchsetzen. Mir wollten alle jetzt o unser Halbfindl Fleesch zum Sonntage haben und an allen heiligen Tagen amal an Bluttwurscht und Kraut. Das tät' jetzt alles a ganz andre Gesichte kriegen, meent' er ieber mich.

Der alte Hilse, mit unterdrückter Entrüstung. Und das will dei Pate sein?! Und heeßt dich a an solchen sträflichen Werke mit teelnehmen?! Laß du dich nich in solche Sachen ein, Gottlieb. Da hat d'r Teifel seine Hand im Spiele. Das is Satansarbeit, was die machen.

Luise, übermannt von leidenschaftlicher Aufregung, heftig. Ja, ja, Gottlieb, kaffer du dich hinter a Owen, in de Helle, nimm d'r an Kochleffel in de Hand und 'ne Schissel voll Puttermilch uf de Knie, zieh d'r a Reckel an und sprich Gebetl, so bist'n Vater recht. – Und das will a Mann sein? Lachen der Leute im »Hause«.

Der alte Hilse, bebend, mit unterdrückter Wut. Und du willst 'ne richtige Frau sein, hä? Da wer ich dirsch amal orntlich sagen. Du willst 'ne Mutter sein und hast so a meschantes Maulwerk dahier? Du willst dein'n Mädel Lehren geben und hetzt dein'n Mann uf zu Verbrechen und Ruchlosigkeiten?!

Luise, maßlos. Mit Euren bigotten Räden . . . dadervon da is mir o noch nich amal a Kind satt geworn. Derwegen han se gelegen alle viere in Unflat und Lumpen. Da wurd' ooch noch nich amal a eenzichtes Winderle trocken. Ich will 'ne Mutter sein, daß d's weeßt! und deswegen, daß d's weeßt, winsch' ich a Fabrikanten de Helle und de Pest in a Rachen nein. Ich bin ebens 'ne Mutter. – Erhält ma woll so a Wirml?! Ich hab' mehr geflennt wie Oden geholt von dem Augenblicke an, wo aso a Hiperle uf de Welt kam, bis d'r Tod und erbarmte sich drieber. Ihr habt Euch an Teiwel gescheert. Ihr habt gebet't und gesungen, und ich hab' m'r de Fieße bluttich gelaufen nach een'n eenzichten Neegl Puttermilch. Wie viel hundert Nächte hab' ich mir a Kopp zerklaubt, wie ich ock und ich kennte so a Kindl ock a eenzich Mal um a Kirchhoof rumpaschen. Was hat so a Kindl verbrochen, hä? und muß so a elendigliches Ende nehmen – und drieben bei Dittrichen, da wern se in Wein gebad't und mit Milch gewaschen. Nee, nee: wenn's hie losgeht – ni zehn Pferde solln mich zurickehalten. Und das sag' ich: stürmen se Dittrichens Gebäude – ich bin de erschte – und Gnade jeden, der mich will abhalten. – Ich hab's satt, aso viel steht feste.

Der alte Hilse. Du bist gar verfallen; dir is ni zu helfen.

Luise, in Raserei. Euch is nich zu helfen. Lappärsche seid ihr. Haderlumpe, aber keene Manne. Gattschliche zum Anspucken. Weechquarkgesichter, die vor Kinderklappern Reißaus nehmen. Kerle, die dreimal »scheen Dank« sagen fer 'ne Tracht Priegel. Euch haben se de Adern so leer gemacht, daß ihr ni amal mehr kennt rot anlaufen im Gesichte. An Peitsche sollt' ma nehmen und euch a Krien einbleun in eure faulen Knochen. Schnell ab.

Verlegenheitspause.

Mutter Hilse. Was is denn mit Liesln, Vater?

Der alte Hilse. Nischte, Mutterle. Was soll denn sein?

Mutter Hilse. Sag amal, Vater, macht mirsch bloß aso was vor, oder läuten de Glocken?

Der alte Hilse. Se wern een'n begraben, Mutter.

Mutter Hilse. Und mit mir will's halt immer noch kee Ende nehmen. Warum sterb' ich ock gar nich, Mann?

Pause.

Der alte Hilse läßt die Arbeit liegen, richtet sich auf, mit Feierlichkeit. Gottlieb! – Dei Weib hat uns solche Sachen gesagt. Gottlieb, sieh amal her! Er entblößt seine Brust. Dahier saß a Ding, aso groß wie a Fingerhutt. Und wo ich menn Arm hab' gelassen, das weeß d'r Keenig. De Mäuse haben mer'n nich abgefressen. Er geht hin und her. Dei Weib – an die dachte noch gar kee Mensch, da hab' ich schonn mei Blutt quartweise fersch Vaterland verspritzt. Und deshalb mag se plärrn, so viel wie se Lust hat. – Das soll mir recht sein. Das is mir Schißkojenne. – Ferchten? Ich und mich ferchten? Vor was denn ferchten, sag m'r a eenzigtes Mal. Vor den paar Soldaten, die de vielleicht und kommen hinter a Rebellern her? O Jeckerle! wärsch doch! Das wär' halb schlimm. Nee, nee, wenn ich schonn a bissel morsch bin uf a Rickgrat. – Wenn's druf ankommt, hab' ich Knochen wie Elfenbeen. Da nehm' ich's schonn noch uf mit a paar lumpigten Bajonettern. – Na und wenn's gar schlimm käm'!? O viel zu gerne, viel zu gerne tät' ich Feierabend machen. Zum Sterben ließ ich mich gewiß ni lange bitten. Lieber heut wie morgen. Nee, nee. Und's war' o gar! Denn was verläßt eens denn? Den alten Marterkasten wird ma doch ni etwa beweinen? Das Häufel Himmelsangst und Schinderei da, das ma Leben nennt, das ließ' man gerne genug im Stiche. – Aber dann, Gottlieb! dann kommt was – und wenn ma sich das auch noch verscherzt – dernachert is 's erscht ganz alle.

Gottlieb. Wer weeß, was kommt, wenn eens tot is? Gesehn hat's keener.

Der alte Hilse. Ich sag' dirsch, Gottlieb! zweifle nich an dem eenzigten, was mir armen Menschen haben. Fer was hätt' ich denn hier gesessen – und Schemel getreten uf Mord vierzig und mehr Jahr? und hätte ruhig zugesehn, wie der dort drieben in Hoffart und Schwelgerei lebt – und Gold macht aus mein'n Hunger und Kummer. Fer was denn? Weil ich 'ne Hoffnung hab'. Ich hab' was in aller der Not. Durchs Fenster weisend. Du hast hier deine Parte – ich drieben in jener Welt: das hab' ich gedacht. Und ich lass' mich vierteeln – ich hab' 'ne Gewißheet. Es ist uns verheißen. Gericht wird gehalten, aber nich mir sein Richter, sondern: mein is die Rache, spricht der Herr, unser Gott.

Eine Stimme, durchs Fenster. Weber raus!

Der alte Hilse. – Vor mir – macht, was d'r lustig seid. Er steigt in den Webstuhl. Mich werd'r woll missen drinnelassen.

Gottlieb, nach kurzem Kampf. Ich wer gehn und wer arbeiten. Mag kommen, was will. Ab.

Man hört das Weberlied vielhundertstimmig und in nächster Nähe gesungen; es klingt wie ein dumpfes, monotones Wehklagen.

Stimmen der Hausbewohner, im »Hause«. O jemersch, jemersch, nu kommen se aber wie de Ameisen. – Wo sein ock die vielen Weber her? – Schipp ock nich, ich will ooch was sehn. – Nu sieh ock die lange Latte, die de vorneweg geht. – Ach! ach! nu kommen se knippeldicke!

Hornig tritt unter die Leute im »Hause«. Gelt, das is amal aso a Theater? So was sieht man nich alle Tage. Ihr sollt't ock ruf kommen zum oberschten Dittriche. Da haben se schonn wieder a Ding gemacht, das an Art hat. Der hat kee Haus ni mehr, keene Fabricke ni mehr – keen Weinkeller ni mehr, kee gar nischte mehr. Die Flaschen, die saufen se aus . . . da nehmen se sich gar nich erscht amal Zeit, de Froppen rauszureißen. Eens, zwee, drei sein de Hälse runter, ob se sich's Maul ufschneiden mit a Scherben oder nich. Manche laufen rum und blutten wie de Schweine. – Nu wern se den hiesigen Dittrich ooch noch hochnehmen.

Der Massengesang ist verstummt.

Stimmen der Hausbewohner. Die sehn doch reen gar nich aso beese aus.

Hornig. Nu laßt's gutt sein! wart's ock ab! Jetzt nehmen s'n de Gelegenheit erschte richtig in Augenschein. Sieh ock, wie se den Palast von allen Seiten ufs Korn nehmen. Seht ock den kleenen, dicken Mann – a hat'n Ferdeeimer mite. Das is a Schmied von Peterschwalde, a gar a sehr gefirre Männdl. Der haut de dicksten Tieren ein wie Schaumprezeln – das kennt'r glooben. Wenn der amal an Fabrikanten in de Mache kriegt – der hat aber verspielt dahier!

Stimmen der Hausbewohner. Praatz, hast a Ding! – Da flog a Stein ins Fenster! – Nu kriegt's d'r alte Dittrich mit d'r Angst. – A hängt an Tafel raus. – An Tafel hängt a raus? – Was steht's denn druf? – Kannst du ni lesen? – Was sollte ock aus mir wem, wenn ich ni lesen kennte. – Na, lies amal! – »Ihr – sollt – alle – befrie–digt werden, ihr – sollt – alle – befriedigt werden.«

Hornig. Das könnt' a underwegens lassen. Helfen tutt's ooch nich aso viel. Die Brieder haben eegne Mucken. Hier is uf de Fabricke abgesehn. De mechan'schen Stiehle, die wolln se doch aus d'r Welt schaffen. Die sein's doch halt eemal, die a Handweber zugrunde richten: das sieht doch a Blinder. Nee, nee! die Christen sein heut eemal im Zuge. Die bringt kee Landrat und kee Verwalter zu Verstande – und keene Tafel schonn lange nich. Wer die hat sehn wirtschaften – der weeß, was 's geschlagen hat.

Stimmen der Hausbewohner. Ihr Leute, ihr Leute, aso 'ne Menschheet! – Was wolln denn die? – Hastig. Die kommen ja ieber die Bricke rieber!? – Ängstlich. Die kommen woll uf de kleene Seite? In höchster Überraschung und Angst. Die kommen zu uns, die kommen zu uns. – Se holn de Weber aus a Häusern raus.

Alle flüchten, das »Haus« ist leer. Ein Schwarm Aufständischer, beschmutzt, bestaubt, mit von Schnaps und Anstrengung geröteten Gesichtern, wüst, übernächtigt, abgerissen, dringt mit dem Ruf Weber raus! ins »Haus« und zerstreut sich von da in die einzelnen Zimmer. Ins Zimmer des alten Hilse kommen Bäcker und einige junge Weber, mit Knütteln und Stangen bewaffnet. Als sie den alten Hilse erkennen, stutzen sie, leicht abgekühlt.

Bäcker. Vater Hilse, heert uf mit der Exterei. Laßt Ihr das Bänkl dricken, wer Lust hat. Ihr braucht Euch keen'n Schaden nich mehr antreten. Dafor wird gesorgt wern.

Erster junger Weber. Ihr sollt ooch keen'n Tag nich mehr hungrich schlafen gehn.

Zweiter junger Weber. D'r Weber soll wieder a Dach ieber a Kopp und a Hemde uf a Leib kriegen.

Der alte Hilse. Wo bringt euch d'r Teiwel her mit Stangen und Äxten?

Bäcker. Die schlag mer inzwee uf Dittrichens Puckel.

Zweiter junger Weber. Die mach m'r gliehend und stoppen se a Fabrikanten in a Rachen, daß se auch amal merken, wie Hunger brennt.

Dritter junger Weber. Kommt mit, Vater Hilse! mir geben kee Pardon.

Zweiter junger Weber. Mit uns hat o keener Erbarmen gehabt. Weder Gott noch Mensch. Jetzt schaffen mir uns selber Recht.

Der alte Baumert kommt hereinm schon etwas unsicher auf den Füßen, einen geschlachteten Hahn unterm Arm. Er breitet die Arme aus. Brie–derle – mir sein alle Brieder! Kommt an mei Herze, Brieder! Gelächter.

Der alte Hilse. Aso siehst du aus, Willem!?

Der alte Baumert. Gustav, du!? Gustav, armer Hungerleider, komm an mei Herze. Gerührt.

Der alte Hilse brummt. Laß mich zufriede.

Der alte Baumert. Gustav, aso is's. Glick muß d'r Mensch hab'n. Gustav, schmeiß amal a Auge uf mich. Wie seh' ich aus? Glick muß d'r Mensch haben! Seh' ich nich aus wie a Graf? Sich auf den Bauch schlagend. Rat amal, was in dem Bauche steckt? A Edelmannsfressen steckt in dem Bauche. Glick muß d'r Mensch haben, da kriegt a Schlampancher und Hasengebratnes. – – Ich wer euch was sagen: mir haben halt an Fehler gemacht: zulangen miß mer.

Alle, durcheinander. Zulangen miß mer, hurra!

Der alte Baumert. Und wenn ma de erschten gutten Bissen verdrickt hat, da spiert ma's woll balde in d'r Natur. H–uchjesus, da kriegt man 'ne Forsche, aso stark wie a Bremmer. Da treibt's een de Stärke aus a Gliedmaßen ock aso raus, daß man gar ni mehr sieht, wo man hinhaut. Verflugasich die Lust aber ooch!

Jäger, in der Tür, bewaffnet mit einem alten Kavalleriesäbel. Mir hab'n a paar famoste Attacken gemacht.

Bäcker. Mir hab'n die Sache schonn sehr gutt begriffen. Eens, zwee, drei sind mer drinne in a Häusern. Da geht's aber o schonn wie helles Feuer. Daß ock aso prasselt und zittert. Daß de Funken spritzen wie in d'r Feueresse.

Erster junger Weber. Mir sollten gar amal a klee Feuerle machen.

Zweiter junger Weber. Mir ziehn nach Reechenbach und zinden a Reichen de Häuser ieberm Koppe an.

Jäger. Das war' den a Gestrichnes. Da kriegten se erscht gar viel Feuerkasse.

Gelächter.

Bäcker. Von hier ziehn mer na Freiburg zu Tromtran.

Jäger. M'r sollten amal de Beamten hochnehmen. Ich hab's gelesen, von a Birokratern kommt alles Unglicke.

Zweiter junger Weber. Mir ziehn balde nach Breslau. Mir kriegen ja immer mehr Zulauf.

Der alte Baumert, zu Hilse. Nu trink amal, Gustav!

Der alte Hilse. Ich trink' nie keen'n Schnaps.

Der alte Baumert. Das war in d'r alten Welt, heut sind mir in eener andern Welt, Gustav!

Erster junger Weber. Alle Tage is nich Kirms.

Gelächter.

Der alte Hilse, ungeduldig. Ihr Hellenbrände, was wollt ihr bei mir?!

Der alte Baumert, ein wenig verschüchtert, überfreundlich. Nu sieh ock, ich wollt' d'r a Hähndl bringen. Sollst Muttern der von an Suppe kochen.

Der alte Hilse, betroffen, halb freundlich. Oh, geh und sag's Muttern.

Mutter Hilse hat, die Hand am Ohr, mit Anstrengung hingehorcht, nun wehrt sie mit den Händen ab. Laßt mich zufriede. Ich mag keene Hiehndlsuppe.

Der alte Hilse. Hast recht, Mutter. Ich ooch nich. Aso eene schonn gar nich. Und dir, Baumert! dir will ich a Wort sag'n. Wenn de Alten schwatzen wie de kleen'n Kinder, da steht d'r Teiwel uf'm Koppe vor Freiden. Und daß ihrsch wißt! Daß ihrsch alle wißt: ich und ihr, mir haben nischt nich gemeen. Mit mein'n Willen seit'r nich hier. Ihr habt hier nach Recht und Gerechtichkeet nischt nich zu suchen!

Stimme. Wer nich mit uns is, der is wider uns.

Jäger, brutal drohend. Du bist gar sehr schiefgewickelt. Heer amal, Aler, mir sind keene Diebe.

Stimme. Mir haben Hunger, weiter nischt.

Erster junger Weber. Mir wolln leben und weiter nischt. Und deshalb haben mer a Strick durchgeschnitten, an dem mer hingen.

Jäger. Und das war ganz recht! Dem Alten die Faust vors Gesicht haltend. Sag du noch ee Wort! Da setzt's a Ding nein – mitten ins Zifferblatt.

Bäcker. Gebt Ruhe, gebt Ruhe! Laß du den alten Mann. – Vater Hilse: aso denken mir eemal: eher tot, wie aso a Leben noch eemal anfangen.

Der alte Hilse. Hab' ich's nich gelebt sechzig und mehr Jahr?

Bäcker. Das is egal; anderscher muß doch werden.

Der alte Hilse. Am Nimmermehrschtage.

Bäcker. Was mir nich gutwillig kriegen, das nehmen mir mit Gewalt.

Der alte Hilse. Mit Gewalt? Lacht. Nu da laßt euch bald begraben dahier. Se wern's euch beweisen, wo de Gewalt steckt. Nu wart ock, Pirschl!

Jäger. Etwa wegen a Soldaten? Mir sein auch Soldaten gewest. Mit a paar Kompanien wern mir schonn fertig werden.

Der alte Hilse. Mid'n Maule, da gloob' ich's. Und wenn ooch: zwee jagt'r naus, zehne kommen wieder rein.

Stimmen, durchs Fenster. Militär kommt. Seht euch vor! Allgemeines, plötzliches Verstummen. Man hört einen Moment schwach Querpfeifen und Trommeln. In die Stille hinein ein kurzer, unwillkürlicher Ruf. O verpucht! Ich mach' lang!

Allgemeines Gelächter.

Bäcker. Wer red't hier von Ausreißen? Wer ist das gewest?

Jäger. Wer tutt sich hier firchten vor a paar lumpichten Pickelhauben? Ich wer euch kommandieren. Ich bin beim Kommiß gewest. Ich kenne den Schwindel.

Der alte Hilse. Mit was wollt er'n schissen? Woll mit a Priegeln, hä?

Erster junger Weber. Den alten Kropp laßt zufriede, a is ni recht richtig im Oberstiebel.

Zweiter junger Weber. A bissel iebertrabt is a schonn.

Gottlieb ist unbemerkt unter die Aufständischen getreten, packt den Sprecher. Sollst du an alten Manne so fläm'sch kommen?

Erster junger Weber. Laß mich zufriede, ich hab' nischt Beeses gesagt.

Der alte Hilse, sich ins Mittel legend. O laß du'n labern. Vergreif dich nich, Gottlieb. A wird balde genug einsehn, wer de heute verwirrt is, ich oder er.

Bäcker. Gehst mit uns. Gottlieb?

Der alte Hilse. Das wird a woll bleibenlassen.

Luise kommt ins »Haus«, ruft herein. O halt euch ni uf erscht. Mit solchen Gebetbichl-Hengsten verliert erscht keene Zeit. Kommt uf a Platz! Uf a Platz sollt'r kommen. Pate Baumert, kommt aso schnell, wie er kennt. D'r Major spricht mit a Leuten vom Ferde runter. Se sollten heemgehn. Wenn ihr ni schnell kommt, haben mer verspielt.

Jäger, im Abgehen. Du hast'n scheen'n tapfern Mann.

Luise. Wo hätt' ich an Mann? Ich hab' gar keen'n Mann!

Im »Hause« singen einige.

    's war amal a kleener Mann,
    he, juchhe!
    Der wollt' a groß Weibl han.
    He didel didel dim dim dim heirassassa!

Wittig ist, einen Pferdeeimer in der Faust, vom Oberstock gekommen, will hinaus, bleibt im »Hause« einen Augenblick stehen. Druf! wer de kee Hundsfott sein will, hurra! Er stürmt hinaus. Eine Gruppe, darunter Luise und Jäger, folgen ihm mit Hurra.

Bäcker. Lebt g'sund, Vater Hilse, mir sprechen uns wieder.

Will ab.

Der alte Hilse. Das gloob' ich woll schwerlich. Finf Jahr leb' ich ni mehr. Und eher kommste ni wieder raus.

Bäcker, verwundert stehenbleibend. Wo denn her, Vater Hilse?

Der alte Hilse. Aus'n Zuchthause; woher denn sonste?

Bäcker, wild herauslachend. Das wär' mir schonn lange recht. Da kriegt ma wenigstens satt Brot, Vater Hilse! Ab.

Der alte Baumert war in stumpfsinniges Grübeln, auf einem Schemel hockend, verfallen; nun steht er auf. 's is wahr, Gustav, an kleene Schleuder hab' ich. Aber derwegen bin ich noch klar genug im Kopfe dahier. Du hast deine Meenung von der Sache, ich hab' meine. Ich sag: Bäcker hat recht, nimmt's a Ende in Ketten und Stricken – im Zuchthause is immer noch besser wie d'rheeme. Da is ma versorgt; da braucht ma nich darben. Ich wollte ja gerne nich mitmachen. Aber sieh ock, Gustav; d'r Mensch muß doch a eenziges Mal an Augenblick Luft kriegen. Langsam nach der Tür. Leb gesund, Gustav. Sollte was vorfalln, sprich a Gebetl fer mich mit, heerscht! Ab.

Von den Aufständischen ist nun keiner mehr auf dem Schauplatz. Das »Haus« füllt sich allmählich wieder mit neugierigen Bewohnern. Der alte Hilse knüpft an der Werfte herum. Gottlieb hat eine Axt hinterm Ofen hervorgeholt und prüft unbewußt die Schneide. Beide, der Alte und Gottlieb, stumm bewegt. Von draußen dringt das Summen und Brausen einer großen Menschenmenge.

Mutter Hilse. Nu sag ock, Mann, de Dielen zittern ja aso sehr – was geht denn vor?. Was soll denn hier werd'n?

Pause.

Der alte Hilse. Gottlieb!

Gottlieb. Was soll ich denn?

Der alte Hilse. Laß du die Axt liegen.

Gottlieb. Wer soll denn Holz kleenemachen? Er lehnt die Axt an den Ofen.

Pause.

Mutter Hilse. Gottlieb, heer du uf das, was d'r Vater sagt.

Stimme, vor dem Fenster singend.

    Kleener Mann, blei ock d'rheem,
    he, juchhe!
    Mach Schissel und Teller reen.
    Hei didel didel, dim dim dim.

Vorüber.

Gottlieb springt auf, gegen das Fenster mit geballter Faust. Aas, mach mich ni wilde!

Es kracht eine Salve.

Mutter Hilse ist zusammengeschrocken. O Jesus Christus, nu donnert's woll wieder!?

Der alte Hilse, die Hand auf der Brust, betend. Nu, lieber Herrgott im Himmel! Schitze die armen Weber, schitz meine armen Brieder!

Es entsteht eine kurze Stille.

Der alte Hilse, für sich hin, erschüttert. Jetzt fließt Blutt.

Gottlieb ist im Moment, wo die Salve kracht, aufgesprungen und hält die Axt mit festem Griff in der Hand, verfärbt, kaum seiner mächtig vor tiefer innerer Aufregung. Na, soll man sich etwa jetzt o noch kuschen?

Ein Webermädchen, vom »Haus« aus ins Zimmer rufend. Vater Hilse, Vater Hilse, geh vom Fenster weg. Bei uns oben ins Oberstiebl is 'ne Kugel durchs Fenster geflogen. Verschwindet.

Mielchen steckt den lachenden Kopf zum Fenster herein. Großvaterle, Großvaterle, se haben mit a Flinte geschossen. A paare sind hingefalln. Eener, der dreht sich so ums Kringl rum, immer ums Rädl rum. Eener, der tat so zappeln wie a Sperling, dem man a Kopp wegreißt. Ach, ach und aso viel Blut kam getreetscht –! Sie verschwindet.

Eine Weberfrau. A paar hab'n se kaltgemacht.

Ein alter Weber, im »Hause«. Paßt ock uf, nu nehmen sie's Militär hoch.

Ein zweiter Weber, fassungslos. Nee, nu seht bloß de Weiber, seht bloß de Weiber! Wern se ni de Recke hochheben! Wern se ni's Militär anspucken!

Eine Weberfrau ruft herein. Gottlieb, sieh dir amal dei Weib an, die hat mehr Krien wie du, die springt vor a Bajonettern rum, wie wenn se zur Musicke tanzen tät'.

Vier Männer tragen einen Verwundeten durchs »Hause«. Stille. Man hört deutlich eine Stimme sagen. 's is d'r Ulbrichs Weber. Die Stimme nach wenigen Sekunden abermals. 's wird woll Feierabend sein mit'n; a hat 'ne Prellkugel ins Ohr gekriegt. Man hört die Männer eine Holztreppe hinaufgehen. Draußen plötzlich. Hurra, hurra!

Stimmen im »Hause«. Wo haben s'n de Steene her? – Nu zieht aber Leine! – Vom Chaussebau. – Nu hattjee, Soldaten. – Nu regnet's Flastersteene.

Draußen Angstgekreisch und Gebrüll, sich fortpflanzend bis in den Hausflur. Mit einem Angstruf wird die Haustür zugeschlagen.

Stimmen im »Hause«. Se laden wieder. – Se wern glei wieder 'ne Salve geb'n. – Vater Hilse, geht weg vom Fenster.

Gottlieb rennt nach der Axt. Was, was, was! Sein mir tolle Hunde!? Solln mir Pulver und Blei fressen statts Brot? Mit der Axt in der Hand einen Moment lang zögernd, zum Alten. Soll mir mei Weib derschossen werd'n? Das soll nich geschehn! Im Fortstürmen. Ufgepaßt, jetzt komm' ich! Ab.

Der alte Hilse. Gottlieb, Gottlieb!

Mutter Hilse. Wo is denn Gottlieb?

Der alte Hilse. Beim Teiwel is a.

Stimme, vom »Hause«. Geht vom Fenster weg, Vater Hilse!

Der alte Hilse. Ich nich! Und wenn ihr alle vollens drehnig werd! Zu Mutter Hilse mit wachsender Ekstase. Hie hat mich mei himmlischer Vater hergesetzt. Gell, Mutter? Hie bleiben mer sitzen und tun, was mer schuldig sein, und wenn d'r ganze Schnee verbrennt. Er fängt an zu weben.

Eine Salve kracht. Zu Tode getroffen, richtet sich der alte Hilse hoch auf und plumpt vornüber auf den Webstuhl. Zugleich erschallt verstärktes Hurra-Rufen. Mit Hurra stürmen die Leute, welche bisher im Hausflur gestanden, ebenfalls hinaus. Die alte Frau sagt mehrmals fragend. Vater, Vater, was is denn mit dir? Das ununterbrochene Hurra-Rufen entfernt sich mehr und mehr. Plötzlich und hastig kommt Mielchen ins Zimmer gerannt.

Mielchen. Großvaterle, Großvaterle, se treiben de Soldaten zum Dorfe naus, se haben Dittrichens Haus gestirmt, se machen's aso als wie drieben bei Dreißigern. Großvaterle!? Das Kind erschrickt, wird aufmerksam, steckt den Finger in den Mund und tritt vorsichtig dem Toten näher. Großvaterle!?

Mutter Hilse. Nu mach ock, Mann, und sprich a Wort, 's kann een'n ja orntlich angst werd'n.

 


 


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