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Erster Aufzug

Erste Szene

Hintergrund: zackige, waldige Felsenpartien. Vor denselben ein freier Platz, in dessen Mitte eine alte Eiche steht. Am Fuße der Eiche ein Altar, der dem Wodan geweiht ist. In den Zweigen der Eiche Trophäen und Symbole aller Art.
Zeit: Mittag.
Auf einem der Felsen im Hintergrunde ausgestreckt ruhend Osmundis, mit Hirtenhorn und Speer. Sie scheint zu träumen, indem sie spricht.

Osmundis

Die düstern Nebel lichten sich im Tale,
und hier und da zerreißt ein leiser Hauch
den grauen Flor. Wann sinkst du nieder, Schleier,
der du um fluch- und schmachbeladnes Land
dich finster windest?

Sich halb aufrichtend

Zittre, alter Wald,

Wehmütig

rausch, alter Wald, laß deine mächt'gen Kronen
wehmüt'ge Lieder singen.

Zurücksinkend, nachlässig

Träume, träume,
denn Träumen ist uns gut.

Sinnend, träumerisch

Die Knechtschaft träumt
von Freiheit.

Plötzlich emporfahrend, gen Himmel deutend

Wie dort jener Aar sich wiegt,

Pause, in der sie sich ingrimmig umsieht.
Hervorbrechend

als wären keine Römer in Germanien,
als gäb' es keine Ketten in Germanien,

Höhnisch jubelnd

so frei, so herrlich! Römer, fesselt ihn,
greift aus mit list'ger Zunge, gier'ger Klaue,
lüsternen Blicks und holt ihn euch herab!

Springt leidenschaftlich empor.

Versucht's, versucht's, ha, ha!

In sich sinkend

Deutschland! Deutschland!
Dich hält's umklammert, dieses Rom,

Gen Himmel weisend

und er – – ist frei!

Pause. Hierauf stößt sie ins Horn.

Was frommt nutzloses Brüten?
Ich locke meine Herde, wie ich soll,
ist's auch in Knechtschaft.

Severus kommt, waffenlos und ohne Rüstung, ein Täfelchen und Griffel in der Hand.

Zweite Szene

Severus

Durchs Gewälde streifend
ohn' Zweck und Absicht, nur von Blättersäuseln,
vom Vogelsang gefangen Aug und Ohr,
entschwand mir Pfad und Richtung.

Osmundis

ehern, finster

Und wer bist du?

Severus

So wahr Germanien deine Heimat ist,
bin ich ein Römer.

Osmundis

wie vorher, ohne sich zu bewegen

Ein Tribun, ein Liktor,
ein Schöpfer grauser Tyrannei, ein Pfeil,
'ne niedre Geißel in des Varus Hand?

Severus

ernst

Das bin ich nicht, ich bin ein freier Mann.

Osmundis

Frei und ein Römer?

Severus

Ja, frei und ein Römer,
und selbst in Ketten bin ich frei. Doch frei
liegst du wie ich in Fesseln. Diese Lehre
ist grausam, aber wahr.

Indem er sich umsieht

Trügt mich mein Sinn nicht,
ist dies die Opferstätte eures Wodan
und somit auch der rechte Weg für mich.
Hab Dank für deinen Hornruf, schöne Marsin.
Leb wohl.

Er schickt sich zum Gehen an.

Osmundis

für sich

Ist dies ein Römer?

Severus

indem er stehenbleibt

Hüte dich
vor Römern, die den Forst nach Wild durchstreifen.
Du bist von heißem Blut. Arminius
braucht gegen alle seines Volks das Schwert.

Osmundis

gelassen

Geh, Römer, prahle nicht mit falscher Großmut.

Severus

So Jupiter mich sieht! er führt den Trupp,
um Römerfeinde auszuspüren. Marsin,
ich warne dich!

Osmundis

anscheinend zu sich, aber doch so, daß es Severus hören muß

Ein Luchs, des scharfer Zahn
in eines Edelhirsches Nacken sich
gierig vergrub, wird der wohl trauern, Römer,
um seiner Beute Tod, ha, ha! Falschheit –
du bist ein Römer.

Severus

lauschend

Dumpfe Laute dringen
vom Tal herauf. Der Boden dröhnt, sie sind's.

Osmundis

Das sind nicht Römer. Sigwin ist's, der Harfner,
er singt von Freiheit, und man lauscht ihm gern.

Severus

noch lauschend

Man kommt den Berg herauf.

Osmundis

An Wodans Altar
pflegt er zu singen.

Severus

schnell entschlossen

Nun, ich warnte dich,
leb wohl.

Osmundis

ihm plötzlich in den Weg tretend, kurz und gebietend

Bleib, Römer!

Severus

Und warum?

Osmundis

verlegen

Hör mich,
du hattest um mein Leben Sorge, ich,
wenn auch die Sorg' um dich mein Herz nicht kennt,
ich warne dich.

Severus

Vor wem?

Osmundis

Vor den Germanen,
die du begegnen mußt, wählst du den Weg
hinab nach Herthakon. Bedenke, Jüngling,
es ist kein Frevel, einen Römer töten,
und der Gesang erhitzt des Deutschen Blut.
Ich führe dich.

Severus

zu sich, die Worte der Osmundis nachsprechend

Ein Luchs, des scharfer Zahn
in eines Edelhirsches Nacken sich
gierig vergrub, wird der wohl trauern, Marsin,
um seiner Beute Tod, ha, ha! Falschheit –

Gedehnt, indem er sie fixiert und sich dann schnell zum Gehen wendet

ich – bin – ein – Römer.

Osmundis

ihn wiederum mit dem Speere zurückhaltend

Halt!

Severus

unmutig

Nun, was begehrst du?

Osmundis

errötend

Nichts!

Indem sie lauscht und dann dem Hintergrunde zugeht, leise

Schon durcheilt die Schar den Hohlweg.

Laut

Folge!

Severus

stehenbleibend

Wohin?

Osmundis

schnell sich wendend

Liebst du das Leben?

Severus

Ja.

Osmundis

So komm!

Sie tritt auf einen Felsen im Hintergrunde.

Dort geht der Weg, du kannst nicht fehlen, erst
der Quelle Lauf verfolgend, bis zu jener
gewalt'gen Schlucht. Dort aber jäh hinab
führt dich ein wohlgebahnter Weg zur – Zwingburg.

Indem sie herabtritt und sich wegwendet

Nun eil dich, Römer.

Severus

indem er Osmundis sinnend beschaut, welche ihm den Rücken wendet

Wohl, ich folge dir.

Indem er ihr näher tritt

Und habe Dank. – Darf dir ein Römer danken?

Osmundis

ihn über die Schulter betrachtend, finster, ingrimmig

Ich wußte nicht, daß Römer danken können.

Indem sie die Faust ballt, leidenschaftlich, stolz

Doch können sie's, auch ihrem Danke fluch' ich.

Dritte Szene

Severus ab. Das Geräusch hinter der Szene wird stärker, und es treten auf: Sigwin, dann, von zwei Jünglingen geleitet, Siegtraut, des alten Barden blinde Tochter, verschiedene Jünglinge und Kinder.

Sigwin

zu Siegtraut

Wird dir das Steigen schwer, mein liebes Kind?

Siegtraut

Nicht doch, mein Vater, Wonne haucht die Luft,
die Vögel singen, ach! so helle Lieder,
ich fühle wärmen, was ihr Sonne nennt.

Ein Jüngling

Das arme Kind!

Siegtraut

Was sagt ihr, arm, ich arm?
Mein Reich ist Geist. Ich höre singen, doch
wer singt, das weiß ich nicht. Ich höre rauschen
in heil'gen Tönen, doch wer rauscht, das ist
mir fremd. Ich höre Donnerschall, mein Ohr
durchdröhnt's. Wer dröhnt, ich kenn' ihn nicht. – Laßt mich
ein wenig ruhn.

Osmundis

für sich

O wär' ich blind wie sie.

Siegtraut wird auf einen bequemen Rasensitz niedergelassen. Die Jünglinge umstehen den alten Sänger, die Kinder machen sich mit Siegtraut zu schaffen.

Sigwin

Der Wald verrät uns nicht, die mark'gen Wächter
sind alle unsers Bodens kühne Söhne,
sind treu und fest. – Ja seht, uns hat der Römer
schon hie und da zu seinem Brauch gekirrt.
Laßt seine Kraft an Eichen ihn versuchen
und seht, ob er sie beugt. Er kann sie fällen,
sie brechen, doch nicht beugen.

Plötzlich wild emporfahrend

Giftig sind
und tückisch wie die Katzen sind die Römer.
Ha! wär' ich jung!

Erster Jüngling

Wir sind's, Sigwin, wir sind's,
und wenn man uns des Schwertes würdig hielte,
dann – dann –!

Sigwin

bitter

Was dann? Ihr habt nur Worte, Knaben,
nicht Taten mehr. Vergangen ist die Zeit
der deutschen Kraft, dahin die grüne Saat,
nichts ist geblieben als die dürren Stoppeln.
Es brennt der Halm, die Stoppeln rauchen nur,
die Taten sind verblichen – Worte herrschen.

Zweiter Jüngling

Nein, alter Sigwin, schmäht nicht unser Volk,
es gibt noch Männer. Und sprichst du von Stoppeln,
so sag' ich dir, drauf keimt die neue Saat,
und um so besser, wenn sie Schnee bedeckt.
Hätt' ich nur Waffen, gäb' man mir ein Schwert!

Sigwin

Sterbt, sterbt! – Germaniens Glanz erstirbt. So ihr.
Ich sage, hin ist hin. Gebeugt, zerdrückt,
nicht ruhmreich ist Germaniens Stamm zerschellt
im Sturme, der den Forst durchrast, nein, schmählich
vom Wurm zerfressen, nur vom Wurm gebeugt.

Vierte Szene

Numonius und Hermann, beide in Waffen.

Hermann

noch hinter der Szene

Hierher, Numonius, hierher, hierher –

Vortretend

da – sieh, wie sich die Sippe hier verkriecht,
ein tückisch Volk, beim Jupiter.

Numonius

ebenfalls hervorstürzend

Was tust du,
graubärt'ger Schurke!

Hermann

sarkastisch

Er verführt die Kinder,
Numonius, ich kenn' ihn.

Auf Siegtraut deutend, mit einem zweideutigen Blick wiederum Numonius betrachtend

Diese dort
ist seine schöne – leider blinde Tochter.

Numonius

lüstern die Blinde betrachtend

Reizvoll, unendlich lieblich.

Hermann

leicht und nachlässig zu Sigwin

Nun wohlan,
fahrt fort – fahrt fort, wir wollen nur ein wenig
Bewunderer spielen.

Zu Numonius

Liebt Ihr den Gesang?

Zweiter Jüngling

leise

Ich kenn' ihn, 's ist ein einstiger Sohn des Teut –
Hermann, die Römer nennen ihn Armin.

Nach und nach verläuft sich der Schwarm, furchtsam, nur einige Jünglinge stehen noch von fern.

Numonius

immer noch Siegtraut betrachtend, gedehnt

Ich lieb' ihn um des Sängers Tochter schon.

Siegtraut

Wer sind die Fremden?

Sigwin

der vor Siegtraut getreten ist, ängstlich

Still, mein liebes Kind.

Numonius

wie oben

Schlank wie der Birke Schaft, schmiegsam und leicht,
wie ein Gefäß, von Meisterhand geformt,
der feine Fuß, der edle Gliederbau,
die sanfte Form, von Linien umschlossen,
so zart, so fließend, wie sie wohl sich bilden,
wenn leiser Hauch ein Spinngeweb berührt.

Hermann

spöttelnd

Numonius, das war des größten Dichters würdig,
ich werde deines Ruhms Posaune sein.

Numonius

zu Sigwin

Wie alt ist Eure Tochter?

Hermann

einfallend

Sechzehn Sommer,
Numonius, der Alte sagt's dir nicht.
Sieh, wie er grimmig schaut und seine Taube
beschützt.

Zu Sigwin

Oh, Alter, solchen stolzen Tauber
find'st du wohl selten wieder – schnell, greif zu,
gib ihm die Tochter, nimm sein Gold dafür.

Lachend

Nicht wahr, Numonius, ich bin ein Kaufmann
und handle gut und schnell.

Numonius

für sich

Süß und reizvoll.

Sigwin

zu denen, die noch bei ihm sind

Geht heim, Getreuen alle. Hin ist hin.
Ich sagte nichts als dies.

Die Jünglinge gehen. Osmundis steht finster und in sich gekehrt abseits.

Sigwin

indem er einen Schritt vorwärts tut, mit verhaltenem Grimm

Was wollt Ihr, Herr?
Ihr spracht zu mir als wie zu einem Knechte.

Hermann

mit angenommener Wut

Schweig, Knecht! – Rom spricht aus mir. – Schweig, sag' ich.
Beim Thron Augusts, man wird dir den Gehorsam
mit Ruten lehren.

Sigwin

erbleichend, monoton

Und was tat ich Böses?

Hermann

Wie kannst du fragen, Mann?

Numonius

erwachend

Wie kannst du fragen?

Listig

Sag, welch ein kupplerisch Gewerbe führst du,
lockst all die junge Brut, und will sie nicht
dem Graubart folgen,

Tückisch auf Siegtraut weisend

dann vielleicht dem Kinde.
Ha, ha! – Schamloser, nicht die blinde Unschuld
ist heilig deiner schmutz'gen Gier.

Sigwin

der sich bisher bezwungen, einfallend

Wohlan! –
Was du da sagst, bezeug' ich dir. Hör mich.
Das deutsche Volk ist faul. Ihr brachtet Glanz,
Wollust in Seide, weichen Flaum und Hitze,
schmiegsam und biegsam alles, schwankend, wankend,
ihr brachtet Schuld in unsre klaren Wasser,
der Deutsche trank – und – siechte.

Numonius

Schweig!

Sigwin

Noch nicht!

Fest

Was? Fürcht' ich euer Schwert mehr wohl als Schande?
Nein! Strohtod mag ich nicht, und sterben muß ich.
Stoßt euren scharfen Stahl in diese Brust –
sie hat gesiegt; doch legt mir weiche Kissen,
legt eure Ehrenketten mir darum –
sie ist besiegt. Im Schwerte schlummert Ruhm,
in euren Ehren aber lauert Schande. –
Zur Sache denn.

Finster

Ihr spracht von meinem Kinde.

Zu Siegtraut

Ich liebe dich, nicht wahr, mein Kind? Siegtraut,
antworte deinem Vater.

Siegtraut

schüchtern, leise

Nur zu sehr,
und jeden Schritt bewachst du, Dank den Göttern,
die dich mir gaben.

Sigwin

gerührt

Seht, sie schilt mich nicht.
Blind ist sie, das erweicht die Steine. Jung
wie ein Maiglöckchen, frühlingsfrisch und schön
wie eine Rosenblüt', im Lenz entsprossen,
unschuldig wie des Rheines weiße Lilien
und lieblich –

Überwältigt

zeuget, ob sie lieblich ist.

Nach einer Pause, gewaltig

Dennoch und dennoch sag' ich: Fahre hin,
Unschuld und Anmut! Breche Schmutz der Lilie
schneeweißes Blatt! Fall in den Sumpf, wenn's gilt,
dem Vaterland zu dienen gegen euch!
Fluch euch!

Osmundis

tritt mit erhobenem Speer vor Sigwin. Mit ernster Stimme

Du Tor, auf Kosten deiner Wut
bricht dein Verstand. Im Zorn liegt keine Hülfe.

Fest und entschlossen zu den Fremden

Ihr Männer, bändigt so wie er den Grimm
und geht des Wegs, den ihr gekommen.

Numonius

Sieh,
auch dies ein schönes Weib.

Zu Hermann, der sie strafen will

Laß sie, laß sie!

Bedeutsam, verstohlen auf Siegtraut deutend

Du weißt, du weißt. Du siehst, du siehst, Armin.
Hier ging' ein Wüten nur ins eigne Fleisch.
Das Kind ist schön. Was weiter? List und Sanftmut.
Und was den alten Kettenhund betrifft,
so ist er alt und zahnlos.

Hermann

der seine Entrüstung über Numonius kaum verbirgt, wiederholt

Alt und zahnlos!
Meinst du es ernstlich mit Siegtraut?

Numonius

lächelnd

Das fragst du?
Die Hürde wird sich finden lassen, denk' ich,
darin das Lämmlein grast. Merk auf, Armin,
zwei Tage, und ich breche in die Hürde.

Zieht Hermann mit sich fort. Beide ab.

Fünfte Szene

Verwandlung. Saal in der Burg des Varus, mit einem großen Bogenfenster versehn, vor welchem Varus sitzt, gedankenvoll hinausblickend. Im Hintergrunde eine offene Arkade; zu Füßen des Varus, halb schlummernd, mit der Laute im Arm, Selin, ein syrischer Knabe, Sklave des Varus.

Varus

Die Sonne hat gesiegt, azuren wölbt sich
der breite Dom des Himmels – ist es nicht,
als müßte diese Sonne heißer brennen
als Syriens Feuerball? Und doch, es ist
nur Schein.

Pause.

Kalt ist dies Land, nicht wahr, mein Knabe,
sehr kalt, sehr rauh – mich friert. Was ist dir, Kind,
du schaust so traurig – denkst an Syriens Glut?

Selin

singt leise, wehmütig als Antwort zur Laute

Hoffen und Sehnen!
Glänzende Tränen
rinnen vom Auge mir
leise herab.
Könnt' ich euch wehren,
glühende Zähren!
Fänd' unter Palmen ich
einstens mein Grab!

Aber wir bauen
unter dem rauhen,
mächtigen Eichenbaum
säumig uns an.
Neblichte Schleier,
krächzende Geier,
Stürme umfliegen die
frostige Bahn.

Winde am Hügel,
reget die Flügel,
Syriens Feuerhauch
strahle herab.
Könnt' ich euch wehren,
glühende Zähren!
Fänd' unter Palmen ich
einstens mein Grab!

Er steht langsam auf, nimmt seine Laute und geht.

Varus

ergriffen

Du senkst in meine Brust ein schweres Weh
mit deinem Liede. Selten sind die Stunden,
da man vergangner Tage denken darf,
und mir – mir tut es not. Es ist ein schlecht,
ein trauriges Geschäft, ein traurig Amt,
das mir ein großer Kaiser übergab;
ich fürcht', es war mein schlechtstes und –
mein – letztes!

Sechste Szene

Segest

ist unbemerkt hereingetreten, demütig

Großmächt'ger Gebieter, Euer Knecht.

Varus

aus seinen Träumereien aufschreckend

Du hier, Segest, was führt dich zu mir?

Segest

Klage.

Varus

So weiß ich über wen. Es ist ja nun
mein tägliches Geschäft, dir deine Klagen
und üblen Reden widerlegen. Sag,
was hat dein Haß für neue Freveltaten
dem mächt'gen Rivalen deiner Macht
erfunden?

Segest

trotzig

Keine Freveltaten, die
er nicht getan. Ich, Herr, erdenke nichts,
das lass' ich euch, den Römern.

Varus

Nun, du bist
echt deutsch im Reden.

Segest

einlenkend

Wollet mir vergeben,
ich bin ein alter Mann, mein graues Haupt
hat manchem Sturme schon als Spiel gedient,
doch solch ein Frevel, Herr, ward nicht verübt,
seit unsre Eichen breite Äste wiegen
im Nordwind. Seht, ich bin ein alter Mann
und hatte eine Tochter, die ich liebte

Überwältigt stockend

und die mich liebte – wollet mir vergeben,
da ward ich zornig, als Ihr so mich höhntet.

Varus

Närrischer Alter, darum warst du zornig
und ließest deinen Zorn mich fühlen, weil
du eine Tochter hattest, die dich liebte?

Segest

Nein, Herr, nur weil man sie geraubt, entführt,
schurkisch und diebisch.

Varus

lächelnd

Wer hat sie geraubt?

Segest

hämisch

Nun, einer, den Ihr kennt, ein edler Mann,
ein edler, würd'ger Mann.

Varus

Arminius?

Segest

Ihr nennt ihn so, er ist's.

Varus

Arminius
entführte deine Tochter dir gewaltsam
und gegen ihren Willen? Rede!

Segest

Herr,

Zweifelhaft

er führte sie gewaltsam mit sich.

Varus

So,
daß sie sich sträubte, er sie bei den Haaren
auf seinen Rappen zog?

Segest

unwillig

Daß er sie zog,
ob mit Gewalt, das weiß ich nicht.

Varus

Es ist
gewiß, daß sie sich wehrte, mit den Nägeln
und Zähnen bis aufs Blut?

Segest

noch unwilliger

Das weiß ich nicht.
Wehrt sich das Gold vor Dieben, edler Herr?
Ist darum einer, der Euch Gold entwendet,
wen'ger ein Dieb?

Varus

immer heiterer werdend

So lockt' er sie mit Küssen?

Segest

Hör' ich davon, denk' ich daran, ihr Götter!
da brennen mir die Adern an der Stirn,
da zuckt die Faust, den Knauf des Schwerts umklammernd.

Wild

Varus, du, räche mich!

Varus

gelassen

Wie das? Du faselst,

Eindringlicher

du faselst, Alter. Was ist da zu rächen,
wenn zwei sich lieben?

Segest

bleich werdend, leidenschaftlich, mit gepreßter Stimme

Was zu rächen ist,
wenn einer in mein Hausrecht greift, sich frech
eindrängt bei Nacht an meinen stillen Herd,
was da zu rächen ist, wenn wer mein Blut
zu schänden wagt, wenn wer mit Kot bewirft
das Linnen, das auf meinen Matten ich
zur Bleiche legte.

Indem er sich plötzlich zum Gehen wendet

Lebe wohl, Gerechter!

Varus

gebietend

Segest, bist du ein Mann?

Segest bleibt.

Erst mag dein Zorn
und deine blinde Wut verrauchen, dann
sprich weiter mit mir.

Segest

einlenkend

Wollet mir vergeben,
ich bin ein alter Mann, nicht mehr gewandt
zum Heucheln äußrer Ruhe. Was ich fühle,
bricht frei hervor, des Willens Kette fehlt,
auch macht der Schmerz mich unklug.

Varus

der mit großen Schritten den Saal durchwandert, bleibt plötzlich stehen

Welcher Schmerz?

Segest

aufbrausend

Varus!

Varus

Ich frage, welcher Schmerz dich so
betört.

Segest

Du närrst mich!

Varus

Ich dich narren? Nein,
beim Sonnenlicht!

Indem er weitergeht

Wenn das dir Schmerz bereitet,
daß deine Tochter einen Helden freit,
'ne Fürstentochter einen Fürsten, nun,
so kenn' ich deinen Schmerz. Wenn's anders ist,
kenn' ich ihn nicht. – Erkläre dich, Segest.

Segest

Er ist ein Fürst, das geb' ich zu, er ist,
wenn's sein muß, auch ein Held, doch hass' ich ihn!
Es ist der einz'ge Mensch, Herr, den ich hasse,
der einz'ge, der mich haßt, und somit haßt
ihn meine Tochter, muß ihn hassen, Herr

Mit dem Fuße auf die Erde stampfend

sie soll, sie muß ihn hassen!

Varus

Und warum?

Segest

finster

Weil ich ihn hasse.

Varus

Warum hassest du,
den du doch lieben solltest?

Segest

erstaunt

Ich – ihn – lieben?
Habt Ihr denn je gehört, daß Edelhirsche,
in gleichem Forst gehegt, einander lieben?

Varus

So ist es also! Er verdunkelt dich
bei den Cheruskern?

Segest

Er verdunkelt mich.

Versonnen

Bei ihnen möcht' er's doch.

Den Blick gesenkt.

Varus

gebietend

Schau auf, Segest.
Warum seid ihr einander gram wie Schlangen,
warum? Ich will es wissen.

Segest

scheinbar verlegen

Zwingt mich nicht,
die Mauer zu zerreißen, unter der
wie zähes Unkraut wuchert unser Haß,
schafft mir nur Recht, gebt mir die Tochter wieder,
bringt sie mir – lebend oder tot. Genug,
daß er sie nicht besitzt.

Pause, in der er abermals den Blick senkt.

Varus

Blick auf, Segest.

Entschieden

So wahr der Blitz die stärksten Eichen spaltet,
wie deine Axt zerspellt ein dürres Reis,
so sicher dring' ich jetzt in dein Geheimnis.

Segest

So soll ich sagen, wie der Haß entkeimte,
der jetzt vom Scheitel bis zur Sohle mich
durchlodert gegen ihn?

Varus listig betrachtend

Es wird Euch schmerzen,
indes, wenn Ihr's denn wissen wollt, gebietet!

Varus

Mein Wunsch sei dir Befehl.

Segest

indem er ganz nahe an Varus herantritt, mit gedämpfter Stimme

So hört, so hört.

Varus

Sprich laut, Segest, so laut, daß deine Worte
an die Gewölbe schlagen, frei wie Donner
im Felsgebirge – ah, ihr schnöde Heuchler,
sagt ihr doch immer und man rühmt euch nach,
ihr sprächt nur Wahrheit, und die Wahrheit frei,
frei, furchtlos, offen ins Gesicht.

Segest

bitter

Mein Feldherr,
wir taten's ehedem.

Varus läßt sich nieder.

Segest

Wollt Ihr mich hören,
so überlaßt mir selber zu bemessen
den Ton der Stimme. Soll ich singen, Herr,
und rufen wie der Priester im Gebet,
ausschreiend, was bisher mein tief Geheimnis?
O nimmer! eh vergrab' ich's im Gestein.

Varus

unmutig

So sag mir's leise.

Segest

Es ist bald gesagt,
doch wenn ich's ausgesprochen, großer Varus,
dann schaff mir meine Tochter, räche mich –

Leise

und räche dich. Hermann ist ein Germane.
Ich, Herr, war ein Germane, bin ein Römer.
Hermann haßt alle Römer – wieviel mehr
den Überläufer. So ist er mein Feind,
der mich verachtet, den ich dafür hasse.

Varus

in Gedanken

Hermann ein Feind der Römer?

Segest

Ja, beim Thor!
Er ist's.

Varus

Ein Feind des Varus, der ihn liebt?

Segest

Ja Herr, das eben macht ihn hassenswert.
Bei den Cheruskern unterdrückt er mich
und durch sein glattes Wesen auch bei Euch.
Dort wohl mit Recht, hier nur durch Lügenkunst.
So heftet er, dem Häscher gleich, sich fest
an meine Sohlen, mir den Bissen zählend,
den Hauch vergiftend, den ich trinke. Ewig
in seinem Blick Tod und Verachtung, ewig
Stolz und Vernichtung. So als wollt' er sagen:
Sieh, selbst im Lügen übertreff ich dich.
Und das – das wurmt mich. Nun zu alledem,
gleichsam, als wollt' er vom Verderben sie
erretten, reißt er meine Tochter von mir.

Wild

Ich bin ihr Vater, sie ist mein!

Varus

gelassen, gleichmütig

Segest,
geh heim. Du bist ein alter Mann,
darum verzeih' ich, daß du unbesonnen
und freventlich beschuldigst deinen Feind. –
Was deine Tochter anbetrifft, Segest,
so wähle sie sich selber ihren Gatten;
dies und nichts weiter kann ich für dich tun.

Segest

ängstlich werdend

Varus!

Varus

Leb wohl.

Segest

Ich hör' ihn, den ich hasse.

Varus

So zwinge deinen Unmut, ich befehle.

Siebente Szene

Hermann tritt auf, nach ihm Numonius. Hermann ernst, sicher. Wie er herantritt, ist er im Gespräch mit Selin, der ihn geleitet hat.

Selin

Heil dir, mein Freund.

Hermann

Thor schütze dich, Selin,
und sei treu dem Gebieter, wie bisher.
Stimm deine Lieder höher; lust'ge Weisen
entlocke fürder deiner Laute. Nicht
solch töricht Heimweh singe.

Selin

Töricht, Hermann?

Hermann

Wenn du einstmals ein Mann zu werden wünschest,
wie ich es bin, bezwinge dein Gefühl;
kannst du's nicht ganz vernichten, dämpf es, Knabe.

Indem er die Hand Selins losläßt, welcher sich nun entfernt, scheint Hermann den Varus zu erblicken.

Achte Szene

Hermann

sich gegen Varus leicht verneigend

Doch da ist mein Gebieter.

Varus

freundlich

Sei willkommen.

Hermann

Zu lang versäumt' ich schon, dich zu besuchen.

Varus

Was fandest du auf deinem Wege mit
Numonius?

Hermann

Kaum, was mir wert erschiene,
es zu berichten, 's ist ein kräftig Volk.
Ich nannt' es zäh. Doch wär' es minder zäh,
wär's leicht zu beugen; doch einmal gebeugt
und eingewöhnt in fremde Lebensart,
verließ es ebenso ohn' viel Beschwerde
die fremde um der neuen willen. So
beugt sich's zwar schwer, doch einmal erst gebeugt,
ist es beständig im Verharren. – Seht,
wir trafen da 'nen alten Sänger, der
viel Lieder sang von Freiheit. Ein'ge Knaben
umstanden ihn und riefen wild nach Waffen.
Man muß es dulden.

Hermann läßt sich an einem Tische nieder und blättert anscheinend gleichgültig in einem Buche.

Numonius

geckenhaft, kriechend unterwürfig

Mächtiger Gebieter,
der Sänger hatte eine blinde Tochter,
und diese Blinde war's, die all die Brut
begeisterte. Ihr folgten sie, gleichwie
die Hündlein einer Hündin folgen, nicht
dem Sänger und dem Sange.

Hermann

lässig

Das bestreit' ich.

Varus

Ich auch, Numonius. Das deutsche Volk
liebt seine Freiheit.

Hermann

immer noch in dem Buche blätternd, spielend

Alles muß vergehen,
Unglück wie Glück, Freiheit wie Knechtschaft. Alles!
Drum füg' ich mich, der ich die Freiheit liebe,
wie nur ein Deutscher kann. Nur beug' ich mich
dem Schicksal ohne Einspruch. Gleich dem Schiffer,
der schnell bedacht das lecke Schiff verläßt
und nach dem segelfesten überspringt,
das so ihn aufnimmt und errettet, während
er sicher läge schon am Grund des Meers,
hätt' er auf seinem sinkenden verharrt.

Varus

Ich seh' an deinem Helm ein buntes Band.

Hermann

gleichgültig

Ich hab' gefreit, Herr, seit ich Euch nicht sah.

Varus

Ja denn, du sprachst davon.

Nach einigem Besinnen

Wer ist es denn,
die du zur Gattin dir erkoren hast? –
Und mich, Armin, mich ludst du nicht zur Hochzeit?

Hermann

Der Grund, warum ich das zu tun versäumte,
versäumen mußte, liegt darin, mein Feldherr,
daß die Zeremonie, die uns verband,
zu düster war, zu kalt, zu frostig, Varus.

Indem er aufsteht und einige Schritte tut

Brautwerber war mein Schwert, Brautbitter war
die List, und unser Hochzeitstag war Nacht,
Eulen und Unken unsre Musikanten.

Varus

gezwungen

Wie das? – Wer ist der Vater deiner Gattin?

Neunte Szene

Flavus kommt.

Hermann

seine Aufregung immer noch verbergend

Sie nennen ihn Segest. Ich hätte wohl
'nen besseren Namen für ihn aufgefunden.

Mit einem höhnischen Blick auf Flavus

Da seh' ich wen, der seine Gunst besitzt.

Flavus

giftig

Was gibt's denn nun an mir, daß du dich ärgerst,
was kitzelt deinen Neid,

Gedämpft

du Mädchenräuber.

Hermann

Da sagst du wahr, mein Bruder »Otternzahn«,
da sagst du wahr. Ich raubte sie. Dank euch,
ihr großen Götter, die mir Schutz gewährten.

Segest

der seine Wut bis jetzt mühsam gebändigt hatte, tritt dicht vor Hermann und spricht mit leidenschaftlicher, fieberhafter Stimme, die immer lauter wird

Hermann, ich weiß 'nen Ort, ganz still und einsam,
stumm-kalte Felsen schließen ihn ringsum,
dort sei um Mitternacht. Schleif dir dein Schwert,
meins, sag' ich dir, zertrennt ein Haar. Dort zeige,
ob du ein Mann bist. Rauben, morden, stehlen,
Mädchen zu überwinden, das ist leicht,
ob's leicht ist, mich zu beugen, das versuche.

Hermann

zieht gelassen, aber mit finsterer Miene sein Schwert aus der Scheide und spricht, indem er dessen Schneide prüft

Sehr scharf – haarscharf.

Mit entfesseltem Grimm hält er dem Segest sein Schwert dicht unter die Augen und spricht

Nun sieh dies an, Segest,
versuch, ob's leichter ist, die schwache Tochter
zu überwinden, als mich selbst, den Eidam.

Indem er sich höhnisch zu Flavus wendet

Dir war sie ja bestimmt, Flavus, mein Bruder,
doch hätte sie also zu dir gehört
wie eine Sonne zu dem rauch'gen Kienspan.

Das Schwert in die Scheide stoßend, grimmig lachend

Das weißt du selbst – drum nahm ich sie für mich.

Zu Varus

In kurzen Worten höre, wie es kam.

Auf Segest deutend

Ich liebte seine Tochter und sie mich.
Ich bat ihn um sein Kind. Er wies mich ab

Auf Flavus deutend

und brachte jenen, ihn ihr aufzudringen,
jenen, den sie nur haßt ob seiner Tücke.
Ich aber bäumte mich darob empor,
probte mein Schwert und meines Armes Stärke.

Wild

Der grimme Zorn durchtobte meine Brust.
Nun sei mein Wort mein Schwert, des Vaters Segen
sein Todesröcheln.

Sich zu Flavus und Segest wendend

Drum dankt den Göttern,
Segest und Flavus, daß ihr lebt, dankt ihnen
und greint und tastet nicht nach meinem Weibe.

Während er abgeht, fällt der Vorhang.


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