Gerhart Hauptmann
Der Biberpelz
Gerhart Hauptmann

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Vierter Akt

Im Amtslokal. Glasenapp sitzt auf seinem Platz. Frau Wolff mit Adelheid, die ein in Leinwand gewickeltes Paketchen vor sich auf dem Schoße hat, warten auf den Amtsvorsteher.

Frau Wolff. A bleibt ja heute wieder gar lange.

Glasenapp, schreibend. Jeduld! Jeduld!

Frau Wolff. Na, wenn a heut wieder so spät kommt, da hat a doch wieder nich Zeit fer uns.

Glasenapp. I, Jott! Mit euern Lappalien da! Wir haben janz andre Dinge zu tun.

Frau Wolff. Ihr werd't ooch scheene Dinge ze tun haben.

Glasenapp. Det is ja keen Ton. Det paßt sich ja nich!

Frau Wolff. I, haben Se sich bloß a bißl mehr. Das Mädel hat Krieger hierhergeschickt.

Glasenapp. Mal wieder die Pelzjeschichte, was?

Frau Wolff. Ooch noch!

Glasenapp. Da hat doch der alte Kerl mal was. Da kann er sich doch'n bißken ins Zeug legen, der olle O-beinige Scherulant.

Frau Wolff. Ihr mault bloß; seht lieber, daß er was rauskriegt.

Mitteldorf erscheint in der Tür. Se solln mal rüberkomm, Jlasenapp. Herr Vorsteher will wat von Sie wissen.

Glasenapp. Muß ich schon wieder mal unterbrechen. Wirft die Feder weg und geht hinaus.

Frau Wolff. Gu'n Morgen, Mitteldorf.

Mitteldorf. Juten Morjen!

Frau Wolff. Wo bleibt'n der Vorsteher aso lange?

Mitteldorf. Schreibt janze Boochen voll, Mutter Wolffen. 't sin wicht'che Sachen, det kann ich Ihn sachen. Vertraulich. Und wissen Se: 't liecht wat in de Luft. – Wat, weeß ich noch nich. Aber det wat liecht – det weeß ick so sicher . . . Wenn Se bloß man achtjeben, denn wern Se's erleben. Et kracht, und wenn et kracht, Mutter Wolffen, denn – hat et jekracht. Nee, wie jesacht, ick versteh' ja nischt von. Det is allens de Neuheit. De Neuheit is allens. Und von de Neuheit versteh' ick nischt. Et muß wat jeschehn. Det jeht nich so weiter. Der janze Ort muß jesäubert wern. Ick finde mich ja nu nich mehr so rin. Wat der Vorsteher war, der jestorben is, det war jejen den bloß – 'n Eckensteher. Ick könnte Ihn all noch ville erzähln. Ick hab' man nich Zeit. Der Baron vermißt mir. Geht, in der Tür wendet er sich noch einmal und sagt: Et kracht, Mutter Wolffen, det können Se mir jlooben. Ab.

Frau Wolff. Na, wenn's ock bei dem nich etwa geschnappt hat.

Pause.

Adelheid. Wat soll ick denn sachen? Ick hab't verjessen.

Frau Wolff. Was haste denn zum Herr Krieger gesagt?

Adelheid. Na, det ick det Pack hier gefunden habe.

Frau Wolff. Sonst brauchste ooch hier nischt weiter zu sagen. Bloß, daß de forsch bist und resolut. Du bist doch sonst nich uffs Maul gefallen.

Wulkow kommt herein. Ick wünsche juten Morgen.

Frau Wolff starrt sprachlos auf Wulkow, dann. Nee, aber Wulkow, Ihr seid woll gar nich mehr gescheit?! Was wollt Ihr d'nn hier?

Wulkow. Na, meine Frau hat wat Kleenes jekriecht . . .

Frau Wolff. Was hat se gekriegt?

Wulkow, 'n kleenet Mächen. Da muß ick all komm ufft Standesamt.

Frau Wolff. Ich denke, Ihr seid schon längst im Kanale?

Wulkow. Ick hätte all ooch nischt dajejen, Wolffen. Wenn't bloß an mir läje, war' ick't ooch. Ick hebbe ja ooch jleich losjemacht. Un wie ick komme bis bei de Schleußen, da jeht et nich weiter. Nu hebb' ick jelauert, det de Spree sollte loslassen. Zwee Tache un Nächte hebb' ick jelejen, bis det nu mit meine Frau noch zukam. Denn half keen Jammern, denn mußt' ick retour.

Frau Wolff. Da habt er a Kahn wieder an der Bricke?

Wulkow. Na immer. Wo soll ick den hebben all?

Frau Wolff. Nu laßt mich zufriede.

Wulkow. I, wenn se man bloß nischt jerochen hebben.

Frau Wolff. Geh, hol fer zehn Fennig Zwirn beim Koofmann.

Adelheid. Det hol' ick, wenn ick nach Hause jeh'.

Frau Wolff. Du gehst und maulst nich.

Adelheid. Ick bin doch keen kleenes Mächen mehr. Ab.

Frau Wolff, hastig. Da habt Ihr dort an der Schleuße gelegen?

Wulkow. Zwee janze Tage. Wat ick Ihn sache.

Frau Wolff. Nu, laßt Euch verglasen. Ihr seid a Kerl – a Pelz zieht Ihr an am lichten Tage.

Wulkow. Ick? Anjezochen?

Frau Wolff. Ja, angezogen, am hellen Tage. Daß 's der ganze Ort glei zu wissen kriegt, was Ihr fer an scheenen Pelz anhat.

Wulkow. Det war ja all mittendrin in de Heide.

Frau Wolff. 'ne Viertelstunde von unsern Hause. Mei Mädel hat Euch doch sitzen sehn. Se mußte a Dokter Fleischer rudern, un der hat ooch gleich an Verdacht gefaßt.

Wulkow. Da weeß ick nischt von, det jeht mir nischt an.

Man hört jemand kommen.

Frau Wolff. Pst, sein Se bloß jetzt uff'n Posten, Wulkow.

Glasenapp kommt eilig herein, etwa in der Weise des Amtsvorstehers. Fragt Wulkow von oben herab. Was haben Sie denn?

Wehrhahn, noch außen. Was willst du denn, Mädchen? Du kommst zu mir? Man also rein. Wehrhahn läßt Adelheid vor sich eintreten und folgt nach. Viel Zeit hab' ich heute nicht. Ach so, du bist wohl die kleine Wolff? Na setz dich mal hin. Was hast du denn da?

Adelheid. Ick hab' das Paket . . .

Wehrhahn. Na wart erst mal . . . Zu Wulkow. Was haben Sie denn?

Wulkow. Eine Jeburt möcht' ick anmelden.

Wehrhahn. Also standesamtlich. Die Bücher, Glasenapp. Das heißt, ich will erst das andere erledigen. Zu Frau Wolff. Was gibt es denn da mit Ihrer Tochter? Hat Krüger sie wieder mal geohrfeigt?

Frau Wolff. Nee, so weit hat a's woll doch nich getrieben.

Wehrhahn. Was ist denn dann los?

Frau Wolff. Halt mit den Paket . . .

Wehrhahn, zu Glasenapp. Ist Motes noch immer nicht dagewesen?

Glasenapp. Bis jetzt noch nicht.

Wehrhahn. Mir unbegreiflich! Na, Mädchen, was willst du?

Glasenapp. Es betrifft den gestohlenen Pelz, Herr Vorsteher.

Wehrhahn. Ach so. Das ist mir heute nicht möglich. Wer kann denn alles auf einmal tun! Zu Frau Wolff. Sie kann sich mal morgen bei mir melden.

Frau Wolff. Se hat schon a paarmal wolln mit Ihn reden.

Wehrhahn. Dann versucht sie's morgen zum drittenmal.

Frau Wolff. Herr Krieger läßt se halt gar nich mehr locker.

Wehrhahn. Was hat Herr Krüger damit zu tun?

Frau Wolff. 's Mädel war bei'm mit dem Paketel.

Wehrhahn. Was ist das für'n Lappen? Zeigen Sie mal.

Frau Wolff. Das hängt mit der Pelzgeschichte zusammen. Heeßt das: Herr Krieger is eben der Meinung.

Wehrhahn. Was ist denn drin in dem Lappen, was?

Frau Wolff. 'ne griene Weste is drin vom Herr Krieger.

Wehrhahn. Das hast du gefunden?

Adelheid. Ick hab' et jefunden, Herr Amtsvorsteher!

Wehrhahn. Wo hast du's gefunden?

Adelheid. Det war, wie ick mit Maman zur Bahn jing. Da jing ick so und da . . .

Wehrhahn. Laß man gut sein. Zu Frau Wolff. Das deponieren Sie doch mal zunächst. Wir werden morgen darauf zurückkommen.

Frau Wolff. Mir wär's schonn recht . . .

Wehrhahn. Und wem denn nicht?

Frau Wolff. Herr Krieger is bloß zu eifrig dahinter.

Wehrhahn. Herr Krüger, Herr Krüger – der ist mir ganz gleichgiltig. Der Mann belästigt mich geradezu. Man kann doch so was nicht übers Knie brechen. Er hat ja Belohnung ausgesetzt, es ist ja im Amtsblatt bekanntgegeben.

Glasenapp. Dem Mann jeschieht immer noch nicht jenug.

Wehrhahn. Was soll das heißen: geschieht nicht genug? Wir haben den Tatbestand aufgenommen. Seine Waschfrau ist ihm verdächtig gewesen, wir haben Haussuchung vorgenommen. Was will er denn noch? Der Mann soll doch still sein. Nun, wie jesagt, morjen steh' ich zu Diensten.

Frau Wolff. Uns is das egal, mir kommen ooch wieder.

Wehrhahn. Na ja, morgen früh.

Frau Wolff. Gu'n Morgen!

Adelheid knickst. Guten Morjen!

Frau Wolff und Adelheid ab.

Wehrhahn, in Akten wühlend, zu Glasenapp. Ich bin doch neugierig, was da rauskommt. Herr Motes will nun auch Zeugen stellen. Er meint, die Dreiern, die Kuchenhexe, die habe mal grade dabeigestanden, als Fleischer sich despektierlich aussprach. Wie alt ist denn die Dreiern, sagen Sie mal?

Glasenapp. So gegen siebzig Jahre, Herr Vorsteher.

Wehrhahn. 'n bißchen verschupft, was?

Glasenapp. Na, wie man's nimmt. Sie hat die Gedanken noch ziemlich beisammen.

Wehrhahn. Ich kann Ihnen sagen, Glasenapp, es wäre mir eine direkte Genugtuung, hier mal recht gründlich zwischenzufahren. Daß die Leute merken, mit wem sie's zu tun haben. Bei Kaisers Geburtstag, wer war nicht dabei? Natürlich der Fleischer. Dem Mann trau' ich das Schlimmste zu. Wenn der noch so schafsdumme Jesichter macht. Man kennt sie ja, diese Wölfe im Schafspelz. Können keiner Fliege ein Beinchen ausreißen, aber wenn's drauf ankommt, sprengen die Hunde janze jroße Ortschaften in die Luft. Der Boden soll ihnen doch hier etwas heiß werden!

Motes kommt. Jehorsamer Diener!

Wehrhahn. Na also, wie steht's?

Motes. Frau Dreier will jejen elf Uhr hier sein.

Wehrhahn. Die Sache wird einiges Aufsehen machen. Es wird ein großes Geschrei entstehen. Der Wehrhahn mischt sich in alles hinein. Nun, Gott sei Dank, ich bin drauf gefaßt. Ich stehe ja hier nicht zu meinem Vergnügen. Zum Spaß hat man mich nicht hierhergesetzt. Da denken die Leute, so'n Amtsvorsteher, das ist weiter nichts wie ein höherer Büttel. Da mögen sie jemand anders hierhersetzen. Die Herren freilich, die mich ernannt haben, die wissen genau, mit wem sie's zu tun haben. Die kennen den ganzen Ernst meiner Auffassung. Ich erfasse mein Amt als heil'jen Beruf. Pause. Bericht für die Staatsanwaltschaft hab' ich verfaßt. Wenn ich ihn heute mittag abschicke, kann übermorgen Verhaftsbefehl hiersein.

Motes. Nun wird man aber über mich herfallen.

Wehrhahn. Sie wissen, mein Onkel ist Kammerherr. Ich werde mal mit ihm über Sie sprechen. Potz Donnerwetter! Da kommt der Fleischer! Was will denn der Mensch? Er hat doch nicht etwa Lunte jerochen? Es klopft, Wehrhahn schreit. Herein!

Fleischer tritt ein, bleich und aufgeregt. Guten Morgen! Er bleibt ohne Antwort. Ich möchte eine Anzeige machen, die sich auf den neulichen Diebstahl bezieht.

Wehrhahn, mit durchdringendem Polizeiblick. Sie sind der Dr. Joseph Fleischer?

Fleischer. Ganz recht. Joseph Fleischer ist mein Name.

Wehrhahn. Sie wollen mir eine Anzeige machen?

Fleischer. Wenn Sie gestatten, so möcht' ich das tun. Ich habe nämlich etwas beobachtet, was möglicherweise dazu führt, dem Pelzdiebe auf die Spur zu kommen.

Wehrhahn trommelt auf den Tisch und sieht sich mit einem Ausdruck gemachten Befremdens bei den Anwesenden um, diese zum Lächeln herausfordernd. Anteillos. Was haben Sie nun also so Wichtiges beobachtet?

Fleischer. Das heißt, wenn Sie etwa von vornherein auf meine Mitteilung keinen Wert legen, dann würde ich vorziehen . . .

Wehrhahn, schnell, hochmütig. Was würden Sie vorziehn?

Fleischer. Ich würde vorziehn, darüber zu schweigen.

Wehrhahn wendet sich schweigend und gleichsam nicht begreifend an Motes, dann verändert, beiläufig. Meine Zeit ist etwas in Anspruch genommen. Ich möchte Sie bitten, sich kurz zu fassen.

Fleischer. Meine Zeit ist ebenfalls eingeteilt. Indessen hielt ich mich für verpflichtet . . .

Wehrhahn, hineinredend. Sie hielten sich für verpflichtet. Gut. Nun sagen Sie also, was Sie wissen.

Fleischer, mit Überwindung. Ich bin also gestern Kahn gefahren. Ich hatte den Kahn von der Wolffen genommen. Und ihre Tochter saß vorn am Ruder.

Wehrhahn. Gehört das denn unbedingt zur Sache?

Fleischer. Ja, allerdings – nach meiner Meinung.

Wehrhahn, ungeduldig trommelnd. Schon gut, schon gut, daß wir weiterkommen.

Fleischer. Wir fuhren bis in die Nähe der Schleußen. Da hatte ein Spreekahn angelegt. Das Eis, wie wir sahen, war dort aufgestaut. Wahrscheinlich war er dort festgefahren.

Wehrhahn. Hm. So. Das interessiert uns nun weniger. Was ist denn der Kern von der ganzen Sache?

Fleischer, mit Gewalt an sich haltend. Ich muß gestehen, daß diese Art . . . Ich komme hierher durchaus freiwillig, einen freiwilligen Dienst der Behörde zu leisten . . .

Glasenapp, frech. Der Herr Amtsvorsteher hat nicht Zeit. Sie sollen nur weniger Worte machen. Sie sollen es kurz und bündig sagen.

Wehrhahn, heftig. Die Sache. Die Sache. Was wollen Sie denn?

Fleischer, mit Überwindung. Es liegt mir daran, daß die Sache entdeckt wird. Und im Interesse des alten Herrn Krüger werd' ich . . .

Wehrhahn, gähnend, uninteressiert. Es blendet mich, schließen Sie mal die Rouleaus.

Fleischer. Auf dem Kahne befand sich ein alter Schiffer – wahrscheinlich der Eigentümer des Schiffes.

Wehrhahn, wie vorher, gähnend. Ja. Höchst wahrscheinlich.

Fleischer. Dieser Mann saß auf dem Deck in einem Pelze, den ich aus der Ferne für Biber hielt.

Wehrhahn, wie vorher. Ich hätt' ihn vielleicht für Marder gehalten.

Fleischer. Ich fuhr heran, soweit es möglich war, und konnte so ziemlich gut beobachten. Es war ein dürftiger, schmuddliger Schiffer, und der Pelz schien durchaus nicht für ihn gemacht. Es war auch ein nagelneues Stück . . .

Wehrhahn, scheinbar zu sich kommend. Ich höre, ich höre – nun? Und? Was weiter?

Fleischer. Was weiter? Nichts!

Wehrhahn, scheinbar auflebend. Sie wollten mir doch eine Anzeige machen. Von etwas Wichtigem sprachen Sie doch.

Fleischer. Ich habe gesagt, was ich sagen wollte.

Wehrhahn. Sie haben uns hier eine Geschichte erzählt von einem Schiffer, der einen Pelz trägt. Nun, Schiffer tragen mitunter Pelze. Das ist keine große Neuigkeit.

Fleischer. Darüber denken Sie so oder so. Unter diesen Verhältnissen bin ich am Ende. Er geht ab.

Wehrhahn. Ist Ihnen wohl so was mal vorgekommen? Der Mann ist ja bodenlos dumm außerdem. Ein Schiffer hat einen Pelz angehabt. Ist der Mann wohl plötzlich verrückt geworden? Ich besitze ja selbst einen Biberpelz. Ich bin doch deshalb noch lange kein Dieb. – Schockschwerenot! was ist denn das wieder? Es soll wohl heut gar keine Ruhe werden. Zu Mitteldorf, der an der Tür steht. Sie lassen jetzt niemand weiter herein. Herr Motes, tun Sie mir den Gefallen, gehen Sie, bitte, rüber in meine Privatwohnung. Wir können dort ungestörter verhandeln. – Zum soundsovielsten Mal dieser Krüger. Der ist ja wie von Taranteln gestochen. Wenn der alte Esel fortfährt, mich zu plagen, da fliegt er noch mal zur Türe raus.

Krüger wird in Begleitung von Fleischer und Frau Wolff in der offnen Tür sichtbar.

Mitteldorf, zu Krüger. Herr Vorsteher ist nicht zu sprechen, Herr Krüger.

Krüger. Ach was! Nicht zu sprechen! Das ist mir kanz kleichgiltig. Zu den übrigen. Immer vorwärts, vorwärts. Das will ich mal sehen.

Alle, Krüger voran, treten ein.

Wehrhahn. Ich möchte um etwas mehr Ruhe bitten. Wie Sie sehen, habe ich hier noch zu verhandeln.

Krüger. Verhandeln Sie ruhig, wir können warten. Dann werden Sie wohl auch mit uns verhandeln.

Wehrhahn, zu Motes. Also bitte, drüben in meiner Privatwohnung – und wenn Sie Frau Dreier etwa sehen, ich möchte sie auch lieber drüben verhören. Sie sehen ja selbst: hier ist es unmöglich.

Krüger, auf Fleischer zeigend. Der Herr hier weiß auch etwas von der Frau Treier. Kann Ihnen sokar etwas Schriftliches keben.

Motes. Gehorsamer Diener, empfehle mich bestens. Ab.

Krüger. Der Mann hat's nötig, sich zu empfehlen.

Wehrhahn. Ich bitte, enthalten Sie sich Ihrer Bemerkungen.

Krüger. Das sage ich noch mal: der Mann ist ein Schwindler!

Wehrhahn, als ob er es nicht gehört, zu Wulkow. Nun also, was gibt's? Erst werde ich Sie abfertigen. Die Bücher, Glasenapp! – Lassen Sie mal. Ich will mir erst das mal vom Halse schaffen. Zu Krüger. Ich werde erst Ihre Sache erledigen.

Krüger. Ja, darum wollt' ich auch tringend bitten.

Wehrhahn. Wir wollen mal von dem »dringend« ganz absehen. Was hätten Sie also für ein Anliegen?

Krüger. Kein Anliegen. Kar kein Anliegen hab' ich. Ich komme, mein kutes Recht zu beanspruchen.

Wehrhahn. Was wäre das für ein gutes Recht?

Krüger. Mein kutes Recht, Herr Amtsvorsteher. Das Recht, das ich habe, als ein Bestohlener, daß die Ortsbehörde mir Beistand leistet, mein gestohlenes Gut zurückzuerhalten.

Wehrhahn. Ist Ihnen der Beistand verweigert worden?

Krüger. Nein, kar nicht. Das kann ja auch kar nicht sein. Aber dennoch sehe ich, daß nichts keschieht! Die kanze Sache nimmt keinen Fortgang.

Wehrhahn. Sie glauben, das geht so im Handumdrehen?

Krüger. Ich klaube kar nichts, Herr Amtvorsteher. Ich wäre dann wohl nicht hergekommen. Ich habe vielmehr bestimmte Beweise. Sie nehmen sich meiner Sache nicht an.

Wehrhahn. Ich könnte Sie jetzt schon unterbrechen. Etwas Weiteres der Art anzuhören, läge ganz außer meiner Amtspflicht. Einstweilen reden Sie aber nur weiter.

Krüger. Sie könnten mich kar nicht unterbrechen. Als preußischer Staatsbürger habe ich Rechte. Und wenn Sie mich hier auch unterbrechen, dann kiebt es andere Orte zum Reden. Sie nehmen sich meiner Sache nicht an.

Wehrhahn, scheinbar gelassen. Nun bitte, wollen Sie das begründen.

Krüger, auf die Wolffen und ihre Tochter zeigend. Hier, diese Frau ist zu Ihnen gekommen. Ihre Tochter hat einen Fund kemacht. Sie hat den Weg nicht kescheut, Herr Vorsteher, obkleich sie doch eine arme Frau ist. Sie haben sie einmal abkewiesen, und heute ist sie wiedergekommen . . .

Frau Wolff. Er hatte halt doch keine Zeit, der Herr Vorsteher.

Wehrhahn. Ach bitte, weiter . . .!

Krüger. Ich bin auch durchaus noch lange nicht fertig. Was haben Sie zu der Frau kesagt? Sie haben der Frau kanz einfach kesagt: Sie hätten jetzt keine Zeit für die Sache. Sie haben nicht einmal die Tochter verhört. Sie wissen auch nicht den keringsten Umstand; von dem kanzen Vorfall wissen Sie kar nichts.

Wehrhahn. Jetzt möcht' ich Sie bitten, sich etwas zu mäßigen.

Krüger. Ich bin kemäßigt, ich bin sehr kemäßigt. Ich bin viel zu kemäßigt, Herr Amtsvorsteher. Ich bin noch ein viel zu kemäßigter Mensch. Was sollte ich sonst zu so etwas sagen? Was ist das für eine Art Untersuchung? Dieser Herr hier, Herr Fleischer, ist bei Ihnen kewesen, mit einer Beobachtung, die er kemacht hat. Ein Schiffer trägt einen Biberpelz . . .

Wehrhahn, die Hand erhebend. Pst, warten Sie mal! Zu Wulkow. Sie sind doch Schiffer?

Wulkow. Seit dreißig Jahren hebb' ick jeschiffwerkt.

Wehrhahn. Sie sind wohl schreckhaft? Sie zucken ja so.

Wulkow. Ick hebbe mir richtig 'n bißken verschrocken.

Wehrhahn. Tragen nun die Spreeschiffer öfter Pelze?

Wulkow. Manch eener hat seinen Pelz, immerzu.

Wehrhahn. Der Herr dort hat einen Schiffer gesehn, der hat im Pelz auf dem Deck gestanden.

Wulkow. Da is nischt Verdächtijes bei, Herr Vorsteher. Da sin ville, die schöne Pelze hab'n. Ick hebbe sojar all ooch selber eenen.

Wehrhahn. Na sehn Sie, der Mann hat selbst einen Pelz.

Fleischer. Aber schließlich doch keinen Biberpelz.

Wehrhahn. Das haben Sie ja nicht genau gesehen.

Krüger. Wa? Hat der Mann einen Biberpelz?

Wulkow. Da jibt et ville, kann ick Ihn sachen, die hebben de schönsten Biberpelze. Warum ooch nich? 's Jeld langt ja all zu.

Wehrhahn, im Vollgefühle des Triumphes mit gemachter Gleichgültigkeit. So. Leichthin. Bitte, fahren Sie fort, Herr Krüger. Das war nur so ein kleiner Abstecher. Ich wollte Ihnen nur mal vor Augen führen, was es auf sich hat mit dieser »Beobachtung«. – Sie sehen, der Mann hat selbst einen Pelz. Wieder heftig. Es wird uns doch deshalb im Traume nicht einfallen, zu sagen: er hätte den Pelz gestohlen. Das wäre ja eine Absurdität.

Krüger. Wa? Ich verstehe kein Wort davon.

Wehrhahn. Da muß ich noch etwas lauter reden. Und da ich mal gerade im Reden bin, da möchte ich Ihnen auch gleich mal was sagen. Nicht in meiner Eigenschaft als Beamter, sondern einfach als Mensch wie Sie, Herr Krüger. Ein immerhin ehrenwerter Bürger, der sollte mit seinem Vertrauen mehr haushalten – sich nicht auf das Zeugnis von Leuten berufen . . .

Krüger. Mein Umkang, mein Umkang . . .?

Wehrhahn. Jawohl, Ihr Umgang.

Krüger. Da geben Sie nur auf sich selber acht. Solche Leute wie Motes, mit dem Sie umkehen, die sind bei mir aus dem Hause keflogen.

Fleischer. Dem Mann, der in Ihrer Privatwohnung wartet, dem hab' ich bei mir die Tür gewiesen.

Krüger. Er hat mich um meine Miete beschwindelt.

Frau Wolff. Da sein er nich viele hier am Orte, die der nich hat hinten und vorne beschwindelt, um Böhms, um Märker, um Taler, um Goldsticke.

Krüger. Der Mann hat das richtige Steuersystem.

Fleischer zieht aus seiner Tasche ein Papier. Der Mann ist auch reif für den Staatsanwalt. Er legt das Papier auf den Tisch. Ich bitte gefälligst, das durchzulesen.

Krüger. Das Blatt hat Frau Dreier selbst unterschrieben. Er hat sie zum Meineid verleiten wollen.

Fleischer. Sie hat sollen aussagen gegen mich.

Krüger, Fleischer anfassend. Das ist ein unpescholtner Mann, und den will dieser Schuft ins Elend bringen. Und Sie reichen dem Menschen dazu die Hand.

Gleichzeitig sprechen:

           

Wehrhahn. Ich bin nun am Ende mit meiner Geduld. Was Sie mit dem Manne zu verhandeln haben, das geht mich nichts an und ist mir auch gleichgiltig. Zu Fleischer. Entfernen Sie mal den Wisch da gefälligst.

Krüger, abwechselnd, zur Wolffen und zu Glasenapp. Das ist der Freund des Herrn Amtsvorstehers. Das ist der Kewährsmann. Ein schöner Kewährsmann. Ein Revolvermann, wolln wir mal lieber sagen.

Fleischer, zu Mitteldorf. Ich bin keinem Menschen Rechenschaft schuldig. Was ich tu' und lasse, ist meine Sache. Mit wem ich umgehe, ist meine Sache. Was ich denke und schreibe, ist meine Sache.

Glasenapp. Man kann ja sein eigenes Wort nicht verstehen. Herr Vorsteher, soll ich vielleicht den Gendarm holen? Ich springe schnell rüber. Mitteldorf! . . .

Wehrhahn. Ich bitte um Ruhe. Ruhe tritt ein. Zu Fleischer. Entfernen Sie mal den Wisch da gefälligst.

Fleischer tut es. Der Wisch da kommt vor den Staatsanwalt.

Wehrhahn. Das mögen Sie halten, wie Sie wollen. Er steht auf und nimmt aus dem Schrank das Paket der Frau Wolff. Damit diese Sache nun aus der Welt kommt. Zu Frau Wolff. Wo haben Sie also das Ding gefunden?

Frau Wolff. Ich hab's doch gar nich gefunden, Herr Vorsteher.

Wehrhahn. Na wer denn sonst?

Frau Wolff. Meine jingste Tochter.

Wehrhahn. Warum haben Sie die nicht mitgebracht?

Frau Wolff. Sie war ja doch da, Herr Amtsvorsteher. Ich kann se ja auch schnell rieberholen.

Wehrhahn. Das verzögert doch aber die Sache bedeutend. Hat Ihnen das Mädel denn nichts erzählt?

Krüger. Sie sagten doch, auf dem Wege zum Bahnhof.

Wehrhahn. Der Dieb ist also wohl nach Berlin. Da werden wir schlechtes Suchen haben.

Krüger. Ich klaube das kar nicht, Herr Amtsvorsteher. Herr Fleischer hat eine kanz richtike Ansicht. Die kanze Sache mit dem Paket ist angelegt, um uns irrezuführen.

Frau Wolff. Ooch noch! Das kann ganz gutt meeglich sein.

Wehrhahn. Na, Wolffen, Sie sind doch sonst nich so dumm. Was hier gestohlen wird, geht nach Berlin. Der Pelz war längst in Berlin verkauft, noch eh wir hier wußten, daß er gestohlen war.

Frau Wolff. Herr Vorsteher, nee, ich kann mer nich helfen. Da bin ich doch nich ganz Ihrer Meenung. Wenn der Dieb in Berlin is, da mecht' ich wissen: was braucht der aso a Paket zu verlieren.

Wehrhahn. Man verliert doch so was nicht immer absichtlich.

Frau Wolff. I, sehn Se sich bloß das Paket amal an, da is alles so scheene zusammgepackt, de Weste, der Schlissel, das Stickel Papier . . .

Krüger. Ich klaube, der Dieb ist hier am Ort.

Frau Wolff, Krüger bestärkend. Na sehn Se, Herr Krieger.

Krüger, bestärkt. Das klaub' ich bestimmt.

Wehrhahn. Bedaure, ich neige nicht zu der Ansicht. Ich hab' eine viel zu lange Erfahrung . . .

Krüger. Was? Eine lange Erfahrung? Hm!

Wehrhahn. Gewiß. Auf Grund dieser langen Erfahrung weiß ich, daß diese Möglichkeit kaum in Betracht kommt.

Frau Wolff. Na, na, ma soll nischt verreden, Herr Vorsteher.

Krüger, mit Bezug auf Fleischer. Er hat aber doch einen Schiffer gesehen . . .

Wehrhahn. Ach, kommen Sie doch nicht mit dieser Geschichte. Da müßt' ich ja alle Tage Haussuchung halten, mit zwanzig Gendarmen und Polizisten. Da müßt' ich bei jedem einzelnen haussuchen.

Frau Wolff. Da fangen Se ock gleich bei mir an, Herr Vorschteher.

Wehrhahn. Na, ist denn so was nicht lächerlich? Nein, nein, meine Herren, so geht das nicht. So kommen wir nun und nimmer zu etwas. Sie müssen mir gänzlich freie Hand lassen. Ich habe schon meine Verdachte gefaßt und will einstweilen nur noch beobachten. Es gibt hier so einige dunkle Gestalten, die hab' ich schon lange aufs Korn genommen. Frühzeitig fahren sie rein nach Berlin, mit schweren Hucken auf dem Rücken, und abends kommen Sie leer zurück.

Krüger. Die Chemüsefrauen gehen wohl so mit ihrem Chemüse auf dem Rücken.

Wehrhahn. Nicht nur die Gemüsefrauen, Herr Krüger. Ihr Pelz ist wahrscheinlich auch so gereist.

Frau Wolff. Das kann halt eben ooch meeglich sein. Unmeeglich is halt nischt uff der Welt.

Wehrhahn, zu Wulkow. Na also. Nun? Sie wollen anmelden.

Wulkow, 'n kleenet Mächen, Herr Amtsvorsteher.

Wehrhahn. Ich werde also mein möglichstes tun.

Krüger. Ich lasse nicht eher Ruhe, Herr Vorsteher, als bis ich zu meinem Pelze komme.

Wehrhahn. Nun, was gemacht werden kann, wird gemacht. Die Wolffen kann ja mal'n bißchen rumhören.

Frau Wolff. Uff so was versteh' ich mich eemal zu schlecht. Aber wenn aso was nich rauskommt, nee, nee, wo bleibt da ock alle Sicherheet!

Krüger. Sie haben kanz recht, Frau Wolffen, kanz recht. Zu Wehrhahn. Ich bitte das Päckchen kenau zu besichtigen. Es ist eine Handschrift auf dem Zettel, die zu einer Entdeckung führen kann. Und übermorgen früh, Herr Vorsteher, werd' ich wieder so frei sein, nachzufragen. Kuten Morgen! Ab.

Fleischer. Guten Morgen. Ab.

Wehrhahn, zu Wulkow. Sie sind wieviel Jahr alt? Guten Morgen, guten Morgen! – Bei den beiden Kerls ist was los da oben. Zu Wulkow. Wie heißen Sie?

Wulkow. August Philipp Wulkow.

Wehrhahn, zu Mitteldorf. Gehen Sie mal rüber in meine Wohnung. Da sitzt der Schriftsteller Motes und wartet. Sagen Sie ihm, es tät' mir leid, ich hätte heut morgen anderes zu tun.

Mitteldorf. Da soll er nich warten?

Wehrhahn, barsch. Nicht warten! Nein!

Mitteldorf ab.

Wehrhahn, zu Frau Wolff. Ist Ihnen der Schriftsteller Motes bekannt?

Frau Wolff. Bei so was, wissen Se, da schweig' ich lieber. Da könnt' ich Ihn nich viel Guttes erzählen.

Wehrhahn, ironisch. Von Fleischer dagegen umso mehr.

Frau Wolff. Das is Ihn ooch wirklich kee iebler Mann.

Wehrhahn. Sie wollen wohl'n bißchen vorsichtig sein?

Frau Wolff. Nee, wissen Se, dazu taug' ich nischt. Ich bin immer geradezu, Herr Vorsteher. Wenn ich mit'm Maule nich immer so vorneweg wär', da hätt' ich könn schonn viel weiter sein.

Wehrhahn. Bei mir hat Ihnen das noch nicht geschadet.

Frau Wolff. Bei Ihn nich, nee, Herr Amtsvorsteher. Sie kenn ooch a offnes Wort vertragen. Vor Ihn da braucht ma sich nich zu verstecken.

Wehrhahn. Kurz! Fleischer, das ist ein Ehrenmann.

Frau Wolff. Das is a ooch, ja, das is a ooch.

Wehrhahn. Na, denken Sie mal an Ihr heutiges Wort.

Frau Wolff. Und Sie an meins.

Wehrhahn. Gut, wollen mal sehn. Er dehnt sich, steht auf und vertritt sich die Beine. Zu Wulkow. Das ist nämlich hier unsre fleißige Waschfrau. Die denkt, alle Menschen sind so wie sie. Zu Frau Wolff. So ist's aber leider nicht in der Welt. Sie sehen die Menschen von außen an. Unsereins blickt nun schon etwas tiefer. Er geht einige Schritte, bleibt dann vor ihr stehen und legt ihr die Hand auf die Schultern. Und so wahr es ist, wenn ich hier sage: die Wolffen ist eine ehrliche Haut, so sage ich Ihnen mit gleicher Bestimmtheit: Ihr Dr. Fleischer, von dem wir da sprachen, das ist ein lebensgefährlicher Kerl!

Frau Wolff, resigniert den Kopf schüttelnd. Da weeß ich nu nich . . .

 


 


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