Gerhart Hauptmann
Die Weber
Gerhart Hauptmann

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Dritter Akt

Die Schenkstube im Mittelkretscham zu Peterswaldau, ein großer Raum, dessen Balkendecke durch einen hölzernen Mittelpfeiler, um den ein Tisch läuft, gestützt ist. Rechts von dem Pfeiler, so daß nur der Pfosten verdeckt wird, liegt die Eingangstür in der Hinterwand. Man sieht durch sie in den großen Hausraum, der Fässer und Brauergerät enthält. Im Innern, rechts von der Tür in der Ecke, befindet sich das Schenksims: eine hölzerne Scheidewand von Mannshöhe mit Fächern für Schankutensilien; dahinter ein Wandschrank, enthaltend Reihen von Schnapsflaschen; zwischen Scheidewand und Likörschrank ein kleiner Platz für den Schenkwirt. Vor dem Schenksims steht ein mit bunter Decke gezierter Tisch. Eine hübsche Lampe hängt darüber, mehrere Rohrstühle stehen darum. Unweit davon an der rechten Wand führt eine Tür mit der Aufschrift »Weinstube« ins Honoratiorenstübchen. Noch weiter vorn rechts tickt die alte Standuhr. Links von der Eingangstür an der Hinterwand steht ein Tisch mit Flaschen und Gläsern und weiterhin in der Ecke der große Kachelofen. Die linke Seitenwand hat drei kleine Fenster, darunter hinlaufend eine Bank, davor je einen großen hölzernen Tisch, die schmale Seite der Wand zugekehrt. An den Breitseiten der Tische stehen Bänke mit Lehnen, an den inneren Schmalseiten je ein einzelner Holzstuhl. Das große Lokal ist blau getüncht, mit Plakaten, bunten Bilderbogen und Öldrucken behangen, darunter das Porträt Friedrich Wilhelms IV.

Scholz Welzel, ein gutmütiger Koloß von über fünfzig Jahren, läßt hinter dem Schenksims Bier aus einem Fasse in ein Glas laufen. Frau Welzel plättet am Ofen. Sie ist eine stattliche, sauber gekleidete Frau von noch nicht fünfunddreißig Jahren. Anna Welzel, eine siebzehnjährige, hübsche Person mit prachtvollen rotblonden Haaren, sitzt, proper gekleidet und mit einer Stickarbeit beschäftigt, hinter dem gedeckten Tisch. Einen Augenblick blickt sie von der Arbeit auf und lauscht, denn aus der Ferne kommen Töne eines von Schulkindern gesungenen Grabchorals. Meister Wiegand, der Tischler, sitzt an dem gleichen Tisch in seiner Arbeitstracht hinter einem Glase bayrischen Bieres. Er ist ein Mann, dem man anmerkt: er weiß, worauf es in der Welt ankommt, wenn man ein Ziel erreichen will, nämlich auf Pfiffigkeit, Schnelligkeit und rücksichtsloses Fortschreiten. Ein Reisender am Säulentisch kaut mit Eifer an einem deutschen Beefsteak. Er ist mittelgroß, wohlgenährt, wohlaufgeschwemmt, aufgelegt zur Heiterkeit, lebhaft und frech. Er trägt sich modern. Seine Reiseeffekten, Tasche, Musterkoffer, Schirm, Überzieher und Plüschdecke, liegen neben ihm auf Stühlen.

Welzel, dem Reisenden ein Glas Bier zutragend, seitwärts zu Wiegand. 's is ja heute d'r Teifel los in dem Peterschwalde.

Wiegand, mit einer scharfen, trompetenden Stimme. Nu, 's is halt doch Liefertag bei Dreißichern oben.

Frau Welzel. 's ging aber doch sonste nich aso lebhaft zu.

Wiegand. Nu, 's kennde vielleicht sein, 's wär' wegen da zweehundert neuen Webern, die a will noch annehmen jetzte.

Frau Welzel, immer plättend. Ja, ja, das wird's sein. Will a zweehundert, da wern er woll sechshundert kommen sein. M'r hab'n 'r ja genug von der Sorte.

Wiegand. O Jes's, Jes's, die langen zu. Und wenn's den ooch schlecht geht, die sterben ni aus. Die setzen mehr Kinder in de Welt, wie mer gebrauchen kenn'n. Der Choral wird einen Augenblick stärker hörbar. Nu kommt au noch das Begräbnis d'rzu. D'r Fabich Weber is doch gestorben.

Welzel. Der hat lange genug gemacht. Der lief doch schonn ieber Jahr und Tag ooch bloß rum wie a Gespenste.

Wiegand. Kannst's glooben, Welzel, aso a klee numpern Särgl, aso a rasnich klee, winzich Dingl, das hab' ich doch noch keemal ni zusammengeleimt. Das war d'r a Leichl, das wog noch nich neunzig Fund.

Der Reisende, kauend. Ich verstehe bloß nich . . . wo man hinblickt, in irgend 'ne Zeitung, da liest man die schauerlichsten Geschichten von der Webernot, da kriegt man einen Begriff von der Sache, als wenn hier die Leute alle schon dreiviertel verhungert wären. Und wenn man dann so'n Begräbnis sieht. Ich kam grade im Dorfe rein. Blechmusik, Schullehrer, Schulkinder, der Pastor und ein Zopp Menschen hinterdrein, Herrgott, als wenn der Kaiser von China begraben würde. Ja, wenn die Leute das noch bezahlen können . . . ! Er trinkt Bier. Nachdem er das Glas wieder hingestellt, plötzlich mit frivoler Leichtigkeit. Nich wahr, Fräulein? Hab' ich nich recht?

Anna lächelt verlegen und stickt eifrig weiter.

Der Reisende. Gewiß 'n Paar Morgenschuhe für'n Herrn Papa.

Welzel. Oh, ich mag solche Dinger erscht nich an a Fuß ziehn.

Der Reisende. Na hörn Sie mal an! Mein halbes Vermögen gäb' ich, wenn die Pantoffeln für mich wärn.

Frau Welzel. Fer so was, da hat er eemal kee Verständnis nich.

Wiegand, nachdem er mehrmals gehüstelt, mit dem Stuhle gerückt und einen Anlauf zum Reden genommen hat. Der Herr haben sich ieber das Begräbnis wunderlich ausgedrückt. Nu sagen Sie mal, junge Frau, das is doch'n kleines Leichenbegängnis?

Der Reisende. Ja, da frag' ich mich aber . . . Das muß doch barbarisch Geld kosten. Wo kriegen die Leute das Geld nu her?

Wiegand. Se werden ergebenst entschuldigen, mein Herr, das is so 'ne Unverständlichkeit unter der hiesigen armen Bevölkerungsklasse. Mit Erlaubnis zu sagen, die machen sich so 'ne iebertriebliche Vorstellichkeit von wegen der schuldigen Ehrfurcht und pflichtmäßigen Schuldigkeit gegen selig entschlafene Hinterbliebene. Wenn das und sind gar verstorbene Eltern, da is das nu so ein Aberglaube, da wird von den nächsten Nachkommen und Erblassern das Letzte zusammengekratzt, und was die Kinder nich auftreiben, das wird von den nächsten Magnaten geborgt. Und da kommen die Schulden bis ieber die Ohren; Hochwürden der Pastor wird verschuldet, der Küster und was da alles fer Leute herumstehn. Und das Getränk und das Essen und dergleichen Notdurft. Nee, nee, ich lobe mir respektive Kindlichkeit, aber nich, daß die Leidtragenden ihr ganzes Leben unter Verpflichtungen davor gedrückt werden.

Der Reisende. Erlauben Sie mal, das müßte doch der Pastor den Leuten ausreden.

Wiegand. Se werden ergebenst entschuldigen, mein Herr, ich muß hier befürworten, daß jede kleine Gemeinde ihr kirchliches Gotteshaus hat und ihren Seelenhirten Hochwürden erhalten muß. An so 'nem großen Begräbnisfest, da hat die hohe Geistlichkeit ihre scheene Iebervorteilung. Desto zahlreicher so eine Grablegung gehandhabt wird, je umfänglicher auch die Offertorien fließen. Wer die hiesigen arbeitenden Verhältnisse kennt, der kann mit unmaßgeblicher Bestimmtheit behaupten, die Herren Farrer dulden bloß widerstreblich die stillen Begräbnisse.

Hornig kommt. Kleiner, O-beiniger Alter, ein Ziehband um Schulter und Brust. Er ist Lumpensammler. Scheen gu'n Tag ooch. An eefache mecht' ich bitten. Na, junge Frau, hab'n Se was Lumpiges? Jungfer Anna! Scheene Zoppbändl, Hemdbändl. Strumpbändl hab' ich im Wägl, scheene Stecknadeln, Haarnadeln, Häkel und Esel. Alles geb' ich fer a paar Lumpen. In verändertem Tone. Von den Lumpen da wird a scheen weiß Papierl gemacht, und da schreibt der liebe Schatz a hibsch Briefl druf.

Anna. Oh, ich bedank' mich, ich mag keen'n Schatz.

Frau Welzel, einen Bolzen einlegend. Aso is das Mädel. Vom Heiraten will se nischt wissen.

Der Reisende springt auf, scheinbar freudig überrascht, tritt an den gedeckten Tisch und streckt Anna die Hand hinüber. Das is gescheit, Fräulein, machen Sie's wie ich. Topp! Geben Sie mir den Patsch! Wir beide bleiben ledig.

Anna, puterrot, gibt ihm die Hand. Nun, Sie sein doch schon verheiratet?!

Der Reisende. I Gott bewahre, ich tu' bloß so. Sie denken wohl, weil ich den Ring trage?! Ach, den habe ich bloß an den Finger gesteckt, um meine bestrickende Persönlichkeit vor unlauteren Angriffen zu schützen. Vor Ihnen fürchte ich mich nicht. Er steckt den Ring in die Tasche. – Sagen Sie mal im Ernst, Fräulein, wollen Sie sich niemals auch nur so'n ganz kleenes bissel verheiraten?

Anna, kopfschüttelnd. O wärsch doch!

Frau Welzel. Die bleibt Ihn ledich, odersch muß was sehr Rares sein.

Der Reisende. Nu warum auch nich? 'n reicher schlesischer Magnat hat die Kammer Jungfer seiner Mutter geheiratet, und der reiche Fabrikant Dreißiger hat ja auch 'ne Scholzentochter genommen. Die is nich halb so hibsch wie Sie, Fräulein, und fährt jetzt fein in Equipage mit Livreediener. Warum d'n nich? Er geht umher, sich dehnend und die Beine vertretend. Eine Tasse Kaffee wer ich trinken.

Ansorge und Der alte Baumert kommen, jeder mit einem Pack, und setzen sich still und demütig zu Hornig an den vordersten Tisch links.

Welzel. Willkommen! Vater Ansorge, sieht man dich wieder amal?!

Hornig. Kommst du ooch noch amal aus dein'n verräucherten Geniste gekrochen?

Ansorge, unbeholfen und sichtlich verlegen. Ich hab' m'r wieder amal 'ne Werfte geholt.

Der alte Baumert. A will fer zehn Beehmen arbeiten.

Ansorge. Ich hätt's ni gemacht, aber mit der Korbflechterei hat's auch a Ende genommen.

Wiegand. 's is immer besser wie nischt. A tut's ja ock, daß d'r 'ne Beschäftigung habt. Ich bin sehr gut bekannt mit Dreißigern. Vor acht Tagen nahm ich'n de Doppelfenster raus. Da red'ten m'r drieber. A tut's bloß aus Barmherzigkeet.

Ansorge. Nu jaja – nu nee nee.

Welzel, den Webern je einen Schnaps vorsetzend. Hie wird sein. Nu sag amal, Ansorge. Wie lange hast du dich ni mehr rasiern lossen? – Der Herr mecht's gerne wissen.

Der Reisende ruft herüber. Ach, Herr Wirt, das hab' ich doch nich gesagt. Der Herr Webermeister ist mir nur aufgefallen durch sein ehrwürdiges Aussehen. Solche Hünengestalten bekommt man nicht oft zu sehn.

Ansorge kraut sich verlegen den Kopf. Nu jaja – nu nee nee.

Der Reisende. Solche urkräftige Naturmenschen sind heutzutage sehr selten. Wir sind von der Kultur so beleckt . . . aber ich hab' noch Freude an der Urwüchsigkeit. Buschige Augenbrauen! So'n wilder Bart . . .

Hornig. Nu sehn S' ock, werter Herr, ich wer Ihn amal was sag'n: bei da Leuten da langt's halt ni uf a Balbier, und a Rasiermesser kenn se sich schonn lange ni derschwingen. Was wächst, wächst. Uf a äußern Menschen kenn die nischt nich verwenden.

Der Reisende. Aber ich bitte Sie, lieber Mann, wo wer ich denn . . . Leise zum Wirt. Darf man dem Haarmenschen 'n Glas Bier anbieten?

Welzel. I beileibe, der nimmt nischt. Der hat gar kom'sche Mucken.

Der Reisende. Na, dann nich. Erlauben Sie, Fräulein? Er nimmt an dem gedeckten Tische Platz. Ich kann Sie versichern, Ihr Haar sticht mir schon, seit ich reinkam, derart in die Augen, dieser matte Glanz, diese Weichheit, diese Fülle! Er küßt gleichsam entzückt seine Fingerspitzen. Und diese Farbe . . . wie reifer Weizen. Wenn Sie mit dem Haar nach Berlin kommen, Sie machen Furore. Parole d'honneur, mit dem Haar können Sie an den Hof gehen . . . Zurückgelehnt das Haar betrachtend. Prachtvoll, einfach prachtvoll.

Wiegand. Derwegen hat se ja auch eine scheene Benennung erfahren.

Der Reisende. Wie heißt sie denn da?

Anna lacht immerfort in sich hinein. Oh, heern Se nich drauf!

Hornig. Das is doch d'r Fuchs, ni wahr?

Welzel. Nu heert aber uf! Macht m'r das Mädel ni noch vollens gar verdreht! Se hab'n 'r schonn Raupen genug in a Kopp gesetzt. Heute will se an Grawen, morgen soll's schonn a Firscht sein.

Frau Welzel. Mach du das Mädel ni schlecht, Mann! Das is kee Verbrechen, wenn d'r Mensch will vorwärtskommen. Aso wie du freilich denkst, aso denken ni alle. Das wär' auch ni gutt, da käm' keener vom Flecke, da blieben se alle sitzen. Wenn Dreißigers Großvater aso hätte gedacht, da wär' a woll sein a armer Weber geblieben. Itzt sein se steinreich. D'r alte Tromtra war o nich mehr wie a armer Weber, nu hat a zwelf Rittergieter und is obendruf adlig geworn.

Wiegand. Alles, was de recht is, Welzel. In der Sache da is deine Frau uf'm rechtlichen Wege. Das kann ich underfertigen. Hätt' ich aso wie du gedacht, wo wern ock itzt meine sieben Gesellen?

Hornig. Du weeßt druf zu laufen, das muß dir d'r Neid lassen. Wenn d'r Weber noch uf zwee Been rumlauft, da machst du'n schonn a Sarg fertig.

Wiegand. Wer de will mitkummen, muß sich derzuhalten.

Hornig. Ja, ja, du hälst dich o noch derzu. Du weeßt besser wie a Doktor, wenn d'r Tod um a Weberkindl kommt.

Wiegand, kaum noch lächelnd, plötzlich wütend. Und du weeßt's besser wie de Pol'zei, wo de Nipper sitzen unter a Webern und die de sich jede Woche a hibsch Neegl Spuln iebrigmachen. Du kommst nach Lumpen und nimmst o a Feifl Schußgarn, wenn's druf ankommt.

Hornig. Und dei Weizen blieht uf'm Kirchhowe. Je mehr daß uf de Hobelspäne schlafen gehn, um desto besser fer dich. Wenn du die vielen Kindergräbl ansiehst, da kloppst du d'r uf a Bauch und sagst: 's war heuer wieder a gudes Jahr; die kleen'n Kreppe sein wieder gefalln wie de Maikäwer von a Bäumen. Da kann ich m'r wieder a Quart zulegen de Woche.

Wiegand. Derwegen da wär' ich noch lange kee Hehler.

Hornig. Du machst heechstens amal an reichen Parchentfabrikanten an toppelte Rechnung oder holst a paar iebrige Brettel von Dreißijersch Bau, wenn d'r Mond amal grade ni scheint.

Wiegand, ihm den Rücken wendend. Oh, räd du, mit wem de willst, ock mit mir nich. Plötzlich wieder. Lügenhornich!!

Hornig. Totentischler!

Wiegand, zu den Anwesenden. A kann's Vieh behexen.

Hornig. Sieh dich vor, sag' ich d'r bloß, sonst mach' ich amal mei Zeichen. Wiegand wird bleich.

Frau Welzel war hinausgegangen und setzt nun dem Reisenden Kaffee vor. Soll ich Ihn'n a Kaffee lieber ins Stiebl tragen?

Der Reisende. I, was denken Sie! Mit einem schmachtenden Blick auf Anna. Hier will ich sitzen, bis ich sterbe.

Ein junger Förster und ein Bauer, der letztere mit einer Peitsche, kommen. Beide. Gu'n Mittag! Sie bleiben am Schenksims stehen.

Der Bauer. Zwee Ingwer mechten mir hab'n.

Welzel. Willkommen mitnander! Er gießt das Verlangte ein; die beiden ergreifen die Gläschen, stoßen damit an, trinken davon und stellen sie auf das Schenksims.

Der Reisende. Nun, Herr Förster, tüchtigen Marsch gemacht?

Der Förster, 's geht. Ich komme von Steinseifferschdorf.

Erster und zweiter alter Weber kommen und setzen sich zu Ansorge, Baumert und Hornig.

Der Reisende. Entschuldigen Sie, sind Sie Gräflich Hochheimscher Förster?

Der Förster. Gräflich Keilsch bin ich.

Der Reisende. Freilich, freilich, das wollt' ich ja auch sagen. Es is hier zu schlimm mit den vielen Grafen und Baronen und Freiherrlichen Gnaden. Man muß'n Riesengedächtnis hab'n. Zu was haben Sie denn die Axt, Herr Förster?

Der Förster. Die hab' ich Holzdieben weggenommen.

Der alte Baumert. Unse Herrschaft, die nimmt's gar sehr genau mit a paar Scheiten Brennholz.

Der Reisende. Nu erlauben Sie, das geht doch ooch nich, wenn da jeder holen wollte . . .

Der alte Baumert. Mit Verlaub zu reden, hier is das wie ieberall mit a kleen'n und a großen Dieben; hier sein welche, die treiben Holzhandel im großen und wern reich von gestohlnen Holze. Wenn aber a armer Weber . . .

Erster alter Weber unterbricht Baumert. Mir derfen kee Zweigl nehmen, aber de Herrschaft, die greift uns desto forscher an, die zieht uns 's Leder egelganz ieber de Ohren runter. Da sein zu entrichten Schutzgelder, Spinngelder, Naturalleistungen, da muß ma umsonste Gänge laufen und Howearbeit tun, ob ma will oder nich.

Ansorge. 's is halt aso: was uns d'r Fabrikante iebrichläßt, das holt uns d'r Edelmann vollens aus d'r Tasche.

Zweiter alter Weber hat am Nebentisch Platz genommen. Ich hab's o'n gnädijen Herrn selber gesagt. Se werd'n gittigst verzeihn, Herr Graf, meent' ich ieber'n, das Jahr kann ich aso viel Howetage eemal ni leisten. Ich streit's eemal nich! Denn warum? Se wern entschuldigen, mir hat's Wasser alles zuschanden gemacht. Mei bissei Acker hat's weggeschwemmt. Ich muß Tag und Nacht schaffen, wenn ich will leben. Aso a Unwetter . . . Ihr Leute, ihr Leute! Ich stand ock immer und rang de Hände. Der scheene Boden, der kam ock immer aso über a Berg rundergewellt und ins Häusl nein; und der scheene, teure Samen! . . . O Jes's, o Jes's, da hab' ich ock immer aso in de Wolken neingeprillt, und acht Tage lang hab' ich geflennt, daß ich bald keene Straße ni mehr sah . . . Und dernach könnt' ich mich mit achzig schweren Radwern Boden über a Berg wieder nufquäln.

Der Bauer, roh. Ihr macht ja a schauderhaftiges Gelammetiere dahier. Was de d'r Himmel schickt, das miß mir uns alle gefalln lass'n. Und wenn's euch sonst nich zum besten geht, wer is denn schuld wie ihr selber? Wie's Geschäft gutt ging, was habt'r gemacht? Alls verspielt und versoffen habt'r. Hätt ihr euch dazemal was derspart, da wär' jetzt a Notpfennig da sein, da braucht'r kee Garn und kee Holz stehln.

Erster junger Weber, mit einigen Kameraden im »Hause«, der Diele, spricht laut zur Tür herein. A Pauer bleibt a Pauer, und wenn a schläft bis um neune.

Erster alter Weber. Das is jetzt aso: d'r Pauer und d'r Edelmann, die ziehn a een'n Strange. Will a Weber an Wohnung hab'n, da sagt d'r Pauer: ich geb' d'r a klee Lechl zum drinne wohn. Du zahlst m'r scheene Zinse und hilfst m'r mei Heu und mei Getreide reinbringen, und wenn de ni willst, da sieh, wo de bleibst. Kommt eener zum zweeten, der macht's wie d'r erschte.

Der alte Baumert, grimmig. Ma is wie a Griebsch, an dem alle rumfressen.

Der Bauer, aufgebracht. Oh, ihr verhungerten Luder, zu was wärt ihr zu gebrauchen? Kennt ihr an Flug in a Acker dricken? Kennt ihr woll 'ne gleiche Furche ziehn oder 'ne Mandel Habergarben uf a Wag'n reechen? Ihr seid ja zu nischt nutze wie zum Faulenzen und bei a Weibern Liegen. Ihr wärt Scheißkerle! Ihr kennt een was nitzen. Er hat indes gezahlt und geht ab. Der Förster folgt ihm lachend. Welzel, der Tischler und Frau Welzel lachen laut, der Reisende für sich. Als das Gelächter verstummt, tritt Stille ein.

Hornig. Aso a Pauer, der is wie a Bremmerochse . . . Wenn ich ni wißte, was hie fir 'ne Not is. In den Derfern hie nuff, was hat man da alles zu sehn kriecht! Zu viern und fünfen lagen se nackt uf enn eenzichen Strohsack.

Der Reisende, in milde verweisendem Tone. Erlauben Sie mal, lieber Mann. Über die Not im Gebirge sind doch die Ansichten recht verschieden, wenn Sie lesen können . . .

Hornig. Oh, ich les' all's vom Blatte runder aso gutt wie Sie. Nee, nee, ich wersch wissen, ich bin genug rumkommen bei da Leuten. Wenn man's Kupsel Sticka vierzig Jahr uf'n Puckel gehabt hat, da wird ma woll was wissen zu guder Letzt. Wie warsch denn mit Fullern? Die Kinder, die klaubten mit Nachbarsch Gänsen im Miste rum. Gestorben sein de Leute – nackend – uf a Fliesen im Hause. Stinkende Schlichte hab'n se gefressen vor Himmelsangst. Hingerafft hat se d'r Hunger zu Hunderten und Aberhunderten.

Der Reisende. Wenn Sie lesen können, müssen Sie doch auch wissen, daß die Regierung genaue Nachforschungen hat anstelln lassen und daß . . .

Hornig. Das kennt man, das kennt man: da kommt so a Herr von der Regierung, der alles schon besser weeß, wie wenn a's gesehn hätte. Der geht aso a bissel im Dorfe rum, wo de Bache ausfließt und de scheensten Häuser sein. De scheen'n blanken Schuhe, die will a sich weiter ni beschmutzen. Da denkt a halt, 's wird woll ieberall aso scheen aussehn, und steigt in de Kutsche und fährt wieder heem. Und da schreibt a nach Berlin, 's wär' und wär' eemal keene Not nich. Wenn a aber und hätte a bissel Geduld gehabt und wär' in da Derfern nufgestiegen, bis wo de Bache eintritt, und ieber de Bache nieber uf de kleene Seite oder gar abseit, wo de kleen'n eenzelnen Klitschen stehn, die alten Schaubennester an a Bergen, die de manchmal aso schwarz und hinfällig sein, daß 's 'n 's Streichhelzl ni verlohnt, um aso a Ding anzustecken, da wär' a woll andersch hab'n nach Berlin bericht't. Zu mir hätten se solln kommen, de Herrn von d'r Regierung, die's nich haben glooben wollen, daß hier 'ne Not wär'. Ich hätt'n amal was ufgezeicht. Ich wollt'n amal de Augen ufkneppen in allen den Hungernestern hier nein.

Man hört draußen das Weberlied singen.

Welzel. Da singen se schonn wieder das Teifelslied.

Wiegand. Die stelln ja's ganze Dorf uf a Kopp.

Frau Welzel. 's is reen, als wenn was in d'r Luft läg'.

Jäger und Bäcker, Arm in Arm, an der Spitze einer Schar junger Weberburschen, betreten lärmend das »Haus« und von da die Wirtsstube.

Jäger. Schwadron halt! Abgesessen! Die Angekommenen begeben sich zu den verschiedenen Tischen, an denen bereits Weber sitzen, mit ihnen Gespräche anknüpfend.

Hornig, Bäcker zurufend. Nu sag ock bloß, was geht denn vor, daß d'r aso ei hellen Haufen beinander seid?

Bäcker, bedeutsam. Vielleichte wird amal was vorgehn. Gelt ock, Moritz?!

Hornig. Nu wärsch doch! Macht ock ni Dinge.

Bäcker, 's is o schonn Blut geflossen. Willst's sehn? Er streift seinen Ärmel herauf und zeigt ihm blutende Impfstellen am nackten Oberarm. Wie er, so tun auch viele der jungen Weber an den übrigen Tischen.

Bäcker. Beim Bader Schmidt warn mir, impfen lassen.

Hornig. Na nu wird's Tag. Da kann man sich ni wundern, daß aso a Teeps is uf allen Gassen. Wenn solche Leubel im Dorfe rumschwuchtern . . . !

Jäger, sich protzenhaft aufspielend, mit lauter Stimme. Gleich zwee Quart, Welzel! Ich zahl's. Denkst etwan, ich hab' kee Puttputt? Nu harr ock sachte! Wenn mir sonst wollten, da kennten mir Scheps trinken und Kaffee lappern bis morgen frieh, aso gutt wie a Reisender. Gelächter unter den jungen Webern.

Der Reisende, mit komischem Erstaunen. Meinen Sie mir, oder meinen Sie mich? Der Wirt, die Wirtin und ihre Tochter, Tischler Wiegand und der Reisende lachen.

Jäger. Immer den, der fragt.

Der Reisende. Erlauben Sie mal, junger Mensch, Ihr Geschäft scheint recht gut zu gehn.

Jäger. Ich kann ni klag'n. Ich bin Konfektionsreisender. Ich mach' mit'n Fabrikanten Halbpart. Je mehr d'r Weber hungert, um desto fetter speis' ich. Je größer de Not, desto größer mei Brot.

Bäcker. Das haste gutt gemacht, sollst leben, Moritz!

Welzel hat den Kornschnaps gebracht. Auf dem Rückwege zum Schenksims bleibt er stehn und wendet sich langsam in all seinem Phlegma und seiner Massigkeit wieder den Webern zu. Mit ebensoviel Ruhe als Nachdruck. Laßt ihr den Herrn zufrieden, der hat euch nischt nich getan.

Stimmen junger Weber. Mir tun 'n ja auch nischt.

Frau Welzel hat mit dem Reisenden einige Worte gewechselt. Sie nimmt die Tasse mit dem Kaffeerest und bringt sie in das Nebenstübchen. Der Reisende folgt ihr dahin unter dem Gelächter der Weber.

Stimmen junger Weber, singend.

    Die Herren Dreißiger die Henker sind,
    die Diener ihre Schergen . . .

Welzel. Pscht, pscht! Das Lied singt, wo er wollt. Ei mein Hause duld' ich's nich.

Erster alter Weber. A hat ganz recht; laßt ihr das Singen.

Bäcker schreit. Aber bei Dreißigern miß mer noch amal vorbeiziehn. Der muß unser Lied noch amal zu heern kriegen.

Wiegand. Treibt's ock ni gar zu tolle, daß a ni etwa amal falsch versteht! Gelächter und Hoho!!

Der alte Wittig, ein grauhaariger Schmied, ohne Mütze, in Schurzfell und Holzpantinen, rußig, wie er aus der Werkstatt kommt, ist eingetreten und wartet, am Schenksims stehend, auf ein Glas Branntwein. Laß ock du die geruhig a bissel a Theater machen. Die Hunde, die de viel kläffen, beißen nich.

Stimmen alter Weber. Wittig, Wittig!

Wittig. Hie hängt a. Was gibbt's denn?

Stimmen alter Weber. Wittig is da. – Wittig, Wittig! – Komm her, Wittig, setz dich zu uns! – Komm her zu uns, Wittig!

Wittig. Ich wer mich in Obacht nehmen und wer mich zu solchen Goten setzen.

Jäger. Komm, trink amal mit.

Wittig. Oh, behalt dir denn Branntwein. Will ich trinken, zahl' ich'n selber. Er setzt sich mit seinem Schnapsglas zu Baumert und Ansorge. Dem letzteren auf den Bauch klopfend. Was haben die Weber fer eine Speis? Sauerkraut und Läusefleisch.

Der alte Baumert, ekstatisch. Nu aber wie d'n da, wenn se nu und sein ni mehr zufriede dermit?

Wittig, mit gemachtem Staunen den Weber dumm anglotzend. Nu, nu, nu, sag mer ock, Heinerle, bist du's? Unbändig herauslachend. Ihr Leute, ihr Leute, ich lach' mich tot. Der ale Baumert will Rebellion machen. Nu wern mersch hab'n: itzt fangen de Schneider ooch an, dann wer de Bählämmel rebellisch, dann de Mäuse und Ratten. O du meine Gitte, das werd a Tanz werden! Er will sich ausschütten vor Lachen.

Der alte Baumert. Nu sieh ock, Wittig, ich bin no immer derselbigte wie frieher. Ich sag' o itzt noch: wenn's im guten ging', wärsch besser.

Wittig. Dreck werd's gehn, aber nich im guden. Wo wär' aso was im guden gangen? Is etwa ei Frankreich im guden gangen? Hat etwa d'r Robspier a Reichen de Patschel gestreechelt? Da hiß bloß: Allee schaff fort! Immer nuf uf de Giljotine! Das muß gehn, allong sangfang. De gebratnen Gänse kommen een ni ins Maul geflog'n.

Der alte Baumert. Wenn ich ock und hätte hallwäge mein Auskommen . . .

Erster alter Weber. Uns steht halt's Wasser bis hierum, Wittig.

Zweiter alter Weber. Ma mag bald gar ni mehr heemgehn. Ob ma nu schachtert, oder ma legt sich schlafen, ma hungert uf beede Arten.

Erster alter Weber. D'rheeme verliert man vollens ganz a Verstand.

Ansorge. Mir is jetzt schonn eegal, 's kommt aso oder aso.

Stimmen alter Weber, mit steigender Erregung. Nirgend hat ma Ruh. – O kenn Geist nich zur Arbeit hat man. – Oben bei uns in Steenkunzendorf sitzt eener schonn a ganzen Tag an d'r Bache und wäscht sich, nackt, wie'n Gott gemacht hat. Dem hat's gar a Kopp verwirrt.

Dritter alter Weber erhebt sich, vom Geiste getrieben, und fängt an, mit »Zungen« zu reden, den Finger drohend erhoben. Es ist ein Gericht in der Luft! Gesellet euch nicht zu den Reichen und Vornehmen! Es ist ein Gericht in der Luft! Der Herr Zebaoth . . . Einige lachen. Er wird auf den Sitz niedergedrückt.

Welzel. Der derf ock a eenzichtes Gläsl trinken, da wirrt's 'n gleich aus'n Koppe.

Dritter alter Weber fährt wieder auf. Doch ha! sie glauben an keinen Gott, noch weder Höll' noch Himmel. Religion ist nur ihr Spott . . .

Erster alter Weber. Laß gutt sein, laß!

Bäcker. Laß du den Mann sei Gesetzl beten. Das kann sich manch eens zu Herzen nehmen.

Viele Stimmen, tumultuarisch. Laßt'n reden! – Laßt'n!

Dritter alter Weber, mit gehobener Stimme. Daher die Helle die Seele weit aufgesperrt und den Rachen aufgetan, ohne alle Maße, daß hinunterfahren alle die, so die Sache der Armen beugen und Gewalt üben im Recht der Elenden, spricht der Herr. Tumult. Dritter alter Weber, plötzlich schülerhaft deklamierend.

    Und doch wie wunderlich geht's,
    wenn man es recht will betrachten,
    wenn man des Leinewebers Arbeit will verachten!

Bäcker. Mir sein aber Parchentweber. Gelächter.

Hornig. A Leinwebern geht's noch viel elender. Die schleichen ock bloßich noch wie de Gespenster zwischer a Bergen rum. Ihr dahier habt doch noch Krien zum Ufmucken.

Wittig. Denkst du etwan, hie is schon's Schlimmste vorieber? Das bißl Forsche, was die noch im Leibe hab'n, das werd 'n d'r Fabrikante schon ooch vollens austreiben.

Bäcker. A hat ja gesagt: de Weber werden noch fer 'ne Quarkschnitte arbeiten. Tumult.

Verschiedene alte und junge Weber. Wer hat das gesagt?

Bäcker. Das hat Dreißiger ieber Weber gesagt.

Ein junger Weber. Das Aas sollt' man ärschlich ufknippen.

Jäger. Heer amal uf mich. Wittig, du hast immer aso viel derzählt von d'r Franzeschen Revolution. Du hast immer's Maul aso voll genommen. Nu kennte vielleicht bald Gelegenheit wern, daß eener und kennte zeigen, wie's mit'n beschaffen is: ob a a Großmaul is oder a Ehrenmann.

Wittig, jähzornig aufbrausend. Sag noch ee Wort, Junge! Hast du geheert Kugeln pfeifen? Hast du uf Vorposten gestanden ei Feindesland?

Jäger. Nu, bis ock ni falsch. Mir sein ja Kamraden. Ich hab's ja ni schlimm gemeent.

Wittig. Uf die Kamradschaft plamp' ich. Du Laps, ufgeblasener!

Gendarm Kutsche kommt.

Mehrere Stimmen. Pscht, pscht, Pol'zei!

Es wird eine unverhältnismäßig lange Zeit gezischt, bis völlige Ruhe eingetreten ist.

Kutsche, unter tiefem Schweigen aller übrigen seinen Platz an der Mittelsäule einnehmend. An kleen'n Korn mecht' ich bitten. Wiederum völlige Ruhe.

Wittig. Nu, Kutsche, sollst woll amal zum Rechten sehn hier bei uns?

Kutsche, ohne auf Wittig zu hören. Gu'n Tak o, Meister Wiegand.

Wiegand, noch immer in der Ecke vor dem Schenksims. Scheen Dank, Kutsche.

Kutsche. Wie geht's Geschäft?

Wiegand. Dank fer de Nachfrage.

Bäcker. D'r Verwalter hat Angst, m'r kennten uns a Magen verderben von dem vielen Lohn, das m'r kriegen. Gelächter.

Jäger. Gell ock, Welzel, mir hab'n alle Schweinernes gegessen und Fettunke und Kleeßl und Sauerkraut, und itzt trink mer erscht noch Schlampanjerwein. Gelächter.

Welzel. Hintenrum scheint de Sonne.

Kutsche. Und wenn ihr und hätt gleich Schlampanjer und Gebratnes, derwegen werd ihr noch lange ni zufrieden sein. Ich hab' o keen'n Schlampanjer, und's muß halt auch gehn.

Bäcker, mit Bezug auf Kutsches Nase. Der begißt seine kohlrote Gurke mit Branntwein und Schepsbier. Dadervon wird se ooch reif. Gelächter.

Wittig. Aso a Schandarm hat a schweres Leben: eemal muß a an verhungerten Betteljungen ins Loch stecken, dann muß a wieder amal a hibsch Webermädel verfiehrn, dann muß a sich wieder amal sternhagelsmäßig bekreeschen und's Weib durchpriegeln, daß se vor Himmelangst zu a Nachbarn gelaufen kommt; und aso uf'n Ferde rumschappern, in a Federn liegen bis um nenne, das is gar kee leichte Ding dahie!

Kutsche. Schwatz du immerzu! Du witscht dich schonn noch beizeiten um a Hals räden. Ma weeß ja längst, was du fer a Briederle bist. Dei ufriehrerisch Maulwerk, das is längst bekannt bis nuf zum Landrat. Ich kenn' een'n, der bringt ieber Jahr und Tag Weib und Kind eis Armenhaus mit Saufen und Kretschamhocken und sich selber ins Gefängnis, der wird ufhetzen und ufhetzen, bis 's wird a Ende mit Schrecken nehmen.

Wittig lacht bitter heraus. Wer weeß ooch, was kommt?! Uf de Letzte kannste gar recht haben. Jähzornig hervorbrechend. Kommt's aber aso weit, dann weeß ich ooch, wem ich's zu verdanken hab', wer mich verklatscht hat bei a Fabrikanten und uf d'r Herrschaft und verschänd't und verleumd't, daß ich keen'n Schlag Arbeit mehr beseh' – wer mir de Pauern hat uf a Hals gehetzt und de Miller, daß ich de ganze Woche kee Pferd zum Beschlagen kriege oder an Reefen um a Rad zu machen. Ich weeß, wer das is. Ich hab' die infame Karnalje emal vom Ferde gezogen, weil se an kleen'n tummen Jungen wägen a paar unreifen Birnen mit'n Ochsenziemer hat durchgewalkt. Und ich sag' dir, du kennst mich, bringst du mich ins Gefängnis, da mach du ooch gleich dei Testament. Heer' ich ock was von weiter Ferne läuten, da nehm' ich, was ich kriege, 's is nu a Hufeisen oder Hammer, 'ne Radspeiche oder a Wassereimer, und da such' ich dich uf, und wenn ich dich soll aus'n Bette holen von deinem Mensche weg, ich reiß' dich raus und schlag' d'r a Schädel ein, so wahr wie ich Wittich heeße. Er ist aufgesprungen und will auf Kutsche losgehen.

Alte und junge Weber, ihn zurückhaltend. Wittich, Wittich, bleib bei Verstande.

Kutsche hat sich unwillkürlich erhoben; sein Gesicht ist blaß. Während des Folgenden retiriert er. Je näher der Tür, desto mutiger wird er. Die letzten Worte spricht er schon auf der Türschwelle, um im nächsten Augenblick zu verschwinden. Was willst du von mir? Mit dir hab' ich nischt nich zu schaffen. Ich hab' mit a hiechten Webern zu reden. Dir hab' ich nischt nich getan. Du gehst mich nischt an. Euch Webern aber soll ich's ausrichten: d'r Herr Polizeiverwalter läßt euch verbieten, das Lied zu singen – das Dreißigerlied, oder wie sich's genennt. Und wenn das Gesinge uf d'r Gasse ni gleich ufheert, da wird a d'rfire sorgen, daß ihr im Stockhause mehr Zeit und Ruhe kriegt. Da kennt'r dann singen bei Wasser und Brot, aso lange wie d'r lustig seid. Ab.

Wittig schreit ihm nach. Gar nischt hat a uns zu verbieten, und wenn mir prilln, daß de Fenster schwirrn, und wenn ma uns heert bis in Reechenbach, und wenn mir singen, daß allen Fabrikanten de Häuser ieberm Koppe zusammenstirzen und allen Verwaltern de Helme uf'm Schädel tanzen. Das geht niemanden nischt an.

Bäcker ist inzwischen aufgestanden, hat pantomimisch das Zeichen zum Singen gegeben und beginnt nun selbst mit allen gemeinschaftlich.

    Hier im Ort ist ein Gericht,
    noch schlimmer als die Femen,
    wo man nicht erst ein Urteil spricht,
    das Leben schnell zu nehmen.

Der Wirt sucht zu beruhigen, wird aber nicht gehört. Wiegand hält sich die Ohren zu und läuft fort. Die Weber erheben sich und ziehen unter dem Gesang der folgenden Verse Wittig und Bäcker nach, die durch Winke usw. das Zeichen zum allgemeinen Aufbruch gegeben haben.

    Hier wird der Mensch langsam gequält,
    hier ist die Folterkammer,
    hier werden Seufzer viel gezählt
    als Zeugen von dem Jammer.

Der größte Teil der Weber singt den folgenden Vers schon auf der Straße, nur einige junge Burschen noch im Innern der Stube, während sie zahlen. Am Schluß der nächsten Strophe ist das Zimmer leer bis auf Welzel, seine Frau, seine Tochter, Hornig und den alten Baumert.

    Ihr Schurken all, ihr Satansbrut!
    ihr höllischen Kujone!
    ihr freßt der Armen Hab und Gut,
    und Fluch wird euch zum Lohne.

Welzel räumt mit Gleichmut Gläser zusammen. Die sein ja heute gar tälsch.

Der alte Baumert ist im Begriff zu gehen.

Hornig. Nu sag bloß, Baumert, was is denn im Gange?

Der alte Baumert. Zu Dreißigern gehn wolln se halt, sehn, daß a was zulegt zum Lohne dahier.

Welzel. Machst du ooch noch mit bei solchen Tollheeten?!

Der alte Baumert. Nu sieh ock, Welzel, an mir liegt's nich. A Junges kann manchmal, und a Altes muß. Ein wenig verlegen ab.

Hornig erhebt sich. Das sollt' mich doch wundern, wenn's hie ni amal beese käm'.

Welzel. Daß die alten Krepper o vollens a Verstand verliern!?

Hornig. A jeder Mensch hat halt 'ne Sehnsucht!

 


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