Gerhart Hauptmann
Kollege Crampton
Gerhart Hauptmann

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Dritter Akt

Das Privatzimmer des Fabrikbesitzers Adolf Strähler. Mollige, gemütliche, ungewöhnliche Einrichtung. Ein viereckiger Raum mit einem großen, breiten Bogenfenster links, einer Tür in der Hinterwand, einer anderen in der rechten Wand. Die Wände sind bis zu Mannshöhe mit Holz vertäfelt. Auf dem Gesims, welches diese Vertäfelung abschließt, ist ringsherum eine Sammlung von Raritäten aufgestellt. Man sieht darunter Schädel kleiner Tiere, Kristalle, seltene Steine, Korallen, Muscheln, Nippes aus Holz und Porzellan, geschnitzte Kästchen, merkwürdige Kännchen aus rotem Ton, alte Bierkrüge, Gefäße aus Nilschlamm, überhaupt Reiseerinnerungen. Oberhalb des Gesimses sind die Wände weiß getüncht, auch die Decke ist weiß, ohne Stuck und Bemalung. In der Mitte ist ein ausgestopfter fliegender Kranich befestigt. Links übereck steht ein alter, gebeizter Rokokoschrank. Oben darauf ein ganz gewöhnlicher Weihnachtsmann, wie er in allen Schaufenstern zu finden und um weniges zu haben ist. An der Wand vorn rechts steht ein braunledernes Sofa. Darüber, so daß es der Ruhende erreichen kann, hängt an der Wand ein Pfeifenbrett mit fünf oder sechs langen Tabakspfeifen und einer Menge langrohriger Tonpfeifen, auch Tabaksbeutel und sonstiger reichlicher Rauchapparat aller Art. In der rechten Ecke steht, vor einer dunkel gebeizten Eckbank, ein ebenso gebeizter, hübsch geschnitzter, großer Bauerntisch. Über der Bank an der Wand, noch unter dem Simse, hängt ein eichenes Schränkchen mit hübschem Schnitzwerk. Ein mächtiger, lederner Großvaterstuhl ältesten Schlages ist ans Fenster gerückt. Der geräumige Schreibtisch davor ist beladen mit Büchern – alle hübsch geordnet – und auch mit kaufmännischem Kontorhausrat versehen. Die ganze Einrichtung verrät überall bei gutem Geschmack ein stark individuelles Gepräge und die besondere Neigung ihres Schöpfers, vielerlei, aber mit individueller Auswahl zu sammeln. Neben der Tür ein Telefonapparat. Teppiche auf den Dielen.

Adolf kommt durch die offene Mitteltür nach vorn. Durch diese Tür überblickt man eine Zimmerflucht. Im letzten der Zimmer gewahrt man Agnes Wiesner, geborene Strähler, und ein Dienstmädchen, damit beschäftigt, den Tisch abzuräumen.

Adolf nimmt eine Tabakspfeife von dem Regal, schraubt das Rohr ab und bläst hindurch. Als er fertig ist, ruft er durch die Mitteltür. Agnes, wo bleibst du denn?

Agnes, dreißigjährige junge Witwe; ihr hübsches Gesicht erscheint durch Leiden vergeistigt und hat den Ausdruck beruhigter Resignation und milder Heiterkeit; ihr Wesen ist sanft und angenehm; sie kommt mit beschleunigtem Schritt nach vorn. Ich komme schon, Adolf!

Adolf. Wo hast du denn Fräulein Trude?

Agnes. Der Briefträger hat einen Brief gebracht. Ich glaube, von den Verwandten aus Thüringen. Sie gibt Adolf mit einem Fidibus Feuer.

Adolf, im Anrauchen. Was die sich . . . die sich bloß . . . die sich bloß um das Mädel zu kümmern haben, möchte ich wissen! Rauchend schreitet er langsam umher. Sag ihr nur, Agnes, von Fortreisen könnte keine Rede sein. Wir lassen sie einfach nicht fort.

Agnes. Du, ich glaube, sie hat auch gar keinen Zug nach Thüringen. Mit der Mutter scheint sie gar nicht zu stimmen. Mit den Schwestern verträgt sie sich auch nicht; und vor den Großeltern hat sie 'ne heilige Scheu.

Adolf. Nu also! Nu also! – Wo ist denn eigentlich Max jetzt immer? Den Jungen sieht man ja fast gar nicht mehr. Zu Tisch kommt er nicht . . .

Agnes. Er kommt immer erst nach vier, wenn du schon fort bist ins Geschäft.

Adolf. Immer noch auf der Suche?

Agnes. Du weißt ja, er ruht nicht.

Adolf. Er fängt's dumm an: Er muß es furchtbar dumm anfangen. Ich bitte dich, Agnes, in einer Stadt von dreimalhunderttausend Einwohnern fünf Tage nach einem Manne suchen, der so bekannt ist wie der Professor.

Agnes. Er hat doch schon überall rumgefragt: bei den Schülern, bei der Polizei . . .

Adolf. Ja, wenn er sich keinen Rat weiß, zum Teufel! warum sagt er nich'n Wort zu mir?

Agnes. Du, das kann dich nicht wundern. Dir traut er nicht. Du hänselst ihn zu sehr.

Adolf. Ho, ho! na hör mal!

Agnes. Nein, wirklich, Adolf.

Adolf. Ach, Unsinn, Agnes. Wir kennen uns doch. Ich hänsele ihn, er hänselt mich wieder. Wie kann man denn so etwas übelnehmen?

Agnes. Er nimmt's auch nicht übel. Das sag' ich ja gar nicht. Er ist aber jetzt – und das weiß ich bestimmt – in einer Verfassung, wo er's nicht verträgt.

Adolf. In einer Verfassung? Ho, ho! Kennimus.

Agnes. Na siehst du, so höhnst du.

Adolf. Nu sag mal im Ernst, Agnes: merkst du was? Ich merke was.

Agnes. Ich merke auch was, natürlicherweise.

Adolf. Nun, und?

Agnes. Und? Was denn weiter?

Adolf. Ich glaube, Mäxchen ist neunzehn Jahr alt.

Agnes. Heut vor drei Wochen war er neunzehn.

Adolf. Drei Wochen auf zwanzig, und dabei, Agnes, find'st du so alles ganz in der Ordnung?

Agnes. Ach ja, so ziemlich.

Adolf. »So ziemlich« ist gut. »So ziemlich« ist sehr gut. Und wenn Vater und Mutter am Leben wären? Was würden die beiden wohl sagen, Agnes?

Agnes. Sie würden die Sache nach ihrer Weise beurteilen. Sie würden so handeln, wie es nach ihrer Meinung für Maxens Wohl am besten wäre. Und ganz genau so will ich eben auch handeln.

Adolf. Es ist also gut für'n Menschen, wenn er sich mit neunzehn Jahren verlobt.

Agnes. Unter gewissen Verhältnissen, warum denn nicht? Die schönsten Jahre meines Lebens liegen für mich ja auch vor dem zwanzigsten. Mit einundzwanzig, als Ludwig gestorben war, da hatt' ich mein Teil am Leben ja auch schon dahin.

Adolf. Das ist etwas anderes, ganz etwas anderes.

Agnes. Nun ja, wenn du meinst, so sprich doch ein Machtwort. Du hast ja das Recht, du bist ja der Vormund . . .

Adolf. I, Machtwort, Machtwort. Was tu' ich mit dem Machtwort? Ich bin nicht der Mann, ein Machtwort zu sprechen. Und außerdem würde es was Rechtes nützen. Auf seine Stirn, auf Agnes Stirn, dann in die Luft deutend. Dickschädel! Dickschädel! Dickschädel! Wir Strählers sind alle Dickschädel. Mit sich steigernder komischer Heftigkeit. Aber wir rennen auch gegen Mauern mit unsern Dickschädeln. Wir schlagen uns Beulen an unsere Dickschädel, in allen Regenbogenfarben. Mag's doch! Was geht's mich an? Mag er sich einbrocken, was er will, ich lasse mir meine Ruhe nicht rauben. Ich werde mich abgrübeln. Agnes lacht. Jawohl, abgrübeln, weil ihm die Flöhe im Haupte herumhopsen, weil er verrückte Ideen hat. So'n junger Mann und geht schon auf die Freite. Vielleicht wird er pleite mit seiner Freite: das kann schon noch kommen. Er rennt rechts ab. Im zweiten Zimmer wird Gertrud sichtbar.

Agnes ruft hinein. Hier bin ich, Fräulein Gertrud.

Gertrud kommt nach vorn. Ach so, hier.

Agnes. – Gute Nachrichten?

Gertrud. Ach ja, ganz . . . Sie stockt, Tränen kommen in ihre Augen.

Agnes drückt sie mütterlich an sich. Nicht weinen, nicht weinen, es wird alles wieder gut werden.

Gertrud. Sie werden geschieden, Papa und Mama. Sie mag auch nicht mehr Papas Namen tragen. Und dann soll ich hinkommen, Großpapa will es.

Agnes. Das hat nichts zu sagen. Wenn Sie nicht wollen, kann niemand Sie zwingen.

Gertrud. Ich will nicht, ich will nicht. Ich mag nicht ihr Gnadenbrot essen. Ich mag nicht mit anhören, wie sie auf meinen Papa alle Schuld häufen. Mama hat auch Schuld. Mama ist oft genug hart und lieblos gewesen. Und wenn Großpapa herkommt, ich gehe nicht mit ihm. Ich mag nicht, ich mag nicht. Mein Papa ist allein. Mein Papa hat niemand. Für Mama und die Schwestern ist gut gesorgt. Ich will bei Papa bleiben. Ich gehöre zu meinem Papa.

Agnes. Will Ihr Großvater Sie abholen?

Gertrud. Im Briefe steht, er sei auf Reisen und würde wohl auch durch Schlesien kommen. Ach, liebe Frau Agnes, liebe Frau Agnes, liefern Sie mich nicht aus, Frau Agnes. Ich bin kein Kind mehr. Ich weiß, was ich tue. Wenn ich mit fort muß, bleibt mir kein Ausweg. Nur ein paar Tage Asyl, Frau Agnes. Nur bis wir den armen Papa aufgefunden haben. Dann gehe ich zu ihm und verlasse ihn nicht mehr. Nur bis dahin, nur noch bis dahin.

Agnes. Wie Sie nur reden, liebes Trudchen. Sie sind bei uns und bleiben bei uns. Und wenn Sie mal selbst werden von hier fort wollen, dann ist es noch sehr die Frage, ob wir's Ihnen erlauben.

Gertrud, sie umhalsend. Du treue Freundin.

Agnes. Du? Also es gilt? Sie hält ihr die Hand hin.

Gertrud, die Hand mit Küssen bedeckend. Du Liebe, Liebe. Kleine Pause.

Adolf kommt von rechts. Na, siehst du, ich sag's ja, wenn ich dich mit Fräulein Trudchen zusammen sehe, macht sie'n trauriges Gesicht. Du bist mir die Rechte! Anstatt sie nu aufzuheitern. Gott bewahre! Du setzt dich ans Klavier und spielst – mit Übertreibung singend – »Ich weiß nicht, was soll es bedeuten.« Fräulein Trudchen! Es ist wahrhaftig gar kein Grund zur Sorge. Glauben Sie mir doch, der Herr Professor ist so gesund und munter wie Sie und ich. Kommen Sie! Machen wir 'ne Schachpartie. Wollen Sie nicht? Sie sollten aber eigentlich wollen, denn Sie müssen sich unbedingt zerstreuen. Soll ich Ihnen mein Museum erklären?

Agnes. Ach, Adolf, laß doch, du quälst Fräulein Trudchen.

Adolf, zu Trudchen, welche den Kopf schüttelt. Gott steh' mir bei! Na, so 'ne Idee! Ich quäle Sie, Fräulein? Wie, quäle ich Sie?

Agnes. Sie wird dir's nicht sagen, natürlicherweise.

Adolf. Ach, Schafskopf, Schafskopf! Nicht wahr, Fräulein Trudchen, meine Schwester ist einfach ein großer Schafskopf. Wenn ich zu Ihnen sage, Sie müssen mehr essen, um dick zu werden, da spricht sie: »Ach laß doch!« Sag' ich, Sie müssen in die freie Luft, damit Sie rote Backen kriegen –: »Ach laß doch, ach laß doch!« Im Gegenteil, rausreißen muß man die Menschen. Sie mit Gewalt zwingen, daß sie von ihren Gedanken ablassen; denn es sind meistens ganz unnütze Gedanken. Kommen Sie, Fräulein. Ich verschreibe Ihnen hiermit eine Stunde Oberländer. Sehen Sie, hier: der Tiermarkt in Timbuktu. Sehen Sie mal diese göttlichen Schwarzviehhändler. Und wie die Giraffe bückt und hinten aushaut. Er ahmt in komischer Weise die Bewegungen der Giraffe nach.

Agnes. Nein, aber Adolf!

Adolf. Was is denn da weiter? Finden Sie was dabei, wenn ich 'n bißchen Giraffe spiele? Meine Schwester ist 'ne furchtbar würdige Person. Wissen Sie, die ist so würdig, daß ich vor purer Ehrfurcht manchmal das scheußlichste Asthma kriege. Es klingelt im Entree. Wer kommt denn da? Adolf geht links hinaus, um die Entreetür zu öffnen. In zwei Sekunden kehrt er zurück. Agnes, du bist wohl so freundlich! 'n Geschäftsfreund, 'n langweiliger Kunde, Fräulein Trudchen. Agnes und Gertrud ab durch die Mitte. Adolf schließt sorgfältig die Tür hinter beiden. Dann geht er und spricht durch die linke Tür. Kommen Sie nur herein, bitte.

Löffler tritt ein. Scheen gu'n Tag.

Adolf. Sie wollen meinen Bruder sprechen?

Löffler, die Mütze drehend. Ich wollt' amal a Wort mit'n reden, nu.

Adolf. Sagen Sie mal, heißen Sie vielleicht Löffler?

Löffler. Ich heeße Leffler, jawoll.

Adolf. Waren Sie nicht früher beim Professor Crampton im Atelier?

Löffler. 's stimmt.

Adolf. Nu sagen Se mal, wo steckt denn nu eigentlich der Herr Professor?

Löffler. Deswegen wollt' ich ja eben amal mit'n Herrn Strähler reden.

Adolf. So. Ja, mein Bruder ist augenblicklich nicht hier. Warten Sie mal: Zünden Se sich mal hier erst 'n Glimmstengel an. Rauchen Sie nur gleich hier. Setzen Sie sich mal hin, da. Immer setzen Sie sich. Und nun schießen Sie mal los. Also, wo steckt der Professor?

Löffler kraut sich am Hinterkopf. Ja, ich weeß nich, ob ich das aso sagen darf.

Adolf. Na jedenfalls: ins Wasser is er nich gesprungen?

Löffler, immer umständlich. Nee, nee, ooch noch nich. Sehn Se, dazu is Ihn der Mann nich geeignet. Sehn Se, dazu is Ihn der Mann zu gebildet. Und ieberhaupt Wasser . . .

Adolf. Nu freilich, Wasser . . . Lacht. Verstehe schon. Das liebt er nich.

Löffler. Nee, wissen Se. Ooch noch nich. Der is's 'n zu fein gewehnt, wissen Se. Ein Mann is das! O je, nee! Wenn der bloß und tät' sich derhintersetzen. Mit dem Kopp, den der Mann hat! Wenn ich den Kopp hätte!

Adolf. Er lebt also jedenfalls und is hoffentlich auch gesund?

Löffler. Nu, freilich lebt a.

Adolf. Na ja, natürlich. – Wo wohnt er denn nun?

Löffler. A wohnt halt . . . Ja wissen Se, das wer' ich Ihn wohl nich verraten dürfen. Da drinne hat a 'ne eegne Ansicht. Das soll niemand wissen. Nee, nee, das geht nich.

Adolf. Ja, was wollten Sie denn aber bei meinem Bruder?

Löffler. Bei Ihrem Bruder, ja sehn Se, der kennt a Professor. Bei dem, da tät' ich's halt amal wagen. Ich muß's halt auf meine Kappe nehmen. Denn sehn Se, wenn ma das aso mit ansieht, 's dreht eenem's Herz im Leibe rum.

Adolf. Es geht ihm wohl also gerade nicht glänzend?

Löffler, bewegt. Nee, nee, ooch noch nich.

Adolf. Nu sehen Sie mal an. Sie können mir wirklich vertrauen, Löffler. Ich würde gern tun, was irgend möglich wäre.

Löffler. Nu sehen Se, ich wollte Ihren Bruder fragen. – A hat doch die Kleene zur Bahn gebracht.

Adolf. Was für 'ne Kleine?

Löffler. Nu seine Jüngste, 'n Professor seine.

Adolf. Ach, Fräulein Gertrud. Nu ja, ja freilich.

Löffler. Nu sehn Se, da wollt' ich ihn halt amal fragen. Se is nämlich hier in der Stadt, Herr Strähler. Ich hab' se nämlich hier auf der Straße gesehn.

Adolf. Ja, hätten Sie sie doch angesprochen.

Löffler. Das ging doch nich.

Adolf. Das ging nicht? Wieso denn?

Löffler. Se hätt' mich doch nach'm Papa gefragt.

Adolf. Ja, ganz natürlich, was war' denn da weiter?

Löffler. Nu sehn Se, ich konnte doch nischt verraten; denn erschtlich: wo Ihn der Mann jetzt steckt, dort kann 'n das Mädel ni besuchen, das muß a jeder selber einsehen. Und zweetens, bring' ich das Mädel dorthin – nu wissen Se, das kann man den zutrauen, verstehn Se, der Mann macht mich kalt. Denn wissen Se, die kleene Trude, das is dem sei Heechstes. Und sag' ich'm nu, de Gertrud is hier, da gibt's Ihn a Unglück, wer weeß wie groß. Wo is se, wo steckt se? Der Mann wird Ihn wahnsinnig. Er steht auf. Verwandte und Freunde hat er doch hier keene. Und wenn er ooch schimpft uff die Schwiegereltern, 's beruhigt'n doch, daß die Gertrud dort is. Denn fremde Leute, i, fremde Leute, das is für den Mann wie a rotes Tuch.

Adolf. Hier haben Sie was für Ihren Weg.

Löffler. Ich dank' ooch scheene.

Adolf. Nu passen Se mal Achtung. Um sechs Uhr warten Sie an der Post. Haupteingang links. Da werde ich Ihnen meinen Bruder schicken. Ich glaube, er weiß was von Fräulein Trudchen. Es klingelt im Entree. Pst, warten Sie mal. Er riegelt die Tür links zu und lauscht. Man hört: die Entreetür wird geöffnet und geschlossen. Jemand schreitet nach dem hinteren Zimmer zu. Im Augenblick, als das Geräusch einer geöffneten Tür aus dem Hinterzimmer dringt, schließt Adolf hastig seine Tür auf und drängt Löffler hinaus. Heut um sechs also! Adolf begleitet Löffler und läßt ihn durch die Entreetür hinaus. Zurückgekehrt, greift er nach der Pfeife, die er in der Erregung fortgelegt hatte, und zündet sie an. Nun kommt Max, zwei Pakete im Arm, durch die Mitte nach vorn. Adolf, mit schlecht verhehlter Freude. Er lebt, er ist da, es behielt ihn nicht.

Max. Wer ist da? Der Professor?

Adolf, mit gemachter Verwunderung. Wie? Welcher Professor? Ach so, dein Professor Crampton. Na, der wird ooch nich weit sein.

Max, die Pakete wegstellend, mit einem Seufzer. Wer weiß, wer weiß!

Adolf streckt sich, immer rauchend, auf dem Sofa aus und nimmt eine Zeitung. Was bringst du denn da?

Max, auspackend. Ach nichts, 'n paar Bronzen.

Adolf. Für wen denn, mein Junge?

Max. Ach, zum Vergnügen.

Adolf. 'n teures Vergnügen.

Max. Wieso denn teuer? Kleine Pause.

Adolf. Sag mal – die Dinger sind nett. Zwei solche Dinger, genau dieselben, nicht, hatte auch der Professor? Was?

Max. Ich glaube ja.

Adolf. Ich glaube auch ja. Kleine Pause.

Max. Nu sag mal, Adolf, was soll denn das heißen? Ich kann mir doch wohl mal'n paar Bronzen kaufen?

Adolf. I, das versteht sich. Es fällt mir nur auf. Meinetwegen kaufe, ich hab' nichts dagegen. Es fiel mir nur auf. Ich sah gestern durch Zufall im Kontor dein Konto.

Max. Ich richte mir einfach'n Atelier ein. Du hast mir ja selbst gesagt, lieber Sohn, schon vor Jahr und Tag, du hätt'st nichts dagegen.

Adolf. Nee, wie gesagt, gar nicht. Ich finde es bloß 'n bißchen komisch und nicht ganz feinfühlig, offen gestanden, daß du's so . . . na, daß du so alle die Sachen zusammenkaufst, die früher der Professor im Atelier gehabt hat.

Max, rot werdend. Woher weißt du denn das?

Adolf. Ach, das erfährt man. Kleine Pause. Man erfährt überhaupt so manches, mein Junge. Nun ernstlich: sag mal, Max: Was denkst du dir denn eigentlich so bei der ganzen Geschichte?

Max sieht ihn unsicher an. Bei welcher Geschichte?

Adolf. Na, es gibt doch bloß eine.

Max. Ich weiß von keiner.

Adolf. Na, die Affäre hat doch ganz unzweifelhaft auch 'ne geschäftliche Seite.

Max. Ach, die Affäre und die Geschichte und die Affäre! Ich weiß von keiner Geschichte, ich weiß von keiner Affäre.

Adolf. Soll ich vielleicht sagen, das Rettungswerk, oder ist dir vielleicht lieber: das Werk der Liebe? – Das ist doch ganz würdig: Affäre Crampton.

Max. Das weiß ich ja längst, daß du für so was nur Hohn und Spott hast.

Adolf. Wieso denn Hohn? Das möcht' ich wissen. Ich möchte ganz einfach, daß du dir klarmachst, was du beginnst. Du hast dir 'ne Wohnung gemietet für dreitausend Mark.

Max. Mit zwei Ateliers, das ist gar nicht teuer.

Adolf. Gut! Bon! Aber weiter. Du willst mit dem edlen Dulder zusammenwohnen.

Max. Der edle Dulder? Wer ist denn das?

Adolf. Mein Junge, so laß doch die Nebensachen. Die Hauptsache ist, du willst ihn doch retten. Du machst ihm doch da ein Nest zurecht, nicht? Du denkst dir, ihr werdet dort miteinander hausen, getrennt voneinander und doch in holder Gemeinschaft.

Max. Nun, hältst du das denn für so unsinnig, Adolf?

Adolf. Nu laß mich mal ausreden. Das ist ja ganz hübsch. Die Idee ist recht niedlich. Aber wenn nun dieser edle Dulder . . . Was denn dann, wenn er nun partout nicht davon abgeht, wenn er nun partout dabei bleibt, bloß – bloß flüssige Nahrung zu sich zu nehmen?

Max. Du, es kostet mich Überwindung zu antworten. Der Mann wird verhöhnt und mit Steinen geworfen, und jeder Wicht hackt auf ihm rum. Ich will dir was sagen: für den Mann bürge ich. Ach, lache meinetwegen. Ich sag' es noch mal: ich bürge für ihn mit Haut und Haaren. Hör du nur Leute reden, die seine Verhältnisse genau gekannt haben. Man hat ihn ausgenützt, man hat ihn ausgesaugt. Blutsauger haben ihn ausgesaugt. Weltunerfahren ist er, gutmütig, wohltrauend . . .

Adolf. Und Rechnen ist nicht seine starke Seite.

Max. Nein, Rechnen ist nicht seine starke Seite. Dafür hat er andere starke Seiten. Was er braucht, ist Ruhe. Menschen, die ihn verstehen und ihm die kleinen Sorgen des Lebens abnehmen. Und hat er das, dann bürg' ich für ihn.

Adolf. Nun, hoffen wir nur, daß du dich nicht täuschst.

Max. Ich täusche mich nicht. Ich kann mich nicht täuschen. Horch doch mal zu, was Fräulein Trudchen erzählt. Sein größtes Unglück war seine Frau. Eine herzlose, aufgeblasene, leere Person. Dumm und adelsstolz obendrein . . .

Adolf. Das erzählt Fräulein Trudchen?

Max. Das erzählt sie nicht gerade, aber man spürt's doch heraus.

Adolf. So, man spürt es heraus. – Nu sag mal, Max! Hast du dich mal aufs Gewissen gefragt? – Ich meine so über deine Motive.

Max. Ach du, das Aufziehen kann ich nicht leiden.

Adolf. Na hör mal! Aufziehen? Das nennst du aufziehen? Ich einfacher Mensch, ich hab' 'n Interesse daran, in die Art und Weise 'nen Einblick zu gewinnen, wie'n genialer Mensch denkt und handelt, und das nennst du aufziehen? Aufziehen, du, das ist ganz was anderes. Wenn ich dich zum Beispiel fragen würde: wie geht's dem Schwiegerpapa? Oder: wenn denkst du denn Hochzeit zu machen? Oder: bist du auch sicher, daß sie dich mag? Hoho, mein Lieber, das ist gar nicht so sicher. Wer weiß, ob sie nicht gar schon längst verlobt ist? – Aber hör mich mal an, – nee, allen Ernstes: wenn du Glück haben willst, – nur Melancholie, nur Melancholie, mein Junge. Melancholie zieht am allerbesten. Im Busen das Weltweh, verstehst du wohl! Das macht bei den Mädels den meisten Effekt.

Max, der nur mit Widerstreben den Bruder angehört und mehrmals vergebens versucht hat, ihn zu unterbrechen, nimmt die Hände von den Ohren, die er sich zuletzt zugehalten, und stößt wütend heraus. Ach, Mädel, was Mädel, das is kein Mädel!

Adolf. Hoho! – Na weißt du, mein Junge, das ist nun absurd. Max und Adolf müssen beide herzlich lachen.

Max. Nee, Adolf, hör mal, dir ist nichts heilig.

Adolf, er lacht heftig und scheinbar unmotiviert. Nee, wenn ich dran denke, mein erster Besuch bei dem Schwiegerpapa. Er kopiert ihn mit großer Übertreibung in Worten und Bewegungen. Was glauben Sie, was glauben Sie? Ein Vormund sind Sie? Sie werden mich umbringen. Ob der Bursche Talent hat? Ich habe selbst kein Talent. Was glauben Sie, was glauben Sie? Ich bin keine Pythia. Ich kann nicht aus den Eingeweiden weissagen. Mit einem Seufzer der Erschöpfung, immer lachend. Der edle Dulder kann nicht aus den Eingeweiden weissagen. Es war eine erhabene Entrevue. Nach einer Pause. Wo ist denn nun der Professor eigentlich?

Max. Ja, wenn ich das wüßte, wär' mir auch wohler.

Adolf. Hast du denn gar keine Spur von ihm?

Max. Gar keine bis jetzt. In der Akademie ist nichts zu erfahren. Das Faktotum, der Löffler, ist nirgends zu finden. Nicht auf der Straße, nicht in der Wohnung. Ich befürchte mitunter das Allerschlimmste.

Adolf. Ja, lieber Gott! gefaßt muß man sein.

Max, heftig. Na siehst du's, na siehst du's, nu sagst du's selber. Und früher, da hast du nur immer gelacht. Nu wird dir selbst angst, siehst du, siehst du! Was habe ich gesagt am zweiten Tage? Man muß auf das Allerschlimmste gefaßt sein. Der Mann ist imstande, er geht ins Wasser. Der Mann erschießt sich, hab' ich gesagt. Da hast du gelacht und mich eingewiegt. Du hast dich verschworen . . .

Adolf. Ich hab' nicht geschworen.

Max. Stein und Bein hast du geschworen, und nun sitzen wir da. – Ich laufe rum, ich Narr, ich Esel! Und baue mir, wer weiß was für schöne Luftschlösser . . .

Adolf. Und kaufst so viele Sachen zusammen.

Max. Ach, die paar Sachen, die kümmern mich gar nicht. Hätt'st du dich nur lieber'n bißchen tätig gezeigt! Du prahlst ja sonst so mit deiner Findigkeit. Aber ich sag' euch, Kinder, is ihm was passiert, dann sucht mich. Dann hat es am längsten gedauert. Dann könnt ihr sehen, wo ihr mich findet.

Adolf hat unter heftigem Lachen mehrmals vergeblich versucht, ihn zu unterbrechen. Herr Jesus! Herr Jesus! Was soll man denn machen? So komm doch bloß zu dir! Er is ja gefunden. Ich hab' ihn ja längst entdecken lassen. Die ganze Sache ist längst erledigt.

Max stutzt, rennt auf Adolf zu, packt und schüttelt ihn. Nu sag mal, du Kerl, du?!

Adolf. Nu, was ich dir sage.

Max tanzt in einem Ausbruch höchster Freude mit Adolf herum. Du Prachtkerl! Du Prachtkerl! Er läßt Adolf los und sinkt auf ein Sofa. Ach, freut mich das riesig.

Adolf, erschöpft. Du bist aber wirklich noch sehr, sehr jung.


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